Neue Jahrbücher für das
klassische Altertum, Geschichte ...
Johannes llberg, Paul Cauer
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mUK JAHßBÜCHJlE.
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J)A& KLASSISCHE ALTERTUM
GESCHICHTE UND DEUTSCHE LITTERATUR
UND FÜR
PÄDAGOGIK
HEBAU80BOEBBN VON
JOHANNES ILBERO und RICHARD BICHTER
ERSTER BAND
LEIPZIG
DRUCK UND VEKLAG VON B. Ü. TEüBNEil
18d8
NEUE JAHRBÜCHER
DAS KLASSISCHE ALTERTUM
GESCHICHTE UND DEUTSCHE LITTERATUE
HEBADSOEQJSBEN
VON
JOHANNES IIiBEBG
»
EBSTEB JAHRGANG 1898
MIT 1'6 TAIi'ELN UND 19 ABBILDUNGEN IM T£XT
LEIPZIG
DKUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
im
^ .d by Google
VEKZEICHNIS DEB MlTAltBEITm
Omibold BoBmcnKR in Berlin (SSI 48S 568).
EwAi.D Brithw in Kiel 248 \
CiKOBa BucuwALu iu Lei])2ig (o65).
Lbomia Cob> in BrMbra (614).
EsxsT Dbvrikm in .Tt'im i3GT
Gustav Diestkl in Dresden lö41).
HuBEBT Eujiiscu iu Dresden (69ü).
Aoev«T FwoK in M«ru (501).
MiKTiN FirKKi.sruEUEu in rhemnitk (480).
Kau. Fkom» in Berlin (351 418).
Auu» Oucn in Chw^nrald (ö8(j).
H&m Gbabtsx in Koni (828).
Alb IN Häbler in Lt'ijizif,' + (365)
AuausT Uausratu iu Karisnibe (305).
Hm F. HujtotT in Leipzig (818).
Gaoa« MmaauAss in Königsberg L Fr. (87S).
HxtacAi» Hnr in Leipzig (485
AxtoLjr Houi in Freiburg i. £r. (12i>).
Onow» Ibm in Ifoins (480).
JoBAaxea iLBiao in Leipzig (223 375 484).
Rudolf KfVTzscnKK in Leipzig (808).
Gsoaa Lobbe in Magdeburg (149).
Jomn BmaMAMM latuat in Leipog ^16).
Paul Loukxtz in Sorau (675).
£aicB Mämcb» in Leipug (818).
RmDUCH Uabx in Wien (105).
EroKN MooK in Leipzifj (68).
AuiKKT MuLLiER iu Uauuov'er (224).
Faunun Koack in Daimatedt (560 686).
Hhuiamn Pktkb in Meifsen (M 637
Hkrman V. Pktessoomv in Pfaffendorf b.
Koblenz (459).
TasoDOB Flow in Bm«1 (476 476).
RniiKRT Pnm.wAN.s- in Erlangen (28 88 186).
Walthxr Ruos in Leipsig (470).
Otto EooAkn SemnoT in lCei(b«n (174 686).
Ebhat Schouk in Homburg v. d. H. (868),
Otto Sekck in Oreifswald (628).
ÜKOBO STsnoAusni in Jena (448).
FmAinE SnnnnozKA in Leipzig (377).
Vkit Valkxti.n in Frankfurt a. M. (286 611).
TuKODou V.HiKi. in Dresden (81 284 869).
UoimT Wkub iu Leipxig (370).
Rooo WiLunOennt in Hains (800).
Oboko Wissowa in Halle a. S. (161).
Ori-inn Witkowsri in Leip/if? f375V
Hehmajoi WrHDKRUGH iu Heideiberg (54).
BoBKKT Wurm in Drwden (841).
Jdui!b Ziehen in Frankfurt a. M. (404/
TuAoolv» ZiBumu in St Feiwtbuig (1).
INHALT.
SaiU
AntikR Humanitilt. Von ThaddauB Zielinski 1
Di<- soxinle Dicbtiinif der CTrifchcu. Von Robert POhlmann 23 88 186
PrDHOpogntphia IiiH'trii Ktmiani. Von Hcrmimn Pctcr 38
Virgil» Werte Ekloge. Von F r i c d r i c h M a r x 105
Aus dem klagainchen Süden Von Adolf Holm . . , , 1*29
Rüminchc' (lotterbildf r. Von G e o rg W i a b o w it 161
CicHro und Teri'iitia. Vou (Uto Eduard Schmidt 174
Die neuentdeckten Oedichte de» Bakchylideg. Von Justus Hermann Lipgiug . . 226
Eino neue Auffassninp der Antipone. Von Ewald Hruhn 248
Die Anlage dea oberKCrmaLLiachcn Limea und da« Rünierkastell Saalburg. Von Ernst
Schulze 263
Daa Problem der asopigchcn Fabel. Von AugustHausrath 806
Italienische Fundbmchto Von Hans Oraeven 823
Die iSie^fsgöttin. Kntwurf der Gettcbichte einer antiken Idealgestalt. Von Franz
Studniczka 377
Zur GeBchichte der Lohrdichtun^^ in der s{iiitrr>nn.'ichcn Litterntur. Von Julius Ziehen 404
Zur ionischen Mundart, und Dicbterspracbe. Von August Fick 501
Philo von Alexandria. Von Leopold Cohn 514
Zur Entwickelung griechischer Baukunst. Von Ferdinand Noack 669 655
Sokrates hei Piaton. Von Alfred Gercke 585
Rhetorik und Poesie im klassischen Altertum. Von Hermann Peter 6S7
Die Wallfahrten des Mittelalter.-^ und ihr KinfluFs auf die Kultur. Von Georg Liebe 149
Das Hoheny-ollernjahrhucb Von Erich Mareks 212
Die HüHiedelung Sacbsenn Von Robert Wuttke 341
Freytag, Burckbardt, Hiehl und ihre Auffassung der Kulturgetjcbicbte. Von Georg
Steinhau-<cn 448
Heinrich v Treit-achke und seine Vorlesungen über Politik. Von Herman v. Petersdorff 459
SprachwiHaenschaft und Geschichte. Von Hermann Hirt 485
Der Grofse Kurfilrst. Von Gustav Diestel 541
Herzog Moritz von Sachsen Von Hubert Ermisch 595
Die deutsche Philologie und das deutsche Volkstum. Von Hermann Wunderlich 54
Die germaniBche Heldendichtung mit besonderer Rflcksicht auf die Sage von Siegfried
und Brunhild. Von Eugen Mogk 68
Goethe und da» klassische A1t<?rt«m Von Theodor Vogel 81 (224)
Zur Äi^thetik des Tragischen. Von Veit Valentin . . . . . 286
Schiller und Plutarch. Von Karl Fries . . . . 351 418
Neue deutsche Littcraturge.'ichifbten Von Gotthold Boettichcr 432
Mepbii^t<)pllele^< und Erdgeist. Eine methodologiache Studie zu Goethes Faustdichtung.
Von Veit Valentin 611
Über daa Vorspiel auf dem Theater zu Goethes Faust. Von Theodor Vogel . . . 669
Emanucl Qeibel als politischer Dichter. Von Paul Loren tz 675
^ ,j ..^ .oogle
Inhalt. VII
AK7K[(;K\ T\I) MITTKIl.I NtiK.N
Ovida Verwapdliingen. In Stanzen flberaetzt v. C. Bulle 223
Zorn HarpaliitchcD Prozefa (H. WiHenbflcher) 800
Zur Geschichte der Astronomif' f.\. H&blcr f) . .{pr»
Burei<ch, Aua Lydien (W. Uuge) ... ... . . 470
Goethe und Autigone (Th. FIüFb) ....... 476
Cora»en, Die Antigone de« Sophoklea (dere.) 478
Die KSuigs^tanJarte bei den Persem 'M. FirkelHclierer' 480
Die <;r8tc Kkloge des Vcrgil iG. Ibai) 480
Die Lex Mauciaaa (0. Seeck) 628
Brune, Die Persönlichkeit in der GeschicbtsBchreibung der Alten (0. E. Schmidt) . . 635
Davidsohn, Gesch. v. Florenz. — Der«., Forschungen zur älteren Geach. v. Florenz
(H. F. Hebnolt) , 218
Zwei historische Sammelwerke (R. EOtzschke) 303
Jastrow und Winter, Deutsche Gesch. im Zeitalter der Hohenstaufen (E. Dcvrient). . 367
Gerdes, Gesch. des deutscheu Volkes und aeiner Kultur im Mittelalter (deni.) .... 3C8
Richter, Annalen der deutschen Gesch. im Mittelalter (ders.) 370
Wackemfll. Altdfptjtrhe PanaionRspiele in Tirol (G. Boetticher) 221
Goethe und das kla^'HiHL■he Altertum Nachtrag). (Th Vogel) 224
Kine Frage au die Goethef'or'ieher Müllerj 'i24
Fomchnngen zur neueren Litteraturgesch. Herauay. von F. Munckcr (R. Weber) . . 870
Zu Goethe;. Gfittnr, Helden und Wicland (G. Witkowaki) 375
Goethes^ Tandura 484
Die Weimarer LiitherauHi^'abe i'G, Buchwald) 66f>
Koepper, Littcraturgesch. des rhein.-wcstfäl. Lande« (G. Boctticber) -"»GH
Klette, Die Selbsta-ndigkeit des bibliothekarischen Berufs in Deutschland iG. Herrniann) 373
Wis.senHchaft und Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lilü
Verzeichnis der .\V>lnlcIungen VI
Berichtigungen VII
Kegii<t«;r der im Jahrgang 1898 besprochenen Schriften 701
Sacbregi.st«r 702
V£BZ£ICfiNIS DER ABBILDUNGEN.
8. 1S8 Sflien mit dem IKoDjBosknaben voa. d«r Stota« im Loarre, uMh OriginalplMitograpiiii.
S. ICl .Tixnus aTif einem r«m. Libralae.
S. 167 Tanzender Lar, Brooze«Utuette im KonaervatorenpalMt.
8. 168 Dias Fidiw, Hannontatae im Vfttikkii.
S. 169 Sog. Gfloimi Aagastä, Marmonitatue im Vatikan
S. 170 Silvamis, von «»iiipm Relief des Mubpo arrh»»«!. in Floreos.
S. 170 Venus Pompeiana, von einem pompejan. Wandbilde.
8. M6 Hügelgruppe am Weibenatein, nach Jaoobi, BSmerikaatell Saallmig.
S. 272 Grundriffl der Saalbiir^', uach Jacobi a. a. 0.
S. 27B Pfeilerhypokanstum dttr Villa bei d. Saalbnxg, nacb Jacobi a. a. 0.
Taicl zu S. 370 a. 274:
Abb. 4 Limes v. ausgeiteintes ChAbehen nOrdl. wa d. Saalbnrg, nach Jaoobi a. a. O.
Abb. 6 RekoiiHtruktioa der Zinnen a. d. SW-Ecke des Kastells flaalbiii|f, nach Jacobi a. a. 0.
Zu F. Studniczka, Die Siegesgöttin S. 377 ff. (Taf. I— XU):
Fig. 1 Asajrigcher Dämon (S. 380, 1).
Fig. t Igyptiicbe Gm» (8. S80, t).
Fig. 3 Artemis, von einem Bronzerelief in Olympia (S. 381, 1)
Fip 4 Momentphoiographien eines Springenden (S. .S81, 6).
Fig. 5 Gorgo, von der Fran^oisvaac in Florenz 382, 1).
Fig. 9 Petaeiu, von altaUieeber Vase in Berlin (ß. 882, 1).
Fig. 7 M;irmor»<talut' aus Delos, wiilirnrlieinlicb von ArcheraMM. Sr^nater GHpMjbgofii
im Antikenmu«eum d. Univ. Leipzig (S. 386, 2).
Fig. 6 Mannoftono der Akropolis (S. 386, 1).
Fig. 9 BKMisefigftniien der Akropolis (8. MC, 9).
FifT. 10 Marruorstatue der Akropolis (S. 386, 3).
Fig. 11 Bronzener Spiegel im Berliner Museum (8. S87, 1),
Fig. 13 WbM von Hallos (S. 388, l).
Fig. 18 MllBM von Elis (ebd.)
Fig. 14 Münze von SyrakuH (t'lid ).
Fig. 16 Münze von Himera (ebd.).
Fig. 16 Vasenbild des Andolddes im Lonvre (8. 888, 8).
Fig. 17 Von einer kyrenäificlien Sehale im Louvre (S. 388, 4).
Fig 18 Von pjnem klazonu'nischeu Sarkophag im British Museum (S. 889| 1).
Fig. 19 Von einer Schale des Uieron im Berliner Museom (S. 380, 3).
Fig 20 Vasenbfld im Brftisb Mnseom (S. 3&o, i).
Fig. 21 Vasenbild einst bei Pourtal^a (ebd.).
Fig. 22 Marmorstatue im Konservatorcniialasto (S. 390, 3).
Fig. 23 Bronzefigor aus Herculaneum in Neapel (S. 391, 1).
Fig. 84 AUiena Paifbenoe, Harmontatnette in Athen (S. 391, 8).
Fig. 25 Nike auf der Hund der Statuette Fjg. S4 (ebd.).
Fif,' 26 Bronzefigur in Kassel (S. 391, 2).
i'ig. 27 Brouzefigiir in Kassel (ebd.).
Fig. 18 Nik« den Paionioe, ergänzter Oipsabgufs im Albertinimi an Dresden (8, 898, 1).
Veneidniii der AbVfldnngeiD.
— fieriehtiguiigeii.
IX
Fiff. 29 u. 31 Die erhaltenen Teile (ebd.).
Fig. 30 ErgänzuD);(«modell dea ganzen WeihgMehenlu (ebd.).
Fig. 82 Q. 33 MarmorRtutue in Faros (S. M4, 1).
Fig. 34 n .'!') Nert-iili ii, Marmontatuen von Xanthoa im Britiah Moieom (S. 8M| S).
Fig. 36 bronzeiigur aus Pompeji in Neapel (S. 3do, &).
Fig. S7 Atu dem pezgsmeniacben Oigantenkampf in Berlin (8, 895, 4).
Fig. 38 Marniorrelief in Berlin (S. 396, 2).
Fig. .H9 Nike vom P:irtliorionfrie8 {ß. 89«. 8).
Fig. 40 Kopf von Fig. au (ebd.).
Fig. 41 M finie tob Terina (S. 897, S).
Fi'ff 4i' Müuzc von I'üi» 'cliilV
Kig 43 Vaaenbild in Oxford (S. 307, 1),
Flg. 44 Ya«enbild im British Miueum (S. 397, 3).
Fig. 46 YasenbUd (ebd.).
Fir' 16 Vasenbild in München (ebd V
Flg. 47 Poljcliromes Vaseabiid ia Oxford (ebd.).
Fig. 48—81 Mannorreli^ von der Balustrade der AtheiM Nike iß. 898, 8>.
Fig. 52 Marmorrelief in Manchen (S. 39», 1).
Fig Mannorstütue au» •''amnthrake im Louvre (S. 899, 2).
Fig. ö4 Dieselbe auf Schiffsvorderteil (ebd.).
Fig. 55 Ergaazungaremich von Fig. 53 (S. 401).
Fig. 56 MOuen des Demetrio« Foliorkete« (S. 400, 3).
Fig. 67 Venns von Tapua, Marmorstatue in NcajMl (S. 408, 1).
Fig. 5» Victoria von der Tnyoossilule (ebd.).
Fig. 69 BronzeaUtne in Breeeia (ebd.).
8. 403 SrhlnTs^ngnette, nach dem Brouenkatakg der Fkrieer NatwnalbibliotJiek ▼on Babelw
u. Blanchet.
S. 888 Altgrieckiache Tempelcellen u. Megara, nach Originalzeichnung.
8. 688 Sbrlobate (deigl.).
S. 658 P<-'fkli:ilVfnlapfp, nacli v. Rebor
S. 657 Lagerung des Gebälkes, nach v. Hebers Aoffaasung.
8. 868 Belencbtung durch die Metopen (?), nach Beber.
S. 659 Hauptmcgaroi) \ori Tirvns, nach Originalzeichnung.
S. 6G0 Enlstfhung des Trig! yiihf nf'rii'ses am Geliilutlo in iintis itlt'dg] )
S. 664 EntwickeloDgsstttfen des Trigljrpbenfriesee über den Architraven (desgl.).
Beriebtignngen.
s :i jo Z. 6 r. n. 1. 80 statt 17.
Ebd. Z. ö V. u. 1. 21 statt 18.
S. 892 Z. 1 V. u. 1. 28 statt 26.
Weiteree 8. 884 484 886.
JAHRGAKG 1898. EBSTE ABTEILUNG. ERSTES UEFT.
ANTIKE HUMANITÄT.
Von Tb. Zibumbki.
Sobald ein Volk zum Bewurstsein seiner seliwi gelangt, wagt es den Ver-
Blieb, daa mtselhafle Gebot, das wir alle in unserm Busen tragen, in die Form
eines klaren nnd bestimmten Sittengesetzes zu giefsen. Was auf diese Weise
entsteht, - - so mangelhaft der Versuch auch ausfallen mag — als ein System
reiner Etluk aufzufassen. Da es von den Besten ausgearbeitet wird, sind seine
Forderungen Terhältnismalsig hoch gespannt; da es der Mehrzahl und den Nach
geborenen an^^dni^ wird, laateo me atarr und unbeugBam: du aoBsit du
aoßtt nidU. Ergeben sich diese nun drain — und das Icann geschehen, — so
fiJlt die reine EÜiik mit der praktischen msanunen; das Sittengesets tritt direkt
ins Leben, sei es durch die Vollkommenheit der Gerechten, sei es durch das Sünden-
bewulstsein der Fehlenden. Es braucht aber nicht zu geschehen. Es ist recht
wohl der Fall möglich, dafs in einem Volke starke und selbsthewufste Indivi-
(luiilitat^n in ausreichender Zuhl vorlmnden sind, die das Btilurftus empfinden,
das nllir«'uu'ine Sittengesetz zu ihrer l^ersönlicbkeit in Bezioluing v.u setzen, und
erst die iü.^ulUute dieser beiden Kräfte als verbindlich auerkeuueu. So ent-
»teht im (iegeuaats zur reinen die praktische Ethik; da sie der Natur des
Ausftbenden mit entsprungen ist, ist ihre Redeweise ihm gegenflber an ruhig
belehrendes: dia nmf^, du nmßt mdd.
Sie ist die psychologisch interessantere, und ein moderner S4ArateB, der
ihr nachtrachten wollte, könnte für seine Mühe reichen Lohn erwarten — die
Laterne des Dior^enes müfste er freilich mit auf den Weg; nehmen. Immerhin
würden, bei der Mannigfaltigkeit der mafsgebcnden Individualitäten, die ver-
schiedenen Systeme euien chaotischen Eindruck marhen, wenn diese Individuali-
täten Wirklich regellos durcheinandersprÖHsen und nicht vielmehr selber in ihrer
Entstehung und Entwickelung einem geheimnisvollen Gesetz — es ist das, was
man wohl den 'Zeitgeist' nennt — unterworfen waren. Das sind sie aber,
und so wird die praktische Ethik auch mm interessantesten Gegenstand der
Kulturgeschichte. Denn eben diesem, Ton den IndiTidualitaten unbewuist auf-
genommenen Zeitgeist ist es zu verdanken, dafs die gleichzeitigen Systeme —
das Wort im allgemeinsten Sinne gefafst — bei all ihrer Verschiedenheit doch
im wesentlichen auf einen Gnmdtnn gestimmt erscheinen.
Dreimal nun im Lauf der Weitgesobichte war der Begriff ' M e n s o Ir dies^er
Grundtou, auf den die praktische Ethik des Zeitalters gestlniiui wur, — im
Altertum, in der Renaissance und im XVIII. Jahrhundert; alle drei Mal war
es die reine Menschlichkeit, die von der geistigen Elite anm obersten Prinsip
KnmfMMb». UM. I. 1
2
Th. Zielnuki; Antik« Humanität.
erhoben \v( irden war. £s lietit i'twas iincrempin Tröstlichps in dieser Wieder-
kehr; sie beweist, dafs die Hunmiutät deu ilauptäatz im weltgeschichtlichen
Rondo bildet, dessen Wiedererseheinen mit Sicherheit zu erwarten ist fftr den
wohl nicht aUzufemen Zeiipaukt, wo die hentigeii Götzen ihr schmetterades
Fanfittmthenui ausgespielt haben werden. Es liegt aber noeh mehr darin: so-
wohl die Benaissaneehumanität, wie die des XVTIL Jahrhunderts war der Ein-
wirkung der Antike auf die zeitgenössische Gesellschaft zu verdanken. So
lillst sich denn sagen, dafs die antike Humanität das Thema darstellt, ihre
Wiederholungen — aJJc Renaissancen, dif rjewesen situi und die noch hovmmt
trordm, nm ein Wort Henim.s in Erinnerung zu bringen — als die immerliiu
kuustvoUeii uud mauuigfaltigeu Variationen dieses Themas aufzufasaeu sind.
Erst wer das Thema kennt, darf hoflfen, die Vaiiationen zu verstehen; Ehre
dmm dem l^n, dem es gelingt, uns das Wesen der aatilmt Humaiiittt au
entwickeln I die gesamte Altertomawissenschaft kennt keine wichtigere, keine
lohnendere Aufgabe.
Im folgenden werde ich über einen bedeutenden Versuch, diese Aufj^riw
zu losen, zu berichten haben; ich meine das Buch Max Schneidewins, dessen
Titel ich zur Überschrift des gegenwärtigen Aufsatz^'s {remacht habe.') Es ist
ein ^relchrtes, «^eiistvoiieB, in Anla<re und Ausführung gleich oriti;irienes Werk,
woiil wei t, dieäü junge Zeitüchrift auf ihrem ersten Gange als glückverhcilsendes
Omen zu geleiten.
1.
Wo wäre sie aber m fassen, diese antike Humanität? Die Frage hefiremdet;
wo i^re sie nicht an fräsen, wo nur ein aus dem Hezaen d^ Antike ge-
schöpftes Werk vorliegt? Sie offenbart sich uns {^eich in dem ältesten (Ge-
dichte de« Hellenentums, sobsld wir nur die Phantasmen der ÜberUi^i^ weg-
blasen — das ist eben das Gute an ihnen, dafs sie sich ohne weiteres wegblasen
lassen — in ihrem doppolten Triumph über die Eris im 18. und im 24. Gesang,
in der grofsartigen Lehre von der Nichtigkeit jedes Hiihmes, der das Unglück
anderer zur Grundlage hat, von der Nichtigkeit jeder glanzenden That, die
durch ein uiittrlassenes Liebes werk erkauft wird. Sie leuchtet uns aus den
Zeilen der jüngeren uud anmutigeren Sehwesterdichtung entgegen in der ent-
attckendsten Versolmungsmoia], die der menschliehe Geist geschaffen hat: darum
heM ihr unmäUdt^ MUksail erAdddt dafs Qestmg unter den Menedim sei. Sie
hat einen Äschylus die fipeie WiUensbestimmnng ratgegen dem earschlaffenden
Dogma TOn der Allgewalt des Schicksals verfechten lassen, die Vergebung der
Schuld entgegen der starren Verg* Uim^^lehre, und zwar in der höchsten Potenz —
dem geschlagenen und gedemütigten Landesfeind gegenüber in einer einzigartigen
Tragödie . . . das liat sie freilich niclit liinch'rn können, daCs unter dem modernen
Götzenregiment geistig Gelh.siiehti^e aiuli diesen Honig bitter fanden. Sie bat
einem Sophokles in dem Zwiespalt zwischen Gesetz und Recht unter liebevoller
*) ms aatike Himamtftt. Toa Mai Sebaeidewin. Berlin m7, WetdmMin. XX,
668 8. gr. 8.
Th. Kfalinild: Antike Hoimuiit&t.
8
Teilnahme für jonps dio flanimonil< n Vr-rtt iditningaworte für dieses eingegeben,
in dem Zwiespalt zwisc hon Götterwillcii uii<l Meuschenstreben unt*>r Ehrfurcht
vor jenem die orgieifeiulc Hechtfertigung dieses. Sie hat einen Euripides unsere
sichtbaren HaudluDgen als die nichtssagenden 'aufgegebenen R^^ime' unserer
LebeDsdichtung betrachten gelaihit, denen eni nnser inneres Empfinden Sinn
and Inludt Terleilii Sie bat in der grieebiBehen Eomddie die satte PbAteter-
moral in jeder Gestalt geaflcbtigt und vor ihren beiden Erbfeinden, GMst und
Li»^l)o, in den Staub geworfen. Sie hat über die Darstellung der griechisrhen
Bt^t'n-iungskämpfe jenen unnachahmlichen Duft gebreitet, SO lart und keusch,
dais der mndeme, durch modoruf Kriegabeschrf'ibnnjjen korrumpierte Mensch
sie jedes 'Schwunges' bar finden mul's sehr mit Keeht, da für diesen
'i><;liwung' der grieehiselie Ausdruck 'Tfyhris' lautet. Sie hat dem zweiten
grulsen Historiker der Griechen jenes Idealbild eines humanen Staates aufgehen
iaasMi, das llreilidt dem, der als sein lebendes Symbol galt, La sein frOhes Grab
folgte. Sie hat . . . doch nun versagt das Wort: wir sind bei dem Namen
Flat4ms angelangt
Auch unser Verfasser aahlt diese Quellen alle auf, aber — nur um sie
alle, die eine nach der anderen elituitiieren i'S. 13 ff.); die ganze griechische
Litterattir ist seiner Meinunp natli als Fund<rrulte fHr die antike numanltrit y.n
streichen, kh kan?i nieht snu'en. dals seine Aiisführun<^en mir überzeugend vor
gekommen wären. Aus praktischen Gründen niati (.'s ja geboten erscheinen, das
Feld der Untersuchung einzuschränken; und mit seinen positiven Vorschlägen
ist der VerfieMser jeden&lls im Recht Als das rSiniselw Volk seine politische
Beife erlangte, gieng ihm die Überl^anheit der griechischen Weltansdurann^
wie sie im Geiste der besten ans dem hellenisehen Volke ausgereift war, all>
mShlich auf; ihr snehie nun die EUte der römischen Gesellschaft bewufst naeh-
Btttrachten; so entstand, als bewofstes Prinzip, die HnmanitSt, das Wnri und
die Sache. Von den Scipionen ging die Bewegung aus; ihren HoIk punkt er-
reichte sif in Cicero. Um as- nn.<:Hsprrrhm, Ciwros Sdiriffm sind für uns <hr
%ccsenÜi€iw. Sjnegel der anflbu HumanUiU (S. IH). Das ist gewifs ein ebcnnti
origineller, wie berechtigter Gesichtspunkt. Aber Horaz, Seneca, Plinius d. J.V
Die gehören doch unzweifelhaft auch zu den 'Humanen', wie der Verl Iran
und trefiend unsere Elite nennt Hin und wieder ist auch von ihnen die B4Mle;
im gannen aber schlielst der Yerf. die ganxe nachangnsteische Zeit prinsipiell
aus, dem die Aufgäbet euk in einem freie» SteuOe am offenUii^ LSben wiusk
fterim Kräften su heie&iffenj werden itir ah einen noescntliehen Bestandteil des
humanen Bewufstscins erkennen (S, 17) Recht wohl, aber doch nur als einen
wesentlichen; deshalb kann doch z. B für die antike Hiimanifäf im Verhältnis
VijH Mensrh fit Mtvsrli (S. 71 ff.) Plinius d. J. als eine wi( htii^e Quelle dienen.
Auch hier kann ich mir für die Exklusivität des Verf nur subjektive Gründe
denken: er hat sein Forschungsgebiet deswegen enger abgesteckt, lun dalÜr
dieses Terbftltnismafeig engere Feld desto voUatandiger m erschöpfen. Letiteres
hat er denn auch geleistet; ebendeshalb ist sein Yeranch in seiner gewollten
Beschxftnknng gelungen m nennen.
4
Tk. Zieliaildt Antike HanMnitit.
Verflöhnen wir nnn nUo damit, dafs xim die mitike llumauitüt hier nur
insoweit geboten wird, als sie sich in Ciceros Geiste wiederspiegelt Es ist
dennoch im woaentlidien die «ntika Humanität; und dafa es so ist, beweiai
hmrftifthcnd die GenialitSt jenes vielverleomdeten Geistee. Indirekt wird somit
das Werk Sebneidewins m einer gelehrten und beredten Apologie Oiceroa —
und das ist ein Gmnd mdir, ihm einen möglichst nm&ssenden Leserkreis su
wQnsehen.
2
erTiHt|ffmointcr aber dieser Wunsch ist, um so mehr sind die Hinder-
riihs»- /AI bt'diiiieni, die »ich seiner Erfülluiii; in den Wejr stallen — 7.uni!il die-
jeuigeu, die iu dem Werke selber hegen und nicht uIlzuHchwer hätten vermieden
werden kOnuen. Von ihnen ist hier snnfichst m redeo; bei der Gelegenheit soll
aueh der sonstige kritische SehnU^ der einmal au einer honetten Besaision gehSr^
abgeladen werden, damit wir nna weiterhin um so rfiekhaltloaer dem vielBn Guten
und Trefflichen, das die Sclirift des Verfassers bietet, hingeben können.
Also die Hindemisse — zu ihnen gehört an erster Stelle der Umfang
des Buches. Es sind nämlich 537 Seiten Text, dazu ein Anhang von weitoron
20 Seiten, der eine vielfach polemische Auseinandorsetzun^^ des Verfussers mit
der 'Litteratnr' zur antiken üumanität enthält — eine xöÄog (täxt), nebenbei
bemerkt, da tmr 10 Nummern behandelt werden, die ührigeu 47 vieUeiclU auf
anderem Wege dem wisaenadnafUidim FubUkum dargebotm werden sollen. Nun
sind ja freilieh seehsthalbhundert Seiten ftr eine gaoae Weltanschauung nidit
zu Tid; gana gewila, aber — ich ftrchte, ahsolnt genommen werden sie unserer
vielbeschäftigten Menschheit doch zu viel sein. Denn ein Nachschlagebuch »oll
CS und kann es nieht sein — daau fehlt ihm ein entscheidendes äuiseres Merk-
mal, der Index — , es will gnnz gelesen werden, von Anfang bis zu Ende
Das soll es auch; es wäre schade, wenn es nicht geschähe. Ntin aber die F'nii^e:
wie viel Zeit niurs der intelligente Leser opfern, um ein Buch von seehsthalb-
hundert Seiten zu lesen?
Nun, je nachdem; das hingt doch ganz daTon ab, wie das Buch geschrieben
ist Gans recht; damit haben wir das zweite, wesentlichere Hindernis berfihrt:
den Stil, im weitesten Sinne dee Wortes.
Der ist nun freilich in mehr als einer Hinsicht zu loben. Der Verfasser
hat viel gelesen und viel gedacht, besonders auf philosophischem Uebiete;
Seliojienhauer und Hartmami sind ihm gute Bekannte, nnd mancher andere
dazu. Kine «^rolse Umständliehlieit des Denkens ist ihm ilie Frucht dieser reichen
geistigen Thätigkeit gewesen; da wird nicht munter von Gipfel zu Gipfel fort-
geschritten, — alle Unebenheiten des Wegca werden mitgenouiiuen, nichts wird
dem Leser geschenkt. Daau kommt ein reicher Erinnerungssehats iron eigenen
und fremden £r&hrung^ nebst dem Bedflrfiiis, mit freigiebiger l^d daraus
au adiopfen; daau der Trieb, an allen m^lichen Zeitfrageu selhstKndig St^nng
an nehmen und seine — natürlich motivierte — Entscheidung dem Leser au
unterbreiten. So hat denn der letatere die Empfindung, dafis er mit einem
GOteraug reist, und die ist nicht immer angenehm.
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Tb. Zidinskl: Antike Huin«aittt.
6
8elir liüljsih entwickelt uus der Verfasser S. 108 am dem VVeseu der
antiken Iluiunnität den Satz, dafs es ^inept' sei, in gesttclUer, einen wisscnschafl-
Uekm Jargon ohne Not ethändMeir Weiae, MuttM einfach 'gtU detUaA* (mon
Bomattö) m spn^en. Wie werdm wir nmi, von diesem Stendpuakte ana, eben
Seb( wie den folgenden beurteilen (S. 57): die antike HmHuUtöt aeltt in ihre
LebenmuffattsKUff den Factor des Gcdankims der Vustnhlirhh ii <hr ScAc ein?
Das heilst doch wohl 'gut deutsch*: die a. H. erkennt die Unsterblichkeit der
Seele an? *Es lirlfsl; mehr', wird der Verf. saj^cn. Das erapfindp ich wolil —
inhaltsleer sind senu' Worte nie und nirgends. Ahvr dieses Melir hätte der
Leser Ton sich aus geleistet; mit dem unausstehlichen genetivischen Schachtel-
halm war es zu teuer erkauft. Oder auch folgenden, bctnichtlich längeren
(8. 4S)i Et ffiiibt ein enbekeidendes Kriteritm, ob dn LSam^ vnd Losungmort
Sur WeUersAeimng und mar GestaUmg des Lebens ab ein abaekdet oder nur
rdedio» Wert empftmdm wird: Wmn man ^mddt dafs der Inhalt dee WoHee
MKsfc euureiehe, die BxieUna V€münfli{ß zu IcgHinden, so ist das Lostoigsicort
ein absolutes, tcenn man aher glaubt, dafs nur das Dafs des Was, das Dasein
dtr Wdi, als dunhle Urthatsachr, einmal rorniK'frsrfzt, dm Wort ausreiche,
um dem fpcschrmiktett menschlichen UrkenninisvcniuMim ;irnuff -n fltun und das
in gerade dici>vr Ihsütuffenheit als zu gestaUenilts Material gcgeimie menschlicfte
Wesen in seiner Bctltätigung m regdn, so ist es nur ein rdaUves. Ist es nun
lu«i]iaft, wenn idi mir einbilde, mit einer Fassung wie diese: *es ist absein^
wenn es die Weltexistenx erUiri^ ee ist aber relatir, wenn es dieser Thatsache
ab einer YoraiUMetanng aar ErkBfanmg der fibrigen bedarf dem besehriuikten
menschlichen Erkenntnisvermögen ToUaof genug zu thun? Und das ist nnr
V4 Seite; ihrer sind aber sechsthalbhundert. Die sind freilich nicht alle so
schwer; aber oft, sehr oft war ich darüber fndi, dafs ich die Fertigkeit,
schwierige algebraische Klammeraufgaben zu löst-n, von der Schulbiink herüber-
gerettet hatte. Und auch die half nicht immer; ratlos stehe ich der historisdten
Kurzsichtigkeit S. 201 gegenüber, uid was sich aus der Negationenschlacht
8. 507: Bei dem vidiamendhSj^iffen Stande des deutstAen Lthrertmne eher md
bei den änfserUAen JfoMom umd JVS^, dmA die eiefe Am migef^9iH werden,
bestdd wne der iVMI ^^xSA m addende UnteahrscheiidiMeU, dafs nicht vide seiner
Mitglieder der Fähigkeit entbehren soIZfaM, die heilsame strenge Zucht uesemdidh
schon durch die Würde ihrer Fersen tm vSben — ab schlieübiiche Position er-
giebt, weif? ich auch nicht.
Wii.s nun den Eriuuerungsschatz anbelangt . . . ich will nicht undankbar
sein und gern bekennen, dal's ich die vielen Digressiunen des Verfassers, die
auf persönliche Erlebnisse n. dg^. aarflc^(eben, mit Interesw gelesen habe.
Digreasionen Bind es aber darom doch, nnd die Art nnd Weise, wie der Verf.
sie anbringt, «eigt deutlich, dafs wir es bei ihm mit einer Ueinen SchwSche
an thun haben. Ich weise auf S. 356 hin. Die befremdende Thatsache des
prosaisfdien Rhythmus erinnert den Verf an die dramatische Verszahlentheorie,
diese an eine Seminarsitzung bei A. Boekh, die wir jedoch sofort verlassen, um
den Keferenten in den deutsch-frauzosiacheu Krieg zu begleiten; erst nachdem
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6 Th. ZielimAi: Antike Hnauuiitat.
wir den za früh Q^nenen betnmer^ kehren wir in die SenmumitBimg mrQck^
hören BSekhe Resolution Ober die Vemiüilentiieorie und hahea. nnn erat den
Standpiinkl sur Beurteilung des prosaiachen Rhyfhmns gewonnen. Die idne
Ljde des Anttmachos, würde Plutarcli sagen.
Doch haben diese Digressionen immerhin das Interesse, das Erinnenini^en
an bedeutt ii(k' Persönlichkeiten natnrgemafs anhaftet; der Verf. ergeht sich aber
auch sonst gern in behaglichem Spazierschritt auf allen möglichen Beitenpfaden,
die gar nichts einbrini/en. und da ist es kein Wnnder, wenn dem pressierten
Begleiter die Geduld manchmai reifst. Wozu der (obeueiii unberechtigte ) Aus-
fiül gegen die Mikroben S. 381? Oder der (gleieh&llB unberechtigte) gegen
die Hiddigcigerei S. 441? Oder die immerhin gesinnungstttehtige AoBeinander-
setsung aber die Berechtigung der Eheedteidong S. 180 f.? Entacheideai I&bt
sich ja eine Frage Ton dem Kaliber auf so engem Räume doch nicht. Auch
war es gewifs nicht nötig für die Beurteilung des Briefwesens der hiunanen
Gesellschaft, dafs der Verfasser S. 150 f. auf die Erfindung der Buchstaben-
selirift zurfickgicng und den Homer mit seineu tffjfiora Xvyga hereinzog. Eine
grüisere btraüheit wäre dem Buche von ganz unermelalichem Vorteil gewesen.
8.
Uock das muls man schon mit in Kxaf nehmen: es darf uns die Freude
nicht Terkfimmem, die uns die Leitung eines so belesenen, auf den ver-
sduedensten Wissensgebieten unterriditeten Mannes geiriLbri Denn das bleibt
M. Schneidewin, und dio kleinen AnstöCsc, die ich im folgenden notieren will,
thun dieser Thatsache im Ganzen keinen Abbruch.
S. 70 lesen wir nicht ohne Staunen die Behauptung: die antike Humanität
scheint hisici ilcn roramrjr^rfst zu Imbeti, äafa sie in ihrem praktiscJieti Gmmdr
verhalten zum Leben die Erbin der Weislieit der eleitsini selten Mysterien sei.
In der bekannten Aufserung Ciceroe Ober die letzteren konunt allerdin^ das
Wort hmmmiiaa vor, und um seinetwillen mag der Zettel in Aea Sammd-
kästen gekommen sein, in den er nidii hineingehSrte; leider ist er fSr den
VerC zur Veranlassung geworden, fiber die eleusinischen Hysterien mit grober
Bestimmtheit Sachen vorzutrsgen, die den Meinungen der besten heutigen
Kenner schnurstracks entgegengesetzt sind. Den Grund begreifen wir leicht^
wenn wir das angehängte (etwas überflössige') Verzeichnis der Haupfsrhriftm
iiber die t lnmnischen Mysterien lesen, in dem die Namen Uohde, Anrieh und
Foucart fehlen.
Ein gnomisches Monostichon ist mit den Worten wenn idi nidU irre,
memauHtA (S. 29) gewifii etwas seltsam gekenozmefanet, und wenn das darin
Torkommende Ds^i (Sv^gauats «oW ftfd») im Original ein LnperatiT von
olda ist, woran nicht an aweifeln, so ist es auch fär die Üben^gmg einer.
Seltsam berührt au( h. wenn man es gedruckt sieht, das Zitat (S. 26) am «HMNI
»Mir nicht weiter bekannten Epiplianes ('vol. II p. 137 B^), wo doch eine genauere
Anfrage lei< hf ergeben hatt<»^ dafs es sich um den bekannten Aiitiorigenist^n
Epiphanias iiaudclt. Für eine Thatsache, die Thukjdides bezeugt, hätte nicht
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Th. Zielindd: Antike flanuuiitfttw 7
S. 362 Nepos zitiert werden wllen. Und wm S. 459 Ober Tbemietokles stehi^
dafon ut gerade das Qegenteil fiberliefert
Die kurze Übersicht Uber die antike Rhetorik S. 361 ff. ist för den Senner
Oberflfissig, dem Laim aber müfste sie unter ganz anderer Beleuchtung dar-
fft Koten \v( rdcTi, um irgendwie zu wirken. Insonderheit wäre die trockene Auf-
ziihJmi«» der Figuren S. BtlO oiiifacli \vf«rzulassen und die Lehre von don statu»
cau^ae mehr xu durchgeistigtu — so wie der Verl. sie S. 3G7 darstüUt, ist sie
unlogisch und unverständlich (am besten eignen sich die modernen Kunst-
anadr&dce *Tb»tlh(ge* — et. oonjeetorati^ 'Beditefrage' «- ei definitionis oder
kgitimns und *Str8fi&age' = et qnalitatis dazu, diese wunderbare und nnOber-
Iroffene Lehre au Teransehanlieh«!). Übrigens bedeutet etatiMi «rdgt^ mit
uichten FccJUermtshye; das griechisclfe Bild bewegt sich, wie die Quellen lehren
(et VoUanann Bhd. 38), auf einem gams andt-n n Gt hii f
Eine orpnHuere Kenntnis des römischen Staatsri-chts uärc dem Verf. S. 230
zu wütiHclH Ti irfwosen: f^ie hiitfe ihn vor dem Irrtum buwahrt, die censorische
Lectio scnatus auch in der Zeit Ciccros als bestellend imzunehmen, und damit
wäre da8 ganze Aporem, das dort entwickelt wird, samt seiner unmöglichen
LSonug gefalleaL 8. 189 irt Cieeros Mnttnr mit swter Schwägerin verwediaeli
Was S. 228 die der rSmiachen Religion aar Seite geetdlte Chiade anbelangt
ist nidit Uar; dem Zmammenhang nadi moehte man annehmen, dale der Verf.
damit den lateiniachoi Anedmck anspicia wiedergtebt, wae aber doeh sn
Terwunderlich wäre.
Die Übersetzungen des Verf. wird mancher zu frei, zu randcrnisiert finden;
mir haben sie im idlt/emeinen sehr g^ut üfefallen. Nicht iranz korrekt ist
377 die Stelle aus der Mureniana wie<i ergegeben; auch Atiakllifikrif S. 317
i!«t doch kein Ausdruck für dati lat. quid deceat Doch das sind ganz ver-
einaell» AiistSliie; Sfler erseheint dee Verf. Twttritik bedenUioL %e irt au
einaeiüg Sathetiach nnd drilngt die diplomatisdie Seite der Frage an sehr in
den Hintergrund. Einmal passierte es ihm sogar (8. 819), dab er eine sehleehte
moderne Konjektur ffir die Überlieferung hielt und auf Grund ihrer Cicero
eine ROge erteilte. Es ist die bekannte Stelle Ober Lucrez; der liandschrifk-
Uchen Fassunpf multts himinihu,^ infjmii, multae fnmm nrfh 2;lauhe ieli E<is TIT 1
endgültig zum Siege verholfen xu haben sie ist für beide, Cieero wie Lucrez,
«rleich ehrenvoll. Aus derselben Eos möchtts ich dem Verf. noeh die Miszellc
i 1:^9 empfehlen; dort wird er die neuentdeckte griechische Quelle zur ciceroniani-
fldmi "Klim^-g » dormi» eto. (8. 134) nachgewiesen find^.
Ändere werden anderes angemerkt haben; ich sehliefiie mein Register mit dem
Wonsche^ dafii diese kleinen Beriehtigungen dem Verf. nidit ungelegen kommen.
4.
Wir eilen 7uni Pogitlven. Was ist die antike Humanität, und was will sie?
Sie will vor allen Dini^en zu einer freuditjen Tifbensbejahun}^ fjelanrfcn; sie
will es, weil sie durch und dureli i^esund, liell:ui!rig und krafiüirotzend ist.
Cm es aber thun zu können, bedarf sie gewisser, teilweise metaphysischer
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Th. ZieliBild: Antike UumaniUlt
YorausBefasungen, die sie indeiseii nieht poBtuIieri^ Bondern mit den Mitteln, die
ihr Bu Gebote stdieii, la beweiwn anchi Gebotm werden ihr aber diese Mittel
▼on der griechischen Pliilosophie: was die Stoa verheilst und dio Akademie
geetiitti-i , wird zur theoretischen Grundlage der antiken Humanität.
Dahin gehört zunächst ein leMi ifttH Diirehdrungensein von der Einheit
und Iliirnionie des Weltalls, ein bewunderndes Aufschauen zu der Herrlichkeit
des Miikrokfisiniis, um in dessen ewiger Ordnung den Geist und Willen des
Ordner» zu akueu. Von der gleichen Bewunderung ist sie aber für das Wesen
des Menschen erflUlt, den Adel und die Beinheit seiner nreprfln^chen Natur.
So gelangt sie dasn, ana dieser Natur das Sittengeaela herzuleiten, ohne Zu-
hilfenahme einer tnaunendenten Kraft in anderem Sinne, ab insofern sie sieh
etwa eben in der menschlichen Natur offenbart. Dabei ist sie sich jedoch des
eingangs von mir entwickelten Unterschiedes vollauf bewufst: gebührt audi
unsoro ganze Ehrfurcht dem allgemeinen Sittengesotz, insofern es der univcrsa
tuUuni entstammt, so kann dorli nur diejenige Sittlichkeit, die unter Mitwirkung
unserer Individualität, unserer jnoima natura, ^ust•ande inn t. 7ur Richtschnur
unseres Handelns werden — mit Recht hebt der Vert. die goldenen Worte
Ciceros de off, I 110, dieses Fundameoi der antiken Humanität, in seiner Dar-
stellung S. S6 hervor. Und sind wir einmal au ein«* sokhen Betonung unserer
bdividualilftt und ihrer Redite gelangt, so werden wir dm Gbuiben an eine
schlielsliche Yemiehtnng dieser IndividualitSt entschieden zurfiokweisen: die
antike Humanität erkennt die Unsiirblichkeit der Seele an.
Wie reimt sich nun mit dieser Weltanschauung, dafs die antike Hutnanität
den GlücksgeliaU des mcnschlkhm Lehms eher in pessmisfiseltem Lichte ansieht
(S. 56)V Sie reimt sich eben gar nicht; hier, wie sonst einigemal, ist für den
Verf. das Bestreben, dio gesamte antike Humanität aus der Individuaiit<it des
einen Cicero herzuleiten, verhängnisvoll gewesen. So ist er dahin gekommen,
lediglieh funktionelle Störungen des humanen Bewulstseina för organische
Affektionen desselben anansdien. ThateSchlich ist der *eudamonologische Opti-
mismus' die einzige denUbare Konsequenz der humanen Weltanschauung; wo
nur der Same der Iluuuinitat aufgegangen ist, hat sieh diese Blüte aus ihm
entwickelt — für die Beschaffenheit der Keintanlage ein deutlich redendes
Kennzeichen.
Das sind im allgemeinen die LiMinfis-Amchauunijm und -Vommscf::unffmi
flftr atdikm Humanität. Wie sie sich auf dies( r Grundlage im Verhältuis von
Mensch zu Mensch, zu Staat und Vaterland, üu WisBeuschaft und Kunst, end-
lich ZU der Natur darstellt — das untersucht der Verf. in den vier weiteren
Abschnitten, die zosammengenommen den Kern des vortreiFUchen Werkes bilden.
5.
'Von Mensch zu Mensch' . . . Wir werden dabei sehr ins Einzelne geftthrt;
die grofse humane Ethik /.ersplittert sich in eine Unzahl praktischer Maximen,
dafs man zuletzt vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. So hübsch versteht
es der Verf. jede einzelne dieser Maximen mit einer oder ein paar Cicerostellen
Th. ZieliniU: Antik» Hauuiitit
9
m belügvu, d&b man am Bnde auch dag Bedflrfiiis, den Wald zu sehen, nicht
mehr empfinde!, ünd doeh ist dieees Bedflrfiiia bttreehtigt-, ich will Beben, ob
Ith die fleifUgen firnntnlmigen des Verf. nach dieser Seite hin er^buten hum.
Bilden die Hnnumai dw Elile Abb Volkee, eo haben nie nkdi gegenüber
ein grofiies Sfcfick Menschheit, das der Hnmanit&t nicht teilhallag ist — die
Masse, die Vielzuvielen, die Philister, oder wie man eie nennen will. Die
Roirf'ln für den Verkehr von Mensch zu Mensch ?ini1 daher wesentUeh davon
abhängig, nh (!»>r betreffende Mensch znr Elite oder zur Masse gehört. Von
diesem Stiindputikt aus wfirde ich versuchen, den etwas äuüserlichen Schema-
tismus des Verf. zu dorchgeistigen.
ÜTehmen vir morst die Maate; habe idi die Pflicht, sie snr Hnnmailit
sa bekehren? Hit anderen Worten: empfindet die antike Hmnaniiät den Trieb
der IHropaganda? Theoretiadi wäre ein ^a' m erwarten, als die logiicihe Kon-
eeqnenz des Glaubens an den Adel der Menschennatur; praktisch jedoch ist die
Frage für die antike wie fQr die Henaissancehiunanitat zu verneinen und erst
fSr die TTumanität des XVTTT. Jahrhunderts zu bejahen. Der üntersehied ist
ein ungelieuerer; aber wir müssen annehmen, dal's es nur in f1t r IVtixis einer
i»t. Es lag an den äufscrtm Verhältnissen, an der Schwit'rigk<nt und an-
scheinenden Hoffiiungslosigkeit der Aufgabe, dafs sich die Keimanlage der
antiken Hnmanität im Altertum nicht entwickeln konnte.
AIbo nicht bekehren; was denn? Anskommen: das ist Torlanfig der
Weisheit letiter Sehlnfs. Da ergeben sidi die Regeln der LebensUu^eit
S. 73 ff. von selbst Sei klag und rechne damii^ dafs die anderen, nämlich die
Masse, dich lieher schlecht als gut sehen wollen, dafs sie ndi mehr lieben ab
dich, dafs sie sich dir aber andererseits willig hingeben, wenn du sie zu ge-
bnuutien verstphnt. Die höchste Klugheit kann aber oft in der Gfite enthalten
sein: am besten kommt man mit den Menschen aus, die uns lieb gewinnen.
Von diesem Qcsichtspunkte aus folgen wir den Humanen leicht in allem, wjui
sie Aber das Verhältnis zu den Nachbarn wie zu den Sklaven vorschreiben;
wobei wieder der letatere Pnnkt nnswe Anfinrnksamkeit in erhShtem Mafoe
fesselt. Der YerC scheint swar nicht ftbel Lust an haben, die Behaadinng der
SMaven von seiner Darsteilnng dar antiken Hmnanittt ansaaschlielsen, weil er
darüher in seinen Sammlm^en JtHn Material mar Verfügung JuU (S. 206) — hier
wäre eben ein Punkt gewesen, wo der jüngere Plinius den Cicero erganzen
konnte. Er will uns mit einem knappen Auszug aus dem Marquardt-Mommsen-
seben Handbuch tiitschadigen, was wir höflichst ablehnen werden. Allerdings
gebt auch daraus hervor, dafs sich im romischen Rechtsbewuiätsein im Laufe
der ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit ein bedeutsamer Wandel zu gunsten der
msren ToUneht — aber diesen ümsehwnng soll mdbf sowoM die äUe humane
GeatßeduMß, ab das jurigfiedie Denken der großen BeditagdMen der ersten
laden Jährhmderie n. C9br. kerheiffeßhrt haben. Ja» standen denn diese Rechts-
gelehrten aufserhalb des Rannkreises der alten homaren Oesellschafk? Wir
berühren hiermit eine kUffende Lücke in dem sonst so durchdachten System
des Verl Ich werde mir unten (§ 8) erlauben, sie nach Kräften aussuMien;
10
Th. ZioHnKki: Antike HiimanitSlt.
«•iiiHtwoilni will ich diirauf hinweisen, dal's der erste dieser Rechtsgelehrten, der
f^rofne Luheo, ein EnkolschQler Ciceros gewesen ist. Thatsächlich haben die
llunmnen an der Aufbesserung des Sklavcnloses ein grofses Verdienst, das ihnen
der Verf. am allerwenigsten hätte verkürzen sollen.
Soweit die Masse — denn die Frauen als solche gehören nicht dahin,
noch wenigiM- die Kinder. Was zuniU-hst jene anbelangt, so ist Piaton freilich
mit seiner Forderung, dafs den Frauen qualitativ dieselbe Erziehung, wie den
Männern, zu teil werde, nicht nur seiner, sondern auch unserer Zeit weit vor-
ausgivilt; «lafs aber die Humanen Korns, soweit es der Zeitgeist gestattete, der
Krfilllung dieser Forderung mächtig vorgearbeitet haben, hätte doch entschiedener
betont werden sollen, als es S. 175 flf. geschehen ist. Liebesheirat und Ehe-
scheidung gehören gar nicht ins Kapitel von der Stellung der Frauen in der
antiken Humanität: letzten' ist ein überkommenes Rechtsinstitut, erstere gilt
in gleicher Weise für Männer wie für Frauen. Wohl war aber die Frage, ob
im humanen Kreise die Frau als ebenbürtiger Kamerad des Mannes galt, unter
Zuziehung eines umfassendert^n Materials zu behandeln und zu bejahen. Nicht
umsonst steht neben dem Namen Scipio der Name Cornelia an der Spitze der
römischen Humanität; über Laelia. Mucia, Licinia gelangen wir leicht in die
Zeit Oict^ros, wo der Kranz hervorragender Fniuen — von einer Porcia bis zu
einer CUxlia — ein sehr reicher ist In der Hinsicht vermissen wir gar vieles
in des Verf. Darstellung; am meisten vielleicht folgende, ganz beiläufige, aber
eben darum unbezahlbare Stelle aus einem diplomatischen Briefe Ciceros an
Metollus Celer: fam. V 2, 6: q^tcm cgo mm coffijirri«rm (sc. Metelli fratrem)
. otnnrm .swt trihttnatHS cottatum in rnrani ;>rrw>VfV*»» fiararr aUpte mcdiiari, cgi mm
Chiudia. t<.rr>»r tua. et mm fratra sorftn- Murin, mitis rrpa nu- sttulium jiro
Cn, Pornjirii ttco\'i!iitMiiinr muUi< in trhis />r»>7ir.rmiiH . ut rum ah iUa ininria
ti/irrrrrmt Auch ist nicht zu verg»^ssen, dafs die Wiedergeburt der Humanität
in der Renaissance sowohl wie im XVIH. Jahrhimdert den Anschluls der Frau
an die humane IVwegung brachte. Darüber sollte man sich nur ganz klar
(»ein: wenn heutzutAgt^ ein PhiloU^gt^ in puncto 'Hörigkeit der Frau' auf einem
]>atriarchalischen StÄudpunkte steht, so thut er e« nicht als Philologe, sondern
als ganz was anderes.
N*vh wenign-'r gchönMi die Kinder, der Nachwuchs der Humanität, zur
Masse. Das ist vielmehr ein Feld für die lV>paganda der humanen Welt-
anschauung; diese Pn'i^viganda leist<^te die Erziehung. Das Verhalten der
anliken Humanität 7.ur Kinden'r7.iehung hat der Verf. an dem BtMspicl der
Widon Knaben, Marcus und Quintus Cicer«\ nx-ht gut darge>;t«'llL
Soweit das (^n^nzg^^biet.. Indem wir uns nun ent«»chiedeu zur Elite
wenden, ändert sich das UUd. War der Mastse gi^nüber LeWnsklugheit die
oberste Maxime, so hejfst os hier; intrr }KTmif: ftrfH^ (uiior opnrM. Mit diesen
Wort*>n. die Heim Verf S. 79 nicht an der richtigen St<>lle st<^hein. war reicht
eigentlich das neue Kapital zu eroflFnen: von dem Verhältnis der Humanen
zu einander.
Hier entwicVeln sirh vomehinlich die Lichtseiten der antfkei) Hnmanitit
DigitizGL. , v^ .oogle
Th. Zieliiiiki: Aniilte Hnnttnitftt.
11
M.i)^ ü'u-U der Humanp flpr Masse gegenüber, aus Libenskluglieit, in jenes ge
heimuii^vollc Dunkel der ßadvtt^s kUllcn — ilt-ii Seinen gegenüber ist er 'otfen*
und 'liebens würdig'; mag er dort auf Walirung seiner persönlichen Würde be-
dacht Bein — liier ist er 'beedieiden*. Und so edir er, dem fandamentaleii
Gedanken der HonisnitiLt entsprechend, auf die MÖ^chlEeit freier Entfidtung
der ^gmen IndiTidnsUi&t dringen mnfii, so sehr wird er diese selbe Freiheit
auch den anderen zugestehen. Eine grofse 'Riicksii htnahme* auf den anderen
wird die Folge sein. Dafs diese bei dem lebhaften, überschwanglichen süd-
lichen Nattircll leicht Formen annehmen kann, die einem grümlichen Kritiker
Drumannscher ÜbHervanz als 'Scbmeicbelei' erschpinen können, ist nicht ver-
wunderlich; der Kenner wird sich durch den überall gebreiteten Duft der
'Urbanität' gern eines besseren belehren lassen. — Ich habe hier einige der
Schlagwörter herrorgehoben, denen Solineidewin gelehrte und lehrreiche Errarte-
rungen sa teil werden iSfet; hier sei nur noch der Brennpunkt genannt^ in dem
sUe Ton dar antiken Hunumitfit geworümeo Strehlen vereint wglänxen — die
Froiindschafi Ein genaueres Eingehen ist nicht nötig; Laditts de amicitia
kennt ja jeder. Daneben erscheint jedoch auch die eingehende Charakteristik
dm Verf. S. 126 ff. als in hohem Grade verdienstlich. Besonders pf\tt ist
S. 136 ff. ausjjefnhrt, wie sehr die Praxis der antiken Hiuuanität mit dem
xoiva T« töv (pUsov in Gtldnachen ernst gcmackt hat, so dafs wo Ui uim an-
geblidi die GcmüUichkeU aufhört, sie dort in der antiken humanen Gesellschaft
erst redU anfing.
Hehr iufberlich IfingMi mit den hier berifhrten Fragen die J&pitel Aber
das Brief-, Empfehlnngs- nnd Widmnngswesen snsanunen, die vom Verf. mit
gewohnter Akribie ausgearbeitet worden sind; doch wSre namentlich fOr das
letz^enanntc, wie auch sonst einigemal, die Berücksichtigung von Hinsels aus-
sirzeichnetem 'Dialog' wünschenswert gewesen. Wir können ans bei diesen
untergeordneten Fragen nicht länger aufhalten.
6.
*Zn Staat nnd Talerland' . . . ffier habe ich nichts su ordnen, sondern
nur fibw das Wohlgeordnete in aller Kflrse zu berichtm. Vortrefflich leitet
der Verf. aus der 2<entralidee der Humanitü die Pflicht des StaatsbUrgers her,
sich am Staatsleben zu beteiligen; dem einleitenden Kapit«!, welch es da« Htaats-
und Vaterlandsbcwufstsein der antiken Humanität im allgemeinen charakterisiert,
fnl^ ein analytisches, das die Staatsidee in ihre Elemente zerlegt nnd das
Verhalten der Humanen zu jedem einzelnen von ihm'n beschreibt, hieriinf ein
drittes, das die praktischen Maximen enthält. An der Anordnung ist nichts
auszusetzen.
Der Stsat ist dem Humanen diejenige Sphäre, in der er seine hSdiste
Kraft bettifttigen kann; so leitet die Natur selber den Menschen an, am Staats-
leben teüstmeiimcm. Zu diesem Naturtrieb gesellt sich indessen noch die Dank-
barkeitspflicht hinzu, insofern der Staat der Erzieher und Beschützer des
Bürgers ist So kann denn der von gewissen Philosophen Terhingte politische
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12
Tb. Ziolinski: Antike Humanität.
Indifferentismus vom Standpunkte der Humanität nur abgelehnt werden; der
materialistische Indifferentismus der Genufsmenschen natürlich erst recht.
Soweit der 'Staat'; wie gelangen wir nun zum 'Vaterland'? Hier fehlt doch
beim Verf. der Übergang; so ist denn der Patriotismus S. 217 ff. mehr postu-
liert als entwickelt. Mit Vergnügen erfahren wir S. 221 f., dafs jene natio-
nalistische Borniertheit, die einen jüngst geplatzten Bovist an Jherings treffen-
dem Wort die Entwifkeluwj von innen heraus beginnt erst hei der Leiche so
schweren Anstofs nehmen liefs, dem Patriotismus der antiken Humanität fremd
gewesen ist; mit um so gröfserer Spannung begrüfsen wir S. 223 ff. die
Beurteilung des Patriotismus der antiken Humanität. Da erleben wir freilich
eine kleine Enttäuschung. Es wird uns dort sehr verständig auseinandergesetzt,
dafs Patriotismus und Kosmopolitismus sich nicht ausschliefsen , sondern er-
j^nzen; was wir aber erwarten durften, eine Charakteristik des antik humanen
Patriotismus im Vergleich mit dem modernen, das hat uns der Verf. vorent-
halten und damit die Gelegenheit zu einer schönen Götzendämmerung verpafst.
Und doch war die Frage wohlberechtigt, ob beispielsweise jene Hottentotten-
moral, welche die Quintessenz des modernen Zeitungspatriotismus bildet und
dem Philister täglich bis zur völligen Abtötung des Gerechtigkeitsnerves zum
Morgenkaffee kredenzt wird, auch antik sei. Dafs sie es nämlich sei, behauptet
Leo Tolstoi; denn christlich wäre sie nicht. Cranz gewifs; aber antik — hat
der Philologe zu entgegnen — ist sie darum doch nicht, sondern eben hotten-
tottisch. Ich scheue die stärkste Probe nicht: da ist z. B. jene bekannte Rede
Ciceros, in der das römische Volk angefeuert wird z\mi Kriege gegen die . . .
gegen die . . . ja, gegen wen denn eigentlich? Das ist eben das eigentümliche,
dafs wir aus ihr nicht einmal den Namen des Volkes erfahren, mit dem Krieg
geführt werden sollte.
Es folgt das analytische Kapitel. Zum Glück hat bereits Cicero den Be-
griff" 'Staatsidee' Sest. 9H in seine Elemente zerlegt, und es war ein hübscher
Gedanke des Verf., diese Einteilung seiner Darstellung zu gründe zu legen.
Wir hätten somit: Religion, Amtsgewalt, Senatsautorität, Gesetze (d. h. Volks-
wille), Sitte, Rechtswesen, Kredit und Finanzwesen, auswärtige Beziehungen.
Das Verhalten der Humanität zu jedem dieser Elemente wird der Reihe nach
untersucht — nicht ohne dafs hin und wieder die Rede auch auf Verwandtes
kommt — stets mit grofsem Fleifs und grofser Umsicht, oft mit Glück. Am
wenigsten konnte ich mich mit der Erörterung über das Rechtswesen be-
freunden — der Verf. selber gesteht freimütig, dafs ihm die entsprechenden
Kenntnisse fehlen; nur ist die Lücke gröfser, als er denkt. So wird man auch
• in dem § über Frciiieit und GleichJtcit den 'Geist', der hier ganz allein stimm-
berechtigt wäre — ich meine den Jheringschen — schmerzlich vermissen.
Auch der § über die Religion wäre präziser ausgefallen, wenn der Verf. die
von der humanen Gesellschaft acceptierte stoische Scheidung der drei Religionen
zu gründe gelegt hätte; damit wäre auch der Vorwurf gefallen, den er S. 231
den Humanen macht, als ob sie durch ihre Forderung von der Einheit der
bürgerlichen Religion die Masse grundsätzlich ein für dUenuxl von dem rdi-
TL liämAi: AntOc» Hninftiiitit.
13
ffiösifti Fortschritt arnffeschlossni und .w rmf <hni ndlmialen Toluiinm^nnd fcM-
^enagtlt hatte. Der Zugang zur philosophisclH-ii Hfli'i^ion stund jedermann
frei; dalt^ aher Kotytto und Ma der Juno Kegiuü gegenüber einen religiösen
Fortachritt beiieute, wird der Verf. selber nicht behaupten.
Indem wir noeh im Vorbeigelieii die adiöneii Worte des Yerf Ober ad
^. /r. I 1 notiorai (8. 851), idireiten wir vom. dritten, HynthetiKhen Kapitel,
das die GfmäaSiat fUr da» jioUeudbe LAm enthält (8. 262 ft).
Hier hatte ich doch dem dritten § den Vorgang gegeben; denn offenbar
• Tithalten diejenigen politischen Grtmdsätze, die oiine mmlrikklidte Reflexion auf
ihre Durrhfiihrharlrit o</rr Zhidimhführharlr'd aufgostfllt werden, die lluiiianitiits
idee in ihn'r t( it'.cri ri , u nwtrfihtt'rcn Krschcinniigsforin. Da In'ircn wir nun
i^pm, ilaf- H is rectum und ianustuni i\\r den Politiker die Iliclitschaur abgiebt,
mit dereu Kiuiialtung er seinem persönlichen Ziel, der digtütas zustreben
•oU . . . und welchem «taatUehen Ziel? Nnn, dem oHtmx dae wei& ja jeder
Cioerokenner; es ist nicht recht ereichtlidiy warum dar Verf. diesM S. 246 nur
obenhin gestaraiAe Losungswort hier (S. 286) nieht mit gebührender Anafttbr^
liebkeit behandeli
Geaetat nun, das politische Schiff segele vor dem Wind, was weiter? Das
weitere giebt § 1 (S. 263) an; doch find die Vorhaltunpfmufsregpln so all-
gemein, dafs Uli ihnen nicht viel Hegt. Auch hat ja die Humanität zumeist
gegen den Wind gesegelt; gehen wir also 7m t? 2 über, zu den poHtistJum
Grundsäteen für den Foü, tluß UHüberwmdlkhe JUarhlvcriutihnsse eur Vtrzicht-
leistmig au/' den eigmsten WiSe» mokigm — 8. 267 ff. Es sind mit die beetra
Seiten des Bndies.
Da bietet sich BunScfast ein Anaweg dur, der alles rettet — Gsfams nßbSe
Uktm. Auch gehört ein total vecschiankt^ moralischer Organismus dasn,
diesem Ausweg seine Bewunderung zu versagen; aber bei dieser Bewunderung
lafst es die Humanität bewenden. Wanim sie es thnt, hat der Verf. S. 2<>H
vortrefTlieh auseinandergesetzt: ilrrtf horlisten Interesse, ucirlus dir Humanität
am J^iiiii(.J*brn natim, wurtk deunoch der ganse Mensch, auf drssni Vrncirk-
lichuny sie zudte, nicht durch den Untkrtis des i>olilischcti ausgefüllt, sutuiertt Ite-
kkU die wichtiy.stm tmd teeriuoUstm 8eUm seines Wesens übrig, in die er sich
einsiweäen fHAkt^ md m denen er «dk omdAen homUe. Das sind tiefe und
wahre Worte; mSditen sie nicht Qberselien nnd ancb nieht rergessen werden.
»
7.
*Zn Wissenschaft und Kunnt* . . . natürlich zur freien Wissenschaft und
/ur freien Kunst; ersteres wenigstens ganz, entschieden. War die Humanitiit
damit auf <lem recht*-!! W'egeV Mau Hollte doch eniilich aufboren, es bX» Racons
gewaltiges Verdienst zu preisen, daTs er der freien Wissenschaftlichkeit das
Joch der NUtiliehkeii aufgeladen hat; diese banausische Anffessung stimmt
freilieh sdur gut sn dem sonstigen Charakter dea Hannes, den man meist nidit
sn kennen pflegt, aber die Pmxis hat ihr nicht recht gegeben. Die Wissen-
schaft ist stols und hochhenig; sie will um ihrer aelbat, nicht um ihrer Mit-
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u
Tb. Zieliittki: Antike HanMidttt.
^ift wegeu ji^eliebt werdeu, uiid versagt »icli deui, dvr erateres nicht kann. Mit
anderen Worten: die für das praktisclie lyimi tcichtigsten Entdcchingm simi
tefcaimtficfc 0» emm grofsen lUZe emem ursprüngliek ftm Iheongtüt^m BewUihe»
wie gam Me&mfte» tu äm Sdicfs grf<älm (8. 287). Wir hftbeii daher aUen
Grandy roa. der WisBentdiaftliclikeit der ftittikeii Honunittt hoeh m denken;
ihr Vorbild hat, mbh den ablernenden Ten<ltnzoi\ des strLiigen Christen-
tums, dasa beigetragen, auch den modernen M^aschen der Wiaeenacbaft si-
xnführen.
Den Trieb der Erkenntnis hat die Niitur seihst dorn Menschen eingepflanzt
— so urteilt Cieerd, so ^eliintrt er dazu, die sopimtia als eine der ^"ier Kardinal-
tugenden aufzustelleu, als welche sie auch, nach deinem Vorbild, zu grofser
gegenseitiger Verwimderong dem System der chrietlidien Etiiiik eingeigt
worden iat. Damit ist der Erkenntniatrieb yod der Zentralidee der HmuanitBt
al^lettet. Er bildet einen michtigen Aat, dem der Bavm aeine Sifte zn-
wendet, wenn ihm die übrigen abgesägt sind — so erscheinen die Wissen^
schaffen als Trösterinnen dem Unglücklichen, der als Mensch wie als Bflrger
todlich verletzt ist (S. 201 ff.) Dem Glücklieben aber bringen sie jene Ver-
edelung und Versittlich Uli g seines Wesens, die ihre kostlichste Frucht ist.
Letzteres ist freilich an eine Bedingunir «geknüpft, deren Verw n klu hung
immer »chwieriger wird: dem wiasenschaftlichen Streben muik eine gewisse
Univeraalitat innewohnen. In jener Zeit war ihre Vwwirkiiehnng eben
leiditer; imd inwiefern darin ein utiTerganglieher Wert der Antike f&r nna
Hodeme lieg^ das hat der Yerf. S. 304 IL in einer anageiMeluieten Betrachtung
auseinandergesetzt. Der moderne wissmsäuxfä/itka Geist trägt eigenüich den Speer
des Widersprtichs im Leibe^ indem er im Gegensatee m der antiken Idee der ge-
scMo9<i!f>Tfen Unlirrs'ditäf drs Wissens ins Unendliche und damit Zhlla^f sfnll.
jFTv dfshaVt gut, wenn er mit dem antüen mssensehaftliehen Geiste eim Art
von K'.»tipro)Ki/'s eingienge. Durch die VielseiitgktU uml Akribie der Einzel-
forschmg bleibt er diesem , . . überl^eHf das Strdten naüi Einlmi umi die ünier-
adieidimff des iimerlMA Großen im Wissen von dem o» Bedetämig geringerm
Maieriat soOie er dem omtiken aUemen (a 306).
Indem nun die Wiseenflchaftliehkeit der antiken Hnmanitat dieser üniyer-
aaUtit ak ihres Endzieles hewuTst blieb, mufste sie sieh anch Ober die Mittel
klar werden, die zu ihr führen konnten. Ein solches war sanachst die strafft
Systematik, die aber nicht in einen an^prlichen Schematismus ausarten durfte,
sondern den leitenden Ideen den irel>nhrenden Vorrang lass«-n mufste. Sodann
war das Zurückgehen auf die Arbeiten der Vorj^ngt^r unerlafslich: idme
Bibliotheken kein Studium. Doch das sind Binsenwahrheiten: interessanter
nnd chanikteristtBeber filr die geistige Freiheit und Beeonnenbeit der antiken
Hnmanitat sind die meOiodetegisdien Gfundsätse, die der Yerf. S. 313—317
(wieder ein paar trellUdie Seiten) so knrs behandelt, dalb «in Ananig nicht
mo^ch ist Und schliefslich wird man seine Schatze nicht Ar eich behalten
WoUw: das Studium treibt zur Produktion. Wer aber schreibt, der will ge-
lesen werden; wer gelesen werden will, hat sich einer ffirien, dl k KeMgemt"
Th. ZieUntki: Antike HtunanitiU.
15
neün. Idar anagrführt$n und reizvollen Darsteüui^ (S. 318) zu befleifsigen. Ja»
das war etiiinal.
Trotz aliedüin war en kein ebener Weg, den die Humpen ssu gehen
btten: ea ^nireii gar numeiie BtSrendeii MomMite n ÜbenniideD: 4er hmumsUdte
8mn — Uttte uns doch der Yerf. S. 326 die sdireekliclie Etymologie des
Wortes erlesien! die Banausen kennen wir audi so nur au gut — , ferner die
mÜentU r&$msche genierte Zurückhaliuntj vor <lan Bekenntnis rein gehlif/ir Liter'
tttot, sodann das Advokatentum . . . Das ist eine Überrssehnnf;; aber dit- Ent-
tSnwhTinf:^ folf^. Es kam ebon dem Verf. darauf an. ein paar kräfti«^*' Wörk-
lein ^^oge^ diesen ihm unsympathischen Gcif?t zu suf:f('n; drim schlier^^licli innfa
er selbst gestehen, dal's in das wissensr/iafti ichc Strclit:)i itrr autikcn llumaniUit
dßr G&st des Bechtbelialtemvoüens mit einer wryefaßliti Meinutu^ atui der advo-
haHtAm JBwtif mdU ek^eirm^en isL Bs ist Oberhaupt ein heiUM Gehiel^
4an es schwer ist, gerecht au werden, selbst wenn man Jurist ist; der Begriff
'Ästhetik des Beehts' ist uns eben abbanden gekommen.
Da^ vierte hemmende Moment ist die Last der Geschäfte. Und da tiiut
der Verf. wohl daran, uns zu erinnarn^ dafs die antike Humanität nie soweit
gegangen ist, die völlige Befreiung von dieser Last als etwas WünsclieiiHwertoa
zu empfinden. Vielmehr war, der eminenten Gesundheit ihrer Anluve ent-
sprechend, das Glcichgeicicht der thnirrti-ichin und prnkfisehen Interessen ihr
ideal Hier war der eigentliche Ort, das schöne dum cMweüw, mifescunt an-
injßduen.
Soweit der allgemeine Teil der Untersnehung Aber die Wiasenschaftlieh-
keit der antiken Humanität; es folgt der ^»aielle, ihr Verhältnis an den ein-
leben Wissensgebieten. Hier mufs eine flttditige Durchsicht genügen. An
erster SteUe erscheint naturgemäß die Sprache; es schliefst sich an die Bered-
.«amkeit, die indessen eine Kunst ist nnd daher ins t'-irlwte Kajiitel gehört
hätte; weiterhin folgt die Geschichte, dann die Philosophie, die merkwürdiger-
weise zwar nicht die Königin der Wissensehaften, aber docli die Königin
der Wissenschaften (S. 379) sein soll. Im übrigen ist dieser § aehr gut, und
WM S. 383 T(m den philosophisohen Werken Cieeros gesagt ist, diesen gedaidce»'
mek» und nac^ den kSduten Ziäe» dee stCAicften Xe&m« nngfenden Stiur^kn,
■oUie von all^, die es angdi^ aufs angelegentlidiste berflcksichtigt werden —
wie wir denn auch dem Verf. das Recht, seine redlich erarbeitete Überseugung
gegen das Verdikt der Spafspliilosophen in die Wagschale zu werfen, von
Hmen gern zugestehen. — Sodann: Phi!o!of/ira. Da mufs ich aber als Philnlofje
protestieren; was der Verf. unter dieser Hubrik zusaninieufarst, sind meist
i-ippalien, die kaum der Ilede wert waren. Zum Sc-lihil's kommen Mathematik
end Astronomie, wobei die allgemeine Kenntnis der ErtkJieinunyen der Elementar-
eOromme itnd das WiafU Intereeee /wr ^ mit Beeht fitr eme QhiimeUe «m
t^miffm LAen der mil^3ten Humamtäi «rUart wird.
Magerer ist das Kapitd fibw die Kunst aufgefallen, hauptsiefalieh des-
halb, weil die be<b utendste Kunst der Cioenmianischcn Epoche, die Beredsam^
kät, lieh — wie wir gesdien haben ^ unter die Wiseeinschaften verirrt hat»
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Th. Zielinski: Antike riumaniükt.
Wenn man beherzigt, wie die Horazische Kontroverse natura fieret luudabilc
Carmen an arte {qtist. II 3, 4<)8) an dem Streit der beiden Ciceronen quod ego
enulüissimorutn /tominum artibus cloqttettiiam contineri statuam, tu autein iliam
alt clegantia dodrinae srtjreyendam putes et in quodam ingenit atque exercitationis
generc ponendam {de or. I 5) einen Vorläufer findet, so überzeugt man sich erst
recht, tlals Beredsamkeit und Poesie gerade für die antike Humanität zusammen-
gehören. Eben dieser Streit wäre hier zu behandeln gewesen; denn für die
Poesie ist nicht Cicero, sondern Horaz in seiner Mittelstellung zwischen den
beiden extremen Parteien der Archaisten und der Manieristen (xtocd^t^/lot)
Stimn;fiihrer der antiken Humanität. Die anderen Künste aber werfen nichts
Erhebliches ab.
8.
Das Kapitel vom Rechtswesen und dem Einflufs der humanen Gesell-
schaft auf seine Entwickelung ist hier einzuschalten — wir haben gesehen,
dafs Schneidewin diese PVage gar zu unfreundlich behandelt hat. Und doch
ist sie der wichtigsten eine; das Kechtswesen hängt unmittelbar mit dem Sitten-
gesetz und dadurch mit der Zentralidee der Humanität zusammen.
Die unhistorische Annahme eines am Beginne der Rechtsentwickelung
stehenden Sozialvertrags ist längst aufgegeben; wir wissen gegenwärtig, dafs
es die Religion war, aus der die ersten Rechtsbücher entstanden sind: das
Fas ist die Quelle des Jus. So war es denn jene gewaltigste aller Mächte,
quae caput a codi regionibus ostentabat, die auch dem kindlichen Lallen des
erwachenden Rechtsbewul'stseins ihre Weihe verlieh; was ein Greis der grauen
Vorzeit unvollkommen gedacht und ungefüge ausgedrückt hatte, das sollte für
alle Zeiten bindende Kraft haben. So war es im Anfang. Die weitere Ent-
wickelung konnte eine doppelte sein; wir fassen den Unterschied leicht, wenn
wir etwa Israel mit Hellas vergleichen. Dort beugte sich der Gedanke der
Nachgeborenen vor dem geoffenbarten Fas; die Rechtslehrer sahen ihre Auf-
gabe darin, den bekannten 'Zaun um das Gesetz* zu ziehen — eine gar
stachlige Hecke, wie man weifs. Anders Hellas. Hier fand der freie, selbst-
bewufste Gedanke bald am Gesetzeswort, am (^ijtov, kein Genüge mehr; dem,
was gesagt war, wurde das, was eigentlich hätte gesagt werden sollen, dem
^rjtöv die didvotu entgegengestellt — wir kennen ja jetzt den köstlichen Streit
darüber, ob Solon aus demokratischer Niedertracht sich unklar ausgedrückt
hat oder aus anderen Gründen. Nur eins fehlte den Hellenen — ein Rechts-
institut, das der Öiävoiu die Möglichkeit gegeben hätte, das ^ijrdr zeitgemäfs
umzugestalten, jene viva vox juris , die das gestörte Gleichgewicht des Rechts-
lebens jederzeit hättc> wiederherstellen können; trotz allen l*rotesten des Ver-
standes gegen die B<>stimmungen artpl xh]Q(ov xal iscixXtjgav ist es beim ab
surden (^rdi/ geblieben; aus der Gesetzgebung vertrieben, zog sich die didvoia
in die Rhetorik zurück.
Diese wurde somit zu einer wahren Rechtswissenschaft in partibus. Wir
kennen ja alle den ersten Prozefs nach dem status ^rixbv xal didvoia, den
Fall Paaiu contra Strepsiades, wo dem sonnenklaren ^rftöv gegenüber der
DigitizGL. _ , .o
Th. Zidiniki: Antike Humuitlt.
17
Advocat des Beklagten, Phcidippidcs, die schlaue diävoiu zur Geltung bringt:
was das Oesetz eigentlich vott, das wUTstcn die Gegner nicht, 6 £6kG>v 6
MtÄtubs ijv tpilödtjjios tijv (pvdtv, er habe unter der ^mj xtd vitt ganz was
anderes gemebi Und wenn wir nun behersigen, dab dieser Pheidippides eine
neue Anflags des »auaaSyuv ans den ^mttdtts ist und dieser uemlidi aus-
drücklich als der Schiller des Thrasyinaohos eingefQhrt wurde, so können
wir auch den unruhigen Geist namhaft niachen, der auch diesen Sauerteig in
die nttisrh« Gesellschaft hineingeworfen hat. Aber Segen briichto er ihr nicht:
da der Gesetzgebung an einem asniiTiilierMnden Organ ft hlt<\ wuchs aus dem
Samen der Öiaima nur eine üppig wuchernde Schlingpflanze, die von imn an
am Mark des kranken attischen Rechtöhaumes zehrte: die Sykophantie.
Zur rechten Zeit kam die Rhetorik, diese verkappte Jurisprudens, audi
nach Rom. Dort hatte sie ganz andere Aussichten; denn eben jenes assimi-
tierende Organ, das der attischen LegisbÜTO fehlte, besals Rom wenigstens
für das bUrgerlidie Recht in der Gestalt der Prätur, jener viva vox jttris civilis.
Nattirgemals war es die humane Gesellschaft, deren Boden sie zuerst betrat.
Mit offenen Armen wurde sie dennoch nicht empfangen: es war doch etwas
Unhcunliches \m\ jenen Schemen der Öidvoia, der sich, mit allen Reizen dor
Redekunst ausgestattet, der greifbaren Wirklichkeit de» ^t^rov entgegenstellte
und sich für die wahre Wirklichkeit erklärte. Wie lange die geheimen Feind-
seligkeiten gedauert habra mögen, wissen wir nicht; aber den Fall, in dem die
O^ensUse auünnandeipIatEten, kennen wir gans gat: es war die klassische
cauta Cmiana.
Ein Barger stirbt in der Überzeugung^ dafii seine Frau ein Kind erwarte;
für den Fall seines frühen Todes ernennt er einen gewissen Curius zum
zwettcTi Erben. Es kommt aber gar kein Kind r.nr Welt; darauf hin fechten
die niiehsten Verwandten das Testament an und verlangen, dulia dw Bedingungen
der Intestaterbfolge in Kraft treten. Kein Gedanke, dafs der Erblasser einen
anderen als Cnrius zum Erben gewünscht hütte; andrerseits aber ist das formale
Recht unbedingt zu gunsten der Verwandten. Also: hie ^irdv, hie didpoue\
was tfamn? ScsieToIa, auch ein Humaner, aber als Jurist unbeugsam, tritt für
daa ^ijrtfv in die Schranken; Crsssns, der Redner, das Haupt der humanen
Gesellschaft, für die diuvoia — er siegt, und sie mit ihm.
Ist nun die Rolle der Humanen in der Keilitsentwickelnntr klar? Denn
da«! mfissen wir bedenken: das 1. -Th. v. Chr. i^^t für das Kechtüleben die Zeit
<l< r (lühruriir. wo sich aus dem verknöcherten, m wüstem Formelkram erstarrten
alten Recht das neue, klassische, entwickelt; dort der Buchstabe, hier der
Geist, dort rein empirische Kasuistik, hier die Imtenden Ideen. In die Fab-
stapfen des Crassus tritt mit Entsehiedsoheit Cioero, der gerade hierin eine
gswisse Animosittt gegen seinen Lehrer Scaerola nidit bemeistsm kann. Man
lese doch seine zivilistischen Reden, um sich zu Überzelten, dafs er in ihnen
der nnermüdiiehe VorlÄmpfer der dita'ota dem q^töv gegenüber ist — be
sonders lehrreich ist hierin die Rede für ('aecina, die an< h die allerbedeut
samste, die für die Arreiiuerin, in nuce enthalt (uuscro Juristen weiden
KflOA JkhrbadMr. im. 1, 8
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Th, Zidiluld: Antik« BiuniiitBi.
ihnen uieist nicht gerecht, weil sie sich in die Zeit des werdenden Rechts
nicht zurQckrersetzen können). Man wird vielleicht^ wenn man im Corpus juris
nicht ganz unbewandert ist^ mit Vergnügen beneiden, wie es eine gw«de Linie
ist, die TOn Cioeno Über Trebstins anf seinen Enkdsehfiler Labeo fahrt nnd
Ton diesem fiber viele Kopfe hinweg auf den Heros U^ian; idi wenigstens
könnte Fälle anfuhren, wo Interpretationen, die schon Cicero vorgeschlagen
hatte, erst durch Ulpian Rechtskraft erhielten. Natflrlidi werden wir nicht
behaupten, daf«? Cicero hierin schöpferisch anfja^eirretfii sei; pr wird sich bei
rechtskundigen Freunden — einem Aquilius z. B. - Haies rrbolt hal»en. Aber
sein Verdienst ist es, dafe er die seinem gemiiulen. liuinaiH ii Rechtsbewufstsein
entsprechende Auffassung ausgewählt und ihr für Mit- und Nachwelt die Weihe
setner Beredsamkeit v^liehMi hat
Von diesem Standpunkt ans begreift sich sndi leidit das seltsame Doppel-
antüta, das die Jurispmdena bei Cicero aeigi Hat er sie eigentlich geehrt
dtar Tsrachtet? Fflr beide AufGuMungen lassen sieh ja 'Beistellen' anfilhren.
Da sidit man nun, was solche eUation» perßdes (ein piftchtiges Wort Boissiers
Dnmiann gegenüber) nutzen, wenn man vom historischen Geist verlassen ist.
Venichtot hat Ciccio die Larvf des absterbenden, im Formelwust erstickriidon
Rechts; wie konnte man nur übersehen, dafs er in der Mureniana den zurikk-
trctenden lächerlichen alten Le^isaktionenprozefs, nicht den sieghaft vor-
dringenden neuen Formularprozefs mit seinem Spulte verfolgt! Die i't*vclie
aber des nenen, ewigen Beditsy das seiner Nation zum unvergänglichen Ruhme
gereichen sollte^ hat er geehrt, wie nnr irgend einer.
Ich mnls es bei dieser Sldsse bewendm lassen» so nngenfigend sie anch
ist; möge sie wenigstens *anreg^nd' wirken. Die 'Entwickeiung^sdiidite des
römischen Bedits* ist freilich ein ungeschriebenes Buch, nnd so bald dürfte
sidi kaum jemand finden, der da« ungeheuere Jheringsche Erbe antritt; dafs
aber Cicero und der humanen Gesellschaft darin ein Ehrenplatz gesichert ist^
das glaube ich nach allem, was ich weÜs, behaupten zu dOrfeu.
9.
Nach diesem Exkurs kehren wir zu drn AuffTihningen unseres Verfassers
zurück; der letzte der vier Zentralabschnitte stand noeli ans. Er führt leider
den etwas pretiösen Titel die UumanukTUiui ilir si)t)ilir/iai MtNstJfen. und
dafs uns gleich an der Schwelle der unheimliche seliolastische Jauuskupf
tiatura naiurans und natura naturata empfangt, ist auch nicht beruhigend.
Lieblicher sind uehan die Zitate ans Ida Hahn-Hshn, aber Allotria sinds doch.
Allmihlich liest man sich indessen hinein nnd bringt dann herans, dafs es dem
Verf. anf das Veihiltnis des humanen Mensehen rar infteren wie snr inneren
Natur ankommt.
Ein interessantes Thema, gewils; nur darf man hier eigentlich von antiker
Humanität nicht mehr re<|en. Hier ist der Subjektivismus in seinem Recht; wir
Ionen Cicero lediglich als Indiriduaiität kennen, nicht als den Vertreter einer
Th. Zialiiukit Antike Hmnaiiii&L
19
kultniliktoiisch wichtige WeUanediairang. Zum miiMlwiten Bind ii» ^ilerien
jf&r dM AUgemeine und BeMmdere hier wwi «dtwuikfiBd«-, als je suvor.
Immerhin leeen wir die Gedanken des Y&et Aber Gioeros Verhältnis /.u
Natur und Landleben mit Vergnügen; wenn man an Oatos Landwirtschaft
denkt, spurt man wohl, dafs in dieser schon halb träumerischen Hingabc an
die landschaftlichen Keizt* etwas Neues liegt, das einer weiteren Entwickehinj^
fähig ist — wie es dena auch wahr ist, dafs hei Horas und TibuU die LicU
sum Landleben schoti so empfindsam geworden ist, wie es sicJi mit dem Jteroisc/im
ZeüdUer der HumcmUäi ffot «idU vermmgm würde. Die steUenweiee herror-
tretende Neigung zur Einsamkeit hingt wohl damit auMunmen, widerapridit
aber der Zentralidee der Hnmanit&t und ist anch, wie der Verf. S. 425 bemerk^
nicht organisch — so sehr wir nna aneh an gewiaae verwandte Symptome der
itenaissance erinnert fühlen.
Noch snbjektivpr ist das Verhältnis zur eigenen sinnlichen Na/ur Gern
konstatiertn wir, dafs Cicero kein Schlemmer war, aber andrerseits deu un-
schuldigen udtdg>OQU der Malüzeiteu keinen asketischen Uurror entgcgen-
biaehte — beides wäre gleich unfrei gewesen. Dais er den Gteiat nicht dem
Alkohol gefangen gab, begreift aiflh leiisht — er konnte ihn eben zu was
Beaaerem brancbNif dafii ihm aber der Maaaiker nicht beeaer geachmeckl
habe ala der Yatikaaer, steht nirgends geschrieben und braucht daher auch
nicht geglaubt zu werden. In eroticis war er, wie bekannt, dorchans solide;
doch lilfst y<ich diese Solidität aus der Zentralidee der Humanität nicht her-
leiten, die vielmehr eine sieghafte Geltendmachung der eigenen Persönliclikeit
auch im Verkehre mit dem anderen Geschlechte befiirworten würde, wiv wir
sie m allen drei Humanitätsperioden zur Genüge konstatieren können. Wir
haboi es also mit einem subjektiTen Ghankterzug an thon; und da w8re doch
an betonen gewesen, dab wir bei Cicero wenigstens (von den Beden abgesehen,
wo die eauia spridiit) niehts Ton jenear giimlichen I^derie erbliekm, wie sie
die Philistennoral nach aufsen hin so gern zur Schau zu tragen liebt. Ja
sein intimer Verkehr mit den vielen 'liederlichen Genies' jener Epoche, einem
Cnrio, einem Oaeliun, beweist seine fvxoUu auch in die.scr Hinsicht ausreicliend.
Von dem sonstigen Bereiche der 'sinnlichen Natur' des Menschen wird
noch die Schanlnsit behandelt, und zwar die niedere - die höhere ist mit
liecht oben unter der Rubrik 'Kunst' erledigt worden. Wie zu erwarten war,
verhielt sieh die Hnmanit&t gegen die oft giuusameu, meist unsinnigen Spiele
ablehnend; nnd zwar ist daa Verhalten Cioeros in dieser Beaiehung typisch,
wie n. a. der jüngere Plinina beweiai
10.
Damit ist die Unterauchnng zu Ende; es folgt der 'Schlula*, der ans Wer
etwas launisch ausgewählten Kapiteln besteht.
Der (Temmteindruek der nntikm Htmamtät wird — wenn Ref. auf die
Gefahr hin, sich zu blamieren, von seiner i'ersou aus schliefsen darf — dem
ohnehin ermfldeten Leser viel au transa^ent ersdieinen. Es wird die Fruge
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20
Th. Zidiniki: Antike HamanitiU.
anfjgBworfea, ob das Prinup der HtDunanitSI ein hSdisfees ist, oder aber ein
Hinausgehen über sich {;restattet; die Antwort fallt im letateren Sinne ans.
Und zwar giebt ee nach des Verl Meinnr^ drei dem Humanitatsprinzip Qber-
lem'n«' GtHliinken: erstens den (wenn wir den falt<nreiclifn spekulativen Mantel
ab.-itreit'en) ehris<tlichen , zweitens den buildlustischen, drittens ilas tjanz imif
tüfstr prtiktischr Prinrip in Hartmaum thoititischrr Zeirhtnoitf einer ' Reliiiinu
(iea Cieistei\ welch letzteres jedoch, wie sofort zugestanden wird, die Probe der
Praxia erat abwarten mafik Und da die bnddhiatiBdie Leg^de l&r dm, der
etwa aaa Oldenberg dem eehtm Boddhiamoa kenn^ endgBltig vemiditet üi, ao
bleibt nur daa Chriatentom xmAy oimlidi daa edite, beroiaehe. Dagegen iat
nidiia an tagen: Heroentum ist freilich mehr als Menschentum.
Und nun fiberrascht ans der Verl mit einem K^itel über die Frage, oh
das Altertum humanitäre Einrichtungen im modernen Sinne kannte. Das fällt
doch ganz aus dem Kähmen h»i-aus; wir haben es lediglich mit einem Wort-
spiel zu thun. Allerdings bedeutet Hinnanität auch Menschenlieb»'; des Verf.s
Wtike Humanität' meinte aber doch gauz was anderes, die Verwirklichung
der Mwaachenidee, den Anthropiamaa, nidit die Fhilantiirqne. ünd da aa-
dem seine Daratellnng weder eelbetindig noch qnelle&rein iat — er achSpft
aaa Ubihoma lendensiSaau Aoftals n. d. T. *£ine Welt ohne Liebe' — ao
dfirfim wir ther dieses Kapitel zur Tagesordnung Qhergehen. ünd Aber daa
nächste erst recht: es betitelt sich die antike HumanHäi und der Hmmamitmnt
und fufst, da der Verf. zu f>n<rinalsiudien anf diesem Gthirt nicht pel-ommeyi ist,
auf Burckhanit und .... Nt rrlich. Nichts für ungut, at>er die Wahrheit mufa
heraus: eine Studie, du einen Nerriich ernst nimmt, verwirkt eben damit das
Kecht, selber von erusteu Leuten ernst genommen zu werden. Wenn der Verf.
eine laadi orientierende Daratdhing dea dentaehen Hnmaaiamna benOtigte,
wanun griff er nidit an Oeigera brannten Bach? Daa iat ein gdehrtea^
reicbbaltigea and liebenawllrd^ea Werk, in jeder Hinadit daaa angctiian, nm
Handweikaaeag des Hiatorikers zu gehören, während Nenrlieh in jene Gesell-
schaft rn verweisen ist, wo die Menschen nach Mondweite und Stimm bänder-
spannknift i^-s<-lirit/t werden. Wer stkopß ifam, wem er Ikmuiuk kai, mit
Wafff'M^2>tiren und Ltuiten?
Doch nun des Schhisses Schlul's: die outikr HHtmwr. t nivi die (ienentrart.
Uier, wo der Verf. auf eigenes Denken angewiesen war, zeigt er sich uns
wieder von aeiner beaten Seite; ao sei denn dieaea Kapitel, daa a^ aktuelle
Fragra berikr^ der Anfinetkaamkeit dea Leaera anb winaate eaapfoMen. Ick
begnüge aüdi damit, statt eine unxulängUdie InbaltaQbeiaidbt in geben, die
folgmdeii scliöiK n und tiefen Worte des Verf. auszuschreiben S. 4i>2 f \ Etwtis
R'ssrrrs als Menschen h"'Ht>''t* •l>»h nie snkti$tfti^ OttcUeekter sem, mmi soilten
sie mx'h rnttmihnte E!'-rHente m ihr Lff^n axifWhmeyt, so iror (S ehm die Anlage
d'S ^fttt.M ii* utC'Sf-yk> stlk<t, liie ntn'h L tnjnihittes in sieh f-mj. Anhuje des
Mensckenureaens aber icar ts eben, am/' die dtts h"<h^e InUresst AittrfHms
tkk fiekkttf mm eme Seem fmr dba Mmsd^enlelen zu geummen: und to i/etcifs
JIMMV mtd mommlmf immer die wiai^Mann IMfty^ a det kdUekm
Th. ZicUnaki: Autiko Uuauuutilt.
21
LAms der Mensd^m hkSbm werden, so ffewifs wird akh auch ihr geistiges Lsbm
immer m den GrmdbahMm betctyen, über die sith idm di» Mim «m ihrer Jstf-
merksamkeU auf diesß Satmtsache klar leurdetk
• ♦ •
Wie aus dem Gesagten ^'^^^iL•lltlioll ist, st^jllt sich tiaa Buch^ von dvm wir
gehandelt haben, unter einem doppelten Aspekte dar: ea hat die antike üunmui^t,
M kai die Cbaamatnäaet» WeltanBchftnimg mm Oegenafaiiid. Inwiefern iliin die
Löflnng der enl»n Aufgabe gegladct isl^ darftbw wird man erst dann ins Beine
kommeni wMm man die Frage^ ob sie mit der aweiten identifiiiert werden dari^
so oder anders entschieden hat. Unmittelbar bpruclirc-if ist dagegen die Frage
oseh dieser zweiten Seite der Sehneidewinschen Leistung} darüber snm Seliiuls
noch einige Worte,
Etwa« absolut Neues ist, von dieser Seite betrachtet, der Versuch des
Verfassers nicht; man kennt ja die DruuiaiDisehen tj^j, wo unter den Rubriken
'Eitelkeit', 'Feigheit' etc. aus dem Zusammenhang gerissene Fetten Ciceroniuui-
scher Auisenmgen in sdneddidMn Übersetsungoi anigefittirt werden, damit auf
dieson donUm Hintergrund die eigene Gesinnung des Verfaflaers, wie sie sich
bereits in der bjsantiniseliea Yoirede so herrlidi offntburt, um so blendender
leuchte. Die Sache hat imponiert und imponiert immer noch; denn unter allen
Eigenschaften, die den Gelehrtsn ausmachen, ist das Sitzfleisch dieijenige, die
der allgemeinen Anerkennung am sichersten ist. Es ist aucli gut fo.
Wie dem auch sei — bestreiten läfst es ««ich niclit, diils in der letzten
Zeit ein bedeutsamer Unischwujig der ötJentlicheu Meinung ( wenn wir in pbilo-
iogicis von dergleichen reden dürfen) zu gunsten Cicero» üiugetreteu ist. üm
nur Yon Deutschland zu reden, das auch allein in Betracht Icommf^ so ist der
Kathederspott so gut wie vmstommt; immer häufiger lassen die EorTphaeen
der WisseiMchaft durdi gelegenÜiehe Äußerungen ihre Cieero-freundlidie Stim-
mung erkennen; immer erfolgreicher arbeitet eine wackere Schar mutiger
Streiter daran, das Bild des grofsen Mannes von dem Schmutz, mit dem es
der Undank der Nachwelt beworfen hat, zu säubern. Aus den intimstpn
ürkimden seines Wes^'iis. den Briefen, lafst O. E. Scliniidt, mit dem solidesten
pliilolügischen Rüstzeug bewatliiet, die echte Motivierung seiner Handlungs-
weise erstehen; an seine jibilosophischcn Schriften anknüpfend legt Weissen-
fels siegreich seinen unTergünglichen endeberiaehen Wert dar; weiteren Kreisen
sucht Aly sein gereinigtes Lebensbild zugänglich zu madien, indem er su|^eh
vor dem Gerieht der Faehgenossen den HauptanU^ier flberfthrt. Die Reden
und im Zusammenhang mit ihnen die rhetorischen Schriften des Mannes sind
noch nicht gebührend in Arbeit genommen, aber auch ihre Zeit kommt gewiTs.
Wils l)edeutet dieser Umschwung? Mit dem Schlagwort 'lleaktion* kommt
man nicht aus. Ocwifs ist auch sie, als dem Gloichgewiclitatrieb der mensch-
Uchen Natur entspi uigend, von nicht zu unterschätzender Bedeutung, aber den
Ausschlag hat sie nicht gegeben. Wir haben philosophischer, wir haben vor
allem histoiisdier zu denken gelernt; b«des hat an einon tie&ren Yerstfaidnis
82
Tb. Zielinski: Antike Hunianitllt.
clor friigUehcn Dciikmiiler j^efiilirt. Dürfen wir auch sagen: wir sind infolge
grofsortT Lobonskeniitnis weniger wohl weise geworden? Vom sicJiern Port läfst
sich'» jinmdilich rateti — um so gemächlicher, je weniger man von der SchifFerei
vorsteht.
Es ist somit ein gutes, echt fortschrittliches Banner, dem auch Schneidewin
mit seiner bedeutenden Leistung gefolgt ist, und der Dank aller Gesinnungs-
genossen ist ihm gewifs. Wir sind nun nicht mehr auf die Drumannsche
Itumpelkammer angewiesen; wie in einem wohlgeordneten modernen Museum
stellen sich die Elemente der Ciceronianischen Weltanschauung bei bester
TugT^sboloui'htung dem Auge des Beschauers dar.
Und nun noch eins. Gestehen wir es nur: es gieng xms zu wohl in dem
schonen driMstöckigen Haus der Hiunanitat, das wir bewohnten; gar sorglos
haben wir an einer der Hauptsaulen des unteren Stockwerkes gerüttelt, über-
mütig in unserem Kraft und Sicherheitsbewufstsein — mag sie nur zusammen-
knu'hon. wjw thutsV wir wohnen zwei Treppen hoch. Nun: die Säule gab
nach, aber — manches andere dazu; und nun sehen wir es klar: das ganze
Haus der Hiuuanität ist gefährdet Nur gefährdet; schlimmer steht es zum
Glück niH*h nicht. Aber die Lehre sollten sich seine Bewohner doch merken:
Achtung vor den Säulen, auf denen es ruht!
Mag denn Schneidewins Cicerobuch auch weiterhin die 'antike Humanität*
als Aufschrift fiihren; wir werden es ihm nicht verwehren.
DigitizGL. , ,
oogle
DIE SOZIALE DICHTUNG DEK UIÜEUHEN.
Ton BOTOIIT PÖaUKAMM.
Wenn die Soeialphilusuphio der Griechen mit ihrer ideaUstiechen Abstraktion
von dem geechiditlich Gewordenen den Boden des geechiehtUdi HS^dien T$llig
onter den FfifiMo verlor, wenn .sie der lebendigra Wirklichkeit eine selbst-
geBt'lmffiMU', iti der volligen Abwendung von der wirklichen Welt wurzelnde
Idealwelt gegenüberstellte und so die Zauberformel zur Auflösung der Dis-
harmonien des menschlichen Daseins gefunder zw haben wühnte, so folgte sie
damit nur einem Zuj^e, der im Gemüts- und Geistesiel )eii der Menschheit seit
uralter Zeit mit übermächtiger Gewalt sich wirksam gezeigt hat. beit*lem der
menschliche Geeist sur Reflexi<»i erwacht ist, hat er immer wieder von neuem
das Bedttrfois anpfnnden, inmitten all d«r lUitsd, der WidersprQche und Nöte
des Lel^ns ein hamumiaches Weltbild in sidi an eraengen, in dem alle diese
B&tsel and Schwieri^eiten gelost erseheinen. Das ewige Sehnen des mensdi-
lichen Herzens verlangt nach einer Er^nzung der harten und vt-niunftwidrigen
Wirklichkeit durch eine freigeschaffene Idealwelt; und auch die Vernunft —
von der 'Unruhe des Warumfragens' gequält — kann nicht ruhen, bis sie die
leitenden Grundsätze für citTP solche liiinnoniache Gestaltimg des menschlichen
Daseins und diese Gestaltung selbst, das soziale Ideal — ersonnen hat. In
ihm sucht und findet der Mensch Erholung Ton irdischem Kampf und Leid.
Er Budit — nm mit Schiller an reden — HiUb bei der Inu^^ation gegen
die ESmpirie^ indem er im kflhnen Flug der Phantasie die Sehnmken der End-
lichkeit dnrchbricht und sich zu einer Welt aller Vollkommenheit erhebi
Ebenso ist es psycholc^sch leicht begreiflich, dafs nnf dickem Wege für
eine naive Vorstellunof«! weise, ff!r 'Seelen von mehr Wärme als Helle' die
(irenzen zwinclien Traum, \\'irkliehkeit und Mnijlichkcit völlifi vcrseli winden.
Gab und giebt ch für die Menschheit wirklich kein änderet» Los. als immer und
ewig denselben holfnungslosen Kreislauf des gegenwärtigen Lebens mit all
seiner Hfihsal und Arbeitsqual, seinem leiblichMi und sittUdien Elend? Die
Frage stdien hie& sie vemeinen! Das Ideal, das eben dem innersten Wider-
streben des Gemfites gegen die tiiatsScbltdie Gestaltung des mensehUehen
Daseins entsprang, erschien ja zugleich als das eigentlich Seinsollende, von
Vernunft und Gerechtigkeit Geforderte, dem gegenüber das Bestehrade eine
innere Daseinsberechtigung im Grunde nicht mehr hat.
Die Vorstellung, dafs das Menschenleben nicht immer au solchen Wider-
sprüchen gekrankt haben könne, drängt sich einem kindlichen Denken, wenn
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24
R. Pöhlmaiin: Dio soüaie Dichtung cier UriechetL
es einmal in dieser Weise m reflektieren begonnen, ganz von selber auf. Der
jetzige Zustand der Dinge scheint ihm erst infolge besonderer verhängnisvoller
UmHtande in dif Welt gekommen. Dieser Zuntanil ist «Ins Er^'cbnis stufen-
weiser Verschlechterung von Natur und Menscbeiiwelt, des lierabsinkena von
t'iacr ursprünglichen Höhe aittiicher Reinheit und äufserer Glückseligkeit. Er
ist daher auch, — so spinnt die nimmer rastende Phantasie ihren Faden
weit« — , einer Wandlung fähig. Die goldene eelige Zeit kann wiederkehren,
aUer Kampf und alle Not ihren Frieden und ihre Yersölurang finden. So ver-
flduedene Formen diese Anschanungsweise annimmt — man denke an die
indisL-bi' Lehre von den Weltaltem, an den eranischen Mythus von Jima im
Zendavesta, an das verlorene Paradies der Semiten, das goldene Zeitalter der
Griechen, das Goldalter der Gntfjr in der Edda und ähnliche Vorstellungen
anderer Völker') ~ immer sind es die gleichen Triebkräfte des menscblicheu
Seelenlebens, denen sie ihreu Ursprung verdanken*).
In dem Roman des allgemeinen Wohlbefindens erscheinen natflrlich die
Lebensbedingungen der adigen üneit so gestaltet^ dab vor allem die Ursaehen
des Übe&i in W^[fall kommen. Die am hftrtesten empfundene dieser Ursadien
ist die &r^eit der Natur. Der Kampf um das Brot und die immer nur in
beschränkter Zahl vorhandenen Gfiter der Erde vergiftet den friedlichen, kultur-
fBrdernden Wettstreit. Xelien dieser 'Eris, die gut für die Menschen"), waltet
die andere, den Sterblichen vcrhai'öte, die 'Unheil bringend verderblichen Krieg
und Hader entzündet'*), die den Schwachen, der es wagt, jnit dem Starken
sich zu messen, in Schmach und Unglück stürzt'}. Für sie war keine Stätte
in jener seligen Zeit, weil hier jeder bei dem grofsen Gastmahl der Natur
seinen Flata üad'). Die mXrchenhafte Steigerung der produktimen Kräfte der .
Natur und der Teehnü^ Ton denen der moderne Soiiatismus in seinen Zuknnfta-
Phantasien träumt, ist nidits im Vergleich zu dem, was sich der griediisehe
Volksglaube von dem goldenen Geschlechte erzählte, das dereinst unter der
Herrschaft des Kronos in der Fülle ailei- Gfiter, frei von Sorge') und Ungemach,
von Krnnklieit und Alter, ein göttergleicbes Dasein geführt hat, einer Zeit, wo
jeder si m Wcvli trieb nach freiem l^eüeben, in ungetrübter Ruhe und Zufrieden
heit^ hiä iliu IUI Vollgenusse der jhaait ein sanfter Schlummer schmerzlos Inu-
w^rief. Hier spendete die Erde ihren Kindern den unerschdpfUchen Beiehtnm
1) Eine nmfasaendc Übersicht über diese Vorstelluni^en, die er als Leggendn dü tütHaHaM
beeetebtift. -ri^^l^t Oofrnptti (1a ^furtÜH, Snci'ab'f'Tno aiiticu S. 8 flF. Von besonderem Intere«<e
iii für uns die heiienische Auifassung von dum goldenen Zeitalter der Inder (bei Strabo
XY 1, <4 nach OnesikritOB).
') DieseR rein psychologiRchc Entstehungnnoti? des Hythofl vom goldenen Zeitalter
kann pfK^'^nfibor den in meiner Gesch. d ant Kommim. o. Sozial. I 146 angedeuteten Ver-
stellungen von Lttvcleje, L. v. Stein u. a. nicht entschieden genug betont werden.
•) Heaiod, Werke u. Tage V, M. *) Ebd. 14 ff. •) Ebd. S05 ff.
•) Sttnvov ixoifiov hüatta ig nogov, wie Lucian, Kronosbriefe I *20 die« Ideal bezeichnet.
^) Man «ieht, es sind die ältesten sozialen Träume der f'uropüisrh«m Menschheit, die
wir B. bä Bebel wiederfinden, wenn er die 'Sorglosigkeit' rühmt, die im soziaUstischeu
ZukonftMiMi unier Los sein loU. (Die IVm, 9. U«.)
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R. PBUxDMni: IKe «onale Diditaiig der Oriedien.
25
ihrer Gaben froiwtllijr, 'imgt'pHüjrt und iiiibeKat''). ITier fehlte daher vor vorne-
herein jeder Anlafs au jenem Kiiinpf der Interessen und Lcideuscluiften, in dem
'der Töpfer grollend auf den Töpfer sehaut, der Schmied auf den Schmied,
Xeid sofort den Bettler vom Bettler trennt und Sänger von Sänger'*). Es ist
ein Zeitalier der allgememen Braderliebe nnd einer Qleichlieit^ die weder Herr
noch Knedifty iradar am noch reich gekannt hai*). Daher erweckt auch daa
Fest, in welchem daa Andenken an die Zeiten dea guten Herrachera Kronoa
fiirflebt, die Feier der Kronien, alle edlen Gefühle in der Henachenhmat
Während ihrer Daner soll allgemeines Wohlwollen herrschen, jedermann es
venneiden, dem Nächsten wehe zu tluin^Y Selbst dem Sklayen iat ea vergönnt^
sich mit den Frühlichen als Mensch m fUlden^V
Es ist wohl kein Zufall, dafs diese schöne volkstümliche Sage von dem
goldenen Zeitalter allem Anscheine nach nicht schon in der ältesten Ent-
wiekelung»epodie der erzählenden Poesie ihre dichterische Ausgestaltung er-
hielt^. Daa Homerieehe Epoa iat ein Eneugnia diex ariatokratiadien Welt dea
heUeniacfaen IGttokltera. Der Homerische SSnger singt Ar die Fttraten nnd
Sdlen, aus deren Leben nnd Sinnesart der Heldengesang seine Nahrung sog;
und so iat denn auch die Art nnd Weise, wie diese Aöden der Masse der
Volksgenossen gedenken, ganz und gar der GefQhls- und Sprechweise der
flerren abgelauscht. Thun und Leiden der Menpp, die 'weder im Kriep;p 7m
rechnen, noch im Rate', tritt völlig zurück und daher auch naturgcrnüfs das
Ideal, in dem eben das Sehnen des Volkes seinen Ausdruck fand. Für dm
GenuJjnnoment in diesem Ideal fehlte ja der Sinn nicht, gewifa aber für seine
sonal-etiiiache ond aorial-demokratiaehe Tendens. Daa GeseHaehaftsideal einea
Gmndadela^ dem reicher Gutttarbcaita die freieate ritterliche Mnae nnd hetteraten
Lsbenagennlh «nnSglichte^ war natnrgem&Ia ein ariatokratiadieS) nnd ea hat seine
poetische Verkörperung gelbnden in dem adeligen Mustorstaat von Scheri^ der
Phaakenstadt^ in der eine gennbliebende Ariatokratie horlich und in Frenden ldl>t^.
•) Hesiod a. ». 0. 10« ff. ») Ebd 267.
Xprdtto» naXiv &vdQte, 3t' (irrtipüjjtf' 6 qpt2»j0^f»V Theokrit XII 16.
*i DfiTio^itheneB XXIV 29 |t»Jr' IdUt fiijr* *otv^ firjd^r liilT'Joes: üdi-Kflr fr rovrm rm ^Qftinp.
Macrob. Satumal. I 10, 22. Daher lAfst Lucian i^ra ^r^ö; Xqovov c. 1) dtm Kmoua
lagen, dab an sehiem Feite UnnfUa tHx att« bortehe, do4ioi9 mkI ilmt(Mf9i9' fiip
I«' ifiov do^Xos ^v. Unrichtig urteilt aber dioso Dinge E. Graf, Ad aureae aetatis fabulam
«Tm1">Ia Leipziger Studien ATIT 61) und v. Wilamowitz, Ariplott U i^ u. Athen 1 119. Nach
letzt«rem ist Kronos als Vertreter ciaer seligen Urzeit eine -junge Konzeption', weil das
ünprflaffliehere die vedlAtUijlie Beuxteflung des 'gnraen Altertnait', der Zeit vor der
ZinÜRation sei. Die AufTaasung der Vergangenheit al« eine» verlcrnun Puradit-Hox hi I orst
ein Produkt der Sophiotenzeit, 'wo die Komfldie solche Bilder oft bot'. Diese Behaup-
tung steht schon mit der Thatsache im Widerspruch, daTs wenigntena ein Anklang an die
Sage vom goManflu Zatalter rieh beruts bei Houer findet OdjM. XV 408 ff. Damit
flSllf aurh <lic .\iinalitne von Wilamowitz, daf« nur rin Zup df»r kyklnjiiMt'hpn Zeit oims
Ueeellscbattfiordjiung gewesen sei, wenn die Sklaven an den Kronien frei hatten.
*) Vgl. meia Buch Ans Altertant und Oegenwut 8. 66 ff. (Zur goadüditlidien Bear-
teUimg Honeia).
26
B. PMilmum: Die aorial« Diehtanff d«r Orieehen.
Die Schar der Mühlsklavinnen und unfreien Spinnerinnen im Paläste des
Herrschf'18, die bescheidene Stellung des Volkes gegenüber den Edlen zeigen
deutlieh, wie es eben die Vorstelluugswelt der herrächendcn Klasse ist^ die sich
in dJeMm IdMblHt widarapiegelfe.
Dagegen kommt nim in der Bichfamg^ in der aidi der Hjtinu Tom goUenen
Zeitalter snm ereton Male dargestellt findet^ in den *Werken und Tagen' Heeioda,
eben jene Masse des arbeitenden Volkes aum Wort, die auf der Bttbne dw
epischen Welt so sehr in den Hintergrund getreten war. In einem Liede TOn
der Arbeit, von einem Manne der Arbeit, dem bauerlichen Poeten ans dem
sirmlichon Dorfe Askra wird die hehre Botschaft von der seligen InLn-ndzeit
des Meuschtn Geschlechtes verkündet*): nicht der herrschenden Klasse — denn
zu der hat ihn das Leid, das ihm von den urigeretLten und bestechlichen
'Königen* (d. K den regierenden Edelleuten) widerfahren, in scharfen Oegensatz
gebradit — sfmdem dem ganzen Volke, daa mit ihm nntw dem gleichen Dmek
der Addsherrsehaft litt. Wenn man gesagt hat, dafii ea die befrei«ule Ijitik
ist, in der aller Sosialismua wnnelt, so trifft di^ hier redkt augenfällig zu.
Denn das Ideal ist bei Hesiod zugleich der Ausdruck einer rücksichtslosen
Kritik der herrschenden Zustünde. Sein Lied ist ein 'Rugelied' nicht blofs
(regen den ßnidcr. sondern ztiglcich auch gegen die ausbeuterische Klassenhenv
Schaft, bei dur jener seinen Ilückhait fand*).
Daher die Popularität der Dichtung Hesiodä in den nächsten Jahrhunderten,
in denen eben diejenigen Klassen des Volkes, an die sich Hesiod wendet, in
siegreichem Ansturm daa Jook dieser Kkaaenherrschaft brachen, und die wirt-
sehalüiche Arbeit an ungeahnter Ifaeht und Ehre emporstieg. Wahrend da^
wo die ritterliehe Aristokratie fortbestand und der Bauer em armer HOnger
blieb, wie z. B. in Sparta, Hesiod keinen Eingang &nd, gewann sein Lied
weiteste Verbreitung bei den emporstrebenden Bauer- und Bürgerschaften der
fortgcschrittneren Kantone der helUMiiürhcii Welt. Die Tniinno von Glfick,
Gereehtifi;keit und Brüderli<-likeit, zu denen sieh dereinst der Dichter aus dem
sozialen Elend der alten Zeit geflüchtet, sie sind recht eigentlich das Ideal
dieser neuen Zeit.
Daa ffild Ton der seligm Urzeit, fiber die nidit Ares und sein Genosse,
der Gott des KunpfgetOmmels, sondmi Kypris, die g5tUiehe Mutter des Eros
waltete und mit den Banden des Wohlwollens selbst Menschen und Tierwelt
verband'), das läfst in begeisterten Versen Empedoklee, der Fflhrcr und Prophet
der siegreichen Demokratie von Akragas, vor dem inneren Auge der Tausende
erstehen, die er durch den Zauber seines Wortes um sieh sammelte. Der
Mythus })ietet dem Weitweisen und Volksmnnn die Form dar, in der er seine
ideale dem Empfinden der Massen nahezubringen sucht. Und fast um dieselbe
') Für die Ansicht Kirchhoffs, 6ah das Gedicht von den Weltalton aidit von den
Dichter des Mahnliedt^s an Perses pei, ist der Beweis nicht erbracht.
*) Vgl. meinen Aufsatz: Die AntUnge des Soualismus in Europa. Uist. Zeitachr.
8ept im.
•) MuUaeh, Fragm. phil. gr. I 417.
.^ .d by Google
R. Pahhnann; Die loiiale Oicbtuag der Grieehen.
Zeit !iält die holde Dichhinj; ihren Einzug an der Stätte, wo die glänzendste
Demokratie der Welt ihre geistige Erholung und Erhobung über die Sorgen
des Allt^lebens suchte: im öÖentUchen Festraum des Dionysos, auf der Bühne
Theaters von Athen!
Die dvaotttiMdift Diditimg des PeriUmselieii Athen, — das Lustspiel, ja
gelegentlich anch die TragOdie — , war nnerschSpflieh in immer neaea Xbr-
findnngnt, die Herrlichkeit des paradiesischen Wnnaehlandee den entzfiekten
Hörem vorzuführen. Die Freiheit und Gleichheit, an der sich die junge
Demokratie berauschte, die Betoilif^ng aller an den Gütern und Genüssen der
Welt, nach denen in der neuen Freiheit auch die Massen immer dringender
begehrten, kurx whh nur immer einem von den Ideen ungemessenen Fort-
schrittes erfüllten Geschlecht uls das glückliche, goldene Ziel vor Augen
sdiweben modite, all das war ja in dem Reiche dea Knmoa Tolle Wirklich-
keit gewesen. Was bitte es YolkstttmlichereB geben kOnnen, als die poetische
Veiansdbaoliehmig dieser entschwundenen Weit, dnieb welche die popalSrsten
Ideale der Zeit selbst Gestalt und Leben gewannt?
Auch enthielten die alten Träume von einem seligen Wunschland noch
ein anderes Moment, das sieh zur Steifrerung der dramatischen Wirkung vor-
trefFlich verwerte^n iiels. Jene sentimentale Idylle trat um ja von Anfanij an
in einer doppelten Gestalt entgegen: als die Vorstellun«^ von einem verlorenen
Jugendparadics in der Vergangenheit und als Glaube au die Möglichkeit eines
gleich Tdlkommenen Ott^es in der Znkmift fldion bei Hesiod xeilit sieb an
die Idee rom goldmen SSeMaltnr die Vorstellimg von dem Lande ewigen, nn-
getrQbten Glückes, das ferne am Ende der Wdt liegt; die 'djeiHche Flnr'
Homers, die Inseln der Seligen, wie Hesiod es nennt. Die Metate Ziiflnchts-
sütte menschlicher Hoffcung'*), wo der alte Götterkonig, unter dessen Herr-
schaft einst das goldene Zeitalter des Friedens und Glückes auf Erden bestand,
völlig abgeschieden von der ihm dnreh Zeus entrissenen Welt wie in einem
neuen goldenen Zeitalter über die Seligen waltet"). Ahnlich hat aueh die
Komödie das goldene Freudenreich nicht nur als eine Erscheinung der grauen
Vergangenheit dsigestellt; aneh sie bat es sontsagen in die Znknnft binein-
projiadert, tndrai sie die selben Wonne^^brten i. R in die Unterwelt verlegt*),
oder sie Hfst es nodi lubhaftig anf Erden selbst bestehen, woon auch in
fernen sagenbaften I«nden^); eine Anschauungsweise, die den Beia des ntopi-
scben Oesellschaftshildea wesentlich erhöhen mufste.
Für uns freilich ist diese ganze Dichtung bis anf dürftige Bmchstücko
verloren, ans dencTi sich nur eine höchst unvollkommene Vorstelhing von dein
gewiimen lälst, was Kratinos und seine Kunstgenüssen oder gar die Tragiker
>) 8. Bohd», Pqrehe 8. «4 ff
^ V(jl. auch Pindar Ol IT 7R f. Eine Yorstdlunp, fli(^ nebenbei bemefkt aooh gegW
die obengenannte Ansicht von Wilamowitz über KroQos spricht.
■) Pherekrate« in der Kcmittdie MttaUiis. 8. Kock, Com. Att. fr. I 174 ff. fr. 108.
Fbenkxatee bi dea lUfwa a. 0. 1 18S fr. ISO and NikopliOB in den Ai^ijmv ebd.
I m fr. IS.
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K. Pöhlmonn: Die soziale Dichtung der Oriechen.
aus dem alten Mythus gemacht haben. Wie z. B. das gepriesene 'Gemeinsehafts-
Ipben im Kroriosreich") zur Darstellung kam, erfahren wir nirtrpuds. Wir
kchineu liöchBtens vermuten, dafs die Konsequenzen, die die jugendliche sozio-
logiächt; Spekulation des fünften Jahrhunderts aus dem Qemeinschafiäpriazip
und der Idee der Brüderlichkeit zog, in einer Dichtung, worin die die Zeit
bewegenden Fragen einen so lebluft» Wjdnrludl bnden, ebenblls sum Av»-
drnek gekommen sein werden. Die Idee der Fraaeng^dneehalt s. die uns
•dion dunalfl (z. B. bei Herodoi) in den idealiiienmdkm VorateUungen fiber die
NfttorrGlker entgegentritt') und von Euripides auf der BtUme sbi Problem vor^
getragen wird*), dürfte auch in den dramatischen Schilderungen des goldenen
Zeitaltere nicht ganz gefehlt haben. Die blühenden, mit allen Reizen gc
schmückten Jungfrauen, die in dem von Pherekrates geschilderten Paradies die
Zecher bedienen*), weisen deutlich genug in diese Richtung. Auch die Welt-
beglückungsplane, die Aristophanes in seiner Kommunistenkomödie verkünden
IftCit^), haben gewlA manche Zflge mit dem Wunadilande gemein, wie ea das
ültere Lustspiel sohüdnie. Es ist Biefaerlich niehi nun erstm Ifale gesagt
was hier Tom ZukunflBslaat gnrflhflii wird, dals in ihm nlmMA kein Frevel
am Gemeinwesen möglich sei, keine falschen Zeugen oder Sykophantwi,
'Kein Beutelschneiden, kein Mißgönnen fremden Glücks,
Kein Nackt- und Blofsgehen, kein Verarmen, keine Not,
Kein Zank der Parteien, kein Verhaft für fällige Schuldl'*)
In der That das goldene Zeitalter iu leibhaftiger Gestalt!
Jedenfalls zeigt sich nach einer anderen Seite hin eine enge Verwaudt-
sdhafl flwischen den ZukanHaerwartongen der konrnranistischen Sdiwarmer bei
Aristophanes nnd der DarsteUnng des goldenen Zeitalters bei den nnderen
Dichtem der EomSdie. Hier wie dtnt kann sich die poetische Phantasie nicht
genug thun in der Schilderung der sinnlichen Freuden, die das ideale Wunsch-
land in sich birgt. Einerseits wurde damit ja eine der empfänglichsten Seiten
im Volksgemüte herflhrt, andererseits entsprach die realistische Ausmalung
dieser Herrlichkeiten so recht dem Geiste, der unter der Herrschaft der
kumtschen Muse im Festrauui des Dionysos waltete. Wie es Bacchus Gabe
ist, die den Sterblichen hoch über Sorge und Leid hinaushebt, die Arm und
Reich gleidi macht und in einem Heere gold»ien Überflusses nach einem
holden Tranmland entführt^ so will auch die Komödie *die Festgemeinde des
Gfottes in einen Bansdi des lachenden Optimismus nnd der Terwegensten
^ M X«4*ov MivtwdK. moiiie Qewh. d. ut. Komm. 1 8. M. *) 8. ebd. I ISl.
*) %oiv6v yuQ tlvai xQ^i* /vvaix«liov Hgog fr. 66S dfli ProtMilsM. Dssn Dflmmler,
FroleKonicn» zu l'latons Staat, S. 65.
*) I 176 fr. 108 Kock. *; S. u. S. 31 ff. •) Amtophanee, EUdcssiazuseu V. 56 ff.
<) Pindsr fr. S18:
eni^iav f|o>, neläyti ^ iv nolvxfvnoio «io^ov
9«pxts lau viofuv -^tvö^ ifQ^tS intav
tg d|9iffMMr, d)n«is titt, ««i d* liXnvti^wttt,
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ft. PMiliDaDii: Di« «oriftle Dichtung der Orieehw.
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PbaniMtik Teraefaen'*). Eine Wnrkuiig^ die durdi nichts beaaer erreicht werden
konnte, ab durch die TorflOuning des goldenen Eronoereiches, da» ao gaoa
und ^r dem Znoberlande ^ch, in dem Dionyaiache Lnat ihre Jfinger ent-
rückt. So wird in himmelstfinmiuler Laune aus den abenteuerlichsten Vor-
stellungen ein phantajitiHch-drolligefl Gebäude aufgebaut. Die kühnHten Tiüume
einer ausschwf^ifendrn sinnlichen Phantasie gewinnen Leben und Gestnit.
Mit immer neuem Beilagen wird anstiemalt, wie in jener seligen Z< it <lie
Natur e.s fertig brachte, da& allen Erdt^nkindem ohne Unterschied und ohne
eigene Mühe aUes zu Teil ward, wessen sie nur immer bedurften and be-
gduien. Daa Brot wuchs bereite gebacken bus der £rde hervor oder hing,
wie die Früchte, an den Biumen*). Die StriSme waren mit Wein oder — wie
es in einer anderem Veraion hiels — mit Mildh und Honig, die KamUe mit
pikanten Saucen geDUli Weisen- und Geratenbrote stritten sich vor dem
Hund der Leute xua die Gunst, verzehrt zu werden, gebratene Vögel und
allerlei feines Backwerk flog ihnen von «selbst in den Mund, die Fiscln^ Vanien
in die Hiiustr, um si('h dort Halbst zu hrat^-n und selbst au&utrageu. Supj)en
ströme führten warme Fleischstüeke in ibreu Wogen heran. Selbst das Spiel-
zeug der Kinder bestand aus den erlesensten Leckerbissen'); und was dergl.
Fhaataaterwen mehr sind. In den ftmeii Wunachlftndcm, die sich noch dieser
goMenen Zeit erfreoen, regnet es Wein, die Dachrinnen spenden Tranben, Kase-
knchen und Brei, ^n^hrend auf dsn Bftnmen im Gebirge Bratwflrsie wachsen*),
oder es schneit Mehl, tröpfelt Brote und regnet Brei'). Es sind Verhältnisse,
durch die zum Teil auch das schwierige ökonomische Problem gelöst erscheint,
das die Komödie mit Vorliebe aufwirft, wie es namb'cb möglich gewesen sei,
dafs? die Gesellsciiaft ohne eine dienende Klasse bestehen konnte und
doch der Einzelne sich nicht selbst zu bedienen brauchte'). Noch gründlicher
aber erledigte diese Frage eine andere Schilderung: sie fifirt nämlich alle
Dienste ein&eh durch die beseelt gedachten GebrauchsgegensiSnde selbst leisten!
Dsr Automat ersetst alle dienenden Hinde^. Hau braucht nur xn rufen, so
stehen sie m Diensten. Zum Tische sagt man: *Komm und decke didi' —
■) Nach der tzeleaden Bemeikaiig F. A. Totgta in Bincheri mjtlM»!. Lex. I 1081,
Aztilci'] 'IHonysos'.
») Kratinofl in den IRo^oi bei Kock I 6* fr. 165.
'f Teleklidea in den 'An(f>i*fUtPts I 20» fr. 1 K.
*) Bei PherekiBtw in den JUptuu *) Bei Kikepboii in den Huvens.
*> Krates 9iifUt I 133 fr. i K. :
H.
Vgl. PberekraUM 'Ayiftm i 147 fr 10 K. Dazu Athenaeus VI 267e: ol di ti^ ÄQxaias
iMfuatdlai notrixai »t^l tof) itqiuiov ßiov dutiifdufvoi , 8rt «4« ^9 T6tt 0o4lm9 {^e/a,
ttuUlt inri&ivrai,
^! Hl-; Kraii^n :i n 0 : öiUiitoonf^vr« yAf «i& ifA «otifMi, die denkbar zadikalite
Krfullung de« „uMnax' ijy rü diovttc**.
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Pohlnuuiii: Die aoiialie Diohtaiig d«r Qriech«ii.
xum Baddan^: *Knete den Teig', — nun Kroge: *Scheiik ein', — nun Beeher:
*Geh nnd spül dich* u. a. w.*).
Man sieht: der alte Mythus ist hier ganz und gur snin MErehen rom
Schlniafrcnlaiul i^ewoidcn. Und die phantastische Ausgestaltung dieses zanber-
haften Märchenlandes ist gewifs wesentlich das Werk der Komödie. Aher wie
die heitere Muse überall dem wirklichen Leben und EnipfiinhMi des Volkes
nachgeht, mit dessen Sehwiiehen ihr Humor »ein freies Spiel treibt, so liat sit;
gewük auch hier nur die Fäden weitergesponnen, welche bereits die Phantasie
des VoUeab geknflpft. Die SchlawfG» der Komödie ist nor die groteske Aus-
gestaltung Mner Tolkstninlichen Soiiftlphiloflophie und mgleicfa die geistvollste
Satire, die ihr n Teil werden kannte. Dm Volk hat sieherlieh zu aUen Zeiten
das Bedürfnis empfunden die allgemeine Vorstellung vom Kronosreich dnrch
eine realistische Ausmalung seinem Empfinden naher au bringen-), ein Be-
mühen, das natiirgemäls nur zu leicht ins Burleske umschlat^en konnte. Ehenfo
ist es psychologisch leicht begreiflich, dafs bei dieser ainnliehen Ausmalung
des Ideals die ideelle Seite des Mythus mehr und mehr in den Hinterii;rund
trat. Ungleich tiefer als die Idee der äemeinschaft und die Bruderschafts-
schwarmerei wonelt der Gedanke an das eigene ^Ibstt Im Kommnniami»
der Manen ttberwiegt daher immer das individnaUstiBche Interesse^ der Gedanke
an die Frnheit yma dem Zwang des Dienens und der Arbeit nnd an eme mög-
lichst schrankenlose Befriedigung aller Bedürfnisse und Begierden. Das grofste
Glfick der grÖfsten Zahl d. h. das Glück in der derb sinnlichen Gestalt, wie
es die groCse Mehrheit versteht: das ist der Grondton, auf den dieeer plebejische
ütopismus gestimmt ist
N'nrtretriich hat die Anschauungsweise, aus der diese Vnrm der sozialen
Utopie erwachsen ist, der lachende Philosoph \on Samo^ata ebamkterisiert und
swar in unmittelbarer Anknüpfung an die Legende vom goldenen Zeitalter,
indem er sidi in dm *Briefeii an Kronos' als ein«i der armen Verdirer des
Qottee einflilir^ der oatOrlich kein dringenderes Anliegen hat, sls dab Kronos
das verhabte Voneehi dar Reichen anf all diese *giiten Dinge' aufheben und
dieselben allen zuganglich machen möge, weil sonst die Feier seines Festes
eigentlich keinen Sinn hätte'). 'Das ist es, lieber Kronos, was mich am aller-
meisten verdriefst. ja wir finden es ganz nnertrUglich, dafs der eine niehti' 7,u
thuu haben soll, als auf iWpurbetteu ausgestreckt die langsame Verdauung
'l Krateä I 133 fr. 14, 4 ff K : s^dat(«ir tt»9' ixanor | rür tiuvagimv, öxc.i xt.Ijj rt.
Ii *vhii ÖMvii^ loiea aaw^r. IV^I. CnudiM, Verb. d. CUrlitser PhilologeaTen. S. 37 f.J
t MSB vgft nur, wie aanlich der sp&tere griedusche Volkiglaiibe «ich die Hoflidi*
koit Ues Paradiesf^ aus)j:«malt hnt Battilios d. Gr, |t "T'-M rrrp! Ti-pfr(??icor U .■?t*^ nnd
nocli heatigun Tage« auiuualt, wofür ein kjprischee Volkslied und eüi naxisclie« Märchea
cbusktemtbche Beleg« dacbielea. S. Petachel, Das lOreliea vom Sehlaniffenlaad. Beitr.
t. Geach. d. deatachen Sprache u. Litteratur V 403.
Kr^no-hriffo SO f.: iiff/v yÜQ fn, w iTf-t^rf Koi,rf, ri £nser veSf* i^iiwtn mul VK
ifo^ü ii Ttf |i««ov «not* tunu^ivra Ixttta utltvur lofro^*.
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B>. Pahlmanns Die aouale IHchtong der Oriechen.
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einer alkn reiehliehen IbUzeit absawarten, steh Komplimente flbor sein Oifick
machim sn Janen nnd alle Tage im Jahr Feiertag va haben, ^rahrend uns andere
ngKt Im Traume die Frage beschäftigt, wo wir die vier Oboleii herbekommen
sollen, um uns am nächsten Tag mit einem Magen voll trockenen Brotes oder
Gerst*'ii1>r»'ies und einer Hand voll Kresse oder Aschlaneh oder ein Paar /.wieboln
zum Bcijft rioht wieder schlafen zu legen. — Erst dann, o Kronos, wenn du
hier reformiert und Waudel geschafft hast, wird man sagen können, uu iiubcst
das Leben wie^ snm Leben ntid dein Fest wieder smn Feste gemacht*.
Anf dem Boden dieser Weltanachanung, für welche das physische Wohl-
sein das allbeherrsebende Prinaip nnd die soaiaU Frage nur als Hagenfrage
TQO Interesse ist, mufstc die soziale Utopie naturgemäTs immer wieder sur
Poesetf zum Fastnachtsspiel werden. Und als solche erscheint sie denn auch in
der einzigen Diclituiig, die Tins ans der langen Reihe komischer Idealstaaten
vollständig erhalten ist: in der k'ih'tliehen poetischen Satire der 'Ekklesiaxnaen*
(um iJyü aufgeführt), in der Aristupliaues mit dem rüeksichtslos derben llunior
eines Shakespeare und der überlegenen Heiterkeit eines Moliere dem proletari-
schen Utopismns noch einmal sein Spiegelbild vor Angen halt, wahrend sa-
gleicb mit genialer Kühnheit die letzte noch mSgliche Steigerung erfolgt and
die Sfthlaraffia ans weltentrftckter Feme unmittelbar anf den Boden der atti-
schen Wirklichkeit selbst verpflanzt wird.
Es ist, wie gesagt, ein Zerrbild, das in ÄufsLrliclikeiten grotesk übertreibt
um den pleb<*jis(:hen KommnnismuH dem Fluch der I jiieherlichkeit preiszugeben;
und der Dichter erreicht diesen Zweck, indem er eben flberall die letzten und
äufsersten Konsequenzen zieht, die kühnsten Proletarierphantaäien womöglich
noch übertrumplt^). Allein sieht man von der bizarren Maske ab, so kommen
doch Tiel&eh echte Zflge anm Vorschein. Von dmn innersten Wesen nnd den
eigwtlichen TriebkrSfteii diese« yxdfpxm Utopismus erUUi man ein Bild von
padkender Natortrene.
Ein harmloser Spuk ist natürlich die Weiberherrschaft, mit deren Be-
gründung das Stück beginnt, Ton der aber im weiteren Verlauf wenig mehr
die Rede ist*). Sie dient nur zur Steigerung der Komik und zugleich als
wahrhaft genial erdachtes Mittel, um den Übergang von der alten Gesellschaft
zum Zukunftsstaat völlig unblutig und in heiterster Weise sieh vollziehen zu
lassen'). 'Durch Weiberiist bei Nacht und Nebel kühn und fein gesponnen'.
*) Vgl V .'■i78: ftijrf SfdQcqitva (ii'jt tl^yiiva «ä) ^QÖrtifOv.
*) Dan bat schon Dietx«! mit tiecht hcrvorgcbobeu in seineu Beiträgen zur Qesch. dt»
Sorialiannw and Kommmiismttt (Ztschr. f. Litt o. Gesch. d. Staatsw. I 88S), der errten
wahrhaft geochichtlichen Würdigung der EkkletiiazuHen, deren Ergebnissen ich in allem
WeBenllichon zustimme. Hier iHt uueli diü Frage, ob Arislophancs eine Satire auf Platd«
'Staat' beab«*iciitigte, — natürlich tu negativem Sinne — endgültig erledigt, weshalb ich
la dieser Stelle auf «iae Erdfieraiig vemehten kann.
') Der antike Dichter hatte es nicht so leicht, wie der Verfaa«er des modemou Ilomans
'Im Reiche der Frauen. Jedem daa Gleiche*, der eine ähnliche Revolution durch die
Agitation der Frauen bei den Wahlen herbeigefithrt werden lä&t. — Nebenbei bemerkt
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IL Föhlmann: Die soiiale Dichtung d«r GriedMii.
kommt ein Be0chlii& der Yolksversammlong sustand^ der *Sfaidt und Volk den
Frauen übergiebt* und jene Eüuriebtungen ins Daeein rull^ auf welehe sich das
eigentUehe Interesse des Stflckea und die Satire des Diehters Icnnzpntriert: die
Frauen- \ind die Gütergemeinschaft. Auf den Kommunismus des Oeniefsens, den
drpse Gemeinschaft ermöglichen soll, ist alles Sinnen nnd Tmchtin in »Itiii
irdi.sflicii l'ar.KÜt's i^onchtet, das die zur Präsidentin der koninuunstisthen
Republik tikorent! emanxipationslustige Dame, die Bürgerin Praxugora, 'klugen
und freien Sinnes'') verkündet. Dae ist es, was allem Volk eine Zukunft voll
nie gesehenen 'Qlanses und ungezählten lehmerhohenden Gewinnes'') verbürgen,
die Stadt f^flddieh machen aoU Itlr alle Zeiten!
So wird denn in den Terloekenden Bildern^ in denen die Pnsidentin die
Herrlichkeiten dee neuen Gemeinwesens vor ihrem Ehemann entrollt, dem
echten Typus des proletarischen Kleinbürgers Athens, — die Verstaatlichung
aller Produktion»- und KoTiHUTiitionsmittel in Aussieht gestellt, damit
'Alles Gemeingut sei, teilnehme ein Jeder an Allem, und vom Gemeingui Jeg-
licher lebe").
*So aehaff* ich denn erstens den Acker
Zu Gemeingut um und das sämtliche Geld und was sonst noch Jeder 6e-
stta hatw
Aus diesMn Gemeinsduts werden wir dann euch Hanner ernähren und
kleiden*),
Ihn rerwaltMid mit Fleüs und mit Sparsamkeit und Rechnung l^nd Ton
Allem.
Au« Ariiiut thut kein Mensch melir was, denn Alle nie Imljen ju Alles,
Brot, Kuchen, Gemüse, Fleisch, Fische, Gewand, Wein, Kränze, Rosinen und
Mandeln"*).
Wie das alles auf die Daner ta besehafien sei, wenn Jeder nur dem Genufs,
Niemand mehr der Arbnt leben will, das braucht den BOrger des Znkunfts-
staates nicht zu bekOmmem. Zwar stehen ihm nicht die beseelten Automaten
des Fabellandes SdüarSffiA au Gebote; aber hatte nicht schon die bestehende
Gesellschaft ihre vernunftbegabten Werkzeuge, die ihm bis zu einem gewissen
Gradr' Ahnliches leisten konnten? Den Sklaven, auf den er di*' v«>rlinfHte
Arbeit abwälzen kann, nimmt er mit Vertrnü^en in das neiip (iememwesen
hinüber, so radikal er sonst mit allem Bestehejultsn gebrochen Imt. Die Frei-
heit und Gleichheit, die er für sich beansprucht, wird von ihm — darin denkt
iHt »lies flbrigenB nicht die einzige Wiederholung des AriBtophaniachen Motiv«. Pchnn
unter den StaatHromanen dee 17. Jahrhundert« befindet Rieh einer, der einen Weiberstaat
schildert: Yiragmia vel Gynia ttova. S. Kleinwüchter, Staatsromane S. 50.
*} «Mi^«r 99hm sal 9«Uao9«r V. 671.
^ V. 674 ff. . . . «oX/njv
Hjiiov ivayla'Coiaa
HVfUtmv ÜKftUattit ßlov.
y. 689 f. 9iH9mvttv r«kf lünntv ^ifMi Xf^f"^ wArtmp iwr^wtof
nix Ttt^a© fjjv.
*) V. 6»7 ff. V. 6Ü4 f.
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B. POhlmaaiit Die «wiale Dieliteiig der Chneehen. SS
er bei all seinem Fortschrittsdrang so konservativ und imlividimlistisch, wie der
engherzigste Plutokrat — der ganzen unglücklichen Mensclienklasse versagt,
der gchon die bestebende Gesellschaft du Übennab rtm ArbeitslsBl anfgebfirdet
hatte und die nun, wo auch der niedngBte freie Proletarier eich von der
Arbeit emanupiert bal^ alle Mflbe und Plage allein ttbemehmen mub.
Das Feld' — erUirt Praxagora dem freien Bürger Athene — *beetellen
dm SUaTOnl FQr dich bleibt nur das Eine Geschäft, wenn der Schatten steh
streckt, dich geschmückt zum Gelag zu begeben'^). Diese proletarischen Ver-
treter dos Freihoib und Glciclilu'itHprinxips 'denken niclit danin, dufs die
^klaven gewiäsermafsen auch Menschen siad, sondern fressen behaglich auf der
von fremder Arbeit gedüngk'u Weide'-).
Es ist, als ob der yr&me Staat für sie einzig und allein zur wügiicheit
glänzenden Losung der Magenfrage da wäre.
*Die Gericbtahdf ' ers^ dann die Hallen zumal, Elasale werden sie sSrntlieh**).
Anf die Tribüne kommen Kannen, Krflge and Wwahb an stehen. Anf dem
Markte aber wird die Urne aa%e8tellt, nieht mehr, wie bisher, aar Erlosnng
von Ämtern oder Richtersitzen — die braucht man nicht mehr — , sondern zur
Verlosung der Couverfcs für das grolse Qastmahl, das der Staat allti^ch allen
Bürgern bereik't*).
'Ein jeder vergnügt zu dem Gerichtshof eilt, wo <lie Nummer zum Essen
ihn hinweist,
Wenn der Herold ruft: Die von Nummer A, die werden sich alle gefälligst
In die K5ni|pihalle begeben an Tiecli; die von B in die Halle daneben.
Die ron Nnmmer C sind nnter der Stadt, in der Halle der Mehlmagawne*.
Und was «ie hier finden ist nieht ein *Eiaen', sondern ein *8chwelgeik', von dem
die das Mahl ansagende Bürgerin Heroldin eine verführerische Schüdemng giebt*).
'Ihr Bürgerinnensöhne — denn so heifst ihr jetet —
Auf eilet zur Regentin, die wir eingesetzt.
Damit das Glück des Loses Allen. Mann für Mann
Verkünden möge, wo er heute speisen kann!
Es sind die Tafeln allzumal bereitet schon.
Die Kfleh' und Seiler weidlich ansgabenlet schon.
Mit VUeb nnd Teppich aller Sita bebreitet schon;
Man mischt die Becher, reihentlang stehn hinterm Tisch
Die Salbenmädchen, schon am Fener ist der Fisch,
Der Hfise Ijratet, und der Kuchen im Ofen biiekt !
Man wickelt Kränz<\ und die Aschkasbmie knackt.
Von jungen Mädchen wird ein Sclmepfenkleiu gehackt...
Au^ auf! geschwind; man bringt das £ssen schon hinein!
Ihr braodbt den Mond nar an&mnachen, so fliegte hinein'.
») V. «61 f.
*) Nach dem treffenden AuRdnirk von Dietzel a. a. 0. 8. S88.
') V. 676. ♦) V. 681 ff. •) V. 834 ff.
MCMjdrtSAn. IMS. Z 8
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B. PSUiMiiiii Die todale IKefatan^ d«r OrieeheB.
Es ist fast wie im Lande Schlaraffia, und uuch die kulinarischen Genüsse,
die des Bürgers gleich beim grofaen Freudennialil des ersten Tages harren,
können sich wohl mit denen messen, in deren Preis sich diu poetischen
Schüderungen des Eroiuwraichefl Qberboten kitten. Es naht ein Frikassee •von
Sprotten, HurSaen, Lampreten, Trfllfebiy Scluepfen, Faeanen, Ijerehoi, Tauben,
Baam o. e. w. AJao Terkttndei der Schlnbchor in aeinem ^Essenaho^ijeBaog*
^ftiloe fullodemvatdvy).
Ja es winken noch süfsere Freuden! Das Freiheits- und Gleichheitsprinzip
warp nnr nnvnllkommcn verwirklicht, wenn nicht auch alle Schranken gefallen
wären, welche die alte Öesel Isohaft dem Liebesgenufs gesteckt hatte. Eigene
Häuslichkeit, Ehe, Familie giebt es nicht mehr. Die Stadt wird ein grofses
flaus bilden, hinweg wird alles gebrochen, damit Jeder zu Jedem stets freien
Zugang habe, oder — wie wir hinsufügen dflrfm — Jeder an Jeder"). Denn
neben der GKitergemetnacliall besteht die allgemeine WnbergemeinBchdt Ana-
gesehlomai iat Ton der allganeinen loebeekmiknrrena andi hier nnr die
SUaTin.
Ganz frei allerdings ist auch für den Bürger und die Bürgerin die Liebe
nicht. Denn die Natur iat leider auf diesem Gebiete Aristokrat in! Sie hat
körperliche Kraft und Schönheit allxu ungleich vertt-ilt, als dalk man hoffen
dürfte, die Einzelnen würden sich bei freier Liehe auch auf diesem Gebiete
zur praktischen Anerkennung des Oleichheitsprinzips verstehen. Alle würden
*naeh der Sehönaten im Land, wie natürlich, gehn nnd sich ihrer au freuen
Tttlangen'^.
Und umgekehrt würden alle Weiber den hfibedbeaten Mann unmrmen wollen.
— Um daher auch hier die Gleichheitsidee zur Wahrheit zu machen, mula
die Freiheit beschrankt werden. Es wird ein Reihedienst der Minne an-
geordnet, bei dem auch die Hnfslichen nicht zu kurz kommen. Freilich eine
Kiippt", an der die ^tnze Herrlichkeit des Zukunftsstaates zu scheitern droht!
Hier entsteht ein Konflikt zwischen liberte und egalit^, der dem Dichter
Stoff an Soenen von wahrhaft verblüffender Komik liefert; — dem köstlichen,
wenn auch ftber die Hafisen derb-natoraliatischMi Finale des StQckea, dar-
atellend den Streit der ilteren und ältesten Wdbldn um den sehmuchen
Bursehen, den sein Liebchen so gerne fSr sich allein haben möchte^ aber nicht
haben kann, weil dies dwa Gleichheitsprinzip widersprechen würde. — Man
hat mit Recht l)enierkt, dals das sexuelle Utopien gewisser Kommunisten nie-
mals eine so dnrch.Hchlagende, niederschmetternde Kritik erfahren hnt, wie hier.
Für die Prophetin des Zukunftsstaati' h freilich sind derartige Widersprüche
und Konflikte nicht vorhanden. Nach ihrer Ansicht wird das unzweifelhafte
Ergebnis des Kommunismus eine yöllig ungetrflbte Harmonie und Eintracht
') V. 1152 ff.
*j V. 672 E. TO fu^f aarv
•) V. «1«.
R. i'üüluuiuu; Die aozialc iJichtunf; der Griechen.
35
sein. In siegesgewissem Optimismus') verkündet sie: Bei uns ist Neid und
Mi'fsjnmst. Zank tiiid Str«'it, FrevelBirin und Frfvelthnt nnmöfjlich. Denn die
Ursache von :ill(<l» ni, Not und Armut, iät ja für iinnR-r beseitigt. Wo 'Allon
gemein ist daMf^t^lbt' Geschick' und Alle Überreichlich ^att werden an Braten^
Wein und Liebe, da ist auch Diebstahl, liaub, Betrug u. s. w. aus der Welt
trendiwimdeii.
Mit dieser Argumentatioii eehlSgfc Pnungora alle EinwSnde ihree dumm-
schlauen Ehemannes Blepjros nieder, der an die WirUiehkeit dieses koiumunisti-
sehen Paradieses nicht recht glauben will, so gerne er sich auch die Genüsse
des^ellton m'falli'n Üofso. Sein Rfdenken, die lirlicn Mitbiirwr mörlittii hei
der Ablieferunji ihres Eij^t'ntiuns an den Staifv-rhatz <^ar manches nntvr-
achlagen'), weist sie mit der Bemerktin^ znriuk, dal's ji't/.t, wo 'Alle Alh»8
haben', dcqenige, der nicht ublieft-ri, von seinem Betrug keint^n Nutzen liat.
Wae BoU er mit dem <Mde anliuigen, da ans Annat Niemand melir um Geld
etwae su timn braackt*)? Weaa twaeat noeh stehlen, wenn AUea gemeinsam '^j;
wesn rauben, wo Alle baben, was not tbnt*)?
*Wes Mantel man will, der giebt ihn ec^ich freiwillig. Wem denn eich
naken?
Denn er geht gleich drauf cum Zentralmagazin und holt sich da einen noch
bessern
Man sieht: Frau Praxagora stimmt ganz mit Herrn Bebel öberein, der mit
der gleichen Emphase und der gleichen kategorischen Sicherheit, wie die Präsi-
dentin dee lustigen Weiberataatee, in aeini»' *Fma' das prophetiBclie Wort
spricht: 'Die Diebe sind Tersehwnnden, weil daa PriTftteigentom Tereehwnnden
ist'*). — Es ist derselbe Gedankengang^ den wir bei diesem modernen Utopismns
wiederfinden, wenn auf den weiteren Einwand, dafs in der heutigen Welt gerade
die, welche in der Fülle materieller Güter schwelgen, die grSberen Schurken
seien"), von seitcn Praxagoras die Antwort erfolf^t:
*Ja vordem, Freund, solange wir noch die Gesetze befolgten von vordem;
Doch jetzt, wo das Leben gemeinsam ist"*), was bringt Nichtzahlen für Vorteil?*
Modem gesprochen *Ja vordem — solange wir noch unter dem alten verrotteten
Boorgeoisregiment lebten und dnrch dies Milien korrumpiert warenl Jetat
aber aind alle efhrlidh, weil alle satt smd'^*). Oder, wie Bellamy erUirt^
wanun im Jahre 8000 Alles anders nnd nen ist: *Die menseblicben Lebens-
') 'So klar bew«w' ichs' — sagt Pnuogora von den Vorzügen der Gütergcmeinscbofl, —
'dab Mlbsi Hunnen Maime uiehts tu erwidern mlSglicb ist.*
*) V. 503 iiX ivu notä noivbv itäaiv fiiorov %al roixw Bf/OiOv.
*, Vj^l, flie kr»»tlich« Szcnf /wischrii den zwei Bürgern, von denen «Ifr l im- ilu-ii l^e-
Mrhättigt ist, neine Uabe — dem (iebotc der n«uen H^ierung geiniirti — uut den Markt
n tchaifliBii, wUinsd d«r andere rieh die Sache erst noch bedenken will (V. 7S8 C), dne
Scene, die den von BlepjiOR auRgesprochenen Verdacht nur zu sehr recbtfinrtigL
V. 004. *i V ßß? na>i yaQ xlf'ij-fi tiitav ai-rä; V C69.
V. &71 irtifop ^* xoifov %Qtittov f*iivov KO|t««trai.
*) 8. SIT. ■) V. $08. *«) ioTM ftbe la »M9o9.
Naeh der täeffendea Foraialiemng von Dielnel (3. SM).
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36 R. PöblmaQD: Die «ozialc Dichtung der Qriechen.
bedingungen haben sich geändert und mit ihnen die Motive des menschlichen
Uandehis'.
Aber Blepyros kann sich ans dem Rahmen des Bestehenden nicht so
leicht hcrauadcnken. Er forscht weiter: 'Wenn man ein Strafgeld zu erlegen
hat, wo nimmt man es her? Denn es geht doch nicht an, vom Gemeingut
das zu bestreiten'. Worauf Praxagora erwidert, der FaU könne überhaupt
nicht eintreten; denn es gebe ja keine Prozesse mehr. — 'Wenn man aber 'mit
Niemand mehr prozessieren kann, wenn es keine Schuldhaft mehr giebt, werden
da nicht' — fragt Blepyros — 'Viele bankrott gehn?' — 'Auch das' — belehrt
ihn die Gattin — 'kommt in unserem Staat nicht vor. Bei uns kann es weder
Gläubiger noch Schuldner geben, da es ja kein Privatkapital mehr giebt").
Aber der hartnäckige Ehemann ist noch nicht überzeugt, er will noch
Eines erklärt haben:
'Wenn einer mich schlägt, der berauscht vom Gelag heimkommt und wegen
Mjfshandlung
Mich entj)chädigen soll, wo nimmt er es her? Ja, da stehen die Weibsen
am Berge'*).
Praxagora wagt es nicht zu bestreiten, dafs im Zukunfbsstaat derartige Mensch-
lichkeiten vorkommen könnten. Aber sie ist deshalb um eine Auskunft nicht
verlegen; sie giebt ein sehr einfaches Rezept, um mit solch unbequemen Ge-
nossen fertig zu werden:
*Das büfst er ab an der täglichen Kost. Wenn wir die ihm gehörig be-
schneiden,
So wird ihm die Lust an den Prügeln vergehn, die er so mit dem Magen
gebüfst hat'.
Ja, das Magenmotiv soll noch ganz andere Wunder wirken! Es macht
nicht nur die Genossen fein sittsam, sondern hält sogar jene edleren Regungen
der Menschenseele wach, auf die der Staat nun einmal, wenn er Bestand haben
soll, bei seinen Bürgern notwendig rechnen muTs. Damit den Genossen in
dem allgemeinen Bauch- und Phallusdienst nicht alle Wehrhaftigkeit und
Tapferkeit abhanden komme, wird dem Feigen — ein echt aristophanischer
Zug! — die Aussicht eröffnet, von der Table d'höte weggespottet zu werden').
'Zum Muhle singen die Knaben, von jedem der Männer,
Den preisend, der kühn in der Schlacht sich bewährt, des spottend, der
feige davonlief,
Dafs er schamrot nicht sich geselle ziun Mahl'*).
So wie die Menschen gesihildert werden, mit denen es der Zukunftsstaat
zu thun hat, scheint ja allerdings mit diesem Motiv alles von ihnen erreichbar.
Man denke nur an die letzte Scene vor dem Schlufschor. Die Heroldin sieht
Blepyros dalierkommen, der auf dem Wege zum gemeinsamen Mahle sich ver-
HpütA't hat. Sie ruft ihm zu: '0 Herr, du glOckgepriesener, dreimalseliger!'
'Ich? wie so?' fragt. Blepyros. Darauf die Heroldin:
') V 660 •) V 662 ff *) DictieJ S. S87. «i V. 669 ff.
B. PdUmann: Die wniaie Diditaiig der Griechen.
37
*Ja du, bei den GSttern, wie keiner der Menwshen sonst!
Wer kSnnte hochbeglückter je zu preisen sein,
Als Amr von mehr als dreiTsigtaiumid and einigen
Athonpm e{n?ig nicht bereit'^ pfpgpsspn hnt!'*)
Man denkt unwillkürlich an die ifroteske Satire von Habelais, wilclu- die
Allmacht des Messer Uaster schildert. Und mit einer Satire haben wir es ja
auch hier zu tliuni
AUeiit, wenn wir nun von den Anlmrliehkeiten abseliett nnd nne die
Grundgedanken der Dielitang noch einmal vergegenvilrtig^ beelitigfc sich ans
nicht znr Qenfige das, was sehon oben gesagt wurde, dals die Eurikator des
Dichters — wie jede wirklich gute Karikatur — gewisse für das Original
ebarakterietische Züge deutlich erkennen lafstV Denkt man sich, es wäre uns
eine Utopie nm jener Zeit erhalten, ili-' wirküeh aus dem verwirrten, erhitzten
Gohini ciiR'.s hungrigen und verlumpten l'<»bels etitfprnnf^en w»re, eines Pöbels,
dtr nichtö hat, aber alles begehrt, vor allem üenul'sj und wieder Geniifs — •
würde diese Utopie in dem, was wesentlich ist, nicht die gröEste Verwandt-
wbsft mit dem Zokunftsgemalde des Aristophanes zeigen? Kann eun extiemer
XsteriaUamoB und IndiTidnalismus, dem niehis heilig ist, als der Einzige und
seine Last, dn anderes Ideal ersengen, als den kommnnistisdien Himmel des
P5bels, die 'Satumalien der KanuiUe?**)
Ein Fortschritt der Auffassung war auf diesem Boden nicht möglich«
Dazu bedurfte es einer (binbitns uTuleren geistigen Atmospliäre, einer grund«
sä^ch verschiedenen W elt- und Lebeusanschauuug.
*) y. iiso ff.
*) Wie Mesamsoi das Znkonflabild dw EkUesiaxoMm treffend beaeiehnei hat. •
(Fortsetmog folgt)
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FICOäÜPOGlLAPlliA IMTEIUl 1U)MANL
Von Hermakm Pbtke.
Das gewaltige Unternehmen des Corpus inscriptionum Latinarum nähert
sich jetst seinem AbschiiuBe, so mü roa einem solchen bei den täglich er-
folgenden oder m erwartendem Entdeckungen fiberhanpt gesprodioD werden
kann. Darum ^nbt aber die preolsische Akadcaiie nicht mhen zu können.
Nachdem die Ernte in di > lutiem gebugen worden i-t. will sie die Frflchtc
auch verwerten oder andere dazu anregen. Als die nächsten Aufgaben be-
r.cirliiu t die Akademie beispielsweise Onomatologika, Verzoichnis^e der vor-
nfluuen Männer, Sammlung der iiottt'silit'n<ätHehen Altertümer, Darstellung der
Verfassung in den verschitUtuen ticmcinwKsen aufser Rom (und Athen; und
der militärischen Organisation des römischen Reichs, kulturgeschichtliche und
sprachliche Stadien. Sin soeben erschienenes Werk*) ist bestimm^ Probe nnd
Köster l&r soldie Arbmten m sein, und, nm dies gleidi Toravssaschicken, es
ist dies auch sowohl nach der Gewusenhaftigkeit nnd Gründlichkeit in der
Ausantauig dss Materials als nach seiner Anordnung und kritischen Sichtong.
Depn es sollten nicht etwa nur die Indices der einzelnen Bände des Corpus zu
einer bequemeren I%er?icht zusaminensrofiifst werdort: die Aufgabe ging tipI-
mehr dahin tl p. \' s-n \ aus den «iiiulti hen N t rörtV iulu hungen von Inschriften
die Namen aller Senatoren und alier kaiserlichen Beamten aus dem Kitterstand
nebst ihrer ganzen Verwandtschaft^ sowie der bei Geschichtechreibem and auch
bei anderen Sdbriftstelleni genannten PersAilidikeiten, jedoch mit Anssdieidni^
der kirchlichen nnd jarisÜschen Littentor, sasammenmsn^en, aodi die der
Ansftnder, soweit m» mit dem Staate Rom oder mit Rdmem in Berühmi^
getreten sind, und «^ie mit den JBrwihnnngen auf Münzen und auf Paprrus-
oAuttden'^ und allen sonstigen msammensaaiheiten; bei den Kaisern sollte die
Pro»opojrr»phia Imiserii Komani sa«c. L IL III. edita cosniio «t auctorilat«
aeademiae aci«iiti«nuD rffria« Bonurieae. BenUai apvd G«orpriiim BeiBcram 18S7. Fan I
edidit Elimaru» Klt<l>» l\. 4'» Pan U tniiilit Uenujumu^ r>09tan i^. IT. 44i.
' IH sich dt?T Druck üIkt tunf J*hr\> er«ti>vkt hit. hat ä-> Litteratur *<'it l!*t>2
sucht mehr lierücki^icbtigung boUen köiueo and vüxi im SviiluiVl'^U«' tuKh^iioU verdeo.
Kiaca tatwctMoten Nachtiafr a«t «««ni P»p3rni» babe ich nir ni A IWl, I p. ItS
HeaMricl. Den Soka lies dort i^^nunntt-n Atiliu« TiTiAnu« b^ucimt CeW BOch aiAt: er
cicbt nur nich CapiTv>litiu< Vit» Pü T. $ an , dai« der Vater al> Thrv^nprätendont ^äcbt^t
«orvii'u «vi, d^i» <ftWr der Kaü^ Auu>aiiiu« l^a» sciuca MaiYi*r$ch««>oeaea aicht ojk!^
gifluncbt vad a«iaca $oba in allm aat«nt»tit habe. Pi<«< Nachricht wird aSailich darch
II. Peter: Prosopo^raphia Imperii Rotnani.
39
eigentliche ftegteningsthütigkoit unberücksichtigt bleiben^ bei den fremden
Fürfifcn nnr Has wichtigste berichtet weiden, bei Autoren sollten die Be-
zieliuiij^eu auf die iVrson j^nflpen. Als zeitliche Greusien waren die Schlackt
bei Actium und der Hej;ieruni^antritt des Dioi-letiiin ungesetzt worden.
Enjchieneu »iud zwei Bande, welche die Buchstaben A — C und D — 0 uiu-
£u8«ii, dar erste bearbeitet 7011 Eliniar Eleba^ der nreite Ton Hernuum Dessau;
der dritte, der eigentlich mit ihnen saaainmen TerfiffiBaflicbt werden sollte, ist
durdi Krankheit des mit ihm beauftragten P. von Rohden aufgehalten worden
und wird nun von Dcssaa ZU Ende geführt werden. Ein vierter Band wird
die Listen der Konsuln und der übrigen höheren Beamten bringen. Die Gfe-
&bren der Teilung der Arbeit sind frint durchwej^ vermieden; das Werk wrist
einen im wesentlichen gleichartigen Cliunikter auf; nur selten l)einerkt man
die verschiedenen Hände'); das Auseinandergehen der Ansiciiten über die Ab-
iassungszeit der sog. Scriptores historiae Augustae stört nicht weiter. Ich
werde daher in meiner Beriditeistattung die beiden lOmner nicht grondioitiliGh
trennen.
Lücken abid bei einer derartigen Arbeit erklärlich*). Hier und da wQrde
einen von .T Nirolo in der Rovnn arrh IHfi:? 'XXT j> 227—233' heratisjfCfjcbenen und bc-
sprocbeoeo Brief auf Pap/ru« bestätigt und ergänzt, in dem am .hmi de» Jahres 168
AweUiifl Theocriti» 'üb. Antonini et minnter pnefecti Aeg.* (sonot lücbt bekannt, daher
auch noch nicht hei Klcbfl) dem Stratef^en im Qeu Aramoitei verbietet, tidi an dem V«r^
möf^n und der Dlt-nerschaft '[Ati]lii Titaniani' 7» vcrjn"r'if>'n , (^a fr von Antoninus (geehrt
werde. Der Sohn hieTs also auch Atiliiia Tiüanus wie der Vater (wohl uoKweifeUiafl der
Eonsal dee JalirM iS7 n. 1086, wie auch Klebt vermatct), dessen Empönmt^ nach Kieole
wahrscheinlich die in igTpten »t, welche die Vita 5, 5 erwähnt. Die Angabe über den
Aufstand nnd ?einn Bestrafung wird demnach künftig unter n 1085 unterzubringen sein,
während der Sohn n. 1091 erhält. — Mehrere Nachträge der Heraii«ig(;t>er der Proeopo-
grapbie haben flbr^emi bereite die neneftea LieCBrongen der Realencykloifldie von Fioly-
'WiaK)wa geliefert, die also bis auf weiteres neben ihr noch einsoeehen sind.
') Z. B darin, daf»; Klfdis die neuere Litteratur Bparpatner zitiert a!a DoRsan, dnfr dor
Stanunbaum des Julius Bassianus sowohl im erslen Baad \p. iM) als im zweiten tji. iil)
Bii(e«teilt wird.
*) n ]i öl wird anpe/jelicn, f\iih der Bio^aph in der Vita Pii 8, 8 wahrHchiMnlicb },'e-
schrieben habe 'Cornelius Hepeutinus et Furius Victorinas — praefecti praetorio facti a
Pio' (statt 'Fabius Kep. et Com. Victorinus') mit dem Zusatz: 'cf. Borghesi mem. dell'
luL S p. 188 (in epistola non reeepta in opera eins)' ; der Brief, in dem jene Änderung
vorgeschlagen wird, steht aber unter seinen Briefen in den Wer1<eu VI p. 190. — Dp. 418
wird allein die Vermutung deeseiben Gelehrten erwähnt, dafa in der Vita Clod. Alb. 8, 8
<H.) Koma* Ha«tfa»M gemehit sei (anstatt dee Noaiui Kura» der Überlieferung); ete liammi
jedoch auf einem Brief des Jahres I817 (Oeuiv. TI 95), 86 Jahre RplUer in den Annali von
1H53, Oenvr. V p. 407) hat er Noniiin Maeer v' fu'ozogen. In der Liste der von dem Kaiser
Septimins Severus getöteten 41 vornehmen iUianät Vit. Seu. 13 sind mit dem Nomen gentile
und dem (üofifnomen 88 benannt worden « eine Annahme maeben nor Antominiu Balbns,
wofiir Kleb« T p '.M, A n. i>\x\ Antonius Balbus einsetzt (wie flbrigens schon De Vit im
Onoma«t. I p. 347), MarcuK .\sellio, richtiger Marcius Asellio nach O Hirsphfeld in den
Wiener Stud. VI S. 124 und KJebs I p. 158, A n. 997 (von Dessau im zweiten Bande aus-
gelaieeD) und L. Stilo, wae HincbMd a. 0. hi Ael. 8tao verändert bat und Kleb« bfttte
erwihnea «ollen.
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H. Peter: Ftoflopographia Imperii Romani.
teil mich AQCsh «odtrs entschieden haben'). Sehr dankenewnt mre ee endlieh
gf'wespTi, den bÄrbarischen Namen, uachdem sie einmal Eingang erhalten haben,
eine Erklärung oder den Versuch einer f>olchen beizufügen, z. B. 1 p. 10 dem
Adgandestrius bei Tacitus (n. dem Adiatorix, dem Sohne des galatischen
Vierfilrsten Domnecleus, bei Strabo (n. 84), dem Adminius, dem Sohne de»
biitanuischcn Königs CunobelUnuH, bei Sueton (n. 85); der Verweis auf die
betretende litftwatnr, wie bei Arminini (n. 874, I p. 135) nnd eomii, giebi
denen, die nicht Ober eine greise Bibliofliek verfügen, einen Stein statt Brot
Der Lidez zu MemmeeDs JoKhuusamgabe hat durch MflUenhoffo Beiträge einen
ganz heeonderen Wert erhalten.
Doch genug der Kleinigkeiten. Im allgemeinen wird unzweifelhaft l)ei
jedem, der das Buch in die Hand nimmt and benuiat, das Gefühl groJben
Dankes das herrschende sein.
Denn wer sich je mit Feststellung von Persönlichkeiten der römischen
Kaiserzeit zu beschäftigen gehabt hat, der kennt die Mühe, die es kostete, um
die von Sehriftet^em genannten anf Steinen wiederaofinden; es genügte nicht
einmal das V^hMm der Bande dea Cor|nu nnd setninr Supplemente, nm die
Sache in eraehöpfen oder Tersichem an kSnnen, dala der Name anf Insdbnilen
nicht vorkomme. De Vits Onomaaticon ist wenig vollständig und kritiklos
aus oft veralteten Texten zusammengestoppelt. Vielfach hatte der Wunsch
der Identifizierung und des Nachweises von Verwandtschaft auch in das Reich
von nicht hinlänglich begründeten Vermutungen hineiugefüliit, die gleichwohl
teils wegen der Autorität deü Urhebers teils wegen der Schwierigkeit der Nach-
prüfung der weit lentrenten epigraphischen Litteratur fOr einen Niditspezialisten
als Thatsachen llbememmen nnd weiter getragen worden. Zwar hatte Nipperdej
doreh Anmutsimg d«r Foraehnngen Borghesia die Namen in den Annalen des
TacitOB anderweitig nacihgewieeen; für den jüngeren Plinius ist Monmisens
Lidez in Keils gröfserer Ausgabe von hoher Bedeatnng, Henzen hat in dem
zu seiner Veröffentlichung der Arvalakten alles, was er Ober die in ihnen ge-
nannten Persönlichkeiten gesanomelt hatte, vorgelegt; ich will auch trotz ihrer
Unvüllkümmeuheit Joseph Kleins Fabti consularos erwähnen. Sonat aber
mulste man sich auf diesem Gebiet den Weg seibat suchen, verlor viel Zeit
nnd ging immer aoeh oft in der Lrre. Jetat stehen wir endlich anf einem
festen nnd sicheren Boden für weitere Unteranchnngen, nnd zn^eidi hat die
Beherrachnng des voUsündigen Materials nnd eine rein aachliche PHlfnng nna
▼on zahlreichen Irrtfimem befreit und manches Kartenhaus umgeworfen, das
man schon als zuverlässigen Unterbau ftir weitere Kombinationen angeschen
hatte. Ich verweise beiapielaweiae auf das für die Gesdiiohte der ChriBien-
') Warain Dmud den HSrder de» Commodi» Ef^eeius genannt bat (II S8 n. 7), sehe
ich nicht recht; auf Stdneo 8t«ht einmal (CIL VI 1608) so, auch auf einem griechiiehen
(CIG III 1105 'Eyi., daf^c^en a>ii r L'si n wir auf andern f^echischen 'Exlfutoff (ITT 6224)
und '£icJUxri] (III 667d), ehenso dorcbweg in den griechiachen SebrifteteUera und bei dea
LatesBem in des Hendichziflen Bleetut, Eieetua, Edeetns (aadi Bdoge bei Sueton K«o IC),
niigend» ein g.
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H. Petor; PkOMpographift hnperü Boinwit
41
Verfolgungen wichtige Prokonsulat des Minucius, welches nach U p. 379 f.
(n. 441) nickt in die Zeit dee Tekiriiii und ChJlien, äondem in die des Septimina
flef»ni% in die Jahre 198—209 gehSrt.
Die leiehle Überridit Uber die OenmÜieit der Dberiiefening und die be-
queme Kontrole der handschriftlichen durch die der Sieine gewährt uns femer
die Möglichkeit, scharfer als bisher zwischen Fohlern und Flflchtig-
kriten der Autoren und V^-rderbnissen in den Handschriften zu
unterscheiden. Die Rhetoren iiatt*:'!! im allgemeinen Sorgfalt und Genauig-
keit iu den historischen Angaben nicht aufkommen lassen oder unterdrückt');
gar die Umständlichkeit der römischen Benennung war ihnen überhaupt und
beeondert den Griechen sairider. FOr die Umschreibung ins Orieddei&e fehlte
CB an bectintmten Grandflftteen, und bei dem hEufigen Qebraucb dieeer Spradie
anter den Oebildeten rifs das Schwanken auch auf itaUechem Boden ein und
richtete eine Verwirrung an, die nicht einmal die Namen der Kaiser ver-
schonte. Der orientfilische Knabe, der in den Jahren 21 s — 222 auf (hm
romischen Thron safs, war der Sohn des 8. Varins Marcellus, führte selbst
den Beinamen Avitus und hiefs als Kaiser M. Aurelius Antoninns (1 p. 194 ff.
A n. 1204); als Priester des Gottes Elagabalus aber wurde er auch selbst so
genannt^ und da man in jenem den Soaneogott wiedeifimd, ao wank der Name
in Heli<^baiuB omgefiormt und dieeer dem Eaiaer von der Hietoria Angusta,
AnreliuB Vietor and der Eaieerepitome beigelegt, oft eo^ dab die Terechiedenen
Arten der Benemiong Yariu« ÄTitttS als PtlTatmann, M. Aurelius Antoninus als
Kaiser damit zusammengeworfen wurden: Heliogabalus Bassianus Yariua,
M. Antoninus Hei., Varius Hel. Ähnlich ist es dem L. Cetonius Commodus,
der als Adoptivsohn des Hadrian L, Aelius hiefs, in der Historia Augusta er-
gangen; mit einer Ausnahme (Vit. 2, 1, wo 'elius* überliefert wird) ist an
Stelle des Aelius getreten Helius, wie auch in anderen Namen, Helius Cordus
and HdiuB Maoras, doch wohl unter don Sinfiub der Griechen and iufi;^
der Terleehrten Ideotifiaierang Ton Aelius mit dem auch in Rom unter den
FVeigelasBenen gebräudilidien Kamen Helius (I p. 337, C n. 503). Das Gognomen
DiadumeniaauB dee CHsar Opellius, den Dio und Herodian riditig benennen,
haben sogar sämtliche lateinische Schriftsteller in Diadumenus abgeändert
fll 433, 0 n. 70); die kürzere Form war ihnfn atich in diesem Fall von Frpi-
irelassenen gelaufig (H p. 9). Zuweilen nahmen auch die Griechen andere
Namen zur Bezeichnung eines Kaisers als die Lateiner. Der Kaiser M. Clodius
Pupienus Haximus hieüs bei jenen der Efine wegen Hanmoe und imA so
meist auf ihren Mflmten und bei Herodian, Dexippos, Zoeimoo, Zonaras genannt;
die rSmischen dagegen beromigen das andere C(^omen Pupienus (oder -nius),
selten verbinden sie es mit Haximus, und Aurelius Victor, Eutrop, die Kaiser-
epitome und andere kennen nur einen Kaiser Clodius Pupienus. Als daher
CRjiitoIinus die griechische t,n>*'rli«'fernng in Herodian mit der roniisolipn zu-
Hammenarheitete, hat er Maximos und Pupienus als verschiedene Kaiser be-
*) S. hierüber des Berichtentattera 'Geschieht!. Litter. d. röm. Kaiflerzeit' n S. 287 ff.
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H. Peter: Proeopognphia Imperii Roidmü
trachtet und ist erst oehr spit so. der Einflidit gelangt, dafo sie eins seien
(I p. 418, C n. 939). Sodann gab die Ulnflge OkicUieit des Namens von
yater tind Sohn Anlab aur Venrediaelang; bei dem Sohn des eben ervriUinten
L. Adins, dem Mitregenten des Marie Aurel, half man sich, indem man das
Cognomen Verus bevorzugte und es entweder allein oder mit dem Vornamen
Lucius brauchte (den letzteren aber auch allein); gleichwohl verursacht die
Unt^ rsclieidung Schwlklilingen viel FCopfeerhrechen (I p. f , C n. 504).
AudicräcüU hui mau Vater uud Hohn mit dem gleichen Namen iälschlich ver-
schen. Der Sohn des ersten Barbaren auf dem römischen Kaiserthron, des
0. Inline Veras, hiefe nach den Inschriften, Mttnsen nnd einem ägyptischen
P^yms nidit If aximinus, wie der Vator, sondern Maximns, bei den lateinischen
Sdaifksteliem aber, soweit sie ihn ftborhanpt benennen, ebenso, nnd dieser
Irrtum zieht sich durch die gesamte Biographie des Capitolinns hindorch.
Wenn dergleichen aber bei den Trägem de» Purpurs vorkommen konnte, so
liegt es auf der Hand, wie sorgloe man bei den Namen der Unterthanon zu
verfahren pflegte.
Sobald gar ein Name aus dem Kreis dur üblichen heraustrat, bekümmerten
n<di die Sehriftsteller wenig um die genaue Form nnd schrieben ihn naeh
dem Gehör oder einer flQchtigen Lesung der Vorlage. Das Gognomen limesi-
oder Tinusiilieus des Terdienstrollen pritorisehen Ptifekten nnd Sehwi^er-
Täters des dritten Gordianus C. Furius Sabinius Aqnila hat Capitolinus r.u
M isitheus verstümmelt, Zoaimos zu Timesikles, Zonaras zu Timesddes (IX 100 £,
n 40.')) Noch willkflrlicher ist mit den orientalischen Namen nmgespningen
worden.
\ ifi Verderbnis haben unstreitig die Abschreiber ven?chuldet. Das cili-
cische Volk der Cietae ist im Mediceus des Tacitus wirklich au einer Stelle
(ann. VI 41) so aberliefert nnd nnr an der anderen (XH 56) rteht in ihm
iilschUch das in den Text aufgenommene Clitae (I p. 127, n. 831); ebenso
wenig ist der Lagerpi^ekt Mennins (anstatt ITEnnins) ann. I 38 auf Redmnng
des Geachichtachreibers zu setzen (II p. 35, E n. 45), der pratorische El)iin
tianus (statt Aebutianus) oder der Konsul Aemilius lunctus (statt Iimcus) auf
die des Verfassers der Vita des Comnmdus (6, 12; s. I p. 11, n. 80, Borghesi
Oeuvr. X p. 6i>, Vit. 4, 11, s I p. 2b, n. 234); in diesen i^^en ist die hand-
schriftliche Lesart überhaupt ktin römischer Name.
Im allgemeinen hängt natürlich die Frage, ob die Fehler dem Autor oder
seinen Absdbreibem miznschieben sind, von dem Grade der Sotgfiilt des ersteren
ab nnd anch von der Beschaffenheit seiner Übwliefarung. Unsere Phisopo-
graphie bietet uns für dieses Urteil sichers Anhaltspunkte. ZnTerlassigkeit
können die beiden Aristokraten Tacitos und Dio in Anspruch nehmen, in>
i^leiehen der Antiquar Sueton, wenn auch nicht unbedingte; sie schwindet, je
mehr sich der Historiker dnreh die Rhetorik gefangen nehmen läfst. Herodian
und die rhetorischen unter den Scriptores historiae Augiistae, Capituiinus in
seiner späteren Periode, Trebellius Pollio und Vopiscus, verdienen sogar in
allem Thatsachlichen nnr geringen Glauben. Auch an dem Ruf *alter, echter
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H. P«ter: PrOBOpographift Imperii Bomam.
43
Gelehnamkeit', dessen sich bisher Scholien zu JoTenal im Pithoeuuis und
San^enna erfreol haben» tat von Kleba nnd Deaaan atark gerttttelt worden;
nidit einmal der yorwuif der Erfindung wird ihnen kfinftig erapart bleiben
kennen; ihre Angaben Aber Acilius Ölabrio (n. 53, 1 p. 7), über Domitius (n. 101,
n p. 16), über Cn. Domitius Corbiüo (n. 123, II p. Aber den Mimen
Latitms (ii. S3, II p. 267) pind irrtilralich oder falsch.
Dariius ersieht sieb die äulsorste Vorsicht für die T«»xtesg<'staltiin|f.
Macrobius erzählt z. B. in den Siiturualieu (VII 3, lf)i von tiiRin rfltiiischiMi
Beamten 'Lucius Quintus' eine Anekdote^ die au» l'luturchü Tiuchgutiprüchea
(II 1, ö) entlehnt iat, in denen er aber Krhixog^ d. h. Quietus, heilai Trota-
deu darf man dieeen Namen nicht in den Text dea Maerobiua einaefaten.
Ratarch erwihnt ihn namlidi noch aweimal (de aera num. vind. c. 1 und de
firai. am. c. 1), aber das eine Mal hat die Überlieferung ihn in Kvviog^ das
andere Mal in Kvtvxog entstellt; darüber ist aUo kein Zweifel, dafs in des
Mucrohins Ilüiids^clirift der Tischjjespniehe KvitTog ^stfindfii hat. imr darnher,
ob 'Lucius' von Abschreibern interpoliert ist oder ob Macrobius Kvimiog ge-
le«on uiul ilann einen beliehigen Vornamen hinzugefügt hat; denn jener hoch-
angesehene Freund det> Plutarch hiei's Titut» Avidius Quietus (n. 1172, 1 p. 189
nach Pdnigs Quaeai Pluk p. 48).
Die Steine nnd Mttnsen aind also fttr una tou aufaerordentliehem
Werte fflr die VerToUat&ndignng der Namen nnd die Featstellung
ihrer Träger aowie snr Beurteilung der Glaubwürditrkeit der Schriftateller;
•ie ermöglichen uns femer viele streitige Punkte in der Chronologie zu er-
ledigen, welche durch die Rhetorik stark verwirrt worden ist; sie ergiinzen die
Btadtgeschichte, über deren Grenzen die Grefsehichtschreibung nur in der Kriegs-
fuhrung hinausreicht, und führen uns in daä Lel>en der Provinzen ein; einen
tiefereu Eiublick in die Kulhir, in die verschiedenen Qebiete der Keichs- und
StnatarerfMBung und in die einsdnen Perioden ihrer £ntwi<^ung, in daa Heei^
nnd Bel^onaweaen erhalten wir feat nur dnrdi sie. So epochemachende
Werke wie Friedlanders Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms und
Mommsens fünfter Band haben ihren Stoff zu einem grofsen Teil vnn ihnen
abgelesen, ttnd ihre Besonderheit beruht recht eigentlich auf ihnen. yVlso ich
bin voll durchdrungen vnn der Uberzengnng ihre? hohen Wertes und erkejine
uneini^eschränkt an, dals mit ihrer Ausnutzung eine neue Periode in der Er-
kenntnis des Lebens der alten Völker anhebt.
Doeh aber redet ans dieaan Monumenten nur adtan dm 0eirt der auf
ihnen genannten Manner und Frauen, und gerade der der hochgestellten am
wenigsten; kleine und dunkle, oft nidht einmal namhaft gemadite Exiatenien
lernen wir weit gründlicher kennen; die Bnechelersche Anthologie entrollt una
von solchen ein überaus reichea und mannigfaltiges Bild und halt das Interesse
in »teter Spannimg. Von jenen sehen wir nnr starre, steinerne Gestalten vor
uns, kein Leihen, Werden nml Vcrgehn; wir erfahren, weiche Amter tind Aus-
zeichnungen sie erreicht, aber nicht, was »ie erwtreht und verfehlt haben.
Gewii's sind die Charakterzeichnungen der Historiker infolge parteilicher Be-
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ichräuktheit oft einseitig und gefSrbt, infolge der Rhetorik obertiächlich und
sehabloiiflnliift) aber womi wir ihr HaSk* kennfln und duiadi abnehen, bleibt
uns ftr die ErlcemitiuB der huidehid«i Perf<men immor nodi mehr flbng, ak
niu die Monumente geiriIhreB kSnnen.
Es kommt hinzu, (lafs abgesehen von der unvermeidlichen Nennung in
den Fasten und bei Jahresbezeichnungen die aus dem Reich des Geistee be»
kannten Männer, selbst solche, die im Staate eine hohe Stellung eingenommen
haben, auf den Monimienten uns seiton begegnen. Mäcenas erscheint mir auf
Inschriften seiner Freigelassenen (n. 30, II p. 815), Asinius Pollio uuiser auf
den Triumphalakten nur in einem SenatsbeschluTs als bei der Abfassung des
IVotokoUs beteiligt (n. 1025, I p. 163), der Fhiloeoph Seneea (n. 45S, I p. 59),
GIuTiuB BufuB (n. 958, I p. 426), der Jurist Domitius Ulpianus (n. 146,
II p. S4), Gasrine Dio (n. 419, 1 p. 313) nirgends; die StoilEer Bdieineii nch
überhaupt vornehm zurückgehalten zu haben; es schweigen die Steine von P.
Clodius Thrasea Paetus (n. 938, I p. 423) und den beiden Helvidius Priacus
(n. 37 f II p. 120 f). Ferner fehlen auf ihnen sonst viel gerühmte Feldherm,
Antonius Felix (n. G59, I p. 95, wenn überhaupt, dann nur genannt als Ahne
eines Urenkels), Flavius Sabinus, der ältere Brtider des Vespasian (n. 231,
II p. 73, nur vermutungsweise wird eine Terstümmelte Inschrift auf ihn be-
zogen), Hotdeonine Flaoeua (n. 146, n p. 147), IuHub Agrieola (n. 84, II p. 161),
LueiuB QuietaB (n. 325, II p. 306) u. A., alhnachtige Freigetasiene, Edeetna
(n. 7), Spaphroditna (n. 61), Lieinns (n. 193), Nammii (a. 18, nur auf swei
Bleiröhren). Dagegen treten wieder auf zahlreichen Steinoi Namen auf, welche
TOn den Schriftsteilem entweder gar nicht oder nur gelegentlich erwähnt
werden; selbst in den kaiserlichen Familien steht die Nennung auf Inschriften
oft aufser Verhältnis zu der Bedeutung und Dauer der Regierung. Oft hat
natürlich der Zufall sein Spiel getrieben; der eitle C. Cornelius Gallus er-
richtete eich in ganz Ägypten Statuen und grub seine Thaten in die Pyramiden
ein, und roa dieser gesemten Betriebsamkeit nnd nur swd oder gar nur «ne
8^ur fltnrig geblieben (n. 1111, I p. 448). Sonst aber ist hierbei dem Streben,
sidi auf diese Weise uaslirblieh m maehep, dne entscheideiide BoUe ng^ülen.
Es wurde schon im Altertum bespöttelt; IVi^jaa hiefs deshalb der Mauer-
pfeffer und wurde noch von Constantin so genannt (Ammian. 27, 3, 8, Epit.
41, 13\ Indes einen gewissen Erfolg hat es sichtlich erzielt, und es stimmt
sehr gut zu dem Charakter des Cn. Domitius Corbulo, dessen Neigung, sich in
das gebührende Licht zu setzen, Tacitus bei aller Anerkennung wiederholt
scharf hervorhebt, dafs von ihm noch mehrere Inschriften zeugen (n. 123,
n p. 20 ty). Er hat dies Gebsren mit dem Tode gebfifet; andere treibende
Blemente haben sidi Toniehtiger mrllekgehalten und sind — mit Ausnahme
der Freigelassenen am Hirfb — eist durch die Litleratur n üanm Bedile ge-
bracht worden. Die Schriftsteller selbst haben fast durchgangig auf die Dauer
der Werke ihree Geistee grölseree Vertranoi geeetaL Feder und Meüsel föhren
*) Auch eine BOst« von ihm itt auf uns gekommen; Beraonilli ROm. Draoogr. I S. S71 iL
H. P«tor: FM>Miiogra|ilii» luparii BamBiü.
45
also nur selten sich berüiutnUe Kreise von Hür8<iiilichkeiten vor die Augen^
und die Überlioferung durch Steine weist weit klaffende Lücken auf.
Wir dflrfen ferner nicht vergessen, dab ivar im ganaen die letatere uns
die Namen EaTer]äeB%er und nammtlich Tollwifindigcr nennt, aber doch FUbler
auch in ihr sieh finden, die nicht immer von den Steinmetzen henrfihreo. Der
Sohn des Maximiuus Thrüx IieiTst auch auf einer hessischen Inschrift (Henzen
r>526) wie der Vater (s. oben S. 41), L. Aclius auf einer mauretanischen Im-
perator, was er niclit war (C 503, I p. V>2i')), ebenso falschlich auf einer
Metzer sowie auf euier alexandrinischen Münze der Sohn des Kai^ort» JVrtinax
(U 50, II p. 133); Druaus Julius Cäsar, der Sohn des Tiberius, fuhrt auf einem
SMn von Lehodea mit dem Vater das Cognomen Oennanieiu, das me nicht
beeeaeen haben (I n. 144, II p. 176 £) n. s. Es miüs binaichilich der
Olaubwfijdigkeit anch bei den Inschriften geschieden werdm; die oifKsiftllen
▼erdienen gröfsere als die priraten; unter jenen wieder nimmt sie ab, je
weiter mck der HerateUnngsort von Rom entfernt Mflnien wurden in den
Provinzen j*eschlapf»n , ehe noch die Namen der Kaiser j^nati beküTinl waren
(s. des Berichterstatters Biuh 'Die Script, hint. Aug.' 8. 150 f.). In späterer
Zeit richtete namentlich die Sitte, fie nur mit einem Namen zu bezeichnen,
Verwitiuug au^ die Gleichgültigkeit gegen die übrigen liefs diese überhaupt
vergessen ; dem Kaiser Marens INocletianns wird «nf InNlinlle& nad Mlbuwii
oft der Vorname Gains gegeben (s. a. 0.). Kur so war es mUgltcb, den
Kaiser Flavins Constantins in die Familie des berühmten Gotenhesiegers
H. Aurelius dandiOB andl auf Inschriften hineinzu^cb würzen (s. a. 0. S. 10 ff.).
Ztt einem so vorzfiglichen und unentbehrlichen Hilfsmittel ist daher unser
ünternebmen erst dadurch geworden, dafs auf die Sammlung der Namen
bei ISchriftsteilorn und ihre kritische FeftstcUun^ nicht weniger KleÜH und
Scharfsinn verwandt worden iät wie auf die Inuchrifteu und Münzen. Die
Arbeit, die es gekostet iiat, Widersprüche zu erklären und auszugleichen,
fthlende Glieder in dw Kette der Überlieferaag an erginaen, tritt selten an
Tsg^; hin nnd wiednr hat Klebe in Anmerkoiq^ hurse Begrflndnngen ein-
geschaltet, für gew^nolidk sind die Ergebnisse der Studien in wenig Worte
ansammengedrangt. Dieselben besieheD sich natürlich zunächst auf die Zu-
weisung der einzelnen Nachrichten an bestimmte Persönlichkeit^^ii, ihre zu-
verlässige Benennung und die saubere Klarlegnng der Verwandtschaftsverhält-
nisse. So wird namentlich in die dos Kaisers Valerian Ordnung gebracht. Er
selbst hiefe P. Liuinius Valerianus (n. 178, II p. 266), sein einer Sohn (Lic.)
Valerianos, der andere, der spätere Kaiser, P. Lic Egnaiius Gallienus; wenig-
stens wollte er sidi so genannt wtssm, wShrend anf den meisten Inschriften
und Mtlnsen Egnatius fehll^ anf einem Sgyptisehen Papyrus des Jahres 265 nnd
anf alexandrinischen Hfinsen daftlr Valcrianus steht (n. 135, II p. 278); die
beiden Söhne von diesem führten die Namen P. Lic. Cornelius Valerianua
(n. 124, p. 273 ff.) und P. Lic. Corn. Saloninus (n. 123, p. 272 f.); u)<h<^ wurde
auch dem ersteren das Oij^omen Saloninus beigelegt, auf das er als Sohn
seiner Mutter Cornelia Öaioniua Anapruch hatte, und dem jüngeren wieder
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H. Pvter: FNMipo|i[;nip1d* ]bnperü Bamud.
dieses nicht immor und dafiir Yalerianus. Durch di«'s LHl)vrinth hat nn»
Dessau den Weg gezeigt, obwohl auch er sich nicht über aiie insthrifteu und
Münzen sicher fühlt j die Schriftsteller reden hin und her und wissen sich
kdnen Rat Oder um in eine lichtere Zeit den Blick za wenden, so luben
wir mm des gesamte Material Uber die beiden Octaviae übenidiUich vor nne.
Borgheu (OeavT. V p. 139 f.) gebührt das Verdiene^ die Beuehnngen der Atta
maior, der Tochter der Schwester des Diktators Casar geordnet zu hahen;
darauf wird nun weiter «(« liiuit, und so wissen wir mit ziemlicher Sicherheit
(0 n. 44 und 45, II p. 42« ff., s. auch II S. 33S und Klebs hei PanlT-Wissowa
II S. 2257 f), dafs ihr erster Gemalil C. Octavius zuerst verheiratet war mit
Aneharia, die ihm die ältere Octavia (maior) gebar, die Mutter eines Sex.
Appuleius, Eons, im Jahie S9 t. Chr. (A 777, I p. 118); dann also nahm er
diese Atia aar Frau und wnrde durch sie Vater einer aweiten Oetavia (minor)
nnd danach des Kaisers AngDStus; diese aweite OctaTia, eine hochhenige und
feingebildetc Frau, ist es, die ihrem ersten Gemahl C. Marcellus (Eons, im
Jahre 54 t. Chr.) zwei Töchter und einen Sohn, den von den Dichtern so ge-
feierten und früh gesitorbenen Claudius Marcellus, den Soliwiegt^rsohn des
Kaisers, schenkte, dem zweiten, doni Triumvim M. Antonius, wiodpr zwei
Töchter, die Antonia maior, die (Jrofsmutter des Kaist'rs Nero ( A 7<K>, I p. KK»,
dies war nicht die jüngere Schwester, wie Tacitus ann. IV 44 und Xil l>4 irr-
tOmlich annimmt), und die Antonia minor, die Gttuahlin des älteren Drosus,
des Bmdera des TiberinSy die Muttor des Qexmanieas und Clandius und Orob-
mutter des Galigola (A n. 707, I p. 106 f.). Aus der sweiten Ehe der Atia
mit L. Marcius Philippus, Eons, im J. 56 t. Chr., kennen wir keine Kinder;
die uns aus Orid bekannte Marcia (s. Anhang zu meiner Ausg. v. Ovids Fasten
S. 105 f.) war die Tochter des rflpichnamit^en Sohnes dieses Philippus, des
K(»ns. im .1. ?>x v. Chr., der mit einer jüngeren Schwester dieser Atia, der
Atia minor, verheirat+^'t war iM n. 17.3, II p. 338).
Reicher Ertrag ist femer für die Chronologie erwachsen. Man möchte an-
nehmen, dals wenigstens die Hanptdaten ans dem lieben der Eaiser mit voller
Sicherheit flberlieüni waren; indes auch sie schwanken, und selbst der fln&ige
und umsichtige Clinton hat sich in dem Wirrwarr, das teils die allgemeine
Sorglosigkeit teils das rhetorische Vermeiden genauer Angaben, teils bewuiste
Fiilsi bung Terschuidet haben, nicht überall zurechtgefunden. Nach Vollendung
der Hrosopo^rmphie wird fiir die meisten ein c^enancs VerTieiclmis der l{e[rierun{rs-
zeiten gegeben und für die übrige Geschichte ein zuverlässiges Gerüst auf-
gestellt werden können. Ich begnüpfo mich jetzt mit eini<jon Hinweisen. In
der Überlieferung der nach dem Tode des Alexander Severus sicli rasch ab-
Idsenden Eaiser hatte schon Edchel (Doctr. num. VH 293) aufgeräumt; indes
stand er nodi unter dem Bann dw Daten in den ürkundra der Hiatoria
Augusta. Nachdem wir uns von diesen losgesagt (8.*Dte Scr.hist A.'8.227f.)
und in der Daiti rung der Constitutiones des Codex Instinianns zwischen den
Angaben Haloanders und denen der Handschriflim zu unterscheiden gelernt
haben (Eckhel hatte sie Tdllig aber Bord geworfen, s. Seeck, Eh. M. XLI
H. Pe(«ri FroaopoigtapliU Imperii Bomaiu.
47
S. löl ff.j, betrachtet Kleb« (I p. 96 ff.) folgende Zeittafel als zuverlässig, die
za weit gehende Vermutungen fern hält:
SmI Marz 235 Maximinus Kaiser.
238: im Febniur Erhebung des Gotdiairaa 1 (H. Antonius Gordtanna als
PriTKhaftmm, H. Ani. SemproniBniu Romamis Afncanna ab Kaiser,
geboren ca. 159, einmal unter OaracaOa Konsul, später T'rokonaul in
Afrika) und seines Sohnes Gordianiu II (mit denselben Namen wie der
Vater, geb. ca. 102) auf den Tliron in Afrikn;
— Ende Fehniar oder Anfiiii^ Man ihre Niederw<'rfun|f und ihr Tod nach
drfiw(k'h*ntlicher itegierung flB, Mar?, hh U. April Soeck a. O.);
— Ende März (oder kurz nachher) Tod des Maiimuius vt»r Aquileia (17. Juni
Seeck) and Erhebung des Hazimns und Balbinns auf den Thron, Er-
nennimg des dritten Gordianns (Enkel des ersten, Sohn einer Tochter,
geb. 825) anm dsar (beaengt ist er als CBsar tBar den 10. Hai);
— Mitte Juni Ermordung des Maximus und Balbinus (nach einer dreimonat*
liehen oder wenig längeren Regierung); Gordianus III alleiniger Augustna
(als solcher bezeugt für den 24. Juni) Anfang des Jahres 244.
Die Chronologie dt r unruhigen letzten zehn Jahre vor dem K<'gierungs-
antritt des Dioeletian ist namentlich durch das sechs bis sielienmonutlielie
Interregnum, welches Vopiscus und die Epitome zwischen Aurelian und Tuciluä
dnsehieben, gestört worden. So lauge hat es keinesfalls gedauert und die Zeit
wird folgendermafsen einsateilea sein:
Ql. Ciandins) Tacitos (n. 882, I p. 401) regiert (wahrseheinlich) seit S^
tember 275 sechs bis sieben Monate, sein Halbbruder (M. Annius)
Florianna (n. 488, I p. 64 £) seit Frfligahr 276 etwas mehr als awei
Monate;
(M. Aurelius) Prohua (n 12««, I p. 21 :V) Kaiser 276 bis in den Herbst 282
(so richtig 1 p. 199. die Zahl 2S1 auf S. 214 ist ein DruckfeWer)}
iM. Aurelius) Carus [ii. 1223, I p. 1Ü8) Kainer Mitte 282—283;
(M. Aui«lias) Oarinus (n. 1221, I p. 198) Kaiser Mitte 283 bis in den
Sommer 285 vnd mit ihm
(M. Anrelias) Mnmerius Numeriaams (n. 1282, I p. 211) bis in das aweite
Semester des Jahres 284; den 17. November 284 als Tag des Boginns
der fTerrschaft des Dioeletian mit Seeck (Untergang der ani Welt I
S. 409 ) anzunehmen ist Klebs geneigt.
Auch die üeh«rt87.eit der Angehörigen des kaiserlichen Hauses wird viel-
fkh ri< htiger oder genauer bestimmt, z. B. die des Titus auf den HO. Dezember
des Jahres .S9 gelegt, nicht 41, wie noch Schiller, Kon». KaisergescL I S. 518,
angiebt (F 264, U p. 79), die des Britanniens mit Wahrsdieinliehksit auf den
12^3. Febroar des Jabies 41; Sneton (Cland. 27) widerspricht sieh hier, indem
er ihn *Ticesimo imperii die' des Claudios (d. h. 41) und wShrend seines
sweiten Konsulats (d. h. 42) geboren sein läTst (n. 6G0, 1 p. 361).
Unter den Männern der Litteratur ist vor allem T. Claudius Atticus
Herodes (101/2—177) auf Inaohriften Tcrtreten; viele hatte er selbst verfaTst
48
H. Petor: Fk08opogt»plii« Impem BttmanL
oder einer seiner Familienangehörigen, andere waren dem eitel bekannten
and auf Änfteres becbuiliien raiehfiii Gfdmier tob Gtmeuideii, Franndei^ Sehmakii-
lem gewidmet worden; er macht eine Awanahmi» Ton der ▼omefamefen Haltung
da* flbr^^ imd kA unter ibami *Mmmf^elBt^. Nadidem der gelehrte
Epigraphiker K. Keil in Fauly« R^alf ncyklopadie I* S. 2096—2104 den ge-
samten damals zu^nglichen Bestand von Inschriften verwertet hat, beschäftigt
sich mit ihm Klehs I p. 3ö3 — 360 fC 055), indem er namentlich die atif den
gleichnamigeu Vater (n. 654), den Hedaer und die Söhne Ti. Claudius Atiliiis
Bradua Regillus Att. (oder M. Ätilius Att. Br. Reg., n. G4Ü, I p. 348), den
Konsul des Jahres 185, und den als Kind gestorbenen L. CL Vibullius Reg.
Herodee (n. 833, I p. 403, nur aus Insehnften bekannt) besflglidien Zeugnisse
Borgfaltig eoiheidet und die Aleia, die Keil zur wsten Qemahlin des Redners
(vor Annia Regilla) gemacht hatte (a. 0. S. 2102), als die frfih Terstorbene
Tochter (Marcia Claudia Akia Athenais Gavidia Latiaria) erweist (mit Th. Hejee
und Dittenberger, M 191, 11 p. 341); Beachtung verdient auch der Y(^rsuch^
den Streit dos Merodes mit den beiden Quintiliern, dem Legaten von Achaia
und dem Pr< k iisul, über den Philostratos berichtetj mit dem in dem Brief-
wechsel des Fruntu und Mark Aurel berührten in Verbindung zu bringen (p. 357 f.).
Von anderen Litteraten bat namentlich der Arzt Oalenos eine eingehende Be-
handlung er&hren (C 701, I p. 374 — 380), eine Ergänzung der AufUttBe too
J. Ubeig aber aeme Schriftetelleffei (Rh. M. 44 S. 207 ff, 47 S. 489 ff, 51 8. 16& ff
und 53 S. 1 ff). Inschriften zeugen nidit von ihm, auch von den Lateinern er-
wähnen ihn nur zwei spate (Hnfimis und Isidorus), desto häufiger die Qriechen,
aus denen Klobs, der Oberliaupt i* n Sc^hriftstollern frröfscres Interesse zugewandt
hat als sein Mitart)eiter^ etwa 200 Stellen zusamm^'n getragen liat, inn durch sie
und die An^ben des GalenoH selbst die Hauptdaten aus seinem Leben zu
ermitteln; die biäher geltenden stammten alle aus einer Abhandlung von LabbeuH
^ Jahre 1660), die nach doa ürteil Ton Etebs auch Clinton wiederholt hat
Über 8Mn Geburtsjahr (128/9) und seinen iweiten Aufenthalt in Rom, den
eine Berufung der beiden Kaiser Mark Aurel und Ywus nach Aquileia ver-
anlafst hatte, um der Pestgefahr zu begegnen, nach dem Tode des YeniS
(Jan. 1G9) bis zu seinem eigenen im Jahre 198 oder 199 war man im ganzen
einig; den ersten Aufenthalt aber hatte Labbeus auf die Jahre 164 — 168
verlegt, während jetzt Klebs (p. 377 1 ihn im Jahre 162 nach Rom kommen,
dort 163 — 165 bleiben und zu Ende des letzten Jahres oder Anfang des
folgenden in seine Heimat Pergamnm zurückkehren Hilst. An anderen Stellen
hat eine yosurteibfreie Übenidit fiber die alten Zeugnisse mr Ablehnung
neuerer Vennutungen gefthrt, s. B. bei dem Bhetor P. Aelins Aiietidea Theo-
dorus (n. 859, 1 pu 131); der Vemnch Waddingtons, Uber sein Leben Genaueres
SU bestimmen, sdieint Klebs mit Recht ebenso unsicher wie der von Schmid
gewaltsam zu sein; auch bei Apollonius von Tjana, dem Helden des 'Romans'
des Philostratos, werden die Grenaen unseres Wissens enger gezogen (n. 7ö0,
I p. 112 ff.).
Fragen wir endlich, in welchem Abschnitt der römischen Kaisergeschichte
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H. Peter: PWMOpogittplÜA Tmperii ftomsm.
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tlio Stf'ine und Mfinzfii <\io wertvollste Ausbexit«« fHi* dir- F('st.«tellunff dr»r i»e-
schichtlichen Thatsiirlx-n liefern, so niöchtt» ich von den drei JuhrbunderUn, dir
unser Werk unifulst, die zweite Hiilft^^ des letzten an »•ri^t«T Stelle nennen.
Nicht alB ob sie an sieh die reichste wäre; sie ist viehnelir im V'erhültuls zu
den abrigen Abschnitten dfirftig; in jener Periode des Niedergangs dee Reiches
nnter GallieniiSf in der es an eiiMin einheitliehen festen Willen fehlte und nur
die ihren eigenoi Weg einicUi^nde Energie einaelner Feldherm die Grenien
gegen da^^ michiigo Andiingen der Germanen und Perser behauptete, lag das
gesamte Leben so darnieder, dafs selbst die kunstlosen Aufserungen auf dem
Stein zurückgehen. Noch scliworer wiirde naturgemiifs die schriffstfllerische
Thatigkeit getroflfen, und iiU Dioclt tiiin und Constantin nuch auf dicscuj Gebiet
Mne neue Zeit herauftiuführen «ich bemühten, war die Verbindung mit den
guten Traditionen abgerissen; die unter dem Deckimintel der Rhetorik groß-
gezogene Hibachtung der Wahrheit vergiftete die gesefaiditliehen An&eich-
nnngen, nnd so flielÜ ihre Quelle für das Toransg^ngene halbe Jshrhundert
ganz besonders dOnn und trOb, sogar tOr die eine Zeit kng im gesamten
Reich anerkannten Kaiser. Mit der vorsicliti^rj^tcn Skepsis niilss<n wir die
Geschichte derjenigen Feldherm verfolgen, die in den Orensdändern aus ver
schiedenen Orflnden sich selbständig ma<]!f»ii und teils von GaLHenup seihst,
teil» Claudius und Aurelianna niedergeworfen wurden. Die I"hfilieferuiitr
unglücklicher Empörer ist an und für sich aiu uieiHten der Verdunkelung aus-
gesetzt^ in diesem Falle aber fafste eiu jedes Wahrheitsstimes barer Schmeichler,
Trebdlins PoUio, den Pkn, zu Ehren des Clandins, eines angebliehen Yoifiihren
des gefeierten Coostantins, seinen Vor^nger Gatlienns mit allen m^^Iichen
Vorwürfen zu brandmarken und durch Biograi^en von *Dreiftig Tyrannen',
d. h. nach dem damaligen Sprachgebrauch Thronpratendenten, Usnipatoren^ zu
zeigen, wie die besten Männer im Reich sich gegen einen solchen Kaiser
PHiporen mul'.sten, und dadurch die Thronerhebun^ des Claudius xn recht
IVrtiijen. Da« Werk war zunächst nur auf 20 Tyrannen berechnet und ist erst,
später den 30 athenischen Tyrannen zu Gefallen auf diese Zahl erweitt'rt
worden (*Die Script, bist Aug/ S. 37): ein solches Kunststück war aber nur
möglich bei der wilUcfirliehsten Verdrehung der Überliefenmg und bei eigener £r^
findnng sowie bei der rhetcnrisehen Ffobung^ mit der das Ganse ttbenogen wurde.
Nachdem nämlieli Ms in die letzten zwei Jahrzehnte hinein TrebeUitlS als die
Grundlage für die Darstellung der Geschichte der Dreifsig angesehen worden
ist, steht es jetzt fest, dnfs \mf* ein Trnrfbild ffetriusclit hat. Alle Thatsachen,
die in auffallender Weise den Gallienus niederdrücken und den Claudius ver-
herrlichen, dürfen wir von vornherein als verdäehti<; ansehen und sind au« h
bei den übrigen zu um so gröfserem Mifstrauen beriHihtigt, je rhetorischer sie
eingeUeidet sind. Die Oriechen und die lateinischen Epitomae bieten uns nur
Tereinadte Nadirichten and nennen nur wenig Empftrer; zudem sind jene
dun^ die grShsten Fdiler und Miftverslitidnisse entstellt und verdienen an
»ich nur ftlr die Ereignisse im Orient eine gewisse Glaubwürdigkeit. Der
Boden der sehriftstcllerisehen Überlieferung ist also hier ein ganz besonders
Mm* J«lirl>acb«r. ISUS. I. 4
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H. Peter: FroMpographi» Imperii Romani.
scUtlpfrigery um so Mher mfissen wir die fiwien Pniüdie tdaSItgiBa, die una
Steine und Münzen gemliuren und Kleba und Deaeau uns gezeigt haben.
Manche ^Tyrannen' verdanken überhaupt dem Streben des Trebellius, ihre
Zahl möglichst zu vergrSfsern, das Dasein, so der jüngere Postumus (Treb. c. 3;
s. Pros. I p. ii\0') xmd Victorinuf (c. 7, (iic ;inf ihn hpzngfnon echtrn Münzen
geboren dem ViitLi ), 'V-nsorinus (e. 3a, s. 1 j» '.VM\ f. i, wiihrscliciiilich die beiden
Söhne dt^a Odaenathos Herennianus und Tiiu<»lau8, in deren Nuuien ihre Mutter
Zenobia regiert liaben soll (c. 27. 28, s. II p. 135 und Monunsen, Köm. Gesch.
V S. 436 Anm. 4), Celsus (c. 29, s. I p. 3B4) und, wie ich glaub^ Trebellianu^
e. 26; an der einzigen Stelle nämlich, wo dieser Tjrrann noeh genannt wird,
Eutr. IX 8, hat Salmaraus (ad Treb. tjr. c 10) 'llegalianns* eingesetzt (bei
Paionios ist der Name ausgolaseen), unsweifelhaft richtig, da vorher Uly*
rien als Schauplatz der Empörung angegeben war, d.h. eben der des Hegalianus,
während den Trebellianus des Trobellius die Isanrier an ihre Spitze hciufon
hatten; dessen Bioi^rapliie aber ist liöchst dürftig und wie die des Aemilianus
(s. untenj nur durch Bemerkungen über Land und Leute zu einem gewissen
Mals erweitert; auch sein sonst völlig unbekannter Überwinder Camsisoleus
erregt so wie sein Bruder Theodotua, der dee Aemilianua^ Argwohn, und nach
allm, wa« wir sonst jetzt too den Schwindeleien des Trebellins kennen, die
Ableitung des Namens Ton dem eigenen. Bei Ballista ist wenigstma die An-
nahme des Purpurs erfunden (c. 18, s. I p. 227), vieUeicht audi bei Piao
(Schiller, Gesch. der röm. Kaiserz. I S. 835).
Über die ktirao Tvraniiis oinos Valens gab es zwei Nachrichten; nach der
einen (Aur. Vict. Caes. 21*, iJ, Epit. 2i>, 5, Polem. Silv. (^hrou. min. 1 p. 521
Momms.) fiel sie in die Zeit des Decius, nach einer anderen in die des
GaUienus und zwar nach Trebellius in das Jahr 201, in welchem sie durch
den Veraudi des Mararinns, den gefürchtetsten HeerfSlirer zu beseitigen, Ter-
anlalst worden sein soll (GalL 2^ 2. ijr. Id). Trebellius aber macht daraus
zum Zweck der Vermebrong seiner Liste awei Tersehiedene Personen (c; 19 n. 20),
wenn nicht <rar die spätere erst von ihm erfunden ist, um die Unordnung im
Reich unter Gallienus noch schwärzer zu malen (s. II p. 217, wo jedoch die
Stelle aus Ammian noch hin^uTiufttgen ist). Ähnlich scheinen mir die Tyrannen
Aemilianns c. 22 und Saturiiimis c. 23 nur Dnpliken zu sein, der erstero eine
des gewohnlich zu den Kaisern gerechneten M. Aeuiilius Atmilianu.s, der Ende
Mai oder Anfang Juni 253 in Mösicn von den Soldaten zum Kaiser ausgerufen
nnd Ton ihnen nach wenig Monatoi (September 253) wieder getötet wurde,
als Valerian g^n ihn heranrfickte (n. 213, I p. 25, y. Rohden bei Pauly-
Wissowa I S. 545 f.); aober der Epitome an einer auch sonst mit Trebellius
übereinstimmenden und verdächtigen Stelle (c 32, 4) kennt einen Aemilianus
als Tyrannen unter Gallienus allein unser Biograph (tyr. 22. Gall. 4, 1 f. 5,6. 9, 1),
herichtet von ihm aber nur, dafs er in Ägypten vom Volke zum Kaiser ge-
niaeht und von dem Inldhcrrn dt-s Gnllienns TIuxmIhIus be5<i«')i;t worden sri,
und versteckt .seine dürftige Ertindun<4s<ral)(: hinter allerlei Notizen über Ägypten,
um das Mafs einer Biographie auszufüllen. Noch weniger weifs er von Satur-
H. Poier: Ptoaopoigntpliia faaperii Bouniii.
bl
ninuB, nicht oinnial dm Land, in wp|ch<»in er sich /tim Kaiser aufwarf; seine
Tüchtigkeit int ein allen Tyraimen unter Ualiienus gemeinsamer Zug, der einzig
penonliehcy dab er den Purpur, den ihm die Sölden aufiswangen, absulehneii
snebte, ist tob dem echten Sataniiims, den I^rdbue besiegte (^Vopise. Satora.
7 — ^11), flbemommen (vgl. Treb. 23» 3 tand Vop. 9, 5). YopieciM verdankt
eeine Kunde nur dem Trebellius, die fi-äher für ihn geltend gemadite Mflnxe
iet nneeht (Eckhel VU p. 470, Cohen VI« p. i;3).
Namentlich aber hat Trebollin? die Chronologie der Tyrannen in GalHon
ffcfiil.Hcht. Postumuä Imt hier nach der zuvcrlässi^fii ('hcrhpfemnt; di»- IMacht
zt hii Jahre in der Hand jrehaht und zwar hiü in die Zeit des Claudius Cxifhicus
biueiu, wahr^eheiulich 2ä9 — 2G9, darauf Cornelius UlpianuB Laelmnu» M. Pia-
TonioB VidormnB swei Jabre (dies andi naefa einer Hflnxe) und «war eret^
nachdem Glandins schon Kftisor geworden war, M. ilnreliuB Marina, endlich
C. Pina Eanvins Tetriona, an deeaen Bekriegnng Aurelian nach dem Sieg fiber
Zenobia aufgebrochen ist (im Jahre 274 nach Clinton, s. C 397, I p. 309 ff.
E 71 f, II 39 f.). Wie hat dies nun Trebellius zugerichtet, um diese Namen
alle in sein Ruch, welches programmgemäfs nur die Tyrannen unter Valerianus
und Qallienus behandeln sollte, unterbringen und die Zahl 30 erreichen zu
können? Zuerst schrankt er die Herrschaft des Postumus, den er fälschlich
Julius nennt (tyr. 6, 6, er hiefs M. Cassianus Latinius P.), auf sieben Jahre
ein (OaU. 4, 5, tyr. 3, 4. 5, 4), womit also ihr Ende noch in die Regierung
des Gallienna fidlen wOide; bei Laelianoa (den er Lolltanua nennt) ISIat er jede
Zeit weg^ Mvina iftnml er nur drei Tage ein (tyr. 8, 1 f., zwei übrigens auch
AnreL Vict. 33, 9 ff., Eutr. 9, 9), wahrend er nach der Zahl der MOnzcn viel
länger regiert haben mufs (Eckbel VII p. 454, Prosop. 1 p. 210); die Über-
nahme der Herrschaft durch Victorinus und Tetricus wird in ihren Biof^ra-
phien selbst nur nach den Vorgängern bestimmt, jedoch in der des ClaudiuH
i4, 4, vgl. 7, 5) bei dessen Regierungsantritt die des letzteren vorausgesetzt, seine
Besiegung durch Aurelian zugestanden, so Jedoch, dafe seine in Wahrheit onr
swei Jahre dauernde Tyrannis (Anr. Viei 85, 5 in Übereinstimmung mit den
M Onaea) auf eine Hange' Zeit ausgedehnt wird (tyr. i4, 3), nm die Vorstdlung
m erwecken, als ob er und die flbrigen noch von Gallienus abgefiillen seien;
Victorinns wird, um Zeit m sparen, zum Mitherrscher des Postumus ge-
stempelt (c. 6, 1), wovon die Münzen nichts wissen (l p. 31 0\ Auch di«^
♦ 'hrnnolnpie und Geschichte des Aureolus hat Trchcllin^ 'itstclli. Der Kuhni,
thn besiegt und in Mailand eingeschlossen zu haben gt bührt nach Aurelius
Victor Cae«. 33, 18, der Epitome 33, 3 und Zonaras XII 25 (vgl. Zt)8. 1 40 i)
noch dem GaU^nu aelbht; wenn Trebellius ihn dem Kamer (3audinB snspricht
(tyr. il, 4 und in dem g^Usehten Epigramm § 5, Claud. 5, 1), dem er sich
nur ansgeliefert ha^ so hat ihn die Absidit geleite^ die Thaten dieses Kaisen
Qber Gebühr aufzubansdien, dem zu Liebe er auch das firflhere Verhältnis dea
.\uje(dus zu Gallienus verwirrt hat (n. 1338, I p. 219 f., wo noch die Nennung
aui dem Stein CIL Suppl. III 11999 hin7,ufTefngt werden mufs).
Trebellius Poilio hat demnach ttber die Geschichte des Gallienus und
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H. P«ler: PMiopognpbia Imperii BomMii.
GlAndiiui einen Schleier geworfe», der die Wahrheit uns ttitweder gar nicht
oder getrdbt oder go&lseht erkennen Biet. Wir mflbien seine Antoritat fiber>
hanpt Aber Bord werfen, wenn nicht wenigstens einige Angehen durch die
Münzen gesichert würden; i. B. erwBckxia die Söhne von Tyrannen als Teil-
haber der Herrschaft von vornherein unseren Verdacht, aher die des Macrinus,
Macrianus und (^uiftns ic. Ir?, 14' wenli'ii uns nicht nur als Caesares sondern
auch als Iinperatores durc h I\rtinzen })t'stäti}^t i ii. 371 1'., II p. 94), besonders
deshalb, weil sie sich im Besit:& eiuer der bedeutendsten Münzstätten des
Reichs^ Aleundrine^ befanden haben, ebenso dmrch Hfimsen und iDSchiiften der
jüngere Tetricns als Gisar, den einsäe Hfinxen irrtOmlich zum Augustus
machen (nicht TrebeUias, s. tyr. 25, 1). Andere Namen werdot anderweitig
geschfitzt; der Antiochener CyriaJcs, der die Reihe eröflnet (c. 2), kommt
sonst nirgends vor; der Name ist jedoch eine Ubersetzung des aus dem aramäi-
schen Mürjäda ('der Herr erkennt't PTitstandcnen Mareades oder Mariades oder
genauer der ersten Hälfte des \N'ort*;s, da man die zweite als ^iechische Ab-
leituiiifssilbe deutete (Friinkel im Hermes XXII S. G49), und von diesem als
Verrüt*;r seiner Vaterstadt berichten wie Trebellius von Cyriades, so sein Lands-
mann Ammian (XXm 5, 3), der Syrer Ifolahe und der Fortseber des Die
(ftf n. 201, II p. 342 f.); grieehisch-Byrische Doppelnamen sind anch sonst
nicht sdten (Hommsen, Rdm. Gesch. T S. 452 f.). I>«r Sdhn des Odamathoi^
der ab Herodes bei Trebellius erscheint (tyr. 16, 15, 2; 5, 17, 1, Gall. 13, 1),
wird vielleicht licbti»^ mit dem Septimius Vorodes zahlreicher Inschriften
identifiziert (H n. 114, II p. 143\ sein Vetter, als sein Mörder uns auch aus
Zonaras (XII 24) bekannt, Maconius nur von Trebellius genannt (tyr. 17. 15, ö),
mit dem paimyrenischen Grofsen namens Ma'nnai (M n. 56, U p. 322).
Von den noch übrigen der 32 'Tyrannen unter Vaierian und Gallien'')
ist Victoria oder Vitruvia aosanscheiden, weil sie auch nach Trebellins den
Purpur nicht getragen hat (c 31), such "Titus* (c. 32, s. Max. 11, 1), der aus
Herodian als Kovagtlvos bekannte Verschwörer gegen Uaximinne Thrax (s.
*Die Scr. h. A.' S. 54 f.); bekannt sind der Paimjrener Odaenathos (c. 15)
und seine Gemahlin Zenobia (c. 30); endlich ist Tnjrpnuuf» (c. 9) durch die
übrige lateinische Überlieferung, Aurelius Victor. Eutrop. Ornsius, Pnlcmius
Silvins, auch Ammian und durch die Griechen Zonaras und den Anonymus
post Di«)nem (u. IS, 11 p. 152), Kcgalianus durch Aureliua Victor (Caes. 33, 2i,
die Epitome (32, 3), Eutrop (9, 8) und MQnsen (Cohen VI* p. 9 f.) gesichert,
wenn auch bei den letaten Tier die gssohiditlieh feststehendem Thatsaehen von
▼ielen Erdichtungen umhflllt sind.
Die Zahl der 30 oder 32 Tyrannen beschränkt sich also auf 11, die nach-
weislich gegen Vaierian oder Gallien sich empört haben, die übrigen, d. h. die
in Kap. 2 und 4 — 8 und alle von Kap. Ib an mit Ausnahme der Zenobia in
V Die erste Ausgabe d«8 Sammelwerk« dea Trebellius «nthielt unter den 30 Timmen
anrh 7woi Fr.ition : wi>^'cn die^LT 'lyrannao vr! tyrantiideH* erfuhr vr indes den Spott von
Kritikcru uind fü^ deiiliälb noch zwei Miltuicr, den Tita« und Cenaoriniu, bioxu \tjr.
0. St, 7 fll).
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H. Peter: Proaopognphi» Imperü Romani.
53
K&p. a(>, gehören entweder in eine andere Zeit (Laelianus, Victorhiuii sen.,
Marias, Valens siip., die beiden Teiricus und Titus) oder baben den Purpur
ntcbi angenonunen (Gyriades, BaUista, Piso, Yicfcoria) oder sind Fllflebungen
de« Trebeilins (Postumus jun, Yictorinn» jnn., der jangere Yalens, Aemilianus,
Satuniinus, Trebellianus, Herenniaous, Timolaiis, Celsiis, Censorinu»). Die
'DrfiTsit; Tyrannen unter Valerianus und Gallienus' mögen also hiermit von
der Schaubühne der Geschichte abtreten.
Die Prosopo^aphia Impirii HoTiiiiui kann und wird noch zu manchen
trucbtbartn Forschungen und Betrachtungen Anregung und Stoff lieferuj ich
reelme dasa x. R die Aber die Zu- und Abnahme der Tomehmen römiflchen
6e«cblechter. Ihre Bedeutung für alle diejenigen, die sich mit römischer Ge-
schichte beschüfligen, ghrabe ich jedoch genflgend daigelegt zu haben; und nicht
tveniger wertvoll ist die Erleichterung, welche sich die Schule von ihr ver-
»precben darf, namentlich für die Erfcfömng des Tacitu8, auch insofern, als
die Ausgabe von Xip]irr(iey nnnTnebr von den fUr die Schüler nntsloaen Zitaten
über Personalien «nilastet werdeu kann.
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I
DIE DEUTSCHE PHILOLOGIE UND DAS DEUTSCHE VOLKSTUM.
Von HsXMAMN WmmmtuCB.
In dem Vorworie zum Dpntschen Worte rbudu! schrieb Jacob Grimm am
2. März 1854 die Worte: 'über eines solchen werke» autritt musz, wenu ea
gedeOien «oU, in dw hSlie «in lunlbriiigeiideB gestira Bchwobeo. ich erkannte
ee im einUttog xwder zeiehen, die sonit einaader abetdieii, hier aber von den-
selben inneren gmnde getrieben eieh geoahert batbm, in dem anfiwhwnii^
einer deutHchen philoIogie und in der empfönglicbkeit des volkes für seine
muttersprache, wie sie beide bewegt worden dareb erstwkte liebe zum vater^
lande und untilgbare begierdo nach seiner festeren einigung* Was hier vom
Wörte rbuch gesagt wird, gilt auch von den anderen Aufgaben unserer Wissen-
schaft, von unserer deutschen Philologie überhaupt. Nur mufs entsprechend
dem weitereu Raum, den ein au bestimmten Anlafs, bestimmte Zeitgrenzen
gebundener Ausspruch dardi Yerallgemeineruug gewinnt, die *enlarkl» liebe
Eom vaterlande' die in ten ÖOer Jahren ihre Bethatigang mehr nach anben
wendete, dieie am ihide des JahrhnndertB mehr im Inneren, in der Tiefe
suchen. Die Liebe anm Vaterlande wird aich hier in eine veretindnisToIle
Liebe zum Volkstum omwandehi.
Ein heilbringende«? Gestirn nennt es Jacob Grimm, wenn von snldien
Emphndnngen getragen eine deutsche Philologie und ein für die Muttersprache
empfängliches Volk den Einiguugspunkt finden — zwei Zeichen, 'die sonst
eiuander abstehen'!
Anf dm ersten Blick kSnnte es sofaeinoi, als ob gerade in nneerer Zeit
wieder ein solch glücUiefaer Angenbliek gekommen sei, wo die weit abstehenden
Zeichen anfe Neue an «nander getreten seien. An der BmpfiKn|^ehkeit weiter
Volkskreise für die Muttersprache ist angesichts der Thatsachen aar Zeit
weniger als je zu sweifeln. Aber die Wissenschaft? Ist auch sie getragen
von dem Bedürfnisse solcher Annäherung? Eine Antwort auf diese Frage
giebt vielleicht die lehhaftr. t«*ilwci«e gereizte Polemik, die sieh an eine AuJserung
Rudolf Kogels knüpfte, Kogel liatte in der Einleitung zu seiner Gesehichte
der deutschen Litteratur (1894^ die Überzeuguug ausgesprochen, dafs 'nach der
grammatisolien Hoehflnt' der achaiger Jahre in den nennsiger Jahren nunmehr
der Idtteratnrgeschidite, die fftr den Beruf des aukfinftigen Lehrers weit wich-
tiger Bei *als alle Kenntnisse auf dem Qebiete der historischen Lant- und
Flexionslebre*, wieder die ihr allein gebührende Stellung im Mittelpunkte der
germanistischen Studien eingeräumt werde. Nicht so sehr die Behauptung er-
regte Widerspruch, dafs fOx den künftigen Lehrer, für den Bildnw der heran-
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H. Wttiideriicli: Die denlaehe Phflologie und du deutwii« VoHntum. 55
wachsenden Jugend, die LitteraturgescUichttJ iit höherem Grnde Bilduii^Miiitt*;!
darbiete, als die Laut- und Formenlehrej vielmehr wurde der Anspruch als
*lMnausiflch' befunden, dab Ton aolchen Encheuiangen des tbateüehliehen Lebens
irgradwie aneh die Pflege der WiBaenecluift berOhrfe werde. Die beiden Zeichen
Jacob Qrininu scheinen in dieeer lefaEterwahnten Ansehanni^ nidit nur sehr
weit ab zu stehen, sie haben hier (Hk rhaupt kein Vt rhaltnis mehr zu einander.
Man kSnnte einwenden, daf» diese Auffassung in der Polemik zum Vorschein
giekommen war; dufs der Gegenwehr immer eine Kraft innowohiit, die nm so
weiter Ober ihr Ziel hinausschiefst, je weiter nach der entgegengesetzten Beite
der Gegner das seiuige gesteckt hatte. In der That leidet ja auch der Aus-
spruch Kögels an bemerkenswerter Einseitigkeit^ er verwendet ein Moment, das
bei der Beurleilnng einer Epodie wissensehallilidier Leistungen mit in Frage
konun^ als den einaigen Mafisstab, der angelegt werden könne.
Auf diese beiden Punkte mddbte idi xunichst die Aufinerksamkeit lenken:
nicht die einzelne wissenschaftliche Leistung ist es, die an der Frage nach
ihrem Nutzen für die Allgemeinheit gemessen wird — das thut auch Kogel
nicht — sondern der wissenschaftliche Ertrag piir/.er Arbeitsepochen. Und
zweitens fineh für diese letzteren j»iebt die I'iatfi' der Bedeutung ffir diis Ganze
nur einen Mafsstab unter mehreren, aber .-»ie ist nicht der einzige VVertraesser.
Das wissenschaftliche Einzelwerk steht zunächst ganz im Rahmen eines
ei^feren Arbeitsgebietes; es kann Uber diesen Rahmen in den Ergebnissen
hinansgreiftn, aber seine Bedeutung hSngt davon nicht ab; diese wachst nnd
fallt mit der Sicherheit, mit der die gestellten Probleme geldst sind, oder mit
der Fruchtbarkeit, die diese Probleme zunächst für das engere Fach haben.
In diesem letzteren Moment allein liegen dann die Verbindungslinien mit
anderen Znsammenhängen, so mit den Einzelwcrken des eigenen Arbpit«;«jebietes.
In diesem höheren Zusammenhang gewölmlich treten erst die weiter tragenden
Wirkungen hervor; Wirkungen, die von einem Wissensgebiet in das andere
reichen; Wirkungen, die ans der Wissenschaft lünans ins Leben fOhren. Daraos
ergiebt sich eine Mannigfoltigkeit der Wertmesser nnd Mabstabey nnd nach dem
Gesagten wird es anch kein« Mifsdentung mehr untwliegm, wenn im folgenden
nur ein einsiger Wertmesser ans der Vielheit herausgegriffen wird; ein ^T !
stab zudem, der Beziehungen aufdeckt und beleuchtet, die gerade auf dem
Gebiete der deutschen Philologie besondere Bedeutung gewonnen haben und
wieder gewinnen können.
Die ersten Anfange einer Besch iifti^nmg mit deutscher Sprache und Litte-
ratur reichen in eine Zeit zurück, in der sich der Aufschwung wissenschaft-
licher Forschung an der Empfänglichkeit weiter Volkskreise mtEflndete, in die
Zeit, da der Humanismus der Reformation die Wege bahnte. In einer ahn-
lichen Epoche liegt anch der Ausgangspunkt unswer deutsehen Philologie,
die sich in dem Zeitpunkte hervorwagte, da die beschauliche Periode der
klassischen Dichtung von den Stürmen der Befreiungskämpfe durchbrochen
wurde. Weitabstehonde Gestirne treten du auf entern Kanme zusammen, es
ist von Bedeutung, wie nahe sich der Begründer der deutschen Philologie in
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56
H. Wunderlich: Die deutsche rhiloiogie uud dun deutsche Volkstum.
gwiz beatimmton Fragen Beines Arbeitag^bietes mit einem Hanne berührt«, den
wir sonst in gjua anderem Znaammenhange zu wQrdigen pflegen. Jacob
Grimm, der nun den Bedrängnissen der ri<>gt>nw:irt in die weiioston Femen
der Vergangenheit flüchtete, um die deutsche Volksseele in iliter Freiheit und
Reinheit zu belauschen, und Friedrich Ludwig Jahn, der Turnvater, der
dieser Seele einen für die Qegenwurt hrauchbaicn Körper formte, der ihr mit
dem neu gpMhaSB&aea Worte 'dentsehes Voftsbim* auch den richtigem Namen
gab. Eine Fülle ron Veigleichungspunkten liefee sich sdion aus dieser all-
gemeinen Gegenüberstellung beider MBnner gewinnen, fllr unsere Au^be dar
g^en iat es geboten, den Blick im Besonderen auf Jahn und dessen noch
immer nicht genflgend gewürdigte Schriften zur deutschen Sprache zu richten.
Jahn liat sclion im Jahre 180() «eine Schrift veröffentlicht: 'Bereicherung des
Hocluleiitsclien Sjiriichschatzes, versuclit im Gebiethe der Sinn Verwandtschaft,
ein Nuclitrug zu Adelungs und eine Nachlese zu Eberhards \V(>rterV»nch* (vgl.
jetzt V. L. Jahns Werke herauHgeg. von Euler I 23 Ü.j. Wenn uus hier nun
Berfihrungen mit Jacob Qrimm entgegentreten, so WMden diese freilich wieder
▼on bedeutraden Gegenraiien swisehrai beiden Ifönnem durchkreuz^ f&r die wir
die seitlichen Unterschiede nicht anfinr Acht lassen dürfen. Die Berührungs-
punkte liegen vor allem in dt-r Abwehr gegen die Enghttligkcit einer ab-
sterbenden Sprachtyrannei, wie sie dureh Adelung ausgeübt worden, sie liegen
aber auch noch tiefer, in der gemeinsamen Auffassung, dnfs die Sprach»- nirht
ein wissenschaftliches Pnlparat, sondern eine Lebens'axil'serung sei, die nur mit
dem Leben selbst im Zusammenhang erfafst werden könne. Diese Überzeugung
bricht bei Jahn ätürmiiicher durch alü bei Jacob Grimm, »ie führt ihn vielfach
auf Abwege; ne se^ ihm ab« auch gelegentlieh ein Ziel von weitem, das
fttr Jacob Grimm unsichtbar blieb. So steht Jahn an manohon Punkly wo er
von Jacob Grimm abweicht in engerer Fühlung mit Bestrebungen der heutigen
Wissenschaft; in einer <^rofsen Zahl von Einzelheiten allerdings ist er anderer*
seits ein Vorläufer von volkstümlichen Bestrebungen, die der heutigen Wimen-
Bchaft feindlich gegenüber st^hett.
Bedeutsam ist, dafs Jahn au Eberhard anknüpft', das Schwergewicht
seiner Polemik jedoch gegen Adelung richtet. Der Kampf wurde auf dem
Gebiete der Wortforschung gefuhrt, einem Teil der Grammatik, für den da«
IS, Jahrhundert die ihm m Gebote stdienden llittd in gans anderem Halse
ausgenfltst hat, als das 19. Von Adelung lag vor der *Yersach eines voll-
ständigen grammatiseh-kritisehra Wörterbuches der Hochdeutsehen Hundar^
unter beständiger Vergleichnn«^ der übrigen Mundarten, besonders aber der
oberdeateehen*, Leipng 1774 tl , der 1798 £f. in der zweiten Aufli^ und in
Atisziicrpu erschienen war. Adelnnp; hatte den Wortschatz in der üblichen
alphabetischen Reihenfolge vorifeführt; bei dem einzelnen Worte hatte auch er
der Etymologie bereits eindringendere Betrachtung geschenkt — Ireilich mit
unzureichenden Mitteln — aber als Hauptaufgabe seines grammatisch-kritischen
Wörterbuches betrsditete er die geeeiagebende Thatigkeit des Grammatikers.
Nicht die Erkenntnis der tieferen Zusammenlege des Einselwortes im Innern
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H. Wanderlicl): Die deutsche Fliilologie und dan deuUche Volkstum.
57
des 8]irMlilebeii8 war die Au%abe, die ilin reide^ Hondern die iiiJ«ere Stellung
des Wortes im WorisclifttK, die Rangordnung, die ihm ?on Seiten einer eng-
horzigen Stilistik zuzuweisen war. Es ist ju niin bekannt^ dafs Adelung wenig
GlQck mit seinen Festsetzungen und Entscheidungen hatte. Die filhron<lcn
Dicliter liefsen sich in iliren schöpferischen Oestaltungen wenig durch ihn be-
eiutiussien, und diu Grammatik selbHt wuitk' durch die neu erweckte ver-
gleichendr Sprachwissenschaft ganz und gar von den Aufgaben abgelenkt, die
ihr Adelung liatte an&wangen wollen. Aber in der Theorie hatte Adelung
weniger Widerspruch erfahren, und darum sind gerade Jahna AusfÜhningen
▼on Interesse. Nicht so sehr um ihrer Einzelheiteii willen; wenn es auch Be-
achtung verdient, dafs -Talin Worte wie 'schleeht', *Hafs', *hehr', *Hami', 'Seher*,
'Qeschmeide', *InJand', 'Ausland' und andere zu verteidigen hatte. Dodi wich-
tiptr war der prinzipielle Standpimkt, den Jahn einnahm. Mit manchen seiner
Zi'itm tioHscn hat er es ja gemein, wenn er den Ausdruck 'hochdeutscln' Mimd-
art' bekämpft, wenn er eine hochdentfche Schriftr und Umpanfrspriiclu' den
Mundartcu gegenüber äteiit, und wenn er für den VVortücbutz eiiieu ununter-
brochenen Austausch swiseben diesen Omppen fordert und emr^ Aber ihm
eigen ist neb«i der Lebhaftigkeit^ mit der or diesen Forderungen nachkommt^
eine Kenntnis des Wortbestandes der TersdiiedensbHi Mundarten, die er wif
Folswandemngen durch das deutsche Land erworben und aus Nach<;clilagc-
werken spater ergänzt hat; ebenso ist ihm ei^n eine grolse Empfänglichkeit
ftir die Sinnverwandtschfift und für die Bedoutnnfr=iabjTrenznnj; der einzelnen
Wörter. Daher yeine Neif^ung für das Werk von Eberhard, den 'Versuch
einer allgemeinen deutschen Synonymik in einem kritisch -philosophischen
Wörterhuche der sinnverwandten Wörter der hochdeutschen Mundart' (1795).
Aus der Synonymik mufste von Tomdierein wied» reidm^s Leben und frische
Anregung in die durch Bangatreitigikeiten ausgetrocknete Wortforschung kommen.
Der Krds der sinnverwandten Formm reiste dasn, fttr die Tetschiedenetn Kon-
kurrenten einen gemeinsamen Untergrund zu schaffen und auf dieser Gnmd
l^e der Einzelform ein anschauliches Sonderdasein abzugrenzen. Das belebte
einerseits den gcschiclitliclicn Hinterfjr^ind, es zeigte auch, wie be^ltinlmte Gcj^en-
sätxe in den Unterschieden einzelner Formen immer wieder sicli abspiegeln;
andererseits führte es durch mannigfache Versuche der Bedeutungsentwicke-
liing hindurch auf das Lehen zurück und liefs ahnen, dals auch die Worte, die
em Volk Terwendeft^ NiederschlSge des Lebens sind, die es fiUurt Gerade ent-
gegengesetsten Weg war die alphabetische Darstellung in den ttblidien Wdrter-
bOchem gegangen. Noch die Wörterbücher des 17. JehiliundertB hatten, ob-
wohl praktischen Zwecken dienend, das Sprachleben in reicheren Formen wieder-
gespiegelt. Mundartliche Verfitliiedenheiton hnttcn in der damaligen Entwicke-
lunp^epoche der Schriftsprache noch i^oinz andere praktische Bedtnitun*!. da sie
in den einzelnen Schriften, sofern solche iftrade ihren Leserkrei.s ül)er die
Stamm^grenzen des Verfassers hinausschoben, das Verständnis vielfach er-
idiwerten. Altes und Neues lag im lebhaften Kampfe, und die Worterbndi-
schreiber hatten fllr alte Formm eine besondere Vorliebe, namentlidli wenn
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58 H. Wunderlich: Die deuUche Philologie und dm dcuUche Volkstum.
diese in Sprichwörtern und Redensarten in die neue Zeit hineinreichten. Und
ahnliche Bestrebungen hielten sich hier noch lange; im 18. Jahrhundert noch,
da auf den übrigen Gebieten der Grammatik die gesetzgebende Thätigkeit in
voller Blüte stand, war auf demjenigen der Wortforschung das Bestreben
geltend, den Reichtum unserer Sprache im Wörterbuch aufzustapeln. Erst
Adelung ist es eigentlich, der die Grundsätze, die er in der Grammatik be-
thätigte, auch auf das Wörterbuch anwandte. Und weil die alphabetische
Reihenfolge, die ein Wort um das andere vorführt, keinen eigentlichen Zu-
sammenhang und keinerlei innere Verbindungslinien darbietet, war sie besonders
geeignet, die Schäden der Adelungschen Betrachtungsweise blofs zu legen.
Umgekehrt entsprang für Jahn aus der blofsen Vereinigung der syno-
nymischen Darstellung, wie sie Eberhard verfolgte, mit der Polemik, die er
gegen Adelung führte, eine Fülle von Anregungen, die ihm manche der philo-
logischen Kenntnisse aufwog, deren er damals noch entbehren mufstc. 'Aus-
steuer', 'Ausstattung', 'Mitgift', 'Brautschatz', 'Heirat.sgut' setzt er zum Beispiel
in Parallele (S. 59). Die Bedeutungsabgrenzung sucht er aus der Beobachtung
von Volksgebräuchen und aus der Mitteilung geschichtlicher Vorgänge klar zu
machen. Stellen aus Dichtem führt er an, nicht um dadurch die Berechtigung
des Wortes zu begründen oder zu bestreiten, sondern um das Fortleben dieser
Bedeutungsabgi-enzungen zu veranschaulichen. Der Etymologie spürt er nach,
nicht um seinen Ausführungen einen gelehrten Hintergrund zu geben, sondern
um damit den Zusammenhang zu gewinnen mit der auch von ihm verehrten
Denkungsweise einer entschwundenen Zeit. Denn die Sache ist für Jahn un-
zertrennlich von dem Wort, und das Wort kommt für ihn als sprachliche
Hülle nur in Betracht, soweit diese Leben und Inhalt birgt. Bezeichnend ist
die Entrüstung, mit der er die nüchternen und handwcrksraäfsigen Rezensionen
begrüfst, die dem Buche Eberhards in den Fachkreisen zu Teil wurden: 'Ist
hier an den Aufwand von Mühe imd Zeit gedacht? an des Gegenstandes
Wichtigkeit? an die Ehre des deutschen Volkes? In seiner Muttersprache
ehrt sich jedes Volk, in der Sprache Schatz ist die Urkunde seiner
Bildungsgeschichte niedergelegt, hier waltet wie im einzelnen das Sinn-
liche, Geistige, Sittliche'. Sind in dem letzten kurzen Satze bereits die
Grundsätze klar ausgesprochen, auf denen unsere heutige Bedeutungslehre recht
eigentlich fufst, so möchte ich noch mehr Wert auf die Empfindung legen,
die den ganzen Ausruf durchdringt; sie würde heute noch manchem Werke
von tiefster Gelehrsamkeit wohl anstehen. Ein paar Beispiele mögen andeuten,
wie Jahn in bestimmten Fallen, wo seine sprachlichen Kenntnisse denen seines
Gegners nicht gewachsen waren, doch durch die Kraft seiner auf das Ganze
zielenden Beobachtungsgabe obsiegte. Adelung hatte z. B. (I 1299) das Wort
'Degen' mit Recht an die Gruppe jener fremdsprachlichen Substantiva wie
fninz. 'dague', ibil. 'daga', schwedisch 'daggert' angelehnt, die eine spitze Waffe,
einen Dolch bedeuten. Irrtümlich ging Adelung jedoch noch weiter und suchte
das Wort mit althochdeutschen Parallelen auch für die germanische Zeit fest-
^ zulegen. Mit sprachlichen Gegengründen vermochte Jahn hier nicht bei-
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H. Wunderlich: Die doatache Piiilolegie und das deutoche Volkatum. 59
lokommen, er «aif sieh auf das knltocgewfaiditUdie Qebiet und spielte den
Philologen gegen den einseitigen Linguisten ans: 'aber die Deutschen sogen
▼OD jeher den Hieb vor, hielten ihn, wie auch noch jelst unsere Krieger, für
minnUoher and wackerer. Ihre ältesten Haugewehre waren nicht som StoDuen
eingpricht^it' (S. 72). In dor That hat die Forschung seitdem naohgewiesPTi,
dais das Wort *Degen' WattV nicht vor dem IG. Jahrhundert in unserer
Sprache auftritt, uiul duls wir in ihui ein Lehnwort zu erblicken liahen. Diu
Freude am kulturget»chichtlicheu Ertrag seiner Sprachstudien bekundet sich
hei Jahn sdum dnrdi die Auswahl der gebotenen Er^msongen. IMese nehmen
flbnall auf Sitte und Braoeh des Volkes, eimEelner Stiünme Bezug. Sie wmdM
sieh gegen eingerissene MirsbiSaehe and sndieii diese in dem entsprechenden
Namen zu treffen» od« sie hoffen durch Einbürgerung eines guten alten
Wortes auch einen vergessenen Brauch, eine entschwundene Denkungsart
wieder r.n beleben. Man soll über dipses Bestrehen honte nicht vornehm
lächeln, denn die Beziehungen zwischen Wort und Sache und die Rückwirlningen
Tom Einen zum Andern sind durchaus nicht aus der Luft gegriü'en. Und ein
p<»itiver wissenschaftlicher Ertrag ist ebenfalls nicht abzuweisen. Die Wörter-
hltcher onseres Jahihundsrts haben sich viel£ach gerade f&r mnndartlidie Aus-
drfieke an dem bereichert, was Jshn hier nebenbei darbot, und fttr manches
andere wSren bei ihm nodi hente Einselheitn su gewinnen. Das Wort
'Schwindler', dem Kluge kürzlich in der Zeitschrift des allgemeinen deutschen
Spraehverräis (12. Jahigang S. 20) auf seine englische Abkunft nachspürte,
ist von Jahn mit ausgiebigen Litteratumotizen eingehend behandelt worden, und
di' Hf Hebevolle Darstellung ertährt gerade durch die Veröffentlichung von Kluge
ueue Beleuchtung. Trefleud zieht Jahn die Scheidelinie zwischen 'bieder' und
'brav', von denen er das erstere gegen Adelung verteidigt (S. 66), und knüpft
daran einige Bemerkungen, die noch heute Beachtung verdienen. £s ist nament-
lich bemerkenswert, dais die Gsdanhen, die hier von dem Volksmanne gegen
die sOnftige Qelehrssmkeit geltmd gemadit werden, heute umgekdhrt ein
Gemeingut gerade der wissenHehalÜichen Forschung sind und von dieser gegen
cir r rlurch breite Volksmassen getragene Lehre verteidigt werden müssen.
Jahn führt aus: 'der Sammler und Auswahler des Wörterschatzes könnte hier
(wo er die beiden Wörter 'bieder' und 'brav' scharf abgegrenzt hatte) ftiglich
aufhören; aber dem Freunde der deutschen Sprache wird man eine gewisse
Weitläufigkeit zu Gute halten . . . Die Muttersprache ist ein Gemeingut aller
und jeder Glieder des Volks. Zum Alleingesetzgeber ewiger Vorschriften ist
auch der grölseste Sprachkenner nicht befugt; er mu& seine Meinung be-
scheiden sls Bill Tortnigmi. Kann er den menschlichen Geist nicht in ewig
daoemde Sehraaken üswea, ihm alle mSgliehen Begriffe im Voraus abzählen,
80 verfolge er nicht gleich Wörter mit Acht und mit Bannstrahl. Tödten ist
leichter als lebendig machen, der Wörterbuchmacher ist nicht zum Blutrichter
berechtigt, und eigen tflmlicb*' ntxl treffende W5rter einer Sprache vertilgen
Wollen, ist ein Mordversuch gegen liir Sein und Wesen' (S. 67). Begreiflich ist
es, dais m anderen Punkten Jahn über das Ziel hinaustrifft, und es zeigt sich,
60
U. Wunderlich: Die deutsche Pbilologic und das deutecbe Volkstum.
(lafs er mit diesem Übermafs gerade den volkstümlichen Bestrebungen der
Qeganwart lüiho koiimit. So ist er z. B. ein besonderer Feind der Frerad-
wort/T. Er st<llt den Grundsatz auf: 'die Spracbbcroichemnp hat wie das
Elirecht verbotene Grade. Aus deutschen Mundarten trfhcii Htindcsinafsige
Verbindiintjen hervor, mit echten Erben; die fremden Spriuben geben Mil's-
hüirathen und Bastarde' (S. 49). Aber die Lehnworte, die unsere Sprache den
fremden Nadibun entnommeD hal^ d. h. aibo Fremdworte, dma. «udindisdier
Ursprung seinem Spraebempfinden nieltt erkennbar wer, beanstendeie er keines-
wegs, sie sebienm ihm edite Erben, und so bat er ans der fremdlSndtscben
Wort&milie des Turniers ein so volkstümliches Wort wie unser beotiges
Tomen hervorgeben lassen. Sein Taterlandischcs Gefühl flbersprang eben gerne
alle Schranken, namentlich folrhe, die bei andern eine j^stpigprt<> wissen-
schaftliche Erkenntnis höher (;ez()<;en hatte. Charakteristiscli ist. wie er die
Ahk'itunt» 'Erker' von 'iireorsi' hei Atlehm^ tadelt, *eB könnte wohl noch eher,
oder doch ebenso leicht von Arche herkommen, um so mehr, da es die Haupt-
bedentong mit Ardie gemein bai Warum aus fremden Quellen schöpfe n,
so lange die einheimischen noch nicht versiegen'? (S. 53). Es sind
dieselben Einwürfe, die neuerdings gegen die sfAteren Auflagen von Kluges
etymologischem Worterbuch erhoben worden sind. Und noek ein Zweites.
Wenn es Jahn in manchen FSUen gelimgai ist, ein altes erstorbenes Wort in
der alten Bedentunp zu neuem Leben zu erwecken, so lagen doch immer Ans-
nuhniefalle vor, die in der Zeit der Erneuerung dos deutschen Geistes ihre
Begründung fanden. Aber im Prinzip ^eht es doch nicht an, dals jeder in
jedem Augenblick eine verblafste Bedeutung, die vielleicht nur noch in ver-
staubten Denkm&Iem flberliefert ist, dem Worte unterlegt, das er in der grellen
Beleuchtung des heutigen Tages gebraucht Die Neigimg des ehrwürdigen
Turnvaters wuchert heute aber gerade bei volkstümlichen Vertretern der
Bprachbetrachtung in bedenklicher Üppigkeit, und es tauchen hier viele solcher
Verstölse auf, wie sie Jahn begeht, wenn er zum Beispie! das in der mittel-
hochdeutschen Dichtung allmählich tief gesunkene Wort 'Minne' als das ediere
uud reinere der "^Liebe' aeuenfiberstellt (S. 100).
Jahn ist auch in iiUeksieht uuf seine Spraehhestrebnnjjen ein Typus, ein
Vertreter jener Richtung, die sich aus Liebe und nicht aus Beruf in die Ge-
heimnisse der Wissenschaft vovenki Yorzflge und Sdhwiehen einer solchen
BethStigung auf dem Gebiete der deutschen Philologie liefsen sich gerade an
diesem Beispiel offen darlegen, und es hat sich damit die alte Wahrheit neu
bethätigt, dafs die Vonüge genau an dem Punkte zu Tage traten, wo die volks-
tümliche Forschung mit der wusensdiaftltchen Erkenntnis Fühlung <.r*'W'ann.
Aber um{Tekt>hrt liefs sieli ebenso zeigen, dafs auch die wissenseliaftliche
Forschung Nutzen von soh-her Berühnnisr davontrug, und wir werden in der That
sehen, dafs Altersschwäche und Verkninherunii l)ei ihr allemal dann einsetzte,
weim sie die Fühlung mit der vulkätümlichen Anschauung zurücktreten liels
oder ganx verlor.
In seltenem Halse günstig war von dteaem Gesichtspunkt aus die Be-
H. Wonderlidi: Die dvntMhe Philologie und das deutaehe VolkrtiiiD. 61
anJagung Jacob Grimms. R<"i ihm v»'r<M*]n«„'t'' sicli ein warmes Gefnh! filr
deutsche Art mit einer auisorordentiiciien Wiite dos Blicks. Das St(ifi<;fbiet
seiner Wissenschaft wurde von ihm ganz umfallt und in allen Teilen durch-
drungen: Sprache, Sitte, Religion und Reeht. Der verbindende Grundgedanke
filr alle diese maimigfiütigai Stadien wsr gerade dae, waa Jahn mit dem neu
gepiigten Worte *deutBelie8 Volkstum' batte anadrfieken wollen. Es war aber
natttrlichy dab dem Tielseitigen Begründer der Wiasenschalt andere Forscher
zur Seite standen nnd nadlfolgten, die einzelne Teile aushauen wollten, die
einzelne Seiten hervorkehrten, und es war natumotwendig, dafs ihre Lebens-
arbeit mehr zentrifti<:^aler Art war. Charakteristisch hebt sich hier die Ge-
stalt Carl Lachmanns ah Es ist bezeichnend, dafs eine Würdigung? dieses
Mannes unter dem Gesichtspunkt^ der unsere Darlegungen beherrscht, überhaupt
gar nidit möglich ist. Seine Persönlichkeit wurzelt recht eigentlich in dem-
jenigen Punkte, der am weitesten absteht tob einer Tolkstflmlichen Begung
wiflsensehaJUieher Thitigikeii Die Mettiode war es, die er ausbildete^ nnd mit
diesen BemOhnngen sachte and fiand er die Anldbnmig im &eiBe der Üteren
Schwesterwissenschaften, vor uUem der klassischen Philologie. Hit der Natur-
wüchsigkeit wurde aber bei dieser strengen Diszipünierung auch die Ent-
wickhmgsfahigkeit der jungen Wissenschaft vielfach geknickt. Ein beredter
ZeiK^e för diese Behauptung ist der Streit, der um fias Nibelungenlied cnt
brannte, wie überhaupt in der wechselnden Stellung der deutschen Philologie
zu diesem Liede immer wieder das jeweilige Verhältnis der Forschung zu
miserem Volkstom hervortritt Denn das Nibelungenlied, kaum aufgefitmden,
worde onTorweilt aum Gemeingut gerade des Volkes aasgornfen. Das Stofflidie
in Lied nnd Sage regte nene Dichtungen an, das SitUidie in den Charakteren
gab die Haltpunkte fUr die Neubildung des deutschen Charakters. Bekannt
ist, dafs eine der ersten Ausgaben des Liedes als Zelt- und FeMaosgabe für
lÜc jungen Krieger f!;«Hlacht war, du- in den Befreinnj;skampf jjej;en Napoleon
zogen. Da mufste es wie ein Kaub am Nationaleigentum erscheiuen, wtiin
dieses Lied nun aus dem gemeinsamen Gesieht-^kreis abgerückt nnd in den
Mittelpunkt einer sich absckheikenden Gelehrsamkeit gezogen wurde, wenn sich
auf den volkstOmlichen deufschen Sang eine Betrachtungsweise flbertmg, die
an der Textkritik griechischer Autoren ausgebildet worden war. Und daxn
war auch der wissenschalUiehe Ertrag dies«: Thäti|^eit mit unerfreulichen
Nebcnerscheimu^en begleitei Der Nibelungenstreit ist einer der unfrucht-
barsten Kämpfe gewesen, die auf deuteehem Boden auagefochten wurden, —
nicht ein Gewitter, d;is die Atmosphäre reinigt, sondern ein Unwetter, das im
iiumin Thal nicht zur Entfaltung kommen kininti-, und dm m'.n mit duni|)f( r
Schwüle über den Thairändem brütete. Es war verliiuignisvoll, dals m diesem
Kampfe die überlegene Kraft auf einer Seite stand, auf der man nicht den
Kernpunkt der Stellung^ sondern einielne willkflrlich vorgesdiobene Posten mit
der ^uuen Zibigkeit verteidigte. Und wenn erst in neuerer Zeit nach so
langem untiiattgen Gegenflberstehen die Farteien begmnen, einer neuen Losung
der Frage snxustmiem, so lAngt dies damit zusammen, dafs die Berliner Schule
62
H. Wunderiieh: Die deutsehe Fliilolofte und dM deutidifl ToUuiliam.
sich ullmählich mehr auf dio ßniTKlgi-düiikea Liiilmiüiiiis zurück/Ofr, diils sie
das Wesentliche vom Zuialiigeu zu trennen suchte, uiid dalk aits mit dieser
Änderung der KwnpfiBsweise aoeh den Gegner auf nene Balmoi locikto. Jettes
ZufiUlige Aber, die kleinen Änfimrliddraiten, die jetst preisgegeben worden,
hatten semeraeit gerade dem geniefaenden Teil unaMrea Volke den Genula Tor^
cnthulten, den ihm Lachmann mit dem Wosentlicben seiner Forschungen hätte
bieten können. Ncnere Dichter haben sich an dem Feinainn erbaut, mit dem
Lachniann an dem NiHebni<fenliode Spreu urd Weizen sonderte, und diese
Leistung bleiljt hestehen, auch nachdem dio Frage der Echtheit und der Stroit
um div //iihl der Liedi r in den Hintergrund getreten ist.
Ganz und auf uuäer Volkstum als solches gerichtet und dabei vor
jeder yolksfcümliehen BethSügung seiner Studien aurfl<toehenend, zeigt sich der
bedeutendate Schflier Lachmann% Carl Hüllenhoff, der Vwfiuser der dentsehen
Altertumskunde. Ein Mann, der die Empfindnngswelt seinea weichen Qemtttes
nur verhalten kund gab, der die liegnngen seines heftigen Temperamentes um
so kräftiger zum Ausdruck brachte, war er mehr dazu geschaffen, die ab-
schlielkeiide Rielitunj? seines Vorgängers fortzusetzen. Um so empfänglicher
knm Williehn Öcherer dem Umschwung entgegen, den die Kriegsjahre von
iStit) untl 1870 in der deutschen Volksseele wachgerufen hatten. Durch alle
Kinzelforschungen hindurch suchte er den Untergrund der Erscheinuugen blofs-
aulegen, das deutsche Wesen suchte er au bestimmen, den dentsehen Charakter
suchte er zu entadlfem, nnd daa achien ihm daa Bndaiel aller Angaben auf
dem Gebiete der deutschen Philologie. Ans der Geschidite der Sprache wollte
er die Züge des Nationalcharakters ablesen, so gut wie aus der Geschichte der
Dichtung, und so wandelte sich bei ihm daa unscheinbarste Problem um zum
Trager dei' ])edeut.samsten Anregungen. Kein Wunder, diifs die Thatsachen
in den Zusammen liiui gen, die sein Geist unermüdlich neu fo'Tntf, nicht immer
zu ihrem Rechte kamen. Selbst das Bild des deutsehen Volkstiuiir^, wie es ihm
sich spiegelte, widerspricht den Forderungen, die wir am Ende des 19. Jahr-
hnndterta erheben dürfen. Wie ao viele bedeutende Ißnner, deren Reifeaeit in
den Anbruch des neuen dentadien Eaiaertnma fiel, hat er aich in mandien
Strebungen und Regungen der jüngeren Generation nicht ganz zurecht finden
können. Die schroffere Betonung der nationalen Eigenart war seinem Em-
pfinden fremd, ihm schien der deutsche Geist am li(H-hr4,toTi da zu stehen, wo
er mit dem Geiste fremder Dichtungen Bündnisse sclilols. Die liöfische Dich-
tung des Mittelalters entzückte durch ilnen Wortlaut sein IVine.s Ohr; die
nnhfliiili'licheren Aeeente des deutschen VVesens, die aus der Spruchpuesie her-
vorbrechen, drangen ihm nicht ms Herz. Zu Luther hat Scherer, so meister-
haft er alles Litterarhistorisdie um ihn herum zu gruppieren wufate, doch nie
in innerem Verhaltnisse gestanden, Lnther gehörte für ihn in die Niederung der
Wellenbewegungen deutecher Poesie. Goethe in Weim«r war für Qm daa
End/.iel, ein Höhepunkt, von dem aus nur noch ein Herabsanken, eine neue
Niederung des geistigen Lebens möglich schien.
Also anch in Scherer sehen wir ein Gestirn, das allmählich wieder ab-
H. Wnndcrtidi: Dia dmtMhe Philologie und das denteebe Volkstnm.
63
rücktv v(in dcii llmtsüi hlichcii Htnlürfiusscii sciiu's Volkes. Sn nahe aiu-li seiner
Persönlichkeit die Aiiaciiauungöweise Jacob Grimms lag, so leitete für ihn doch
die ÜbersMdlnng von Strafobni^ nach Berlin eine Abkehr ein.
buEwiaehea war vorwiegend im Lager seiner Gegner — eine nene Macht
cmporgewaehBen, die unter den Anregungen, die sie einzelnen Teilen der deutechen
Philolugic brachte, eine nene SchSdigitng barg, die Gefahr, daCs der Zusammen-
hang der Ti-ile untereinander zerrissen werde. Die Linguistik auf Grund einer
neuen Methode innerhalb der vergleichenden Sprat lifoischung drolitc die Philo-
loffif» sclhs't g^finz in den Hintergrund zu schiebi ii. Um ernster wurde diese
^i'falir für die deutsche Philologie, als sich ihr bei der ablehnenden Haltung
ucr klosisiticbia Philologie die ganze Anregung»tahigkeit fast ungeteilt zuwandte.
Es hat den Anschein, als ob diese Gefahr heute schon überwunden sei, als ob
die dentsche Philolugie sich wieder anf sich selbst besinne und sieh erinnere,
dafit sie xwar allerdings ein Grenzgebiet mit der Twgleichendai Spradbwiasen-
schafli teile, dafs sie aber mit anderen Grenzgebieten auch an andere Wissen-
scbaflen stofse. Lumorhin aber ist diese rücklaufige Bewegung erst in ihrem
Anfang, und neben all den Errungenschaften, die wir der vergleichenden
Sprachwissenschaft zu danketi haben, leiden wir doch avich an manchen
Schäden, die die jünj^t erkbie VerrOckung der Grenzlinien über uns ge-
bracht hat
Es wird sich am Schlüsse der Darstellung zeigen lassen, bis zu welchem
Grade der Umfang der dentscheti Philologie im leisten Jahrzehnt sidi Tcrengert
list Die Ffihlung mit der mittelalterliehen Geschichte und mit der deutschen
Rechtskonde ging an mehr als einem Orte ganz verloren, indes der berufene
Vertreter der Germanistik sich ausschliefslich auf das Studium der Sprache
warf Aber auch dieses Studium der Sprache selbst ging schweren Beein-
trärbtigTing;pn entgegen. Die vergleichende Sprachwisf^enschaft kann die Kiir/el
spni<he niemals in ihrem vollen Umfang und mit allen ihren Kechtsanspriiehen
zur Gtsltung kommen lassen, sie zieht immer nur Einzelheiten, Teile zur Be-
trachtung heran. Und diese Einzelheiten reilst sie gerade aus dem Zusammen-
hang heraus, in dem sie thatsaehlieh dargeboten werden, um einen anderen
Zuaammenhang zu gewinnen, den die Hypoäiese erst konstruiert Die Gefidir
der Konstruktion an Stelle der sorgsamen Beobachtung der Thatsachen li(^gt
der Tergleichenden Sprachwissenschaft um so näher, j< mehr der Kreis der
angezogenen Sprachen sich erweitert, und je weniger der Einzelne imstande ist,
d'mcn Kreis in allen Teilen erschöpfend zu durchdrinj^en. Daher sind in neuerer
gerade unter den Vertretern der vergleiehendeii Sjiraeh Wissenschaft Be-
deukiJü geltend gtmiuiht wonlen gegen entsprechende Erscheinungen auf ihrem
(eigenen Gebiete, und auch dem Unbefangensten muTs es zu denken geben, dals
die Sammlnng von *Elementarbflcheni der altgermaniscfaen Dialekte' mit einer
'sigenoanisdien Gh«mmatik' erSfihet wurde, also mit der Grammatik einer
Sprache, die in keinem einsigen Denkmal flberliefert isl^ sondern die ganz und
gwr auf Kekonstruktion und Kombination beruht. Das wissenschaftliche PA-
psnt geht hier dem lebendigen Organismus Toraui^ während sonst auf anderen
64 H. Wnndttlieh: Die dentsche Philologie und du deutaehe Yolkatuiii
Gebiettm der wissenschaftliche Unterridit den nmfreknhrtrn Wfir pinsihlili;!.
Bosonders bedeuklicli acheint mir dioser limstiiii(l bei der iiniuer weik-r
greifenden Trennung, die sich augenbiRkiuh innerhalb der deutathen Phih)-
logie zwischen der Sprachforschung und der Litteratutgeschichte bemerken
lafBt. Dafs die SpnMihe nur in Mitteilung lebt und nur in dieser eigentlicli
erfafst werden Icann, diese Thatsacbe schwindet immer mehr aus dem BewuTst-
sein jener ^rachforBdier, die in der Lautlehre und im Wörterbueh den Umfang
und den Inhalt einer Sprache zu umfassen glauben.
Aber auch noch eine weitere Folgt hnttc die fkllzu enge Annähenmg der
Gtrinanistik an die vfrfrloichpndo Sprachforschung. Wohl ist es in erster
Linie (iiizelnen Vertretern dieser Wissenschaft, unter den Junggrammatikern
z. B. Hermann Osthoff, zu danken, dafs die neuhochdeutsohp Sprach-
stufe und vor allem deren mundartliche Verhältnisse neben der Betrachtung
der alteren SpnehBtnfen wieder in Aufechwung kamen. Fflr Jacob Grimm
lag in der neueren SpraehentwicUung nur Entkri&ftnng und Verderbnie vor,
Air die Junggrammatiker dagegen bot sich hier die willkommene Gelegenheit
Spraehproaease, die rie für die ältesten Perioden als Hypofbesen aufimstellen
gezwungen waren, im ToUen Lichte urkuiullicher Belege nachweisen zu
können. Aber daraus ergaben sich doch mehr aphoristischo Eingriffe in tlns
Gebiet der neuhochdeutschen Grammatik, und diu eigentlichen AufL'nbt'n dieser
Wissensehaft konnten hier nicht zur Geltung kommen. Und seit<lfm hat sich
der Schwerpunkt der Forschung aufs NeQe wieder ganz nach rückwärts ge-
zogen, d^ Gebiete so, wo Germanistik und vergleichende Spraehforschung an-
einander Stöfs«}, auf ein Feld, wo der junge Gdlelate mit dem grolaeren &eise
der Fadigenossen, mit der höheren Wahrsdieinlichkeit Sufserer Anerkennung
und sicherer Erfolge rechnen darf. Denn der Anbau der neuhochdeatscfaen
Grammatik gilt noch beute in weiten Kreisen als nicht SO vornelnn und ver-
dienstvoll, wie irgend eine unsichere Kombination der urgermnnischen Grammatik.
Daher kommt es denn auch, dnls «rrrnde in unserer Zeit, wo zu den lebhaf-
testen BedUrfni^üen des deutschen Volkstums eine tief<n"findende Erforschung
unserer neueren Sprache gehört, wo der Stajit in Verordnungen und Einrieh
tungen dieses Studium au fördern sich bemttht, daik gerade jetzt ittr den jungen
Geiehrtm die Beschtftigung mit diesem ab so notw^dig anerkannten und
noch so firoditbaren Gebiete die wenigste Aussieht auf aufaere Erfolge bietet.
Man sehe einmal die 'Deutsche Grammatik' von Wilmanns, die zum grofften
Erstaunen ao manches Gt rmanisten auch die neuhochdeutsche Grammatik als
unter den Begriff der deutschen Gramnuitik fallend auffafste. man sein- dif-i- auf die
Litteraturnotizen durch, und man gewinnt einen Einblick in den dürftigen Um
fang des bisherigen Betriebes auf diesem Gebiet. Oder nuiii mache selbst den
Versuch, man arbeite ein l'roblem der neuhochdeutschen Grammatik durch,
oder versuche das Ganze au Vorieeungsswec^n im Überblick ausammenzuiiuMen,
und man wird geradeau vor einem Bitsei stehen. Eine Fttlle von Aufgaben
Ittr grofee und kleine Erilfte, und so wenig Arbeiter! Geradezu unerschöpflich
nräre dieser Boden an Doktoraufgaben, die einer jugendlich«m Kraft den Spiel-
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H. Wanderlich: Die deutsche Philologie und dan deutsche VolkaiuiiL
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räum snr Ent<unrr giU)on, und die ihm für das spätere borufliche Leben
zugleich den Mittelpunkt darboten, um den sich das wissenschaftliche Interesse
iraraff wieder konzentrieren konnte. AUffemeine Fragen, wie die Eini<»iing
UTT<?iTer Schriftsprache, die Abgrenzung der Mundarten unt^reiiiaiider und j^e^ea
die Gtint insprache, das Verhältnis von Praxis und Theorie, von Spraclieiitwiek-
lung und Bpracbgesetzgebang; und daneben die £inzelprob!eme der Lautlehre,
Fonnaüehre, Wortbildung, Wortforsehnng, Syntax und StUistik, alle dieiM»
Objekte der Spraehforsehong mflfsten bei bewölkter Eingrenxnng auf das Gebiet
der neuhocbdeutschcn Sprache einen Ertrag abwerfen, dessen wisscnschaftlicbe
Bedeutung noch Über die Schranken des zunächst gesteckten Zieles hinaoS'
reichen würde. Die neuhochdeutsche Grammntik konnte hierdurch der ver-
gleichenden Sprachwissenschaft ihr Kapital mit Zin.><en zuröckzahleii und luüfste
nicht immer hh)fs als der Empfänger dastehen. Aus der (ieschlosscnheit ein< r
durch Litteraturdenkmäkr und Urkunden den Zeitraum von bOO Jahren be
legten Spzacheatwicklung eines engeren Gebietes muA ja ein ganz neues
Iddit auf alle die Fragen fallen, die bislang meist nur aus der Zerrisaenbeit
und Lfldcenbaffcigkeit einer iftnmli«^ und Mitlich weitaosgreifondmi Spracb-
poiode erhellt wurden.
Ich leugne gar nicht, dafs Ansätze in der geforderten Richtung aus neuerer
Zeit zahlreich vorliegen; bedeutsame Vertreter «jerade der linguistischen Hieh
tung haben auf die neuere Sprache und auf eine umfassende Grundlage derselben
endlich ihr Augenmerk geworfen; Preisaufgaben und Doktordisaertationen der
neueren Zeit greifen mehr und mehr in diese Bahnen ein, in Berlin, Halle, Mar-
burg und Göttingen lilst sieh ein swedLbewufstes Vorgehen nach dieser Rich-
tung beobachten. Und das ist es gerade, was Not thul^ das ZweekbewoDite, die
Konzentration, der Zusanunenhang in düesen Bestrebungen. Und au diesem
Zweck muls sidi das wissensdiafthclu' Interesse an solchen Studien bei den
berufenen Vertretern der Philologie mit dem Bewufstsein verbinden, dafs für
sie hier eine Pflicht gegenüber dein deutschen Volkstum vorlie<rt. In den
weitesten Kreisen gerade der Ivation hat sich die Erkenntnis Bahn gebrnehen,
dafs uns in unserer Sprache ein voniehmstes Ausdnicksmittel unseres Volks-
tums gegeben ist Daher der Aufschwung der Sprachbestrebungeii in unseren
Tagen, wo unser Volk nach dem Ausdruck seines innwen Wesens ringt Und
in dem dunklen Drange, der hier erwadite, sah sich das Volk von seinen
Führern rerlassen, man gab ihm Steine statt des Brotes. Wo heute ein Lehrer,
der die germanistische Durchsdmittsbildung genossen hat, in gebildete Kreise
tritt, die sich mit der Muttersprache angerc(Tt^r beschäftigen, wird er znnach.st
jedenfalls nicht zum Führer, kaum überhaupt zum Genossen tanken. Er bringt
ein schweres Rüstzeug von GelehrsamkcMt mit, aber es sind nicht die Waffen,
mit denen er hier kämpfen könnte. Denn es ist nicht so einfach, wie man
firOher wohl angenommen bat, auf der 0rund]i4^ der alüioehdeutaehen und
mitteihoehdeutMlum Spnidikenntnisse sich auch gleich die neuhoehdeutsdie
Spraehstufe zu ersehlieJhen. Und auch der Mann, dar seine gmnanistischen
Studien mit da- LautstatiBtik einer bestimmten Ifundart al^eschlossen hat^
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66 H> Wimd«rli«li: Die deutaehe Philologie und 4» doatieho ToUainnt
ftililt sich iiüliios und verlassen, wenn er nun plötzlich im Unterricht und im
VeilBsiir mit den Anwolmeni der Sehuki den Kampf miedira Mondut und
Sdiriftsprache entbrennen sielii Es atehen bedeateame Beiapi^ aus den Er-
fahrungen der Schule liier ta Gebote. Die einlenchtendsten Beweise lieini uns
aber die populäre Litterator, die auf dem Gebiete der deutschen Spracbe so
üppig ins Kraut geschossen ist, und in dar wir das Eingreifen des germanistisch
i^f»««c}iultcn LohrorstuiKk'S sclimer/liih vermissen, wenn nnttirÜcli uucli für diese
aufgestellte liegel du- bestätigenden Au.suahmeii nicht fehlen. r)a ist en denn
kein Wunder, wenn sich das liebe PubUkum auf seine Art hilft und (he Ver-
treter der Wissenschaft und Forschung am Ende als Drohnen aus dem Stucke
wirft Die Geschiebte des dentschen SprachTereins bietet ein lehrreiciies Bei-
spiel, und die Str5mungen, die innerhalb dieser KSrpersehaft anfemander stoisen,
geben dem Einsichtigen wohl zu denken. Daher ist es mit Freude au be-
grflüsen, dafs immer mehr Forscher sich der Pflicht bewufiit werden, innerhalb
dieser Gemeinschaft mit dem deutschen Volkstum wieder engere Fühlung zu
gewinnen. Je mehr Belebning und tiefer geschöpfte Erkenntnis auf diesen
frncbtbaren Boden fiillt, luu so empfänglicher wird dieser für die Lehren der
Wisaenschaft überhaupt werden. Denn nur mit der Forschung im Bunde ver-
mag diese Körperschaft über die Kampfesmittel, über Abwehr und Verneinung
hinaus, aum fruchtbringenden Schaffen Tozsuschreiten, und solchen Erfolgen
gegenüber werden auch die Angriffe TersfamuneUi die auf der Versammlung in
Gras sum Worte kommen konnten.
Doch mit der Sprache ist ja der Aufgabenkreis der Philologie nicht er-
schöpft. Dichtung, Sitte, Religion und Recht sind ebenbürtige Aufgaben, und
sie haben als solche in den Forschungen Jacob Grimms, in der Lebensarbeit
von Müllenhoff" und heilerer und neuerdings in Pauls Grundrifs der germani-
scheu Philologie das einigende Band gefunden. Es ist aber be7,eichnend für
unsere heutige Anschauung, dals derselbe Germanist, der in dem einseitigsten
Spenalistm auf dem Gebiete der Ijautforschung einen beruibnen Vertreter
der germanischen Philologie anerkennt, doch niemals sich entschlieisen wflide^
dieselbe Anerkennung %. B. einem Speziaiforsdier der deutsehen Mythologie ent-
gegenzubringen. Dem Litterarhistoriker Übertragt man an der Hochsclnih- das
Fach der neueren Litteratur, allenfalls von Luther an; aber für das Fach der
älteren deutschen Litteratur, für die Darstellung unserer mittelalterlichen Dich-
tung hält man denjciiij^en für besonders geeignet, der sieh etwa mit den Laut-
verhältnissen in althochdeutschen Glossen beschäftigt hat. £s ist geradezu ein
Jammer, in weldber Weise an yielen Hochschulen unsere altdeutsche Dichtung
müshandelt wird, wddien Zwecken der Heliand, das Nibdnngenlied oft dienen
rnuls, wie wenig nationaler Gehalt solchen akademischm Vortrage entsfardmt.
An eine Verbindung der mittelalterlichea Dichtung mit der mittelalterlichen
Geschichte denken nur bevorzugte Vertreto* des Faches, und die intimere
Kenntnis altdeutscher Poesie hndet man an vielen ITochschuleu bei dem mittel-
ulteihehen Historiker oder bei dem Vertreter der deutschen H^chtsgeschiehte.
Das Bedeukliche au dieser Wahrnehmung ist, daiä solcher Vorwurf viel
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U. Wunderlicli: Die detiticlie Philologie und daa deutsche Yolkatom.
67
iKniger die ilterto Ctolehrton als die jOngereii Vertreter du Fedies trifft, die
mh als Lingaisten fQhlcn utu! die Litteraturgeschichti' iii) Nebenamt diiruh
eine fleifäig auügcarbeit^'tc Bibliographie ahthun. Wer die ExameiiTerbältniHse
kennt, der weifsi, wie tit'fi^rfitViul nun tlit* Küclcwirknn«? auf die horanwacliscnde
Generation der i'hilologen sein muls. A'orlt'sunjrcn über AltertmuBkuiidc, ül>er
Sitte untl Kultur des deutsehen Mittelalters, über Mythologie — nach philo
logischer Metbode gelesen — können auf Zidiörer kaum rechnen, sie mQsaen sieh
der populären Vom eines sogenenntai 'anregenden' KoUegs anbequemen. Eine
ToriMQ]^ übor Tacittu 'Genmuiia* sieht an einer dentecken Univeraitat seit
Jeliren die Znliörer aller FakoUftten, mit alleinigem AusechlnfB der Germanieten
an, und ähnliche Beispiele liefsen sich vermehren. Es ist wiederum eine auf-
£illende Erscheinung, dafs das Geistesleben der deutschen Vergangenheit, das
unsere Gegenwart in allen Schieht^'n der Geaellr^cliaft so vielfach beschäftigt, das
in unserer neuzeitlichen Dichtung so vielgestaltig nachwirkt, dal"» diese ganze
Anschauungswelt gerade für so viele Germanisten vers( iilossen bleibt. Und für
diese betrübende Wahrnehmung au deu Er/iehern des Volkes bietet e» auch
keinen Breata, wwin andemorte Diditer und Diditerlinge eine phantastiaclie
nordische Wdt aidi xniammen trftomen, wenn sie die Gestalt des germanisehen
Becken durch Häufong von Eigensehallen an gewinnen sndien, die ihre erhitate
Phantasie ersinnt. Was dabei herauskonimt, sieht man an WildenbmdiS mifs-
glflcktem 'Willehahn*. Die deutsche Volksseele erschliefst sich uns aus dem
dcutsthen Altert^im in gnn? anderer Form, als solche Dichtung sie darbiet^-t;
von tiefgreifenden Irrtümern umstrickt o'itfalten sich uns dort ihre glänzenden
Vorzüge, im Guten wie im Bösen cm iiüd von Naturwürhsigkeit nnd Kraft.
Und TOD dieser Kraft nur ein Bruchteil; nur ein ilestbestand von jenem Uber-
■duttse an Beditihewiifstaein nnd stolsem Matmennut} er wSxe stark genug,
Uli durch alle St&rme der Gegenwart au tragen.
DIE oebmäkisghe heldendtchtuno mit besonderer
RÜCKSICHT AUF DIE SAGE VON SIEGFRIED UND BBUNHILD^).
Wie so viele andere war auch ich genährt und grofs gesogen durch die saggeachicht-
lichen FondningeiB W. Giiioii», L. Uhland«, F. E. HfiDetSf LachmanM ancl besondfln
MüllenhoiTR. AI« ich aber durch letzteren veranlafst mir den GnindRatz eigen macht«,
daf« eine sagf^eschichtliche Quelle wie jedes littcrarhiRtorisrhe Dculcinal zu behandeln timl
vor allem nicht von dem Orte, wo ea geiunden, und von der Zeit, in der ea entstanden,
loBsnUMn Ml, 4» regte ddi bald der Zweiftl am den alten OlanbenHUmi, and iouner
mehr wich die Ruhe der Überzeugung. Ich prüfte die Quellen unaorer Tlcldcnsa^^t' uIh das,
was sie waren, al^ poetische Erzeugnisse einer bestimmten Zeit und einer bestimmten
Gegend, ich verglich etic mit den Denkmälern der Zeitgenossen, und unwillkürlich wurde
das Bild anden, als ich es gewohnt war ni aduraen. Und all dann Qollher die Stadien
zur germanischen f^u^roui^'OHoliiclifo imd Symotis Reine scharfsinnigen T^'ntemirhnn^'en über
die Sage von Siegfried und tirunhilde veröii'cntlichten , ward ich durch sie in meinen An-
schauungen nur bestärkt, obgleich letzterer zu ganz anderem Besoltate gelangt ist, als ieh
hier vorlegen kann. Dasselbe war der Fall, als ich jflngat SehOnhaehs feinsinnige Abhand-
lini<»cn über die nltdeiitsclie IIo]clendichtun<; las, wenn ich auch mancbe?^ anders als Schön-
bach, dem ich neben WÜmanns so vielfache Anregung verdanke, au&ofasseo genötigt
bin. Mit dteeen Fotschem habe ich mich in fMhwissensehaftliehen Zeitschriften ans-
flinaadennselaen. Ich hätte das vor Veröffentlichung dieses Vortrags thun sollen, ullein
Hfp TnanniRfarhsli n Pflichten haben mich noch nicht die Zi it erübrigen lüs^en, «las ziemlich
umfangreiche Material genügend zu sichten und zu ordnen. Und doch möchte ich nicht
die BrgebniBse jahrelanger Arbeit linger liegen lassen, da ich inuner von nemem sehen
Miufs, wie einer der wichtigsten Abschnitte altgermanischer Heldensage durch ubansditigte
Kombination mirsvei >t;inilen wird Dafh* ich viele tmd ücLarfe Angriffe zn erwarten habe,
weils ich, denn die alten Watten sind noch allgemein in Gebrauch. Man wird wieder mit
Namen nnd Efymologiea kommen, die nidits bewetsen, man wird wieder die Forderung
«teilen, Hypothesen anzuerkennen, die unbewiesen und überhaupt unbeweisbar sind, man
wird wieder mit dem Liede vom Hürnen Seyfried und mit dem Märchen von Dornröschen
wirtschaften und wird den Brunhildenstuhl eine Uollc spielen lassen: alles da» ist von
mir wiederholt geprüft, aber nicht ans seinetn geechicfatliehen Znsammenhange heraas»
genesen und deshalb für die mythische Grundlage unserer Heldensago als gehaltloses
Material erfunden worden. Von der Zeit an, wo ich dies fallen liefs und das Nibelungen-
lied als mittelhochdeutsches Gedicht, die eddischen äigurdsliedcr als Gesänge aus der
Wiktngencait anffiklste, worden mir diese wie jenes ent klar nnd verstikidlielL Dab ich
in allen Einzelheiten das Kechte fretmften, wage ich durchaus nicht zu beliaiipt^jn, doch
habe ich bei der Prüfung eines jeden als Teil des Ganzen überall darnach gestrebt, den
objektiven Thatbestand wa ermitteln.
Von EuosK Hooc
V 0 r h e m e i- k u n g.
') Akademische AntrittsTodeeang, gehalten in Iiei|wig am 11. Hai IMft.
£. Mogk: Di« genoMiisehe Ueldeadicbtaiig.
6U
Als die Brfider Grimm im Ajiluige nnaeres JahrbundartB den Onrndstein
war germanischen Philologie legten, hlQhto in der dtutschen Littoraiur die
Romantik. Jacob sowohl ala Wilhelm standen mit den Häuptern dieser littera-
rischen Richtimp in freundschaftlichem yt iktlir»', und es läfst sich nicht Icngnen,
dals ein grolsor Teil ihrer viekfitigeii Thätij^ktit durch die Rfunantiker an-
geregt worden ist. Hierher gehortu vor allem die Sammlungen der Märchen
and Sagen, daneben aber auch die Forschungen auf dem Gebiete der Mjtho-
lof^e und HeldenBi^. WoU bauten beide Brflder bei weitner Dnrdiarbeitung
det Stoffes und vor aUent nadb Jaeobs grundlegenden Arbeiten Uber die
gemumiechen Sprachen auch ihre mythologischen und aaggeseluclitliehen Werke
auf festerer Grundlag«' auf, allein des Geistes, der ihre 2^it beherrschte, konnten
sie sich nicht vollständig entschlagen, und so blickt selbst aus ihren voll
endetsten Werken zwischen den Zweigen der exakten Forschung die BlUte der
Romantik hindurch.
Auf ihren Schultern hat dann ein ganzes Geschlecht weiter gearbeitet
Selbst ein so strenger und exakter Fhflologe, wie K. Lachmann, der neben den
Brfldem Miib^rfinder der neuen Wissensckaft war, schlug nacb dieser Rich-
tung hin ahnlidie ein: in seinen Deutungen der einsidnen Gestalten
der Heldensage steht er mehr oder weniger unl^r dem Stnflusse der Romantik.
Sie beherrschte das akademische Katheder; von hier drangen die Lehren durch
Wort und Schrift in das Volk , und ans dem Volke heraus sprolste ein Ge-
schlecht von Künstlern, <hi8 die orHrhlossenen Thateti altdeutscher Götk-r und
Helden durch Wort oder Bild von neuem vor unseren Augen geschehou liefs.
Der unbefangene Beobachter kann in den aufbauenden Werken jener Zeit
flboall das Idesl der Bomantito wiederfinden: je melir neh ^e Dichtung, die
man der Forachung zu gründe legte, von der realen Welt entfernte, um so
iltor mnlstB sie s^, um so hdheroi Wert legte msn ihr bei. Und je weniger
die Quellen selbst erschliefsen liefsen, um so eifiriger kombinierte man und be-
diente sich dabei nicht selten bindender Glieder, die bei genauer historischer
Betrachtung vollständig nnbrauchl)ares Material sind. Neben den Saj^n und
Märeben, denn Ursprung in uralte Zeit hinaufgeschoben war, äpielten in
dieser Periode wissenschaftlicher Forschung eine ganz hervorragende Rolle die
Kdihilieder, jene Sammlung norwegisch-isländischer Gedichte, deren erster Teil
▼on den Göttern und ihrem Wirken, deren aweiter von den Helden unseres
Nibdungenliedes banddi Mit ihrer Hilfe hatte Jaoob Grunm den germani-
seheo Gdtteriummel aufgebaut und Wilhehn im Bunde mit Lachmann die
ursprüngliche Gestslt unterer Nibelungensage konstnderi 1ha stellte die
deutschen Quellen aus alter und junger Zeit unmittelbar neben die nordischen,
erklürtf jene aus diesen, ohne dabei die Entwicklungsreihe ins Auge zu fassen,
die die verschiedenen Quellen durchgemacht hatteu und die eine Veränderung
dea ursprünglichen Gehalte.s mit sicli bringen mufste.
Wir werden jederzeit in aufrichtiger Dankbarkeit der Forscher gedenken,
die uns bis sn ihra* Zeit unbekannte Gebiete enwhloasen und die uns das erste
braudibare Material geiiefinri^ wir wwden Tiel ▼on letzterem auch fernerhin ver^
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E. Mogk: Die germaniüche Heldondichtuug.
wenden, abw der BaOi den sie aufgeführt haben, hat seine Zeit fiberlebt. Einen
altgermanischen Olymp, wie ihn Jacob Grimm in seiner Mythologie an der
Hand der Edden aufzurichten versuchte, hat es nie gegeben: in veralteten
Lehrbüchern und volkstümlichen Schriften mag er noch Jahrzehnte sein Schein-
dauein fristen, die Wissenschaft hat mit ihm abgerechnet. Aber auch das ]>e-
sonderä von W. Grimm, L^hmauu und Mülleuhoä entworfene Urbild unuerer
germaniaehem Heldensage, die am attem GdttemyfliuB heranflgewaehaen sein
soll, Übt udi nnr mit Annahme geistreieher, abw nnbewiesoieir und tmbeweia-
barer Hypotbesen Terteidigen, und eine Tomrteilefireie Betradhtimg der Qaellen
zeigt nns andere Wege zu ihrem richtigen YentBndnis.
Sagengeechichte ist Litteraturgeschichte. Keine Sagengeetatt, kein sagen-
hafter Zuj; darf zunächst von dem Orte getrennt werden, wo wir ihn über-
liefert finden. Strenge Kritik der Quellen ist auch die erste Pflicht des Sagen-
forschers. Nur zu oft verstehen wir einzelne Züge allein aus dem Ideenkreise
de» Dichter» oder auh den Strömungen der Zeit, in der das betretfeude Denk-
mal aitatanden isi Zu jedor Zeit ist aber ein bestimmter poetiedier Apparat
Torhanden gewesen, mit dem die Dichtn* gearbeitet babra, mit dem Slterer
geschiclitlieher oder seggeaehichilidier Stoff ao^oiHilBt worden ist Dieser
poetisdie Apparat hat gewissormafsen in der Luft gelegen, er ist gekommen
und wieder verschwunden, hat aber zm Zeit seiner Herrschaft die Dichtunj^
ja einen p-ofsen Teil des gesamten Geisteslebens beeinflusst. Wir lernen ihn
am besten kennen, wenn wir eine Anzahl glcichalteriger Denkmäler auf ilure
Haupt- und Nebenzüge hin prüfen, wenn wir sie mit früheren oder spateren
Perioden, mit den Deitkmäleru anderer Völker vergleichen. Bei »aggeschicht-
lidien Diehtniigeit ift es um so wichtiger, diesen Apparat kennen an lernen,
denn er mnfs ja in erster Linie abgezogen worden, wenn es gill^ den ursprflng-
licliea Kern einer Sage an finden. Man hat dieser Thatsache^ so selbstrersttnd-
lich sie erscheint^ bisher Tltl zu wenig Rechnung getragen und den poetischen
Aufputz gewisser Gegenden nnd Zeiten wie lautres £ns bei der Forschung ver-
arbeitet. Lassen wir sie z\ir vollen (reltung gelangen, so gewinnen wir aus
den Quellen bald ein anderes Urbild der deutschen Heldensage, als man durch
die Kombination einzelner, aus dem Zusammenhange herausgerissener Züge und
durch dati Streben, die Heldensage mit dem Göttermythus zu verquicken, bisher
entworfen hat.
Ein besonders eharaktexiatisches Beispiel gewahrt hierm die Sage TOn
Siegfried und Bmnhüde, die in vieler Hinsieht im Hittelponkte der deutaohen
Sagenforschang stehi Beide Gestalten hat man mit dem Mythus der isländisch^
norwegischen Poesie umgehen nnd Ulfst sie in der deutschen Dichtung nor
verblafste göttliche Erscheintingen sein. In Wirklichkeit sind es aber reine
Menschen, wenn auch idealisierte, an die sich im Norden die Göttersage ge-
rankt hat. —
Wir schöpfen die Sage von Siegfried und Brunhild aus drei Hauptquellcn,
Ton denen andere mehr oder weniger abhängig sind: ans dem mittelhoch-
deutsdien Nibelnngenliede^ ans der norwegisdien Thidrikssaga, der sieh das
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E. Mogk: Di« germudtdut HeMendidiiaiiff.
71
Gedieht Tom Hfirnen Sejfrid und die nordisclieii VoDcslieder snr Seite stellen,
und ans den Eddaliedern.
Dae Nibelungenlied ist ein hQfiecihes Epoe aas dem Ausgange des 12. Jahr-
himderts. Wir keinen seinen Diehter nicht, aber in h9fiBch«i Kreisen mafg
er zu Hause gewesen sein, für höfische Kreise mufs er gesungen haben. Seine
Quellen, alte Volkslieder und alte Volkssagen, hat er durch leitende Ideen bald
pfsrhickt, öfter aber auch recht ungescbickt miteinander verbundon. An br-
{stimmt« Personen knüpft er sein Hauptinteresse, ihnen zu Liebe werden andtre
in den Hintergrund gedrängt, verdunkelt Im ersten Teile ist es besonders
Siegfried, im zweiten Rfldiger Ton Bechelaren. Es sind beides Rittergestalten
ans dar Stanfeneit, jener das Bild eines freien, an Land nnd Bnrgm reichen
Fflrsten, dieser das eines beronnigten nnd trenen Vasallen. Das Leben nnd
Treiben am Hofe zn Worms, die hodtffezU mit ihren Tomieren, mahnen an die
Festlichkeiten, die unter Friedrich Barbarossa zu Mainz und andernorts statt-
fanden. Die Jagd, auf der Siegfried seinen Tod findet, ist eine poetisch aus-
??p5chniückte Darstpllnng jener mittelalt^rücben .laf^dzüge, die bereits den frnn-
zösischtn Einflufs trkciiiicn lassen. Die Hauptbeiden, vor allem Siegfried, sind
durchaus ritterlich erzogen und haben die mihie, die Freigebigkeit die der höfische
Sanger jener Zeit als die erste aller Tugenden pries. In dies höfische Gewand des
Gedichtes sind dann Züge gewebt, wie sie die Fahrenden ans dem Yolkaglauhen
ihrer Zeitgenossen schSpften, oder wie sie Kreussflgler aus dem Horgenlande mit-
gebracht hatten. Zwerge erscheinen und spielen mit ihrem Reichtume und mit
ihrer unsichtbar madienden Nebelkappe eine Rolle, ganz ähnlich wie der Zwerg-
könig Laurin in dem nach ihm benannten Gedichte oder Euijel im Liede vom
Hfirnen Seyfrid. In Anlehnung an die historischen Nibelungen, die Burgunden, ist
düö Zwerggeschlecht in unser Gedicht gekommen und damit dem Schatze eine
Vorgeschichte geschaifen worden. Beunruhigende Träume künden die Zukunft,
wie noch heute im Volksglauben, und Donaunixen mit ihrem prophetischen Blicke
baden im Wasser. Das sind gewifs mythische Züge, allein sie gehSren nicht
som Urbestand dar Sage^ sondern sind erst Tom Diditer nnseres Lisdss oder
in sdner Quelle an diese geknfipft worden. Ans froherer Überlieferung dagegm
stammen Siegfrieds Drachenkampf und seine Unverwundbarkeit. Doch scheinen
auch diese von Haus aus nicht mit der poetischen Gestalt Siegfrieds entstanden,
sondern erst in älterer Dirbtnng an diese geknüpft zu sein: die älteste Quelle,
die diese Thatsachen rühmt, das angelsiklisische Gedicht von Beowulf, erzählt
die Drachentotung und Hortgewinining von Siegmund. Wir dürfen dieses
älteste Zeugnis nicht schlechthin verwerfen, zumal jenes Gedicht wie die
nordischen Eiriksmal nodi Siegmund dme einen Sohn Siegfried oder Sigurd
kenni Es mnls neben der Siegfriedssage einmal eine besondere Siegmnnds-
Mg9 g^ben liaben, die später mit der Siegfriedssage verknüpft worden ist.
Abgesehen von diesen Zügen enthalt unser Nibelungenlied nichts Mythisches,
das uns in den Bereich der altgermanischen Gnth rwelt fiihrte. Was mnn in
ihm noch liHt finden wollen, bat mnn erst mit Hilfe der eddischen Diehtuii;^;
künstlich hineingepflanzt, Wie Siegfried eine durchaus menschliche Erscheinung
72
E. M<^k: Die ^rmanisch« HeldendichtuDg.
ist, 80 sind es auch Brunhild uud Hu^en, nur geboren sie in ihren Grundy-flgen,
vor allem Brunhild, nicht der Zeit des Dichters an, sondern ciiRr früluTcii
Penode, wo auch das Weib Freude am Kampfe fand uiul mit Brüiuie, Schwert
und Lanze dem Feinde entj^ctfcntrat. Und ebenso natürlich wie menschlich ist
das Verhältnis zwischen äiegtiied und Brunhild, das ans verschiedenen Stellen
unseres Gediebtes klar durehblickt: beide haben sidi einst geli(>])t, Siegfried hat
die Cteliebte Terlassen, er hat eine andere genommen und fOr deren Bruder die
Brunhild «worben: Liebe und Eifersucbt der bintergangaien Ftenndin der
Jugend brin}^' II ilmi den Tod. —
Ein eigentümliches litterarisches Denkmal ist die norweginche Thi()rikssaga,
jenof? Snmnit'lvvtrk von Heldensagen, in dessen Mittelpunkt der eigentliche
dcutöchc S;i<^enheid Dietrich von Bern steht. Man bat nie nu'iiics Eracbtens
zur Klärung unserer Heldensage bisher viel zu wenig benutzt, indem man vor
ihren Schattenseiten nicht das Licht beachtet hat, das sie spendet Der Yer-
fiisser hat, ww er selbst sagt, zur ünt^haltong sf^reiben woUm, doch ist er
immer bestrebt gewesen, seinen Quellen gerecht au werden, wie aus den öfteren
Hinweisen auf diese hervorgeht. Niederdeutsche Volkslieder bMiulst er in
erster Linie, daneben scheint ihm unser Nibelungenlied bekannt gewesen zu '
sein, und auch die eddische Dichtung verwertet er in mehreren Punkten. Aller
Wahrscheinlichkeit nach gehört er jenem Kreise von Männern an, die der
norwegische König Hakon an seinem Hofe pflegte, und von denen wir den Abt
Robert als Überset;6er der Tristam- und Elissaga kennen lernen. Männer der
Hansa, die man als seine Gewährsmänner hinstellt, werden ihn schwerlich mit
jenen Liedwn bekannt gemacht babm, Tielmelir war et wohl, wie jener Bober4>
ein OeistUcher, der sich lingere Zeit in mnem norddeutsdien Kloster auf-
gehalten hat. ffier nu^ er mit Leuten aus Soest, Münster und Bremen zu-
sammen gekommra sein, die ihm alte Volkslieder aus ihrer Heimat übermittelten.
So erklärt sich aueh am einfachsten seine Kenntnis des hochdeutschen Nibe-
lungenliedes, das ja im 1.*?. Jahrh. hcreiis in Norddeutschland bekannt war.
IMauderton geht durch die ganze Saga, nicht selten verflochten mit lJl)er-
treibungen, wie sie der Nordländer durch die Tflege der Lügensagas (/f/f/j.sM/ur)
liebte. Schon wdit in ihr die Luft der romantischen Fornaldarsügur des
13. Jahrhunderts: Kampfe mit Riesen und Drache sind nichts Seltenes, und
elbische Geister treiben unter den M^tudien ihr Wesen. Trots alledem ist der
Kern der Saga nicht su untersdiatsen, sumal er aus Gegenden stammt, die
der Heimat der Sage nahe liegen.
Hier ist nun Siegfried niclit der edle Konigssohn mit der feinen, höfischen
Erziehung. Er ist ein Waisenkind, das weder Vater noch Mutter gekannt hat,
er ist aufgewacUaen an fremdem Hofe, ein ungefüger, tollkühner rxeHtll, dem
erst Kampf und Erfahrung den Adel der Seele bringt. Dtr Wrfaöser will ihn
auch nidit zu einem Idealhelden gestalten, er will nur berichten, was er von
ihm er&hren ha^ und dies bausdit er nach Knften auf. Die mirchenhaften
Zflge, Drachenksmpf und ünverwundharkeit, knflpf«i sich auch hier an den
Hdden, sonst aber hat er nichts ÜbemattlrlicheB: es ist dw unerschrockene
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£. Mogk: Die geniuuuache üeldeudidituDg.
73
Knabe, der bei Mimir die SchmiedekiuiBi erlernt, der den Lindwurm R^n
erflcUagt^ die Brunliild besucht um! endlich Schwager und Knt<;t Iht des Königs
SU Worms wird, den er selbst auf die schöne Brunhilde sufmerknam machly
und für den er sie erwirbt.
Auch an der Bruiiliildi^' ist in (kr Saga uiehts ÜbernatOrlichf» , nirhts
Mythisches zu finden. Öie i^i eine miichtige Königstochter, die Freude am
Kampfe hat, und die freudig den kUhneu Helden in ihrer Halle aufnimmt und
sieb mit ihm Terlobi Als spater Gnntiier auf Siegfrieda Bat am die hehre
Jm^fran wirbl^ folgt sie diesem nur mit Widerwillen nnd grollt ihnnn früheren
Terlobtni, der eine andere mr Gemahlin genommen. Doeh sie will auch in
der Ehe noch ihre ITfidonkrafi wahren und sich ihr mcujetumn nicht mehmen
lassen: erst durch Siegfried wird Gunther ihrer Herr. Lange ist ihr dieser
zweit« Trug Siegfrieds verborgen; «jI*- ihn aber erfährt, bcsrliliefst sie den
T^ntergang des einst Geliebten: iu semem Tode findet die stolz« Königin
allt^in Sühne.
Aus denselben sachsischen Liedern, die die Quelle der Thicjrikssaga sind,
ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch das Gedicht vom HOmen Seyfrid her-
TO^gangMi. Dies ist im Änfiinge des 16. Jahrhunderts ans swei Sitten
Liedern snsammengesdiweLlst, Ton denen das «rste, das kOnere, Siegfrieds
Jugendthaten besingt, wihrend das längere im Bankelsangcrtone Siegfrieds
Kampfe mit dem Riesen Kuperan und die Befreiung der Kriemhild aus der
Gf'walt des DrJichen behandelt. Das Ringen des Helden mit dem Riesen und
dem Draelitn bildet den Kern des ganzen üedichtea; alle» iöt bereit, fast er-
mQdend behandelt. Altes Sagengut findet sich nur in wenigen Namen, be-
sonders in dem Siegfrieds nnd der Kriemhilde, und in den letaten Strophen
des Gedichtes.
Die Quelle des % TeOes des Seyfridliedes mag dem Anlange des 13.
oder dem Anfange des 14. Jahrhunderts angehören, zu welcher Zeit sieh die
deutschen Epen durch ermüdende Breite, durch einförmige Wiederholnngen,
durch Kiesen und Zwergmüren hervorthaten. Eine weitverbreitete Sage dieser
Zeit, das Märchen vom I)racbenHt<»in , anf dem ein verwunschener Prinz eine
geraubte Jungfrau birgt, hat dem Dieliter Veranlassung zu dem Gedichte ge-
geben: in Anlehnung an die Sii gfriedssagc lafst er die geraubte Jungfrau
Krimhild, den rettenden Jfingling den Drachentöter Siegfried sein, aber die
nordisdie Br7nhild-8igrdri&, die hinter der Waberlohe sehlBft, ist nie und
nimmer in jener ni finden. Und ebraso wenig darf man behaupten, dafs der
Zwergkonig Eugel, der Siegfried bei seinen Kämpfen Beistand leistet, dem nor-
dischen Gn'pir entspreche, den ein Skalde des 12. oder 13. Jahrhunderts ab
Mutterbruder des Siegronnd ersonnen hat. — '
Zum Teil anders alis in den deutseben (Jutdlen klingt der Sang von Sieg-
fried und Bruahild in der eddischen Di i lKi i;. Aufgezeichnet sind auch die
Eddalieder nicht vor der Mitte des 13. Juliriiunderts, doch rühren sie unstreitig
aus dnM* frUhooi ZeiL Wie aus dem NibeiungMiliede der höfische Geschmack
der Staufer-, aus der Thidrüms^ der Plaudnrton der Sturhu^fenaeit, so
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K. Mogk: Die gemuuÜMhe Heldendiditaiig.
apriekt aus den eddiadun Gedichten die groCse und Tielbewegte Zeit der
WikingenOge, der nordiaeh«! Vdllcerwandenuig. Aueh die Littentiir dieser
Periode hat charakfceriBÜsche Züge, die nur ilir eigen aind, die nur dem nor-
wegiach-ifllandi seilen, 'sonst keinem germanischen Stamme anp^ehSren, ja die
nicht einmal b<i «Icm dluusclu'n Brudervolke ihr Atuilogon finden, wie die
schonen Arbeiten Axel Ohiks über Saxo OrHinmuticus jüngst gezeigt haben.
Es ist ein verderbhchcr Irrtum der For^iiiung gewesen, duls man diese Züge
in eine urgermunitiche Zeit versetzt und aus ihnen ein Üebäude aufgeführt hat^
daa anf ^aernen Onindpfeileni ruht und mit Eisen bedacht iai Daa ist nur
dem unhewnlstai Etnflnsae mziiachreib^y den die Romantik in der Ktteratnr
anf die Forschui^ gdiabt hat
Wo wir in der eddischen Dichtung hinschauen, auf Schritt und Tritt
können wir den poetischen Apparat der Dichter wahrnehmen. Wir finden hier
dasselbe Sondergeprage, wie in der mitteUiocbdeutschen Epik; die Götter
nehmen Anteil an dem Geschicke der Menschen wie die Homerischen. Vor
allem erselieint ()f)inn als Beschützer berühmter Helden, der aber auch zugleich
ihrem Leben ein Ziel setzt. Göttliche Walküren, die sich bei keinem anderen
germanisdien Stamme nachweisen lassen, verbinden sich mit Recken und stehen
ihiwn mit Rat und That zur Seite. Ea sind die Wonschmadcheit des Toten-
und Schlachtengottes Ödinn, dem sie die Helden in aein Reich nifilhren und
der die nngeborsame mit dem Schlafdom sticht. Deutlich wird swisdien ihnen
und den irdiachen Schildmadchen, die sich am Kampfe beteiligen, unterschieden.
Gestaltentausch haben höhere Wesen die Menschen gelehrt, und aus den Händen
unterirdischer Mächte wird der Yerge?srnheitstmnk gereicht. Wiederholt lodert
die Waberlohe, die ebenfalls aulser dem norwegisch-isländischen kein germuni-
scher, kein skandinavischer Stamm kennt. Von Zeit zu Zeit taucht die Gestalt
eines IMunonen au^ bald in Wort- und Weisheitsstreit mit den Göttem,\bald
den Menachen Terderbenbringend. Dam geht durch die mmaten Gtedichte ein
didaktiaoher Zag, der sidi aelbat bei solchen mit rein epischer Grund-
lage findet.
Die grofse Zeit der Wikingerztige mit ihren Tiel£schen Anregungen hat
die Wirklichkeit und mit ihr auch die alte Dichtung und Sage in eine höhere
Sphäre (rohobon — das ist das Charakteristische der eddischen Diehtnng. Der
Verkehr mit anderen Völkern, vor allem mit den Angelsachsen, hat eine fast
zur Theokratie ausgebildete Religion geschaiien, im Bunde mit ihr hat eine
nadi Freiheit und Unabhängigkeit strebende Aristokratie diese latteraturblflte
zur Entfikltnng gebradit. Aber altea^ ererbtea Nationaleigentum, das in Bausch
und Bogen auf urgmnaniaehe oder auch nur altdeutsche Verhaltniaae und Auf-
fassungen zurückgehe, ist ea nioht.
Mit diesen Thatsachen müssen wir rechnen, wenn wir die altnordische
Dichtung zur Kritik der deutschen Heldensage benutzen wollen. Leider hat
gerade der Abschnitt der Eddalieder, welcher die Sage von SignrO und Brvn
hild enthält, in der ein/i^ren Handschrift eine arge Lücke. Diese vermag uns
auch die prosaische Wiedergabe unserer Lieder in der Völsimgensuga, deren
.^ .d by
£. Mogk: Die gennaiiiwhe Heideodicbtaiig.
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YeifiMMr die Sammlgiig noeh vollBtiüidig vor aich hatte, niolit guu xa er-
aelMii. Dum konunty daTs auch der fibrige Teil der Sammlung nidit un-
bedeutende Schwierigkeiten bereitet. Mehrere Lieder haben denselbm Gfegen-
stand behandelt, sie haben aber nicht die gleiche Darstellung der Sage, nidii
denselben Aufputz. Von anderen sind dem Sammler nur Bruchstücke im Ge-
dächtnis gewesen, seine durchaus nicht klassische Prosa hat hier das Fehlende
ergänzt. Sind doch zwei bis drei .lahrhunderte ins Feld gegangen, stit sich
die ersten Skalden über die ruhiureiclu ii Tliaten der Völsungen und Niflutigen
machten und sie in den Liedern besangen, von denen uns die Kopenh^ener
^ndadurilt die letatea Beste bewalirfc hai Trofat alledem laBsen sieh noch
denllidi swei Parallebagen erkennen, in denen das YerhSlteis swiseben Sigurd
und Biynhild verselueden aufge&fst wird: nach der einen weckt Sigurdr die
hinter der Waberlohe schlafende göttlicln- Walküre, nach der anderen kommt
er in seiner Jugend zu einer kühnen Königstochter, die, wie viele Schildmaidc
der Völkerwandorung und der Wikinpcrzüge, Freude am Kampfe hat. und ver-
\nhi ?ich mit ihr. Letztere Fassung »iimmt zur deutschen, wie wir sie aus
dem Nibelungenliede und der ThiOrikssaga kennen, erstcrc hat ein durchaus
nordisches Kolorit, und ich verm^ ihr kein deatechee Heunatsrecht einsu-
rSomen, du man für sie in An8[Hnicli nimmt. Qeihdrt doch der Sang Ton der
adUafenden Walküre gerade joten Oedichten an, in denen wir die nordische
Weiterbildung und Ansschmfickong der ans Deutschland eingewanderten Sage
•JT^nz besonders klar erkennen. Daher hat man schon vieles, was einst W.Grimm,
Lacliraann u. n. als altes Sagengut auffafsten, als solches preisgegeben und es
diT nordischen Dichtung zugewiesen. Hiorhcr irrhort ?.. B. die Vorgeschichte
den Schatzes, die Erzählung von den drei Asen <)()inn, Loki und Hoenir, die
als Bufse für den erschlagenen Otr das Gold zahlten und den fluchbeladenen
Bing spendeten. Hierher gehört auch die Auflösung, dab die erwachte Brynhild,
wie wir im Sigrdrifamfl lesen, den jungen Sigurd^ Runenweidieit gelehrt haben
soU. So iat sohon mandiea gefidlen, aber noch hat man sich meines Erachtend
dem Wichtigsten gegenOber zu zaghaft verhalten: nämlich 'die Brynliild ihres
ttbematflrlichen, ihres gottlichen Glanzes zu entkleiden.
Brynhild ist nach den Eddaliedern die unjiehorsame göttliche Walküre,
eines jener halbgöttlichen Wesen, die unter dem Befehle Ör3inns stehen. Sie
hat gegen den Willen ihres Gebieters dem jungen Agnar den Sieg verliehen
und den alten ^jalmgunnar zur Hei gesandt. Zur Strafe für ihren Ungehorsam
stiebt sie ödinn mit dem Sehsliom und nmgicbt ihr Ligsr mit dnw nmchtigcn
Waberlohe. Hiw ruht sie, bis Sigurdr auf Oranis Bfleken die Flamme durch-
reitet und die Jungfrau weckt. — Wo finden wir anderenorts in der germani-
sdien Sage und Dichtung anch nur eine Anspielung auf jene gottlichen Wal-
küren, die im Dienste des Schlachtengottes stehen und seine Befehle ansftÜiren?
Nirgends. In der norwegiscli iHlandischen Poesie dagegen treffen wir sie nnf
Sehritt und Tritt; schützend schweben Walküren üher Ilelgi dem llimflings-
teittr, in Scharen begleiten sie den Leichenzug Baldrs, ihr Erscheinen serkiuidet
in der Vglnspä das nahe*0ötterge8chick. Allerorten erscheint Ö^inn als ihr
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E> Mogk: Die geniuiiüiclie Hcldendichtiuig.
Herr und Gebieter, Ödinn, der ebenfalls nur hti den Norwegern diese Macbt-
sphSze erlangt bai Die Walküren sind ein nordisches QebUde aus der
Wikingeneit und gehören zum poetischen Apparate jener Periode. Dasselbe
gilt Ton der Waberlohe. Auch sie kennt kein gemuuuschsr Stamm aufser dem
norwegisck-islündischen, b(d ihm aber finden wir aie wiederholt: hinter ihr
weilt im Lande der Reifriesen die schöne Oerdr; die Waberlohe mub durch-
reiten, wer die Liebe der Menffiri J erlangen will. Und nur aus der nordischen
Natiu" erklären sich Wort und Bild: 'in wellen artigon SchwingTingfn erhebt
sich über den Bergen Norwe<?enö und Islands ilie Auroni borealiä, funkelnde
Lichtstrahlen schiefsen am Horizonte empor, immer achneller wird die Bewegung
dw 6hitwellen\ Das ist es, was noch heute der Norweger vavra nennt. Dies
Fbunm^imeer im Norden mag dem Mythus tod der auf dem Bwrge ruhenden
Jungfrau Veranlassung und Farbe gegeben haben. Auf keinen Fall ist er
altes nrgermaniscbes Mythen- und Sagengnt, ebenso wenig wie die gottliche
Walkürennatur der Brynhild. Daher wissen weder unser Nibclungrailied nocfa
jüp durch die Thidrikssagu vertretenen sächsischen Volkslieder etwas von diesen
mythischen Zügen: sie sind in Deutschland nicht vergessen oder ver-
blnfst, sondern sind liior nie bekannt gewesen. Und es wäre wahrlich
auch wunderbar, wenn sich in der deutschen Dichtung bei der Brunhild nicht
ein einziger myliiischer Zug erhalten hatte, wahrend doch die märchenhaften
Züge, die die Sage an die Gestalt Siqjfrieds geknüpft hat, der Drachenkmnpf
und die ünTerwundbarkeit, in allen deutsehen Quellen auf gleidie Weise er-
halten sind.
Neben dieser Erweckung der götttichen WaDcflre hinter der WaborI<ihe
weifs aber die eddische Dichtung noch Yon einem anderen Besuche Siegfrieds
bei Brynhildc. Hier hat dh- Tungfrau nichts Übernatfirliclu s, nichts Göttliches,
sondern sie ist eines jener .Schildmädchen, die Freude am Kaiiuif' tindeu und
sich selbst an diesem beteiligen. Die alten Lieder von der ßnivuIJaäcklacht
geben uns ein treffliches Bild von ihrem Treiben und Wirken. Wie in ihnen
erscheint aodi hi«- Biynhild. Sie ist Budlis Toditer und bSlt sich bei König
Heifflir auf. Ihr Vater hat sie ob ihron miunliohen Wesen schon m froher
Jugend inr Sehildmaid beatimmi Von Sigurd hat sie gehört und ist für den
Helden begeistert. In der Zeit, wo die Waffen ruhen, sitzt sie in ihrer
Kemenate und webt seine Grofsthaten in einen Teppich. Einst kommt der junge
Held an Heimirs Hof Durch Zufall lernt er die Brvnliild kennen, und sie,
die nocli keinem Manne den I'hitz neben sich vergönnt hat, nimmt ihn freund-
lich auf. Wohl rult sie ihm zu: 'Nicht ist es beschieden, dafs wir beisammen
wohnen sollen; ich bin eine Schildmaid und tri^e den Helm bei Heerkönigen,
und ihnen will idi au Hilfe kommen, denn nicht ist es mir leid an Umpfen*.
Aber der ungestOme Jflngling wiU das Mädchen erwerben, und er bringt es in
der That so weit^ dafe beide sich verlobra.
Man pflegt diese aweite Fassnn«; der Ssge für einen spiteren, speaieU
nordiselun .\iis\viiehs anzusehen. Das kann nur geschehen, solange man den
Walküreiunjthus zu der ältesten Gestalt der Sage rechnet Gewüs hat die
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E. Hflgk: Die gerauiiMehe Heldendiehtung. 77
Einkleidung dieser zweiten Fassung junge, ja sogar ronumtisdie Zflge, allein
der Kein dedct sieh ao mit der Überli^tornng im Nibelnngeiiliede und vor allem
in der ThidrikaMga» dals ich nicKt daran sweiflsy dals wir bier die altere deutsche
Faann^ dw Sage TOr uns haben Beide Fassungen sind dann in der nordi-
sehen Dichtung TermiHcht worden, zuerst wohl in ^em Liede, das Gunthers
Brautwerbung nm Brynhild enthielt^ und von dem uns die Völsungensaga swei
Strophen erhalten hat.
Rechnen wir mit all dipspn Thatsachen, die eine unbefangene i'rüfimti dvr
einzelnen Quellen und ihrer Zeit ergiebt, so gestaltet sich die alte Sage von
Siegfried und Brunhild ungefähr folgendermafsen:
Bnmhild iit tob Haus nns knne göttliche Walküre, sie ist eine Sehlachten-
jungfinan in Brfinne und Hehn, mit Schwert und huaß, eine« jener Schild-
müdchen, wie sie die ROmer unter den Leidien der Markomannen landen oder
wie sie gefessdt im Triumphzuge Aurelians den schaulustigen Bewohnern Roms
TOr die Augen traten oder wie sie an der Spitze ihrer Scharen in die Bravalla-
schlacht ziehen. Fast jeder deutsche Stumm konnte sich in heidnischer Zeit Holchor
Hchlcnniädclien riihinen, nnd hfi den NurdgernianeTi finden wir sie noch im Aua-
gjiiitre des 10. Jahrhundert-. Von ihrem unerüchrockencii Siiine, ihrem Mut-t"»,
ihrer alles besiegenden Kratt wissen die Dichter zu singen und sagen. Das ist
deutsche, das kt germanische Eigenart, die selbst die Römer in Bewunderung
aetrte. Verhalst ist diesen Midchen die Bhe. Stob weist die sSehsiache
KSnigstochter Olef jeden Werber xurOd^ und KOnig Erichs Kind {»orabjgrg
will nichts von einer Varniahlnng mit einem Manne wissen. Solche Helden-
jnngfran ist auch die Brunhild. Sie weilt fem von Freundinnen und nefiihr-
tinnen. Auch ihr ist die Ehe verhafst; frei will sie ihrem Waffenhandwerke
nachgehen, sie will nichts von Mannes Minne wissen. Mnfs sie «ich aber dem
Gebote der Notwendigkeit fügen, so will sie nur dem ihre Hand reielien, der
ihr an Kraft und Stärke gewachsen ist. Da kommt an den Ilof, wo sie weilt,
jener jugendliche Held, von dessen Thaten sie schon vernommen, für den sie
begeiatert isi Wir wissen nidit, wer hinter dieser Idealgestalt deutschM* Dich-
tong steckt; alle Yertuche, ihn an einem gezmanischen Gotte an machen, sind
ebenso gescheitert wie die Bemtthnngen, in ihm eine geschichtliche Person zu
finden. Er kommt in die Burg der Brunhilde, er weifs noch nichts über die
ersten Jahre seiner Kindheit, Vater und Mutter sind ihm unbekannt. Er ist
an fremdem Hofe anfgewaehsen nnd in der Freinde zum Jüngling geworden,
der nur an Abenteuern und Heldenthaten Freude find' t Wold gegen «"i'vu
Willen ist er zum Drachentöter geworden und hat sieii ue.s Schatzes bemächtit^t,
den das Ungetüm hütete. Zu diesem ist er aber erst in der Dichtung ge
worden, als die Si^mnndssage mit seiner Person in Verbindung gebracht und
er snm Sohne Si^pnnnds geworden war. Seine Hddenkraft hat den Mythus
entatdien lassen, er habe sich im Blute des Wunnes gebadet und sei infolge-
^ Ctans bewnden diese Aasfebt gedenke idi auf Qnwd der Qudlea ein-
gebend sa begrfinden.
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B. Mogk: Die gecmanitclie Beldendichiimg^.
dessLU unverwundbar. Von solchen Tliiiton hatte auch Bruuhihl veriioninioii,
und üIb ein Zufall den kflhnpn Helden zu ihr geführt, haben sioli bald die
Herzen gefunden. Wohl warnt die ächildmaid kraft prophetiHcher Ahnung den
QQW&lirenen Jfingling tot der Vorlobung, aber dieser acKiet die Warnung
wenig, und Jfingling und Ißdehen geben aidi das VerBprechen, gemeinaam
darcbs Leben ni wftndeln. Nadi altgermanischms Reebie war dies Versprechen
kein Becbtsaki Hieran wnrde ea erst, wenn der Vonnund des Madcbttu, ihr
Vater oder ihr äliester Bruder oder Oheim, Erhiubnis und TlMM^f^>^l^ag ge-
geben hatte.
So stand Sicgfiied vor <K'in iU'clito schuldlos da, wenn er Hpät<»r eine
andere zur Gattin nahm. Dot-h nichts lag ihm ferner als dieser Gedanke, wie
er (Iii' Burg der Brunhilde verliei's, um vor dtr rechtlichen Verlobung noch
weitere lieldenthaten zu verrichten. Buld iiommt er an den Hof des Burgunden-
königs, wo die schöne Kriomhild, die die oddischc Dichtung Gu<}nin ueuuf^
unter der Obhut ihres Bruders Ghinthar lebt Zwischen dem fremden kfihnen
Hdden und den kdn^chen Brfldem entwickelt sich bald die innigste Freund-
schaft, und nachdem man das Blut graiischt und sich Eide geschworen, steht
einer für alle, alle für einen. Durch Versprechen wissen die Brfider Siegfried
an sich zu ketten; sie geben ihm ihre Schwester Kriemhild zur Gemahlin und
mit ihr zugleich Anteil an der Regierung und einen Teil burgundischcn Ge-
bietes. Si) hat Siegfried der Brunhild gegenüber sein Wort gebrochen, und in
diej^er Haudiungs weise liegt der tragische Konflikt. Siegfried fühlt seinen
Fehler rcuht wohl; er sucht ihn wieder gut 7-ii machen, indem er den mächtigen
König Gunther auf diu »tarke Brunhild hinweist und ihn bet»tLuimt, um sie zu
werben. 'Gunther sei reidi an Land und Leuten, dieser gezieme sieh ffir die edle
KSnigstochter besser als er, Siegfried, der jen«u erst lAnd und Leute Terdanke'
— so sucht er sp&ter seine Handlungsweise Tor Brunhild au reditfertagen.
Allein in dieser lebt die alte Liebe ungeschwacht *Nur einen Fürsten, nicht
andere liebte ich, denn Wankelmut war meinem Wesen fremd', ruft sie nach
der eddischen Dichtung beim Tode Sigurds. Und dieser eine war Sigurd r.
Daher bricht jetzt, wo fie gieh von diesem hintergangen sieht, das ganze Un
gcstnm ihrer Kriegernatnr durch: sie will niehts von einer Ehe mit (iuiither
Wissiii, sie will ihrem ersten Versprechen treu bleihen, und, da sie Siegfried
nicht haben kann, auch ferner im Kampfe das Scli\vt;rt zücken und die Lanze
werfen. Doch gezwungen von ihren Angehörigen giebt sie endlieh nach, und
liebelos folgt sie dem gehaTsten Manne, d«- sie nach ihrer Meinung um ihr
Liebstes gebracht hai So ist sie nach dem Rechte Gunthers Gattin, aber noch
nicht in Wirklichkeit: ihr magdwm will sie sich wahren, und im Kampfe um
dieses unterliegt Gunther. Um auch in diesem Punkte ihrer Herr au werden,
mufs Siegfried abermals einschreiten, und bei diest r Gelegenheit nimmt er jenen
verhängnisvollen King, den er der Kriemhild schenkt. Jahre vergehen. Brunhild
fügt sieh in das Unvermeidliche, aber in ihrer Brust schlummert Eifersucht auf
Kriemhild und die alte Liebe zu Siegfried. Sie macht letzterem keinen Vor-
wurtj die Brüder seiner Gattin haben ihn umstrick^ verleite^ böse Schicksals-
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E. Uogk: Di« germanische Heldendiehtoitg.
79
machte haben ihr ihn eatrisfien, Zweifel qnalt sie, ol) (iunther sie wirklich
beniegt habe. Da erfahrt sie durcli ihieii Streit mit Ivneiuhilde eleu wahren
Sftcbverhalt, und nun giebt 6b ftr die stöbe Königin nur noch einen Weg:
Siegfried rnnfs sterben, danüt sie gerSeht ist^ aber damit sie audi sugleich mit
dem einiig Geliebten im Tode Tereint sein kann. Als dann die Nachricht von
Bi^fiieds Tode ihr zu Ohren komm^ da bricht ihre Tolle liebe zu dem Helden,
ihr ganzii HaCs g<g('n Gunther und seine Sippe hervtjr. Sie macht ihren Ge-
fühlen Luft, sie ofienbart Gunther ihr Innerstes, ihre Seelenkämpfe in der
Zeit einer verhafsten Elu*. Nur eine Bitte hat sie noch an ihren Gemahl:
'Der Wünsche letzten gewähre mir, Gunnar, nicht Weiteres wird Brun
bild erbitten im Lehen: so breit lafs schichten der Buche Scheite, dain tür
alle reichlich liaum sich finde, die wir treu dem Sigurc) im Tode folgen. Mit
Schüdftn ottd T^pichen sdmifleket den Hohstois, au der Seite des trefflichen
Heldra verbrennet mich*.
Der Wonsch wird ihr gewahrt: auf dem ScheiterhanÜBn, worauf Siegfrieds
Leiche Hegt, stufst sich Branhilde das Sdiwert in die Brust
So endet das grolse ergreifende Drama von Siegfried und finmhilde. Wir
können den Helden nicht von aller Schuld frei sprechen und wir empfinden
mit der hochherzigen Heldin wie jene Völve in Heireif), die ihr den Eintritt
in das Reich der Ilel versagen wollte. Das ist ein Drama aus der Heldenzeit
unseres Volkes, dem Leben entnommen und durch Dichtcrtalent gewaltig ge-
staltet. Aber etwas Übemaifirlicbee, das ans ins Reich der Götter führe, finden
wir nicht in ihm. Die nüfapdienhaften IXigfi, Siegfrieds Kampf mit dem Drachen
und seine UnTerwnndbarkeit^ können den Orundrüs nicht Teiandem. Die Sage
und Dichtung hat Minliche Thaten andb an andere Menschen gekaftpfly in denen
noch niemand zu Heroen verblafste Gottheiten erblickt bat
In dieser Gestalt ist die Sage aller Wahrscheinlichkeit nach bei den
Franken entstanden. Hi»'r ist sie auch verbunden worden mit der Nibelungen-
sage d. h. mit der S^e vom Untergange der Burgitndeiikr>!)ii/f. Von hier
wanderte sie dann nach Oberdetitsehland, wo sie an die oritgotisehe I)ii>trieh-
hage geknüplt und wo sie vom Dichter des Nibelungenliedes in jenes hötische
Qewand gekleidet worden ist Auch hier haben sie schaffende Geister neu ge-
formt und wachsen lassen. So ist u. a. dem Horte^ den Siegfried dem Drachen
abgewonnen hatte, eine Vorgeschichte angedichtet worden, und neben dem Gold
erscheinen Sehwert und die unsichtbarmachemfe Nebelkappe als alter Besits des
Zwerggeschleehtes. Die Forsdiong hat früher auch diese Züge für uralten
Bestand der Siegfriedssage angesehen. Das mythische Qeschlecht der Nibe-
lungen, altdeutscher Gottheiten der Finsternis, meinte man, sei das ältere, nach
dem die Burgunden erat später als Herren Hortes den gleichen Namen er
halten hätten. Auch diese Annahme ist tuL-iprungeii aus dem Streben, in
unserem mittelhochdeutschen Gediclite überall alte Uüttermjthen zu suchen.
Oeben wir von ihr ans, so stehen wir vor einer Reihe ungelöster und unlösbarer
fVsgen: flberall stehen Drachenkampf and Hortgewinnung im engsten Zusammen-
hange^ nirgends wird Siegfried^ der den Hort so lange besessen^ Nibelung genannt,
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80
£. Mogk: Die germaniMhe Heldendiditiuig.
die Burgundenkonige sind nie BeBiteer des Schstaes gewesen, nach dem sie dt n
Namen haben sollen, in allen anderen Quellen endlich, aufser im < rston Teile
des Ni^fhingenliedes, sind unter den Nibelungen die Biircriindenkönige tmd
iliro Leute verstanden, nirgends dm m_ythiftche Ni})eluiigenge8chlecht. Die
Zweifel lösen sieh uiit<r der einfachen Voranssetznii^, die schon Wilh. Müller
verteidigt und jüngst in VVihnann» einen warmen Fürsprecher gefunden hat,
dftfo der Nttne Nibelungen für die Burgondm «ks iltoe üid dalk das mytiuBehe
Nibelungengeachleeht das Phantasiegehilde eines apateren Dichten iBi> der dem
Horte eine Vorgeechiehte hat schaffen wollen. Dieie aeh5pfte er aber ans
dem Yolks^nben seiner Zeit, nach dem das Volk der Zwerge in den Bergen
nach Art des mittelalterlichen Lehnstaates organisiert und im Besitze grofser
lleichtfnner war. Auch hier bewahrheitet es sich: den Dichter der Quelle und
die Anschauungen seiner 7<'it zu versteh »t. . 'la- ist die erste und wichtigste
Aufgabe aller saggesclüchtlichen und mythologischen Forschung.
Von den Franken kam aber auch die Sage von Siegfried und Brunhild,
direkt oder indirekt, nach dem europäischen Norden, wo sie bald ein Lieblings-
thema norwegischer Slnlden wurde. Durdi diese lernten sie die Kelten
Britanniens kennen nnd Terfloditen sie mit ihrer Heldensage. Ans letaterer
leuchtet noch die ältere nordische Gestalt herrcnr, dieselbe, die ein Yer^^eidi
mit den deutschen Quellen als die oraprÜngliche ergab. Von den norwpgis't'hen
Dichtern wurde dann die Sage weiter ausgebildet. Es ist wahrscheinlich, dafs
hier mit ihr ein Motiv verknüpft wn-den ist, wie wir e<» in unserem Märchen
von Dornröschen besitzen. Von den Kelt<.'n sieheinen die Nordgermanen nach
Falks Nachweisen dies zn haben. Doch hat es ein ganz nordisches Gewand
erhallen, und so int die hinter der Waberlohe ruhende Jungfrau entstanden. Auch
lassen die Dichter, wie es der Zeitgeist m-langte, ihren Idealgott Ödinn an dem
Qesehicke des jungen Helden und seiner Familie thfttigen Anteil nehmen und
machen die Brunhild zu einer seiner WalkOren. Doch alles das ist nordische
Dichtung, nicht urgermanische, nicht altdeutsche. Aber sie ist von germani-
8thein (leiste durchgeht, und so mögen Kunst und Poesie auch fenuibin ihre
Motive benutzen und ihre Bilder neu beleben. Wir verstehen die Gefühle der
Geister, die auf diesem Gebietf arbeiten und schaffen, und wissen sie zu wür-
digen. Die Wissenschaft aber luulk sie /uriiekdriingen; sie hat die Au%abe,
den wahreu Sachverhalt zu ergrüudeu und oiten zu bekennen.
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JAHBGANG 1898. ERSTE ABTEILTTKO. ZWEITBS HEFT.
GOETHE UND DAS KLASSISCHE ALTERTUM.
Von Tbbodob Toobl.
Den Anlafä zu dun folgenden Zeilen bietet 'Goethe und das klassische Aiter-
tom' von Frans Th.«lmayr, ein mit WSime und flaehkfnintnis geachriebeDesy
g^egenea Bneh, Tornebmlieh altidttiauschen Philologen, welehe der Verf. wohl
m «nter Linie bei seiner Arbeit im Auge gehabt hai^ angelegentUchat su
empfehlen.*) Goethekennem stofflich Neues oder Anregung durch Bdiandlang
abgelegener Einzelfragea so bieten, war nicht sein Vorhaben. Wie er es im
Vorwort (S. IV) klar ausspricht, ist Zweck und Endziel seiner Ausführungen,
don Nachweis zu liefern, *daf8 Goethes tiefe GeistwbildTing znm grrifst^n Teile
auf der Grundlage klassischer Studien hrrnht, dafs die Anerkennung ihres hohen
VVtrtes ihn durchs ganze Leben begleitet und dafs er den vertrauten Verkehr
mit allem, was aus dieser Quelle stammt, mit hebevoUer Teilnahme bis in
Ntne spätesten Lebenstage onterhalten hat/
Dieser Naehweis ist nicht nnr mit wohlthuender Hingabe, sondern ancb
mit Umsicht und ChrflndlicUEeit geführt wordra, unseres Erachtens in durchaus
flberzeugender Weise. Die Darlegungen des Verf. wirken Tomehmlich dadurch
Bo einleuchtend, dafi» er so viel als möglich den Dichter selbst sprechen hifst,
Urteile anderer über ihn nur spärlich heranzieht und es gewissenhaft vermeidet,
seine Beweisführungen durch Beibrinp^ung von Nebonsächlichem oder gar Zweifel-
haftem zu beeinträchtigen. In löhliehcr Seibstbestliränkung liilst er sieh auf
ferne Auklüiige an Antikes, die bei Goethe schier aller Orten zu finden sind,
nicht ein. Was er aus dessen Werken bespricht, weist dem iniiaite oder djjr
Fonn iMck nnsweifeUuift auf Uassiaehe Muster hin, wenn nidit gar Goethe
tuidrileklich anf solche sich besielii Palftophron und Neoterpe, Was wir
bringen, die nattirliche Tochter, Pandora, des Epimenides Erwachen, Helena
wentiUL daher nor als 'antikisiwend' behandelt, weil sie blofii nach gewisien
Seiten an antike Vorbilder gemahnen; in gleichem Sinne werden Tasso und
Hermann und Dorothea besprochen. Alle, die flberzeugt, nicht überredet sein
wollen, werden dem Verf. auch das Dank wissen, dafs er es nirgends darauf
anlegt, durch Summationen verwandter Thatsachen aus verschiedenen Lebens
Perioden G.s ^\ irkungen zu erzielen, den chronologischen Faden vielmehr bis
m Ende festhält.
*) Qoeth« nad das kUiiisebe A.liertum. Die Bniwirkttiig der Antike auf Goetb««
Dichtur^eii im Zusaninifriliange mit dem Lebensgange des Dichtere durgextellt von Dr. Frans
Tkalmajr, k. k. GjmnasialprofeMior in Lins. Leipaig 1897, fock. V, 186 8. gr. 8.
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82
Th. Vogd: OoeÜie und dM UMiitdM Altartum.
Der Gesarateiudiuck muls für jeden Verehrer des klassischen Altertums
hocherfreulich sein; die AusfÜhriingen des Verf. dürften aber auch auf manchen
Qoeihekenner flberraaehMid inrk«ii. Dab die Beschäftigung mit dem Altortain
bei allem, was Qt. in aeinrai langen Leben betrieben ba^ stUl neboihergegangen
ist, wissen alle Kundigen. Wenige werden aber diesen Stadien eine so nadi'
haltige und tiefgehende Bedeatnng im Innenleben des Duditers beigemessen
haben, wie sie nach Thatmajrs tinanfe(litl)aren, weil zumeist durch Qoethe-
stellen belegten Ausfahrungen anerkannt werden mufs. Hinter naturwissen-
schaftlichen Interessen sind bei 0. die philologischen merklich zurückgetreten
nur wahrend der der italienischen lieise unmittelbar vorhergehenden Jahre, in
denen tler Diehter neben einem ihn stark in Anspruch nehmenden praktischen
Amte in die Aiitangsgründe der Naturwissenschaften sich einarbeitete. Weiter-
hin hat swar aeitweilig die Minmlogie, Meteorologie and TomehBÜldi die
Farbenlehre s«n Intwesse stark in Anq»nich genommen. Als seine eigent-
liche Lebensaafgabe hat er seit der Bflckkehr ans Itslien inunw die hfinstleriaehe
im weitesten Sinne des Wortes angesdioi. Bm deren LSsang waren and blieben
aber seine Hauptführer die Alten.
Die volkstttnüiche Schliditheit von Hans Sachs, den genial -kraftvollen
Realismus; Shakespeares u. s. w. hat G. zeitlebens gebührend gewürdigt. Seinem
durch Italien geläuterten Form und Stilgefühle konnte aber weit«^rhin weder
der ©ine noch der andere, noch weniger die mit Formlosigkeit sich brüstende
Romantik voll zusagen. Dem Einflüsse der letzteren hat G. verschiedentlich
nachgegebeu, ganz vornehmlich da, wo es ihm besonders bequem erscheinen
mnlste^ in den sweiten Teilen Ton Wilhdm Heister nnd Fansi^ Im Divan da-
gegen dodi nar insoweit dalb die peinlichste Sorgfhlt in der Formgebni^ dabei
gewahrt blieb.
Bei der grofsen Bestimmbarkeit, die 6. zeitweilig verschiedensten Kunst-
richtungen gegenüber geseigt hat, mufs die zähe Festigkeit doppelt beachtlich
erscheinen, mit der er am klassischen Ideal festgehalten hat. Pindar Odeni,
Aeschylus ^Prometheus* !, Euripides !Gött4»r, Helden und Wieland), Aristophanes
(Satyros. Vogel'^ hatten den jungen Mann begeistert in der Zeit des 'Sturmes
und Dranges'. Sachliche, sprachliche Anklänge au Antikes ziehen sich durch
Elpenor und Iphigenie wie dmch die wesentlich späteren 'antikisierenden'
Blihneostficke^ die mit 1800 anl^bend aaf ein Yierteljidirimndert sidi Terteilen,
bis snr Massiiwihtii Walpurgisnacht nnd dem Abechlasse dar froh begonnenen
Hdena. So sehr interessierm noch den nahem AchiigipUungen die Stoff» der
grieehiadien Tragiker, dab er, mit Philologen von Fach wetteifernd, sogar
mit Tragödien fir^menten und dürren Angaben über Tetralogien eifrig pich be-
schäftigt. In die klassische Walpurgisnacht spielen ja auch naturwisaenschaft-
liche .\nlio£jen mit hinein; das (lanzo ht aber der hellenischen Sagenwelt
vtin den rohtsten Naturanfängen bis zu den hehrsten Gebilden homerischer
Dichtung gewidmete Und die Hauptarbeit davon fällt in die späte Zeit
von 1^27 — 1S30!
Geradem einxigartig (das wird aus Thalmajrs Schrift erst recht klar) ist
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Th. Vogel: Goethe and die UaniMbe Attertum.
83
aber das Verhältnis G.s zu Homer. Von allen Dichtem aller Zeiten hat keiner
vennoehij Qoethen auf die Dauer nnd ganx m feaseln aulhsr dem einen
Homer. Spanisehea, Ruflsiscbes, ytthauiBchee, GhineBischeB o. s. w. hat 0.
kennan und in seiner Art sehataeB galemt Der Diehter schteckUiin ist abor
fDr ilin immer Homer geblieben; in diesem StQche hat die Wertherbegetsterung
stündgehalten bis zuletzt. Eriunemngen an Homerisches umschweben den
Geheimen Rat Goethe in Italien, wie sie ans grofnfn und k!ein«^n Artlüssen
8. Z. den Auskultiitor (i. in Wetzlar mn8cli\vol)t battt'ii. Im Ikrl>.st IT'JS richtet
er Homerahenile ein, an derer jedem ein (iesang Ii s von ihm deklamierend
vorgelesen wurde. Mit entschiedener Vorliebe t>tellt er von 1799 — 1805
Kfinstlern PreiBaii%abeii ans d^ Gestalteiiwelt Homers. Sein umfönglieher
Auszog ans dw Dias vom Jahre 1798, in dem er alle Motive der Diehtung
zusammengestellt hatte, wird 1820 sorgfiiltigst von ihm für den Abdruck in
'Kunst und Alterthum' flberarbeitei Rfihrend ist das bekannte Distidion, in
dem der f^ofste Dichter unseres Volkes dem Einen, rnerreichbaren gegenüber
mit der Holle eines nachstrebenden Homeriden sieh demütig begnügt. Schier
bis zur Verlencrnnng seiner Eigenart ist G. in seiner Aohillci? (ITOO) ge-
gangen, in der er, als Ergiinzer Homers sich fühh iul, an .s» in Muster »ich biü
auf den Ausdruck und kleine Kunstmittel angelehnt hat. Begreiiiieh ist, dafs
der Dichter, der kurz vorher in Hermann und Dorothea als einen gott-
begnadeten Homsridfioi ddi erwiesen hatte, es bald als eine Unmöglichkeit
erkannte, die Aehilleis in der begonnenen Weise an Ende zu fOhren. Dafs er
die Arbeit ttberhaupt angegrifien und so weit geführt hat, ist aber ein viel-
besagende^ Zeugnis wie für seine Bewunderung der Dichtergrölse Homers so
f&r die absonderliche Wertschätzung der homerischen Gtestaltenwelt.
Aneh auf dem Gebiete der bildenden Kunst hat G. in seinem langen Leben
für sehr Verschiedenartiges neben- niul luiclieiininder sicli Ix-ireistert. Das
Interesse für griechiscli- römische Kunstwerke liat ihn aber Ix-gleitet von der
Kinderzeit bis in die letzten Weimarer Jahre. Künstlerische Anregung hat er
Tou Meistern aller Zeiten und Volker erhalten. Die eigentliche echte Kunst
ist aber immer (Ar ihn die antike geblieben, so wenig er s. B. der alteren
dentsehen Baukunst, Malerei und Bildhauerei Anerkennung versagt hat^
AUgemein gilt als ausgemacht, dafs der Dichter G. anf dem Gebiete der
Naturwissenschaften als Gelehrter sich hervorgethan hat. Hat nicht auch die
Philologie ein Recht darauf ihn als einen der Ihren in Anspruch zu nehmen'?
Denkt man bei Philologie wesentlich an Grammatik, Linguistik, Text-
kritik u. dergl , so ist die Frage zu verneineii. Fafst man sie im Sinne
F. A. Wolfs auf, so wird man flem nicht zunftmäföig geschulten Dichter gern
einen Ehrenplatz unter den tieiuiuegenden Förderern unserer W^isaenschaft zu-
erkennen, den kein Geringerer als Wolf selbst (Widmung des Museums der
Alt«rtamswissenschaft, Bd. I) ihm angewiesen hat. Wird G. als Natoifbrsdier
anerkannt trots seines Idiotentums in der Matiiematik nnd der grandfl&tdiehm
Yerwerfong aller feineren Experimentiermittel, so wird die Philolt^e wohl so
hochhersig sein kennen, dem einxigartig tiefen Kmner antik«' Kunst nach-
6*
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84
Th. Vogel; GkMithe and das klamucbe AUertom.
suadien, dtb er nidit lateinisoli gMchrieben und «ntike Studien mdtr dilet-
tantiieli betrüben bat. Hentnitage bat maneber Bemfiqpbildog« eogur wobl
Anlafs, auf 6^ philologische Bethatigang mit Beschämung hmzublicken , gana
abgesehen vom Punkte der Begeisterung, in dem wir Neueren im allgemeinen
leider kümmerlich bestellt sind. Die Anzahl der römisch - griechischen Schrift-
werke, welche 0. durch Lektflre im Original — natürlich nach seiner A.rt —
genau kennen gelernt und bis zu einem beachtlichen Grade sich zum geistigen
Eigentum gemacht hat, ist sehr ansehnlich, nicht minder die der gelehrten
Themen, die er im Verkehr mit Wolf, Güttiiug, Eichstädt, Gottfr. Hermann,
Sebobarthy Riemer o. a. nadi nnd nadi behandelt bat
Dw Thateache, dab G. ein hoher Verebrer und nach nelea Seitra ein
gründlicher Kenner des Altertums gswesfoi ist, stdit UUigst und naeh "nial-
mayrs Darlegungen ToUeiidB nnersehlLtbariidi fbÄ, so dafs kein Mifswollen daran
rütteln kann. HSdist unbequem ist fireilicb Tielen Neueren diese Thatsacb^
licht nur dem Pöbel der Misologen, sondern auch manchen Ffibrem auf dem
'Gebiete des höheren Schulwesens wie der Kunst.
' Dem Naturalismus und ' Impressionalismus' unserer jüngsten Zeit ist der
Goethe der Sturm- und Draugzeit natürlich ein Entzücken, zusagend ö. auch
noch, soweit er weiterhin in den Bahnen von H.aus Bachs oder Shakespeare
gewandelt ist und ron dem Satse der Romantiker, dafs dem Genie alles erlaubt
sei, sdniftsteUeriseh gelegentlich Gebraudi gemadit bai Der antikiBierende
G. ist dieser Richtung aber durdiaus unsympatbisdL Spielte die konventionelle
Heuchelei nicht auch in aestheticis eine Rolle, so würden tou den Realisten
nicht nur die Achilleis, Natürliche Toehtw u. s. w. als * frostige Stviriien nach
der Antike' beiseite geschoben, sondern schliefslicb auch — die Iphigenie.^)
Da dieses Stück einen alten Ruf geniefst und von rielen noch heute hoch-
gehalten wird, so spendet man ihm ja wohl meist das herkömmliche Lob oder
geht wenigstens mit höflicher Verbeugung vor dieser antiken Studie Goethes
vorüber. Der Moderne von reinem Wasser gefüllt sich aber inuner mehr in
Andeutungen, dafs der kraftvolle, gesund -realistische, noch dazu durch natur-
•wissensdiafllidio Anschauungen ansreiebend proifim gestimmte Goethe durch die
beiden gefiihrlichen idealistischen Doktrinare, Schiller und den sogenannten
*Kunstme7er', auf falsdie Bahnm verlockt worden seL Man ist bemüht dar^
luthun, dalk mit Sidiillers Tode ein gewisser Alp von G.s innerer Entwickelung
genommen worden sei und dieser bald darnach — mit einzelnen antikisiM^mden
Rückfällen — in das Fahrwasser der genialen Romantik (wenn auch suo more)
eingelenkt sei. Wie mancher von Thalmayr angeführte klare Ausspruch G.s
straft diese Auffa^ssnng Lügen! Und welche Verkennung von G.s Natur! So
leicht dit si' sich von allem an sie Hcrnntretenden, was für sie eine ansprechende
Seite hatte, beeinflussen liela, so unbeirrbar zäh widerstrebte sie allem, waa ihr
nicht gemafs war. Keine Autoriiat, au<& nicht die des besonders hoch-
gehaltenen Schiller, bitte G. bestimmen können, Politik oder Mathematik lu
B«Nod«n eingehead niul liebevoll wkd dteiet Stfiek wm Teif. behsadelt, 8. U— 80.
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Th. Vogel: Goethe und dm klassische Altertum.
86
betreiben, für das Ton den Romantikern so viel Terherrlichte Mittelalter sicli
lebhaft zn intereaaieren, das NibelnngeiiUed xaoA Gudrun mit Bias und Odyaaee
tllf gleii-he Linie zn stellen n. s. w.
Sicher hat dir VorfiiHsor wohlgethan, auf eine Kritik der Folgerntigen,
die Q. theoretisch und praktiäcli aus sei neu iVltcrtum»titudien gezogen hat, sich
nicht einzulassen. Die reine Wirkung seiner Darlegungen würde dadurch nur
beeinträchtigt worden »ein.
Raf.^ der «ine ^ebe ZorSdlultang sieh nidit an&aerlegen braneh^
idunt flieh nidit es anflsiuqpre^en, dafa der Einflitls der Antike auf Ghtettiea
IKehtoBgen wohl sieht ohne Einaduriokong ala ein gflnatiger heseichnet werden
kann. Soweit 6. unter Wahrung seiner vollen Eigenart sich Ton antiken Vor-
bildern hat anregen bwaen, bat er Uti vergängliches geschaffen. Hermann und
Dorothea und Iphigenie, von anderen Dichtungen ganz zu flchweii^|!eOy sind ein
Höchstes in ihrer Art, das nicht nberboten werden knnn. Wenn G. aber
weiterhin den iambischen Trimeter wieder heraiizit ht, auch allerlei abo;' 1' wue
antike Metra, wenn er kunstvolle Chöre dichtet, Rühuenstückcn expomerenc
Prologe vorausschickt, seine Gestalten, die nach der menschlich - natürlichen
Seite bereits in Iphigenie und Tasso nur mit leichten Pinseletrichen charakteri-
liert waren, immer unpersSnUcber werden lafst in der Stufenfolge yon Typen,
AUegorieiiy blol^ Sehemen (Homunealu^ Eupborion), so werden nur woiige in
diaien Antikisieren Itber die Iphigenie hinaus einen Fortschritt sdien. Das
Motiv, der Konflikt, die vorgefahrt werden sollen, kommen ja ohne Zwelftl am
reinsten zur Darstellung, je mehr Unwesentliches, Zufälliges femgehalten wird.
In dem Ma^e als dieses hinwegdestilliert wird, gerät eine Dichtung aber in die
üe&hr, !inr als 'akademische Studie' und aueh als solche "rir auf einen kleinen
Kreis Hochgebildeter zn wirken. 'Denken kSie sich den Uennff», in einer
poetischen Darötellung alles Sterbliche ausgelöf«cht, lauter Lieht, lauter Freiheit,
lauter Vermögen, keinen Schatten, keine Schranke u. s. w. mehr zu sehen',
hilte Sdiiüer a. Z. sn W. von Humboldt in Bezug auf das ihm Torschwebende
Gedicht 'das Ideal und das Leben' gesdirieben. Wie weit war Oo^e damals
TOD solclier Aulbssnng entfernt^ und wie bedenUidi hat er sich spiter ihr an-
genShert zur grofsen Bedntraditigung der Wirkung seiner BflhnenstQcke,
wahrend der Schreiber der angezogenen Zeilen, Schiller, Ton 1799 — 1806 ala
Theaterdichter einen Treffer nach dem andern erzielte!
Die Erklärung liegt nahe. Von den Rünbern bis zum Teil hat der
Dramatiker Schiller mit bewnfster Berechnung für das grofse Pnbliknm,
Gottht; dagegen auch ala Bühnendichter zunächst immer nur für den engsten
Freundeskreis gearbeitet. So wenig wie für Iphigenie und Tasso konnten für
Ptoseipina, Ptadora, Nansikaa, di^ Danaiden u. s. w. von Tombwein andere
•Is gaaa bescheidene BQhnenerfo^ ^wartet werden. Je ftlter 0. wnrde^ desto
l^eiehgOltiger wurden ihm aber die Ansichten der Massen nidit nur, sondern
aueh der Stimmflihrer des Tages. ' Allen Einrede der Bomsntiker zum Trotae
heharrte er bei der 1790 fPropylaen II 1) ausgesprochenen Ansicht, dafs die
höchsten Muster und Ziele des echten modernen £finstlers in der Qestaltenwelt
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Th. Vogel: Goethe und das klassische Altertum.
Homers zu suchen seien (Thalm. S. 147). Medor t-oi auf seine Art ein Grieche*
(fbendas. S 140' i«!t scino Losnng noch 1818 und weiterhin. Daneben steht
G. audorseits Hcit der Wende des Jahrhunderts insoweit im Strome der roman-
tischen liewe^nifj. dafa es ihm von Jahr zu Jahr nielir Bedürfnis wird, hw^hst-e
und tiefste Gedanken aller Art in seineu Dichtungen irgendwie zum Ausdrucke
m hrragtai. Sollfte dabei *4ie edle En^di ond Blüle Chrilfre des antiken Ideals*
(Dich! n. WahrlL Vlil) nieht geopfert worden, ao moTaten die TonEiifUirenden
Qeatalten immer mehr dea Persfinlich -Zufälligen entkleidet und, wie wir oben
andeuteten, erst typisch, dann allegorisch, symbolisch werden. Nur folgericlitig
war es. dafa fOr einselne der ^antikiaierenden' StOcke nieht nur der iambiaehe
Sechsflifsler, sondern socjar dif antiken Masken wieder zur Anwendung kamen.
Dafs in verschiedenen Diihturi<jen der spätereTi Zeit der Ideengehalt den
Empfindungs- und SiniuMijt^elialt hedenkluh überwiegt (S. 170), dafs wir den
Dichter des Götz und Egmunt zuletzt auf Pfaden finden, die Schiller theoretisch
zwar empfohlen, als Bühnenpraktiker aber selbst wohlweislich nie betreten Lat,
▼erfehlt Thahnajrs Schrift nickt anaudenten.
Alles daa, wie man ea andi beurteile, widerlegt jedenliüla schlagend die
AnfBuBimg, die antiken Liebhabereien seien für Q, etwas An^edrongenea,
neben der Hauptrichtung seines Wesens nur Herlaufendes gewesen.
Das schöne dem Vorworte nU Motto vorgesetzte Wort Jean Paula:
'Goethes Baum treibt die Wurri !?' in Deutschland und senkt den Bluten üher-
hant; hinüber inn ^griechische Klima' sagt in si'iTier zweiten Hälfte zu wenig,
wenn man es so auffafst, als habe des Dichters Lebensbaum sich nur der ihm
zusagenden südliehen Sonne zugewendet. Etwas anderes als er selbst hat G.
ja ztt keiner Zeit sein mögen noch können; dazu war aeine Begabung zu
mSditig, seine Eigenart zu ausgeprägt. Anderseita hat er zu keiner Zeit zu
den aelbstgenügsamen Qeniea gehört, die ea TerBchmähen an anderen sidi zu
bilden. Von den zahlreichen Vorbildern aber, denen nachzuarbeiten er aidi je
bemOht hat, hat er keines so stetig und so bewulat hochgehalten wie den
Sänger der Ilias und Odyssee. 'Die Liebe zu Homer ward in G.s dichterischem
Wesen der dauerhafteste Gnmdzng* sagt Cholevius (Thnlm. 173), 'auf Homer
ruht gleichsam G.8 rr-mTo Dichtung', sagt Loeper (el)endas. i.
Die oft augezogeneu zwei Aufserungen des Dichterji, von deueu die eine
das klassische Altertum als die beste QueUe einer gediegenen Büdung für die
htAiere Henachheit bezeichnet, die andere den Wnnaeh anaapricht, dab das
Altertnmsatndium immerfort die Baaia der hSheren Bildung bleiben möge,
dftrfen nach aUedem den Anspmeb erbeben, ala AuaflQaae einer tief begrilndeten
Herzenstiber/.eu<_ninif auf^rfafst zu werden.
Hat ein Universalgenie wie G. bis ins höchste Alter nie das Gefühl ge-
habt, den Vollgehalt der Antike annaliernd erschöpft zn haben, so mufs es bc-
trüb(nd und kaum verständlich erscheinen, dafs zahlreiche Berufsphiloiogen
lii iitzutatre von dem Schlagworte, unser Zeitalter sei über das klassische Alter-
tum hinausgewachsen, sich merklich einschüchtern lassen. Will unser Ge-
aehlecht den klassischen Studien sich mehr und mehr entziehen, so sehe es,
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Th. Togel: GoetiM und dM klunielie Aliertmn.
87
wohin es auf diesem Wege kommi Jede Begründung dieses Abfiäiles ist aber
eitrigl&liffir ali die iliSrieht-uiinalialidie, eine Quelle^ ana der die Herooa miaerer
Liilemtitr Ton Elopetock bia Goethe aich immer und immer wieder erfiriacht
baben, aei Ar nna Fortgeachrittene at^joatandeiiea Waaaer. Will man aber
etwa daa Gewicht der angeKOgenen beiden Goetheworte dadurch abschwächen,
dafs man sie als Kundgebungen eines philologischer gesinnten Zeitaltera auf-
Mst, so lädst mau aufser Acht, dafs G. nach Mehrheitsanschauungen sich nie
gerichtet hat (man denke nur an die zahme Xciiic nm Buch VI: 'Ursprünglich
eignen Sinn lafs dir nicht rauben' u. s. w V in seiner Stellung 7.11m Altertimi
«och nur von einzelnen auserwähltjen Zeitg* ;ui.>M'n voll verstanden worden ist.
Ob eine liebevolle, vertiefte Beschäftigung mit den Meisterwerken der
grieebiaeh-rSmiachen Littminr und Konat mn 'echter Ring' ist mit wmidM>-
banr Wirkongakraft aiidi fttr imaer Zeitalter, darftber wird der begeiaterte
Fhilolog wobl andere denken ala mancher in anderan Bereiche dngewuiselte
Zeitgenoaae. JedenftUa kann der Ring aeine Kraft nnr aeigeiiy wenn der
TrSger an diese glHubt. Tn diesem Glauben ihn zu beatihcken, iat die an-
geaeigte Schrift ohne Zweifel geeignet.
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DIE SOZIALE DICHTUNG DER GfilEGHEN.
(FortaeUnog.)
Vom BoBiBT PdHUfAm.
Dafs dieser Fortechritt gemacht wurtle, verdankte die Dichtung jeuer ge-
waltigen sozial-reformatoriscben Strdmimg in der Flifloaophie, deren SoBuliflinitt
▼on einem mBterialiatiaehen und rein individualietisdien KommnniwmtiB so weit
entfernt war, wie mSgilicli.')
Wir werden damit wieder anf den eigentiiehen Anagangepnnkt nnaerer
Daretellnng zurückgeführt. Auch die Philosophie ging nliinlith von jenem
liarmonieehen Weltbild aus, das ihr die Kronossage darbot; schon deshalb,
weil es sich aufs inni^te mit iliren eigenen Vorstellungen von einem idfiilfii
Urzustau<l herührte-) und daher zur all('?Tori>j(hoii Venuischauiichuug ihrer
Ideale vorzüglich geeiguet war. Dabei is-i t-a bezeichnend für die so j^auz
andere Gesinnung, in der hier der Mythus aufgenommen wurde, dafs hier
von Anfang an neben dem materiellen Moment, der Freiheit von wirtschaft-
licher Not, ganz beeonders die ethiechen und socialen £leniente des Mythna in
den Tordergrund geatdlt werden. Diese Soualphilosophie betont vor allein,
daJb das Kronosreich eben ein Gottesreich ist, and es steDt aidi, schon bei
Plato, das Bild von den göttlichen Hirten ein, unter deren Obhut die Mensch-
heit ein friedliches Erdendn^^ein geführt h^ie.') Friede und Eintracht, der
Geist sittlicher Selbstzucht und Ordnung, sowie dts Reelites Fülle, das sind
die Güter, die nach der platonischen Darstell initr des Mythus damals die Ge-
sehlerhter der Mensthen zu lux hhe^likkten gemacht haben.*) Plato verbindet
damit die Ansicht seines spüt^reu Fesäimismus, dafs die menschliche Natur
keine selbstherrliche Grewalt ertragen könne, ohne in Übermut und Ungerechtig-
keit SU Ter&UoL Eben in der Erkenntiiis dieser Sdiwiehe der Menschanimtar
habe Eronos damals keine mensdilidien Obrin^ten eingesetzt, sondern ein
gottahnliches und edleres Gescfalecht mit der Leitang der Meoachheit betrank
das Plato als IKbnonen bezeichnet, und die in potensierter Oeslalt jene Gattung
?on Übermensihrn oder 'Göttersöhnen' repiisentieren, wie er sie in seiner
qiateren Zeit für die Beherrschung eines idealen Gemeinwesens forderte.
Besonders die Stoa ist es, die ihre Ideale in dem Kronosreich verkörpert
sah. Die Treiheit unter Kxonos'^J, die kerne äuüseren rechtlichen und stsat-
Vgl die aus^eieiduwte Charakteristik des prinzipiellea tipflCBiitifi der SUdeoa-
»u»en zur f. lit. ia des Plato bei VhAid a. a 0. S S9T ff
Vgl. m. Uesch. d. aatikea Kommnniwnu» u. Soualisuus I 110 ff.
") Plato, Stsstwaina md ff. *) GsMtie IlSe.
^ 8. m. 0«Mh. d. aat Komm. a. SodaL I 116.
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R. FDUmMiB: Die sociale Diehtang der Griechen.
89
liehen Normen nnd Autoritäten kennt, sondern mir eine zwangloHP «ittliche
Ordnung, « in freiwilliges Zusammen v i rkpn aller aus freier Moraiitat nnd
Brüderlichkeit, pie ist ja durchaus ideutij*iii mit dem hyperidealistischeu Kollek-
tivieiuus und Anarcliiämus des stoischen Geseilschaftsideals. ^) Auch die Selbst-
geaOgsamkeit des stoischen Lebensideals, ein einÜMbes mit Handel und Geld-
«irtBchaft noch unbekuintos Nsburdaflein, dM sidi mit den Fr&ehten des
Bodens begnügte, &nd man in der L^^de Tom goldenen Zeitalter Terherrlidit.
So bat ein Jttngw der Sioa, einer der gelesenetoi Poeton der heUenlBtiecliMi
Zeit, Aratos von Soloi, in seinem gefeierten Lehrgedicht, den *inUUHnnenen',
(zwischen 276 — 74") die Herrlichkeit des Kronosreiches beomgen, wo 'noch
Dike, die unsterbliche Göttin, die Altesten des Volkes versammelnd bald mif
fiem Markt, bald auf geraimiigem Heerweg Bürge r<_rp!^<tze sang mit ernst
mahnendem Nachdruck, wo unseliger Hader und Kaniplesgetümmel noch un-
bt?kauut waren, wo kein Schiff Lebensbedarf aus der Ferne über das Meer führte,
sondern Stier und l'tiug und sie selbst, die recht*peudeude Dike, zur Genüge
alles gewifthrte*. Eine Darstellong, die aneh ineofem von Intereeee iaty als hier
neben dem aosDal-ethisdien Moment der bereits too Flato anflgesproebene nnd
dann vom Cynismns so entschieden betonte Gedanke nun Ansdmck konunt,
dals die Menschen zur Arbeit geboren nnd. Nach der Vorstelliing Arats hat
die Erde selbst den Menschmi der glücklichen Urzeit ihre Gaben nicht frei-
wiUig gespendet sondern sie mQssen ihr durch die Arbeit mit Pflug nnd Stier
abgewonnen werden.
Diepp Auffassung ist zugleich das Ergebnis einer h'ationalisierung der
Sagt', einer Abstreifung des 'allzu Fabelhaften', wie sie das fortf^eschnttent;
kritische Bewufstsein forderte. Verflüchtigt sich doch der Mythus zuletzt völlig
durch die rationalistische Umdeutung, die wir bei einem anderen Stoiker,
nämlich b« Poseidomos finden. Er sieht in der Sage vom goldenen 2£eitalter
nur eine mifsrerstandene Überlieferung Uber die üneit, in der die noch un-
verdorbene Menschheit dem Znge der Natur folgend sich willig der Führung
der Besseren und *WetBen' flberliefs, deren Einsicht ihr all das Olflck ver-
schafft habe, das man eben am goldenen ZeitaltcM- rühmt, Sehuts gegen Frevel
und Gewaltthat nnd Freiheit von wirtschaftlicher Not.*)
Aber nicht blofs der Mythus seiltet hat den Wandel der Zeit an sieh er-
fahren. Das Bedürfuiti, die gesellsclmtt liehen Ideale der Zeit im dichteris^ehen
Bilde zu verkörpern, führte unvermeidlich dazu, daln auch die soziale Philosophie
— ähnhch, wie ja schon die Komödie — über deu durch die volkstümliche
Sage gegebenen Bahmsn (Ibwhaupt hinausging und das Ideal auf einen gana
neuen Boden stellte, auf d^ die Phantasie des Einseinen völlig frei irslten
konnte. Und swar ist es wiederum Plat0| der hier vorangehi
Plato auf diesem Wege zu begegneni kann uns nicht wunder nehmen.
Kr selbst ist ja ein Künstler, ein Dichter unter den Denkern. Als solcher
übrigens keine vereinselte Erscheinung in einer Epoche des qtekulativen
') 8. m. Oeeck d. Komm. u. 8os. I 610 ff. *) Bei Seneo* £p. 90.
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90
B. PPhlnmin; Die loiiale Dichtang d«r GriedieQ.
Denkens, in der Oberhaupt Spekulation und Dichtung noch fortwährend in-
flinanderliefen. So gro£9 aein Yerstand Rudi -wWf er blieb doch sehr oft hinter
edner raatloB kombinierenden EinbildnngikFaft rarflck. Die systetnatiBehe
Untenaehung und theoreÜBehe Eonatrnktioii konnte dem Drange nach mSg-
liehet lebeneroUer Ansgeetaltung einw Oberreicben Gedankenwelt nidit genOgen;
Piatos Qeist beilurflo dazu nodl einer anderen Form; and das war ebw die
Dichtuii(r, Wo die Dialektik versagt, greift er zur poetisch symboh'schen
Spracht' (li'H ATvtlniH, zmn Oleichnis, um eino völlige Veranschaulichnng der
vorgetrageiioii Wahriieiten zu erreichen. Aber auch dann, wenn er sich auf
dein NV^egc der Abstraktion zu vdller Klarheit durchgerungen, konnte der
Drang, das begrifflich Deutliche nun auch noch im künstlerischen Bilde an-
auechaaen, ilberm&chtig in ihm werden. Die Glut reformatorieeher Begeisterung,
die seinen Geist weit Aber die verderbte Wirkliciikeit binauahob, erweckte
natm^emiUk immer wieder die Sehnsudit^ 'ans Tergebliehem Wunadi nnd boff-
nungsToUen Tr&ameu wenigstens bia au jenem poetiacben Schein einer Wirk-
lidlkeit sich zu erheben, welcher die Dichtnng von der abstrakten Vorstellung
des Denker'' ur f« r-cheidet'.') Selbst da, wo er nicht die Form der Erzählung
wählt, wie l)ei der Darstellung seines 'Staates', spricht Plato von einem 'dich
tcrischen Pliantrtsiepjebildo'*); die Schriften des Gesetzgebers seines zweitbesten
Staates, für die er ja in den eigenen das Vorbild giebt, sind 'nicht ohne einen
Anhauch göttlicher Begeiät^rung' geschaffen.') Das Idealbild eines Staates,
das sie vor Augen stellen, wird mit der Dichtung eines Dramas verglichen.*)
Das« kommt die Kraft der Propaganda, die der Soualiamna Ton jeber in der
Poesie gefbnden bat Wie der modern^ ao bat auch achon der antike Soaialia-
mus das Lied, die dramatiache wie die erdblende Dichtang in aeinen Dienet
gestellt. Die grolste RoUe spielt in der phtoniacben Erziehung die Liederpoesie,
die die gewünschte Gesinnung den Gemfttern schon Ton Kindheit auf einprägt^),
und die Legende oder der Mythus, der die Lehre plastisch veranschaulicht
und ihre Wirkung durch die Autorität der Tradition verstärkt*), wozu dann
noch, wenigstens im zweitbesten Staat, das Drama kommt, das das ganze
menschliche Leben durchaus im Sinne dieses Sozialismus darr-ustollen hatT)
£s gilt eben, wie Plato selbst eimuai sagt, 'alle Töne auzuäciüagen', um die
Hnaen nnd die Gditer an gewinnen.*)
So hatte Plato kaum das gewaltige GelAnde des 'besten Staates' auf-
Rohdc, Der griecbiBcht- Rmnun und Beine Yorl&ttfer 8. 197.
*) S. m. Qe«cb. d. Komm. 1 414.
^ Sie werden geradem Oetftng e besetclmet. B. ehd. 8. fiS6 und SS6.
*) S. ebd. TgL fibrigens da/.u >iic Bemerkung; Qotheiiu in seiucr ^'eistvollen Abhaodittag
'Thoma« Campftnplla, ein T>ichti'r(>hilo;ioiih der Renaissance' Ztschr f. Kulturpesch I .52':
'Immer wird die Poesie in der Philosophie ihr Recht behalten; denn nie kann diese von ihrer
hecbatea Aufgabe absehen, die vereinielten BrkenatniMW der getrennt arbeitenden Wniea-
ecbai^n tu einer \\')'ltiLnacbauunf;, einem Weltbilde zu vereinigen. Und schon mit den Wertm
cAnecbauung'*, «Bild» deut«n wir darauf, daTs sie di<'R nnr niif dem Wege der Kunst vemiap '
S. m. Gesch. d. Komm. I 281 f. &27. Ebd. S. 28S 475 628. *) £bd. ä.
*) Ebd. 8. 640.
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Bw PAUmum: Die wwiale IKditong der Cfariedien.
91
geführt, dft «aeh aehoa daa Bedfirfiiis in ibm erwadit», das Ideal noch in
einer anderen Gestalt tot Angen zu föhren: er will es in diditeriseher Ver-
kSrperung gleichsam lebendig vor sidi sehen. Ixn Timaoe, dem «raten Stüde
der philoaophiachen Trilogie, welehe eine Ergänzung und Weiterfahrung der
im Staate entwickelten Ideen und zugleich jene dichterische Darstellung bringen
sollte, hat er sich selbst darüber geaufsert. Eh sei ihm ««»ji^Tigen, wie
jemandem, dor irgendwo schnnc Tiere vom Maler (larf;o»^tellt oder lebend, aber
im Zustande der Ruhe gesehen, und der sif nun auch in der Bewegung und
in den ihrer Art angemessenen Kämpfen zu beobachten wünscht. So habe
auch er das Bedürfnis nach einer Erzählung empfunden, welche veranschaulicht,
wie die im Crcspräche vom Staat im Znatand der Rohe^) geschilderte Moater-
«fadt — in das wirkUdie Leben hineingeetdlt — die Vorzüge ihrer Inatün«
tioiien bewShren würde *), wie sie im Wettstreit und im Kriege mit anderen
StMiten ihre geistige und materielle Überlegenbeit ntr Geltung bringen würde.*)
Km eine Darstellung, in der sich die Lebenskraft des Ideals erproben und SO
— wie wir hinzufugen dürfen — die im Staate ausgesprochene Überaengnng
bestätigen soll, dafs dieses Ideiil doeli Iceineswegs blofs ein schöner Traum ge-
wesen, an (!f^-^«rn Verwirklichung nicht zu denken sei.*)
Natürln ii muiü es — giinz wie Bellarays 'Rückblick' — eine 'wahre* Ge-
schichte sein, Avenn auch eine gar 'wundersame'.'^) Es ist Piatos eigener Oheim,
der bekannte Staatsmann und Publizist Kritias, dem sie in den Mimd gelegt
wird*); und der versieht una, dab er dieae *wihre' Oeachichte durdi Yer-
taittdung aeinea glddmamigen OrdaTaters Ton keinem Qerii^ren, ala dem
greisen Selon übarkommen habe, dem Verwandten jmes Slterm Sritiaa. Sdon
aber habe sie auf seinei ägyptiselien Reiae VOn einem gretaen Priester in Sais
erfahren, dessen Bewohner sich als Verwandte der Athener betrachteten und
unter dem Namen Neith dieselbe Göttin verehrten, wie Athen in seiner
Atbena.^ Hier in Ägypten, einem Lande, das von den zahlrdchen Erdkatt^
'y oeatQ iviQiu«, wie es im 'Staat' wiederholt heilst.
*) Vgl. Ariftoteles Elb. Kieom. IV 14 p. llSBa; &«tu9 tic «dlftcrr« «tvifmMr
■flrtrau, ovta t<1: >"^r;.
*) Timäos 19 bc 26cd. Die Ailuntisdichtung Platons verhält sich in dieser Hiaücbt
tarn 'Staat' ganz ilhnlicb wie die 'Utopia' des Morus, die selbst von sich sagt:
leb wag' den Wettrtreii jebt mit Hatoi Staak, rieUdcht
sein Ülicnvinder: denn was im geschriebenen Wort
er nnr entworfen, ich allein steH's wirklich vor!
*) Vgl. was Victor Considdrant (Destindo sociale, 1837; von der Methode seiner 'neuen
WiiMDMliafi* bemerkt, die darin besteht, daTs man snent 'den Roman dei allgemeinen
WohlWfindens gestaltet, um darnach die Bedingungen dieses Wohlbefindens zu entdecken,
dafs man zuerst in Gedanken auf irgend einnm Weltk9r])cr sich eine (icsellschaft vorstellt,
in der die Ursachen des Übcb nicht vorhanden sind. Kinc Methode, die wegen ihrer An-
wmdiug in der Metfaematik dem Syetem die ünantastbarkeit einer 'exakten' Baiis verleihe.
Timäofl 20 d: i6yo9 udl« fiiv &roifos, itavränagt yt fl^ dll|9lfff.
*» In der Einleitung des Timäos und im Kritias.
^} Eine zur Steigerung der Illusion gtit geeignete Verwertung der 8[tekulatiouen über
^ Mgebliebea ZoeammÄbftage grieeUeeher «ad Igyptitdier Qeicbiebte nnd ICTthologie.
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9S PObImann: Die soziale DichtuDg der Griechen.
Strophen verBchont geblieben sei, die anderswo die Völker immer wieder fast
vernichtet und in die rohesten Anfänge der Kultur zurückgeworfen hätten,
wären eben in den Tempeln uralte Überlieferungen erhalten, aus einer Zeit,
von der bei den Griechen jede Kunde verklungen sei. Und aus diesen uralten
Tempelöberlieferungen stamme der Bericht, den der priesterliche Greis dem
athenischen Gesetzgeber erstattete.
Was den Inhalt der Erzählung betrifft, so werden wir in eine Zeit zurück-
versetzt — angeblich 9000 Jahre vor dem Erzähler — in der die Götter,
nachdem sie die Welt unter sich verteilt und bevölkert hatten, die junge
Menschheit noch selbst in ihrem Sinne erzogen und leiteten. Dem durch
Liebe zur Weisheit und Kunst enge verbundenen Geschwisterpaar Athene und
Hephästos war als gemeinschaftliches Loos das Land zugefallen, das ftir die
Entwicklung einer verständigen und tapferen Bevölkerung besonders geeignet
erschien: Attika. Da die grofsen Flutkatastrophen und sonstige Zerstörimgen
der Elemente ihr Werk noch nicht begonnen hatten, so war es damals noch
ein 'unversehrtes' Land. Die Berge waren noch nicht, wie jetzt, von der fetten
Humusschicht entblöl'st, sondern überall mit herrlichem Wald bedeckt. Daher
war auch die Bewässerung des Landes noch eine überaus reichliche und der
Boden ein aufserordentlich ergiebiger. Hier war die Grundbedingung eines
gesunden Gemeinwesens: die Möglichkeit, neben der wirtschaftenden Bevölke-
rung eine zahlreiche, ausschliofslich der Wehrhaftigkeit und den höheren Inter-
essen lebende Klasse*) zu erhalten, in vollstem Mafse gegeben, während anderer-
seits das herrliche Klima, die 'schöne Mischung' der Jahreszeiten, wie dazu
geschaffen war, die edelsten Blüten des Geistes zur Reife zu bringen.^)
So erwuchs hier ein Geschlecht von Menschen, schön und herrlich, das
nirgends in der Welt seinesgleichen gehabt hat: ausgezeichnet durch Sitten-
reinheit und durch hohe schöpferische Kraft auf dem Gebiete staatlichen
Lebens, auf das durch die Götter selbst sein Sinn vornehmlich gelenkt ward.*)
Der gottverliehenen Weisheit seiner ersten Gesetzgeber verdankte es staatliche
und gesellschaftliche Ordnungen von einer Vollkommenheit, die an den 'besten
Staat' erinnert.^)
Auch hier in ürathen erhob sich über die Masse der Ackerbau und Ge-
werbe treibenden Bevölkerung eine Gesellschaftsklasse, die genau dieselbe
Stellung im Staate einnahm und genau so organisiert war, wie die Hüter-
klasse im besten Staat. Dieser Kriegerstand, wie er nach dem Berufe der
Mehrzahl seiner Mitglieder genannt wird, wohnte geschlossen zusammen auf
•) 'Also vor etwa 9200 von den Tagen der jetzigen Wiedererzählung an, somit im
glücklicheren Anfang eines grofsen, bekanntlich 10000 Jahre umfassenden Weltjahrcs, wie
Plato, für seine Zeit in einer gewissen fin-de-sif-cle-Stimmung, offenbar absichtlich datiert.*
Pfleiderer, Sokrates und Plato S. 702.
*) Kritias llOe, nach der ohne Zweifel das richtige treffenden Lesart von Bekkcr:
aTQCtxöntdov noXv rHiv niQl rrjv yfjv tcgybv fQymv.
») 8. Timaos 24 e. Kritias llle. ♦) Tim. 24 d. Krit. 109 d,
•) Vgl. zum folgenden Krit. 110 ff.
PoUmanB: Die wtMle Dicbtong der Otiediflii,
93
dem — die spätere Akropolis von Athen in sich bergeiitien — Hochplateau,
ibs damals, als die wilde Erdbeben- und Flutnacht seinen Kelsenkcro noch
nielit in eine Gruppe einiebiM' Hfigel lenisseu hatte, als ein nalima ebener
Laiidrfloken von dar q^teren Pnyx bis vom LjkabettoB reichte.') Eine Bing^
imiier omgab den weiten Bnitm, in dem — ringe nm du Zentralheiligfenm
des Landes, den Tempel der Athrnt- und des Hephüstos — die Häuser samt-
lieber Krieger lagen. Bauten und Einriehtnng di r Wohnungen waren würdig,
TOD stolzem Prunk ebenso ferne, wie von verletzender Dürftigkeit. Nur Gold
und Silber sah man nirgends, da hier sein Gebrauch durchaus verpönt war.
Derselbe iiaum umsehlols auch noch Gurten und d'n^ gemeinsamen Übungs-
und Rpeisehanser. Denn das Leben der Burght-wohiier war (iurchaus ein
gemeinäameä. Selbst das weibliche Geschlecht nahm Teil au der geiueiusebaft-
Uehin bübiing, ja sogar em kriegerieciien Beruf dea Mumee. Zeuge deeeen
H noch heutigen Tages das Standbild der in voller Bllatnng dargestellten Bui^
gottin, eine Gestalt, die das GStterbild eben in jener Zeit xon erstenmal
empfing, die die Gleidiiieit von Mann und Weib selbst auf dem Gebiete der
Wehrverfassung durchführte.') Natürlich kannten die Mitglieder dieser eng
Terbondenen Genossenschaft auch das Institut des Privateigentums nicht In
Tollkommener Gütergemeinschaft le))ten sie zufrieden mit dom^ was ihnen das
arbeitende Volk zum Unterhalt augewiesen.
Das ist übrigens alles, was über den ersten Stand mitgeteilt vrird. Noch
kürzer falst (»iuh der Bericht über die anderen Gesellschaftsklassen. Mau hört
nur, dafa die Niederlassungen der Handwerker und Gewerbetreibenden an den
AbUogoi der lAndesbnrg lagen, sowie die Wohnungen deijenigen Landwirte^
die ihre Ädcer in der Nlhe hatten, nnd dalk das Frimdp der Arbeitsteilung
aoeh hier strenge dnrchgeftthrt war.*) Der Bauer war hier nur Bauer und
nichts anderes.*) Übrigens waren auch die Mitglieds dieses Standes dnreh
körperhche Wohlgestalt und *Liebe mm Schönen' ausgeaeichnet'^), ganz so, wie
w im besten Staate der Fall gewesen sein muTs, da — wie der Erzähler aus
drücklich hervorhebt — die Bürger Urathens denen des besten Staates in
') Vgl. Belger, Platoa geologische ßekonfltruküon eiper Urburg, Berl. pliiL WodMBMbr.
1890 S. 802. Dit'f^t' Rekonstruktion ist j^oulopisch wohllx ^rrüniict Die p'unze Gruppe von
Hohen gehört in der That zusammen. Akropolis, Ljrkabultu!^, Areopag sind isolierte Reste
«nwr dMutala EttMimneidiiiigendon, nahesn horitoütal gelugcitea KrddekaUcichicht, die
tnf wasserfilhrcndem byitaUinischem Schiefer aofintst
^, Von der Francnpcracinschnft fli's IdeaUtaateFi iist hii'r allrTtiinK>* nicht dii' Rotio
Hier er»cheinen, wie schon Fdeidercr (S. 700) bemerkt hat, die Prinzipien des Idcalstaates
'«tMs venddmert und abgedlmpft*. DaTi flbrigeaa das Oemeimehaftspriniip «df dieMm
Gebiete ia weiterem Umfang dorcbgefülut war, aJs an nnserer Stelle direkt erwähnt wird,
zciß^ dio s|»<lterp Bcmcrkunp uIkt tMne Rpfj-plnnp des (;csThl<:..li1sv('rkphr8, welche die Folge
hatte, dsJ^a 'die Zahl der M&uner und Frauen stets lüemlich dieselbe blieb' (ungefähr 20U00).
IriL Ute.
*) Vgl Tim. 84 a und den Teigldch nait dem Sorptisdheii KsatenweMn.
*) 8. m. Gescb d. a. Komm, u Soz I 272 f.
*) Krit llle ditKS*6cnTjto (»c. x^"*) tUbg iuit jttMtf^ ürfiiväv tiai it^at-
S^vmv tiifb xottOf ^tloxailof tt %ttl ti^v&v
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94
IL PoliliiittiD: Die «wiale Diditniig dar Griebhen.
jeder Hinsicht gUchen.^) Ur^iheii eifreata sieh daher auch jener inneren
Hannonie der Twschiedeiien GeselbchsfibiklMsen'), welche f&r die Kraft-
beChatifping des Staatee nach aulseii von so hohem Werte ist.
Diese staatliche Machtaufsening zu schildern, zu sseigen, welch eine Ffille
von idealen and materiellen Kräften ein solcher Staat im Ringen um die
Existen?: zu entwickeln vermag, ist die eigentliche Aufgabe der Erzählung.
Sie stellt dem idealen Athen einen Staat «ref^nüher, der auf den ersten Blick
im Besitze einer vernichtenden tlbemiftcht erscheint. Von der gewaltigen,
jenseits der Säulen des Herakles gelegenen Insel Atlantis aus, die an üm-
tang Libyen und Asien übertraf, aber jetzt ^nzlich ins Meer versunken ist,
henrschte die feindliche Macht weithin üher die Inselwelt des atlantischen
Oaeans und diesseits der Sinlen des HeraldeB in Libjen bis an die Qrenxen
Antens, in Europa bis Tynhenien, wahrend Athen nur Uber die verbfindeten
Streitkräfte des kleinen Hellas verfügte und zuletzt, als im Laufe des Kampfes
auch diese versagtra, Tdllig auf sich selbst gestellt war.
Aber schon dieser monströse — die nach platouiachcr Anschauung für
einen gesunden Staat zulässige üröfse') unendlich ül)errn(_'fM'de — Umfang des
Reiches Atlantis iälist uns ahnen, dafs es im Grunde ein Kolols auf thönernen
Füfsen ist, der hier in Aktion tritt. Überhaupt ist die Atlantis recht eigent-
lich als das Gegenstück zu dem ^gesunden Staat' gedacht.') Der Boden des
Landes brachte in üppiger Fflile nieht nur hervor, was des Lebens Notdurft
wheiseht, sondern auch kostbare Metalle, alle Arten von Spezereien, von
köstlidien Frflchten und WeineOi von Wild und was sich der verwöhnteste
Gaumen an Reizmitteln nur wünschen mag.*) Und dazu kam noch all das,
was aus den nnterthanigen Landern an Gfitera hereinströmtel Hier war auf
dttvoot«, tpt'iOO(ifr fytflvnv? rnvi; t':X i r o v ^ tivcct ■riiO'j'6vovc ^««&r, ol'S fi-fytv 6
lt(ftve' nüvTas UQHoaovai, xal otix ünaaönt^a HyotTtfi uiroiie tlvcci tov$ iv tött
*) Die Regierung der Kriegerklasse SlfirSUte sieb der freiwilligen Ziutimmung der
Ilaml werker und Bnuem iKrit. 112d(, p<»nitu ao wie im Vorniinflstaat — Die drei zuletzt
genannten Stellen cuthalten — nebenbei bemerkt — den urkundlichen Beweis für
die Riehtigiceit meiner Anaicht (Iber die Stellang des wirtsehaftenden
BiirgertiimK im Idouletaat. AngesichtB dieser authentischen Erklftruagflatos^M, Ule
im Vertjlcieh mit Tim. 26), die Zi Her offenbar übersehe hat, wird man an dessen Auf-
fassung unniüglich mehr festhalten können. Oder wird man dieselben Leute, die Plato
als 'woblgMtaKet nad Frrande des SdiOnen* rfilunt, nooh fernerhin mit Zeller 'an Leib
und Seele verkümmert' nennen V Zeller hätte in seiner Polemik gegen meine AufTaasrug
(Archiv für Gesch t!. Phil VIII 572 ff.) sich mit (iiesen und andern Quellenzeugnissen
auseinandersetzen raüsRen. Statt dessen nichts als Sophismen und Verdrehungen, bekatmt-
Itdi das mttrOglidie Zei«b«i eines nnhaltbar gewordenen StaadpnnkteBl
Bei der allein <lie 'innere Einheit* de« Staates möglich ist. S. m. Gcsch «1 Kmum. I 350.
*t Dafft das ^jaii/e Faliell.iiul Atlantis die freie dichterische Krtindiinpr P!at<>^ ist. lirancht
wohl kaum mehr bemerkt £u werden. Vgl. gegenüber den unglaublichen i^hantustereieu
KnOteli (Atlantis und du Volk der Atlentea 181>8) Stoinhnrt VI 78 ff. uid SuemiU n 471 ff.
•) Krit. ll4d ff. Vgl damit die Landesoator de« GesetMastaates, Gesch. d. Komm. 1 499 tt.
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R. PfiUmaiui: Dte ioiial« DiditoiiK d«r GiittilMn.
95
die Dauer keine Stätte für jene genügä^iiue Einfachheit und 8innvolle Selbst-
beschj^nkung, welche die Völker gesund erhält.') Und wie der Verbrauch in
boliem Mafiae LnxadconBani war, so nahm aneh das Sdiaffi»n der MenBclien
luitnrgeiiliUii immer mehr den Cliarakler der Luxiuprodnktion an. Statt der
aehliehten Wfiid«^ die an den Bauten Aliaäiene ao woUtiiaend berOhrte, ttberall
gleitender Pktmk, der sich im Tersehwenderi^chcn Verbrauch iles kostbarsten
Materiales nicht genug thun konnte, und eine barbarische Vorliebe für das
Extravagante und Kolossale. So war das Zentralhciligtum des Landes, der
gewaltige Poseidontempel, aufsen <»;u!iz uiit Silber überdeckt, die Zinnen mit
purem Golde! Im Iiinenii war die Dttkc von Elfenbein, mit Ventierungen
von Gold und Messing, Wände, Säulen, Fulsboden mit Messing überzogen.
Dazu überall goldene Standbilder, darunter die Kolossalstatue dee Gottes auf
dem mit sed» FUlgdroesen bespannten Wagen, mit dem Sbupt bis an den
Giebel reidiend, um ihn auf DeJ^hinoi hundert Nereiden n. s. w. In ihn-
liebem Glanse ersfarahlte die K6nigsbur|^ in deren Verschönenmg ein Hensdier
den anderen zu überbieten suchte, indem jeder zu dem 'ohnehin wohl Aus-
geechmfickten' immer noch weiteren Schmuck hinzufügte; — recht im Gegensata
zw den Bewohnern der alten Burg von Athen, dir- ilire Häuser 'stets in demselben
Zustand ihnen gleich Gesinnten hinterheisen',*) Erscheint doch das Herrscher
<?;e«ichlecht der Atluiitiden zugleich im Besitze fabelhaften Keichtnras, während
dort die liepräsentanten des *wahren* Reichtums herrschten, nicht des Goldes,
sondern der idealen Güter des Lebens. Dazu kamen wahre Wunderwerke
einer hoch entwiekelten Teehnik, groCsartige Kmal- und Brüekenbanten, ge-
waltige Befestignngsanbgeny Sehi&werfben und Hlftn, bin all das, was Plate
sinmal im Verlultnis zu jenen Gfitem als 'Tsnd' bezeidmet hat.*) Wihread
endlich nach derselben Anfiassm^g der gesunde Staat naturgemäfs Agrarstaat
ist und Gewerbe und Handel, besonders den Seehandel, möglichst zu beschränken
sucht, waren hier die HäfeTi mit Schiffen aus aller Herren Ländern (iberftiüt,
wimmelte es von Händlern und Seeleuten, deren Lärm und Getümmel selbst
die Nacht zum Tage machte. Alles war auf Handel und Industrie angelegt,
auf eine möglichst glänzende Entiultung der materiellen Kultur und behag-
liehen GenuTs des Lebens. War doch das Land bei der Teilung der Erde
dem Poeeidon sugefidlen, dem Urheber der Schiffiüirt und Bossesueh^ wShrend
über Athttn die Götter walten^ in denen sieh die Ideale der Weisheit und der
bildende Kunst verkörpern.
Man sieht: so recht das Milieu, in dem sich mit innerer Notwendigkeit
das entwickeln mufste, was Plato den 'Staat im Fieberzustaiid' nennt/"') Zwar
hatte sich das Volk der Atlantiden in sittlicher und sozialer Hinsicht ursprüng-
hch gesunder Zustände erfreut. Mehr als aller materielle Besitz und Genufs
hatte ihnen die Tugend gegolten und der soziale Friede, der Geist der Gerecbtig-
>! 8 m Gesch. d Komm. I 215 ff. ») Krit lV2r »| S. ui. Gesch. d. Komm I '2S7
*, 8. ebd. S. 217 und Pfleiderer S. 705 f., der in der Schilderung der AllaoU» eine
Auetpielung auf das Perikleische Athen findet.
*) «£Us 92«n(«ii«tf«K. 8. m. Qwk, i. Koma. I Sl8.
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96
B. PShlmann: Die soziale Dichtunfjf der Griechen.
keit und die alle Volksgenossen umschlingende Bruderliebe'), ohne welche, wie
sie glaubten, selbst jene materiellen Güter nicht gedeihen können. Allein auch
sie vermochten eben auf die Dauer Verhältnisse wie die geschilderten nicht
zu ertragen. Der Reichtum gewinnt zuletzt auch hier die Obmacht über die
Gemüter. Der Wertmafsstab verschiebt sich zu seinen Gunsten. Er wird das
höchstbegehrte Gut, Reichtumsvermehrung das allbeherrschende Prinzip. Und
mit der Pleonexie geht bald Hand in Hand die Begier nach Macht, als der
ergiebigsten Quelle von Gold und Genul's. Der Friede entflieht vor dem Geist
der Gewaltsamkeit und Ungerechtigkeit, vor dem sich jetzt alles beugt. Eine
Umkehr kann nur noch das göttliche Strafgericht bringen, auf welches die
letzten Worte unseres Berichtes die Aussicht eröflftien.
Die Erzählung bricht nämlich an dieser Stelle plötzlich ab. Sie ist ein
Torso geblieben, und der Kampf der Atlantiden mit den Athenern, in dem
sich der innere Gährungsstoff" und der Geist der Selbstsucht nach aufsen ent-
lädt, kommt nicht mehr zur Darstellung. Wie in dem krankhaften, fiebernden
Organismus des plutokratischen Staates unter dem kräftigen Gegendruck einer
moralisch weit überlegenen Macht der 'längst entzündete Unheilsbrand'*) zu
hellen Flammen emporschlägt, wie auf der anderen Seite, im gesunden Sozial-
staat, alle Glieder in einem Sinn und Geist zusammenwirken, alle Funktionen
des staatlichen Organismus sich tadellos vollziehen und der Kampf um die
Existenz siegreich bestanden wird, — von alledem hören wir nichts.
Man wird wohl nicht irre gehen, wenn man annimmt, dafs derselbe Um-
schlag der Stimmung, der bei Plato den Glauben an die Durchführbarkeit
seines Staatsideals zerstörte'), auch die Vollendung der kühnen Dichtung ver-
hindert hat, die ja recht eigentlich diesem Glauben ihre Entstehung verdankte.
Schon im Getriebe des Tyrannenhofes mag die Stimmung zur Weiterführung
des grolsangelegten Werkes verloren gegangen sein, und unter dem Druck der
Resignation vollends, die in der Folgezeit dem sozialtheoretischen Denken
Piatos so vielfach eine andere Richtung gab, war an die Wiederaufnahme der
Dichtung nicht mehr zu denken. Nachdem der Vernunftstaat für die Mensch-
heit, 80 wie sie nun einmal ist, ein unerreichbares Ideal geworden, hatte es
für seinen Urheber keinen Zweck mehr, ihn, wenn auch nur im dichterischen
Bilde, in den Kampf des Lebens hineinzustellen.
Das Geschick der neuen Kunstform selbst war damit freilich keineswegs
entschieden. Im Gegenteil, für die Entwickelung des Staatsromanes konnte
nichts günstiger sein, als die von sozialen Ideen erfüllte Welt des damaligen
Griechentums. Die Erörterungen der Theorie Ober die Bedingungen sozialen
Glückes, die ja nicht auf die Hallen der Schulen beschränkt blieben, mufsteu
die Phantasie eines geistreichen Volkes auf das lebhafteste erregen. War
einmal die grofse Frage nach der Möglichkeit einer Gesellschaftsordnung be-
jaht, die auf völlig anderen Grundlugen ruhte, als die bestehende, hatte sich
V 9«iicr xoi»t5 Krit. 121a. *) S. m. Gesch. d. Komm. I 194. ») S. a. a. 0. S. 477 ff.
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B, PwhhnMHii Die soiuJe DiehtiiBg dar OiiMhan.
97
der cnieii Denker dor Naüon die Illluian bemftditigt, den bot mdikelen
Heiiiuig aller knmkhiften AoBwOdue der QeeeUechaft leigen sn kSnnen, so wt
ee begraifliidiy dals mtk bei einem kBnatlenaeli eo lioeh begabten Volke inuner
wieto der Drang inbnte^ dieee Vorstellungen möglichst lebendig auszugestalten,
seinem Interesse für jene gewaltigen Probleme in einer Form Ausdruck zu
geben, die Einbildungskraft und Gemüt in höherem Grade befriedigte, als
abstrakte T^ntersuchungen und theoretische Konstruktionen. Und diese Form
war eben die der Erzählung, die die gewonnenen Vorstellungen mit dem
Scheine der Wirklichkeit umkleidete. Der noveUiaiische Trieb und die Lust
ai frbnlieren, die in diesem Volke so mächtig waren, und die sich gerade seit
dem fierten JahzluindMi in der stetig annehmenden FOlle der geographiaeh-
ethnograiiluaehen FabeleiriUilnng so charakteriatisdi Inbem^), konnten kanm
einen ansiehenderen Oegeoetand för ihre Betkitigung finden, als die nanen nnd
inlemaanten Apercus über die bestmöglichen Bedingungen menschlichen Zn-
Nmmenlebens. Eine Erzählung, die diese Ideen exemplifizierte und die von
keinem erleHtp Wirklichkeit einer glücklicheren Welt in einem grpifVjp.ren
lebendigen l^iMe vor his geistige Auge zu zaubern vermochte, durfte der all-
gemeinsten Ttnlnahiue sicher sein.
Zudem war jü der gestaltenden Eiubüdungskraft aui diesem Gebiete von
•Uen Seiten mächtig vorgearbeitei Die ethnographiache Romantik mit ihrer
Idealiaiemng ftmer BarbarenT51ker^ daa paKadieaaaohe Fabelreioli der EomSdie
und in den Dicktangen joa den Liaeln d«r Seligen oder dem Elyaion*), die
nun Teil bis ins einielnste dnrdigearbeitete Eonatrnktioai idealer Ceaellaehafti-
SDilande in der Pnbliaistik^l und in den gewaltigen sozialtheoretischen Kon-
zeptionen Piatos, die oft selbst mehr Dichtung und historisierende Romantik^
als Theorie ist, das Beispiel endlidi. das Plato in seiner Atlantis gab, all das
enthielt die mannig£altigäten Anregungen und Stoffe zu Idealaohildenmgen im
üewande des Staatsroman es.
Dazu kam, dais das Jahrhundert, das aut Piato folgte, eine jener Epochen
gewaUager Qähmng war, in der mit psychologischer Notwendigkeit immer
wieder Ton neuem der Wnnadi vnd daa Bedüzfiiia erwadit, Idealbilder dea
Sfeiatea an gestalten, bei denen von dem geachiehtlieh Gegebene nnd recihtlieh
Beslehendffii ToUkommai at^jesehen wird. Es ist gana ibnlidi, wie in der
IntstehnngBaeit des modernen Staatsromanes, der Utopien eines Morus imd
Camponella. Und auch darin gleicht dieser letateren Epoche daa Zeitalter dea
Hellenismus, dafs hier der Staatsroman <.'lficli<»ara auch 'einen geometrischen
Ort fand'^), da sich durch die Entdeckung neuer Welten der Blick bedeutend
erweitert hatte und der Phantasie ein noch freierer Spielraum eröflFiiet war alä
bisher. Wie die Schilderungen, die ein Columbus, Petrus Murtjr, Vespucci,
'j Vgl. Bohde, Der grieduMhe nonum 8. 179 ff.
*i Vgl. ni Oe«ich d Komm I 117 t}',
*) Vgl. z. B. Od. IV 661 tf , Heaiüd W. u. T. 167, Find. Olymp. II 6H ff.
*) Z. B. io den Sdiziften ntQl ö/iovoMtg, a. m. Geidi. d. "Kamm. I 158.
V Nadi dem Aasdnek Gotheins a. a. 0. 8. 84.
KfMjaivMcbw. im. I. 7
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98
R. Pöhlmaon: Die souale Düshiuag der Oriechen.
WftldaeemflUer von den AntiUtn und anderen amerikaniftdaen Inaeln und
KflstenlAndern gaben, dem Abendlaad plötslich die Xeontnui von Völkern mit
kommunistischen und sozialistischen Lebensformen eröffneten und dadurch aar
Entstehung jener ersten modernen Utopien wesentlich mit beitrugen, so haben
die Erzählungen Nearchs, des Admirals Alextinder^ des Grofsen, und anderer
Reisender, die aas Indien und Arnbien von ganz iihnlicheu sozialen Erscheinungen
zu berichten wufsten, die Entvvu ki limg des Staatsromans Lei den Griechen gewifs
nicht weniger stark beeiuüuiät und gefordert. Brachten doch die Griechen
dieser Zeit aoldieii Beriditan «ine ganz ähnliche StimBnuug entgegen, Mrie die
Mensdmi der Bmiaiaaance, nimlicih die koamopditiiclie Oeainnung. Yon dem
nationalen EigendOokety dem ee nicht in den Sinn will, daia dranben, bei dem
*Barbareii', etwaa voDkornrnttier aein könne, als an Hanse, ist der grieehieclke
Staatsroman ebenso frei, wie der moderne. Auch von ihm kann man sagen:
'Jedes soziale Gebilde, ob diesseits oder jenseite des Weltmeeres, ist ihm gleich
bedeutsam ah Quelle der Belehrung, wie nh Gegenstand der Kritik'.') Ohne
jede VoreiiiLTi :iommenheit zieht auch er die Bilanz: zwischen dt r ait 'ii und der
neuen Weit, auf deren Boden acine Ideale Leben und Gestalt gewiunen.
So hat sich denn eine ganze Litteratur der Art entwickelt, deren Reich-
haltigkeit vnd innere Bedeutsamkeit wir nicht nach den dflrftigen, oft gerade
das Wichtigste vsndiweigenden Fragmenten beorteilen dQifen, die anfUlig
daTon flbrig gebliebm smd.
Der erste, Ton dem wir winen, dafii er sieh naeh Ilato ftr die BeliiMe-
rung idealer Staats- und GesellschaHBaastinde der Form des Romans bedient
hat^ ist der Oeschichtschreiber Theopomp TcmChios, der Schüler des Isokrates,
aus dessen Schriftstellerei uns freilich ein ganz anderer Geist entgegenweht,
als bei seinem grofsen Vorgänger. Oh pr überhaupt ein tieferes sozialrefor
matorisches Interesüe gehabt hat, iat liochst zweifelhaft, trotz des moralisieren-
den Tones, den er überall anzuschlagen liebt. Um so sicherer ist es, dafs es
ihm ganz wesentlich um den äulseren Effekt, um die Befriedigung des Sen-
sationsbedtlx&iBBeB m tknn war. Um die Spemiung semer Leser stets wadk
EU halten, hat er, wie sdion ein antiker Beurteiler bemerkt, *bei jeglichem
Land nnd Heer etwas Wnndnsames oder ünerwartetea arwihnt'; und voUeads
in dem achten Buch der Thilippischen Geachiehten', das die romantisdie Dich-
tung von dem Meropischen Lande enthalt, war eine Fülle von seltsamen
und wunderbaren Dingen*) zusammengetragen, die ihm allerdings recht gieht,
wenn er sich riilmit, dul's er nnrh besser frei erfundene Gescbichtea vorzußihren
wisse, als Herodot, Ktesiaa und die Erzähler der Wunder Indiens.
W ie sehr bei ihm die Behandlung sozialer und ethischer Probleme zur
Spielerei wird, zeigt schon die charakteristische Thatsache, dais er dem Leser
nidit blols ein Gemeinwesm mit idealen Henschen, sondern auch einen Staat
Dietzel, Beiträge 2. Uescb. des Sosialiemua und KoxDJuunismuo (mit Bezug auf
Thomas Monis). Vierta^alunelir. f. Staats- and TolkswittMhaft 18M 8. tS6.
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IL PiBUmMin: Di« aoiial« Diobtoiig d«r OriedMO.
99
der Bosewichter (/7ovi;()ö;roA<s) vorführt, eine angebliche Gründung König
Philipps, der hier das schlimmste Gesindel, Vt i brcthcr uller Art, Sykophanten,
&bche Zeugen, Advokat^u, zweitausend au der Zahl, iu eiuer Kulonie zusammeu-
gefBhrt liab«*), gans fthnlüilk wie mm in der iltnen Epoefae der modernen
Stealnromaxie, im liebselmten Jslirhimd«rt, dran Leeer neben dem Sonneneteat
fiam]ianeHiMi oder Baoone neuer Atkntia dme Horonia (daa Land dar Narren)
oder Laremia (das Land der Diebe und Räuber) YorfBhrie. Audi daa P^phar
gonieii (das Land der Fresser) und Ivronien (das Land der Sanfer), an dem
sich dieselbe Zeit ergötzte, findet sich echon bei Theopomp, wenn auch nicht
dem Namen, so doch der Suche nach.
Man lese nur seine Schiidemng der sozialen Zustande der Etrnsker! Sie
iuiüpft zwar an GeachichtlifheH an, greift aber nur solche Züge heraus, die
Gelegenheit zur Anbringung der l'ikauterieu gaben, au welchen die Masse der
Lmer ihr Ergötzen fiiod. Wie mia die eimÄiaehe Oriborweli noch jetzt er-
knuien lälai, handelte ea sieh hier mn ein Volk, daa, in aeiner herraaiienden
JDaaw wenigetene, daa Leben in ToUen Zügen genofii*) und in einer illr nnaer
Gefühl geradezu abstoleenden Weise selbet den Emst des Todes mit den
Symbolen der Lebensfreude zu verachleiern liebte. Man denke an die Wand-
gemälde der etruskischen Grabeshallen mit ihrer Vorführung von Zechgelagen,
an die Steinbilder, die die Verstorbenen in festlicher Tracht darstellen, zechend,
mit dem Becher in der Hand. Eine Kunde von diesem Schlaraffenleben der
Tomehmen etruskischen Welt ist auch zu Thoopomp gedrungen. Aber was
hat er daraus gemacht? Eine phantastische Geschichte ganz im Stile der
Fibeleien, die sMt den Zeiten der Phlakendi^timg flW die Volker des Westena
omliefen, verqniekl mit V<nateUungen, die an daa Ctesellaehaflsideal des «sfcremstsn
Gjusmns erinnern.
Damach soll bei den Etroskem wenigstens anf geschlechtlichem Gebiet')
der roheete Kommunismus des Geniefsens geherrscht haben.*) Das Weib ist
völlig emanzipiert und nimmt auch an den Genössen der Männer teil, denen
es m Beziehung auf Ziicbtlosigkeit nicht<< nachgiebt. Nach Belieben vereinigen
sich die Angehörigen beider Geschlechter zum gemeiniiamen Mahl. Die weitere
Konsequenz ist die gemeinschaftliche Erziehung der Kinder, denn die Vater-
lehaft ist hier ja nirgends festzustellen. Ebenso natürlich ist die Beteiligung
der wttblifihai Jugend an den körperlichen Übungen der Knaben und JQng^
linge. Daa Gef&hl der Scham kennt man in Etmrien nidit, daa Weib so
«anig wie der Hann nimmt Anatand sich Töllig nackt an leigm. Nach dem
Gnindaate *natnralia non sunt tnipia' geht ea hier angeblieh in der geachieht-
') Möller. FrajüTO Ii ist ^n-acc. I 298 fr. 122.
• Vgl. i. B. die Schilderung bei Diodor V 40.
*> Bei Athenäofl XII 517 d ff., der die Erzählimg Theopomp« mitteilt, wird ner diese
Seite idncr Daxstellimg bcrOlnt.
' xnn«{ vTtudiftv tue ywalnut, oder, wie c< im weiteren Verlauf In ifsf. -nlriGiätovxti
xuli ywuiilv ündeaif, ganz so, wie es Diog. Laert. 72 als Ideal des Diogenes hinstellt:
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100
R. Pöhlmann: Die soziale Dichtung der Griechen.
liehen Wirklichkeit genau so zu, wie in dem uiopistischen Roman des Ver-
fassers des 'Gesetzbuches der Natur', in der Basiliade Morelüs! Die Gelage
der Etrusker arteten nach dieser Schilderung regelmäfsig zu Orgien aus, deren
Einzelheiten, so abscheulich sie sind, Theopomp mit sichtlichem Behagen
ausmalt.
Dies soziale Sittenbild (in einem ernsten Geschichtswerk!) zeigt wohl zur
Genüge, dafs es dem Verfasser vor allem auf das Amüsement des grofsen
Publikums ankam. Die den Roman erzeugende Zersetzung der historio-
graphischen Kunstform ^) macht sich schon hier deutlich bemerkbar! Daher
hat sich Theopomp auch gar keine Mühe gegeben, das Bild so zu gestalten,
dafs wenigst^jns die einzelnen Züge zusammenstimmen. Fortwährend schieben
sich ihm Begriffe unter, die dem Leben der wirklichen Gesellschaft entnommen
sind, aber in den Rahmen der vorgestellten sozialen Verhältnisse absolut nicht
hineinpassen. So werden unter den zechlustigen Weibern, die sich an den ge-
nannten Orgien beteiligen, 'Buhlerinnen' {ixalgca) und Trauen* unterschieden.
Als ob in einer Gesellschaft, wo die freie Liebe, die regellose Mischung der
Geschlechter herrscht, überhaupt noch von einem derartigen Unterschiede die
Rede sein könnte! £in andermal heifst es: Die Frauen teilen nicht das Mahl
mit ihren Männern, sondern mit jedem beliebigen. Ganz naiv werden also die
dem Autor vertrauten monogamischen Vorstellungen mit Zuständen verquickt,
mit denen sie von vorneherein gänzlich unvereinbar sind. Und mit derselben
Unbefangenheit werden Verwandtschaftsverhältnisse vorausgesetzt, wie sie eben
nur das Familienleben der bestehenden Gesellschaft erzeugen konnte. Es ist
von gemeinschaftlichen Gelagen die Rede, zu denen sich die 'Verwandten* ver-
sammeln.') Als ob es in einer Gesellschaft des absolut freien Geschlechts-
verkehrs, in welcher kein Kind seinen Vater kennt, überhaupt 'V^erwandte' in
diesem Sinne geben könnte!
Es leuchtet ein, dals ein Schriftsteller, der sich solche Blölsen giebt'),
nicht der Mann war, das Problem des Staatsromans von der rechten Seite zu
fassen und ein vollständig abgerundetes und folgerichtig durchgeführtes Bild
eines Staatswesens zu entwerfen, dessen Wirtschal'ts- und Gesellschaftsordnung
von der Wirklichkeit grundsätzlich verschieden sein sollte, wie er es — nach
seiner eigenen Erklärung — in der Erzählung vom meropischen Lande beab-
sichtigt hat.*j Insofern wird es für die Geschichte der sozialen Theorien
kaum einen wesentlichen Verlust bedeuten, dals der Autor der 'bunten
Geschichten', der uns einiges aus diesem Staatsroman mitteilt, nur für den
novellistischen Kuhmou, nicht für den sozialpolitischen Inhalt ein Interesse ge-
Nach einem treöeuden Ausdruck von Schwartz, Fünf Vortrage über den griechiucben
Itoman (^Ib'Jti; S. Hö.
') intiöüv öt awovaiü^titai naO'' itaiQfiai )) xaru evyyfviUti.
*) Es iäl gewii's nicht anzunehmen, dals dieae Widersprüche erst nachtrilglicb durch
daa Exzerpt des Atheuäos in die Erzählung hineingekommen sind.
*■) Aclian, Var. hiat. III 18 i Müller, Fragm. bist. Uracc. I 200 fr. 76): xai pimv «»ÖT^ratf
%ui vö^ovi «vroiV T(zui9ai ivuvxUog Xfi^tVovs xoli JtaQ i^Up votitiofiivon^
• • - - •
' Google
Bw PttUmaiui: Die «Mtiftle Diebtang der dtieclieii.
101
habt hat und gerade über die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen
dm gesehildmien Ütopiaw mii KillMihweigen hinwe^eht. Jedenfidls macht
iaB, mm vir von Älian wm dem Romane wirUich eifilireii, dnrduiiu den Ein-
draek, dafs es Theopomp andi Uer nidit um die Mittelung TOn ErgeVnissen
ernsten Denkens, sondern Tor allem darum zu thun war, eine *Wiiiidergeschichte'
zn erzählen, den Leser durch ein 'Märchenspiel and dessen TergnQgliehe Dar-
rfellnn^r'* * fesseln. AUcnlings linttc nich schon vor ihm ein Plato in solcher
Phtint.isiegaukelei gefallen, aber dort «loch immer im Spiele selbst ein
crnsttr, tiefer Sinn; bei Theopomp dagegen ist das Abenteuerliche und Wunder-
same recht eigeutiich Selbstzweck, wenn auch eine bestimmte Tendenz mit
aebenlieiBiift.
Ganz phantastisch ist schon die Einleitong. Sie knfipft an die alte Ssge
von dem tranken gemaditen and gefesselten Waidgott an, der sich vor dem
K&nige Hidas durch die Offenbarung seines tiefsten Wissens ISsen mofs. Er
iK'riclitet dem K5nig von dem Wunderland, das jenseits des grofsen, den be<
kannten Erdkreis umgebenden Meeres liegt und von einem glückseligen
Menschengeschlecht b<?wf)hnt wird. Dort werden die Menschen noch einmal
90 grofs und noch eiinnal so alt wie bei uns, und ebenijo überragt die Tier-
weit die unsrige. Das Land »elbst hat eine unermeisliche Ausdehnung und
nUreiche grolse Städte, unter denen wieder zwei als die gröfsten hervorragen:
Susebes und Machimos. Erstere ist die Stadt der Frommen und Oerechten,
die am ihr» Tagend willen selbst des Verkehrs der 65tter geirfirdigt werden.
Sie leben in beslindigem IVieden, in der FOUe der CHlter; die Erde spendet
ihnen ihre Graben ohne Pflug und Ackerstier, ohne Aussaat, ihr Leben ist
durch kein Siechtum getrübt, heiter und lachend sinken sie in defi Tod. Ganz
anders die Stadt der Krieger! Anst^chliefslich dem Waffenhandwerk lebend
haben sie ihre ganze Existenz auf Kampf und Erobemng gestellt. Und bei
ihrer Menge — es sind ihrer zwei Millionen — ist es ihnen gelungen, zahl-
reiche Völkerschaften umher unter ihr Joch zu zwingen. Ihr lleichtum ist no
grob, dafii hier Gold und Silber weit weniger gesch&tst wird, als bei ans das
Eiaen. Das ungetrftbte physische WoUseiB, deMen sidi die Bfitger der
frommen Stadt erfreaen, Ist den Bewohnern dieser' Stadt nicht sn teil ge-
worden; immerhin aber fühlen auch sie sich in ihrer Lage so gjQcklicL, dafs
sie, einmal bei einer Heeree&hrt über das Meer herübergekommen, schon bei
den Hyperboreern wieder untkchrten, weil ihnen diese, die glück liebsten der
diesseitigen Menschen, all/n elend prscbienen! Endlich baust noch ein drittes
mächtiges Volk in dem W in i< rlmd, die Meropes, die 'viele und grofse* StSdte
bewohnen, von denen wir treüicii nichts zu hören bekommen, als eine phan-
'i Nach dem treffonripn Ausdruck von Rohde, Zum griechischen Itoman, Rhein Mus.
W, 128. Kohde weist daxauf hin, dafii selbst ein Verehrer der Thilosophie' de» Theopooip,
vis Dioiqr« (Ep- ad Pomp. 6, 11) in denen Enfthltuig toU> tb muiimdfs findet; und er
«düebt da«MM satt Eeeht, dsb dieies 'ffindisehe*, rein ia WtmderberiohteD Spielonde
'■rin tterk ttberwogen babea aatae.
108
K. PShlmaiui: Die wniale IMcbtniig der Oriechen.
tastisdie Fabel toq d«m in ihrem Lande gelegenen Qit Aer 'NinunenriedAr»
kehr* ^Aviowg) mit den WunderflflBRen der Liut und der Traner.^)
Han kann nicht sagen, dab dieee allerdinga dfirftigen Zf^, auf die aidi
unsere Kenntnia dee Romans beschränkt, eine besondere Originalität verraten.
Wae ihm die Dichtung oder die Sage, die geographisch-ethnograpliiBehe Fabelei
und sonstige Litteratur für seinen Zweck darl>ot, ist von Theopomp oinfuch
ontlchnt oder nachgebildet. Die Stadt der Frommrn ?.. B. ist nichts als ein
Scitenstück zu dem volkstümlichen Wunschlaiui lle^< ^oMfiien Zeitalters, wie es
Hesiod schildert. Die Stadt der Krieger erinnert sofort an die Atlantis Pia tos
und schon den Gedanken selbst, zwei Volks- und OeaellsdiaftBijpen in dieser
W«8e sieh gegenfibemuMkn, hat Theopomp dem Platoniachen Roman ent-
nommen. Wird man annehmen dfliftn, dals er in der Sdiildemng der
Skooomiadien und aciialen Lebei^ormen aei&er Fabeivfliker eine gritlbere
Originaliüt gezeigt hat? Neu ist allerdings, dafs er, offenbar um Plato an
ttberhieten, noch einen dritten Volkstjpus anführt, die Meropes, die in dem
Roman die Hanptrolle gesipielt haben müssen, da er in der Uberlieferung be-
kanntlich kurzweg nach ihnen benannt ist Und hier mag ja Tbeopomp
vielleicht ein eigenes Gesellscliaftäideal entwickelt Inihen. In einer Beziehung
wenigstens hat er möglicher Weise einen neuen Weg eingeschlagen. Er lälki,
wie Bchoa banexli, die Heroper 'viele und grofse StSdte* bewohnen. Hat er
dabei an einen Bund von aelbatindigen Stadtstaaten gedacht oder an einen
einheitUdmt QroJaetaat? Fkat modite man in einer Zeit, wie dßt dea herauf-
ziehenden Hellenismus, in der sich der alte Stadtstaat so grftndlich Überlebt
hatte, zumal bei einem mit der neuen Zeit so eng verwachsenen Autor an das
letztere denken. Es hätte damit die Vorstellung einer idealen Gesellschafts
Ordnung im Sinne der Zeitideen eine neue l)reitere Basis erhalten; an die
Stelle der Stadtstaatsutopie wäre die Territorialstaatsutopie getreten. Allein
angenommen, daiä iheopomp diese Wandlung wirklich vollzogen hat, — war
damit fllr ihn nieht snj^eidi die Sdtwierigkeit, ein wirididi MMnsToUes, an-
scbauliehea GeieUadiallabild zu gestalten, bedeutend gesteigert? Säie Sdiwinr^*
keil^ der gegenfib« eine Sdmflstellm, wie die seinige, notwendig msi^en
mu&te.*)
') über die allegorische Bedeututi'^- rVi^'r^r Fabel s. Rohde a. a. 0. 8. IM.
*) Vgl. Bohde a. a. 0. 8. Iii f. und Griech. Roman S. 207.
^ Wie Bchon Bohde in der gen. Abh. 8. IIS mit Beeht gegen Hinel (Zur Charakteristik
Theopomps, Rhein. Mub. 47, 381) bemerkt bat.
' i ApoUodor bei Strabo VU p. tn beaceicbaet die ganze En&hlang einükch ak die der
■) IKei aei gegen jene Zwtmode gesagt, die dek in dtm wohlfeilen Vergnügen gefällt,
alle Werte umzuwerten, und nicht übel Lust zeigt., TheopompB Werk als 'Uauptwetk der
hfllfninchcn Historiographie' zu proklamiereu. Bolocli in spinfir an derartip'^n Parn'Inxien
reichen 'Uricchischen Ueschichte' (II 420) glaubt dies 'vielleicht' aus den Fragmenten des
Werkes 'ahnen* an dbfen, — andb am Fragmenten, wie dea oben behaaddieHf Freilich
hat derselbe Bcloch entdeckt, dals die 'Fonehnng* eiaee Epboiee gegeaftber Thnl^dides
einen 'weaentiiohen Fortachritt bezeichnet*.
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B, Pfliiiiniui: Die Kttble IK«ht«i« der Grieohen,
103
Eine gröfsere sozialgescliichtliche Bedeutung würden wir wohl einem anderen
Totreter äea aodakai Romaae tns dieser Zeit, nimKeh dem Hekaiftoe mu
Teoe merlmmeii dUrfm, wenn nns seine das gJttekseiUg» Leben des nordiiehen
IkbelToIkes der Hyperboreer sdiilderade Dichtang Ton der *kirameriacben
8tedt' niher belraimt ^i^. Die ans seinen Schriften geschdpfte Darsiellung
jBdiaohen Lebens bei Diodor and die sicherlich auch von ihm herrührende^)
Idealschilderung des alten Pharaonenataates in demselben Werke lassen ein
entschieden sozialpolitisches Int<»rc8se crlceimen. An dem .Judentum interessiert
ihn Q. a. besonders die gleichheitlicbe Aufteilung eroberten Landes und die
ünTerkänflichkeit der Erbf^'iter. Er schildert »ip als ein Sohntzmittel gegen
dje Profitwut, die Fleonexie, durch welches die Pruletarisierung der Wirtschaft*
lidi EMmidierw nnd die Entvölkerung dea Landes TSrhinderfc wOrde.*) In
der Gkarakteristik des ^Qekseligen Herrseherdaseins der Pbanonen*) kommt
uDfwkmmbar die aosiale Anfbssnng der Honarehie mm Ansdmefc^ wie sie uns
andh sonst in der Staatatheorie der Zeit so bedeutsam entgegentritt^^ ^ Auf-
Jassunj^r des Königtums als eines 'Gutes der Gemeinschaft*, als eines *mhm
ToUen Dienstes für die Gemeinschaft', durch den allen ihren Gliedern ihr Recht
wird. In der Schilderung der sozialökonomischen Verhältnisse des Landes
wird rühmend herv'orgehobeti die geringe Pacht, die König, Priester und
Kriegerkaste von den dem Bauern iiberlii.'*!«enen Grundstücken erhohen, die
Produktivität der verschiedenen Wirtöchaftsaweige infolge der ererbten tech-
nischen Geechicklichkeit nnd des Ileifrea der Berölkenuig, die konsequent
dsrdbgefUirte Arbeitsteilung^), der von allen ünterüiaaen geforderte Kachweis
der ünterhaltsmittel, die BekSmpfong der Fleonene durdi das Verbot, mit
indnstridler Tbitigkeit Ackerban oder Handekgesehafte lu verbinden oder
mehrere Handwerksbetriebe in einer Hand Stt Tereinigen*), Überhaupt die strenge
Durchführung des Grundsatzes, dafs 'um der Habsucht von Privatpersonen
willen nie die gemeine Wohlfahrt allf^r 'j-f'fdhrdet werden darf'.') Dies nnd
vieles andere läfst dem Verfasser di Sraatn und Geaollschaftaordnung des
alten Pharaonenreiches als eine geradezu ideale erscheinen. Und er fafst
echhefslich seinen allgemeinen Standpunkt in den Satz zusammen, daist die-
jenigen Gesetze die besten seien, welche nicht die möglichste Förderung
') In dieser Ännabme stimme i n ü orein mit Schwartz, HckaWu* von Teo», Bbeui.
Um. 40, 225 Dazu Suaemibl, Geacb. d. alexandr Litt 1 31ft ff
*) Diod. XL a, 7 (8. Müller, Fragm. hist. Qraec. 11 »^i fr. l»): oi* fif^v di toi« idtwtais
»I Diod. I 70 ff.
*) S. mein Buch, Aua Altertum und Gegenwart S. 287 ff.
^ IgTpten galt ja deehalb den Grieeh«ii ab das iadtutrieUe Husterlaad. Vgl. s. B.
bokrate«, Busiris 16 ff.
•) S. da« analoge Verbot in Plufna r;).«,.t7r>«Ht;iHt, Bd. I m. Opscb. «1 Komm S. 512.
I 79, 3: 6xonov yuQ . . . xfjs tei>v iduoieiv :tXtovtiUcs Ivmu nivdvvivuv t^v *oivr)P
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104
E. PMilmann; Di« soziale Diditaiig der Grieeheii.
des Beiehtums, sondern die Erziehung zu einer liumaueu und
sozialen Gesinnung im Auge haben.')
Es kann nach aUedem nicht zweiMiaft sein, Tcm woIcImiii €date die
Sehildenmg des Wton StasisB erilBUt war, die Helattoe von soner kimin«ri-
Boheii Sladt entwoiftn lat Viel HenlioliM und Drhabeiiea' hai «r nach dem
Zeugnis eines aatikai Lesen too ihr gesagt*); und es ist beUageosvert, dab
uns von dieser offenbar sehr umfangreichen^ Schilderung fast nur ein paar
Züge der novellistischen Einkleidung erhalten sind.*) Von Interesse ist höch-
stens eine Mitteilung über die Fruchtbarkeit des alljährlich zwei Em t( n spen-
denden Landes, welche wenigsteuä so viel erkennen läi'st, dals dem idealvolk
des Hekataos die Bearbeitung des Bodens nicht erspart war und daher die
Bedeutung der wirtschaftlichen Arbeit hier eine ganz andere gewesen sein
mufs, wie etwa in der Sladt der Frommen bei Tbeopomp.
Hü dem Roman des HekatiOB wird in der 'Oberlieftrung ver^idien*) die
Gesdiichie Ton dem FlabelTolk dar Attakoren, die im Ans«hfafii an die indisdien
Sagen von dem paradiesischen Lunde der ütt»r:i Kürü nflrdlicik des Kmalsya^
dem indischen Gegenstück der griechischen Uypt^rborecr, ein gewisser Amo-
metos ebenfalls v.orh im dritten Jahrhundert verfafst hat. Und wahrscheinlich
gehört der gleichen Epoche der phantastische Roman eines sonst ffinz nn-
bt'kannton Timokles an, der nnter einem abenteuerlichen Pseudonvin die Glück-
seligkeit eiueä von ihm selbst erfundenen Volkes der 'Schlangen töter' ge-
aehildert bat*); — IKcbtongen, Ton denen wir nns aber eine TonteUwig nidit
mehr machen können.
') I 93, 4: Uffatiatovs S' olfiai x&v röfUBv ilp[tiov oi% ii &v tino(f»tdtovSt (iil*
ii av tifttt%$0tdxovs Tole ^#«0» nttl »ol(«*ii««<fvov( cvußi^eetat yivit^ai 9Phs
iv^eöirrovi-. DaTs Diodor diese Bemerkung als die seinige vorträgt, hindert nicht, dab
er nur die Anschauung' seiner Qa«Ue wiedengifibt Vgl. dM Qeseh. d. ant. Kamin. I 6t
über seine Schriftsteiierei Gesagte«
noVLd t$ mA fta««. Adiaa, Hirtw an. XI 1 (MflUer, Fr. bist graee. O MT Ar. 4).
*) Schol. Apoll, fibod. II 676 spiieht von fiißllu AnyfseytffMMt «ifl «•» 'ItetJ^evAn'
des HekatäoK
*) S. die Fragmente bei Müller II S«6 S. Dazu die Bemerkungen ilohde« a. a. 0. 208 ff.
*) Bei PHnius, Nat. b. VI 17, 65.
*) 8. Fhotios, Epist. 66 (dazu Rohde S. 218 f). Oamacli beluuidelte Timoklos ji9«g
nal (fviftr nof! jroltrfi'av x«i tidfus nal v/xas *ctl ßlav eelSvag %ul ijJunias nai t i 8 tei-
lt oviag oi* dv^ginmv (lövov, «üUä »ul <pVT&v nal ^tpnv tuxI yfjg »oi 9tdde9^s xai ü^og
(FoctietBtuig folgt.)
Üigiiizeü by ioOO^l»
VmülLÖ YUÜiTK EiiLOUli
Ton TBiBMtioa Mass.
Hit dii«r gewisMn Ehrfurdit und Sehen nefamen wir ein G(edieht but
Hud, da» unter allen Gedienten rdmiBdier Sprache die grdÜBie und wunder-
nnufte Qeeehichte hat, dem, wie man annimmt, ein leieht begreiflioher und
leicht yerzeihlicher Irrtum der philologiachen Erklärung einst einen FlatE ver-
schafft hat neben den Prophetien der altjQdischen Litteratur und den Ver-
iTsungen der Sibylle des hellenistischen Judentums. Der Dichter verkündet
hier in liohen, feierlichen Worten seinem Gönn<M P*>1in ziurst dif nahe bevor-
«tfbende, dann die eben erfolgte Geburt eines goiUutstHinmt^^ii Knaben, der be-
stimmt sei von der Vorsehung dem Erdkreis den Frieden zu geben, in dem neu
anbrechenden goldenen Zeitalter vollendeter Glückseligkeit ein neues Menschen-
geaehleeht mit den Tom Vater ererbten ToUkommenen Gaben zu beherraelien.
Die Geburt dieses Knaben findet nacli des Dichters eigner, unzweideutiger An-
gabe statt wihrend des Konsolatea des Adressaten, im Jahr 71^^, und in
^selben Jahr kurz nach der Geburt des Wunderkindes ist die bertthmte vierte
Ekktge des Vergilins entstanden.
Der mühseligen und undankbaren Aufgabe, die zahlreichen Deutiings-
TPr?uphe dieses Gedichtes einer Besprechung zu unterziehen, enthebt mich die
überaus eingehende Darstellung, die in dem unlangsit erschienenen Buch von
A. Cartault, Etüde sur les bucoliques de Virgile (Paris l.SüT i p. 210 — 250,
Ober den Stand der Frage geboten wird: etwa gleichzeitig hat 0. Crusius
(Rh. Mos. U [1896] p. 551 — 659) dnrdh Heranziebung sehr entlegener astro-
iogiieher und mysttsclier Litterator das Versinndnis des Gedichtes an fördern
gusocht nnd ist an dem Sehlnb gekommen, der IMehter habe nicbt etwa einm
Sohn des Polio besungen, sondern 'einen unbekannten Liebling des Schicksals*,
ähnUch wie ja andere vordem in dem Wunderkind die Personifikation des
Friedens von Brnndisium oder der nach den Bflrp^prknVjren •wiederkehrenden
Kühe unil Ordnung wiederzuerkennen glini^>ten ' D;»tT"cr*'Ti linlt Cartault a. ii 0.
p. 230 mit anderen an der Ansicht fe^t, dul8 V irgil einen Menschen von Fleisch
und Blut, und zwar den Sohn des Asinius Polio, C. Asinius Gallus, kurz nach
seinem Eintritt in die Welt mit diesem Gedicht begrüTst hat; und er that
wohl recht daran. Denn alle die, welcbe die Gestalt des göttliehen Sjwben
als luftige und wesenlose, rein allegorische Figor zu erweisen suditen, sind
' Kolster, Vergil» Eklogen p. 60. Sonntag, Vergil als bukolischer Dichter p 61 ff
PlüKB, Fleckeis. Jahrb. CXY (1877) p. 69 ff. 0. Gruppe, Oriech. Kulte und Mythen p. 6es ti. u. a. m.
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F. Marx: Virgils vierte Ekloge.
nicht im stände gewesen auch nur eine fördernde Parallele aus der Litteratur
des Altertums nachzuweisen. Es soll in dem folgenden lediglich versucht
werden, das für unser Gefühl Seltsame und Wunderliche, das Übcrschwängliche
des Gedichtes, in dem der Dichter dem Konsul zur Geburt seines Knaben
Glück wünscht, etwas verständlicher zu machen.
Bei weitem das Beste und Fördemdste für die Erklärung der Ekloge haben
die ältesten und ersten Erklärer und üerausgeber des Virgil geleistet und
leisten können. Wie aus den erhaltenen Kommentaren ersichtlich ist, hatten
diese festgestellt, dafs zwei Söhne des Polio in Betracht kamen: Asinius Gallus
und Asinius Saloninus. Von dem letzteren wird berichtet, dafs er frühzeitig
verstorben sei (Serv. ecl. IV 1, schol. Bern. ecl. IV G3); eine Nachricht, die
deshalb als urkundlich gelten mufs, weil von diesem Saloninus in der Geschichte
der Zeit des Augustus nirgends die Hede ist: der Knabe mag bald nachdem
Polio Salona eingenommen hatte, Ende 715/39 oder 716/38 geboren sein, und
Asinius Gallus, tot consularium parens (Tacit. ann. VI 23 und dazu Nipperdey;
E. Klebs, Prosopogr. imp. Rom. I p. 102), hat kein Bedenken getragen, das
cognomen seines verstorbenen Bruders auf einen seiner vielen Söhne zu über-
tragen (Klebs a. a. 0. p. 109 1. Dieser urkundliche Bericht geht auf Asconius
zurück und ist uns erhalten im vollständigeren Servius zu ecl. IV 11, aller-
dings in einer durch spätere Erklärer verdorbenen Form: inibit] . . . non iniit,
quia consiil designatus erat. Quidam Saloninum, Polionis tilium accipiunt, alii
Asinium Gallum, qui prius natus est Polione consule designato. Asconius
Pedianus a Gallo audisse se refert hanc eclogam in honorem eins factam. Der
Scholiast zu V. 1 setzt verkehrterweise die Einnahme von Salona, die 715/39
erfolgte, und die Geburt des Saloninus in das Konsulat des Polio, schliefst
V. 11 aus dem Futurum, dafs Virgil vor dem Konsulat, als Polio noch consul
designatus war, dies geschrieben habe, was für uns alles wertlose Vermutungen
sind, und verunstaltet so den urkundlichen Bericht des besten Philologen der
römischen Kaiserzeit. Dieser hatt« berichtet, dafs zwei Söhne des Polio in
Betracht kämen, ein älterer Gallus und ein jüngerer, früh verstorbener Saloninus:
er habe deshalb den allein noch lebenden Gallus hierüber befragt und die Ant-
wort erhalten, der Knabe, dessen Geburt Virgil besingt, sei er, Gallus selbst
gewesen. A. Kiessling im Greifs walder Sommerindex 1883 p. 5 hat diese Nach-
richt im Zusammenhang mit ähnlichen Nachrichten über die urkundliche
Forschung des Gelehrten erörtert, und es erscheint unter dem Eindruck dieser
Forschungsweise des Asconius gcwifs angezeigter, das Gedicht auf Grund ihres
Ergebnisses in all seinen fremdartigen Zügen zu verstehen zu suchen, so gut
es geht, als zu anderen Hülfsmitteln der Deutung seine Zuflucht zu nehmen.
Dafs Gallus, dessen Geburtsjahr gewifs leicht zu ermitteln und wohl-
bekannt war, den scharfsichtigen und bedächtigen Gelehrten dermafsen anzu-
lügen versucht hätte, dafs er ihm berichtete, er wäre im Jahr 714/40 geboren,
während sein Geburtsdatum weit früher oder später fiele, ist ganz unglaublich,
l Elr bekleidete das Konsulat 146/H, als Sohn des Polio und Schwiegersohn des
l Agrippa gewüs so früh wie möglich (A. Feilchenfeld, de Vergilii bucolicon
' Google
F. Man: TizgUs vi«rte EUoge.
107
temporibus, Lipsiae 1886, p. 32 ). Monunsen (R. Staatsrecht I [1887] p, 574 ff.)
legt dar, dafs in jener Zeit in der Kegel das laufeadt* 33. Lob<»n8jahr der Termin
für die Bekleidung der Eonsulwürde gewesen ist: wenn Ciulius bereits im
32. Jahr d» Komidii emiehte, so vird dieae Bflgttnstigung durch den oW
enfShoten Emderreiehtum aeiner Familie hinreichend erUart: ein Sohn, der
KouBol dea Jahrea TT^fSS G. Aainina Polio, war damals bereite am Leben
(Mommaen a. a. 0. p. 575 Anm.i. Wenn aber demnach es ao gut wie fesi-
siekt, dafs zur Zeit, ala Vii^i sein Gedicht geschrieben hat, im Hause des
Polio ein Knäblein in der Wiege lag, dann konnte weder der Dichter noch
seine Leser, am weniiirsten ab*T d'-r Vater und die Mutter des Neuiit'KorfTK'n,
die Anrede an die Eltern ik's kindcö, an die (jchurtsgöttin, die Klagen über
die Widerwärtiifkc'ikn zchnmonatlicher Öchwangt rsebaft anders verstehen oder
verstanden wissen wuUen, wie Asinius Galluns und Asconiuti dies alles ver-
standen haben: oder es verlangte der Takt und gesunde Sinn, dab der Klient
in seinem Gedicht jede Zweideutigkeit anptlich Tennied. So hat auch die
iitere Periode der VirgilerUirung bta Suetoa (p. 86 B.) die EUoge an%e&fbt:
misere erhaltenen Kommentare gehen aber surflek auf einen Grammatiker naeh-
hadrianiacher 2Seit, der, wie Festus den Yerrtua, ao den Aaoonius verbessern au
müssen glaubte und sich seihst mit diesem Besserwissenwollen ein wenig vor-
^ilhaftos Zeugnis ausgestellt hat: weil der Knabe dos Virgil nach Ausweis des
Schlusses der Kkloge unbedingt sterhen niurf«te, wurde Saloiiinus statt Gallus
eingesetzt, und diesen Saloninus bezeiclmen denmaih als Sohn des Polio und
Helden des Virgil die erhalteneji Scholien, auch die zu Horaz ^carm. 11 1, 15),
und der Bhetor Grilliua (Hahn, Bhei Lai p. 598, 10), wo der Name in soSmtiMi
verschrieben eiaoheint: genethliaeon Salonini wird die Ekloge genannt in der
Einleitung dea Serviua III 1 p. 3, 22.
Bei der Befanchtung des Gedichtes haben wir au scheiden swischen der
äofseren Form und dem Inhalt: eine Besprechung der Form wird auch den
Inhalt mit verständlicher erscheinen lassen. Das Gedicht bat mit der bukoli-
schen Poesie und mit Tlieokrit nichts zu schaffen: Scrvins nennt dasscnn'
(jeiiethliaa/n (a. a. 0. und zu V. 1: cm unnr Vcrfjiltus 'fetwihliacon divil, wozu
zu vergleichen ist yfvfx^hxcxov If'ynv unten S. inS), durchaus richtig bezeichnet
er dm Gedicht als ein ächriftwerk zur Feier der Geburt oder des Geburtstages
einer dem IMehter nahestehenden PeraSnlidtkeit Verherrliehungen dea Hodi-
leitBiages und des Geburtstages wurden in gebundener und in ungebundener
Bede abgefidkt, und Vorschrillen ftr die Ab&wung von ystrcdAumoZ I6yin
sind uns erhalten. Aber der Ausdruck genethliaeon ist mehrdeutig. Zumeist
wird mit demselben ein zum Geburtstag bestimmtes Gedicht bezeichnet, auch
lum Geburtstag eines Verstorbenen, wie Stat. silv. U 7 genethliaeon Lticani cui
Pf^hm betitelt ist: seltener, wie in unserem Falle, ein Gedicht nnf den ersten
Geburtstag eines eben geborenen Kindes. In der ars, die unter des Dionysios
von Halicamass Namen überliefert ist, werden cap. II die Lehren für yu}iixni
koyoi^ cap. lU p. 14 (TJsener) für ytvttyXiuHoi Xoyot gegeben: die Eingangsworte
von cap. III scheinen sidi auf Lobreden nach Ati unaera* ISkloge m beliehen:
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106
F. Man: Viinils vierte BUog».
'Exdfifvog dt 6oi TovTov 6 fT? Tßig ytviotai ziiv xaidcav Xey6[Uvoi; X6yoc'
yd^co yuQ :iov yivtöiv dväyxij dxokovd'etv ov xal ttvtbv Ttlstv XQh r*tOrov
«dir tQdxcv. Aber die nun folgenden Vorschriften beziehen sich säiutlich auf
GelrarMagnreden für Errachflene» dieadben Lduren sind nnB auafUirlielier er^
arlert beun Rhetor Menandtr p. 141 Bnn. (Bhet Qnec IX 279 W. m 412 8p.)
erhalt«D. OfiinibBr gthSit indenen, da der «isie Gebnrtstaig immeilun »neh
als eine Art von Geburtstag betrachtet werden mufs, ein Gedieht nach Art der
Ekioge Virgils unter die ytvi^Xiaxol Xöyoi^ und an Rhetorik hat es der Dichter
darin ja nicht fehlen lassen: die zahlreichen Anaphern und sonstigen rhetori-
schen Wiederholungen sind bei Cartault y> j*U) sorgfältig zusamniengestciii.
Wir werden demnach gut thun, mit den Erklarern des Altertums der änlseren
Form nach die £kloge als einen ytv6&Xitatbs Xöyos, oder als ein carmm
genethUaam anfriiÜHneii.
Unier den a. 0. gegebenen Lelixen fllr soldte Oeburtatagereden intereMiert
nne am meisten die Vorechrifty die Henander am Seblula seines Kapitds ge-
gebtti bat: iAv arofudig Ttvos viw yivt&liaxbv fi^Ugs Hyiiv . . ^erä tä
fiivri xQaiitvos- Hitä ravta tb yt'vog igctg^ (Ira rrjv yivtßiv, elxa r^v tpvOtv
/>t;? d} ovd}v ix^i$ extQOV xaQ« ra^xa (Utflv rov viov — i'/oc yun lav ovSina
ZQÜ^ii^ f:riön%(CTO — ^pffg f'x ufOddov {yxfoniä^mv ovxm' jovro dl rfxuai-
QÖufvog TTfQ] TÜv ^{XX6vT(ov udvx ivoftaty oxi xtudeittg fig axQov 'i\%h
xai ufjtxii'iy oTt ^piAon/it/tf^rat :i6ki(iiVy uyStvug dia^ön^ xoafii^osi Jtui^t^yv^ngj
juel tottt&nt.
Es lenehtoi ein, daTs Virgil, der ein genetUiac<m nicht nur Übr einen
»omifi viogj sondern fllr einen ebengeborenen Knaben ni adireiben die Auf-
gabe hatte, Tomehmlich auf das t^^avxiveö^ai und xixficuQeö^ta xSnf
luXlövrav at u^r d iesen sein mnfste: Ulst doch selbst StattOB im genethiiaoon
Lucani die Miij^«' dem Sünglinj; meinen späteren Ruhm weissagend vorher ver-
künden. Im übrigrt» stimmen die Vororlirift^'n zu Geburtstagsreden für Kinder
hezü^jHch der Anortlnun^ mit den \'orsciiriften, die Menander und Psendodionys
allgemein für diese Reden ertfilen, geiuiu üherein ^a. a. 0.): i. sfQÜTov ^iv
igits XQOoCittu II. furd tA XQOotma x^v iniigav isuavigttg, xetff x^v itix^
. . . <i fotdlv i%ttQ thut» towOtWy ixmvittts ^h^qccv M leotpoO, 8n
d^povs fivtof tri /«^ff . . . ^fttg foi) »mpo& ßßUpn« UL futä
%hv tils 4}ii^Qtts txmvo» i»l x6 iyx6(iiov ^^ig teAw^ to6 yivm'g IV. eixu t^g
ytvißims ^ r'iS ( i'ttxgo<p^g VI. fira r&v ixixrfdevfittxav VII. nru töv
XQo^tcav Vlll. fitxtt xar>x(t xdXiv ixtUvn ti)v xjfieQccv ovxag' S) xavevdeufiovog
^(Qag ^xfttTjs, XfiO"' iji» hixtno. & urjQog 6dtvfg fvxvx&S tovto Xx*&ft6tti.
Es wird nieht schwer s«'in, dit se einzelnen Tülle in dem genethliacuu des
Virgil wiedei-zuerkennen: bevor wir in deren Besprechung übergehen, ist es er-
foi^erlich über den Inhalt und die Quellen der Ekloge das Feststehende zu-
sanunenaostoUen: soeh in dieser Frage haben die alten ErUirer Vorzügliches
geleistet.
Das A und St, der Ausgangapiinkt und Sehlnfii des yEin^Xuocbg l6yos ist
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F. Mtn: Tirgib viecte BUofr».
109
nach der Vorschrift der Rhetorik das Lob der ijfti'ga oder des xaigos^ also der
Zeit der Geburt, aufserdem sollen bei ganz jungen l't rsonen nur die Aljkunft,
Geburt und Naturanlage einer Besprechung unterzogen weideu: alieä übrige i»l
Proplieflciitng. Virgil liai die Form der Propheieiimg audi «of die DanteUttE^
d«r Qebnrt eelbsk ansgedebit, indem er die Gebart des Enabeu ab nalie be-
metehend yoAet verkfindet: er libi ao den Leaer die Qeborfc des Sjuhben
{^eidiaam mit erleben und ist dadurdi einer Darstellong aeiner natflrlidien
E^jenschaften erfreulicherweise enthoben. Was die Besprechui^ aeinea Stammes
und Geschlechtes betrIflFt, so ist der Dichter derselben gewiDs gern ausgewichen:
über die Vorfahren des Asiniua war nichts zu berichten, der Name erscheint
in jenem Jahr zuerst in den Fasten und klang dem römischen Ohr sn fremd-
diÜg und unaristokratisch wie Vipsanius: die Dichter wählen darum uuch ätati
des Tobriitrea JäM daa «u^omen FoUoj trola der metrischen Schwierigkeit
dM kretiadien Wortea. Ahnen fiterlieheraeita batte der homo noToa nichts
die Vot&hren dea Neugeborenen mflttertieheraeita m rflhmen lAn wenig siem-
Uch gewesen: darum atreül der Dichter nur die Abkunft dea Kmdea gelegent-
lich, er redet zu An&ng vom Vater Poho V. 11, von den patriae virtutes Y. 17,
von den fecta parmtis V. 26, am Ende von der Mutter, die unter (Tfofser
Mül und Plage das Kind so lange unter dem Herzen iretragen V. (30 tF.:
liafs diese pareutes, der pater und die mater alles nur ailegoriäche Personen
and Figuren wären, wie Rom oder das Vaterland, erschciut doch ebenso uu
denkbar wie ein zehn Monate lang schwangeres Italien. Nur an einer Stelle,
V. 49, wird der göttliche Ahnherr des Knaben, Juppiter eben erwiUmt^ Tielleidit
die intereaaanteate Stelle der gunaen EUoge. Wie der Rhetor, ao befaraclitet
Virgil die Beepcechnng dea nmqög Übt daa mdkligirte ond WertfoUate im
genethlia<M>n: aber mit grofsem Geschick hat der Dichter nicht etwa das Tages-
datum oder die JahreaMiit der Gehurt, wie die Rhctoren lehrten, oder die Kon-
stellation der Gestirne, wie die genethlia« ) nnd mathematici zu thun pflegten
(Gell. XiV 1, 1), besung'"^, sondern aus der ihm bekannten philosophischen und
poetischen Litteratur srIi zu seiner Prophezeiung die Anrepmg geschöpft.
Aach iiir die LoHUUg dieser Frage haben die alten Erklärer, wie bereits
erwihnt, bia jetat bei weitem das Beste geleistet. Die Qoellen, die aie ftbr
die mdoge ftatatetten konnten, aind folgende:
1) IMe atoiaehe Lehre Ton der darexariftfr «dtf, der ISmenerang der Welt
und ibrar Bewohnnr von Anbeginn, Servius zu V. 34; Oerdce duTaippei^
fiigm. 14—16 (Jahrb. für klass. Phü. Suppl. XTV p. T08).
2) Die Lehre der PliiloBophen, dafs eine derartige Erneuerung immer nach
Vollendung eines magnns annns stattfinde, wenn die Planeton 71 der Stelle,
Ton der sie ausgegangen, zurückkehi'en: Servius zu V. 4, Aetius dv plac.
U 32 p. 363 Diela, Stobaeus I p. 107 Wachsm., Usener Rh. Mus. XXVlll p. aU2.
Diese Lehre wurde durch die geuethliaci und Chaldaci popularisiert, Gell.
m 1, 1. 18.
3) Die Lehre de» Heaiod nnd aeinea Naehahmera Arat von den nach
Hdallen benannten vier oder fünf Zeitaltem, Prob, nnd achoL Bern, au V. 4
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110
F. lUaii TugiUi vwtU BUog«.
Dm goldene Zeitalter steht unter der Herrschaft des Batum nach Hesiod,
erga 109—111.
4) Eine Lehre der magi, wonach da» letzte Zeitalter vor der Erneuerung
dM W^tilb unter dar Henw^aft dm Apollo oder Sol stehe, toh dem toU-
sttndigeren Senrios sn V. 10 tau Nigidioe Werk de die belegt, ein Werl^ das
kniz TorW eiw^enen war: dieselbe Anschanniig soll nach Serrins zu V. 4 in
einem Lied der CnnuieiBchen Sibylle behandelt gewesen sein, eine Nadhridit^
die neben d^ dorch das Zitat ans Nigidins geetfitzten Berieht Aber die Lehre
der magi weniger in Betracht konuni
d) Dieselbe Lehre von der cbtoxartiatccifts als Lehre von der ataXiYYtvt^ta
der Menschheit popularisiert doreh die genethlioci und mit dem etrnskisdi-
rSmischcn Begriff dos 3a(»culum als eines Zeitraumes von 11" Jahren ver-
einigt: Bo der voUstiindigere Serviiis zu V. 5, die Bemer Scholien in der Ein-
leitung zu der Ekloge. Diese Leliie war durch die drei Jahre vorher ersckieueue
Schrilt des Varru de gente populi R. besonders populär geworden (Bist. Rom.
fragm. ed, Peter [1883] p. 229, 4): nach Probus zu V. 4 fand sich die Lehre
▼on der sutUyytPMia post quattaor saecnla andi in den Versen der C^Danaetsclien
Sibylle. Von der Einteünng des magnus aonns in 10 Perioden oder saecnla
(Plntarch, Snlla C^. 7, Auguatns bei Peter a. a. 0. p. 253, 5, Senr. sn V. 4\
von einer Bezugnahme des Virgil auf die ludi saecnlares findet sich in dem
Gedichte aber keine Spur: Virgil muiste die erstgenannte Lehre schon deshalb
bei Seite lassen, um nicht mit Hesiod in Widerspruch zu geraten, ein Ein-
drehen auf die letztere hätte aber den Charakter des Gedichtes ab yevt&JUecxAv
wesentlich verändert.
Neben diesen durch die alten Erklärer in dankenswerter Weise aufgehellten
Quellen des Virgil kommt für die Erklärung der Ekioge in Betracht die An-
schauung, wonach die Geburt eines Herrn des Erdkreises von göttlicher Ab-
stammung, eines Friedensfürsten, unter dem die Glückseligkeit des goldenen
Zeitalters wiedwkehren soll, nahe bevorstebi Hierüber soll aum Schlnls dieser
Abbandlong ausfBltrlicher gehandelt werden.
Endlidi mnls zur Beurteilung der überschnüng^ehen Sprache nnd Phantasie
der Eldoge die Spraobe der 01üdcwflnscbe und sonstigen frommen Wttnschs,
die in der Wocbenstube und Kinderstube vernommen wurde, in Betracht ge-
XOgMl werden: es ist dies die Sprache den Volksmärchens. Eine Vorstellnng
davon geben nns die schönen Verse des Persius Ii dl E:
Seee avia ant meiuens divom matertera cunia
exemit puerum, frontemque atque uda labella
infami digito et lustralibus ante salivis
expiat, urentis oculos inhibere perita;
tutic nianihus fjuatit et spera maerum »uppiice voti)
nunc Liciui in cainpos, nunc Cra«««i mittit in aedis:
'hunc optent geueruni rex et regina, puellae
bnnc rapian^ quid^iä ealemferU hie, nm fiaP.
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F. Ums TiigOi vierte BUo«e.
III
Nach Pünn und luhalt tuiierscheidtin öich dieäe Wünsche nur wenig vun der
Prophezeiung des Virgil: hauptsächlich dadurch, dala der Bildungsgrad der
iimdModen Fenonai als «in mBontlidi TeFsehMdMier emfaemi Yon der
ia&ereii Saanerie, tn der Yii^ die Ekloge dem Polio ttbmniitelt^ ist es nicht
sdnrer ehw Ukre Vorstellung sn gewinn«!. Sueton^ Nero Csp. 6 schildert uns
aoBchaalich, wie bald nach der Geburt eines Kindes in dem römischen Fstrixier-
hsoM die nahestehenden Freunde erscheinen, ihre OlQckwünsche darzubringen.
Als dankbarer Klient des Hauses des Polio erscheint auch Virgil: or überreicht
dem Konsul 'inter gratulationes amicorum', wie Sueton sich ausdrückt, seine
tierlichen Verst'. Diese Verse wollten aber ebensowenig ernst genommen und
wörtlich verstanden werden, wie die Gebete und Wünsche der Grorsmutter und
Tante bei Persius. Ais einzige erhaltene Probe solcher Klientenpoesie bei
Bmtritt eines firolien BreignisseB im Hanse des res ist nns die Tierte Ekli^
Too miseliitsbarem Wert Dab disHes Gedieh^ in dem, was den Inhalt betrUII^
M» Tielerlei Ansdhaanngen und Ideenkreise sieli krausen, ▼ereinigen und be-
kimp&n, nicht gerade leicht für unser Verständnis erscheinen kann, insbesondere
da, was die Form angeht, die Form der Prophezeiung eine dunkle und gewählte
Ausdrucksweise an die Hand gab, ist offenkundig. Es erübrigt, seine einzelnen
Teile mit Hiilfo der oben S. 108 fElr den ytvi^lumbs Aöyog ermittelten Dio-
potition kurz zu besprechen.
I. X(footutoi\ in dpui der Dichter von der Muse Theokrits Abschied nimmt:
äicelides Muüae, puulo maiora cauumus.
non onmes arbusta iurant bomilesque myricae:
si canimus Silvas^ sÜTse sint consnle dignae.
Die Sprache ist absichtlich dnnkd und schwer versttndlich, der Qedanke den
Lehren der Rhetorik Ober das proonsünm entiehnt: ad Her. I 4, 7: attentos
habebimus, si pollicebimur noa de robns magnis, novis, inusitatis rerba facturos.
Die beiden folgenden Verse sind strittig in ihrer Deutung, dem tüchtigen ist
Vofij am nächsten j^pVonimon. Nicht jf'dpnnnnns Sache ists, sich an Knieholz
und niederem Heidekraut zu erfreuen: nicht solche yaiiaCt.riXu (pvra^ sondern
vielmehr devÖQia vi'i'?chTi]}.K und ^pi»f? '^^txapijvoi möchten vielleicht eines
Konsuls würdig »ein, silvae sint cotisuk digntie; si canimus silvas ist gleich-
wertiger Ausdruck mit dem diesen Bedingungssatz rekapitulierenden süwie.
n. Bespredinng des mupög, 7 Verse:
Ultima Comaei Tenit iam earminis aetas;
magnns ab intsgjro saeelorum nascitor ordo.
iam redit et Viigo^ redeunt Saturnia regna,
iam nora progenies caelo demittitar alto.
tu modo nascenli puero, quo ferrea primum
desinet ac toto sarget genn aurea mundo,
10 Cdutii fave Lucina, tuus iam regnat Apollo.
*Die letzte Zeit, von der das Sibyllenlied singt, ist herangerückt, der
nagnua annus, der sich aus den vielen Zeitaltern zusammensetzt, beginnt bald
m neuem (oben fl, 109, 2). Znrflottommt f^idi die Jungfrau, zorflck die
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F. Man: Vüfi^ vlote BUcg«.
Herrflchaft des Satuni (oben Ö. 110), vom hohen Himmel herab wird das
erueuertß öeachlechfc auf die neue Erde herabgesandt (oben S. 110, 5). Sei du
nur dem Knaben, dessen Geburt jeden Augenblick erwartet wird, unter dem
das eiserne GeBchlecht absterben und das goldene Qeschlecbfc auf der ganzen
Welt sieb erheben wird, sei du ihm gnadig, Lncina, schon fthrt dein Apollo
das Ssepter.'
Das neue Zeitalter ist das goldene, sein Herrscher Satnni: das alte das
eiserne, aber desBon letste Phase ist bereits angebrodien, die, wie die alten
Erklarer berichten, unter der Herrschaft des Apollo steht (oben 8. 110, 4): die
Vereinigung des eisernen Zeitalters des Hesiod mit der decima aetas des grofsen
Jahres, die unter Apollos Herrschaft steht, ist ebenso unglücklich, wie die Ver-
einigung des goldenen Zeitalters des Saturn mit der Emeuerong der Kreator
nach der Lehre der St()iker.
'Castii fave Lucina, tuus iam regnat Apollo', mit diesen Worten ruft der
Dichter die Geburtsgöttin un um Beistand für die Mutter in der schweren
Stunde. Wenn Crusius a. a. 0. p. öüö schreibt: 'Sieht man in diesen Versen
das Qehet eines Höflings für eine Tomehme römische Dame, sind sie wider-
wärtig und abgeächmackt', so kann ich diese Ansieht nicht teilen. Das Alter-
tum dadite fiber derartige Dinge anders wie die Modemen: schon bei der
Hioehzeitsrede empfiehlt der Rhetor, wenig passend nach unserem Geschmaeh,
die Anrufung der Artemis Locheia, der Hebamme unter den Göttern (Menander
p. ISS Burs. Rhet. Gr. IX p. 272, 3 W. IH p. 404, 26 Sp.), und das Gebet des
Krinagoras ("Anth Pal. VI 2441 für Antonia wird man doch schwerlich für ab-
geschmackt oder widerwärtig erklären wollen:
xul Zfv yivofit'voig ^vvbg uTtaöi :tut£Q^
mdivttg vfvtfatt' 'y^tTcorä; ikaoi ekd^iiv
X(fijeittg (taXaxaig x^Q*^^ 'ii^i'^^'ri^^
in. An die Sesprechung des «oipöf anknflpfend kommt der Dichter auf
das fipog, auf den Vater des Kindes zu sprechen, den er mit Namen anredet^
nnd gesdiickt bringt er hier das Loh und den Buhm des Vaters, sein Konsulat
und seine persSnlichen Vorsflge zur Erörterung^ abennals 7 Verse:
Teque adeo deeus hoc aeri, te consule inibi^
PoUo, et incipient magni procedere menses:
te duce, si qua manent iceleris vcstigia nostri,
irrita perpetua solvent formidine terrae:
15 ille (ieiim vitam aeeipiet divisque videbit
jxrnuxttis lii-roa^i, et ip^e videbitur illis:
pacatiiuujuü reget patriia virtutibus urbem.
Die goldene Zeit bricht also an unter Folios Konsulat, zugleich mit der Geburt
des Knäbleins: dann beginnen die magui meu»eM, d. h. der magnus aaeculorum
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F. Marx: Virgils vierto Ekloge,
113
ordo, der neue magnut annas: unter Polios FOhrung und Leitung wird der
Rest aller Greuel ausgelöscht. Die Worte fe chice sind nicht gleichbedeutend
mit tr rtmmh, denn nach V. 31 bleiben noch zur Zeit des herangewachsenen
Sohnes paiuu priscne rr^iiqiti fntudis: Vir<(il bat den Ausdruck !il)sichtlicb uii
befitimrut gelassen, den mau wohl auf die väterliche Erziehung, die educaiio
bezieheu kann. Der Knabe wird ein Leben wie die Götter führen, Götter und
H«ro60 miteinander rerkehren aehen und a^bst unter dieaen Qenoaaen er-
■dwuien; er wird dem ganaan Erdkreia den Fried«a geben und ihn bdierraehen
aut den Tagenden aeinea Vatwa. Dab damaeh ein neuer Abaehnitt beginnt,
«nraitt die Parfcikal in V. 18 At tibi prima puer: der starke Ausdruck dea
Gegensatzes zum Vorhergehenden macht klar, data auf dem patriis virtutibus
TOD V. 17 der Hauptnachdruck liegt und hier ein Gegensatz von Vater und
Sohn beabsichtigt war. Das Geschlecht, das jetzt neu auf Erden ersteht, ist
das Gesehleiht der Heroen: das Zeitalter der Heroen wird demnach mit dem
goldüneu Zeititit' r ''identifiziert, nicht gerade glücklich, denn das Hcroenaeit-
alter ist reich an Krieg und Greueln. Hierin liegt eine Seh wiche der Dar-
iteliung des Virgil, die an TJnzafan^dikeitai fBbri üfe detm miam ineipief,
dann nacli Hedoda Sehilderong der Glftddichen im goldenen Zeitalter, erga 113:
US n ^soi d* ICiootr: A'magwe vüUM pemmiw henroaa fiUirt der Düditw for^
«n Kaehkhng aeiner AjaUdctflre, der aneh die Virgo V. 6 enlataxnmi Li der
Erorlenmg aber die UaQ^tvoq Arat 102 ff. hoifst es: u}<s STi^tv imx9w£ij
xd^g fjiv, ^QX^^o ^' Stv^Qdtxmv xätc vavrt'ij , ovdd xot avÖQöv ovdi x<yi
6QlcUav i]i'ijvccro (fvXa ywaixätv aAA' Kvaul^ ixd^to xal i9ttvnrii :t{Q iovßcc^
und im Scholion zu diesen Versen las wohl schon Virgil wie wir heut»^ das
Fragment des Hesiod f21f) Rzach^: SvvkI yccQ ton dalng iö(ci>^ ^vt'oi dh
douKoi ä&ui'ütoiöc &ioiöi xaTad'vritoig % üv&^uiytui^ (Bahr. prol. auch
V. llü braucht Arat daa Wort ixtitt'ffyito vom Verkehr der Gottheit mit den
Xenachen. Mit den Worten pacatomque reget patrüa Tirtatibna orbem V. 17
aieUt Virgil dem Neugeborenen daa Horoakop in einer Weia^ wie diea in da^
maliger Zeit fiblieh gaweaen an aein aeheini Zwei Jahre Torhw war der
8|rätere Kaiser Tiberius geboren, von deaaen Kindheit Sneton, Tib. 14 berichtet:
Ac de infante Scribonius mathematicus praeclara spopondit, etiam regnaturum
quandoque, sed sine regio insigni, ignota scilicet tunc adhuc Cae^^finim polestate.
Weder die Eltern des Tiherius Tioch die des Asinius werden solche
Prophezeiungeu tsehr ernst gfcnuniinen haben; es gehörten diese nti'enbar zu
den offiziellen Glückwünschen, mit denen die Klienten den neugeborenen »Sohu
d«a rex zu begrüfsen pflegten.
IV. Es folgt ein weiterer Abachnitl^ der die yivtais dea Knaben in 8 Venen
behandelt (vgl. oben S. 108), der DispoaitioD dea Rhetora entaprechend:
At tibi prima, puer, nuUo mnnnacula cdta
errantia hederaa paaaim cum baccare tellna
iO raixtaque ridcnti coloca.^in fundet acantho.
ipsae lacte domum referent distenta capellae
nhern, nec metaent mi^oa aimenta ieonea:
Ktn« Jahrbficher. 1898. L 8
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114
F. Vatx: Viifib vierto EUog«.
ipsa tibi blandos fundent ouiiabula flores.
occidot t't sfrpeiis et failax horha vt-neni
26 occidet: AHsyriiim volgo nascetur amomuiu.
Horaz, epod. XVI 33. 43 — ')2 hat diese und die folgenden Verae bald
nach dem Erscheinen der £klogr nachgeahmt nnd zum Teil durch Paraphrase
nna TentliiiiUieher gemacht. Eine Sdiüderung Jl. goldenen Zeitalters ist Uer
mit einselnen märdraaballen Zfigen ans Gtospiadien der Einderstabe vereiaig^
wie die oben nlierteii Vene des Persins sie «ns TeraasduMdicheiL Y. 23 ipea
tibi blandes fandent canabala flores stört infolgedessen dam Qedanken^anir und
ist deshalb von Kloucek (vgl. Ribbeck z. d. St.) nach V. 20 geetellt worden:
Virgil hatte vielleicht einen derartigen Vorschlag zur Umstellung, wäre ihra
dersell**- -/.n teil geworden, gern befolgt: wir müssen uns mit der Erkenntnis
der Eiit-b himg dieser Inkonzinnität und mit der Überlieferung, so wie sie ibt,
beachoiden. Die Wiege suü Blumen spriefsen, subalil das Kind in dieselbe
hineingelegt wird, d. Ii. g]eieli nadi der Geburt: die pnmet motniseak — das
DeminutiT entstammt gleicbfiUIs der Sprache der Kindwstabe (Hör. qpiai I 7, 1 7)
— sind die ersten Geschenke, die der ijiab^ dessen Gebort erwartet wird, im
Leben erhalten soll. Die Vereinigung der £r:äihlimgen vom goldenen Zeitalter
mit den Sagen von der Geburt der Götter ist aufserdem in den Versen klar
ersichtlich: die tellus, welche nullo cultu ihre Früchte spendet, ist entnommen
aus Hesiod, erga 117, xtCQxbv d* ^cpig^v ^eidagog Sqovqu avroftccrr/, wie Hejne
bemerkt (Bahr. prol. 12): aber das nullo cultu pafat schlecht zu den errantes
hederae, die keine Pflege benötigen, und Hesiod spricht von der Getreidefrucht,
Aber Euripides, Phoen. 649 flf. erzählt uns, wie bei der Geburt des Dionysos
Ephenranken den nengeborenen umsdiatteten: Epd|Mov jvdw tAtero iiatijQ
^tbg )^fH»«tft, iuet^bg ftv mQt^£^pi^ iUntbs §69iis Ir» ßifipog xXoi^^iifOiatv
i^vs6tv «ecuMiiüMfat öXßütag ivdnüev* Den Yms ipsae laete domum rderent
distenta capellae ubera interpretiert uns Horaz (epod. XVI 49. 50): die Ziegen
brauchen keinen Schutz noch Hirten auf dem Heimweg. Im folgenden wird
geschildert, wie Löwe und Stier in Eintraelit leben, wie die Giftschlange und
das Giftkrant ausstirbt: ^vir kennen zwar mannigfache Nachahmer dieser Verso,
aber \'orl)ild<T oder passende Parallelen sind nur aus der jüdischen und jüdi.sch-
helleniütischen Litteratur bis jetzt nachgewiesen oder nachzuweisen (vgl. uuben
S. 133). Die Worte Ansyrium wlgo itascdur cunomum am Schlnüs sind wiederum
den Sagen Aber die Gebort des Bacehns im Orient entnomm», die nach ilteren
Vorbildern (Maass, Aiatea p. 207) Dionys der Perieget 935 ff. behandelt hat:
990 SXio üi CO» md fMifUf \fdi llo^ov UJju^ iiuiw^'
dvov 7} aftiif/v^s tvadiog ^ xuXccfioio . . .
t] x{t6ti]i' iziov yag uru x^tova Ivcccro xtCvi]V
roj x((i yni'oiiivo) xr^cöSfa rpviro :xia'TU.
Ii,t]ku dl xid xi)fiog kuöt'oig ißugvvito fudkolg
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F. Man: Virgik vierte Ekloge.
115
MS ^X9'ov (pvkXa ipiQovng mcriQaöLwv xivet§tAfUO»,
ttirttt^ 6 veßQtdag ftiv ixofiadiag ixdvv66$
^M^o%ttJit^ d' oivm Tikfxrovg &viQH6azo d'VQöox^g
fifid i6mv, xal nokkirv Iii dvd^deiv öXßov fxfvev,
eine Beschreibung, die Euätathius eine yeve&i.imtij diuöxtvtj beneuni und in
der idMm BernfaKrdj im Xommmitar unter Hinweui «ttf 'Virgfto Ekloge ver-
muidte ZQg^ wied«i«rkaiiiit Iwi') Lm aUgemMneii hat Vixgil in d«r Dmntel-
limg dieses Abschnittes die Ferben des FHthlings gewihli
V. Es folgt die Darstellang der uvatQoip^ des Enabtn (oben p. 108) in
11 Versen, den neuen Abschnitt beginnt ahermals die Partikel Ai: diese Partie
ilt geaehmfickt mit d^^n Farbton de» Sommer;^ und Herbstes;
Ät simul heroum laudcs et facta parenti««
iam legere et quae alt pot^ris cognnscere virtus,
molli paulatim flavescet cauipus ariäta,
tncultisque rubens pendebit sentibua uva,
SO et dorae qnerens sndabnnt rosdda mdh.
panoa tarnen sabenint priscae vestigia frandis,
qnae temptare Thetim ratibns, qnae oingere nrans")
oppida, quae inbeant tellnri infindere sulcos.
alter erit tum Tiphys, et altera qnae Tehat ArgQ
Sb delectos heroas: erunt ftinm ültora bell»,
atque iterum ad Troium magnuH mittetur Achilles.
lü dt'D ersk-n beiden Versen wird die Erziehung des Knaben geschildert: er wird
erzogen wie der Solin des alten Cuto, der aach Plutarch, Cat. Cens. Cap. 20
Tci:; laroQius avyYQuxirat 9ijtfly «dnh^ Hlcf, %n(fl xal ftfydXoig yQdy.yLU0iv^ 5xas
der Lesart parentis Y. 26 wird mit Reeht mit drat OewihrsnAimem des Nooios
ud 8erriii8 der Konjektur parentnm von Ribbeck der Vorzug gegeben.
Wie wir oben sahen, ist das von dem Dichter geschilderte Zeitalter, das
erwartet -wird, das Zeitalter der Heroen und das goldene Zeitalter zugleich. In
diesem Abschnitt entsteht aber dadurch, dafs ein glOi-kürlio« Zeitalter und 7^3-
gleich eine Art von Vorbereitung und Vorstufe zu deni>«eiben geschildert wnä,
während welcher pauca tarnen suberunt priscae vestigia fraudiij^j ^V. 31), \ er-
wimmg und Unklarheit; Schiffahrt, Städtebau und die harte Arbeit des Pflflgers
nnd Torerst uoeh die Plagen dee HeroengeschlediteSy das entstdien soU
■) Beaehnogen «of Baednw will ia dem gsaaea Oedidit Vngüs aaehweteeB FUlee
1 »- 0. p. 70.
*) Graf, Leipziger Stud. VIII M vergleicht den Vers des Tragiker« Moscbion (FTQ*
p. eis, 6, 7): oviina jrap oixt ethytiqtis olnoi oSftln^Mtg tii^tla n^gyaie otivfftanimi Jt6hs.
*) Ovid, metam. I 180: in qnoram talnere locttn frandesque dolique, mit Anspielung
Mf VaiTo, Menipp. 495 Bueeli.; in quarum leeom labienmi inqoüinae impietas peifidia
impadicitia.
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116
F. Marx: Virgils nerte Ekloge.
(Y. 32. 33). Darum ist der Vers 28 molli paulatim flavescet campus arista
wenig am Platz und kann nicht viel mehr wie den Sommer bozeiolineii: der-
selbe palst st'hlcfht 7Ai dfiTi folcf<'nden Vers, in dem geschildert wird, wie ohne
Pflege des Winzers am Dornengebüsch die Weintraube sich rötet. Zu V. 30
et dnrae qnercus sudabunt roscida melia verweist Heyne auf Hesiod, erg^
232 Ö., wü das Leben der Gerechtem geschildert wird:
TOttfi tptQti fihv yulu zol'bv ßCoVy ovQfOi Öl ögvg
&x(fri ftev te tpagei ßaXävovg, p^itcri d\ fukioau^^
J)k'ne Verse hat Aiat «. a. O. 110 ff. (Maass, Aratea p. 276) auf das goldene
Zeitalter fibertragen, das er achilclert wie ein jedem Bdu&Terkdir fiundaelig
gegenübentebender Agrarier:
ItO avtas ^ i^caov i^(ih:xi] ccTcttuiro &dXa<tatCy
xal ßt'ov of'?rc3 vfjeg äx6:TQo&fv iiyivtOHOV^
iiklu ßöfg xal (iQOXQa xal uin^^ xötvia Xa&v,
(iVQta :idvru 7taQal%t jd£xr}j deäreiQu ötxcUav.
t6q>Q ^v^ 8tpQ irt yata yivog %qv6ii,ov iq>igßiv.
Virgil hat dieses Bild durch die Zufügung märchenhafter Züge des goldenen
Zeitalten naeh Heeiod, erga 109 fL, Teraerrt. Hehr noch etSren die Sduld^rong
Virgils die sehr interessanten Yeree 34 — 36:
alter erit tum Tiphys, et altera quae Tehat Argo
delectoB heroae; enmt etiam altwa beU%
atqne itemm ad Troiam magnus mittetur AehiUee.
Also ikr Wimsch der Amme im Prolog toa Ettripides' Hedea geht «oek im
neuen saeeolnm nicht in Erfüllung, die Greuel der Meden und die Greuel vor
Troia sollen wiederkehren. Die ausgezeichneten alten Erklarer haben uns auch
diese Stelle verständlich f^macht: videtiir tamen locus hic dictus per apoca-
tastasin (Scrv. ad 34). Die stoische Philosophie war es, die den Dichter iu
der Konzoption diesef» Teiles wesentlich beeintlui'^^t hat, und wir glauben iioeli
den Wortlaut seines philosophischen Gewährsmanns in dem Vers: alter erit tum
Tiphjs, et «Mera quae vehat Argo heranssnli&en, wenn w den Boidit des
Nemeeitts xtql ^ijtfsas dvd^i&rov ci^ 38 (Oercke, Chrjsippoa p. 708, 15) var-
Riehen: ol d^ IknauU tpvatv d9rai$ai9»dv«|i/i«v£ toö^ «ilifvqvflV e^ x6 «edrö
crjfiHov , , , iv ^i^i$ttls XQ6vmf sttffMotg itat^a^iv luA <p9x>(fäp tAv ihnmp
iaU(fyii^to^ui y xal xnhv II vxaQx%g tU to ctdvö xov x6ayMv obcoxttl^ittta99'aty
xal xStv äöxtgav 6(ioi'(og Jtdkiv (piQo^tvwv exaörov iv agoxig^ xsQt69^
yevöfiFvov ä:raQ((lkc<xrci3g äxoTsleiö&at. iöeff&at yrtQ xdXtv ^axQarijv
xal IlXuxavK^ nai IxuaTov tCov (\v^f>(O7t03v Ovv roi't; uifxolg xal fpiXoig
xal noXixui,^ xul r« avzü niiOiG^at xui rol^ taVoii,- övvxtv^tGd^ai xttl rä
ttvxu fitxaieiQulö^tti^ xal «aöav xöXiv xal xu/it^v xal dy(f6p intoCtos
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F. Hwrx: Vu^gil* viert« Ekloge.
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^M6Mu9i9tu09ai. Weon dcEnraaeli das neue Zeitalter daa dar Heroen ia^
dann erstellt neu Jaaim mit aeiner Ai^ und Beinen AigonanteSf Tnüa die
Stadt und der TTcld Achilleus und snine Ruhmosthaien: zu der voraufgehenden
Schilderung paTst diese Darstellung freilich wenig, aber Namen der Qlflckscligen
dea goldenen Zeitalters könnt die Sage nicht, und m niu^f»^^ die Namen der
Heroen gewählt werden, zu deren Zeit ja gleichfalls d^vt^Tbiv r^r}(>jr£ xai ^eätv
iraiQH'ri (Hahr. prol. KVi, wie die Gresehiehte von Anchises und Apkiudite er-
weisen kauu. Dalk Virgil nicht den Jason uenui souderu den Tiphys, ist aul-
Ubnd und beruht auf den Venen dea ApoUcML Argon, t 105 IL:
iXbg eÖQBiiig, itfO'l^f d* dy/fUMO 9vdl!lMS
ccdrij {iiv Tifitmvis &Qt6Tijcov ig oiiiXov
110 SiQOn< *A^veei'r}, ufrä ä' ijXvd'tv ikdouivoiOiv.
cnm) yuQ xal vfiU ^oi^v xäftty 6in> <^f' o{ "Agfog
xfvtfv \4xf6ron{dr^q xtivr^g VTrod-iiiiofSvi^riOti'.
tu xui zaödiüf :i^otpfQt0t«xrj inkexo vtjöiVf
8<r««» ^ €life<s£fi0iP £r<Hpiftf«yfO 9«üid€9f^
Si sdiwebi aber Her dem Diebter niebi daa griedUnclie Original, sMdnn die
damah bochberObmte nnd yidgdeeene Überaefanmg dea P, Termtina Vanro
Ataeinna tot, in der demnach i^eieh&Ua die Argo mit Tiphya an einer Stella
zusammen genannt war: wenn Virgil mit dem ileUdos \enas woS den berühmten
P!n>leg Ton Ennius' Medea anzuspielen scheint (0 Ribbeck, Verg. BncoL et
Georg. [Lips. p. 241 1, so darf es noch wahrscheinlicher erscheinen, dafs
bereits bei Varro sich eine derartige Anspielung fand, da derselbe nach Serv.
Aen. X 300 einen ganzen Vers des Ennius wortlich in seine Argonautica über-
nommen hat. Am meisten mifslungen sind iii diesem Teile V. 28 — 30 in ihrer
gezwungenen Schilderung des glückseligm Zeitalters, die nicht hierher pafst
Hit V. 37 beginnt in 16 Venen der widitigafce Teil, die Beadumbnng dea
HamieBalten dea Kubat, und wir erwarten nach der Vorschrift dea Henander
(oben S. 108) eine Propbeaeinng aeiner tmxrfis'vyiuta und atq^ug. Dieaer Teü
zerfallt in zwei Teile, deren erster sich mit der Schilderung des goldenen Zeit-
alters beschafögt (V. 37 — 47) und die Einleitong bildet zu den beiden folgen-
den Teilen:
Hinc ubi iam firmata virum te fecerit aetas,
oedet et ipae man feefew, nee nantiea pinoa
mntaUt mereea: omnia feret omnia tdlna.
40 non raatroa patietnr hnmna, non ivam ftloem,
robnatoa qnoqna iam tanris inga sollet arator,
nec irarios discet mentiri lana colores,
ipae sed in pratis aries iam ?uaTC rubenti
murice, iam croceo mutabit vellera luto:
46 sponte sua sandjz j^tacentes vestiet agnos.
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118 F. Marx: Virgils vierte Ekloge.
Wenn V. 40 berichtet wird, dafs jetzt erst der Weinstock ohne Pflege (incultus)
Früchte tragen wird, so ist diese Darstellung im Vergleich zu V. 29 incultisque
rubens pendebit sentibus uva keine Steigerung, sondern eine wenig geschickt
erscheinende Variation: der ganze Abschnitt giebt für das Verständnis des
ganzen Gedichtes am wenigsten aus. Beschrieben wird das goldene Zeitalter
nach Hesiod (erga 109 ff.): aus den Versen erga 225 ff. ist der V. 234 iIqo-
:t6xot d' ötfg {iccXlots xttraßeßgi&aöt zu vier Versen unter Anbringung märchen-
hafter Züge erweitert. ^) Einen Abschlufs dieses Teiles bildet das Distichon 46. 47 :
'Talia saecla' suis dixerunt 'currite' fusis
concordes stabili fatorum numine Parcae,
in dem die Nachahmung des Catull (64, 327) wie in den kurz vorhergehenden
Versen 40. 41 (Catull. 64, 39, Ribbeck a. a. 0. p. 241) kkr erkenntlich ist:
der Pluralis saecla ist dem Singularis (V. 52) gleichwertig.
Es folgt der zweite Teil (48 — 59), der in zwei Abschnitte zerfällt. In dem
letzteren spricht der Dichter von sich selbst, dem ersteren gab er die Form
der Anrede an den bereits zum Mann herangereiften Knaben. Wir erwarten
nach der Vorschrift des Rhetors
VI. eine Besprechung der ixixrfiev^axa des Gefeierten (vgl. oben S. 108):
Adgredere o magnos (aderit iam tempus) hon&res,
cara deum suboles, magniun Jovis incrementum!
50 aspice convexo nutantem pondere mundum
terrasque tractusque maris caelumque profundum,
aspice venturo laetentur ut omnia saeclo!
Der Dichter versetzt sich an den Anfang des goldenen Zeitalters, das mit dem
Mannesalter des erwarteten Knaben sich deckt: selbstverständlich beginnt mit
dem Beginn des saeculum auch der Beruf des Gefeierten. 'Echt römisch wird
dieser Beruf, die ^nix'rjdevfiaTa, allgemein mit magnos honores bezeichnet, der
Dichter begnügt sich damit, vorher V. 17 über diesen künftigen Beruf mit den
Worten pacatumque reget patriis virtutibus orbem des genaueren berichtet zu
haben: im Zeitalter der Gerechten herrscht nach Hesiod, erga 228: (Igijvrf xcera
yr^v xovQOXQÖtpo^^ ov8i tiox' avxolq ägyakiov xöXffiov xexfictiQtxui ivqvoxu
Zevg. Der Dichter hält es in der Voraussetzung der Erinnerung an Vers 17
selbst für überflüssig, auszuführen, dafs die in den vorhergehenden Versen er-
wähnten Feldzüge, Kämpfe und Schlachten jetzt verstummt sind, eine Aus-
führung, die man doch erwarten sollte, die aber zu Unzuträglichkeiten führen
mufste, da doch dem Erdkreis erst irgendwie der Friede gegeben wurde, bevor
ihn der kommende Held regieren konnte. Statt dessen folgt eine Aufforderung
an den Helden: er soll zusehen, wie das kreisende Weltall sich freut über das
kommende Zeitalter, das sofort mit seinem Eintritt ins Mannesalter beginnt.
Crusius a. a. 0. p. 557 bringt Parallelen aus einem aegyptischen Zauberbuch
bei: am nächstliegenden wird es sein, hier Nachklänge berühmter Verse des
'> Vgl. oben 8. 114 den V 942 in de» Dionysius Schilderung. Die Schafe Virgils ge-
hören in das Land, ubi porci cocti ambulant.
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F. liarx: Virgils vierte Eklogo.
119
Empäm ni Tennatfln, die in nuymigfiMsher ümgeBlRltiiiig und Yarwendnng
aidi in der römischen Litteratur toti Goschleeht »i Geschlecht fortgepfluzt
babeo. Kurz vor Virgil Lncretiiui V 91 £:
Qiiod superesf, ne te in promissis plura moremur,
pnncipio maria iic terras caelumque taere
quoruin naturani tripUcem . . .
una dies dabit exitiu
und V. 318:
Deniqne iam toere hoe dicom snpraque quod omnem
continefc ampl«zn temm e. q. 8^
Paennna (Trag. Rom. Fr. edii 1891 p. 99):
Hoc yidßf eircom rapnquo quod eomplexa oonÜnei
iemun,
Eniiiiu (». «. 0. p. 66):
Aspice hoc sublime candcns, quem invocant omncj^ Jovcm,
wom die berühmten Verse des Euripides (Trag. Graec. Fr.* 941 j Kur Ver-
gleicliung herangezogen worden sind.
Der interessanteste Vers in diesem Teil ist jedoch V. 4Ö, in dem der
Dichter den Knaben mit den Worten amredet: cam denm enbolee, magnmn
Jofis inerementnm. Wegjnterpretieren darf man dae Wunder hier anf kein«i
ftS]f dem Vera auch nicht allgemem fimen, eo wie Dionys der Perieget 77 eegt:
*ItaX&v vli^is Iii i}xe/|poio v^utvtem bt ^tfoiv^c^, äel fJya «otfcr-
vimniS'^) Nach den Worten des Virgil ist der Sohn des Polio von Göttern
entstammt und Sohn des Juppiier. Wohl mSglich, daTs im Atrium des A sin ins
ein Stammbaum angemalt war, ahnliob jenem im Han«ie des Kaisers Galba,
der nach Sueton, Galb. 2 imperator . . . stomnia in utrio j)rnpo8uerit, quo
patemaui orifrinem ad Joveni, niaternam ad Pasipbaam Minois uxorem referret:
tles Polio Gemahlin Quinctia (Appiau b. c. IV 12. 27) konnte gewifs ohne viele Ge-
«iHfliiBBkmpel ibien Stammbaum auf den von den Griechen zum Gott erklärten
Titoe sarflekf&hroi (Plnt Titna cap. 16). Ane den Biographien des Flutareh
und Sneton (anf Odaviana göttlichen Ursprung, Ton dem Sueton Aug. 94 be-
riditet^ weiet Cartanlt a. a. 0. p. S24 bin), aus den erhaltenen FamiUemntlnxen
und Ineehriffcen (Ditienberger Sylloge 269) jener Zeit liefse sich vielerlei Der-
artiges rasammenbringen. Ich wurde diese Erklfirang schon um dieser That-
sachen willen ftlr die einzig riclitigo lialtcn^ ^ibc nicht die Lehre der Hhetnrik
derselben eine nicht zu versehmähende Stiltzf. Der Vers hehandclt olFenliar
das ytvog des Knaben. Dai's über dasselbe nieht vii l IlühmeuHweitcs zu berichten
war, ist oben p. 109 bereits erörtert. Der öfters zitierte Khetor p. 97 Burs.
(Rhet Gr. IX p. 217 W. III p. 370 Sp.) giebt bei der Behandlnng der Lob-
rede auf einen K6nig besfi|^eh des yivos folgende Vorsehriften: 4^§m(f1^6Hs di
ndhv M&ttffov #pdo|ov «ed«o0 f 6 yh^f ^ o0 . . . /dv 9% iSdo$of j ^ t^iUg^
fudclff. md Tod«o dar' ccdvod ßagMag so»ij«g (eine Vorschrül^
*) TgL di« Ven« im Ibmagoiaa oben 8. 119.
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120
F. Marx: Virgils vierte Ekloge.
die Virgil zu Anfang der Ekloge befolgt hat) . . . ^ otürog* sroXkol tä jilv
doxtlv ii av%QG}7tmv döC^ tq d' aAijO-ft« arap« tov 9tov xi{ixovzai xuC daiv
axÖQQOiu 5vtag xov XQtixxovog' xal yäg 'Hgaxk^g ivofii'^txo {ilv '^ftgjtrpreoi'oj,
TQ d' dXrj&£ccf f(V Jiog' ovxfo xal ßaöikivg 6 r,fiixfQos rfi filv Öö^rj tg uv-
^QOJcav^ TQ ö' akti^Ha ri]v xaxaßoXiiv ovgavö&ev Bxti . . . äöxsQ i:tl roi)
yivovg dQrjxu^iev^ oxi iäv jit^ v:täQxV i^oOro ivÖo^ov, igstg ix •frföv avxbv
yevta&ai. Dafs diese Regel auch für die Behandlung des yivi&Xtaxbg Xöyog
gilt, erscheint selbstverständlich: zu vergleichen ist Claudius Mamertinus,
genethliacus Maximiani cap. 2 und Himcrius VIII. Rede Cap. 3. Die nahe
Verwandtschaft aber dieser köyoi yivi&haxoi^ ixi^aktinioi ^ :tKvr}yr>Qixo£^ stqo-
xe(ixxixoL mit den dichterischen Erzeugnissen gleichen Inhalts erweist schon die
Anwendung der gleichen Benennungen in der Rhetorik wie in der Poetik:
besonders zu beachten sind die allgemeinen Ausdrücke stiboles und incrementum,
die nicht mit dem Ausdruck filius gleichbedeutend erscheinen dürfen.
VH. Den letzten Teil, der die :tQäJ^£ig, lateinisch facta nach der Dis-
position des Rhetors (vgl. oben S. 108) behandelte, werden wir leicht in
V. 53 — 59 wiedererkennen. Der Dichter, der zur Zeit des Mannesalters des
Gefeierten die siebenzig überschritten haben wird, hat es geschickt vermieden,
dessen Thaten näher zu beschreiben:
0 mihi tum longae maneat pars ultima vitac,
Spiritus et quuntum sat erit tua dicere facta:
55 non me carminibus vincat nec Thracius Orpheus
nec Linus, huic mater quam vis atque huic pater adsit,
Orphei Caliopea, Lino formonsus Apollo.
Pan etiam Arcadia mecum si iudice certet,
Pan etiam Arcadia dicat se iudice victum.
Die Disposition der Ekloge hat sich in der Reilienfolge der einzelnen
Teile ohne Schwierigkeit mit der Vorschrift des Rhetors über den yive^i-iaxog
Xöyog vereinigen lassen.
Bevor wir zu der Besprechung des Schlusses der Ekloge übergehen,
müssen wir uns die Frage aufwerfen, ob die bisher nachgewiesenen Quellen,
die Stellen der Philosophen und Rhetoren, der griechischen wie der römischen
Dichter genügen, die merkwürdige Idee, welche diesem Gedichte ohnegleichen
zu Grunde liegt, genügend zu erklären, die Idee, dafs die Geburt eines Knaben
bevorsteht, der dem Erdkreis den Frieden bringen und in einem Zeitalter voll-
kommener Glückseligkeit jeglicher Kreatur über die ganze Welt das Szepter
führen wird. Wenn sich auch einzelne Züge, gleichsam Bruchteile dieser An-
schauung, vorwiegend bei Hesiod nachweisen lassen, diese Anschauung selbst
erscheint in ihrer Gesamtheit so eigentümlich und eigenartig, so klar aua-
geprägt, ganz und selbständig, dafs es nicht wahrscheinlich erscheint, sie wäre
etwa durch eine Vereinigung jener vielen Lehren, die oben S. 109 aufgezählt
sind, erst im Kopfe des Dichters erstanden. Der Dichter hatte einen yeve^ki(txbg
Xöyog zu schreiben und entwarf die Disposition genau nach Vorschrift der
Rhetorik: aber den eben geborenen Knaben zu identifizieren mit einem zukünf-
F. II«»: Virgils vierte SUoge.
tigen Herrn des Erdkreiaes, unter dem die goldene Zeit des Friedens und der
CKIkSoNl^^Beit iviederkelirty dran konnte er weder in den Veraen des Heeiod
nodi in der Lekre der Btoieeken FhiloBopkie die Anregang finden, denn Ton
iidiidien KSnigen, die diese neue Welt bekerrsdien, wmr in diesen Autoren
nirgends eine Spur zu finden. Selbst was uns in der vit« de» Augustus 94
Soeloii bericktet über ^nen Anssprudi des Ni^ndius bezüglich der Geburt de»
Octavi«n. affirmasse dominum terrarum orbi natura, was der Mathematicu«
Srriboiuus dem Tiberius prophezeit (oben S. 121), regnahimm quandoque, kann,
vuu der Unznverlässiirkeit dieser Beriilitf abcrpsphen, zur Erklärung der
Virgilscben Eklugt» nicht genügen: dalti die Schilderung des goldenen Zeitalters
n loleliMi FropbesEeinngen TOn Vii^ Melbet&ndig kinzugefügt »ei, ist mm
bOdut onwakTsekeinlicbe und unbefriedigende Annakme. Kkur ist nur, dob
Virgil reckt mfikselig und gewalteun diese Sekildening des goUmeii Zeitslters
in die dnrck die Bkettnrik gebotene Disposition hineingearbeitet hat. Eine dem
UsMiBcken Altertum unbekannfe, dem Dichter damals auf einem uns un-
bekannten WejT vermittelte Lehre von der Wiederkehr einer goldenen Zeit
ToUer Glnckst'ligkfit. die mit der Geburt rinos Fflrsten anbricht, der bestimmt
ist, den pinzcii Erdkrtis zu regieren, muk es «rewesen sein, die Virgil in dem
genetkiiacou auf den Sohn des Asinius Poho in der oben erörterten Weise zur
Verwendimg brachte.
Luebmtius, divin. instit. VII 24, 11 kat die Ekloge zueilt, wie es sdMiiity
in Zusammenhang gebraekt mit den messianiseken Weissagungen der jfldisdien
Sibylle, in der Zeit ConstantinB wird diese Ldire, die die keidniseken Serviua-
scholien völlig ignorieren, weiter auagebildet (Virgiliua ed. Wagner [Lips. 1830} I
p. 2öO), und die Spuren dieser im einzelnen in die Irre gebenden Erklürung
finden wir flbcrall in den Börner Scholien: Dante schildert uns Purgat. XXII
To ff. mit bew«'i«;li(li('n Wort*-!!, wie der Dichter Statius durch die?c Prophe-
zeiung Virgils bewogen wurde, sich heimlich zum Christentum zu bekennen.
Wir sind nicht gewohnt, die uns von Jugend auf geläufigen jüdisch - christ-
lidien Y<nrstellungen nml Lebren bei einem beidniscben Schriftsteller wieder^
tuflnden, und dedudb kat die Annakme, ein Tirgil sei durck die meestaniscken
Wctflsagnngsn d«r Juden beeinfinfst, illr den erstmi Augenblidc etwas IVemd-
arliges und ftst Abenteuerliekes. Aber bei genauerer PHifbng erweist sidi
diese Anschauung als weit weniger abenteuerlidi, als es den meisten Erklarem
bis jetzt erschienen ist.
Im Herne -Wagnerschen Virgil I* p 1?4 lesen wir in der Einleitung zu der
Ekloge: 'Enimvero qnicnnume .«tensuni Konmnoiiun et ingeniimi vel e longiuquo
inspexit, facile tenebit uuuquum Judaeorum tantani auctoritatem ac tidem aut
fiüsse aut esse potuisse apud Romanos, longe aUis sensibus, religionibus, iudi-
dtt imbutos, ut istorum opiniones publice admittsrent et oarminibus eeiebra-
reni Heminit snpsvstitioiiis Jndaicae Horatius: verum ut eam risu exploderet
Atkunen vel de Tulpta esse potnit &ma inde ab Oriente prcqpagata de rege
▼enturo ... de novi saeeoli, noTi rerum ordinis imminente fiitali exordio. Ham
liniili modo alias quoque supwstitiones, maadme vaticiniorum, perragatas esse
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122
F. Man: Yügt]« viMto BUog«;
plura loca nfrarimus: Romain ftutem a conflnenfce andiqne mnltitadine eas nur
turioB debiaa ease quid nuremnr?' Dula m fDr die Übmnitteliiiig der Idee
von Judaea nach Rom eine beaeere Erklärung giebt als den Hinweia auf den
conflnzna gentiiiin m Rom, soll wuter unten daxgelegt werden. Wenn wir
aber die jüdische Lelir*' v(»ii dem kommenden Messias bei Virgil anzuerkennen
hätten, wäre dies wirklich desLaib eine so auffallende und befremdende That-
sncho, weil uns die Vorstellung htnitzutage so bekannt und so geläufig erscheint,
während wir nur unter Aufbiitiuig grolser Gelehrsamkeit im stände eind, die
triceöima sabbtifa bei Horatius zu verstehen (Sat. I 9, 69; Dombart, Archiv f.
lat. Lexicogr. VI 1*72), und die Herodis dies bei Persius V 180 noch einer be-
friedigenden Erklärung bedOrftig sind? Es iat deshalb nicht notwendig, an-
zunehmen, dafii etwa durch Chaldaei, magi, mathemalici und geneÜiliaei die Lehre
Tom Meaaiaa naeh Rom gelangte, od«: dab wir dieae Lehre in Virgile Ekloge
etwa nur in deraelben Wetae wiedenmerkennen hatten, wie auf dem bckamiteii
pompeianischon Bild das Urteil Salomoa, oder wie der Stern der drei Magier
boieits einen Wiederschein in Varros Schriften geworfen hat (Serv. zur Aen,
II SCI: Usoner, Religionsgeschtchtl. Untt-rs. I p. 77\ Es kommt nur darauf
an, «!:tl"- der Vergleich des helleuistiscb iüdi--'hf'Ti >!essias mit dem erwartet^^u
Hilden m Virgils Ekloge wirklich eine VerwandUckaft beider Crestalten wahr-
scheinlich zu machen im stände ist.
Josephus, bell. lud. VI 312 (5,4) berichtet bei Gelegenheit der Darstellung
der Belagerung Jerusalems durch Titua, dala ro «tdwifs fuUctfT« ^l?os
ri^v xQt'atv. tö}/.ov SiQtt xeQi rrjv Oietnactai'ov t6 I6yu)p ^yipmnkpy
(i:fod{ti9i'vTog fjcl 'Jovduucs avToxgaroQOQ Auch die Romer nehmen von
die*5or Prophezeiung der heiligen Schriften Kenntni«!. sie deuten dieselbe auf
Vespasian, wit* auch Sueton \'espas. 4 berichtet: Percrebuerat Orient« toto
vetus et constans opiuio, esiv in fatis, ut eo tempore ludaea profecti rerum
potirentur. Id de imperatore Romano quantum postea eventn paruit prae-
dictom Indaei ad ae trahentea rebellarunt e. q. sl Sowohl die Eennlaia wie
eine ahnliche Umdeutong dkeer uralten Fh»|ihetie wird man gewila auch einem
RSmer, der ein Jahriiundert vor Yeepaaian lebte, mtnuen kSnnen» und dala
die abergttttbiachen Herren der Welt dieaee Orakel des Oriente über deren zu-
künftigen Herrn interessieren mulste, muCs ohne weiteres einleuchtend er-
scheinen. Etwa hundert Jahre vor Polios Konsulat ist das III. Buch der
SibvUinon III 97 — '^l'^ Kza li' entstanden, das Lactantiits a a 0 zum Vergleich
heningezogen hat: hier wird verkür.'Kt. «iafs Gott einen König standen wird
V. 052: xrd tot' icy^ f]c/,ioio t^föc arfucv/ ßamlrn, oc :rp.em' ytdfcv xccvüfi .to-
ktuoio xtütoio \lMciAin. a. a. O. ^ 11 l«"*, * auf Uruen wmi Lbvrtiufs sein an
allen Gtttent nnd Gaben (744 ff.), kein Krieg, iJULit fßkw dgi^fr, ßf/dkr^ *atä
ytsUtv tartM«(¥ \^7b6\ adüielelich beachreiben die Terae 7^8 ff, die adion
Lactantiua a. a. O. MI 2^ 12 mit Thrgils EUcge vergleicht, daa goideiie Zeitalter:
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F. Man: VirgÜB vieite Bldoga.
12S
4^ hhn ti nul ü^ve£ iv oUgtOtv Sitfity tdovuu xö^iov, xaQÖäXug t ^Qi<poig
Sfut ^«MftfoffM* Sfftctm 6i>v fiöoiots pofiddte^ ttdhöfh^ovrtw «fuQxoßÖQos tc
limr i(x«i^v ipdytriu ^M^^vg, <b$ /SoOsi ^ xtitdts fLdXtc vi^uh #y ^ctfjfioftfur
tt^ovtfii' . . . , tfvr ßg^fpBöCv tc dpaxoiTf^ . . . xm^i^iffotncu xovx ^dtxiftfovfcv,
«ine Stelle, in der die Wühintc Prophetic des Jesuias XI 6 — 8 in Hexameter
umpefctzt erscheint. Das Wesontlitlu' in all diesen Prophezeiungen ist der
Umstand, dafs der erwartete Held durchaus als Mensch ersf-hriTit (K. Marti,
Geschichte der israelitischen Religion [Stral'sb. 1897] p. 29?,. 2iH) i, ( lienso wie
der von Virgil erwartete Held kein Gott ist, sondern nur deum v itam acci-
piet V. 15: dals die Bezeichnung magnum Jovis iucrementum und deum
inboles nur Ar ein rhetoriechefl Aecidens zu halten ist^ wurde oben dargelegt.
Eine Sduldemng eines Zeitaltere ▼cUkonunener Glfiekieli^it, das unter der
Henradtaft der Tugend und Oeredriagkeit an erwarten ist, entwirft auch bald
oach Virgil Philo in den Schriften df jirutmiis ot poenis § 15 ff und de
exwcrationibus § 8 ff: Reichtum und Überflufs, Sieg und Frieden wird auf
Erden herrschen (d«f praem. § 20): cbxvfioQOi; i] üTf?J]^ ovdelg uv yivono
Töt» xoOfiovfisvov vöfiois^ ovd( Ttvog ijXixittg äfioiQog. cjv d-fog fvfiufv <^v9q(Ö
xav yivti. alX* fx ßQitpovg fxuvihv i%i]g a6:rio öl uvaßftifuibi'^ tf-
raynfvoig XQÖvuv xtQiödon^j txdöT^s iiltxiug roitg bgiö^tvtag
liHlo¥ d* ätitvticCtt yei%viA9ttp (a. 0. § 18): die wilden l^ere werden
ubniy das schidliche Oewflm wird Stachel und Gift verliere (a. s. 0. § 15):
r4kc fMw S€%oß6ip äffKtoi xa2 UovtBg xtd Mtffddiiits mid . . . iU^putwss ntet
t£f^Hs . . . ^(itQodT^ißea^ca .t(>6$ t^v civd^genrov <pavuaCmf . . . töte xal axo^-
xmv yivi] xtil ^tpecav xul r&v äkkav tQXit&v ü^gtcxrev f^fi tbv l6tK Die
Fr< »irul'^cbaft der armenta mit den leones (V. 22), wofür klassische Autoren,
der Tierwelt der Heimat ent^jirecbead, lieber die Wolfe und Rehe eintreten
lassen mochten (Theokrit XXIV 84. 85), konnte Virgil weder aus Arat noch aus
Hesiod entnehmen, auch der Hinweis auf die Fabel des Babrius 102 (bei Cru-
nos a. a. 0. p. 554,4), in der eraihlt wird, dals der EOnig LSwe allen Tiaren,
die ohne Unterschied einander freundschaftlich geeinnt und geseteliehend sind,
Recht spricht, ffihrt m keiner passenden Anak^e: ebensowenig ist bis jetst
anderswo als in diesen orientalischen Quellen das Vorbild zu dem V. 24: occi-
dpt et serpens et faUax herba veneni nachgewiesen, ein Zug der Darstellung^
der bei Hesiod und Arat feldt, den selbst Ovid imetam. I 89 ff.) versohn'jilit
hat zu benutzen, der aber in den jihlisclien Quellen stehend ist in der Be
«hreibnng des goldenen Zeit«!ter8 seit Jesnias a a (> : xa) Xt'ioi' ij^; ßovg (payomai
uiv^u^ x(d :taxöiov vi^xiov ixl T^uy/Mv aoziiduii' kul £-Tt xot'rijf ixyöviov äöxt-
9»p Hiv iilQu ixißcdiS» Einen Zufidl allein hier walten sn lassen, scheint
mir indessen wmig ratBsm, so lange nicht eine sdhlagende Parallele aus der
klassischen Litteratnr naehgewiesm werden kann. Femer ist doch sehr zu
beachten, dafs Virgil diese Schilderung von dem aahmen Löwen und dem Aus*
sterben der Gillschlange in die inüantia des zu erwartenden Helden verlegt
hat: er ha^ diese Beschreibung Tielleioht passender an der Stelle sugef>^
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124
F. Marx: Virgils vierte Ekloge.
wo von dem Manncsaltcr des Knaben die Rede war, V. 37 ff., in dem ja keine
vestigia fraudis mehr übrig sind und die Glückseligkeit vollkommen erscheint.
Man erkennt leicht den Grund, warum er gerade den Säugling in diese Um-
gebung versetzt, aus seiner hellenistisch -jüdischen Vorlage, die wie die Verse
der Sibylle eine genaue Paraphrase der Stelle des Jesaias gegeben hat: e«
werden auch in der jüdischen Prophetie die arraenta und der Löwe mit dem
xtaSCov iiixQ6t\ die Giftschlangen mit dem xaidCov injniov zusammengebracht:
darum verzichtete der Dichter auf die heimatlichen Wölfe und Schafe und
brachte anders wie der Verfasser von Theokrit XXTV 84. 85 das Bild aus dem
Hirtenleben des Orientes in sein Gedicht; denn es heifst bei Jesaias a. a. 0.:
xal ^oaxugiov xal ruvQog xal kttov ufia ßooxi^öovrtti , xal xaidiov fiixgbv a^ti
ccvxovg . . . xal JcaidCov vij^tor rgcoyläv äoxidav xal (jd xoiTtji' ixydvtov
aöxCdav Tr^v xtiQcc ixißuktt. Virgil hat zu der Giftschlange das Giftkraut
noch hinzugefügt, was jedoch als bedeutungslos für diese Argumentation er-
scheinen mufs.
Dais die Ekloge kurz nach Abschlufs des durch Polio im Namen des An-
tonius vermittelten Friedens von Brundisium abgefafst ist, ist eine mit Recht
allgemein gebilligte Annahme: dafs Polio und die Wöchnerin zur Zeit sich in
Rom befinden, erscheint gleichfalls selbstverständlich: me Romae tenuit omnino
Tulliae meae partus schreibt Cicero ad fam. VI 18, 5. Nach dem Friedensschlufs
zogen Octavian als Herr des Westens, Antonius als Herr des Ostens in Rom
ein, unbekannt ist es, in welchem Monat.*) Polio, der Freund und Vertreter
des Antonius, war gewifs in ihrem Gefolge bei dem Einzug (Appian, b. c. V 64;
Dio XLVHI 30 flf.). Bald darauf wird der Knabe geboren sein und Virgil
sein Lied gedichtet haben, in einer Zeit, wo Hungersnot und Trübsal in der
Stadt herrschte (Appian a. a. 0. 67, Dio a. a. 0. 31) und die Sehnsucht besonders
schmerzlich empfunden wurde nach dem glückseligen Zeitalter, in dem die
Schiffahrt unnötig sein wird und überall die Erde von selbst das Brotkom
erzeugt, vor allem aber der Notschrei nach Friede und nach dem Ende der
Greuel des Bürgerkrieges überall sich vernehmen liefs: die Getreideschiffe
konnten infolge des Krieges mit Sextus Pompeius nicht einlaufen. Inmitten
jener Zeit aber und um die Zeit, als Virgil dies Gedicht verfafste, wurde dem
römischen Volk ein merkwürdiges Schauspiel geboten, über das uns der ur-
kundliche Bericht eines Augenzeugen bei Josephus antiqu. Jud. XIV 388 (14,5)
erhalten ist. Der Judenkönig Herodes weilte damals mit seinem Gefolge in
Rom (Frankel, Athen. Mittheil. XXI [1896] p. 445 ff.). Durch des Antonius
Einflufs, der als otpödga iönovdaxias xegl rhv'Hgmdr^v bezeichnet wird (a.a.O. 4),
erhält der Judenkönig vom Senate die Königswürde zuerkannt: nach Schlufs
der Sitzung verlassen Antonius und Octavian, den König in die Mitte nehmend,
geleitet von den Konsuln und den übrigen Magistraten, das Senatshaus und
gehen auf das Kapitol, um dort zu opfern: iöxiä Öl r-qv jrgärrfV rjfi^gav zijs
ßtt<Sikiia>; '^vraviog. Diese zeitliche Koincidenz jüdischen Einflusses in Rom
F. Ktn: "VligUs vierte SUog«.
md \m iiausü des Polio mit der Ekloge des Virgil erscheint doch gleichfalls
sehr bemerkeDBwert: auf die durch Josephus antiqu. Jud. XV 343 (10, 1) be-
zeugte PreandscltKft des Polio and des HaiueB des HarodM isi bereits in dem
HeTse-Wagnersehen Virgil I p. 124 bingewiesen. Wenn Jossas a. a. O. Aber
die Smehong der Sdhne des Herodes in Born berichtet: tw&totg ^clOol^tf»
Tutxayayil ftlv i^v IJoXXiavog olxog, &vd(^ tAv (idXiörcc 6xovdae«vT<ov xegl
nj»» 'Hgadov ipikiuv^ so dürfen wir hieraus mit Sicherheit schliefsen, dafa
difse Frpinif^'^c!ifift und Gn«tfrpundschaft dainals unU'r Folios Konsulat in Rom
ihrtii Alt III Iii lim, als der Konsul bei jenem Verlauseu des Senatshauses dem
Judenkönig (ins Geleit gab und gewifs auch an dem Festmahl, das dem neuen
König Poüus Freund Antonius veranstaltet hat, telLiiaiiui. Der Umstand, dals
des BEerodes SShne qpater in Folios Hanse Wohnung nehmen, macht es mehr
wie wshrschw'nlich, dafo dort im Jahr 714/10 bereits der Vater mit Gefolge
gewohnt hat nnd vielleicht mit Virgil nsammen an der Wiege des Nea-
gsborenen seine GlttckwQnsche darbringen konnte.
Wenn wir, abgesehen von diesen Beziehungen, bei Virgil Einflüsse jüdischer
Kultur vorfanden, so wäre dies, wie oben bemerkt, an und für sich gewifa
nicht auffallender, hI? wenn ein anderer Klient des Polionischen Hauses, Tima-
genes, sich mit jüdischer Geschichte befiiist (Fragm. Hist. (iraec. III p. 322).
Hierzu kouinit aber noch die weitere Erwägung, dai's gerade iu dem Jahre, in
dem Virgil die vierte Ekloge verfällst und in dem der Judenkönig mit
seinem Gefolgt von Litteraten jeder Art im Banse des Konsuls Polio veikehrt
ha^ das Werk eines Schriftstellers erschienen is^ dessen Beiiehni^en an Virgil
ans andern Anhaltsponkten wahrscheinlich gemacht worden sind, das Wok des
Polyhmtor Alezander über die Juden.
Ein Bruchstück dieses Werkes, in dem ftliere Werke über die Juden, wie
das Werk des Eupolemos, benutzt waren, ift uns hei Plemens Alexandrirms
ström. I 21,141 p. 404 Pott, erhalten i Freudenthal, Heilenist. Studien [Bresl.
1875] p. 230. vgl. p. 214 und p. 12); dasselbe lautet: "En «5f xm RvndXfuos
hf Tg h^QKf z^ay^aTiia tä xdvru ixri ^pr^öiv üstö 'Aää^ aj^gi tov :ttjizvov
irovg JrjiirjrQÜiv ßuOiXstus . . . awdyeö&cu ix-q i^Qli^^' dg»' 61 ;i;pdvov
ii^yccye Maö^g xoi>g lov^oe^vg ig jily6xrüv iitl xijv XQOHif tjitdvriv :tQo&e6(Uu»
fdtaF ip *A6fig iutdxw Dkmw ^oficv^v (jSoftmwiwO die Überlieferung) FeUw
^AötvCov (xtc0ic(vov überliefert) (Svvu^QoCSßirat ixri ixaxbv stxooi. An der
Eichtigkeit der Herstellung der Konsulnamen wird nach Freuden thals Aus-
führungen niemand zweifeln wollen: richtig erscheint femer, dafs das Bruch-
stück von üuger, Phüologus I p. 178 dem Werk des Polyhistor zu-
gewiesen und somit dessen IIiTausgabe auf 714 40 festgesetzt wird, so wie man
die Veröffentlichung von Varros Werk de geute populi iiomum aui (irund
einer »hnlichen Angabe mit Recht in das Jahr 111/42 verlegt (Peter, Hisi
Rom. Fr. ed. 1888 p. 230, 7). Die Bendrangen des Aleiander su Virgils Poesie
sind Afters dargelegt worden (Snsemihl, Gesch. d gr. Liti II p. 359,53):
Alexander benntste die PrepheBeinng sowohl der Sibylle (Frendenihal a. a* 0.
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126
F. Mhx: VisgOs vierte EUoge.
p. 2ö; Rzach zu Orac. >SibylL III 97), wie die Prophetien des alten Testamenten
(Frttudentihal l a. 0. p. 229, 4): der Anniliine, dafs Virgil in dem Tielgeschäftigen
Streben nach G«lelinaiiikei<^ das im» in den Eklogen kbr erkenntiidi iat^ eine
Anregung ans diesem Werke geechdpft liebe^ steiht nichts im Wege. IntereMierl
sicli doch der Dichter noch in den Georgica für die Palmenwalder Idamaees
(ni 12) und für die Bogenschützen Ituraeaa (II
In Erwägung der bisher besprochenen Thatsachen wird jeder Unbefangene
zu dem Sehlufs gelangen, dafs der Hinweis des Lactantius auf orientalische,
hellenistisch-judische Quellen und Vorbilder noch bis heute ab (Iiis Hestf er-
scheinen miifs, was über die vierte Ekioge hinsichtlich ihres zuletzt besprochenen
Inhalts beigebracht worden ist: ob wirklich eine Prophezeiung der Cumauischeu
Sibylle nach Art dar oben erSrfcetten nnd derart, wie der Diehter dieselbe im
Eingang kennseidine^ damals existierte, oder ob Virgil dieses Orakel selbst nur
ftr seinen Zfntk erdichtet hat, tat fdr diese Frage wenig TOn Belang. Wie
GoeUie Uber seinen B'aust, so bat Virgil dem Gewährsmann des Asocmins
Pedtanns gegenüber sich gf'äufsert, dafs er in die Eklogen allerlei 'hinoin-
gebeimnifst* habe: der unbekfinnte Gewährsmann des Asconius hatte nach schol.
Beni. eclog. III liT^ >>* richtet: se audisse Verf/ilium diceniem in hoc loco se gram^
nuttieis crucem fi.nsst: quaesituros ma si quis studiosius ocmleretnr (A. Kiessling,
Greifswalder Index achol, Sommer 1883 p, 6). 'Die Philologen werden daran
SU tiinn finden', sagte sadi Qoe&e nadi Eckermanns Beriekt fiber seine Helena,
üm so dankbarer mflssen wir Hbr das sein, was Asconins Uber die vierte Ekioge
nns noeh an Erklärung bieten konnte; wenn wir fiber Virgil besser unter-
richtet sind, wie über irgend einen Diditer des Altertums, wenn wir selbst
solche Einzelheiten erfahren, wie dafs er seine Aeneis erst in Prosa gest bl ieben
hat, wie Goethe die Iphigenie und den Tasso, so verdanken wir all dies dem
hohen Interesse, das sowohl die Zeitgenossen des Dichters wie die niiih.st-
foigende üeuerutiou au Virgils Scliöpfungen zu nehmen für ihre PtiicLt hielten.
Es erübrigt die Betrachtung des Schlusses der Ekioge. Der Rhetor
Menander a. a. 0. giebt die Vorschrift, nach Vollendung der oben besprochenen
Teile wieder som Anfang Enrüokznkehren und den Oebnrtatag zu preiaen: fUMÜ
TirOra itAUv htvdvu ^^«v nß/ta^' h nv»ev9vfyiQf»9q 4f*^p«e httiifi^ wa^
^ if^cro, h fi^po; ÄdtM^ ^m>f^ isl codTO Av^cltfoi. Bei Virgil fanden
wir hiervon nur die Form des Auani& wieder in dem letztbeaprochenen Teil
(V. 48. b?»y. das Kompliment aber an die Mutter steht gleichermafsen am
Schlnfs des pnnzen Getlitlitej^, an dem der Dichter den Ton der Prophetie
plötzlich verlä&t und den Knaben, der jetzt leibhaftig vor ihm in der Wiege
liegi^ anredet:
60 Incipe, parve puer, risu cognoscere matrem:
matri longa decem tulerunt fastidia menses.
incipe, parve pner: coi non riaere parente^
nee deua hunc mensa, dea nee dignata eubilt eai
Der hier gegebene Text ist der Bibbeeksche: idi halte mit Bibbeck alle Ver-
beaseruttgsTorachlSge, die anm Teil Slter sind wie Qointilian, für verüdilte
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F. Haix: TiigOt vierte Eldoge.
127
Versuche, einer uns dunklen SteUe Liclit zu verschaffen. Der Dichter ver-
wkt sich und seine Leaer pl^HsUdii wob dar Höhle der Sibylle und dem Adyton
der Pjrdiift in die Kindentabe und fOlirt mit eine Sieiie vor, wie ne too der
Kunst des Altertums am seIionsl»n in der Qmppe des Silen mit dem Dionysos-
kmben im Lernte dargestellt erscheint. Tang an kleiner Enafn- /u liielien
and die Mutter zu erkennen, deine Mutter, der die zehnmonatliche Last lange
Widerwartii^keit bereitet hat, nochmals sage ich, funp an, kleiner Knabe: die
Kinder, über die die Eltern nicht haben !a<*hen müssen, die haben noch nie
weder am Tisch eines Gottes teilnehmen dürfen, not h sind sie der llaiid einer
Unsterblichen gewürdigt worden/ Der Schlufs klingt halb scherzhaft, erinnert
an den Schlols der zweiten Epode des Horaz: 'lachen mnfst du, kleiner Borsch,
mut sind all deine stolaen Propheaeiungen, die dn eben gehört hast, nichtig
lind irr^* Die richtige Srldjfoni^ des Verses: ineipe parfe puer risn oc^osoere
natmn eigiebt die Vergleidrang des Paradozogr^hen Antigenes (0. Keller^
Rer. aal scripi min. p. 42), der von den Kindern bevidttet, sie pflegten tfl
de Tidöoifixxoattj xgoöXofißaveiv rb yeJitBgwtbv xal ixiyiyvaoxuv (tr/tiga. Dies
ist d'i^ Lehre des Aristoteles, histor. anim. VIII 1<> p 5S7b .'): ra dl cruidi'u
utüf YivGJVTui Tör TfxraodxovTu y'jUfQäv, ^ynr,yoQ6zu jilv oine yiXä o{rr£
dax^vtt, vvxTioQ ()' iinoxf ufitpo-» und de smini. j^ener. V 1 p. 770a 11: xal
i'/^fyogotu n^v ov ytkä xä naiÖLU^ xa^tvdovzu öl xal ytf-u- xvX duxqvu. Die
alten lirldärer (Ser^. su Y. 1) nnd ilmlich Grosius n, a. 0. p. 557 schlieben
SOS der Stelle^ dafs der Knabe *natam risisse statim'; 'quod parentibns est
otnen infelicitatis* filgt der Scholiast hinan, wihrend Cmsins unter Heran-
liehung entlegenster Litteratur darauf hinweist, dafs in den griechischen
mystischen Schriftwerken dem thranen reichen Geseldecht der Menschen die
heiter laehilnde Gottheit gegenüberstehe: er Tcrgleicht ein Fragment der
Urphischcn Poesie (236 Abel):
üaxgva }itv ai^iv iöii nokvtXiiiiov yt'vog avö(f&Vf
[Uidilauv dt d-e&v legbv yivog ißkäarrföe.
Ich rnuüs es dahingestellt sein lassen, ob sich eine Brücke von der mystischen
Poesie der Orphica zu Virgil hinflbersehkgen UUht*): unter dem Einebruck der
Ver^eiehnng der Stelle mit dem Faradoxc^raphni scheint mir das Haupt-
gewicht auf dem eognoscere matrrai in lii^en: haben wir es doch nidit mit
ebem Gott zn thun, wie wir oben sahen, sondern mit einem xwar gott-
entstammten, aber wirklichen Menschen, der wie ein romischer praeteztatus
selbst in Bilchern studiert. Der GtHlanke, diifs die Mutter durch ein Lächeln
und das ersU; Zeichen geistigt^r Thätigkeit für die lange Mühsal und La?t der
Erwartung belohnt werden soll, scheint mir rein menschlich gedacht, anmutig
erfunden und warm empfunden.
Am schwierigsten sind die beiden letzten Verse: hoffen wir, dab Polio,
der durch seines Cinna Poesie an schwere Kost gewöhnt sein mochte, sie
mhtig an ▼erstehen wnlste. Incipe parre puer: cni non risere parentes, nee
*) Yergleieheii Übt nch das uttiUmp in dem Yen des Dieniyi, oben B. 116.
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128 I*. Man: Vügils vierte EUoge.
dem liimc menM, des nee d^pata eobfli est Es kkfll swiscben der Erneaerang
der Anffiirdenmg indpe parre puer und dem BelatiTiaftB eine Lfleke des <3e-
dtnkens, und wir können bei dem Stand der Oberliefemng mdak mäu Üatn,
als diese Lücke, indem wir das in V. 60 enthaltene risu noch hier nachklingen
lassen, selbständig auszuftUlen. Es läfst sich vielleicht «n Bruchstück des
Ennins bei Serv. Aen. I 254 zur Erklärung der Stelle verwenden: Jiippiter
hic riait tempestatesque serenae nsci niit nnmes risu Jovis omnipotentis, so dafs
risere bei Virgil und Ennius gleichbedeutend erscheint mit <ieiii Begriti", den
man weitläuftiger durch 'das Lachen erwidern' umschreiben könnte. Wäre
uns das Spridiwort oder die Sage, auf die Virgil so kurz und in einer för ans
so anUaren Weise anspielt, befamnt, wir wUrdmi diese Lfieke der Qedanken-
Terbindnng sdiwerlioh so sehr Termissen. Die alten ErUSrer verweisen auf
die Gesduehte von HepliaistoB nnd dessen Abenteuer mit Atiiena und Hera
(t. Wilaniowits, Nachrichten d Göti Ges. d. W. 1895 p. 222), eine wenig
probabeie Erklärung, da des Hephaistos Gottheit ebensowenig jemand leugnen
konnte, wie seine Ehe mit Aphrodite, der schönste unter den Göttinnen.')
*) Zn der EnriUmong der mean der OOttnr nnd £e Tcem das HoanM Vm 414 fl sa
veq^eiehen, wo die veigOtterte Semde daigeiieUt wiid luQc ifmimMa tfum^i^ Zqvl ssl
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AUS DEM KLASSISCHEN SÜDEN.
Von Adolf Holm.
Daä unsere Zeit nach einem berfihmten Worte im Zeichen des Verkehrs
iteh^ beweist «ach die AUertmnswissMiscliait Seit Oortiiu die lebendige Anf-
ÜMituig dee Gharaktera einer Qegend wm integrierend«! Teile der alten
GtidiMlkte genteelit hnt, ist dne Stndiiun der Stattet der antiken Bildung in
stete wachsendem Aufschwung begviffiBn^ und zahlreiche Reisende haben, mit
oder ohne Unterstütam^ der itegiernngen, die Gegenden durchforscht, die den
Freund d^a Altertums interpssieren können. Gestiegen ist die Zahl der wissen-
schaftlichen Forschungsreisen, gestiegen ist aber aiuh die der blofsen Ausflüge,
auf denen dann freilich fast immer dieselben Gegenden berührt werden. Die
wissenschaftlichen Institute erleichtern jetzt Studienreisen auch den Gelehrten,
die früher an derartiges nicht denken konnten, und es wird jetzt solchen,
denen nvr die eigene Anachaunng der alten Sttttm fehlte, um ÜBr YoUkommene
l^er dee Altertome gelten m kennen, die Brreiehung dieees Zides eo leicht
g^maciht wie nie mww. In dieser Hinsicht ist das Kaiserlieh deutsche ardilo-
logische Institut in trefflicher Weise vorangegangen. Ein sonst sfthwer zu be-
friedigendes wissenschaftliches Bedürfriis befriedigen jetat die griechischen
R' istn, die Dörpfeld und Wolters leiten. Für den Westen liegen der Natur der
Sache nach die Dinge etwas anders; hier kann der ein/eine Gelehrte leichter auf
eigene Hand vorgehen. Aber auch hier ist durch jährliche Htudienfahrten, die die
Btkretüre des römischen Instituts leiten, einem vielgehegten Wiuiscli entsprochen.
Wenn nun ein deutscher Staat in dieser Richtung noch besonders eingegriffen
bt, so war das mit grober Freude an begrttlseii. In der Hiat haben die
«isienschalUidien Reisen hadtschw Lehrer mAex der Lmtong von FachxiAiiiiera
80 Tiden Bei&ll gefunden, dals jetst auch Ang^Sr^^ anderer dentsdien
Staaten gewflnscht, und, soweit ee mSglidli war, erlangt haben, an ihnen Teil
nehmen zu dürfen, und die Frttchte dieser Reisen ha>)en sich bereite früher in
einzeben Veröffentlichungen gezeigt, populären und streng wissenschaftlichen,
die hier nicht besprochen wprdfn sollen. Eine besondere Frucht hat aber
die letzte dieser Reisen, die vom Jahre 18ÖÜ, gezeitigt, das Werk: Aus dem
lilasäischen Süden. 150 Lichtdruckbilder nacli Originalaufnahmen von
J. Nöhring, Lübeck. Text von den Teilnehmern der o. badischen Studienreise.
Herausgegeben mit Unterstataong des CMsh. bad. Hinisteriiims fitr Justii,
Kultus und UnteiTichi Labeck 1896. foL
Dab dies Werk an stände kommen konnte, war die Folge mehrerer
gBnstiger Umstände. Es nahmen an der Rnse auber den Lehrern und den
Xmw Uhrtttohn: 18M. X. 9
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130
A. Holm: Aub dem klasaiBchen Süden.
leitenden Professoren Andere herromgmde KflnBÜer und Gelehrte teil, unter
denen wir nur Dürrn und Meitzer nennen wollen. Sodann begleitete sie einer
der besten Vertretor der pliotographischen Kun.st, Joli. Nöhring aus Lübeck.
Wenn nun so die Bedingungen für ein Werk, wie das voiliegeude ist, gegeben
warcu, so ward Antrieb zu seiner Ausi'üliruiig der Gedanke, mit einem Ergeb-
nisse der Reise S. K. üoheit dem Grroiäherzog von Baden, dem edeln Förderer
aiiüh dieses Unternehmens, «ne Holdigimg sa seinem 70. Gebnrtsti^ dar^
sttbringen. So ist das Prachtwerk entstandeiii das nns Gelegenheit geben soll,
ni aeigra, wie mit seiner Hfitfe Stadierenden und Freonden der Wissenschaft
und des Schönen ein Teil der Geschichte des Westens im Altertum klar und
anschaulich vorgefülirt, und wie Leser des Textes und Beschauer der Tafeln
Teilnehmer einer instruktiven Reise werden können. Wir möchten noch her-
vorheben, daÜB die Lichtdrucke den besten überhaupt gefertigten gleichkommen;
die Gegenstände und die Punkte, von denen sie aufgenommen wurden, nind von
den Leitern der Reise gewählt, wahrend bei den gewöhnlicheu l'liotographieii
Italiens in der Regel nur der Photograph die Wahl bestimmt hat.') Den Text
haben die Teilnehmer der Reise Twfiifiif^ untor ihnen Ißaner von hoher wissen-
schaftlicher Bedentni^.
Sehen wir nun, wie wir an der Hand dm Werkes uns eme Übersicht
über die Eultnigeschichte eines wesentlichen Teiles des Alt(>rtums verschaffen
können. Wir binden uns natürlich nicht an die Reihenfolge der Tafeln, die
sich an den Gang der Reise: Hom, Kymc, Pompeji, Paej^tum, Tarent, Apulien,
Metapont, Kroton, Reggio, Hi/.ilien, Karthago, Cagliari anachlieÜBt, und folgen
der geschichtlichen Entwickeln ng.
1. Zunächst verseUen wir uns in die älteste Zeit, über die keine
litterarifichen Zeugnisse vorliegen. Es giebt in Sizilien zahlreiche Spuren
davon, die audi schon seit lange sorgiältig studiert worden sind, niemals jedoch
so systraiatiseh und mit solchem Srfolg, wie in der jfingsten Zeit Es haben
sich an diesen Stadien au&er Altertnmsforscihem auch Naturforscher beteiligt,
denn die ältesten Zeugnisse dw Geschichte der Insel sind Überreste von
Tieren, die in Grotten gefunden wurden, Beweise der Art der Nahrung jener
längst verschwundenen Stämme. Dann kommen aber Werkzeuge und Waffen,
ebenMls noch in Grotten erhalten, die den Menschen, die jene G^^tände
*) Hier mag eine aUgememe Bemerkung am Pbixe seiii. Ein namhafter Arehlologe
ftnberte uiu geftenflber, wie schwer es sei für jemand, der lehon Iftngere Zeit Photographien
in Italien gesammelt, Neues au finden, obschon sich die <;enfon??tande leicht besser auf-
nehmen Ue£sen, als gesckehen ist. Doa Photographieren ist eben ein Geschäft, das von
einhehniiehm Fraktikeni betrieben wird. Die natflriiciien Sehwierigkeiten, Aufiuhmen m
machra, lind fOr einen firemdan Fhotogra|)hen von Fach, der ein OcKb&ft machen mufit,
80 grofs, dafs solche sie fast gar nicht unternehmen, und Fremde fast mn als I.ielthaber
sn Privatzwecken photo^aphieren. Herr ^«öbjring dagegen hat als Mitglied der badischen
Expedition, gegen vrddie die italieniiche Begienmg sich sehr eDt^'«'güukamniend gezeigt
Jwti «0 grofse Erleichterungen in jeder Hinsicht genossen, daft; es ihm dadurch ermöglicht
wurde, oline Rücksicht auf die Konten, fOr die die badische Regierung mm Teil ein>
getreten ist, Ausgezeichnetes au leisten«
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Holm: Ai» «lern Utaiitclien Sddeiii.
131
benutzten, zur Wohnung gedient halxn müssen, und zuletzt folgen wirkliche
Grabstätten, die wir hprcits hiHtorisch namhaften Völkern 7.uschreiben können.
Über dit^eu Teil der aiteäten üeschichte Siziliens giebt der von 0. Schoten-
mck rerfi^te Text zu Tafel 89 Auskonft. Die Tkfel stellt einen Felsabhang
dir, durclilSdiert Tom niuähligen (lrRböfiiiti]ige& Aber und neben «nander, un
Ftnne CSaaaibüe^ dem mu der Gesdiichte des Rflekmgs d«r Athour berOhmten
EftkyiNurie. .ibnliche Grotten in Felswanden finden eicb u. a. bei Ftantalicn
in der Nahe von Syrakus und im Thale Ispica. Diese Gräber gehören der
letzten Torgriechischen Periode an, aber Schötenaack beschx&nki sieh in »einem
Text nicht auf sie; «t f^itbt auf Grund der neneaten Forschungen eine zusammen
fassende Darstellung der ältesten Grabstatten Siziliens überhaupt, deren kurzer
Wiedergabe ich nur wenige Worte der Orientierung voranschicke. Die älteren
prähistorischen Forschungen über die Insel sind in meiner Geschichte Siziliens
Bd. 1 resnmieit worden, woin die italiemsche ÜbersetBung nüfadiche Zowtse
gemedit bat, und ee Terdiemt immer nocih bemerkt m werden, wie viel im
vorigen Jahrhundert Hovel durch SchüdemDgen and Abbildungen fttr die
Kenntnis dieser Überreste gethan hat, und wie viel in diesem Jahrhundert der
unermüdliche Cavallari und unser Schubring, sowie für die älteste Zeit Tom
Standpunkte der Naturwissenschaft v. Andrian. Schötensack fiifst besonders
auf den mfthodi«oh bptrifhpnen und von Erfolg hegleiteten Untersuchungen
von Orsi, ileiu verdienten Direktor des Museums von Syrakus, woselbst auch
die Fundstücke aus dem östlichen Sizilien vereinigt sind.
Die in Grotten gefundenen Überreste der ältesten namenlosen Bevölkerung
SisQiens bestehen aus Werkseigen und Waffen, die aus Kiesel, Basalt oder
Aioefasn gefertigt sind, und ans Qefibeii, die aus frsisr Hand g^rmt wnrdoi.
Dinn kommen die Felsgiiber, die wir im (Etlichen Siiilien den Beiern, im
westhchen den Sikanem zuschreiben. Sie sind, wie die am Cassibile, fast
eamthch an AbhSogen angebracht, so dafs man horizontal hineingeht, selten
im flachen Boden, wo alsdann Schachte hinunterf-Uiren. Dies ist der Fall «uf
den Halbinseln Plemmyrion und Thapsos bei Syrakus. Die Zahl der un-
berührten Gräber dieser ältesten Zeit ist sehr gering; vor 15 Jahren hatte
Cavallari noch keines gefunden. Oräi ist dies Glück zu Teil geworden, und so
hat durch ihn diese OriLberÜDarsehung eine festae Basb bdcommen, als sie
mvor hatte. SehOtensack teilt sie nach Orsi in drei Perioden. In der enlm,
nach dem CharsUer der gefundenen G^agenatände Hissarlik entspredienden,
finden wir enge Kammern mit einer backofenähnlichen Wölbung, worin die
Leiehen in hodcender Stellung an die Wand gelehnt waren; bisweilen fand sich
eine grofsere Anzahl von Skeletten in demselben Räume. Das Gerat ist meist
aus Stein, Knochenarbeiten finden sich ähnlich denen in Hissarli]: Die Thon-
gefiifse sind noch ohne Töpferscheibe gearbeitet, xmd von zwei Arten: 1) nur
die rohe Thonfarbe zeigend; 2) mit einem gelblichen oder roten FarbenÜber-
ZQge versehen und mit geflechtartigen Zeichnungen geziert. Spinnwirtel fanden
lieh ebcnfUls, und Knochen von Rind, Sehaf und Schwein zeigten, wdehe
Tiere dem Volke nur Nahrung gedient habraL — Zioeik Perioäe, entsprechend
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132
A. Holm: Aus dem klagslachen Süden.
Mykeni^ «kwa 1500 — 800 v. Chr. Die Kammern werden geräumiger; ringsum
läuft eine Bank, es finden nicb Nischen. Die Toten sind noch in sitzender
oder hockender Stellung; in dei- Mitte des llauiaes steht oft ein groliies Uefäis,
wahrscheinlich Oetriinke enthaltend, darum kleinere Thongefalse, wie zum
Schöpfen au» dem grol'üeu. Die Gefäfse haben eingeritzte Ornamente. Idole,
Gefälle mjkeniächen Stils, die sich dabei beluiden, Brouzegerüte, Fibeln waren
offmbar nicht von der einhdnusdben BerOlkenmg gearbeitet — Dritte Periode,
entsprechend der Epodie des geometrischen StÜs in Orieehenland, etwa 1000
— 700 ▼. Chr. Jetst werden die Kammern mehr reehtei&ig; dar Kopf des amh
gestreckt Liegenden Toten ruht auf einer Bank an der Wand. Höchstens
3 Skelette befinden stob in einem Grabe. Die einheimische Keramik sinkt
immer tiefer; immer mehr fremde Ware wird eingeführt, aber diese frenide
Ware wird auch im Lande nachgeahmt. Die Vasen sind in geometrischem
Stil verziert, ähnlich den Dipylonvasen. Auch von Hülsen eingeführte Metall-
gegenstände, Armringe, Fibeln, finden sich; es kommt schon Eisen vor. Bei
genauerer Betrachtimg der Tafel 89 vermitteist der Lupe küuu man, wie
Schötensack bemerkt, aaeh die lUse an den Eingangsthüren gewahren, and
der Mabstab ist durch die im Tordeignuide eifcennbaren Personen gegeben.
Beim Nachdenken Uber diese DenkmSler Kitester Zeit taucht anwillkOrUch die
BVage auf, inwieweit hier auch phdnistsoher Einflnfe anaondimen sei, und wer
trotz ulier Anfechtungen an der Glaubwürdigkeit des Thukydides auch in dem
Punkte festhält, dafs er seine bekannte Stelle über die phönizischen Nieder-
lassungen auf Sizilien als eine Thatsache betrachtet, wird vom St^indpunkte
des Forschers in westlichen Dingen nichts gegen Helbigs Ansicht in seiner Ab-
handlung über die mjkenische Frage M einzuwenden huhen, duls die mykenische
Kiiltur nach Sizilien durch Phönizier verbreitet sei. Gräber auf Thupüos und
Piemmjrion gehSroi sicherlidi eher Phöniziern an als Sikelem; an diesen
Punkten an wohnen, war nur für Kaufleute natflrlieL Megara Hyblaea, das
ja allerding» aueh an der Kflste liegt und sikeilisch war, hat doch ganz andere
Verbindungm mit dem Hinterhmd, als Thapsos und Plemmyricm, die ftat
Inseln sind, durdi sandige Strecken yom Festlande getrennt. Die dortigen
Gräber, die uns schon im Jahre 1881 CaTallari zeigte, erinnern überdies in
der Anlage in mancher Hinsicht an Gräber im westlichen Sizilien in der Nähe
von Palermo. So regt schon dieser Beginn der Betrachtung des Werkes zu
mancherlei Überlegungen an, die hier eben nur angedentet werden können. —
Das alte sikelische Bergnest Henna zeigt uns Tafel 90 mit Text von v. Duhn.
IL Wir kommen zu den Griechen. Sie haben »ich bekanntlich früh
im Westen niedergelassen und dort auuBchst nur Kttstenpunkle besetsi Selten
sind sie in den LBndem, die sie fa>Iottisierten| etwas mehr ins Innere gegangen,
und alle ihre Ansiedelungen, die nicht in nnmittellNirem Verkehr mit dem
Heere standen, sind Idchter und frflher Feinden erlegen. Im Heere ruhte ihre
') W. Heibig, Sur la qoeation Myc^nienoe. M^m. de l'Acad. de« Iiiscript. XXXV C.
Fteia 189«. Tgl. v«ii FritM ia der Berliner Fhilolog. WooheDsotaxift 1897 Kr. 18.
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A. Bobn; Aus disn MMniBCihfin Sflctoo.
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Enft; aie wtrai m Handderolk wie die PhSnisi«', mit denen sie ftberliaii|ii
nanche Ähnlichkeit hahen. So iet in Sttilioi Kesmenei Tentdiwimden, Leontinoi
früh für lange Zeit Ternichtet worden, und doch Ug die Stadt, wenn schon
im Innern, an einem damala bis Iieontinoi mäiiffbaren Flusse; so ist Akragae
mehrfach erobert worden — man konnte es eben zu Lande vollständig ab-
sperren — ; so war sogar Gela gefährdet, weil zwischen der Stadt und dem
Mft-r nach so viel Land war, dals sich daju'lbst. P^'indt- fostHttzt n konnten. Am
blüiieudsten sind die Städte mit den bcöteii Iläfeu gevvordeu: Syrakui», Tareiit
und Messina. Messina ist steta bedeutend geblieben, Tarent blüht wenigstens
jebft wieder auf, nur Syrakaa will eich immer noch nicht heben, trots seittee
wanderroUen Halens. Über die Lage eben dieser Griechenslidte unterrichtet
w mtaer Werk in willkommener Weise. Die älteste TOn allen war Eyme,
wenn wir auch nicht genau sagen können, wann es gegründet worden ist;
jedenfalls geschah ea vor der Mitte des 8. Jahrh. v. €3ir. Für Ansichten dieser
Stadt, die von den photographischen Geschäften vernachlässigt wird, weil nicht
jeHer Tonrist etwas von Kyme weifs, sind wir der badiscben Studienreise be-
sonders dankbar, und ebenso fUr den kurzen Text des besten Kenners von
Kjme, V. Dulius. Die Griechen kamen zur See dabin auf ihrer Suche nach
«Sern pausenden Wohnaitae^ nnd als sie um Kap Misen, dessen Umgegend ans
Ttfd 13 aeigt (^Text von Dom), gebogen waren und die lange fladie Kflate
Tor sich sahen, die sich bis QaSta erstreckt, da hielten sie an und gründeten
ihre Stadt auf einem einsamen Felsen dicht am üfior. Der weitere Strand log
de nicht an; er hatte keinen griechischen Charakter mehr. Jetzt laufen keine
Schiffe von der Fremde bei Kyme ein, der Reisinde kommt zu Lande von
Neapel dahin Nachdem er die phleorHischen (letilch- durchwandert und den
Avemersitt' zur Linken gelassen hat, trreicht w ihn Aico Fclice, einen romischen
Bogen, und öieht durch denselben lien Felsen von Kyme vor sich liegen. Das
itellt imsere Tafel 14 dar. Nun senkt sich die Strafse, imd wir gcnie£sen den
vollen Anblick der StStte der alten Chriechensladt (Tafel 15). Daa Land
zwischen uns und dem Feben ist mit Wonhorgm bedeckt; im Altertum ge-
hörte ea teilwttse schon zur Stadt, teilweise war es Ton Cbaibslitten ein-
geaonuxien, die si ii Jahren eine grolse Aosbeute besonders an Vasen geliefert
haben. Prachtige Gef&fise aus Kyme zieren manche Museen. In neuester Zeit
h^f Vif'sonders der neapolitanische Kaufmann Herr Stevens die Oraher von
K)mc ausgebeutet, und v. Dnhn schildert, wie bei diesen Ausgrabungen häufig
Vasen mit bakcliisrlieu Darstellungen zu Tage komnit n, welche zeigen, dals die
Gegend im Altertum gerade so 'weinfroh' war, wie sie es jetzt ist. Der eigent-
liche Burgfdsen, dessen Aufgang uns Tafel 16 zeigt, trug einen jetzt ganz ver.
scfawondimen ApoHotempel; so werden wir daran erinnert, wie die ersten
griechischen Ansiedler in einem neuen Lande gerne dem Gotte, dessen Orakel
sie geleitet hatte, ihre Huldigung darbrachten. Ebenso stand in Sizilien am
Strande bei Naxos (Tafel 64), wo die ersten Griechen, die sich auf der Insel
nioderliifsen , «»gelandet waren, ein hochhL'iHger Altar des ApoUon Archagetas.
Kjme war der Hauptaitz des griechischen Einflusses in Mittelitalien und he-
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A. Holn: Ant dem klHusohen Sfldoi.
tonden in ILunpanieii, aber lange konnte ee aieli nicht gegen die kiiftigerett
ItaUker halten, die von üuren Beigin liflninter kamen nnd die grieeluaclie Stadt
bedrSngten. BhhKeMteh wurde es sogar von seiner ehemaligen Kolonie Nei^
fiberflflgelt nnd sank mdir nnd mehr. Pateoli, das einsi als Dikaiarcheia ein
Kymäischer Hafen gewesen war, ward einer der bedeutendsten Handelsplätze
des Mittelmeeres, und Kjme horte überhaupt auf, eine Gemeinde zu sein, aeit
sogar sein Bischof nach Aversa übergesiedelt war.
Ahnlich wie Kyme, wenn auch nicht in so hohem Grade, hat die Haupt-
stadt des griechischen Siziliens den Wandel der Zeiten erÜEÜiren, das berühmte,
immer noeh viel beeudite S jrnkna. Ea war nieht die erate Ißederlaaanng der
Gxiedien m BitDien; daa mr Nuob, daa jetat Tom Erdboden Teraehwnnden
iai Wir aehen auf Tafel 64 nnr aeine Stiltte: die niedrige Halbinaei, die aich
ins Meer erstreckt. Syrakus ist behandelt auf Tafel 72—88; Text I— Vm,
historischer und beschreibender Teil von Bockel, IX Schiffshäuser von Oehler
(Tafel 78\ X Inschrift am Artemistempel von Luckenbach (Tafel 80). Ich
möchte hier auf das so viel besprochene Syrakus nicht genauer eingehen und
nur darauf hinweisen, dafs die Tafeln eine treffliche Anschauung des Wichtigsten
geben, was in Syrakus zu sehen ist^ und Böckels Text eine lebendige Schilde-
rung der Schicksale der Stadt im Altertum bietet LmAenbadi Tersucht fOr
die Inadirift an den Stufen dea Ärtemiatempela «ne neue Deutung, indem er
nach dem dritten Worte: ewlna nm ta ^Fegya lieat, nnd Oehler hebt bei der
Be^reehung der Bettungen fitlr die Schiffishäuser im kleinen Hafen die Sehwi«t%^
keiten hervor, die aieh noch einer voDaÜndigen Erklärung dieeer Fdaeuuehnitt»
entg^nstellen.
Als Syrakus gegründet wurde, besünid bereits eine andere wichtige sizilische
Griechenstadt, wenngleich nur als kümmerliche Seeräuberansiedelung: Zankle,
das spätere Messana, die Stadt mit dem schönen, durch eine sichelf(')nni^e
Landzunge gebildeten Hafen. Wir sehen ihn auf Tafel 03 ^Text von iiaus-
ratti). Wer dieae intereaflante Tafel Primanern aeigen woUte, würde vid snr
ErUntemng hinsufllgm kOnnen: Aber die Bedeutung der Heerenge fttr den
Verkehr, Ober die Wichtigkeit dea &ifena von Mnaaann ftr den Handel in
alter wie in neuer Zeit, übir den Zusammenhang der Gemeinde mit Italien,
das hier früh auf die iusel hinüber^n* üt. /lurst durch Anaxilus, wodurdl
Zankle Messana wird, nnd dann durch die Mamortmer. Die Geschichte Messanas
wird trefflich durch die Münzen erläutert; vielleicht keine isizilische Stadt bietet
citr Numismatik so viele iiitcn ssante Probleme, von denen manche durch neuere
Arbeiten von A. Evaus behandelt worden sind. Es wäre femer hinzuweisen
anf den Antefl, den Meaaana an iem Auabruche dea ersten punischen Krieges
hatten nnd wie die Mamertiner noch rar Zeit Gieeroa dne b^nstigte Stellung
in Sudlien einnahmen. In eigentflmHohem Gegenaata ra Meaaana ateht Beggio,
daa una anf drei Tafehi vorgeAhrt wird, Tafel 60—62, Teit ebenfilla ra
Hausrath. Es ist stets von geringerer Bedeutung geweaen, und woin Hausraih
mehr darüber geschrieben hat, als über Messana, so kommt ee mm Teil daher,
data er einen Besuch in Lokri mit hineingeBogan hat, daa wenigen bekannt
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A. Halm: Am don UaMoadiCB SOden,
186
jfll nod melir bekaimi wa werd« vardieni Schade, dafii, aftatl Reggio drei
BJätler so widmen, uns niekt eines flbei: Lokri gegeben worden ist, dessen
kSnlich entdeidtter Tempel nach von deatseho: Seite Gegenstand der Forsehnng
gewesen ist (E. Petnsen). Auch diese Stadt bietet ein hohes Inütarhistorischee
Interesse, da der Geäetsgebang durch Zaleukos eine ganz anders geartete Kultur
gegenüberstand, die besonders Baebofen in seinem 'Mutterrecht' geschildert hat.
In politischer Beziehung heshind der schroffste Gegensatz zwischen Lokri und
Rhegion, wührend Syrakus dif längntf Zeit mit Lokri befreundet war. Wahrend
von allen iinderii grolsgricohischen und •<izili8ehen Städten an«» dem ö. Jahr-
hundert V. Chr. Münzen vorliegen, kommen lokriHcbc Münzen merkwürdiger
Weise erst im 4. Jshrh. vor, abgesehen von einer eist neuerdin|p bekannt ge-
wofd^en, die als Zeidien des Bfindnisses mit Lokri im 5. Jahrh. in Heeaana
geprägt worden isi W*" <^l)«Mini ^ einem griechisch«! Oemmnwesen auf-
fiftUenden Yenieht auf eigene Priigmig zu Grunde liegt, ist noeh nicht snf-
geklürt.
Betrachten wir. der Zeitfolge nach, nunmehr Taren t fT. 47. 48, Text von
Oehleri. Es ist auffallend, dafs gerade eine spartanische Kolonie es sein mul'ste,
die den einzigen gnten Hafen, den Süditalicn besitzt — denn von Brundisinm
uu Osten bis in die Gegend von Neapel findet sich keiner mehr — , sich zur
Niederlassung erwählte. Freilich ist denn auch die tareutinische Geschichte
der äpartaniachen so nnihnlich geworden, wie nur m6g^cih. Die Üppigkeit von
Tittent war sprichwörtlich, und die Weisheit des Archytas hat der tarentiniBehen
Oesebichte keinen anderen Charakter ni geben rennodit. Odbler hat eine
reiche moderne Littttratur zitiert; wir halten es nicht für überflüssig, hier auÜNT-
dem noch auf die musterhafte Sammlung von Thatsachen in den Schriften von
Lorentz hinzuweisen, und für die Kenntnis der Münzen auf Evans Hörnernen' ,
eme Arbeit, wie sie nur ein Forscher bieten konnte, der zugleich Siiniiuler,
Gelehrter, Museumsdirektor und nnemiüdlicher Reisender ist. Es ^ielit wolil
kein zweites Beispiel einer ähnlichen Mannigfaltigkeit im Einzelnen bei Gleicli-
heit der Grundlage, wie die HChunn Toa Tuent, «of denmi der »i PSade
sitsende Jüngling wie der auf dem Delphin reitende in jeder erdenklidien
sefa5nen Bsttong dargestellt sind, wenn wir nicht als SeitenstQck auf die
VarielSten der syTskiuanisehai Münzen mit dem weiblichen Kopfe und dem
Gespann hinweisen wollen, unter denen auch so wenige identische sind. In
der Lage von Tarent ist eine gewisse Analogie mit Syrakus unverkennbar, und
diese tritt auch in der Tafel 47 deutlich hervor. Der Insid Ortygia, die spater
die Burg von Syrakus bildete, entspricht der älteste Teil von Tarent, der
östlich von dem Eingänge m die innere Bucht, das sugeuannte Mare picculo,
hegt, das seinerseits dem grofsen Hafen von Syrakus ähnlich ist. Auf diesen
Utesten Teil Ton Tarent^ der in der Blftteseit der Stadt ebeniaUs nur die Burg
derselben tm^ hatte sieh das moderne Taranto lange Zeit surftckgezogen, und
*) A. J. Evans, The 'Boneaun' of Tuentam, Ktminnatio Qnroiude^ III seriei vol. IZ.
Uadott 1889.
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186
A. Holm: Ans d«m kl— wehen Sfldui.
die Strafst'ii nind dort noch schmakr, als jemals die von Ortygia geweseo sind.
Dieser Teii von Tarent steigt gerade so vom Meere auf, wie Ortygia; die
eigentliche Stadt erstreckte sich dann weit nach Osten hin. Seiner Zeit hat
Tarent einen groleen Einflnft auf GrofBgriechenknd auageflbt, und wenn ilun
Hemeher m Teil geworden idixen, wie Syrakus die Deinomeniden, Dionjs,
AgafboUee und der sweite Hieron, würde ea aneh wohl eine gebietende Stdlung
in Unteritalien haben einnehmen können; aber abgesehen von Arehjtaa bat ea
keinen namhaften Staatsmann berrorgebracht. Nachdem es einmal in die
Macbtephäre von Rom getreten war, hat es sich mehr auf Fremde verlassen,
als auf die eigene Kraft, und es ist nntrelähr um dieselbe Zeit wie Syrakus
den Römern erlegen. Es ist merkwürdig, dafs zuletzt Karthago sowohl Syrakus
wie Tarent tu beeinflussen versuchte, aber seine Kräfte reichten nicht aus;
kaum war Syrakus dem Marcellus erlegen, so ward Tareut von Fabius Maximus
eroboi. Die bdden einaigen tachtigen Feldberren, die Born daanab batke,
baben nicht Hannibal fiberwunden, sondern die awei grSlsten QriedienstSdte,
die Ton Rom an Karthago abgefiülen waroi. Karthago selbst sollte erst einige
Jabie spftter durch Scipio &Ilen.
Die Lage von Akragas, das zn seinem Schaden keine unmittelbare Ver-
bindung mit dem Meere hatte, lehren uns die Tafeln 91 — 99 kennen. Die
Akrappntincr haben nie daran denken können, durch lange Mauern ihre Stadt
mit dem an der Mündung des Flusses gelegenen Hafen zu verbinden; war doch
Schon die Stadt selbst von riesigem Umfange. So sind sie nie eine Seemacht
geworden. Sie sind wesentlich Landmacht geblieben, kabeu aber als solche
Gewaltiges geleistet. Ihre Horscbaft bat sieb scbon frfib durch das ganze
Innere der ^sel bis nadi Himera hin erstreekt, und es ist wobl dies^ üm-
stande anzuscbreibmi| dab dies Innere gar kdne Gemeinden von Bedentong
sahlte; alles wurde dort durch das Übergewicht von Akragas in den Scbatleii
gestellt. In diesen Gegenden tritt im ersten punischen Kriege nur eine Stadt
als hoehVudeutend hervor: Mytistraton, das auf einem Berge bei Marianopoli
gelegen hat nnd den Romern viele Mühe machte, bis sie es endlich eroberten.
Ihr Arger Uber den langen W iderstand hat sich dann in grausamer Behand-
lung der Einwohner Luft gemacht.
Von Sei in US wird bei Gelegenheit der Tempel die Rede sein; Tauro-
menium zeigen uns interessante Ansiditen, Tafel 64 — 71 mit Text Ton Aus-
feld; nadi Himera nnd Kamarina bab«i die Reisenden niebt kommen können.
Von griechiicb«! SISdten Dnteritaliens fllbrt daa Beisewerk uns Heta-
pont, Paestum (Poseidonia) und Bü-oton dadnrdi Tor, dafs es uns Bauwerke
dieser Städte zur Anacbanung bringt, die wir alsbald erwähnen werden. Meta-
pont und Puestum waren wie Sybaris, von dem jede Spur Tcrschwunden ist^
Städte der Ebene, jetzt von ungesnnden Niederungen umgeben, Kroton eine
Stadt der Höhe; man könnte sagen, dafs damit die Geschichte dieser Städte
sich in Übereinstimmung befindet, was besonders in dem Gegensatze von
Sybaris und Kroton hervortritt: Luxus — Xraft; Üppigkeit — Athletik. Wir
erwähnen diese Dinge, um zu zeigen, wie an die Betrachtung der Tafelu sich
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A. Holm: Aus dem klassischen SQdcn.
137
Blicke in die alte Geschichte, nicht blofs die äufserliche, chronologisch fixierte,
sondern die, welche den geistigen Hintergrund der äufserlichen bildet, un-
gerwungeu anschliefsen lassen.
Sehr wertvolle Beiträge giebt das Werk zu unserer Kenntnis der griechi-
schen Architektur des Westens. Bekanntlich ist nirgends so wie hier der
dorische Stil in Meisterwerken vertreten; alles, was in dieser Beziehung von
Wichtigkeit ist, bieten unsere Tafeln und der dazu gehörige Text: wir kommen
nacheinander nach Paestum, Metapont, Tarent, Syrakus, Akragas, Segesta,
Selinus. Es dürfte kein Werk geben, in dem eine so schöne Übersicht über
diesen Zweig der griechischen Kunst gegeben wäre. Und was die Erläuterung
dessen betrifft, was die Tafeln zur Anschauung bringen, so haben wir als
höchst wichtige Beiträge zur Kenntnis der griechischen Architektur die Ab-
schnitte, welche Durra bearbeitet hat (Segesta und Selinus), der die Studien-
reise durch Sizilien begleitete und auch auf 10 Tafeln (A — K) Gnindrisse der
wichtigsten Tempel und orientierende Kärtchen hinzufügt, so dafs in dieser
Hinsicht das Werk auch als wissenschaftliche Förderung der Kunstgeschichte
einen über die blofse Anregung hinausgehenden Wert hat. Es war nicht das
erste Mal, dafs Durra die Tempel Siziliens sah, mafs und studierte, und bis
das erwartete Werk von Koldewey und Puchstein über die antike Architektur
Siziliens erschienen sein wird, werden Dürrns Beitrage als das letzte Wort des
Fachmannes über diese Bauwerke zu betrachten sein. Die Tempel von Paestum
sehen wir auf Tafel 37 — 44 (Verfasser des Textes v. Duhn und Wielandti, von
Metapont auf Tafel 45. 46 (Verfasser v. DuhnV Interessant ist der Überrest
eines dorischen Tempels in Tarent, Tafel 49 (Verfasser des Textes K. Dürr).
Welchen Kontrast bietet das gewaltige Kapitell, das aus modernen Wohnungen
herausschaut, wie der Leib eines riesigen vorweltlichen Tieres aus dem Kalk^
der sich darum niedergeschlagen hat. Das Bild vergegenwärtigt uns recht
die Art, wie so manche Reste des Altertums in modernen Bauten konserviert
und entstellt worden sind. So war auch der Artemistempel in Syrakus,
den wir auf Tafel 79 dargestellt sehen, in Privathäusern verborgen, und viel-
leicht steckt noch ein Teil davon in einer noch nicht abgebrochenen Kaserne.
Der sogenannte Athenetempel in Syrakus hat in der dortigen Kathedrale
wenigstens eine edlere Hülle bekommen, wird aber eben deswegen auch niemals
von seiner Umhüllung befreit werden. Interessant ist noch aus Syrakus die
Abbildung der Überreste des sehr alten Zeustempels vor der Stadt, Tafel Hl.
Später ist der hochberühmte Tempel der Lakinischen Hera auf dem Vorgebirge
bei Kroton erbaut, den wir auf Tafel 58. 59 sehen (Text von K. Dürr\ Er
hat manche Fährnisse durchgemacht; zuletzt hat ihn noch, was der Bericht-
erstatter nicht erwähnt, S. Pompeius ausgeplündert, als er, bei Naulochos an
der Küste Siziliens von Agrippa besiegt, nach Asien flüchtete; er brauchte eben
noch etwas Geld. Was sich gegenwärtig über die Architektur dieses Tempels
sagen läfst, hat Dürr zusammengestellt. Der Tempel mufs als Wahrzeichen
für den Verkehr im Tarentinischen Golfe von höchstem Werte gewesen sein.
Wir weisen auf die Besprechung der Tempel von Akragas durch H. Dürr
138
A. Holm: Aus dem klassischen Süden.
(m Tafd 91 — 99) nur einfteh hm, ohne auf das Einzelne oinzugelieii, um
etwas fönger bei dem zu verweilen, was Diirm äber den Tempel von Segesta
(zu Tafel 114 115) und über die von Selinus (zu Tafel 116—127) sagt. Die
Beschreibung der arcbit^^ktonischen Ei^ent!5mlichkeit<m de? Tempels von Segesta
ist ein Muster saclilich knapper Durstellung, au» der ich uur folgenden Absate
hervorheben möchk': 'Das Fehlen jeder Spur von aufsteigendem Cellamauer-
werk läfüt vermuten, dafs dieses beim Einstellen des Baues noch nicht auf-
gefOhrt war, dab man alao toq anlfaen naeh innen baata^ wie das von einigen
TempeUNinteii bekannt ist (s. B. Epidanroe), oder da& daa fguae Steinmaterial
der Gdla epater au Kalk gebrannt und bei der H8rtd.bereitang Terwendely
oder für andere Bauten in s^wterer Zeit venchlq»pt und verbraucht wurde.*
0anz ausführlich behandelt dagegen Dürrn die Tempel von Selinus (sonstiger
Text von Knnzrr\ Er erwagt oinfTfliend die verschiedenen Restaurationen, die
wir Serradifaico, d. h. Cavallari und andererseits Hittorf verdanken, und macht
beim Tempel C wertvolle Bemerkimgen über die Spuren von alten Thür-
verschiflsseu auf dem Boden, die durch die in demselben befindlichen Rillen
sich kundgeben. Er kommt nach sorgfältiger Erwägung aller Möglichkeiten
an dem Eig^bniase (8. 54), 'dab die Steina welche die Rillen zeigen, von einm
alteren amtSrten Heiligtum berrflliren und beim Baue des Tempels C eine
andere Verwendnng gefonden baben. In diesem FUle liefs der Stuck, weldier
die Stufen und den ganzen Boden bedeckte, die Sinsohnitte Tenwbwinden'. So
läfst uns der älteste Tempel von Selinus ein Bauwerk ahnen, das noch älter
war als er, also schon der ersten Zeit der Stadt angehört haben mnfs. Man
sieht, wie die iStadt so schnell aulblühte, dals ein heiliges Gebäude so früh
bereits durch einen Neubau ersetzt werden mufste. 'Der Bau in seinen ge-
drungenen Verliältuissen, mit seinen eigenartigen architektonischen Einzelheiten
ui^ Profflkrungeu, mit seinem bunt«» Farben- und Figaxtmdaiauk, mit den
furbigen Ziegeln und sehweren SimabeUeidungen, giebt uns ein Bild des
griechischen Tempels, das nicht unweeentlidb von dem abweicht, was uns nur
landläufigen Vorstellung eines solidien geworden ist. Er war nicht so form-
Tollendet wie die attischen Meisterwerke der Perikleisthen Zeit, sicher aber
origineller und vielleicht auch interessanter' (S. 55 1. Wir köimen uns nicht
versagen, noch folgende Zeilen Durins anzuführen, die eine bleibende Be-
reicherung der Geschichte der Architektur enthalten (S. 561. 'Zeigen auch die
sizilischen Tempel nicht das vornehme weiTse Marmormaterial und die aus
diesem sich ergebenden Feinheiten in der Formgebung und die optischen Kunst-
stftdcchen der atttschoi oder Unnasiatiscben Monumente, so sind sie doch durch
ihre naiveren Kunstformra und ihre Eigenart sowie die derbere Behandlung
des Drtails und oft auch Anspruchslorigkeit uns vielftch interessanter und
sympathischer. Sie sind nur aus dem gewShnlidien, oft sehr porösen Kalk-
st* in, wie ihn der heimatliche Boden gab, hergestellt, und die Mängel des
Materials verdeckt durch einen feinen weifsen mattirüinzenH' n Stucküberzug,
der durch volle gany.e Farben, bunt wie sie die südliche Natur, Mwär, Himmel
und Landschaft verlangen, auJ^gehÖht war. Nicht sehen wir an den Säulen das
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JL Sola: Am don UaniiclMi 8ttil«n.
189
ewig giltige Ebenmafs, das ein Iktinos, Eallikrates uder Miiesikle» geächaffen,
uidit die feine Aussc^welluiig neben der Veijüngung, nidii dm Geneigtotehen,
nidit daa pjmiiidAle, ferne Veijangen aller aufMrebMidra Archifakturteile, nicht
den SebHflf mid die Glitte dee Mennoigesteinee, und dodi Iftfiit die teefanieche
Aneflllunmg nicbia m wllitieheii flbrig und eldbl nicht mrQek gegen die im
Miltlerlande, und wo es darauf ankam, durch Massen / i Nvirken, haben die
Kolonien das ersiere übertrnffen. Ein Tempel wie das Zi uslu-iiigturo in Akragas,
der schönsten Stadt der Storbliohen, ein Riese wie der ApoUotempcl i - in
Seliuus erhebt sich weder im Peloponnes, noch in Attika.' Sehr wertvoll ist
ferner der Abschnitt Dürrns über Campobeiio {Z\x Tafel 128. 129* llifr waren
die Steinbruche der Selinuntier, und noch finden sich daselbst Süukntrumtnuln,
die, erst ringsum aus dem Felsen herausgearbeitet, mit der unteren Flache
nodi am Boden hallen. Hier gieht Dann an, wie die Alten die ungeheur«i
Trommehi too dem Orte, an dem eie aua dem Feleen geeehnitfceii worden,
aaeih Selinna gebradit haben: sie wurden in hdkemen Rahmen wie nnewe
Strafsenwahen bewegt. Dürrn zollt bei dieser Gelegenheit 'der angezeichneten
Schulung and Intelligenz der Arbeitskräfte* seine Anerkennung, der *8icheren
Handhabung und zweckmäfsigen Ausnutzung der einfachen maschinellen Vor-
richtungen, über welche die Alten verfügten', welche zeigen 'wie sie Aufgaben
bewälficrtt n, die auch mit unseren modernen, vervollkommneten Arbeitsmaschinen
nicht, so ohne weiteres zu losen wären' ( S. 57 1 Die Tiifeln 126. 127 geben
zum ersten Alale genügende Abbildungen und eine ausreichende Beschreibung
(nm A. Hanmth) der Thor- und Tempdanlage anf dem weaüiclmn Htlgel
jenaeiia dea nnaees Sdinns.') Der Tempel, welcher in aeiner Anlage dem
ö. Jahrhundert Chr. angehört, ist apiter umgebaut worden, und a. B. ein
daaelbat gefundenes Tonnengewölbe gehört wohl dem 1. Jahrhmidert n. Chr.
an. Es lag anf diesen Hügeln von Manicalunga die Nekropolis dis 5. Jahr-
hunderts. — Über griechische Festungen klart zunächst Tafel -SS nebst Tafel J
auf Es !«t ih'T Euryalos, die vo?i Dionys gebaute Festung, welche die West-
spitze von J5yraku3 schützte, al« Endpunkt der langen Mauern, die von Osten
kommend den Nord- und Südrand des Plateaus von Epipolae umfafsten und
dort zusammentrafen. Erhalten ist besonders ein geschickt angelegtes System
TOD ofiiBnen Gräben und unterirdischen Gängen, die die Verteidigung gegen
einen Angriff von Westen erleiehtwten. Es ist gewifs merkwftrdig, dab man
an diesem Punkte die Hauern aufUhren liefe und nieht dne YiertelBtunde
weiter im Westen den Hügel Ton BeWedere mit in die Verteidigungslinie
hineinw^f da man aber einmal den Schlufs der Ummauerung an einem durch-
aus ebenen Punkte machte, der allerdings als schmaler Isthmus unschwer zu
befestigen war, und die dort angelegte Festung sich gar nicht über d-is inirsi^re
Gelände erhob, so war ein künstliches System von Gängen sehr nützlicli, durch
welche die Besatzung die in den inneren Graben eingedrungenen Feinde noch
überfallen konnte. Wie der Verfasser des Textes, £. Bockel, richtig bemerkt,
*) jr, Dom, Bankmut der Grieehea* 8. SM.
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140
A. Holmt Aus den klaMiaehen Sfid«».
ist die Festung selbst von den Bomeru nicht erobert worden, sie hat sich frei-
willig ergeben; sie wax also thataachlich sehr gut angelegt. Wenn hier die
Tttfeln nicbte Neues bieten, igl e» anders bei den Feetnngswerkeo tob SeUnns^
die etat ror kiWEeiii BiiBgegr»beii sind und uns in mehreren AnaiehUm sowie
in einer kleinen Pbnekixie (Taibl K) vorfg^Bhii werden. Sie betreffen mm
Tdl die Sfldoetecice, ganz besonders aber das Nordende der sogenannten
Akropolis von Selinns, die unter einer gewaltigen, immer noch nicht voll-
kommen beseitigen Hülle von Sand steckt (Tafel 119 — 121, Text von 0. Späth).
Die Bauten im Südosten sind ein neue«? Beispiel der auch in Griechenlund vor-
kommenden Thoraulage, wonach auf das äulsere Thor eine Art von Hof oder
Uaug t'olt^t, an den sich dauu ein inneres Thor anschliefst. Im Norden liegt
dagegen ein System höchst eigenartiger Vorwerke, die der von der Natur in
keiner Weise geschütsten Nordfront grdfsere Widtretindufihigkeit verleihen
soUten. Es sind Bnndbnsfcionen und tief eingeschnittene, tdlweise unter-
irdische Gttnge, die eine auffidlende Ähnlichkeit im Prinsip mit den Werken
des Euryalos haben, im einxelnen aber von ihnen abweichen. Die Gänge
sollten in Selinus ebenso wie in Syrakus dazu dienen, die Besatzung auf ge-
schQtzten Pfaden an bedrohte Punkte zu führen. Späth vermutet mit Recht,
dafs, wie der syrakusanisphe Bau von Dionys, so der in Selinus von seinem
iilteren Zeitgenossen Hermokrates herrührt, der ja, aus Syrakus verbannt, die
verlassene Stadt l)esetzte und befeatif;t<' und ^egen die Karthager verteidigte.
Späth weist darauf hin, dafs weitere Ausgrabungen sehr wünschenswert sein
dfiiftoi, um das System dieser Festungsanlage, die an Interesse mit der des
Euryaloe wetteifern kSnne, vollkommen Uur zn machen. Das Interessante
liegt bei beiden eben darin, dab hier Punkte, an denen das Q^knde sdbst so
gut wie nichts bietet^ durch die Kunst verteidigangsfShig gemacht worden sind.
III. Die Feinde der Grieclien waren in Sizilien die Punier. Schon die
Phönizier hatten auf der Insel Niederlassungen gehabt, die sie nach Thukydides,
als die Griechen zahlreicher nach der Insel kamen, gröfst^^nt^^ils verliefsen, nm
sich an drei Punkten zu konzentrieren: in Solus, Pauormos und Motye. Von
diesen i'uiikten lernen wir Solus, dessen Ruinen zu den interesnantesten
Siziliens gehören, durch unser Werk leider nicht kennen. In Palermo ist die
Erinnerung an die puuische Zeit durch keine Monumente mehr erhalten; der
Boden selbst hat sieh so sehr geändert, dab von dem 'Allhafen* kaum noch
eine Spur vorhanden isi Der oniige phSnisische Or^ den das Werk uns vor-
fUhrt, ist Motye, wo wir die Trümmer der Mauer, wie sie bis 397 v. Chr.
bestand, mit den Resten eines Thores in hohem Glase sehen. An die Stelle
von Motye trat durch die Karthager Lilybarnm, von dem uns Tafel 190 eine
Ansicht vorführt. Xeben den Phöniziern safs aber im "Westen Siziliens noch
ein anderer halb orientalischer Stamm, die Elvmer mit ihren Städten Sogestn
und Eryx, wenn wir nämlich Entella nicht als echt elymisch gelte n lassen
woUen. Von Segesta Laben wir bereits den Tempel kennen gelernt^ die auf
einem anderen Hügel gelegene Stadt ist besonders durch die Reste ihres
Theaters interessant, das wie die anderen antiken Theater Siiiliens wesentUeh
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A. Holm: Au dait*UariwhMi 8fld«a:
141
in dem Zustande auf uns gekommen ist, in den es die römische Zeit versetzt
hat. Segest^i erweckt manche geschichtlichen Erinnerungen; es ätnnd stets den
Griechen Siziliens ein wenig fremd gegenüber; war es doch die Veranlassung
des grofsen Zuges der AUimer n«cli der InseL Sein YerhSltnis so KariliBgo
war gu^ 00 lange diee«i mSditig wer; tAter ab Karthago nndi Rom in Konflikt
mit «nuder gerieten, da erinnerte «dli Seg^sta seines angeblichen trojaniaehen
ürsprangs, den es mit Rom gemeinsam hatte, nnd schlofs sich an die mächtige
italiaehe Stadt an, von der es seitdem stets gut behandelt wurde. Den fremden
Ursprung der Stadt verraten auch ihre Münzen nn'f «ler in »mIc würdigen Inschrift
^EPE^TAZIBEMI, d<*mn eryciniHche Münzen mit IRVKAIIB entsprechen. —
Sthr dankenswert sind die AnsK-hten, die ims von der zweiten Stadt der
Eljmer, dem wichtigen Erjx, auf Tafel 132 — 137 gegeben werden (erläutert
TOD Caspari). Erjx war dme der h«rflhmtesten EoI^ttsAftttna dmr alten Weli
Bier finden wir das orientaUsdie Element sdiarf ansgeinfgt; die Njeinisehe
Aphrodite galt den Pmiieni ab Astarte, und die GSttin des Eryx stand in
engen Bedehnngen zum nahen Afrika, wohin sie, wie man sagte, jttirlich an
bestimmter Zeit mit ihren Tauben wanderte^ um nach einiger Zeit zurück-
zukehren. Die Reisegesellschaft liat die Tauben nicht gesehen — vielleicht
des Sturmes wegen, der oft dort braust — , aHer sie sind da; ebenso wenig
waren die schönen Frauen des Eryx den Reisenden sichtbar. Das ist nun
freilich nicht zu verwundem, denn sie halten sich nach sizilisch- orientalischer
Weise in den Häusern, zumal Fremden gegenüber. Der Erjx spielt bekannt-
lidi eine bedeutende Rolle im ersten pnnischen £ri^, ab Stfitspnnkt des
Hamilkar Barkas. Uan streitet Uber die mschiedenen OrÜiehkeiten, die in
Betradit kommen, inabesondm, ob die, vom Tempelbesirk Terschiedene, Stadt
Eryx an Stelle des jetzigen S. Oiuliano, also unmittelbar neben dem Tempel
lag. der die Stelle der heutigen Burg einnahm, oder nicht. Die Photographien
geben einen trefflichen Anhalt für die Erörterung dieser Fragen und zeigen
die einzig schöne l.nm> ries Ortes, der, an der West.spitze von Sizilien ueleijen,
fast immer in Ni In 1 geliüllt ist und ein so feucht kaltes Klima hat, dal's die
Einwohner eine ganz nordisch -rosige Gesichtsfarbe haben und kaum wie
Sizilianer aussehen. Natfirlich war die Vorbindnng von Eryx mit Karthago
eng, aber auch hier wnlsten die Römer sieb die ümstinde m nntse an
nachen; sie stellten sich als besondere Besdifitser der erycinisdien Venns hin,
der sie awei Tempel in Rom errichteten, nnd der sie in Sizilien eelbst be-
sondere Ehre erwiesen. Die Göttin bekam eine eigene Wachmannschaft, nnd
noch Tiberius und Claudius sorgten für die Instandhaltung ihres Heiligtums.
Vvnnn war ja am Ende noch unmittelbarer am Wohle Horns beteiligt, als an
dem panischer Städte.
Durch alle diese westsizilischen Orte: Solus, Panormos, Segesta, Ervx,
Motye, Drepanon, Lilybaeum, werden wir immer wieder auf die Stadt ver-
wiesen, die die Stdtae des semitiaeben Einflusses auf der Insel war, bis ihr
Born diesen Besits ^trils, auf Karthago, nnd es ist ein Vorzug der Samm-
lung von Photographien, die uns das Werk bietet, dab wir auch Ton der
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142
A. Holm: AoB dem klasaiacben Süden.
Lage von Karthago eine Anschauung gewinnen und in kurzen Worten von
dem besten Kenner der Geschichte dieser Stadt, Meitzer, über die Topographie
derselben belehrt werden. Bei dem regen Eifer, der in neuester Zeit in den
Forschungen über Nordafrika herrscht, wird es nicht unangemessen sein, hier
mit wenigen Worten auf die Topographie von Karthago einzugehen. Wenn
man bedenkt, welche Schicksale die Stadt durchgemacht hat, wird mau es be-
greiflich finden, dafs die Wissenschaft hier einer schwierigen Aufgabe gegen-
übersteht. Die phönizische Stadt wird von den Römern dem Boden gleich
gemacht; dann erhebt sich dort eine römische Kolonie, die reich und blühend
wird und auf die Vandalen, dann auf die Byzantiner übergeht. Aber 697 er-
obern die Araber Karthago und nun verschwindet es von der Oberfläche der
Erde, um als Material für den Bau der muhamedanischen Hauptstadt Tunis zu
dienen. 1270 stirbt hier auf seinem Kreuzzuge Ludwig IX. der Heilige von
Frankreich, und jetzt haben die Stätte des alten Karthago die Franzosen inne,
die sich als Fortsetzer der Thätigkeit der Römer und der Byzantiner betrachten
und wie jene für die bürgerliche Zivilisation des Landes sorgen, wie diese die
Hoheit des Christentums hervorheben und auf dem Hügel der Byrsa, dem
Mittelpunkte des alten Karthago, neben der bescheidenen Kapelle des heiligen
Ludwig die mächtige Kathedrale von Afrika in sizilisch-orientalischem Stil auf-
gerichtet haben. Über der Erde ist gegenwärtig wenig von dem alten Karthago
zu sehen; keine antike Stadt von solcher Bedeutung läfst so wenig von dem
ahnen, was einst dort stand. Das ist aber erst die Folge der Plündenmgen
des Materials in der neuesten Zeit; noch vor 50 Jahren bot Karthago einen
imposanten Anblick. Aber von dem in dieser Zeit aus dem Boden Hervor-
geholten ist das meiste aufbewahrt, und das Studium des bei den Ausgrabungen
Gefundenen, verbunden mit dem der Ortlichkeiten und des Geländes, hat manche
Aufklärung gegeben, manche Frage zu lebhafterer Diskussion gebracht. Karthago
hatte in der Anlage eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner grofsen Rivalin Syrakus
dadurch, dafs sich an einen kleineren Kern ein gröfserer, weniger bebauter
Raum anschlofs, der nur der Sicherheit der Stadt wegen in die Festungswerke
hineingezogen war. Was bei Syrakus Epipolae, das war bei Karthago Mcgara.
Das eigentliche Karthago nahm den südlichen Teil einer Landzunge ein, die
im Altertimi nur durch einen schmalen Hals mit dem Festlande zusammen-
hing; jetzt ist das Land dort breiter geworden. Die Stadt lag zunächst un-
mittelbar am Meere; ob die Anhöhe, welche die Alten Byrsa nannten, und die
jetzt die oben erwähnte Kathedrale trägt, sich anfangs aufserhalb der Stadt
befunden habe, wie jetzt gewöhnlich angenommen wird, ist durch v. Duhn')
wieder in Frage gestellt worden. Die natürlichen Einbuchtungen des Ufers
genügten dem Handelsvolke nicht, und es wurden künstliche Hafenbecken ge-
graben, die bei der Geschichte der Eroberung der Stadt durch Scipio eine grofse
Rolle spielen, und deren Uberreste noch vorhanden sind. Hier ist nun die Be-
trachtung von zwei unserer Tafeln sehr lehrreich, 138 und 139. Die letztere
•) R«i8ebemerkuniren aus Karthago. Arch. Anzeiger 1896, 2
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143
zeigt das Gelände» des alten Karthago, gesehen von dem Ort«> Sidi Bu Said, von
dem T. 140 eine Ansicht giebt, nordlich von der eigentlichen ulten Stadt;
man sieht die Byrsui mit der Kathedrale, dahinter die Lagune von Tunis, Unks
die Überreste der altun Hafenbecken. Tafel 138 ist aufgenommeu vom Süd-
abhange dar Byna seibat, und man liat die Hafenbeekm gaiu nahe vor rieh.
Es tsi nodi wie im Altertum: ein sttdlielieB längliches Beefcen und ein nmdes
ndrdlicihea, der Kriegahafen, mit einer Luel in der Mitte, anf der ein Torrn
stand. Anf der H6be der Bjna etand in pnniocher Zeit der Tempel dee
Eschmnn-AaklepioB. Die kolossale dreifMihe Mauer Karthagos pflegte man
irrtümlich nach Appian als ein System von drei gleich hohen Mauern auf-
zufassen; jetzt nimmt man mit Recht drei Werke verschiedenen Cliarakters an:
eine innen' gewaltige Mauer, eine zweite niedrigere Befestigung und ein äufseres
Vorwerk. Ich möchte zur Unterstützung dieser auch von Meitzer geteilten
Ansicht darauf hinweisen, dafs noch jetzt die Mauer von Konstautinopel in
dieser Weise angelegt ist. Sie stanuut allerdings aus bjnuntinischer Zeit
(447 n. Chr.), abw es ist nicht nnwahrsdieinlicli, dafo, wenn einmal eine Stadt
wie Karthago drei Hanem hatte, dieselhm nadi dem gleichen TMrnflnftigen
Prinnp angelegt warm, dab anf ein hohes idm vtlfoff nadi ein«n mifißoloe
dn niedrigeres i^a tdxos folgt und dann ein 9eQOt£{xi6iia, Brustwehr. Die
flbrigen Banweihe des alten Kartiiago, von denen noch Reste vorhanden sind,
wollen wir hier nicht aufzählen, um so weniger, da sie anf den Tafeln nicht
abgebildet sind, auch nicht ahm'lu'ldet werden konnten, weil sie mmai nur bei
tiefen Grabungen zu Tage getreten sind. Wir erwähnen nur als originell und
grofsartig die zwei gewaltigen Cistemenan lagen, im Westen und im Osten der
Bjrsa, die wahrscheinlich erst aus römischer Zeit stammen, und in die das
Wasser dnreh den romisdhen AqnSdnkt Tom Berge Zaghonan (Mona Zengi-
tsnns) (Tafel 145) geflihrt wurde, sowie die Beste von Manem der Byrsa Ton
gewattigw Dicke nnd eigentümlicher Eonttmldaon, und weism noch ganx knrs
anf die Gräber hin, die aus allen Epochen, von der phoniaischen bis zur
romischen, in Karthago aufgedeckt und ausgebeutet worden sind, so dab wir
die Begräbnis weise der Karthager wie der Romer uns aufs beste vergegen-
wärtigen können. Originell ist z B. die Art wie an dem Bir el-Djehbana ge-
nannten Orte Beamte des Kaisers begraben wurden. Alle diese Funde ans
Gräbern und sonst Entdeckte «, z. B. eine Menge von Votivstelen an Tanit und
Baal, hat der gelehrte und unermüdliuhe Pere Delattre im Museum von Saint
Louis lusammengsetdli Da sieht man in Glasschranken die Terracotten, Glas-
ssehen, Hoasiken, Statuetten, welche den Wechsel der in Karthago gebrftuch-
lidwn Kunst ton An&ng an zeigen, wo dann anerst ägyptischer Einflnfs, dann
griechischer, dann römischer, endlieh byamtimscher sich geltend machen, sowie
nm das Haus herum, im Garten, Skulpturfragmente und Inschriftsttnne.*) Wir
haben jetet in Melters Buch die sorgf Utige Geschichte Karthagos^ wie sie aus
■) So schildern das Mufcum Csgoat und SaUdia, Vojsge «a Tnaiti«: Paris 18M,
j. m—m.
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144 A% Bbim: Ana den Uamdieii flUdm.
den alten Schriftsh'Uern mit Hülfe der ÜbcrbleibBel gezogen werden kftnn; die
Ruinen und die Sammlungen erläutern die Kulturgescbichte der merkwürdigen
Stadt in überraschender Weise, und einen trefflichen Anhalt fftr diese Studien
giebt du kflnlieli aroehienfliM Badi von E. Bttbelon.^)
IV. Wir wenden uns cur riegreiclien Nebenbuhlerin SjurÜiegos, sn Born
(Tafd 1 — 12 f Text von Lnekenbadi, d^ kfiialidi in einer beeonderen Sdirift
das Forum Romanum behanddt bat).*) Ans der gewaltigen Menge der
römischen Monument© werden uns hier vorgeführt: das Forum Homanum,
Tafel 1. 5. 7; die Triumphbogen: Tafel 2 des Titus, Tafel 3 dea Septimius
Sevenis, Tafel 4 des Konstantin; der Romulustempel und Basilica des
Maxentius Tafel G; der Palatiu Tafel S'. 9. 10; das Forum Trajanura mit der
Trajaiissüule Tafel 11; das Forum Boarium mit dem sogenannten Vestatempel
Tafel 12. Die römisch-griechiscbe Knltor aeigen uns die aus Pompeji auf-
genommenen Bilder, Tafd 17 — 36 (T»t von Scbomaduor und Zahn). Sie
geben wiedemm das Wichtigste in neumi, sehr gut gewShltm Abbildnugen,
welche die Torhandenen sonst ULoflichen aufe beste er^noen. Eine Tafel
dflrfte für sehr Tiele ganz neu sein, die Ansicht des in den letzten Jahren aus-
gegrabenen sogenannten Hauses der Vettii, das, wie der Text auf S. 13 mit
Recht ssL^^f gegenwärtig den Hauptanziehungspunkt Pompejis bildet
Einer späteren Zeit als der in Pompeji vertretenen gehört das römische
Afrika an, mit dem sich nur wenige Tafeln beschäftigen, das aber durch eine
längere Abhandlung von Rosiger in seiner Eigentümlichkeit gut geschildert
wird. Wir kommen hier wieder auf den von den franiSsischen Gelehrtm be-
arbeiteten Boden und woUen es uns nicht verBagm, ^ ee sich um Forachungen
handelt, die in neuester Zeit gemacht sind und noch beständig forigeselat
werden, hierüber etwas eingehender zu sprechen, zumal da diese Entdeckungen
in Deutachland noch nicht so bekannt sind, wie sie es verdienen. Seit die
Franzosen sich in Nordafrika nie(lerg(>lassen haben, sind sie mit grofsem Eifer
bosehaftigt gewesHn, die Vergangenheit dieser Gegenden zu erforschen, und
einen neuen Anstois hat in dieser Beziehung die Stellung von Tunis unter
französisches Protektorat im Jahre 1882 gegeben. Frankreich hat tieme Ehre
darein gesetai^ das seinem Schutze anvertraute Land in jeder Hinsieht zu heben,
und dessmi arcihSologische Erforsdiung ist mit grofter KonsequMu betrieben
worden. Lokale, von Fianiosen geleitete Behörden und wissMischalliUche, Ton
Frankreich ausgehende Hissionen wetteifsm in der Erforschung und Veröffent-
lichung der Altertümer; Topographie und Monumentenkiinde werden gleich-
mälsig gefördert Einer der begeistertaten Forscher in Tunesien xind überhaupt
in Nordafrika war Charles Tissot (geb. gest. IJ-^^-l. zuletzt französischer
Botachaiter in London, vorher Gesandter in Marokko 1871 — 187(>;, einer der
^) K. Babclon, Carthage. Parie B. Mit trefi'licbem grofHcm Plane von Karthago.
Da« Buch ist der zweite Band der Ouides cn Altjt'iie et en Tunisie Es sind hier alle
< aeuGsteu Lokaiforacbuugea ven^eicimet ; die trübere Litterutur giebt Meitzer, UdK. 2, ti.
*) Luckeabach und Levi, Das Fora» Eomanoni. Karlnr. 1996. 4.
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A. Holm: Am <l«m k]«Miteb«ii 8ad«B.
145
besten Kenner Nordafrikas. Et Imtte längere Reisen in Tunesien gemacht und
?erfolgie nnablässig den Plan, Auagrabungen in Karthago selbst zu veranstalten,
»bttr er hat üin nicht mehr verwirklichen können. Sein iiaupiwerk'j ist nach
idnem Tod« Ton seinem onennfldlichea Mitarbeiter SaL Retiiach herauKgt g< L>en
worden. TiMot war nit Vorliebe iDadurifleDfiondier und itBiid mit KomnMen
in freandBchafUidien Benehnngeii. Seit aeinon Tode hat die Erfoiadiiuig des
TÖmiediaii und bjzantiniflckett Afrika in jeder Hinsieht schneUe Fortsehritt»
gjemaehl leh brandie unter vielen nur die Namen von Cagnat und Toutain
zu nennen, um anzudeuten, mit welcher Liebe und welchem Erfolge jetzt diese
Studien betrieben werden. In neuester Zeit ist die byzantinische Epoche von
Nordafrika Gegenstand der eingehendsten Forschung von Oharies Diehl geworden.
Eme »chöne kurze Übersicht der Altertümer Tunesiens gieht P. üauckler.*)
Quellen unserer Kenntnis der Zustände den römiBchen Afrika sind nun die
Obeneete aller Art, Graber, Triumphbogen, Tempel, Zisternen, Meilensteine,
SMeen, Brficken o. s. w., und daneben Inschriflen, wie sie in solcher Fülle
woU in keiner anderen tSmischen Prorina an Tage getreten sind. Das Land
iik eben seit dem 7. Jahrlinndert n. Chr. der Barbarm Ter&Uen gewesen, nnd
M haben Inschriflen und Monumente vom Sande bedeckt und teilweise er-
halten werden können. Wo niekte Neues gebaut wird, läfst man die alten
Steine ruhig liegen; die Trümmer von Karthago werden erst jetzt gründlich
vernichtet, wo man in der Gegend wieder n^^ue Bauten aufführt Steine
sammeln ist hier eine Beschäftigung, die Geld einbringt. Durch die Inschriften
sind uns sowohl Leben nnd Verfassung der Bürger Afrikas, wie auch die Ver-
hältnisse der Soldaten iu ikreu Lagern klar geworden, so dafs schon ein Bild
des idmisdien Afrika fiBr das grolbe Publikum dnreh Boissier') hat gegeben
werden können. — leb habe hier absichÜich nur die fransSsisehen Forscher
geaaant, von den denteehen werde ieh noeh am Sehhisse dieses Anfrataes
sprechen. Ein^ Bigebiiisse der Forschungen hat im Texte unseres Werkes
Bdiiger bei Gelegenheit der Besprechung der Taleln 145 — 147, welche Utika
betreffen, in anq[»rechender und lebendiger Weise zusammengestellt. Da Algerien
50 Jahre früher in französischen Besitz gekonunen ist als Tunesien, so sind
über jenes Ai :m iten möglich gewesen, welche den Gegenstand haben mehr er-
schöpfen können, und wir haben von zwei Orten, welche in den Bereich
Algeriens fallen, abschliefsende Schilderungen dieser Ait, von einem römischen
befestigten Lager and einer rein bürgerlichen Stedt: Lambaeeis und Thamugadis.
IHese beiden Orte lagen nahe bei einander, nSrdlich Tom Auresgebirge. Lam<
bsMis war das Stendkger der 3. Legion. Wir besitMn aber dieeen Ort eine
knne Schilderang ans der Feder des Pkt>f. K. Schnmacher in Ksrlsruhe, eines
'i Ch Tiasot, Geographie onntparfe de U pcovinee lomauie d'Afrique. 8 vol. in 4.
Puis 1^84. 1888.
*) B. Cagnat, L'amte ramaiae d'Aftique. Peris. 4. J. Toutaia« Lei eiUs lOiiiBin«*
de la Tutüaie. Fun'« 1896. Ch. Diehl, Ii'AlUqne bTiantine. Paris 1886. P. Q&nckler,
L'wchöologie de la Tunisie. Paris-Nancy lf<96
*t Q. Boissier, L'Afrique roinaiue. Paria 1896.
Xiw «alAttobof . im. h 10
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A. Holm: Am dem UMnidin 8lld«D.
der Teilnehmfr der badiscben Reise'), die ab Zusatz zu dem Werke, das wir
besprechen, betrachtet werden kann. Schumacher ist einer der Leiter der
lamesforschung, und so war ihm die Besichtigiing der römischen Grenzanlagen
besonders wicihtig. Du ÜBste Lager toh LsmliMsift liat eine Ansdriinnng ton
500 : 420 m. Es hai Tier Thörey Ton denen vier StrnfiMO, die mit FoMejgen
▼ersehen sind, anskufni. Im Hiitelpankt sfeeht ein grolkee GebSnde, des einen
olfonen Hof enthalt; das ist das Praetoriom, oder richtiger nach Schumacher
der Mittelbau von dessen Hanptfin^ade. Bekanntlich bheben die römischen
Soldaten lange im Di(!nste; so war das Lager ihr dauernder Wohnsitz, und
es u^ulsten sich, /nmal da hiV' Familien gründeten, daran Voranstaltuntjen für
die Befriedignr.ij; alier Leben-i' diii fnis.se anschliefsen, die sugeiiunnten camibaey
aus denen dann ätädte geworden sind. So hat sich auch in Lamhaeais neben
dem Lager eine bürgerliche Stadt gebildet, von der noch manche Reste Tor-
banden sind, n. a. ein schSner Trimnphbogen an Ehren des Septtmins Severns
nnd ein Doppelfinrnm. In der Mühe ist nahe dem Oipfiel eines Htigds, von
dem man «ne sefaSne Aaasidkt ftber Stadt und Lager bat, eine QneOe, daa
erste Lebensbedürfnis in jenen Gegenden. Die Schildenmg von Thamugadis,
(Iber das Cagnat ein Prachtwerk herausgiebt'), würde hier nicht am Platao
sein. Man macht mit R-eclit darauf aufmerltsam, dafs es Städk' wie Thamu-
gadia mit Monumenten aller Art vielleicht hundert im römischen Nordatrxka
gegeben hat, so dals am Ende die alte Behauptunjr, die Zeit der sogenannten
guten Kaiser ^Nerva bis M. Aureiius) sei die glücklichste Zeit des Menschen-
geschlechtes gewesen, in der Hinsicht nicht unbegründet ist, da£s niemals ein
allgemeinerer Friede auf weiteren Strecken gehemcbt bat nnd die H^ischeii
sich memals der Befriedigung ihrer Bedttrfiusse, die sidi in geistiger Hinsiebt
aHerdii^ besonders aul eine angenehme Bedeknnat bwwhTÜnkten, in grOfiMrer
Robe haben hingeben können, als damals.
Wir nähern ans nnn dem Ende der klassischen Zeit, von der unser Werk
handelt. Aber wer in Sizilien reist, kann sich dem Zauber der arabigch-
normannischen Periode nicht entziehen, und m bietet aucb nrxsar Werk Ansichten
und Schilderungen aus Palermo und Umgegend (Tafel llKj — 113, Text von
Rech, Sadee und Leonhard), z. B. die Dome von Palermo und Monreale, die
Kirche S. Giovanni degli Eremiti mit ihrem Kreuzgang und die Martorana.
Die AiiM«li*An fltnd teilweise von sonst nndit beachtettti Punkten an^etumunen
nnd erginien die sshlreichen vorhandenen Photographien anfii beste. Den
Normannen folgen in Siailien nnd Unterttalien die Hohenstaofen, nnd da hat
sich die badische Expedition ein Verdienst um die Kenntnis der Kulturgeschichte
jener Zeit erworben, indem sie ein Werk des grofsen Friedridi das Schlofo
auf dem Berge (Gastel del Monte) bei Andna in Apnlien, in awei Ansichten
') K. Schauftcher, In Lager der dcittaii aftikaauMbea L^fion. Beihge der A%.
Ztg. 1897 Nr 29
') Timgad, Une cit^ africaine eoua l'empire romaiu, par ßocawillwald et Cagnat.
In 4. Paris, bin joUt 8 Liefemngen. A. Ballu, Qoide de Timgad. Far. 1897.
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A. Uolia: Aus dem klassischen Süden.
147
zur DarstoUimg bringen liefs (Tat 1 :')6. 67), wozu Prof. Schmitt eine tarefFliche
ürlSotenuig gesckrieben bat. Er macht es «ahraGlMMBÜch, dafs das stolze Bau-
werk, von dem in den Historikern kaum eine Spur vorkommt, ein Jagdschlofs
gewtsi-n ist, und liuch das Innere mul's des niiu litit^en Kuificrs würdif:^ gewesen
»f-in.Vi Es wird nicht unpassend sein, hier darauf hinzuweiaeu, dafsi Friedrich II.
iiii»of«ra doch noch, trota seiner nordischen Herkunft (von Schwaben und
Nennamieii) ein Vertreter des Uemidien Sfldene als er die antike Kunst
▼oflkommen m solifttMu wnbte. Seine Goldmtbuten, die Angostalea, «ind wohl
die MlionBle Eneognii der mittelalterlichen F^Agokmuit in der «n daa Alterhun
neb anlehnenden Weise. Sowohl die Kop^ite wie die, welche den Adler trigt^
erinnern an antike Münzen, und es ist auch fttr die Kenntnis des Altertums
nicht unangebracht, hier darauf animerksam zu machen, dafs die gründlichste
mit Abbildungen versehene Behandhinp des Gegenstandes die des verstorbenen
Ed. Winkelmann int, der auch dieser Thätigkeit seines Helden seine AnfTnerk-
samkeit gewidmet hatte.*) — Das Wiederaufleben des Klassizismus in der
Renaissance stellt ein Palast in Bitonto (Tafel 55) uns vor Augen, in derselben
Gegend, aas der uns auch ans Bari sowie ans Bitonto sellwfc interessante Denk-
Bttier der chiistlichen Baukunst frflherer Zeit (Dom nnd 8. Nicola in Bari,
Dom Ton Bitonto) geselgt werden (Tafd 50 — 54, Text Ton Leonhard).
Wir haben an zeigen versucht, wie man an der Hand des Werkes, das
TOD Künstleni nnd Gelehrten mit Liebe und ohno Anspruch auf die Vor-
fähmng neuer wissenschaftlicher Ergebnisse zusammengestellt wurde, einen
rberblick über eiuua kleinen, aber wesentlichen Teil der alten Kulturgeschichte
gfewiuneu kann, und deswegen besonders hervorgehoben, was durcli flie ge-
wöhnlichen Studien dem Freunde des Altertums weniger klar hervortritt: die
prShistorisdien Altertümer, die Architektur, die Topographie und die Ver-
teidigungskonit der Griechen, die Altortflmer der Pnnier, endlich die Über^
bleäMol des romischen Afrika. Wir möchten mit einttn Wnnsche adiliefsen.
Wenn Belsen, wie die badiachen, ihrer Natur nach ksüie «igentlieheo Forsdier^
rasen sein können, so kSnn«i sie doch nicht nur dadurch nütaeo, dafii sie den
Seitdem obige« gewliriebea worde« nnd NachrichtoD Über Ftmobiingea ani Licht
^"{tHpti, die viVior den Urspninp dos apuliadirn CaHlcl del Monte einige \iifr''r>runf» geben.
Kmile ßertaux, ein französischer Forscher, bespricht in seinen Monomeuti Uclla iiegione
4el Tntture, Nupoli 1897 (Supplement 'XTapoU nobübibaa*) aneh diei Kaitell, da«
hMui wahrscheinlich von Philipp Chinard, einem, ans C^pem etammcndon FraniOBen, der
Hilter Friedrich nnd Manfred in Unteritalipii eine fjrof^e Rolle gespielt hat, geschaffen
worden ist Von denuelben Architekten scheinen daa Ca«tel Maniace in Sjraku«,
und dei CSstel Orrini in Calania (1240) m «ein. Dm Cartel del Monte ist 1S40 begonnen
worden. Auf diese Forschungen wäre in einer neuen Aufluge de- ri'xt*>s Kütksirht zu
nehmen; ebenso auf Meltserft nonierkuapen mr Topo^aphio von Kartbu^,"), Nt'uc Jahrl»
för PhiL 1887, &. fi. So liciso sich in einer neuen Auflage noch manches nachtragen,
•inigee verbeeeetn, nnd beeonden ndcblea wir raten, dae onbeqneme Foliofomtnt dee
Textes durch ein handliches Oktav zu eneiMn.
' E W i n k e I m a n n . Die Goldprägxuigen Kaiser Fziedriebe U. Miiteilnngen det Instiinte
für Österreich. Geachicht^oracbong, Üd. XV'.
10»
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148
A. Holm: Aug dem klassischen Boden.
höheren Unterricht beiruchten; sie können auch den Mitgliedern Antrieb geben,
selbst in diesen Dingen weiter zn forschen, und wenn dann ein bestimmtes
Gebiet sieb als passendes Objekt darstellt, wanun sollten nicht auch in weiterer
Folge streng wisaenschafllicbe Arbeiten aus solchen Anregnngen hervorgehen?
So wie Österreich auf den Orient, so ist Westdeutschland iu dieser Hinsicht
auf den Westen des rOmiscben Reidiii ab suf an naftflzlidiM ÄrlwililiBld
hiugtwiMeii. Di« Arbeifan der FnuuuMen füm Afrika mehren eich, aber ee
ist dort nodi viel an fhun, wobei die Deiiteohen sehr gut mitwirkaa kannten,
mehr als es jelafc geeehiehi Die Insehriftenforsdning hat sdion swei tOchtige
Qelebrte, die sich gerade Afrika gewidmet hatten, zu früh scheiden sehen
müssen: G. Wilmanns und Job. Schmidt. Neuerdings haben wir eine wertvolle
Arbeit über die Besitzverbilltnisse Afrikas in römischer Zeit von Ad. Schulten
bekommen.') Wir erwarten nicht, dafn b?id!«cbe Expeditionen den ganzen
römischen Westcju durchwandern, aber warum boilte man nicht an den badiachen
Universitäten und Schulen auch fernerhin dem btudium des Altertums im
Westen, in Gallien, Italien und zumal in Afrika, eine besondere AnfinnlaHUBi-
keit mwenden?
*) A Schulten, P-c ri'mf-rl^f'n fJnindherrschaften Weimar 1896. Dif SJehrift ist
reich an guten Bemerkungeui ich erwähne nur die Kleinigkeit, dafs der saltuarius nicht
«m 'ftreatier* ist, lOiidera der bitenda&t des Ovtes (nltos). [Daxa neuerdings: J. Toataui,
L'inseription d'HencUr MetUch. Tn nouveau document sur la ptopri^t^ agricole dani
TAfrique Pari-- i^dt) and A. Schalten, Di» Lex MMMiana, eine efrikaniache Domlnen»
Ordnung (Berlin lbi>7).]
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DIE WALLFAHRTEN DES MITTELALTEBS UND IHB EINFLUSS
AUF DIE EULTUB.
Yoa GvOBO Lora.
'Wir sind nicht»; was wir suchen, ist alles': das Wort Hölderlins kemi-
aeichnet einen dem dentachen Wesen tiefeigenen Zag, die Neigung über die
Wirklichkeit hinaus zu streben, die Quelle des spekulativ - mjstischen Triebes
irie des Dcmnge» in di« Feme, die mit pu» andwer, geheimnisvoller Medit
dem Menaolien der Yei^ngenheit gegenfiber etamd als der Gegenwart. Denn
nihrmd nns die Fremde nur Gegenstand der Veri^ehnng mit eehon ge-
wonnenen Vorstellungen ist, war sie früher das Wunderbare schlechthin. War
doch bis an die Schwelle der Neoieil der Ereis der bekannten Welt nur klein,
and die Lücken der Kenntnis suchte man wie auf anderen Gebieten nicht auf
dem mühseligen Wege der Erfahrung, sondern ilurch Spekühitinn und PhantHsie
anzufüllen. Dazu kam die Achtung vor der Autorität dea Altertums, der man
bis zu den Entdeckungen des 15. Jahrhunderts eigenen Erwerb nicht gegen-
Qber xa stellen hatte. So werden denn von den Schiffermärchen der Odyssee
aad der wunderbaren Reise Lucians bis aar Sage Ton Hersog Emst von einer
Generation anr anderen ftberlielini die Beridhte TOn den FabelgeachSpfen, denen
uoeb biten des 14. Jabrbnnderts i^wissenbalt ibre Wobnmise anweiseQ, von
den Meeren aus Baumharz und von undurchdringlicher Dunkelheit bedeckt.
Rechnen wir dazu die Schwierigkeiten dos Verkehrs selbst in bekannten
Ländern, so wir*! »»« nicht wunder nehmen, dafs unter den Genüssen das
Reisen einer der jüngsten ist; das moderne Tonristentum entötammt er^t dem
voripen Jahrhundert, «eine ersten Spuren reichen nur bis in das sechzelinte
zurucL Durch grolse Entdeckungsreisen hatte sich in nie geahnter Weise der
Krri« der bekanntMi Welt gedehnt, das bisher Fbme sehnnnpfte ausammen
dagegen, nnd der Phantasie wie dem Begehren wurden ganz neue Ziele geateekt.
D«r Erweiterung des iolberen Gesidit^reiaea gii^ eine solche des inneren
zur Seite in der litfeeranschen Bmaissance, deren TiSger, die Humanisten, un-
itite Wandematoren waren. Der Unprung der modernen Bildung blieb lange
mafsgebend auch für die Neigungen der Reisenden. Wie die römische Kaiser-
zeit, dif^ einzicjp die vir. Tonristentum L^rkannt, einzig den durch historische
uder litt» 1 ai idche Merkw ürdigkeit ausgezeichneten Punkten ihre Aufraerksam-
keii zugewendet hatte, so blieb Bildung auf lange hin der Hauptzweck der
Beisen und Anleitung dazu der Inhalt der Beisehandbflcher. Der erste Ter-
beter dieses Tjpuä, des Oratolo De r^imme Uer agenOim vd e^ptUum
reükm vd nmi vA emu im fhttta, 1562 au Basel herausgegeben, trSgt schon
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150 6. Liebe: Die WaUfUirten des Hitielalten und ihr Büuflnfi auf «Ue KuUiir.
denselben Charakter wie Köhler-Kinderlin^s 178R zu Magdeburg veröffentlichte
'Anweisung zur Reiaeklugheit für juuge Gelehrte, um Bibliotheken, Münz-
kabinette u. 8. w. luit Nutzen zu besehen.* Dem Menschen wurde mehr Auf-
merkaamkeit geschenkt als der Natur, deren SchatKong sicli der Antike an-
■ddofiiy »n der die neue Ästhetik geoSlirk irar. Der idyllieche Charakter wnrd^
ungleiek dem keatigMi Empfinden, dem diamatisdien Torgecogen. Wenn Konmd
Celtee Tom Hane sagt: *In engen ThUem, beim Tosen Über Felsen herab-
schäumender Oiefsbiche gewiuiit die matt erlenehtete Gegend das Ansehen der
Unterwelt*, so erkennen wir dieselbe Ansehauung in den Worten Immermanns:
'Ich kann nur mit der Nütur Freundschaft schliefsen, der ich ansehe, dafs der
Mensch leicht und frei auf sie einwirken kann.' Das moderne Naturemptinden
als Flucht vor der Kultur datiert erst von Rousseau, und durch Goethe wurde
der Begriff des Romantischen in die Litteratur wie die Emptinduug eingeführt.
Seine' italienisdie Reise hat einer neuen Art der Darstellung Bahn gebrochen,
für die nicht die Fülle der gesebanten Objekte, sondeni die Snbjektinttt des
Sehanenden im Kittslpiinkte stehi^
Haben die DeotsdiMi tot Eintritt dieser mit dem 16. Jahrhnndot ein-
setsenden Entwickelung das Reisen als Selbstzweck nicht gekannt, so ist es
ihnen dodi vorbedeutend geblieben, dafs sie als Wandernde in die Geschichte
eingetreten sind. Eine rastlose Beweglichkeit hielt einen grofsen Teil des
Volkes auf der Wanderschaft, auch nachdem die auf Besiedelung des Ostens
gerichteten Züge ins Stocken geraten waren. Mochte die Fremde durch Un-
sicherheit uud Rechtlosigkeit den Namen rechtfertigen, der heute mit anderem
Sinne fortdauert — das Elend — , aus ihrem Dämmerlichte winkte alles, was
dem Menschen begehrenswert ersdiien: Eriegsruhm, Reichtum, Bildung, die
anch den Niedriggeb<Mrenm an Ffiratenrsng sn erheben veimodkte, und himm-
lischer Lohn der Glaabenssehnsnchi FOr gewisse Ersdi^ungen wird die
Beweglichkeit zur typischen Eigenschaft, die sich in der Benennung ausprägt.
So wird der Krieger nun Reisigen, der pere/frimis snm Pilger, der SchOkr
zum Vagant<?n, der als Grundsatz seines unstäten Ordens aussprach: (htm in
orheni ururersum thrnnfniur: Ite, sacrrdofes ambulant, currunf comobitaf.^ \ Die
beiden gewaltigsten Leideuschaften de« Mittelalters, die kriegerische und die
religiöse, haben die weitesten Ziele gesteckte, beide veieint die stärksten Massen-
bewegungen hervorgerufen in den Kreuzzügen, die dem Abendland zwar zwei
Millionen Menschen gekostet haben adlm, aber anf seine geistige nnd wiri-
schalUiche Hebung den tiefiaten Einflnfs Qbten.
Die Sehnsucht, geheiligten StKtten, Tor allen den dardi den Fnh des
Herrn geweihten, Verdinmg zu beeeigen, hatte y<m jeher auf das deutsche
Ctomfit eingewirkt, seit es sich der christlichen Lehre zugewandt hatt^; sie er-
reichte ihre höchste Macht im späteren Mittelalter mit Ausbildung der kirch-
lichen Lehre von Reliquien und Ablafs, um mit dieser durch die Reformation
den vernichtenden i:>chlag zu empfangen. Zahllos war die Menge der Orte,
Canaina Uurtina ed. Schmeller S. 251.
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0. Uelw: Di« WaUftlut«!! des Kittolaltm «nd ihr Einlhtb ftnf die Knltor. 151
doren Besuch den Glaubigen filr verdienstlich galt; aus ihnen heben sich drei
hervor von internationaler Bedeutung: das heilige Laiu), Rom und San Jage
di Comp (Stella. Jahrhunderte laug ist der Pilger eine ebenso typische Er-
schemung der Landstrafse, wie der Kaufmann, der fahrende Schüler, das
gehrende Volk, — den Kaufmann mit seinem GiuUi, Pilgrime und den gemeinen
wmdenideii Mum nennen nk MdmfabedÜrftig die I«ndfriedenanrknnden. Es
itl enimielimen, dalii Ton diesen Mengen nur ein Tdl wirklich Ton gläubiger
SclinAieht getrieben wurde. Fflr viele war die Falirt eine aoforlegte Boise; so
mnlste 1487 ein Diener des Herzogs von Sachi^n, der im Nürnberger Franen-
haus einen Bürger erstochen, eine Fahrt nach Rom und Aachen thun und der
Mutter des Erstochenen fun&ehn Gulden geben.*) Reinere Charaktere suchten
Erlösung vom Drucke eines Zweifels, wie <ler Braunschweiger Uans Pomer,
der 1418 übers Meer fahrt, weil er gesündigt wider die heilige Kirche. Ihn
quälte der Zwiespalt der PHichtea, weil er im Rat« das finanzielle Interesse
der Stadt gegenüber dem Klerus wahrgenommen hatte. Nicht zuträglich
kMin es der Grundidee der Sitte gewesen sein, dafe sich das Prini^ der Btell-
Tertretnng einbtkrgerte. Bin ostfriesiseher Häuptling trifl 1461 teetamentariaehe
Beslimmimg^ dab seine Erben tHr ihn einen PUgrim nach Bom senden sollen'')^
und zum holigen Blut von Wilsnack, dessen Verehrung vom Ende des 14 bis
Mitte des 16. Jahrhunderts blOlkte, kamen jähAich zwischen Ostern und Pfingsten
200 — 300 Polen und Ungarn, ausschliefslich gedungene Leute. ^) Bei derartiger
Zusammensetzung der Pilgermassen ist sicher anzunehmen, dafs eine grofse
Zalii, wie einst ein Teil der Kreuzfahrer, rein durch Wander- und Abenteuer-
lust, durch den Drang nach einem ungebundenen Leben in Bewegung ge-
setzt wurde.
Die Häufigkeit und der periodisdie Charakter der Filgeifthrten ftthrte
firtth sa Einrichtungen^ die eine Erlelchtwmng besonders für die Anneren hieton
scdlien. Die Verpfliehtong au gastlicher AnfiMkhme lag mnichst den dOstsm
oh, in deren Rechnungsbfichem die Ausgaben für den Pilgern gewahrte Ter-
pflegong und Zehrpfennige einen standigen Posten bilden. Die Städte hatten
zu diesem Zwecke die sogenannten Elendenherbergen, in der Regel milde
Stiftungen, deren einr« zu Frankfurt a. M. nach dem Ziel ihrer Qäste den
Namen das Composteii tühite. Selbstverständlich bildete das Zusammenströmen
grolser Massen eine Art Fremdenindnstrie aus. Vom Dorfe Wilsnuck berichtet
der Chronist, es seien 'vor etlichen Häusern tabulae petkubileSf hölzerne Tafeln,
dazan mancherlei unterschiedliche insignia oder Zeichen gentalet gewesen, wie
in grolsai Stadien hei f&mehmen Wirtddlnsem brIncUich is^ an einer langen
Stengen ausgehaagen gewesen*.*) Zu bittet 1460 ein Wirt den Bat^
ifihrend der Daner der Aachener Heiltumsfiihri für die Pilger auf der Strafse
vor seinem Hause eine Garkflclie einrichten an dfirfen wie TOtmala.*) Nicht
*) Deatoohe Stftdteehranikeii X 884. ") Zsttidir. d. Ter. f. Niedertadia. 1874.
•) OBtfrieBischt'ä Urkuudenbuch Nr. 774.
♦l Märkische Forschungen XVI 143. ' 156.
*j Zeitachr. d. Aachener UeschichtsvereiüB XVIU 368.
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152 0. Liebe: Die Walli'ahrten des Mittelalters und ihr Einflufs auf die Kultur.
zum mindesten war die Geistlichkeit der Wallfahrtsstätten bemüht, den durch
die Opfergaben für sie ertragreichen Zuflufa zu erhalten und zu steigern. Eine
ganze Litteratur von Pilgerbüchlein bemühte sich, die Schatze jedes Gnaden-
ortes und den dort zu erhaltenden Ablafs anzupreisen. Solchem Zwecke und
vielleicht noch dem eines Amulets diente das Pergamentblattchen mit gedruckter
Beschreibung der Reliquien zu Oviedo, das um 1500 von einem Heimgekehrten
der St. Annenkapelle zu Goslar wie anderes Pilgergerät geschenkt wurde. ^)
Aber auch eine gewisse Kontrolle über die Ausziehenden behielt sich die Kirche
vor durch die Forderung ^ines von ihrem Pfarrer auszustellenden Erlaubnis-
scheines.
Das genossenschaftliche Prinzip, welches das gesamte soziale Leben des
Mittelalters beherrschte, machte sich auch bei diesen Unternehmungen geltend.
Besonders nach nicht zu weit entfernten Zielen pflegten die Pilger in Scharen
gesellt zu wandern. Zu Hildesheim wurde die alle sieben Jahre unternommene
Fahrt nach Aachen durch einen Schildbaum angekündigt bis 1545.') Aber
auch die Fahrten übers Meer nach dem heiligen Lande, für die Venedig den
Ausgangspunkt bildete, wurden auf nur diesem Zwecke dienenden Schiffen nach
Art heutiger Gesellschaftsreisen unternommen. Auch die Fürsten huldigten
dieser Sitte, und ihr Gefolge wuchs durch Edelleute, die sich ihnen an-
schlössen, oft zu erstaunlicher Hohe an. So zählte die 1461 von Herzog
Wilhelm von Thüringen, Graf Günther von Schwarzburg, Graf Heinrich von
Stolberg u. a. unternommene Jerusalemfahrt gegen hundert Teilnehmer und die
Kurfürst Friedrichs des Weisen und Herzog Christophs von Baiern 1493 nicht
viel weniger.') Solche Unternehmungen verschlangen grofse Summen, um so
mehr, da die Fürsten sich nur in Palästina durch vorsichtiges Inkognito gegen
Schätzungen zu sichern, sonst aber glanzvoll au&utreten pflegten. Den höchsten
bekannten Betrag erreichen Herzog Wilhelms auf 66700 Thlr. geschätzte Aus-
gaben. Kosten und Unsicherheit lassen es als Ausnahme erscheinen, wenn
1330 der niedersächsische Edelherr Wilhelm von Boldensele im Vertrauen auf
Schutzbriefe des Sultans von Ägypten mit einem kleinen bewaffneten Gefolge
den Orient durchzog.*) Die Häufigkeit der nach einem bestimmten Ziel ge-
richteten Reisen führte früh zur Ausbildung fester Routen, über die eigene
Bädeker entstanden, wie der 1518 zu Braunschweig gedruckte: De overen utide
mcdddeti Straten von Brunswygh to Sünk Jacob in Galicien.^) Die gröfste
Regclmäfsigkeit bildete sich natürlich für die weiteste aber verdienstlichste
Wallfahrt nach dem heiligen Lande aus. In Venedig, wohin der Pilger über
den Brenner durch das Puster- und Ampezzothal zu ziehen pflegte, konnte er,
wenn ihn nicht Armut in ein Kloster wies, in einem deutschen Gasthaus Auf-
') Zeitachr. d. Haravereins XIII 320. ») Beitr. z. Hildefih. Gesch. ID.
*) Jakobs, Graf Heinrichs z. St. Meerfahrt (Zoitschr. des Harzvereins I 173); Röhricht
u. Meissner, Hana Hundt« Rechnungsbucb (Neues S&chs. Archiv IV 37).
*) Grotefend, Zeitschr. d. bist. Ver. f. Niedersachsen 1852 S. 232.
•) Böhricht, Deutsche Pilgerrcisen. l»ö'J
G. Ia«be: IKe WalUdntea dw mtMalton und ihr Sinlhift mf die Kultor. 158
nähme finden; das beliebteste hieCs *Znr F15te'. Auf dem Marknsplatze fand
er bald einen SchifGapatron und schloß mit ihm den stehend gewordenen Kon-
faaUy der jenem die Sorge für Tnmapoii und Anfenilwlt in lUSelins nntor
Iwfa'inmten Bedingungen flberirog. Die Koetoi weien aebr Tereehieden; man
aUie auf den langnmeren Segelachifien 8 — 10 Dukaten, auf den schnelleren
fleleeren das fünf- bis sechsfiMihe^ ohne Verpflegung enteprediend weniger. Die
mn VerdrufB der Pilger immer mehrere Wochen wahrende Wartezmt, bis der
Patron seine Zahl von Passagieren hatte, verbrach^ sie mit Vorbereitungen.
8if stiiHierten Beschreibungen des heiligen Landes, kauften Matratzen fHr die
I ii ! fahrt, Proviant und Arzneimittel und 1» {.'t^^n die Pügertracht an. Allgemein
btsUud diese aus einer grauen Kutte, 8chwaiz,cm, breitkrampiü:em Hut und
langem Stab; als Abzeichen diente den Jerusolemfahrern ein tütttfaches rotes
EieoEf den meh Si Jago Wallenden die aogenannte PügcrmuscheL Die Ab-
Uui geeehaih in fbierlidier Wciae, nachdem neben dem St Marknsbanner die
POgarfUue mit don roten &euB in weiftem Felde gehiJkt war, nnter gamein-
Nmem Gebet nnd Anetimmnng der FlUgerlieiier.^) Der weitere Verlanf der
Fibrt, die sich meist an den Efleten entlang bewegte, entsprach freilich dem
weihevollen Anfimg selir wenig. Beständig wiederholen sich die Klagen Uber
den Lärm der zusammengepferchten Menge, das unluHtige Essen, die grofsen
Ratzen und anderes üntjpziefer. Dazu kam dio Langeweile, die den alten
deutschen Lastern der Trunksucht und Spiebsucht Vorschub leistete. Eine
wenig erfreuliche Unterhaltung bildete die Ausschau nach Seeraubern, häufig
Kbildem die Berichte die entstandene Aufregung, obgleich die kontraktmäfsig
bewiAieten Fügenehülb in der Regel nnangefoditen blieben. H9diat anaeban-
Udi heeehreibt ein goistiiebw Begleiter Oiaf Heinricha tob Stolberg in dem
Berieht Aber die mit Heraog Wilhelm Ton Thflringen ontemommene Beiae die
Toi^nge beim Nahen eines verdächtigen Schiffes. Bruder Wilhelm — denn
f&r alle Pilger galt dieser Name vrie das gleiche Kleid — teilt allen umsichtig
ihre Aufgaben zu; die Geistlichen sollen etwa durch Schüsse entstandene Lecke
stopfen.") Der Ankunft in der Hafenstadt Jaffa folgte eine höchst lüstige
Kontrolle seitens der türkincht n Behörden und die meist auf Eaein zurtick-
gelegt« Landreise, beachwerlicli durch Tücken der Tiere und ihrer Treiber. In
Jerusalem boten das Zionskloster und das Johanniterspitai Unterkimft. Waren
nach einem meiat ▼mnehn Ti^e wShrenden Aufenthalt die heiligen Stttten
belacht, wobei Ehrgeizige Tom Gnaxdian dee genannten Xloetere den Bittw-
aeUag in der OnbeBkurdie empfimgen konnten^ eo maehte ein Teil der Pilger
noeh Abateehor nach dem Norden dea Landes oder nach Ägypten. Die Bflck-
bbr erfolgte meist auf demselben Wege, selten über Konstantinopel. ^)
Es kann nicht zweifelhaft sein, dafs die Jahrhunderte hindurch nach festen,
zum Teil weit entlegenen Zipl' n fortgesetzten Wallfahrten eine bleibende Ein-
wirkung auf alle Seiten des JbLuiturlebene äuüsem muisten, eine Einwirkung, die
*) Röhricht, Deutliche Pügerreiaen.
*) Jakobs, Graf Heiohcha z. St Meerfahrt (Zeitschr. des Harzvereina I 178).
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154 0, Liebe: Die Wallfidixien de» Mitteklteit uttd ihr Binfliib anf die Kultur.
um 80 stärker war, je beschränkter der äuTsere Qesichtskreia des mittelAlterlichen
Henaehen, je klainor der Kreis der Ideen wer, denen er flberhanpt eich sa-^
gpbigüch erwiea. Den weemCIiciiisten NiederBcUag ibrer EindTlIoke bilden die
beeonden toh Jeraiekmpilgem in grofMr &bl entwoifoien Bejeebeechreibaiigeii;
hänfig Unförmige Itinerare^ geben sie doch durch zerstreute Bemerkungen Kunde
von dem, was ihre Verfasser salien, seltener wie eie ee sahen.^) Am stärksten
tritt in ihnen der n-lifriös*' Einflufs hervor; die genaue Aufzahlung der heiligen
Stätten und ihrer Entfernungen bildet das Gerippp nuch des dfirftigsten Be-
richte«, und gewissenhaft dazu gemalte Kreuze veiküiiden den ÄblulH, den jede
spendet. Ein greifbares Zeugnis der gewonnenen Gnade stellten die mit-
gebrachten Reliquien dar: Domen und Sterne, von gmihtoi Sttttm lot*
geachmtteii und -gebroefaen, Agnas-Dei-Medaillen und Jordanwaeeer, Übt deeaai
Hitnahine Knrfünit Friedrich der Weise 3S Bleefaflasehen aakrafte.*) In Willi-
nach erstanden die Pilger nun Abschied aas Blei gegossene Zeichen in Gestalt
einer Hostie mit drei Blutstropfen, die sie an ihre Hfite hefteten.') Die grofae
Menge besonders der gewerbsmäfsigen Wallfahrer liels schliefslich die Ein-
führung schriftlicher Certifikate, von den Geistlichen der beauchten Orte aus-
gesttdlt, als angebracht erscheinen; von ihnen — den com}>ostelas — erhielt
San Jago seinen Beinamen. Noeh im 17. Jahrhundert hat der Uuardiun des
Klosters auf dem Berge Zion eine prächtige Pergamenturkunde aasgestellt zum
Zeugnis, dafii Tristan von Amstedt die anfgeifthlten örtlichkeiten der heiligen
Stadt besucht habe. Dab die in Snfteren Zeichen ansgedrfiekte Sicherheit der
erworbenen Sehitee an Ablab nnd Cbade gerade in der BlQtewit der Wall-
fiihrten den nieistm Pilgera wichtiger war als die innere ErHchfltterung, wird
zur Gewifsheit, wenn wir die schon von Zeitgenossen gelegentlich nicht zu
hoch geschätzten sittlichen Wirkungen betrachten. Ft5r die kürzeren Pilger-
fahrten brauchen die oft recht unerfreulichen Folgen — es sei nur an che Be-
teiligung beider Geschlechter erinnert — nicht n'äher erörtert zu werden', sie
macheu sich noch heute in katholischen Gegenden bemerkbar genug. Aber
auch bei weiteren, die ein grSlaeree Mais ▼on Anstrengung und Kosten «t-
forderten, macht sich hiiifig eine AnffiMSong, geltend, die wo, desn Zwecke wenig
an passen seheini Die häufige Betmligiing von grolBen Herren ist hier ▼<»!
keinem guten Einflufs gewesen; in vielen IVllen waren bei ihnen touristische
Neigungen mafsgebend, wie bei den unteren Standen ein idealisiertes Land-
streicherleben. Schon oben wurde des heiteren Lebens auf den Pilgerschiffen
Meldung n:f'than. Die Reisebegehreibung Graf Heinrichs vrm Stolhf>rg 1461
erwähnt melirtach Schmausereien mit Musikbegleitung, und dais Bruder Wilhelm
— der Herzog von ihüringeu — am Ptuigstabend vier grofse Gläser Wein
gewinnt, die gemeinsam vertrunken werden. Auch das Rechnungabuch Aber
die Reise Friedrichs des Weism 1403 fllhrt Posten auf Uber Geld sum Spiel
verabll%t und als Iiohn fDr mumkaUsohe und Tanaaufftthrungen in JerusaUoL
*) TgL BObricbt u. MeimieT, Denfewhe FOgeirriMn.
^ Baal Hwidie Beduraagtbuefa. •) VMA. Fora^ ZTI 14«.
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6. Uebe: I>to WtlUUulen dM llittelidtew «ad ihr Burihib Mf die Koliur. 155
Unter eeiner zuklruichen Begleitung befindet sieb auch Hensel, der Narr. Sehr
anterriehteiid iai di« B^dmnng fiW die 1518 von QnS WiDttla IV. tob
Heniieberg untenuunnieiiie POgmeise nadi M<nit S. Miohel an der Kttste der
Nionoaiidi«, eiiMm in Deutschland weniger übliehen Ziele.*) Ein gewnltiger,
liefl ablüleuder Felekegel, tom Stande vor Zeit der Ebbe trocknen FnAee^
aber gefahrvoll zu erreichen, daher Möns S. Michaelis in perioolo nwrui ge-
nannt, hat verschiedenen Epochen als Heiligtum, Festung und Geflngnis ge-
dient Dorthin begab sich 1518 Graf Wilhelm zu Pferde mit 4 Dienern. In
seiner Rechnung kehren mehrfach die Ausgaben für Spiel wieder, auch mit den
geladenen Frauen von Strafsburg. Auch einer, 'der aus einen Tanz pfiff', wird
bedacht und einer, 'der vor uns Mordsprung thät*. Wie auch die geringeren
Wall&hrer ihr Vergnflgcn fanden, davon giebt ein ESlner Bericht 1584 Knnde^
uafa welchem zur Zeit der Aachener HeiltnmafUirt Ungarn mit Tansbinn
«ncUenen.') Für die Vornehmen waren die Pi^prfiüirlen gewifii inm groben
Teil dasselbe wie die späteren Kavalierreisen. Dem entspricht auch die Sikk»,
den Wappenschild in der Grabeskirche aufzuhängen nnd in das Wappen anf
die gemachte Fahrt bezügliche Beizeicben luifzunehmen, wie Graf Heinrich von
Stolberg 1231 die Pilgermnstliel, IJitter Droi8fke von Kröcher 1311/21 einen
PalniTiweig.^j In dieaen Krei»eu macht sich auch schon früh eine kritische
Auffassung heiliger Statten bemerkbar. Wilhelm von Boldeusele, firüher
Oominikaner, der vom Pabst für seinen Austritt Dispens empfing, weiXs schon
1336 daa Wnndnr der weinendtti SSnlen an Jeruaalem au erUftran jger mt^islnt
mnenüia eameribeiUe» nach dem Grtmdaafa: «te* nakm tHfj/kU, nm ett ad nma-
oAm recmrmdmt.*) Die Anlaemng Eaiaer Friedriche II: *Hltle Gott daa
ichdne Land Neapel gekannt, so würde er seinen Sohn nicht in don elenden
steinigen Palastina hiiben hemiedersteigen lassen', äie klingt in verschiedenen
Urteilen wieder. Anfang des 14. Jahrhunderts beglückwünscht der Studfc-
schreiber von Wismar den Lübecker Syndikus Johann Selege, quod de terra
pessmu, mortis mnua, itieohwic^^ rfdiistisJ') Bekannt ist die von Luther über-
heferte Auikeruug Graf Bothos von Siolberg, dals er dem gelobten Lande die
goldene Ane Tonidbe.^ Eine ihnlioli nfldhftenie Anffittanng dboibart arin
Biehrgenannker Vater, Ghraf Heinrich, wenn er Ton dem aar Eontrolle dienenden
flewidbe in Jaflh ensihlt: 'darein treibt man die Brfider ab die Schafe und
zahlt sie wieder daraus.' Selbstverständlich fehlt es auch nicht an verzückten
Aulserungen, besonders beim eraten Anblick der heiligen Stadt, aber die viel
(ach wie bei den Krenr.zügen zu Tage tretende küble Beurteilung der Wall-
fahrten bUdet doch den Übergang zum Zwpif>! an ü^rcr Zuträcrl'Vlikeit über-
haupt. In der That hat es nie an Männern gefehlt, die durch du H 'traehtung
der Persönlichkeiten und ihr oft ungeistlich^ Leben zu Abmahnungen be-
') Von mir heransgegeb« n in den Neuen MitfeflUoilg. d, ThAling.'fliclii. VereilM, Bd. XTUI.
*) Buch W.'iiifh.'ry eil HöliU.anm I
*) Abbüdg. in li^geata ätolbergica u. Urk.-Buch der v. Kröcher.
*i ZeitMhr. d. bist Ter. f. KiedefMdüen lau 8. m.
^ HeeUealnixg. Vik.-Ba€k T Nr. 1760. •) ZeitKhr. d. HanveieiBS I.
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156 0. U«be: Di« Wallfiduten de» Mittdalten und ttir Einflnlii anf die Knltar.
wogen wurden. Schon ein ongenanntar KSIner^Eledkery der 1338 — 48 einen
Teil YordeiMieiie iMnisle, berichtet sehr off^n: *lie gehen Belrl^{er in dem
LaadA mit Eisen gebunden und besohmiedsfc, die d» epMehen, dale ei« ihr
Yater und Kutter han gelStet, ile hier in diesem Lande. Es gehn da
Pilgrime, die zu den heiligen Stttten gehn und Blinde mit Hunden, die bitten,
dafs sie in Pilgrims Weise mögen gehn als hier*.^) Mit der ganzen Macht
seiner flammenden Energie und Beredtsamkeit erhob sich Bertold von Regens-
burg gegen die, welche durch Wallfahrten Frau utid Kinder daheim in Not
nnd Schulden bringen: Wem fündc M Kunipmieiic , dö du dm haeim'f Sant
Jakoben Iwubet! Das ist gar guot, duz tat ein toten hein und ein toter sdiedd,
da» beiger teü ist dd te himek. Sage an, toa» mmfetf düi Ms htime <m tBme
AoMffAns» 9$ em jpnesier metae m der hMm smgeif DA vkidett dA wdtm ffot
mde wdreii menschen mit dem ffeteaUe unde mit der kraft als er in dem kimd
ist Übet sSk h^Oigm und Uber eOs engdis?) Der haftige Strait fiher das Wils-
nacker Wunderblut, dar um die Mitte des 15. Jahrhunderts ausbrach, vexan-
lafste den Angnstinerprovinzial Johannes Ton Dorsten, eine Consultatio gegen
das Wallfahren zu erlassen. Man solle die Versuchung zum Wandern durch
Ocbct fiberwinden, Eltern und Herren das junge Volk von ihrem Vorhaben ab-
bringen, jeder aber mit den an der Krankheit des thörichten Laufens Leidenden
Mitleid haben. Überhaupt bemerken zeitgenössische Quellen mifsfällig den Zu-
lauf gerade von jungem Volk nach Wilsnack.') Ist doch auch 1457 von
deutschen Kindern eine Sehar Ton Hundnien nadi Hont S. Michel gepilgert.*)
Lnflier hat unter den SchSden der Kirdie die WaHfahrtan nicht Tei^^essen nnd
in der gewaltigen Streitschrift *An den ehristliahen Add detttsdiffl> Nation'
einen grimmigen Ausfall dagegen gethan: 'So meinen sie (die Bischöfe), es
sei göttlich, heilig Ding, sehen nicht, dafs der Teufel solches treibt, den G«is
zu starken, falsche, erdichtete Glauben aufrichten, Pfarrkirchen zu schwachen,
Tßbemen und Hurerei zu mehren, unnütz Geld und Arbeit verlieren und nur
das arme Volk mit der Nase umführen'.*) Kurz und schlag lul i at der Volks-
witz diese Anschauungen in Sprichwörtern ausgeprägt: Wallfaiirt bringt kein
Wohlfahrt} Wer oft wallfahrten thut, wird selten gut Selbst der Araber
Hnte dich vor jedem Jerusalemfidirer.')
Ausgedehnter und jedenfidls erfrsnlichur als anf das G«n&tsl»ben hat auf
das geistige die fortdauernde BeriÜurung mit der Fremde^ snmal mit dem Orient^
gewirkt. Es war die F<»rtsetBang des märchenhaften Eindruckes aus den
Zeiten, da die Erensafige znjn entenmal den kindlich erstaunten Blicken der
Abendlander die schimmernden Pforten einer Wunderwelt erschloasen, nicht
mehr so Überwältigend, aber anhaltender, weil die Persönlichkeiten aufnahme-
und urteilsfähiger geworden waren. Der Meister Troiigemund, dem zweiund-
siebzig Lande kimd, wie er in einem Kätselgedicht des 14. Jahrhunderts auf-
*) Hera\i!<^eg:Qbcn v. Röhricht n. Meissner, Zeifschr f dentlohe Phll(d. XIX SO.
•) ed. Pfeiffer I 460. Mnrk ForRcb. XVT 253 278,
Deutsche Städtechroaiketi, Augsburg lü l.:7. Mark. Forsch. XVI SÖO.
«} BOhrioht, FilgeneiMa B. S6.
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O. Liebe« Die WeUfthitai im HttMalten und üu EiBÜnb auf die Kidtor. 157
tritt, ist nichts anderes als die Übersetzung von Dragomaii; auch Troczelman
wird er genannt nach dem italienischen hu^nunu//) lu des Stoibergers Jeru-
salemfahrt tritt ein solcher unter dem Namen Jakob Landfahrer auf. Die G«-
fltalt 6m ftbrenden Mumee, der wof die wimder1»istni IVagen Antwort weift,
hat tJlüaad bedentaam aa die Spitse aeincr VoUadiederBammlniig geateUt; tie
ivird jelit ein Ttp**"* AUwdiiigp sind die Bemeikimgeii Ober dai geaahene
Nene derartig in den Beimbeschreibungen Teratreut, dafs es nicht mSglich ist,
ein abgemndetes Bild von dem Stande der solchergestalt gewonaenen Kennt-
nisse zu entwerfen. Es ist eine Aufnahme, wenn der oben genannte Kölner
Änonviniis es verstanden hnt, «eine BeoD.irlitiinrrpn zu einer sachlich geordneten
Darsivlluiii; der anthropologischen, geiseUscbaiLlichen uti<l imturgeschichtlichen
Verhältuisae dea Orients zu verarbeiten. Dafür haben jene vereinzelten Be-
merkungen den Beiz unmittelbarer Beobachtung, d^ sie aus dem Zusammen-
hang geriaaeu TerliereiL Einer bis ins Torige Jahrhimdert hemdiend ge-
bliebenen Bicbtong gemilii erweckt der Maisch grOlseren Anteil aüs die Katnr.
Ton biito!rische& Anachamingen ntaeben sich nur Beaiduuigen auf antike
Segen bemerkbar. 'Aus der Insel ist vor Zeiten Helena geführt von Paris
gen Troja, darum dann Troja zerstört ward', schreibt im Angesicht von Ce-
rigo der Stoiberger Berichterstatter, Von modernen Verhaltnissen sind es
neben auffallenden Sitten und ijHeidungen der Orientalen . den Gärten von Da-
maskus und den Pyramiden vorzugsweise V'enedig und Khodus, die das höchste
Intereaso erwecken, im besonderen wieder ihre militärischen Anstalten, fdr die
ja ein gro£aer Teil der Pilger sehr kompetent war.
Den Henog Williehn und se^ne nankballerea Be|^ter ladt der Soaunan-
dant Teneaianischer Strei^aleeren vor CSandia auf sein Schiff, bewirtet sie und
*thnt HoBstar, d. i. Hnstening^ mit Bflclisen, Spieben und mandierlei Gewdur*.
So bucht auch der Graf von Henneberg eine Ausgabe 'fUr ein Morgensnppen
denen, die uns des Königs yon Frankzcddi Meerschiff weisen*. Der Tier- und
Pflanzenwelt gegenüber geht das Interesse vornehmlich auf die Herkunft schon
bekannter Dinge, so wenn der Stoiberger Bericlit von einer Tii«el bei Cepha-
lonia schreibt: 'Da wächst das Gran (granumj damit man lii* S( liarlacbtücher
färbt — er meint das unechte Cochenille- Insekt — , auch wächst da wepasse,
d. L getrocknete Beeren, iiosiueu, sonst auch Meerträubleiu genannt.* Die
FUIe der neuen Erscheinmigen su bat sich nur der KSlner Ano-
nymna bemflbt und so die erste Natnrbeacbreibnng dea Oriente muammen-
gebracht, i^ichxeitig mit der eraten deutschen dea Eonrad ▼on Megenbeig»
In der Regel ist nur das Intereese der Korioaitit vorhanden. Mehr aU die
abgerichteten Elephanten and die Giraffen, die er übrigens gut und anschaulich
beschreiht, bewandert Wilhelm von Boldenaele in Ägypten die Hfibnerbrat-
ansUüten.
Mannigfidtig, wenn auch nicht sonderlich tief^ sind die künstlerischen lan-
') Jcniaalcmfahrt des Peter Rpamau Q. Ulrich v. Tennstidt (1886) ed. AOhricht, Zeitidir.
d. B«rliiier Üeselkcb. f. Erdkuado IStfl.
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168 0. LieU: Di« Willfthrtoii des MitMalten uad flir BbfliiJs auf dia Koltnr.
tlüsse der Pilgerreisen gewesen. Den Hauptanteil hat die Architektur. Nach
dem Muster der Grabeskirche, von der auch Modelle angefertigt wurden,*) er-
riditete man EapeUen, denen man ihren zentralen Typus gab.') So erbaute
IViedrieh Weise nadh eeiner Bflekkehr m Torgau die hl. BjreadaqMlIe.')
Eine in die chriBtUchen Kirdten ans antiken Vorbildern tthes|{egangene Fob-
bodenverzierung, die in Mosaik angeleckten Labyrinthe, fflb Anhifii zn einer
Sitte, die im Volksglauben eine Jerusalemfahrt ersetzen sollte. Mau durch-
wanderte nämlich ihre Irrginge unter bestimmten Gebeten oder rutschte mich
auf den Knieen, daher sich in iVunkreich, wo sie allein noch erhalten sind,
der Name chemins de JirKsalrm (iafür festsetr^te.*) Entferntere Beriehnnpen
walten ob, wenn Ortschaften dalicim biblische Namen beigelegt wurden, oder
der Biforter Fatriiier, Otto Ziegler, aein Haue anm Beibstock nannte naeh
einer Bebe, die er 1447 ans PalSatina miigebraehi') Die PUuitik erfahr die
bedentendBle Einwirkung in den Galnaienbergen mid Staüonewegen, die man
in den an Ort nnd Stelle abgeschrittenen Entfernungen anzulegen liebte. Der
bertthmteste, von Adam Kraft an N&mberg^ bei dem ein Haus am Tier^rtner-
tor als Wohnung des Pilatus angenommen mirde, ist nach den Angaben des
Bürgers Martin KfirA hergestellt^ der die erwähnten Mai'se auf «finfr ersten
Pilgerfahrt verloren hatte, von der zweiten sie aber glücklich mitbrachte.*) Die
Malerei wurde yielfach benutzt, um die Erinnerung an das Geschaute fest-
zuhalteiL Es ist überliefert, dafs Friedrieh der Weise Lukas Eranach auf seine
Beiae mitnahm, am von aUen heiligen Orten ^Aofrifs nnd Vwaeiehnang* zn
maehen. Nieht von ihm rfihren swei Gemilde in der Galerie an Gotha her;
daa eine atellt dm Enrfibnten im Pilgergewand dar, das andere deneelbai
knieend nebst dem Pilgerschiff und Jerusalem mit Rom aus der Vngelpwepek-
tive.') Dafs das Kunstgewerbe, z. B. die Stickerei, vielfach Stoffe diesem Ge-
biet entnommen haben wird, ist nicht zn bfzweifeln, aber bei der Zerstreutheit
und Vergänglichkeit der Objektt' schwer nachweisbar. So hat sich iu Hannover
ein Kästchen mit Darstellungen in farbiger Strohmosaik erhalten, dessen Deckel
einen Wallfahrtsberg mit einem Kreuz aufweist, den eine Nonne xu ersteigen
im Begriff k% wilumid eine andere ihn TmUi Wohl in einem EIoaEar Ter-
fertigt, enthält ea daa Wappen des Enrfliraten Georg Ludwig (leit 1698).*)
Vom grObten Einflnlb mfiiaen in dieeer Hinaiehi die aoa dem (hient mit»
gebrachten GegenstSnde der dortigen entwickelten Kunstindustrie gewesen sein,
wie solche das Rechnungsbuch Friedrichs des Weisen zahlreich aufzahlt. Es
finden sich dort Edelst^une, Teppiche, Hchleier, Frutienschnhe und aus Italien
*gegosaeue Angesicht' d. h. Bfisteu und 'heidnische Misch' d. h. Messing,
^) Nach IKJhricht a. a. U. ä. 76 in Weimar, Stuttgart, dem Berliaer Hobenzollcra-
Mnaeoni.
*) Ott«, Handbuch d. kirchlichen Eonstarchuologie S. 86.
•) Mencken, Script TT rm. *) Otto a a. O S 7S
Härtung, Häuser- Chronik der Stadt Erturt «. 247. *; Utte a. a. O. S. 907.
*) Vgl. Bakrieht, Eialeitoim ni Bau Himdta Bedumiigslmeh.
Zdtwbr. d. Ter. f. Gesdi. NiedemdMem 18(5 8, 881.
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Q. IiMi«: TU» WallfiihrtMi dM Ifittdilian lud üir Einflnfii anf di« Knltiir. 150
Bronzen.*) Auch die mehrfach in Kiruhen teils Paritäten, teils als Re-
Uqoiarien aufbewahrten Straufseneier und Büffelhorner — diese für Greifen-
knOeii ai^feaeiieii — aind wohl meiBi r<m Pilgern mitgebnushi*)
Wie ftUe die YolkMeele mächtig «rgreifenden Bewegungen haben «nch die
Wdlfthrten in der Littantur acharf amgepiigte Spuren hinierlMMO. Ah vn-
mittelbare 2^ugnis8e der Pi!g:cr selbst sind neben den ziihl reichen von Heim-
gekehrten entworfenen Außseichnungen die Lieder anzusehen^ deren Gesang die
Deutschen anderen als rühmenswrrten Vorbild mschoinpii lit'fs.') Das beliebteste
war die Kreuzleise: In Gottes Namen taiirt-n wir, seiner Gnaden begehren wir.*)
Die gewaltigste Ballade df-. \ uiksliedes hat. im Tannliäuser den zu liom Ver-
gebung suchenden i'iigex zmn Gegeustand.'') Fast tragikomisch wirkt ein Lied
Tom £nde des 15. Jaliriinnderta, daa die Leiden der nach St Jakob WaUenden
sebüderk 'sa einem Stern heilet Finster* (Kap Finiaterre)^):
Wer das Elend bauen will,
Der heb sich auf und sei mem OeaeU
Wohl auf Sankt Jakobs Strafsen.
Zwei Paar Schuh bedarf er wohl.
Ein Schflasel bei der Flaschen.
Und weiter;
80 siehn wir dnreh d«r armen Jecken Laad^,
Man giebt uns nichts denn Apfettraal^
Die Berge müssen wir steigen.
GUb man mis Apfel und Hirn genug,
Wir iür die Feigen.
Daneben fehlt es nicht an zeitgenössischen stimmen, die der satirischen
Neigung des Mittelalters Auadmck geben. Gewöhnt, auch vor dem Heiligsten
nicht Halt zu muclieii, wie die grotesken Darstelluiigeu un Chorgestiilil und
Ei^tileo der Kirdiea beweiaen, mnbte diese Neigung in der Rnläeren Werk-
heiligkeit Tieler WaU&hrten raieiUiche Nalirang finden. Daa YolkaUed lUat
den galanten Abentenrer im Kleide dea Pilgrima aafbrefean.') Sine Priamd
zahlt unter Gegenstanden nnnützen Kopfzerbreehens auf: Ob Znnkvr attfiMr sei
den Gallen, ob Tan/^en nfltzer sei denn Wallen, — da die Antwort anf Ramtliche
Fragen ja lautet, ist die Absicht deutlich genug.") Pauli» Schimpf und Emst'-*)
erzählt von einem, der ein lange aufgeHchobcnes Gelübde nach St. Jakob er-
füllen wollte. 'Da er aber zwei oder drei Meilen gekommen war, blieb er
stehen auf der Strafse und streckte beide Arme aus, einen gegen St. Jakob,
den anderen gegen sein Dorf und schrie: Zieh, Jäklein, ziehl Zieh, Metz^
tielit Aber die Meta sog mehr denn Jakob, kehrte nm nnd ging wieder
hriatf joA ward daa ^sidhwort waihr, dab einer Franen Haar mehr ai^t denn
>) Hondts Rechnungsbuch. ■) Otte a. a. O. 8. IM. ^ BShridit a^ a. 0.
*) Vgl. R^5Lricht a. a. 0.
*) Uhland, Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder Nr. 297. 808. ^} Anna^aken.
^ Uhland a. 0. Kr. 10. •) Alte gute SehwAake ed. Keller Nr. 1.
*) ed. Dfikmar Nr. 86.
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160 0- Liebe: Die Wallfahrten den Mittelalters und ihr Einflufs auf die Kultur.
ein Glockenseil'. Die Dichtung ist es gewesen, die unserer Vorstellung die
Gestalt des Pilgers lebendig erhalten hat, nachdem wenigstens Wallfahrten in
ferne Lander zur seltenen Ausnahme geworden waren. Hauptsächlich trug
dazu die Romantik bei, die so viele Schatten des Mittelalters wieder mit dem
Blute dichterischen Lebens erfüllte. Am ausfuhrlichsten ist der Vorwurf be-
handelt in Arnims wenig bekanntem Drama Halle und Jerusalem, Studenten-
spiel und Pilgerabenteuer, dessen bizarre, aber niemals unschöne und oft rührende
Phantastik zahlreiche lebenswahre Züge wie des Studentenlebens so aus den
Pilgerfahrten aufweist. Eine rein menschliche Verklarung fand die mittelalter-
liche Idee in Uhlands Waller, den der Tod auf der Schwelle von S. Jago von
Gelübde und Schuld erlöst, und Eichendorff verstand es, sie zum Bilde seines
inneren Lebens zu gestalten.')
') Ausgabe 1837 S. 374.
1896. BB8TB ABTEILUNO. DRITTES HBVT.
Abb. 1 Janas auf ainem rOm. UtnMM
(M«h Momaara, Uiai. da 1« aoBB.
na. tnä. pat to Om 4a BImm pL T).
TgL an.
RÖMISCHE QÖTTEBBILDER.
Von Oboko WnaowA.
TortlVff, gehalten vor der 44. Versammlung deutscher Philologen und Schulutunuer in Dresden.
'Der Mann, der zuers^t dem Volke Bilder von den Göttern machte, hat die
Gottt'stuix'ht vernichtet un«! eine Quelle des Irrtums geschaffen.' So urteilte
luit tadelndem Hinweise auf die Veraufserlichung des (lottesdienstes seiner Zeit
M. Terentius Vano, indem er hervorhob, dal's die Kömer der Vorzeit mehr als
170 Jahre lang ihre Götter ohne jedes Bild verehrt hätten. Die präzise Zahlen-
logüie libt denlilidi erkennen, dab der grobe Oeldirte die EinfUbning des
BiUerdienstee in Rom an ein beetimmtee hiatoriechee Ereignis knflpfUy und die
Finge, weldies Ereignis er gemeint bnbe^ ist lingst angeworfen nnd antreffend
b€antwortet. Nach der landläufigen Chronologie der römischen Urgeschichte^
welcher auch Varro folgt, fällt das Jahr 170 d. St. in die letzten |UgiemngS-
jahre des fünften Königs Tarquinius Priscus, dieser König aber war es, der
nach der eignen Angabe desselben Varro den Bau des Juppitertempels auf dem
Kapitel unternahm und einen etruskiscben Künstler, Voicas vtm Veji, mit der
Anfertigung der Tbonstatue des .Tuppiter für dieses Heiligtum beauftragte.
Dieser lufjgüer fidüis war also nach Varros Ansicht das älteste Kultbild in
Sem, nnd seine Anffimnng findet flure ToUe BestiUigung in der Thatsaohe, dafs
tlbttslly wo im r8misdi0n Bitaal das Götterbild einen notwendigen und weeent-
Üchen Anteil an der religtOsen Handlung ha^ es sich entweder nm den Dienst
des kapitolinischen Jnppiter selbst oder nm den spater in Rom eingeführter
CietÜieiten, insbesondere solcher griechischer Herkunft handelt. Bei bestimmtem
Anlasse wird das Bild des Juppiter 0. M. selbst lebendig; an dem stolzesten
Tage, den ein Römer erleben kann, wenn er als siegreicher Feldherr im Triumphe
durch die jubelnde Stadt nuch iKui Kapitol /itbt, stellt der Triumpbator das
Abbild des Juppiter dar: die gestickten Purpurgewänder, die ihn umhüllen, das
^ einem Adler bekrönte £lfeubeinszepter, das er in der Hand trägt, die
VtMJaktMehw. ISN. I. 11
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162
0. WiRBOwa: Römische Ofttterbilder.
goldene Krone, die ein Sklave über seinem Haupte halt, sind dem Tempel-
schatze des Kapitols entnommen, ja, um dem Bilde des Gottes ganz zu gleichen,
färbte der Triumphator in früherer Zeit das Gesicht und die unbekleideten
Teile des Körpers mit Zinnober hochrot, weil die Thonstatue im Tempel eine
derartige Belebung durch farbigen Anstrich zu erfahren pflegte. In demselben
i'runkanzuge erscheint auch bei den grofsen römischen Spielen der leitende
Magistrat; denn diese Spiele bildeten ursprünglich den zweiten Teil der Triumph-
festlichkeit, indem der Triumplizug, nachdem der Triumphator seinen Lorbeer-
kranz auf dem Kapitol vor dem Bilde des Juppiter niedergelegt hatte, von da
nach dem Zirlnis hinabstieg, wo Wagenrennen die Feier beschlossen. Als später
die Spiele, vom Triumphe losgelöst, ein ständig wiederkehrendes Jahresfest
bilden, bleibt der festliche Zug zum Zirkus, die pompa circensis, ein Hauptstüek
der Feier: in diesem Zuge aber erscheinen als Gäste des kapitolinischen Juppiter,
um dessen Festtag sich die Spiele gruppieren, auf altertümlichen Prunkwagen
oder auf Tragbahren die Bilder der Götter, wohl nicht die Kultbilder selbst,
sondern Puppen, die mit Kleidern und Schmuck aus dem betreflPenden Tempel-
schatze entsprechend dem Tempelbilde kostümiert waren: aber nicht die alt-
einheimischen Götter waren es, die man hier erblickte, Janus und Vesta, Consus
und Faunus und wie sie alle heifsen, sondern Gottheiten griechischer Herkunft,
die in Kom eine neue Heimat gefunden hatten. Der einzige Gewährsmann, der
uns von der pompa circensis eine ausführliche Beschreibung giebt, Dionysios von
Halikarnass, findet in ihr eine wichtige Stütze für die Grundthese seines Werkes,
dafs die Römer nicht etwa ein zusammengelaufenes Barbarengeaindel, sondern
von guter hellenischer Abkunft seien: wie wäre es sonst möglich, so fragt er,
dafs sie bei einer so feierlichen Gelegenheit wie beim Zirkusaufzuge unter Ver-
nachlässigung ihrer eigenen Gottheiten alle die Götter im Bilde aufführen, die
in Griechenland Tempel und Heiligtümer haben, nicht nur Zeus, Hera, Athena,
Poseidon und die übrigen grofsen Zwölfgötter, sondern auch Kronos und Hhea
und Themis, Nymphen, Musen und Chariten, Dionysos, Herakles, Selene, Pan
und so weiter in endloser Reihe? Wir können dieser ganz bestimmten, auf
eigener Anschauung beruhenden Angabe den Glauben um so weniger versagen,
als auch bei einer anderen Gelegenheit ausschliefslich griechische Gottheit4?n
es sind, deren Bilder bei einer öffentlichen Kultschaustellung mitwirken. Ich
meine die Lectisternien. Als im J. 399 v. Ch. während des Entscheidungskrieges
nnt der mächtigen Nachbarstadt Veji eine schreckliche Seuche Rom heimsuchte
und alle menschliche Kunst sich unfähig erwies, die Gewalt der Krankheit zu
brechen, beschlofs der Senat auf Rat der sibyllinischen Bücher, auf ganz neue
Weise den Zorn der Gottheit zu versöhnen: durch 8 Tage hindurch lud man
sechs bestimmte Götter zum Mahle ein, indem man ihnen auf offenem Plat/A-
den Tisch deckte und kostbare Polsterlager rüstete, auf denen die Bilder der
geladenen Gottheiten ruhten und wie lebende Gäste mit Speise und Trank be-
dient wurden; das Volk schaute dem Göttennahle zu und nahm auch selbst an
der Tafelfreude teil, denn überall standen in den Häusern der wohlhabenden
Bürger bei weit geöffneten Tliüren reich besetzte Tafeln, an denen jedermann.
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Q. Wiasowa: Bömiache QOtitorbüd«r.
163
bekaant wie unb^uinty willkommener Qast war. Daa iat, wie jeiiit wohl
niemand melur besweifelty von Anfan^^ bis SU Ende grioebiseher Branehy eine
n^Ttragoi^ der ^eo^via, wie sie uns in v^radbiedenen Kalten, u. a. denen der
Dioskuren und des delphijitlun Apollo begeprit»!!; ausnahmslos griechisch sind
auch die Gottheiten, die in Rom bei diesem ersten Leetistemium und seineu
nächsten Wiederholungen beteilip^ sind: Apollo mit seinen Kultgenossimien
Artemis und Leto, Herakles, iiermes und Poseidon, griechisch natürlich auch
die zur Schau gestellten Götterbilder. Das AofBerordentlicbe der Caerimonie
lag darin, dafii Hier eine Mebrcahl yeraciuedenar Gottheiten znm gemeinaamen
Simtlidien Sebmauae geladoi wurden, allein und im eigenen Tempel haben
lüe meistai rSmlaeben StaatagOtter grieehiaeher Herkunft ihren Speiaetiadi
and ihr Polsterlager gebäht, auf dem sie entweder an bestimmten Festtagen
oder auch den grofsteri Teil des Jahres hindurch öffentlich tafelten. Auch in
den kapitolinischen Kult ist dieser Branch Hn^edrnngen. Am Stiftun^stage
des Tempel-^, der /uj^leieh den Mittelpunkt der Ituii Bomnni bildet, naeldier
auch am ent»pre( henden Ta^e der jüngeren liuli phhrii, findet im Tleiligtume
ein Fest«chmaud statt, zu dem der ganze Senat geladen ist, dessen Haupt*
jftmnm aber die GHStter dea Eqpitols aelbat, Juppiter, Juno und Hinem abd:
ihre Bilder, gesalbt, fiiaiert und feaÜich gekleidet, werden, gana wie beim
Leetiateminm, mit erleaenen Speisen bedient, nur darin ist d&n romiaehen
ScbicklichkeitsgefQhl eine Konzession gemach^ dafs die beiden Göttinnen nicht
wie Juppiter auf dem Polsterbett liegen, sondern auf Stühlen sitzen.
Den aufgeklärten (iesehmack der Ciceronischen Zeit muteten derartige Schau-
stellungen begreiflicherweise sonderbar und befrenidlich an, und man glanbtp
eine Entschuldigung nur in dem unvordenklich hohen Alter ditser Hräuebe
finden zu können: Cicero z. B. hält den Festschmaus des Juppiter für eine Ein
richtung des Numa, mit anderen Worten für einen Bestandteil der römischen
Vrreligion. ThatsBehlieh aber kann man sich kaum mnen adiro&ren Gegen-
mli denken ala den dar in den geaehilderten Gberimonien sich anaqpreehenden
Änsdiauung und der Oedaaken, von denen die altwte Bdigion der Rtoer be>
herrscht wird. Wie in Athen die Ufju ttctquc und ^nid-^ra gesonderte Kreise
bUden, so scheidet das römische Sakralrecbt sebarf zwischen den altansässigen
lind den neu aufgenommenen Göttern, den dt indigetes und di nwensides: haben
auch beide gleiches Bürgerrecht im röiuischen Staate, so gilt doch nur den
ersteren das altrömische Caerinionialger<et7, nur ihre Festtage sind in die bis
auf Caesar gültige Kalenderurduuug als Feiertage aufgenoiumen, nur ihnen
weihen die Plrieateraehaften alter Ordnung, der Opferkönig und die flamines,
4iie Fetiaien und die Salier, die heiligen Jungfrauen und die Wolfigilde ihren
IKenaL Katttrlidi ist audi diese Slteste Götterordnung niehi an einem Tage
geschaffen, sondern das Ergebnis jahrhnndertlangev Entwickehmg: aber es kam
' Zeit, WO sie als abgeseblossen g;ilt und alles das, was an religiösen Vor-
!»U;Uungen neu zuwuchs, als anders geartet so zu sagen in einen äuiseren Kreis
v(>nrie<?en wurde, und dieser Zeitpunkt trat ei?i, bevor die Verehrung des
icapitolinischeu Göttervereines in Horn Eingang fand. Die Grenze zwischen
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1G4
0. WiNOwa: ROnusdie OMterbilder.
dem alten und dem neuen Odtterkreiie war eine feate nnd imverrfld:lMre, nnd
auch die allergrGlkle thataichliehe Bedeutung vennodite den Jnppiter O. If.
oder die Diana vom Aventin ebenso wenig in die Reihen der di indigetea Ober-
xttltthren, wie etwa C. Marias oder Cn. Pompetua durch ihre Triumphe and
ihre Machtstellung aus Plebejern zu Patriziern werden konnten. Dieser streng
abgesflilosHPin'n alten Götterordnung ist abt'v personliche Vorst<>lhing von
den Gütterti durchaus fremd. Schon die Namen beweisen das, die in vielen
Fällen nicbt peis<)nliche Bildung zeigen, sondern identiseh sind mit den Be-
zeichnungen derjenigen Dinge, die man durch den Gott vertreten oder in denen
man jenen wirkaam ^ubte: Janua der ThorbogMi und Veata der Herd, Tellua
das Saaifiald nnd Opa der Eratesegen, Fona die Quelle und Tmnintta der Grensp
stein bieten aehlagende Beiapiele lllr dieaea Znaammenfidlmi dea GStkamamena
mit dem AppeUatiTum. Solche Götter haben nicht nur keine bildliche Ver-
köi-perung, sondern sind auch an keine fef^te Kultstatte gebunden: jedea Saat-
feld und jeder Orens^tein bieten Gelegenheit, Tellus oder Terminus anzurufen
nnd zn verehren, und wenn Janus nnd Vesta feste KulistStten am Forum he
8it/('ii, so folgt das nur aus der Notwendigkeit, aus der unbegienrtfn Mcniru
von Tborbögen und Feuerstätten, an denen allen Janns und Vesta wnk^Hiuu
sind, ein Staatsthor und einen Staatbherd herauszuheben, an denen die Gemeinde
ala Ganzes diesen Göttern dieadbe Verehrung darbringt, wie jeder Hauavater
an der ThQr oder am Herde aeinea Hanaea. Aber audi wo sieh dar Name
dea Gottes Tom Ckigenatande loegelSat und an umlSmeiiderar Bedeutung eni-
wiekelt ha^ bleibt jede paraSnliche YorateUung £01*, nnd der fikitt ist eine mit
der Erscheinung, in der man seine Wirksamkeit erblickt: dem Griechen sendet
Zeus mit kräftiger Hand den Blitz, der Römer verehrt Juppiter Fulgur, nicht
den Blitzschleuderer, sondern den BHtz selb.st; vti ixh> l> Zevg sagt der
griechische Dichter, 'Vater Zeus läl'st es regnen*, dem Kömer «»teilt sieb der
Gedanke in anderer Form dar: luppitcr H lad^) desccndet plKnmua nntne, 'der
ganze Himmel kommt hernieder im Regen'; aus griechischer Anschauung heraus
läfst Virgil den Juppiter die Venus liebkosen *mit dem Antlitz, dessen Lächeln
Himmel und Wetter aufhellt*, voUa q¥ö eadum tetnimiatesgue mmait, rSmiaeb
redet Horai^ wenn bei ihm der abgah&rtete Weidmann anahanrt aub Jbae firigido
'unter kaltem Himmelaatridie*. Sine aoldbe Anadhannng, die den Gott nur in
der Natur und in den Gegenatanden seines Waltens sieht, schliefst den Ge-
danken an einen Bilderdienat aua; sie kann den Gott nicht im Bilde neben die
Sache stellen, in der er wirksam ist. Ja seihst die Verehrung der Gottheit in
Symbolen ist der altrömisehen Religion fremd: freiheh hfinii wir von dem
heiligen Feuerstein des Juppiter. einer Versinnbildlichung des Donnerkeil», und
von Sciiild und Lanze des Mars; aber es sind dies nicht Gegenstände der An-
betung, sondern AusrüütungsstQcke der Priester, wenn sie im Namen d^
Gottes ihren Dienst thun: dann tragen die Salier bei ihren Tineen Sdiild and
Speer dea Mars, und die Fetialen eracUagen beim Bundeaopfer daa Opfertier
mit dem heiligen sHex.
Wie lange dieae Anschauung Ton nnpersfinliehen nnd unvoratellbaren^ den
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G. WiMows: ROmiflclie GOtterWlder.
165
Menschen überall und allezeit umgebenden göttlichen Gewalten in voller Rein
heit lind AusschliefBlichkeit den römischon Gottesdienst beherrscht hat, läfst
sich nicht mehr bestimmen; nur soviel dürfen wir getrost sagen, dafs die
170 Jahre, die Varro dieser Periode der rdnuBcheii Beligionsgescbichte mweis^
f&r die TManBBuaeiKende Entwicikelung nicht entfernt aosreichen, und dala eich
•Iw Midi hier die bereite Ton Niebuhr genuiehie Beobachbing beslfttigt) dafe
dw fiberliflferle Chronologie der KSnigsaeit mit viel %a kleinen Zahlen operiert.
Am Ausgange der Konigeieit und in den ersten Jahr/ohnten der Rtpublik
führt des starke Kindringen griechischer Gottesdicnnte in Korn eine tiefgehende
Umwälzung im Kultus wie in den religiösen Vorstellungen herbei: die alte
Kulturstätte Cuiuae, die wiclitigste Vermittlerin griecluKclier Bildung für
lUiien, entsendet ihren Apoll ), im Gefolge de? sizilisehcn (»etreidehandels er-
scheinen einerseits Demeter mit ihren Kultgenossen Dionysos und Kor^ anderer-
seits Hermes in Rom, aus den frfih dem griechischen Emflusse erschlossenen
NschlMigemeiiiden Tibnr und Tnscnlum werden Herakles und die Dioekuren
sn^ieiioiDOUHi. All diese neuen Gottesdienste bringen griechische Knltfonnen
und teflweise «ocb griechisebe Priest^ mit, griechisch sind die Kaltlegenden,
griechisch die Götterbilder: der im Bilde persönlich auftretende Gott verlangt
ein Wohnhaus, daher tritt für diese neuen Kulte an Stelle der früher üblichen
Haine und offnen Altäre das Gotteshaus . der Tempel. Der alte Gottesdienst
eriäiui zunächst weder in seiner fieltunir noeh in seinen Formen irgend welche
Verändertmg: noch immer erJiffiu t <[i i Priester des alten Juppiter die Wein-
lese, indem er ein Lamm schhielitet und die erste Traube schneidet, noch
immer wird Anfiang und Knde der Kriegazeit durch die altertümlichen Sühn-
tika und Tfaise der Salier geleiert^ nach wie tot halten alljährlich im Februar
die Luperci ihren sQhnenden Umlauf um die alte Fiaktbstadt und sieht aur
Zeit der Sommeragliit der Flamen Qoirinalis hinaus vors Thor, um an der
Grenze der römischen Feldmark dem Gotte der Rostkrankheit, Robigus, einen
Hund zu opfern und um Fembleiben der Krankheit von den Getreidefeldern
lu bitten: das ganze Jahr hindurch begleiten die (yaerimonien des alten Kultus
die ländliche und kriegerische Thätigkeit der Gemeinde. Aber daneben stehen
die Jüngeren und fremden Gottesdienste, die ja in gewöhnlicht n Z« itlanflen
nicht »ehr hervortreten und aufser dem üblichen St^tataopfer am Ötiftungstage
des Tempels nur die Huldigungen eines engeren Kreises von Verehrern er-
listten, die aber sofort in den Vordergrund treten, sobald Seuche oder Mifs-
irach^ Kri^unglfick oder Bttigwswist oder andere Heimsuchungen den Staat
twffen, oder in Zeiten der Aufregung außergewöhnliche Naturerscheinungen auf
das BeTorstehen schrecklidier Ereignisse hinzuweisen scheinen: dann greift man
nidit mehr zu den abgenfiteten und bescheidenen Sflhnmitteln des alten
Caerimonialgesetzes, sondern su den sinnfälligeren, das ganze Volk zur Mit-
wirkung aufrufenden Riten der neuen rioitf-sdienste: h'asten, Kollekten zur
Stiftung von Weihgeschenken und Götteri)iidern, Götterschmnnsc und Volks-
Wwirtungen, Bitt- und i>Hiiki)i o/essitnitu mit Instrumentalmusik imd Chor-
gesang, Zirkus- und Bühnenspiele, stellenweise sogar Menschenopfer, das sind
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Wifliowa: Bemiiche CHMsierbilder.
diV Mittel, die eines das ander«' fihcrbiottMKl und verdrängend zur Abwendung
des (TÖtt<>r7.ome8 angewendet werduu, l'nd je häufiger diese Mittel sich als
wirksiiui und erfolpfreich erwiesen, um m mehr verblafsten die unpersönlichen
Götter des alten Glaubens vor den farbenreichen und sinnfälligen Schöpfungen
der helleniBcheu Phantasie. Der alte Ootteedienst, deeaen VeraaehfiisBigung
oder Umgestaltung die strenge Qewissenliaftti^eit d^ BSmer in rdigiSaen
Dingen nicht xoliefo, erstarrte vielfiMsh in der Hand der Priester nir inhalt-
losen und onverstandenen Form, weil die grofse Mehrzahl der GHSabigen unter
dem. Einflösse der griechischen Auffassung in den alten Göttern etwas ganz
anderes zu sehen begann, als das, als was sie ursprünglich gedacht waren, und
an ihnen nur in so weit festhielt, als sie im stände war, sie in die greifbare
Persönhclikcit ffriechischer Göttergestaltung zu übersetzen. Dem wurde wirksam
Vorschub ^[eleistet durch die Thatsache, dafs uin Teil der griechischen Götter
bei ihrer Aufnahme in den römischen Staatskult auf Grund einer wirklichen
oder venneintliehen Wesensrerwandtsdiaft die Namen atfar&mMchsr Gkittheitea
anneiktiert hatte und sidi so bald völlig an ihre Stelle setate: Geres nnd Xaber,
Neptnnns und Bona dea sind Gtötter der alten Religion, abor nachher nsnr-
pievten Demeter und Dionysos, Poseidon und Damia diese Namen, und der
Romer etwa dw Zeit der Samniterkriege, der m Ceres betete, dachte dabei
gewifs nicht mehr an das gestaltlose rmmen, das nach dem alten Glauben über
dem Wachstum der Saaten wachte, sondern an die gleichnamige Göttin, deren
Bild jedermann im Tempel beim Zirkus sehen konnte, d. h. an die griechische
Demeter; ebenso sind die zwar nicht altrömisehen aber altlatinischen Knlte
von Diana und \'enus zugleich zu Trägern des griechischen iVrtemis- und
Aphroditedienstes geworden, und so erkßrt es sich, dafs im Tempd der Diana
auf dem Aventin, deren Bikaal nicht das griechische, sondern das «nheimiaehe
war, ein altertOmliches Schnitsbild verehrt wurde, das dem in Ibssilia anf-
gestellten Bilde der Artemis glich d. h. die Güttin in dem bekannten Typus
der ephesischen Artemis darstellte. Zunächst waren es die groTssn Götter der
Griechen, die sich solchergestalt erst des Namens und dann anch mehr und
mehr des Wesens ihrer romischen Gegenbilder bemächtigten; in dem religions-
geschichtiich bedeutsamen zweiten Jahre des llannibalischen Krieges, als uach
der Niederlage am trasimenischen See die schwere Not der Zeit zu mancherlei
Neuerungen auch auf religiösem Gebiete trieb, hielt man zum ersten Male eine
Oötterbewirtung ab, die Aber den Kreis der bisher bei di^em Brauche ver-
tretenen €k»ttheiten weit hinausging; auf sechs Polsterlagem mhten sechs
Paare von Gottheiten, Jnppiter nnd Juno, Neptunus und Minerva, Mars und
Venus, Apollo und Diana» Volcanns nnd Vesta, Merenrius und Ceres: das sind
nach Auswahl und Anordnung die zwölf grofsen Götter, wie sie manchenorts
in Griechenland als auserlesener Kreis verehrt wurden; aber die Namen sind
rÖTTiiücli. der griechische Brauch und das griechische Götterbild hatte sich auch
(lottheiti ii t roV)ert, die, wie Mars, YolcanuB, Vesta, zu den alten di indigetes der
Vorzeit gehörten.
Das Streben nach bildlicher l>arstellung hat aber bald über den Kreis
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G, Wiaaowii: RAmivcbe GOttorbildex.
167
derjt'uigen GrSiter hinausgegriffen, fOr die aich eine mehr oder weniger ein-
leuditendfi Okiebung mit einer griechischen Gottheit und damit die HSgUch-
keit o^by das Bild der lefesteren einlach so fihemehmen, es hat auch die-
jenigen Gotter erfafst, die, eigenartig römischer Anschauung entsprungen, ihres
gleichen im griechischen Olymp nicht ohne weiteres &nden. Zwar nicht alle
Götter des alttu Glaubens haben die Waiitkliinfj aus unpersönlichen Begriffen
zu körperlicher Gestaltung uiitifemacht, manch einer ist in Verfressenheit ge-
raten, ehe er zur bildlichen Ausprägung kam; aber die Mehrzahl von ihnen
erhielt im Laufe der Zeit Tempel und Tempel-
bild. Das letztere neu zu schafi'en, war keine
leichte An^be, denn die altrömisdie Rdigion
hat keine Mythologi«^ sie kennt keine Gdtter-
dien nnd Gdtterkinder, keine ErzShlongen
TOn Theten nnd Leiden der Götter; man
konnte also im Bilde nicht das Leben nnd
Handeln des Gottes wiedergeben, denn er
batto nicht gelobt und gehandtüt, sondern
war darauf angewiesen, aus dem griechischen
Typenvorrat die DarsteUmig eines Gottes von
aQiiäiierud ähnlicher Bedeutimg und Wirk-
isiokeit anssawahl«! nnd dann den Besonder-
heiten der rSmisehen Anschaunng durch Bei-
gabe von nenen Attributen oder sonstige
Mo^fikationen zu ihrem Rechte zu verhelfen.
Natürlich gelang die Lösung dieser Aufgabe
nicht überall mit gleichem Glück. So ist
eine der häufigsten Darstellungen die der
Kompitallaren j die uns als jugendliche Ge-
'talten mit lockigem Haare entg<>gentreten,
in hochgeschürzter Tunika mi iau:i8chiitte
suBschreitend und mit der hochgehobenen
Rechten aus dnem Trinkhom in die in der
anderen Hand gehaltene Schale emschenkend (s. Abb. 2); obwohl die erhaltenen
BenknüUer erst späterer Zeit angehören, können wir doch das Vorkommen
dieser Darstellung bis hinauf in die Zeit des Naevius verfolgen, der in seiner
Komödie Tunicularia einen griechischen Maler Theodotus verspottete, 'der in
mner Klause, ringsum von Vorhängen verdeckt, auf die Altäre 7,ur Knmpitalieu-
i'eier mit dem Ochsenschwanze die tanzenden l^arcn nnilt'. Das noeli naeh-
wpi^harc Vorbild haben bakehisehe Darstellungen unteritalischer Kunstiibung
gfbottD, die Veranlassung die Laren gerade in solchem wein- und tauzfrohen
Goaren darzustellen gab der Gedanke an die frohe und ausgelassene Fesf^
ftisr dw «ncta Cvmp'Ualia\ der Geesmtwirkaamkeit der Laren aber, in denen
Börner die göttlidien Wftditer seines Grundstttclras sieht, wird das Bild
wenig gerechi Bafs die Versinnlichung der alten Götter im Bilde erst su
Abb. I. Taiurnclt<r Liir. BronxMtatlMtU Un
KoBMmlonBruiMat KVnnuU A. Ihm. IWI
Ut. d'kgg. K).
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168
G. WisMwa: Römische Göttarbildor.
einer Zni erfolgte, in der die Fühlung mit der alten Religion schon merklieh
gelockert war, zeigt das Bild des Dius Fidius. In ihm stellt sich eine beson-
dere Seite des Himmelsgottes dar: der Himmel, überall sichtbar und alles
sehend, ist der berufene Zeuge bei Eid und Versprechen, Dius (= Diovis)
Fidius, von den Griechen trcfiFend mit Zivg IIiöTiog übersetzt, ist Juppiter als
Schützer von Treue uud Bündnis. Die Statue des Gottes aber, die — inschrift-
lich gesichert — wr einer Beflie von Jahren m Tage kwn (s. Abb. 3), ist
eine jener mit anliegenden Obenmnen nnd rechte
winkdig Tmrgeatredkten ünterannmi ateif da-
stehenden nackten Jflnglingsfignren, welche die
archaische Kunst der Griechen im menschlichen
Kreise für Siegerstatuen, im göttlichen für Apollo-
darstellungen verwendet: die Thatsache, dafs
Apollo an vielen Orten (iru'chenlands als Sch^vur-
tmd BünduiBgott verehrt wurde, bestimmte die
Wahl dee Bildes und lieb ea TÖllig vergessen,
dab d^ rdmische Gott doch eine Sondcrfonn dea
Jnppitw ivar. Daa grieehische Vinrbild dnr Diua
Fidina-Statoe mofs etwa dem An&nge des 5. Jahr-
hunderts angehört haben: da im J. 466 v. Chr.
Sp. Postumius den Tempel des Dius Fidius auf
dem Quirinal weihte, könnte man geneigt sein,
die Schöpfung des Bildes mit der Gründung des
Tempels in Verbindung zu bringen, aber ein der-
artiges Verkennen der alten Natur des Gottes,
wie sie sieh in der Wahl des ApolloiTpus aiia-
BfNriehl^ ist mit dner so frflhen Entstdrang kanm
Tereinher; jedenfalls sind die meistm sonst be-
kannten Kultbilder altrömischer Gottheiten erst
im 3. Jahrb., im Zeitalter der punischen Kriege,
nnd weiterhin entstanden; auch die tanzenden
Liiron des Theodotus werden etwas Neues gewesen
Kein zu der Zeit, als Naevius sich über ihren
Schöpfer lustig machte.
Aach fttr die Bildung eines anderen alten
Gottea hat dar griediisdie Apollo die Vorlage abgegeben: im Tempel dea
Totengottes VcgoTis, dor 192 t. Chr. in der Kinsatteinng swisdum Kapitol und
Burg erbaut wurd^ stand ein altertümliches Schnitabild aus Cjpressenhola, ein
jugendlicher Gott, Pfeile in der Hand haltend, eine Ziege ihm zur Seite. Übel
angebrachte Küsterweisheit erinnerte sich an die Ziege Amaltheia, die das Zeus-
kind genährt hatte, nnd erblickte in Vejovis, auch dem Namen nach, einen
kleinen, jugendlichen Juppiter; Verständigere aber verkannten nicht, dals das
Bild einen Apollo darstellte, als Todcsgött aufgefafst und darum mit den ver-
derbenbringenden Pfeilen ausgestattet; die Ziege aber ist romische Zuthat, denn
Abb. S Diai I'idiaa, M anniiritatue im
T*tlkAii(Aui»Ud. laiviMd Uv.d'afg. A).
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G. Wiesowa: RömiBche Götterbilder.
169
nach römischer Vorstellung gebort sie den Unterirdischen an, und der Flamen
Dialis, der Priester des Himmelsgottes, der keine Leiche und kein Grab sehen
darf, darf auch eine Ziege weder anrühren noch auch nur den Namen des
Tieres nennen.
In der Beifügung derartiger Attribute zur genaueren Bezeichnung des
Vorstellungskreises, in dem die Bedeutung des dargestellten Gottes zu suchen
ist, liegt eine Eigenart und Stärke
der römischen Sakralkunst. Eine be-
sonders glückliche Schöpfung dieser
Art stellt das Bild des Genius dar:
ursprünglich durchaus an die P e r s o n
gebunden, ist der Genius die Kraft,
die im Hausvater zeugend Uber dem
Fortbestand der Familie waltet, dann
weiterhin die Vertretung alles Kraf-
tigen, Energischen, Genufsfreudigen
im Manne, der ins Göttliche über-
setzte Romer selbst: diese Vorstel-
lung wird treffend verkörpert durch
das Bild eines römischen Bürgers
im Staatskleide, der Toga, der
mit Ober das Hinterhaupt herauf-
gezogenem Gewände aus einer Schale
die Opferspende ausgicfst, während
er im linken Arme ein Füllhorn
hält (b. Abb. 4); dieses Füllhorn,
das redende Symbol der genialis
copia^ erscheint als unterscheidendes
Attribut dieses Gottes auch bei allen
sonst vielfach abweichend gestalteten
Bildern von Genii der Städte, Kor-
porationen, Truppenkürj)t'r u. s. w.
Silvanus ist, wie sein Name sagt,
zunächst der Gott des Waldes und
der Wald weide, der silvatica pasiio,
dann aber stellt sich, als der Wald
mehr und mehr der Kultur weicht,
auch die an die Stelle des aus-
gerodeten Waldes tretende Farm, die villa, unter seinen Schutz: von alle-
dem redet das typische Bild des Gottes, das uns auf zalilreichen Denkmälern
entgegentritt, deutlich und vernehmlich. Ein älterer Mann mit wallendem
Haar und Bart — ein Zeustypus scheint zu Grunde zu liegen — trägt auf
dem Kopfe einen Kranz von Pinienzapfen und im Arme ein Stück Wald, einen
kräftigen Baum oder Baumast; aber das gekrümmte Gärtnermesser in seiner
Abb. 4. Sog. 0«dIui AaRtiiti, Mumorttatne Im Vatikün
(naob OrlgiiuüpbotogrBphie).
170
G. Wiuow»: SOmiMlie GOtterliUder.
Abb f< SiWauui, Toa eioam Beliof dos Mu«eo
•rch«oL In inonu (MiU. 4. lOm. huA. I Tat VIU).
Rechten und der mit Erflehten aller Art gefüllte Fellschurz, der ihm um den
Hais luing^ »eigen, dab er bereits die Gartenkultur kennf^ and sor Seite sitii
ihm der Hnnd, der treue W&chter des
Chnmdstllcks (s. Abb. 5). Eine solche
Häufung von Attributen mag künstlerisch
belraehtet ihre Bedenken haben, ftir die
80 ZU sagen logische Auffassung des
Römers über ist sie sehr charakteristisch:
er verfährt hi-i der 13<'ifiiguiig von Attri-
buten zu einem Götterbilde genau ebenso,
WM warn er in der %mM»he eben &ib-
stantiTbegrifFdiiroli eine Reihe atfaribniiTer
A^jektink einengt und prisisiert Bei-
spiele ftlr dieses Vorgehen lassen sich
namentlich aus dem in Rom so reich
vertretenen Kreise von göttlichen Per-
sonifikationen abstrakter Begriffe, wie
Libertas, Pietas, Aeqiiitas u. s. w. in Menge
beibringen; ich müclit<' mich damit be-
gnügen, hier noch auf einen besonders
lehireichen Flsll hinsnweisen. Sulla fiÄrte bekannüidi das unwandelbare Glfick,
das ihm in allen Lebenslagen treu blieb, auf die Chinst der Venus zurftck; wie
er selbst sieh Sulla Felix nannte, so Terehrte er die GOttin als Venus Felix
und Q))ersetzte seinen Beinamen
griechisch mit 'EnaipQodirog,
Die Schutzgöttin ihres Gründers
nahm die Sullanisrlir Kolonie
"^^•jM Pompeji, oder mit vollem Namen
^Vr_ ,. V Colonia Veneria C<mielia , als
kßx'^'^i StadtgSttin an, und diese Venus
Pompeiansvergegennrärtigen uns
dne Reihe von Wandbildern
(s. Abb. 6): als Venus durch
ihre ganze Haltung und Klei-
dung und durch den neben ihr
stehenden Amor, der ihr einen
Spiegel hinhält, kenntlich, wird
sie durch das beigegfbi ne Steuer-
ruder, das gewöhnliche Attribut
der Tyche-F<Mrtaiia, als eine
sehidsaklenkende Gtottheit cba-
rakterisiert; als StadtgSttin trigt sie auf dem Haupte eine Zumenkrone, als
Venus Felix einen Ölzweig, den ramus fdids cUvae, um mit Virgil zu reden;
dafs dieser Ölzweig geradezu als eine Übersetzung des Beiwortes Felix in die
Abb.«.
i Pomp« i HCl, \
(Monum. d
lut. m 6»).
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6. Wiaoow»: BOtniiche Qatt«rbflder.
171
Sprache der Kunst aufzufassen ist, zeigen Münzen Hadrians, die laut Umschrift
(\iv Koina Felix darstellen und auf denen sich das Bild der Göttin Roma von
den sonstigen Darstellungen nur durch die Hinzufügung des Ölzweiges unter-
Bcheidei
Das Götterbild ist in Rom auf dieselbe Weise mtstanden wie daa, was
neb Ar rdmiscbe Göttersage ansgiebt, sekandSr auf dem Wege der IteAexion
und Kombination, dureh Herfibemalime griechisdier Vorbilder und mehr oder
minder geschickte Anpassung derselben an rtnnische Nam«'n und Vorstellungen.
Griechen und griechisch gebildete Römer haben den Römern ebenso ihre
GöttererzahlunppTi wie ilire Oottt rhilder gemacht, alt<'inheiTnif»<*ho Göttertypen
giebt es ebenso wenig wie eine altromische Göttei !sa|ie. Air Ii wer diu» im
allgPTneinen zuzugestehen geneipt ist, pflepi doch eine Ausnaluiu» zu niüchcn:
die doppelgesichtige Bildung den der römischen Religion eigentümlichen Gottes
Jana» gilt als unbestreitbareB Eigentum der Römer oder Italiker, etwa als eine
nimflllige Verkörperung des Himmels, 8^ «tfir^ ifpoQä xocl 9tdif^ ixaxoi&u.
Aber die Gründe und Zeugnisse fibr das hohe Alter und die ifaliscbe Her-
kunft des Janusbildes halten vor einer eingehenden Prüfung nicht stand. Die
oiaite, nie von ihrem Platse verrückte Knltstatte des Gottes ist der iamts
geminus, das Doppelthor am oberen Forum: dafs dieses Thor von HaiiR aus
als Durchgang diente, ist allf^rmeine Überlieferung und gewifs nicht zu be-
zweifehi, damit ist alier der Gedanke an eine innerhalb der ThoröflFnuug
stehende Statue des Gottes als mit der Bestimmung der Baulicbkeit im Wider-
spruche stehend ausgeschlossen. Eine solche Statuo stand freilich dort am
Ausgange der Republik, und zwar stellte sie den Janua als Gott des Jahres
dar, und es wsven an ihr die Finger beider ffibide so kunstreich gruppiert^
iMk sie nisamnMi in Zahheichen die Ziffer 965, die Zalil der Tage des Jahres,
mdibiideten: glaubige GemQter hielten das Bild IQr eine Stift unn; des Numa
und stiefsen sich bei dieser freigebigen Datierung weder an die Ungeheuerlich-
keit, dafs ein Künstler jener f»muen Vorzt it dies raffinierte Kunststück der
Fin^errechming zum Ausdruck gobracht haben sollte, nmh an die Thatsache,
dal's das bürgerliche Jahr der Ifömer erst f<eit der Küleiiderreform Caesars
365 zählte. Lassen wir diese» apokryphe Denknmi, wie ea sich gebührt,
aolier Rechnung, so finden wir den bftrtigat Doppelkopf des Janus suerrt auf
der iltesten lömisch«! Eupferprägung, wo er bekanntlich die EtnbeitsmOnse^
den As, beaeiehnet (a. Abb. 1 8. 161). Die Kontroverse der Numismatiker
Iber das' Alter dieser ältesten Kupferprägung ist sur Zeit noch unentschieden,
es fiifst sieh daher auch nicht mit Sicherheit ausmachen, ob der unbärtige
Doppelkopf auf den Kupfermünzen einiger etmskischen Städte (vor allem
Volaterrae) eine modifizierte Nachahmung der römischen Prägung d;ir'<t<^lU
oder, wofür mir gewichtige Gründe zu sprechen scheinen, von ihr unaohangij^'
i«t Aber unter allen Umständen scheint es mir vorsclimdl und willkürlicdi,
aus dem Doppelkopfe der Münzen auf eine römische Kultstatue des Janus zu
ichlieben, der das Mttnzbild nachgeahmt sei: wer sich vor Augen Ullt, wie
■usgemiehnet sich der Doppelkopf sur AusfiSllung des Münaundes eignet, au
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172
G. WiNOwft: BOmiwlii CKHMader.
welch unlnsbareo Schwierigkf it^-n dagegen der Versuch führt, oino Kultstatue
in ganzer Figur mit einem Körper und doppeltem Gesicht zu bilden, der wird
Bich dem Schlüsse nicht entziehen können, dais zuerst uiir der Doppelkopf
eiistieite und die onorgamaohe BQdung einer Ganzfignr der geschiklertNi Ali
ni Tentehen ist nur unter d«r VonuiasetgEang^ dab der Doppelkopf das Frfihere
und Gegebene mr. Dals die Rdmer, die fllr die Teiletaeke dee Ab grieehieehe
66tterköpfe fZeus, Athene, Herakles, Hermes) w&hlten, den Wnnpcib hatten,
das erste Nominal, den As, mit dem Bilde des Gottes zu beieichnen, von dem
bei ihiieu der Satz galt j>tncs lanum sunt primae ist begreiflich; war aber die
ÄiiftTHbc sr(>Kfe11t, das nach Osten und Westen schauende Doppeltlior, deu innufi
fft minus, ins Menschlicli -figürliche zu übersetzen, ho bot sich der Doppelkopf,
der ja auch, männlich uiul weiblich, bärtig und jugendlich, der älteren griechi-
schen Münzprägung keineswegs fremd ist, ungezwungen als leicht verätäud
lidiee Symbol Also nicht ftr den Gotteediens^ meine idi, londem ek Hflns-
ceichen ist der Doppelkopf zuerst erfimden worden: als dann im J. 260 der
Sieger von Hylae, C. DnUins, den ersten nnd eimngen Tempd des Janus in
Born erbaute, mag man hier zum ersten Male den dqipelgesiclittgen Gott in
ganxer Figur als Kultbild dargestellt haben; wie es »ich fSr den Gott des
Einganges gehört, trug das Bild die Abzeichen des Pförtners, SchlQssel und
Stab. Augustus aber stellte in diesem Tempel eine von ihm aus Ägypten mit-
gebrachte Statue des lanus pater auf, von dor man nicht genau wnfste, ob sie
von Praxiteles oder von Skopas herrührte: flüls weder der eine noch der andere
ein Standbild des JauuB machen konnte, bedarf keines Beweises, es war ein
griedusebes Gottivbild, wahrsdieinJieh eine DoppeUmme des *EQn^g öixttpuXogf
das hier aum Janus umgetauft wurde. Denn das ist die letete Etappe auf
dem Siegessnge des griedusdien • Götterbildes durch die rBmisdie Religion^
dafo nunmehr ohne R&eksidht auf die alte Bedeutung des r&nisehen Gottes
das Bild eines vermeintlicfaen griechisclun Verwandten sich an seine Stelle
setzt und ihn verdrangt, wenn nicht im Kultus, so doch in der Poesie und in
der Vorstellung der Gebildpt<^n Der alte Gott der Herden und der Befruch-
tung FiinmiH hat mit dem griechischen Pan von Haus aus nichts gemein, als
den verwandten Wirktingskreis; als man das Bedürfnis empfand, an der alten
Stätte des Gottes, am Luperkal, ein Bild aufzustellen, bildete mau ihn genau
SO, wie seine Priester am Luperkalienfeste au£Eutreten püegteu, als nackten
Hann mit einem um den Leib geschlagenen Ziegenfell; eine Hischgestait ans
Mensch und Tier su verehren war IDr den nflehtemen Sinn der ROmer eine
ünm^lichkeii Aber selbst dem Horas, der sonst auf reUgi6sem Gebiets sieh
Tiel mehr als seine Zeitgenossen im römischen Gedankenkrei ( bewegt, ist
Faunns der JSjfmpkainm fkgimUum amator, und bei Lukrea, Virgii, Ond ist
der Gott zu einem gehörnten und bocksfursigcn Gesellen geworden, der auch
in der Mehrzahl als Gattungsbegriff unt*>r dem snnirleum pccits des bakchiThf^u
Tbiasos erscheint. So vollzieht sich unter i\rm hellenisierenden Eintiusse
der Augusteischen l'oesie eine völlige Umwertung der Begriffe, unter deren
Einflüsse noch heute unser Sprachgebrauch und unsere YorsteUung steht:
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173
wer heateutage von einem 'fiumiBchen Lächeln* oder Ton dem *J»no8gesidit
der gegenwärtigea Pfditil^ redet, der denkt nidit dAran, dalii er ftle ab«
gegrifliHie Mflnse Ntmen au einein Terediollenea Odttorkreiie gebraucht^ deeien
fleilillen, anpeidkdicli und kOiperloa gedadit, in denuelben 9fabe Ton ihrem
inpribi^iehen Gehalte verlieren mnliiteti, in welehem rie einnlicsh greifbar im
Bilde benummtretoii etrebften.
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CICERO UND TERENTIA.
Von Otto £duaro äcBxnyT.
GiceroB Ehe mit Temitia verdient unser besonderes IntereeBe, auch abgeeehen
Ton den beteiligten Pereontiebkeiten, sebon aus einem äufeerlicben Qnmde: sie
ist die einzige Ehe des Altertums, deren Wesen wir aus einer authentit^chen
Überlieferung wirklich zu » ikennon vermögen. Was wollen die Aiifi9cblüs.s<>,
die unf z. R die Inschriften über eheliche Verhaltnisse bieten, wie wertvoll
sie an und für sich sind, bedeuten gegenüber den 24 Briefen Ciceros an
Terentia im XV. Buche der Episteln, zumal du uns die gleichzeitigen Ergüsse
des Briefachreibers an Atticus und an andere Freunde auch das wiederhnden
lassen, was zwischen den Zeilen verloren gegangen zu sein scheint! Dort, in
den Insdiriften, spiegelt sieb in der Regel «n einziger Moment wieder, der
des Verlostes, in oft rflbrenden Lauten der Gatteoliebe; aber gerade dieser
Moment yoU sebmenlidier Sehnsucht nach einem entsehwundenen Glfick ist
geeignet, die Wirklichkeit xu idealBsierai: hier, in Gieeros Briefen, sehen wir
beide Gatten am sausenden Webstuhl der Zeit stehen in den frischen Farben
des Lebens, ein echtes und wahrhaftiges Bild wirkend ihrer selbst in Oeschaft
und Hube, in Freude und Trauer, in Liebe und Erkaltung; unser Beobachtungs-
gebiet aber erstreckt sich — wenn auch mit iiiolseii Unterbrechungen — über
22 Jahre, von ö8 — 47 v. Chr. Eine kurze Darleguuir d^ r Beziehungen Cieeros
zu seiner ersten Frau scheint mir aber auch aus dem Urunde der Mühe wert
zu sein, weil die darüber verbreiteten Meinungen nicht ganz zutreffend sind.
Dflife wir bei Dnunann trots aller äuiserlicben *WiBsensehaftlichkeit* kein ob-
jektires Urteil über Cieeros Ehe finden kOnnm, wird niemanden ttberrasdien,
der die isolierende, räsonnierende und scbliefidich karikimnde Weise seiner
Darstellttng kennt. Drumann schildert Terentia als eine Heroine, neben der
Cicero eine klägliche Rolle spielt: *Sie konnte ihn mit seiner ganzlichen Mut-
losigkeit nicht übertragen und wurde in sein Schicksal verwickelt . . . FQr
ihn war ein Glück, dafs eine solche Gattin ihm zur Seite stand und eine
Schande, düls er sie verstiefs ' Al)ei iinch in d» ri Werken von Männern, denen
son»t keine Einseitigkeit des Urteils anhaftet, wird die Scheidung Ciceroe von
Di« 8 Seiten DmmniuadieD Textei« die swisdien den beiden sitieiten Stellen «tehen
uml hier diirdi Punkte angedeutet «ind, «ind voll von s-chit fini nud gehilHsigen l'rteilen,
die in der Verdrehung Idarer o«I«;r doch wenigRtcnH begreii licher Llmstünde da« Ungeheuer-
Itebsle leisten. Ich werde hier uud da in den Anmerkungen auf den Kontrast einer ge-
«uaden Inteipvetatien mit dieiier AfteigdehiiaiDkeit anfinerkMun machen.
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0. £. Schmidt: Ci«eio und TeMnti».
175
seintr Ghttui mehr oder minder liaii Tenuieüi So leten wir z. B. in den
BSnuBehen Priwtaltertflmem ron Marquardt I S. 70 Anm. 376: *Anch Cicero
whied sieh Ton seinen beiden Frauen ohne besondere Veranlassong*, und
M. Schneidewin Antike Hnntaniti&t' S. 179 f.) mildert zwar den Vorwurf für
Ciceros Person, indem er seine Handlungsweise ai» tjpisch für seine Zeit hin-
stellt, betont aber doch den grellen Kontrast der Lage Terentias als einer
vprstofwnen Frau mit dem Heldengeist und dem thatkraftigen Opfermut, womit
si'' ftttVnbar in ileii schlimmsten Zeiten ihre Aufgabe, eine Lehen sjjefährtin
tiftros zu pein, durchgeführt hatte, und findt't in (li«'ser Scheidung einen 'nicht
wegzutilgenden Schatten* auf der antiken HiuuumUit. iler durch die Gleich
gültigkeit^ mit der Cicero die Gesdufte der Scheidung regelte, nicht gemildert
werde. Diese Fassung des Urteils steht der Wahrheit etwas näher als das
Dnunannsehe, aber man yermitst doch auch hier einen Hinweis auf die be-
sonderen Verfaaltnissey unter denen die Sdieidung «rfolgte, allzu sehr, um das
Urteil gerecht zu finden. Deshalb erlaube ich mir, liier zunächst einmal die
Akten filn r die £he und Ehescheidung Ciceros und der Terentia vorzulegen;
vielleicht gelingt es uns, auch hier das Unbegreifliche in das Bereich des Ver-
Btändlichen und des Menschlichen zu rucken.
Terentia war ans b« triiterter Familie und besafs selbst ein beträchtliches
Vermögen.*) Genaueres über ihre Herkunft und die Zeit ihrer Verehelichung
mit Cicero wissen wir nicht; doch durl" man vermuten, dafs die I kirnt sjiätestens
etwa im J. 77, nach Ciceros Heimhehr aus Asien erfolgte.^ Wichtig i:it es,
die Art der EheschlieHaung su erkennen: sie geschah nidit durch eine der drei
iltnen Formen der eoirfarreaHOf des ttsus oder der eoen^Üa, durch die die Frau
asmt ihrem Vermögen in die manne des Mannes fiberging, sondern durch
die moderne Form ohne manus, l*« i der die Frau mit ihrem Manne nicht in
Ofltergemeinschafl lebte, sondern ihr V^enuÖgen selbst verwaltete oder durch
ein.'Ti Prokurator, der zugleich ihr Vertrauter und Katgeber war, ver-
üeis. Der Beweis dafür, dafs Terentia diese lockere Form der Ehe tnit
Cicero gewählt hatte, liegt in dvr Summe der unten zn hcsprechenden Brief
stellen, aus denen mit vollster Deutlichkeit hervorgeht, dais Terentiaa Vermögen,
') Ad Attic. II 4, r> {ente HältW April 5»; vgl, Sternkopf, Fleck. Jahrb. 1892 ä. 713 f.^:
Tmntiae «oAu« perspesimu». Quüi quam»? praeter quermm Dodonaeam nihil deaideramut^
fttmfmu JS^MTIMR ipsam pomidere rideamur. Plut. Cic. 8: ipufvt^ rt TfQtvriai rijf yvvaixbf
»(•offjjA'fTo ux'QiüStüv dt'xci . . driiagltov; endlich gehörtf dir Terentia t-in ricux, v^'l Kp.
XiV 1, 8. Woher aber Drumaiui (VI 6'.»."l i Rchliefst, tUUa die einträglichen Uäuaer und
Boden Cieero« anf dem Aventln und ArgUctora d«r Tereatiu gehörten — «ie brachten
jUurlich HOOOO Seflt«ncen ein — , int mir anerfindlicb. Die pnudia dotaHa, deron Rinkilnft«
nach !tfl Affir XV ift, 4 für den jungen ('ici'ifi vrrwcnrlrf wcrflcn «ollen, «iml (Inrh oHVnlmr
lÄuUIiche tiruadstücke, also, wenn sie von Torcutiu und nicht von PubUlia, der »weiten
OcnaUiu dcerOK« herrfllirten, etwa gleiehbed«at«id mit dem oben «rwAhnten aaltiu,
' Tallia wurde im ^therbat «7 mit Piao veriobt (vg^. ad Attic. I 8 fln. mid Stera-
kopf, Cicero? Korrespondenz 6H — GO v. Chr. S T , und narh Kndr (3:5 \v:ir sie verheiratet
i^gl. Cic. Catil. IV 3). War sie im J. 76 geboren, «o war we damab etwa 14 Jahre all,
«M diurefaatts den römischen Verh<ni«8en entaprach.
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176
0. E. Schmidt: Cicero und Terentia.
gesondert von dem ihres Gatten, der Obhut ihres P'reigelassenen Philotimus
anvertraut war. Warum, so fragen wir, hatte Terentia diese Form der Ehe
gewählt in einer Zeit, wo sie zwar bereits sehr verbreitet, aber doch keineswegs
die ausschliefsliche war (Marquardt, Rom. Privataltertümer I 62)? Diese FVage
führt uns auf Terentia« Charakter.
'Das Charakteristische der römischen Frau ist die austeritas, sie ist sittlich
makellos, aber ihr fehlt die Grazie der Griechinnen und die heitere Liebens-
würdigkeit, die das Glück des Mannes ausmacht. Ist sie dabei von altem
Adel oder erheblichem Reichtum, oder verdankt sie auch nur ihrem Manne eine
hervorragende Stellung, so ist sie anspruchsvoll, hochmütig und prunksüchtig.
In reichem Schmucke einherzugehen, Gold, Purpur und in späterer Zeit Perlen
zu tragen, eine Equipage zu halten, Sklaven und Sklavinnen zum eigenen
Dienst zu haben und Handwerker aller Art für ihre eigenen Zwecke zu be-
schäftigen sind die römischen Damen immer geneigt gewesen; und wenn es
gleich zu allen Zeiten glückliche Ehen gegeben hat, so läfst sich nicht allein
aus den stehenden Scherzen der Komiker, die, obgleich den Griechen entlehnt,
doch auch in Rom grofsen Anklang fanden, sondern aus einzelnen überlieferten
Notizen ein Bild einer römischen Frau entwerfen, in welchem herrschsüchtiges
Streben nach dem Regiment des Hauses, unfreundliche Strenge und Bewufat-
sein des eigenen Wertes die Hauptzüge sind.")
Das hier entworfene allgemeine Bild pafst — abgesehen von der nicht
besonders bezeugten Putzsucht — fast Zug für Zug auf Terentia: das be-
stätigt Plutarch*) und noch glaubwürdiger der Ehemann selbst. Terentia
stand also der Geistesrichtung, die für ihren Gemahl charakteristisch ist und
den innersten Kern seines Wesens bildet, der Humanität, fremd gegenüber.
Schon ihre Herbheit und Schroflfheit bildete einen scharfen Gegensatz zu dem
weichen und rücksichtsvollen Wesen des Mannes, der natürlich Milde und
Zartheit auch bei der Lebensgefährtin suchte. Hier war die Basis für zahl-
lose Verstimmungen gegeben.
Gröbere Konflikte konnte die der Terentia eigene starke Betonung ihres
Sondereigens und die Sucht, es zu vermehren, heraufführen'), die gröbsten
lagen in der Natur ihres Prokurat<jrs und Vertrauten Philotimus. Cicero
mufs wohl gewichtige Gründe gehabt haben, diesem gewandten, aber unlauteren
>) Marquardt a. a. 0. I 69 f.
•) Cic. 20: 'Und auch im übrigen tcar sie nickt von sanftem odfr zaghafUm Charakter.
Standern eine ehrgeizige Frau, die, tcie Cicero aelbst sagt, mehr an den Staatsgeschäften ihres
Mantics teil nahm, als sie ihm Anteil an den Familien- und Vermögensangelegeyiheiteti ge-
stattete. Vgl. Cic. Ep. XIV 4, ö. 1, 1 u. 6. Im J. 47 scheint Terentia auch ihren Prokurator
Philotimus auf eigene Faust nach Alexandria zu Caesar geschickt zu haben, um die damal.s
befürchtete Konfiskation von ihrem und Cicero« Vermögen abzuwenden, vgl. Ep. XIV 8.
24 23; ad .\ttic. XI 16, 6. 19, 2. 23, 2. 24, 4.
IMularch Cic. 41: TtQ&rop {ilv yü^ antn{yi^)uxo zt)v y^vatittt Tfptvriav ccfitlri^ti^ i>jT
uvTfjS rta{>u rbv Ttöltfiov, man xul xtbv ävayxaimv itfoiiav iv8(i}s öitoarvelffPat xal ^r^d*
Sxt xurr)(*M' av^ii tlf 'Iruliuv Tv^itv tvyvifiovos . . . dlXit nal rijv olniav xü KtTtiffcafi
V
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0. E. Sehmidt: (Hoero und T«r«iitia.
177
Mannd zu mifatrauen, denn seine Aussprachen über l'hilotimus dem Atticus
Tereotw flbenrorieilt sa haben, viellndit m Chmslen dieees Venndgens, Tiel-
kadit «ber meh auf eigene Bechnung; er betrieb aolehe nnbmtere Manipiü»-
tioneiL bemmdere, wenn ibm Cicero nidit auf die Finger aehen komitei So
•cbreibi Cicero am 15. Oktober 50 aus Athen ad Aitic. VI 2: yta^fpvlc^ov,
si m tanaa, «00 ^pufrfvoo tpikoti^lav (Anspielong auf Philotunus') Namen)
Gvx6xar«: . . procura, quanfiäantnqtte rsf, Vrcdanam hreditatem prryrmis ille ne
atbtifjat. Dices (sc. Philotimo) nummos mihi opus esse ad upjiaratum triHniphi ete.
Am 1). Dez. 5<) (aU Attic. VIT 3, 7) beHchuldigt Cicero den Prokurator
geradezu des Betrugs und beschliei'st, kfinfüg kein Geldgeschäft mehr durch
ihn besorgen zu lassen: De Fhüotimo fadem egpUdem, tU mones. Sed ego mihi
«fr tOo Htm roHene» exapeetabam, quas tAi edidii, venm id fdi^um, quod ipge
m lksaäano me rrfem m commmkariim mea mam wimi guoätpte idm m
Am mSki mn mam aer^pAim äeäilt: id » praettani, qumhm mihi am» tditm
tm Hbi eätdU, tantum et plus etiam ^p&e mUd deberd. Sed in hoc genere, »
modo per rem puMicam Ucebü, nm accuscämmr posthac, neque herade atUea
ntgUgmU's fuimus, sed amicorum multitudine ocatpati. Trotz dieser Gesinnung
ihre.« Mannes gegen Philotimus, die ihr doch nicht verborgen bleiben konnte,
trennte sich Terentia nicht von ihr m Prokurator, und Cicero besafs kein
Mittel, sie dazu zu zwingen. — So war also von vornherein in dem Wider-
streit der hutnanitctö Ciceros und der austerikui der Terentia, femer in der
lockeren Font der übe, die der Terentia eine ibrem Weaen entspredieade
FSiderang ibres Sonderngens ermöglichte, endlieh in dem unlanterm Weeen
Jm in Oeldeaohen xwiedien Mann nnd Fran atehenden Ptrokoiaton Fhilotirnns
die Wonel tie%^«nder Konflikte gegeben.*)
'i Auf Pbilotimas bezieht sich auch eine, wie ich meine, bisher noch nicht richtig? er
kl&rle Stelle, ad Attic. VIT 1, 9: redeamus domum. Diiungere tue ab illo wlo: mirun est
fvftttris, germanu« Lartiäius. Hier wird Lartidius von allen Herauagebem als E^eimame,
ib VuM daea berObrnten ^itabnben, anfgeAM. Iba hat das Wort togar glekli Laertiad»
tetsen wollen. Aber dem widerspricht doch germanut, das einen Oattungsbegriff fordert,
OTid auch der Parallclisniu« rxi qpvperrj?; lartidius int vielleiclit eine Bildung von lar»,
yrmamts larUdms — 'dar reine Lord', dem das Geld zwischen den Fingem zeriinxit.
Q«ade fBr PUlotiBnis iife Gicera mit interenaateB Wmibfldimgeo bd der Baad. Ad Attic.
Xn 61 (44), 8 ist von einer Kriegsflunkerei des Philotimus die Rede und überliefert: Sokt
omnino esse fulvi master M, da? löse ich auf: fulminasUr 'BUtikerl', ein Kerl, der es bUtsen
läfftt, vgl. Vergii, Creorg. IV ö6l f.: Caesar ßUminat hello.
*) Dnunaan hat di«ie «iafWeheB aad Uam TbatMU^en eatweder nicht erkannt, «der
absichtlich verschleiert. Was er über Philotimus sagt, sind mjsteriOse, einander wieder-
Bprecheiuie Anifahen, geeipnet den Leser irrezuführen, während sich doch mit zwei Worten
das Verhältnis dieses Mannes zu Terentia klarstellen Ueüt. Statt dessen sagt Dnuuann
TI MS: 'Fhilotimiu, weldier da« GSeadAft aicht bewwgea nad da« Oeld nicht ▼«nedinea
soIHe, wal Cicero an seiner R*>dlichkeit zweifelte; mehr sagte er nicht (?), da er den Mann
schonen mufste (warum?:' H. 689: 'Cicero entzog dem betrügerischen Philotimus aus
Gründen, welche ihm nicht zur Ehre gereichten (?), die Verwaltung nicht.*
Kot jrsUMsbsK ina l 12
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0. R Sohinidt: Cicero und Terenli«.
Xmincriim war die Ehe (.'ict'ros mit Terenüa, wenn es auch uiclit an
'vorfi'betgaheiideii Yeistiimiraiigcn gefehlt haben nuig, lange Zeit eine glfiek-
Hebe. Cieeroa wnfleB Natardl ertnig die HSrIen der Gattin geduldig, Terenti*
war sofirieden Aber das Aaftteigen des GemaUs bis vom hddisteii Stsatsamte,
an dessen Ehre doch auch sie in gewissem Habe teilnahm'), and Philotimiis
hatte weniger Gelegenheit, seine Einmischung fHhlbar zu machen, so lange sich
die BesitzTerhältnisse beider Gatten glücklich entwickelten. Allerdings bestteen
wir kein Rchriffcliches Zeugnis ans dem ersk-n Jahrzehnt der Ehe, um so zahT
rffehere aus dem zweiten. Das älteste ist eine teilnehmende Aiifseruni: ;ius
dem November an Atticus (ad Attic. I .">, X): Terendio hat nrtje (jcimk-
schmereetif sie liebt Dich, Deine SchtvcsUr und Mutter gam lesomlers utid Ui/st
Dich herzlich grüfsen, ebenso die Meine TuUiaf unsere Wotme. Glückstrahlend
trota ihrer Küzae ist auch die Anaeige der Geburt des jmigen Msreos: Wme,
daß mir tmfar dem EmuMb da L. JMuu Oaetar und de» C Marems F^idm
ein Sohn gimm vorden «si TermÜa lefkM akh imiU.*) Sogsr in der vierten
Catilinaria (§ 3) gedenkt Cicero der Gattin vor dem ganaen Senate: 'Gar oft
lenkt das Bild der geangstigten Gattin meine Gedanken nach Hause.' Und
3 Jahre später (am 20. Jun. 60, ad Attic. I 18, 1) klagt er: So veriasam bin ich
von aüen guieii Frrnnden, daß m^iy^r rivzlge ErJiolung die Zeit ist, die ich mit
meinem Weibe, meiner Tullia und ntetmtn vtV/Jfm Cieero tm^hringe.
Besonders die Trennung iiefs die Flecken an Terentias Charakter in Ciceros
V orstelluug zeitweilig völlig verschwinden und verklärte iki Bild zu dem einer
heilhgaliebteii Fran; das seigte sidi wihrend des Exils ^f&rs 68 bis Angost 67).
Am 29, April 58, als sich dar Verbannte Ton BmndiBinm nadi Thessalmiich
einscihiille, schrieb er an Terentia (Ep. XIV 4^ 1): Wmn diese Zualände dauernd
werden, eo wiU ich Dich sobald als mSglich sdien wnl m Bemm Armen steinten . . .
and am Schlufs des Briefes: Meine Terentia, Du mein getreues und gutes Weät,
und Du meine teuerste Tochter und Du mein Solm, auf den ich meine Hoffnung
setze, lebet wohL In jener Zeit, als die Bauden des Clodius das Haus Ciceros auf
dem Pnlatin niederbrannten und feine herrliehen Villen, namentlich das Tnscu-
lanum, ausplünderten und zerstcuten i , erregte Terentia mit Recht Cicero» Be-
') In Cicero« Haus« wurde in der Nacht vom 3./4. December 63 das FpRt der Bona
Dea gefeiert Dabei geschah e«, dab das sohon erloschene Feacr des Altars plötzlich noch
enunat hoeh «nfflammte. Darin eikaanten die Vettaltinieo ein günstigM Zdehen fBr das
Torhaben de« Konsuls gegen die Catilinarii-r und lit-uufil ragten <!ii> Torentia, ihrem Oenalil
zu melden, daT« ihm die Qöttiii dnreh diesM helle Licht Sieg and ttahm verheitet vg^-
Plat. Cic 20.
*) Ifitteht dner willkftrlicheii Ibtertwetatioii wird in den Ausgabe diemi BriefdieB
ins Jahr 65 gesetzt, and demnach gelten die genannten Konmhi, die im J. 64 amtierten,
hier als deaignati. Auf dip^f Anslef^ung ist man fjfkommcn, ■wfil die folpond«')! Rätzc d<">
Briefes ad Attic. I 2 sich allerdings durchaas auf das Jahr Ou beziehen. Daraus folgt aber
laehMB Braehteni mir, dab in ad AUac. I S na« S ftlieh verdnigte Briefe Toriiegenx di«
selbctindige Geburtsanzeige bis zu den Worten saha fermUia (ad Attie. I t) nnd der mit
Ahs te iam diu yuhil litterarum beginnende RnVf ad Attic I 'Ja aus dem Sommer C6 v. Chr.
Als Uebori^ahr dea jüngeren Cicero hat demnach 64 v. Chr. zu gelten.
■) Cie. pro Bett 64; pott r«dit 18; Ascon. p. 10 etc.
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0. E. Sdunifli: Cie«M und Tereatia.
179
wunderunp; durch die männliche Entschlossenheit, mit der sie die Trüiumer
seines Venuögens und ihre eigene Habe zu rettou suchte. Sie flüchtt-te mit
ihren Kostbarkeiten zu den Vestalimieu, mul'ste es sich aber gefallen lassen,
4ls m vor da« Tribunal gefordert wurde, das an der tabula Valnb, emam
WndgeiBllda der Com Hoatilia, gelegen war, vtmntlich um flir BoeitBrecht
in dm gnetteten Gegenatinden naehanweiaen. Die airtUehaten Eoaeworte werden
ilir fifr daa, waa aie geduldet bat und waa aie auf aicb nimmt, an teil: «nea
kUf mtum desiderium . . . tnea mta»') Tor allem aber besebwort sie Cicero,
ihre tut» Glesnndbeii zu schonen. Tag und Nacht steht mir Dein Bild vor
Av{}en: ich sehe es, icie Du nUe Beschwerden auf Dich nimmst, ich fürchte, äafs
Du es nidä niishältst. Mit derselben Wärme spricht sich < 'icero gegen andere
über Terentia hus, so z. B. gegeti s« i:ien Bruder Quiutus {hd Quint. I 3, 3):
Ick habe nidfi vinnud du: lififLedutuj meiner tiefunplüekliehefi . getreuen Gaftin
mgenmmen, damit es- jemanden, in liotn yebe, der die Trümmer aus unserem
SddffbmA «Nti mtere gemmmamm Srndar leatMitm kStmie. Dieaea aehSn«
TeiUlfaiia Cioeroa an aeiner Gemablin blieb, wie die folgenden Briefe dea
UV. Boehea beweiara, trota ▼«nrObagdiender Trftbongen beatehen, bia weit
über die Zeit binan^ in der man Im ima die ailbeme Hocibaeit an feiern pflegt
B«i der Heimkehr ans Cilicien im J. 50 soll ihm aeine süfse und heifsersehnts
Tavrüia bis Brundisium enigegenreisen'*); ebenso Bpricbt rührende Sorge f&r
Tereutia aus den Briefen XTV 18 und 14, die Cicero nach Ausbruch des Bürger
kriej^ am nnd 23. Janiinr 4!^ von Funniae und Mintumae aus geschrieben
W; dieselbe (arsmnung üudeu wir in Ep. XIV 7 vom 7. Juni 49, dem Briefe,
lu dem er sich vou Terentia und TulHa bei seiner Abfahrt nach Osten zu Pom-
pejus Terabschiedet. Ja dieser Brief enthält sogar einen zwar kleinen, aber doch
Mfcr ebarakteriatiaelien Zag Ten aarter RflekaiditnAhme auf Terentia, anf den
■nwidiiigia Scbneidewin*) anfioerkaam gemaebt bat: Cicero hat aicH Bngat von
dnn Baiven Glauben an die 'GOtter* nnd von der 'bürgerlichen Religion* dea
Biba*) nur philoaopbiadien Anachanung der Gottheit anfgeecbwnngen, nidit
80 Terentia. Wom nun aber Cicero, von schwerem ünwoblaein durch ein
Gallcnbrechen genesen, Ep. XTV 7, 1 acbreibt: xol^v ßxQarov nocAi eirci. siatim
^ta sum levatus, ui mihi drus aliquis medicinam fedssr rhiratnr, cui quidem tu (iff>.
^emadnwdum soUs. pie et caste satis facies% m nimmt er in zarter Weise auf
den religiösen Staudpunkt seiner Gemahlin Rücksicht.
Aber es war auch das h'tzte Mal, dals Cicero mit so ziirtliclier Empfindung
■a seine Gattin schrieb. Der nächste uus erhaltene Brief, Ep. XIV 6 vom
15. Juli 48 aus Dyrrhndiium, zeigt TfilUg Texindttten Ton. Oft fehU
aa «aem SHrfbdm, oß an Stoff' sum Sehnibm. Aus Deinem laMoi Bir^e
') E)t. XTV 2, 2 vom 5. Oct. 68 auB Thessalomeh.
*) A. a. O § 2 u .1. »; Kp XIV 6, 8.
Die antike Uumaaität 8. 182 f.
*i Vgl SSeliaild, Cieero im Wandel der Jabrlniiiderte 8. 80 t
*) Vgl. damit Ciceros ÄuTBenuig Ep. XIV 4, l: quomam neque dii, qms <i» eaatiuim
<oMai, MgiM JkOMiMMt, piAw «go etmper mvioi, nobte grulMm nUtiknuU.
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180
O. E. Sdinudt: (Scam und Taiiotia.
ersehe ich, dajs suh keim imirwr Landgüter Jiat verkeuifm lassen. Deshalb seht
SM, wie der befriedigt tcerden kann, dessen Befriedigung ich, wie Ihr tcifsi, bringend
ietttudte. Wenn ThOKa I>w' Dank sa^, m> vmnderi mSA nidti, daß Dk JKA m
um sie wrdieiü madui, de^ sie Dir fSr em «pMUuA«» VenUeiui Datüb sagm
Jumitey) SdUe FoUex nodk mtkt äbgenisi mm, w keibe ühN Mäigsi äasu.
Sarge für Deine GesmdheiL Am 15* JuU.
Jedor Unbe&ngene wird mit uns erkennen, dafs dieser Brief aus einer
«i^nz anderen Gesinnung Ciceros gegen Terentia geschrieben ist als alle früheren
Briete: an Stelle der Warme ist Kalte, an St-olle der Liebe und Verehrung ist
kaum verhüllter Tadel und nur selil<H-}tt versteckte Irt>nie t^etreton. Und es
handelt sich dabei iiitht um eine augeiibiickiiche VersÜLumuug Ciceros, sondern
dieser frostige Ton bleibt nun durch alle Briefe bis zum £ude der Korrespondenz^
die demnaeh in ewei ganz verschieden getönte Hälften (a: XIY 4. 2. 1. 8. 5.
18. 14. 7 und ht 6. 12. 19. 9. 17. 16. 8. 21. 11. 15. 10. 13. 24. 23. 22. 20) mt-
fiUlt.*) ^t sich etw» Gieeros Ghurakter 90 |£h vetSadert? Dm ist nidit ao-
xnnehme&y da er dodi in smner Oenrnnrng gegen SMne Kinder, die Freund^
gegen das Vaterland nach wie Tor dieselbe Humanität bethatigte. Also mufs
er wohl schwerwiegt'ude Gründe gehabt haben, gerade der Gattin gegenflber
sein Verhalten so auffallend zu ändern. Leider reicht das uns in einzelnen
brieflichen Andeutungen überlieferte Material nicht aus, um mit vollkommener
Sicherheit alles das festzustellen, was sich damals kältend und trennend zwischen
ihn und Terentia stellte, aber es genügt doch, um zu erkennen, auf welchem
Gebiete die Vergehungen oder sagen wir lieber die gegen Terentia erhobenen
Beschuldigungen lagen: es handelt sich um Geld und Gut, um eine eigen-
nfitzige Ffirsorge Terentias fflr das eigene Vermdgen und eine dabei
hervortretende Hersiosigkeit gegenfiher der finanBiellen Not des Ge-
mahls und namentlich gegenüber der unglficklichen Tochter TuUia.
Diese war mit Dolabella verheiratet.') Diese Ehe, die dritte Tullias, war im
wesentlichen das Werk der Terentia; Cicero wurde von der Verlobungsnadi-
') Dieses Lob : ^itod nostra tibi gratUu agit, id ego no» miror U mcrert, ut ea Ubi merito
liH> groHa* og&f fouH iit wobl vom VetÜMMr dei Brirfei absiehllieh auf Sduraabeu ge^
■teilt worden und soll natürlich das Gegenteil ansdnicken: den starken Zweifel, daf«
Terentia wirklich 7.\\ TTilHas Gunsten gchiindL-lt hiUM- Dor Gedanke Oicpros würde eigent-
licli so lauten: <^uod nosim tibi gratüut agit, id ego iwn nuror: iliud miror U meren, wt m
Hin mtrÜ» tue ^atin agere poBtit, U(i^dli«rwena lelirieb aii^ CksM m> und die Stdie
ist durch falsche ZiMMnmeinielnmg veEdeibea, wahwchehtlfoher ist mir die abdehtUohe
Geschraubtheit.
Man vergleiche namentlich Kp. XIV 12, gescluieben bald nach Cicero« Rückkehr
nach Italien: Wmn Du DiA firmut, daß idt gumtä naA Italien gdboatmm Mi, «» wt$u(ke
ich, dafk Deine X^rmde dauere. Aber ich fürchte, dafs ich, sciimerelieh betrübt umd bdeidigt,
etu-as unternommen hnftf , tcns ich nicht leicht durchführen kann. Deshalb untfrstütre mich,
totcctt Du kannst; wie Du das aber könntest, das fällt mir nicht ein. Dich xu solcher Zeit
imf die Jttte (nach Bnudiiiiiin) n» nocAeii, in hrin Jnk^i die Beiee in lamg mmI gifSkr-'
KÄ, itmd «dk «eibe meltt, «nm mir Deine Ankm^ nätten kännte. Lebe wöU. Bnmditinm
am 4. Nov.
Vgl. meinen Aufsatz 'TuUia und Dolabella' in Flecketsens Jahrb. 1897 8. 696— 000.
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O. B. Sebmifltt Geaeo veaA Tenntia.
181
rieht Hin 3. Augiist 50 in Sida fibeiruschi^l: doch er seine Einwilligung,
in der Hoffnung, der h'ichtfertigc .Jüngling wt-rde sich zu einem tüchtigen
MantiP abklären. Schwicrigkt}it4^u bereitete sofort nach Ausbruch des Bürger
icricgs die Betichafi'ung der festgesetzten Mitgift, die in mehreren iiaten gezahlt
werden sollte. Dieses Geld war nötig euunaly dunit TnUi» selbst die nStig^n
Sabiisleiiziiutiel liabe, sweiteiui, um ihr nicht Verlegenheiten Ton eeiten des
GesBshls m bereiten. Trotsdeoi hatte sieh Twentia in Abwesenheit ihres Oe-
asUs erlsaht^ e%enmSchtig 60000 Sesterzen ftr ihren eigenen Bedntf
zunehmen. Deshalb sah Cicero mit hangtr Sorge dem 1. Juli 4^^ entg^n, an
dem die zweite Rate der Mitgift fällig war.') Er schickte auch ein liesonderes
Mahnschreiben an Terentia dureh Pollex, alle vorhandenen Mittel sollten für
TuUia verwendet, unter Umstanden eines seiner Güter verkauft werden.') Aber
gut« dem Schreiben Terentias, auf das der oben mitgeteilte Brief Ep. XIV ü ant-
wortet, war hervorgegangen, dafs sie oder ihr Prokuratur Philotimus wiederum
TuUia nieht in der von Cicero gewOnscfatem Weise nnterstfitst, sondern den
agSDsn Vorteil höher gehalten hatten. Unter dieser Voranssetaang verstehen
vir erst die bonie, die in dm oben ftbersetaten Worten Aber Terentias 'Ver-
dienste' vm ToUia «ithaUen isi Aber das nmnlltterliohe Verhalten gegen
Tullia in Sachen der Hitgift war nicht der einzige Vorwurf, den Cieero gegen
Terentia erhob: er selbst anch entbehrte in Kpirus wie in Brnndisium
der notigen Snbsistcnxmittel, ohne dafs Terentia •'inLM-iff': so mufst« er
sich 70(KX) Sesterzen vom Gutsverwalt^r des Atticus boi </> n H.i p fwechsel S. 189}
lind konnte verwundert fragen, was denn eigentlich aus den Einkünften seiner
1-iindgüter werde.*) K^klamierte er aber eine bestimmte Summe für sich, so
mulistc er sich einen eigenmächtigen Abstrich durch Terentia gefallen lassen.
Am 6. Angost 47 hören wir ans Bmndisinm folgende bittere Klage ^): MU
Temäa — kk laue oMe die iibrigen uiuSM^em JMxgen hei Seile, die iA gegeik
*) Bpw ni IS, 9: JS^ vero veUm mihi Tuüiae(pie mmt . . . pn^pere mwmn« ea, fium me
meitftte facta amU a mein. Vf?l ad Attic V '.'1 11
*) Ad Attic U 8, 2 (Mitte März 48): De doU quwl srribü, per omttes dws ie obtesUyTf
«f Ms» ma tmeifiM et «Beia «MMitM» «wa «a^ et negUgentia iiuare meit opibug, si qua»
«Ml, Ihm, fuAm übt moUttum mm 0rit, flunUtMmtf eiU qmdem deane omnia quod scriUit,
ptiH'cw te Höf« pati; iv fjwm mim mmptm abanU /ru-rtus prardiomm? Tarn (IIu IfS LX qtuu
Ktibui nemo mihi unquam dixit c.c dutc t»>ie dftracta; numqmm enim esacm pasaus. Oed hatc
mmwm td ex ü» immiit, quaa accepi, de qu^m ad U dolor« d hermii »eribere peMbeor,
€idpa, deren rieh Cicero hier selbst anklagt, bestand wohl darin, dafe er dem Pom-
pqTis eine grofse Summe geborf:ft 'O. E. Schmidt, Briefwechsel CicProB S. 188 f.), die ruglegentia
darin, dafs er im Vertrauen auf die breue Fürsorge der Qattin ihr wohl auch die Verwaltung
•anM eigenen Vermögens wfthrend der Zeit sdner Ahweianheit mit Cberixtgea hatte. Die
im litstea Sstae gensaateD iwiariae ktaaea aar «nt Tenntia «ad ihrem FMkarator Fhüo-
tisns auct^-'p^'n^rn sein.
*} Vgl. 0. £. Schmidt, Briet wech«el Ciceron S. im und Ep. XiV 6: FiMicem, si adhuc
NOH profectm^ qyuan primum fac ejdrudat. llaa darf an dieier Stelle sdUMiben, dafr
Folln« der ad Attte. XI S aa Attiois flbecbtaebte« auch einen Brief an Terentia bei sieh
lUirte, der noch vor dem 1 Juh' in Rom ointraf
<} Ad Attic. XI 2, 2. Ad Attic. XI 24, 8.
183
0. JS. Sofamifit: GSoero und TarentU.
sie erh^ten Jcönnte — hat es jetzt den Gipfel erreidd. Du Jiattcst mir geschrieben,
ieh aoUie mir (in Brundisiiun vom Bankier) IMOOO Sestersm gAen lasse», somd
dm BSbergeU übrig. TermHa aber hd (dem Bankier) Mir XOOOO ge-
sdtidd und erüärt, nur soviel sei neck da. Wenn sie mir nm m läeinm sogar
eine so Jdmsfe Summ härtt, so hegrmfA Du wtOdf im» ns es tm großen gebriAen
hat. Eine dritte Reihe von Vorwürfen knüpft sich an Tereatiea Testament.
Sie entstammen aber einer Zeit, in der die Entfremdimg svisclien beiden Gatten
schon eingetreten war; sie haben also die Kluft nicht geschaffen, sondern nur
erweitert. Eine schwerere Erkrankung Terentias im Juni 47 (Ep. XIV 8; 21)
legte den Gedanken nahe, wie Terentia ^■^vf^r den obwaltenden Umstanden
testieren würde, vgl. ad Attic. XI 16, 5: Exircinnm est, qnod te oretn. si jmias
rectum os&c et a le mucipi posse, cum CamiUo comtnunices, ut TeretUiam nioneatis
de kstammto: tempora monent, ut videat, ui saHrfaeial guibu» debeL') Audiiim
ex JPMhtim est eam scetenUs gmedam facere. Oredibäe vix est, sed eerk, si quid
est, qnod fkri possü, promdsniinm est. Ale Cicero diese Worte am 3. Juni 47
eehrieb, war FlulotiBiiie nidit bei ihm, wie man nach dem iwdiihMi es PWfetfMNO
Teimatea Mnnte^ aondem in Asien; Gieero hatte also die Nachricht eam scdercUe
quaedam facerc entweder viel früher von Philotimus erfahren (Ciceros Brief-
wechsel S. 228) oder durch einen Mittelsmann. Worin bestand das 'Verbrechen*
der Terentia, das sie in ihrem Testamente plnnf«'? Wir sind auf blofse Ver-
mutungen angewiesen, jedenfalls aber kann man sagen, dals sie wahrscheinlich
ihre und Ciceros Kinder Tullia und Marcus gar nicht oder doch nicht in erster
Linie berücksichtigen wollte. DaTs sit; ihren Eukül, den kleineu Lentulus, deu
Sohn DolabeUas nnd der TuUia, spater bevorzugte — im Sommw 47 war er
noeh gar nicht geboren kann man vielleioht ans Gieeros Wortnt in ad AttieL
xn 18a achlieben: Ikibo mesm testamenkun legendum eui vduarit; inteU^ non
jwliMMe konorifieenOua a me fieri de nepoie, quam feeerim. Im Jahre 47 konnte
es sich nur darum handeln, dafs Terentia Tielleicht Glieder ihrer eigenen
Familie vor ihren Kindern bevorzngen wollte. Überdiea hat Cicero, obwohl
er che Verhandhing über das Testament durch Attiens nnd Camillus eröfliien
liefs, doch auch selbst der Terentia seinen WiUcn kundg<>than, ziirrs't T^p. XIV 21:
Da operam, ut convalescas.^ Quod opus crif, ut res tempusquc postuiat, promkaa
atque adminuitres etc., dann mehr indirekt Ep. XIV 11: Graviore etiam s%tm
dolore adfectus nostra factum esse neglegcntia, ut kmge cUia in forUina essei
(Tnllis), atque eim pisbas ae d^fnitas poMkAat, £p. XIV 15 (fom 19. Jnm' 47):
Quid vdimus et qmd hoc tempwe putemus opus esse, ex Sicca poleris cognoseere
und endlich Ep. XIV 10 (Tom 9 Juli 47): Qunä fieri placeret, seripei ad Farn-
') Diese Worte hat Boot falsch t>rklart 'quemadmodom creditorilius sui« colvat'. Dm
debet bezeichnet hier eine moralieche Verpflichtung, für die Kinder Tullia uud Marcus zu
sorgen, vgl. ad Attic. XI 26 fin., wo er eine AuseinandetsetKung aber die Notlage der Tullia
mit dea Wtwieik absefaliebt: Haec eliam, si viddrihtr, eum TerenHa Utpure, «rfwMMt opporUtne
(t. S. 183 Anm. 2i.
* Mnnen Erachtens iDterpoogiert iuer MoidelsMliD falsch, wenn er aaeh coMvakaeot
nur ein Konuua seist.
j . d by Google
0. fi. Solmiclt: Cieero und TcMBtia.
188
p(mmm serius quam oporiuit: cum eo st locuta eris^ inteüegeSf qmL fieri vdim;
oferUm MnK awhmoin ad «Umim darifmnm, iHcene mm /ML
Was Cioero mit diewn Worlan meiiite, ergiebt neh «u dem «mig» Tige
frBb« (am 5. Juli 47) an Attieos gwehriebenen Briefe XI S5, 3: Qmd ad I»
iam pridem de ttttamento scripsi, * * apud aliquem, cuius fortuna extra periculum
tU, vdim tU ponU admvan.^) F^o huim miserrifnae (sc. TuUiae) facuitate confeäa
cmfltäor ... Te oro lU in perditis rebus, si quid cogi, canfici potest, quod sU in tuto,
ex argento atque satis tnidta ex supellectile , df^ opprnw : iam mim mihi videtur
adesse extrcmtim nec ulla furr conditio jmis eaqin . 'iu<u: s'inf, rhiim shw adrersario
perihtra. Uaec etiam, sl tnd<hitur, cum Tvrmtid loqmrf'. uinuuu iq^pot iuac' i. höh
ijpieü i/mtüu saribere. Cicero wiluscht also, Jaih Tereutiu zu Uuuäieu der Kiuder
UH/isuBf das Testamttit aber tmd wohl auch die bewegliche Habe bei ttnem
Ibune aiifhebe, dessen YermSgen wedmr durch Konfiskation noeh dordi die
Bandm des Dolabel]% Trebellins oder Antonios bedroht ist Ebenso soU Atlkas
das siHienie Gerät vnd den kostbaren Hnnsrat Cieeros an sieh nehmen, ehe
Ciceros HauB von den genannten Banden, deren Unruhen tmd Kämpfe gegen*
einander bis in dun Herbst fortdauern, geplündert werde (vgl Lange, BduL
Altert, in 431 f.).
Was das Ergebnis allor dic-^cr V»>t l aiidlungen und Mahnungen in betreff
des Testamentes und der VermögenseriiHltung gi'wcöen ist, wiaäcn wir nicht.
Charakteristisch ist aber doch das tiefe Milstrauen Ciceros gegen Terentia, das
80wohl aus ad Attic. XI 25, als aaoh aus dem in der Anmerkung aitierten
^«fe ad Att XI 24 spricht Atlicus, dem in Bom Termüas Gebarra und
QeichiftsfShnmg vor Angen war, seheint dieses Ißfetranen g^tfnlt an haben. Es
macht nneh ein«i sonderbaren Eindroek, dafe CicMO in dem frostigen Billel^ mit
dem er der Gattin seine bevorstehende Übersiedelung auf das Tusculanura an-
letgt, ansdrficklich von ihr verlangt, dafs sie dort eine Wanne im Badeiimmar
tmd tcas sonst für Leben und Gesundheit nötig sei besorge (vgl. XIV "JO, vom
1. Okt 47). Cicero hat bei seiner Rückkebr ^Mu-h Rom nicht nur seine Ver-
mogensverhältniflse, sondern auch seine Villen und sein Haus in desolatem
Zustande vorgefiinden. Terentia mnf» ihm geradezii Geld, Gut und Hausgerät
rerontreut habeu. Das ist der Siim einer zwar knappen, aber doch beredten Aus-
*) Die Überliefenmg hmtei allerdingB ganz anders: apud epUkku itdim jmwmh cn(>
irrsiiM Aber hinter djNld ist, Mrie ich iiH iiu', eine halbe oder ganze Zeile ausgefullen, in
epistolaa steckt r-rfr,i prricnhm ttit und die Er^'Iinzung ist vorzunehmen nach ad Attic. XI
ti. 2: Vide ^taa^o eiiamnunc <ie Ugtamento, quod tum /actum est cum iUa (Terentia; ruere
(/pumn M mav O. E. Sdunidt) eoeperta. Kon, endo, U eonwowt fwfiie emei rogavil ne me
fuidem; ted qwui iUt titj qttoniam in sermonem iam venisH, poteris eam monere, ut nlicui
tommiti»t, cuiu^ extm pericnht m hnius InUi fortnn-i sil. Equidem tttt jWtMtt'WXm
mIhn, ri idem ilia t^'I uliia» vtht, quant quuieia cclo miseram me hoc timere.
'i loquere tu opportutu M, ebemo aUe Ausgaben; aber der sweifelnde Znsats «> «HleMhir
viderffpricht doch dem loquere opportune; der Erfolg Ufst sich doch nicht befehlen, und
tu ist vdUig überflüssig. Wiihrächeinlich ist tu aus einem misverstandenen Siegel ftlr utimm
entitandea. Der leise Zweifel am Erfolge, der in utinam opportune liegt, pafst vortrefflich
■nf die Sitnation.
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O. E. Schmidt: Cic«ii» «nd Tarentiik
Bpnche gegen den Cn. Flaneiiu. Dieser lialAe ilun lu Anfung des Jalirea 46
SU seiner sweiten Ehe mit Publilia Glfick gewOnsclii Damnf erwidert Cioero
Sp. IV 14^ 8: Wum D» wir jw dem, was iA ffeOum habe, GWek wimsi^at, w
weiß ich tcofd, daß Du es gut memst. Aher ich wäre sidnuUck M «wer so un-
^likMichen Zeit nicht auf eine neue Verbmdmig bedcuM gewesen, wenn ick nidU
hei mcimr liikJcJcdir mein Hauswesen in ebenso schlimmem Zustande angetroffen
hätUt wie dm Staat. Denn gerade- difjmigen, denen mein WM und me-in IVr-
mögcn wegen der zahllosen Wohlthalen, die icii iiinm erwiesen iialm, am teuersten
iUütc sein soüen, Juihen es durcJi Uite verbredi&rische Handlungsweise soweii ge-
brachtf daß mir in meinen vier Wänden nkkts mäur «ufter, ntc^ mAr nn-
gefahrdd war. BeskaXb Raubte iek miok dim^ die Treue eines neuen EMbmdes
gßffm die ünireue des aUen sMgen jn» nmeten. Bin seharfes, eiber wohl nicht
gsoa unbereehtigtes Urteil Ulber Terentb und FhilotiniQB! (V^ & 176 Anm. 3.)
Wie war es gekommen, dafs Terentia, ehedem die fhetbiflige Erhalterin des
Familieiigutes, jetzt als die Verwfisterin von Ciceros Verminen eraobeint?
Ich glaube nicht, dals Terentia in ihren rtnferen Jahren einem plötzlichen
Hang zur Verschwendung erleben ist; sie war wohl vichuehr darauf be-
dacht, bei den schweren Eiubulscn, die üur und Ciceros Vermögen durch den
Bürgerkrieg erlitt, vor allem ihren Besitz zu öichem und zwar auf Kosten
des Gatten. Phüotimus war dabei, wie es bcheint, ihr büäcr Dämon. 'j Aber
die Charaktergnmdlage, auf der sich ihr selbstsfichtiges, ja betrügerisches Ver-
ehren entwickelte, war doch eben eine €msteriiae, die die Selbetiherrlicihkeit des
Weibes und das VennSgen fÜm das Glflek des Gatten und der Kinder stellte. —
Das ist ei^ was sich aus den Akten herauslesen lalsi. Natürlicih geben sie
nur ein einseitiges ffild. Um awisdien den beiden Gatten den richtigen Stand-
punkt einzunehmen, müfste man auch Terentias Gegenrede hören: sie würde
vermutlich ihren Gatten einer schlechten Wirtschaftsführung bezichtigen und
manche üirer Mafsii ahmen würde in etwas milderem Lichte erscheinen. Aber
bei dieser Sachlacrt k.i m man doch nicht sagen, da£B sich Cicero 'ohne be-
sondere V crauiaääuug von ihr getrennt habe, oder gar, dals die Scheidung
'eine Sdbande' für Cicero gewesen sei. Wer wül denn behaupten, dafs die
Scheidnng nicht aaeh der Neigung Termtias entsprochen habe? Wenn ihr aneh
Cicero den 8ch«debrief schickte, die Situation, die dam führen mnCite, war
doch groJjMiteils durdi Terentia geschalbn wordm. Freilieih wire ee edkr
gewesen, wenn Cicero nach 30jShriger Ehe non auch noch den Rest des Da-
seins neben Terentia ausgeharrt hätte, wie es unser christliches Empfinden ver-
langt. .Vber Hchliefslieh mnfs doch jede Zeit mit ihrem Mafsatabe gemessen
werden: bei der aügemeineu Lockerung des ehelicken Bandes in seiner Zeit
*) Im Jahre 47 hatte Tereatia (vgl. S. 176 Anm. H) diesen Philotimus uttch Alexandrien
SU Cmmt getehiekfc; er brachte «iain gOastigea Brief Caesan u CSoero mit, der ihm die
EThaltimcf von Gut und Rlut garantierte. Es könnte zu Gunsten TerentiM sprechen, dafs
■ie ihren Prokurator mit dieser wichtif^n Mission betraute, wenn man nicht den Neben-
gedanken hegen müfste, dafs es ihr in erster Linie dabei um die Sicherung liires Besitzes
«n tiran gewesea sei.
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0. E. Scfaniidt: &CUO and T«MBti».
185
spricht äcliou die lange Dauer äeiuer erateu Ehe uiid die Fügsamkeit imd Ge-
duld, mit der er dreifsig Jahre lang die Hirten eeiner Gettiii etüngy »i eetnen
OnnateD. Audi lodrte ihn nicht ekmz ein 'Johennislrieb' m neuer Verbindung^
•ondeni ledi^di die gebieterisehe Not: die FOreorge fBi eeinen Ruf — denn
«r elend yot dem Benkeroli — und die Liebe m eeinen Kindern. Seiner
TuUia glaubte er die Mittel zu standesgemärsem Leben in Boin, ennem Sohne
die Mittel zu einem Studienaufenthalte in Athen gewahren mflseen. Über-
dies verfuhr Cicoro auch in der Konflikt.szoit gegen TiTcntia mit i-iner gewissen
Köcksicht. Er fTppivrte ihr harte Yor^vtlrfe, er hielt es für schimpflich, seinen
Sekretären Einbluk in seine scklimmen ehelichen Verhaltnisse zu gewähren,
deshalb verschweigt er in den Briefen an Atticuü vieles, beschränkt sich auf
Andeutungen') oder schreibt mit eigener Hand. Er war auch bei der Scheidung
nidit gleichgültig, wie Sdineidewin S. 180 mit Unrecht behauptet^; yielmehr
bewehrte er der OemnUin eeiner Jagend ein wehmflt^{ee Andenken, wie es
nemeBtUch in den Briefen ans dem Jehre 45 nur Breeheinnng koniml^ be-
londert ad Attic. XU 27 (22), 1: Wenn Du mir die ganze Last i» Verhandiung
mit Terentia outfbürdest, so erkenne ich darin nit^t Deine sonst gegen mich geübte
Nachsicht: denn das sind gerade die Wunden, die ich ohne tiefes Seufeen nicht
berühren Jcann. Endlich begleitete ihn die Soriro dar\un, dafs ihr die Mitgift
in zuTorkommeader Weiae heraoagezaliit werden solltei bis nahe an sein Ende').
>) Z. B. ad Attic. XI «6 Ib.
Schneidewin hat die Worte Quod 9enbi$ TerenHam de (^mignatoribus mei tettametUt
hqtti, pn'mum tibi per.madc mf intn/T non curare ne/iut CKtf qnicquam aut pnrrae atrae aut
novat loci einemits au» dem ZusammenhaDg des Briefe« ad Attic. XU 23 (Ida;, 2 heraus-
fwiiMii, mimntiU in lUacib« Beleabhtiaig gvrtdrt. Sie bosieheB sieh aidit auf di«
Bdieidtmg, »ondera anf den wuh mwb d«r Schddiiag nod» forttbncrndeii Streife um das
Teitament beider Gatten.
*) Ad Attic. XVI 6, 3: Terentiae vero, quid tgo dicami^ Etiam ante diem, M jM)tea; vgl. 16, 6.
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DIE SOZIALE DICHTÜNa DER ÖBIECHEN.
(FortMtsang und Scblob.)
Von BOBBRT FÖHUunm. *
An littinunscher BerttbmÜieit ftbem^ fireilicli diese gsiue Litteniur ein
anderer Kosnan aue derselben Zeit: Die *heilige Chronik* Jeiwypa^pif^
worin Euhemeroe von Meeeana seine lunwabenden Ideen tber die 05tler-
welt und Aber die bürgerliche Gesellschaft niedergelegt hat; ein Werk, das
anch für uns eine besondere Bedeutung besitzt, weil es der erste Staatsronian
ist, aus dem uns die Tradition eine Schilderung der wirtsehaftlidieB nnd
sozialen Rechtsordnung erhalten liat.
Euhemeros erzahlt, dal's or auf einer der grolsen Keiscn, die er im Auf-
trage seines Freundes, des Königs Kassander von Makedonien, unternommen, von
dem 'glücklichen' Aiabien aua-j in das südliche Weitmeer verschlagen worden
und nach vieltägiger Fahrt zu einer Gruppe von Inseln gelangt sei, deren ost-
liehste, Fanchla» Indien so nahe lag^ dafs man von ihr ans das indisdie Feslr
land erblicken konnte. Hier hauste inmitten einer fippigra Natur ein (^ück-
seliges Volk unter der Herrschaft einer priesterlidben Aristokratie, die in dem
heiligen Beoirk des pracfatroUai Zeilstempels, secbsig Stadien von der Haupt-
stadt Panara entfernt, zusammenwohnte.') Diese Priester hatten die oberste
Entscheidung in allen wichtigeren Angelegenheiten des öffentlichen und privaten
Lebens, wenn auch neben ihnen weltliche Beamte, ja sogar Könif^c genannt
werden/) Was die soziale Organisation des Volkes betrifft, so erscheint
*) Es ist uDibegreiflkli, dab Eleinwtchter in letner Gewfaiehte der 8taataM»iMne da«
Werk des Euhemeros nicht einmal nennt. Auch der Verfasser der 'Schlaraffia politica*
(1892) ^ebt nur eine kurze Andeatong, keine geaduchtUche Wflrdigaiig des hier dar-
gestellten Gesellachaftsideals.
*) Es ist das heutig« Temen, das in Aleianders Zeit jenen, thaUAcUidi gaas nnm-
treffenden, Namen erhielt, weil sich an diese für Alexanders Flotten noch unzugunglichco
Kflsten die alten Vorstellnn^n von dem glücklichen Land am Südrand der Erde aasetMn
kooateo, wie £. Schwartz (Oriech. Korn. 8. luij richtig bemerkt hat
^ Ober diese noveHistische Btnkleidiuig s. Kohde 8. MO ff. vnd Sehwarts 8. 109 f.
*) Diese sind allerdings nur Teilfürsten. Doun die bedeutendste Stadt, Panara,
die unmittelbar unter der Pchut7.h()lieil des Zeus Triphylios steht, bat keinen Könip,
sondom drei, jährlich neu erwählt«, republikanische Pi^ideuten, 'Archonten' (Diodor
V 49). — Wie sieh Euhemeros das gegenseitige Terhlkltnis und die Kompetenaen dieser
verschiedenen Gewalten dachte, wird nicht recht klar. Nur von den Archonten Panaras
heifst en, diiri sie alles selbstiLndig entscboidcn, und blofs das Wichtigsti', z R das U«cbt
über Tüil und Leben, den Priestern vorbehalten sei. Über die Stellung der letzteren zu
d«n Königen eriidiren wir ans Diodor gar nichts.
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B. PdUnuuui: Di« ioiikle IMchtnag der QneehMi.
187
es nach den verschiedenen Berufinweigeii in besondere (korporativ oirgaui-
nerte?) Abteilungen gegliedert Neben dem Prieetortom etebt ab sweite sdb-
ifindige Kteeee die d«r AdEerbaner, ab dritte die der Kri^$er. Eine Gliede-
mngy dM — rein änüeerlidi betreditet — eine gewiaae Ahnliehkeit mit den
ständischen GreseUschaftsordnnngen des Orients zu haben scheint, in Wirklich-
keit aber schon darin eine gaoa abweichende Tciulcn/. zeigt, dufs sie dem Nähr-
etand keineswegs einen niedrigeren Rang anweist, als dem Wehrstand. Auch
sonst kommt in Panchaa die Ehre der Arbeit in hohem Mafse zur Ocltimg.
Die Vertreter der Künste und Handwerke bilden eine Unterul)teilung der ersten
Klasse, stehen also in gewisser Beziehung unmittelbar nel)cn den Priestern.
Ebenso ist bezeichnender Weise derselben AbLeüung, der die Krieger au-
gdioren, eine wirteehaftlielie KJassej nämlich die der Hirten, zugewiesen,
die also g^eieh&Us eine dnrehane geachtete Stellung einnmimt.*)
NSheree Aber die Organisation nnd das gegenaeit^ YerhIltDis dieser ver-
sdiiedenen VoIksalitMlangen erfikhien wir nicht Wir sind eben nur auf den
kmen imd nichts weniger als geschickten Auszug angewiesen, den Diodor in
seinem Gesdhichtswork aus dem Roman gemacht hat. Immerhin läfst schon
dies Wenige erkennen, weleh ein Geist in dem Verfassungssyst^ in des Ideal-
Ftaats des Euhenierns waltet. Dai's der Autor einem Staate, den er in den
indischen Orient verlegt, Institutionen zuschreibt, die an Braelimanentuni und
Kastenwesen erinnern -j, lag im Interesse der dichterischen Illusion. Dus gab
dem ganzen Bilde erst die rechte Lokalfarbe. Dafs aber Sinn und Tendenz
dieeer Inatitationen weeentlidi von der ihrer orientaliadken Vorbilder abwich,
leigt schon die Beruftgliederong der PanchSer; am wenigsten aber wollte nnd
komite ein Atheist, wie Enhemeros, ein theokratisches oder hierokratisdiee
Ideal aufstellen. Dazu war er schon viel zu sehr das Kind einer Zeit^ der der
aufgeklarte Despotismus ihr Gepräge gegeben hat^ und die vor allem von dem
Bistrrbcn erfüllt war, die Fesseln zu 1)e8eitigen, die die freie Bethätigung der
Intelligenz imd des Talentes ersthwiren konnten. £» ist die Zeit, die das
Naturrecht des Talentes und des Wibseu« auf die Leitung der Völker prokla
raiert hat.') Und was ist es anders, als der Ausdruck dieser Zeiteuiptindnng,
wenn Euhemeros die Entstehung der Götter zum guten Teil auf eine Apotheose
des Geniea BarttekfHhrt, wenn nadi seiner Ansicht viele GStter ttrsprOnglich
nichts anderes waren, als mensclilielie Geistesgröfsen, die durch die Mitteilung
gemeinnfltsiger Erfindungen einen solchen Ehrenplats im Glauben der Völker
gewonnen hatten? Auch die Hochachtung ror der Weisheit Igyptiadier
Diodor Y 4Ui, 3: tt}p 1t ««UnliR* f^oiMr vfific^, xal «päroy i)7iö.^%n ftio^f
Tcrp' etiroTg rh t&v IfQiav, ■rTOOtrxfinh'mv nrfror? rmv rtxvir&v, dtvti^ dl itui^%ßl vdh»
*) Bitte SioflUlende Yerwandta^iift zeigt Abrigen« PaneUto, wie idioit Rohde sah
i'8. 223), in dicMB Punkte auch mit den Schildenin^'on «Kh glflcUichen Arabiens, wo man
<>iii>- nholtche gsographiach-stbidiBdie Dreiteilttog des Volkea ^«fr^T", 8. Stnbo XVI 4, Sö
p. 783.
*) S. meitt Buch Aus Aliertnm «ad Ctagenwart 8. 187 f.
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188
Ü, PöhlmBim: Die Bosiftle Dichtung der Griechen.
FirieBter and indischer Bradunaoen, die fttr die Zeit so dtarakterietiech wik,
beruhi weaentUch daranf, delii man in ihnen eben die Summe des Wiaeena
und der Lebenaweiaheit einer oraUan Kvlfair verkSTpert aali, Sie repiiaentieren
redii eigenÜidi daa Ideal der Zeit: die Herrschaft der Intelligenz.*) Und daa
iat ea denn andi, was Eahemeros im Auge hat, wenn er die Priester sn
Regenten seines Idealstaat^s macht. Das Priestertum war eben die Form, in
der auf orientalischem Boden in Wirklichkeit daa Geschleeht der 'Philosophen*
einen entscheidenden Einflttfö auf das staatliche Leben gewonnen hatte.
Gerade weil die Priesterherrschaft hier !iirht^ bedeutete, als eine Kultur-
aristokratie, eine Hierarchie der Kapazitäten, snid ihr auch die Künstler, Tech-
niker, Gewerbetreibenden zugeteilt, diejenigen Klassen der hellenischen Intelligenz,
die durch Alexander und seine Nachfolger, durch die zahllosen Stadtegründungen,
dnroli den gewaltigen Anftdiirang Ton Indnatrie, Handel und intenBmtknwIem
Vorkehr «nea der wichtigsten Fermente der neuen Welikultar geworden waren.
Sie konnten von einer KkuMe, welche Tor allem die Intelligenz ▼erlrat, nicht
avageaehloBBen worden.
Wird doch toh den prieaterlidbtti Regenten Fanchiaa adbii ein nicht
geringes Mafs wirtschaftlichen Fachwissens und wirtsehaflJicher Erfidirong Ter-
langt! Zwar sind die Panchaer nicht der Ansicht unserer modernen Mandati-
schen Sozialdemokratie, dafs, wenn der Staat als 'Repräsentant der ganzen
Gesellschaft' von den Produktionsmitteln im Namen der Gescllschfift Besitz
ergriffen hat, der 'politische Apparat' überflüssig geworden i-A und lu Stelle
der Regierung von Personen ausschliefslich die Verwaltung' von »Sachen, die
Leitung von Produktionsprozessen tritt'.*) Die Panchaer wisaen vielmehr recht
gut, dafii selbst bei ümen, wo tMÜm Haus und Garten allea Ganeingot iat*),
die Peraonen ao wenig einer Begienmg entbehren können, wie die Sachen.
Allein inao&m entsprechen doch ihre Begienmgahehörden dem Ideale dea
modernaten Soaialiamua, ala dieadben sogleich apeaifiach Okonomiaehe
*Verwaltungskollegien' sind, die sich 'mit der besten Einrichtung
der Produktion, der Distribution, der Festsetzung der notwendigen
Vorrate u. s. w. zu befassen haben*.*) Was der Platonische Staat seinen
Üieoretiach nnd praktisch gleich geschalten Staatsmännern ala eine Haupt-
*) So erkl&rt z. B. HekaUkos bei Diodor I 73 das der Bgjrpüflehen Priester
neben ihrer relipiÖKen ÄutoritSt vor allem 9uc t6 nlflcrrjv evvMiv tohs &v8Qceg rovtovs ^«
«ladtias tlmpifto^ai. VgL auch, was z. ß. Megasthenes, Oneaikritos imd Nearcb über
BkaduBaaen uad indisehe Bdfter berichteten (Strabo XV l, 89 ff. p. 708 n. 6$ ff. p. 716 ;
bes. 64 die einoa indiBchen BflAer in den Mund gelegte Äuraeruug: 'das wird für die
Welt <1'^r j^TÖMe Segen sein, wenn die einsichtig werden, welche die Macht haben, die
Gefügigen durch Überredung zur Vemonft und Selbsterkenntnis zu bringen, die Wider-
spenstigen XU zwingen.') Ab Atasandttr Tflhnt der Weiie, dah er, ein so mAchtiger Henscber.
aaeh Weitheit begehrt, daTi er 'in Waffen pUloeofliiert' {iv Salei« ^«locoyeeim).
*1 Fr. Engels, Die Entwickehing den Sozialismus von der rt<>pie 7v.r Wissenschaft S. 4S.
M&iXov yccf oidiv isxiv tÖif xnjaaa-frat srXqy oixUtg nal niptw. Diodor V Ab, 6.
') Bebel, Die Frau S. 817.
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B. FsUinanB: Vi» mmmI« Duthtang der Oiic^q,
189
pflicht an » ilerz legt, die R^^erung des WirtschaflalebenH'j, dieselbe Auf-
gabe ist den prieatOTliehen Staatsmännern Panchaaa gestelli
Was aon disse koinmimistiseh-sosjalistiselie Wirtsehaftsordnimg settisk he-
tritt, so leliiit flieh dar Rcmian aadi hier tmvwksunhar an wirUidiie oder
llberlieferte Thalsachen des orientaliadben Volkslebens an. Man wuiste damals
bereits aus dem bekannten Seiseberiehta Nearchs, daf» in gewissen Gegenden
Indiena ein agrarisehar Kommunismus herrschte, dalk das Land gemeinscliHft'
lieh Ton Familiengmppen bebaut wurde, die sieh in die gwmteten Früchte
teiltt'ii*); und von oiner ähnlichen (f fiterc^i'iii'nn-chaft patriarchalischer Familien-
Verbände erzählten Berichte aus (ieni glückiiehen' Arabien, /Vlso ganz das
Milieu, in welches das im Angesichte Indiens wohnende Kümmunistenvölkchen
der Panchäer vortrefflich hineinpalste.
Andererseits ist nun frailidi Snhemeros weit da^on entfanit, die primi-
tiven Formen des Gemeinbesitses nnd der genossensahalllicihen Prodaktum ein^
iadi in seinen Idealstaat herttber an nehmen. Er mib sehr wohl, dafii diese
für eine intensivere Entfidtung der prodoktiven Krifle ein nnflberwindlichea
Hiadeniis bilden würden. Sein Panchaischer Sozialismus berfihrt sich zwar in
eini]een Qrundzügen mit jenen älteren Fomen kollektivistischer Wirtschaft, im
übrigen aber gestaltet er denselben ganz nacTi der Ansicht des modernen
Sozialismus, dafs eine Form der wirtschaftliclitii Organisation, die einer ent-
wickelten Volk'^wii tsi Irnft gegenüber ;ils lia^ Höhere und Vollkommenere er-
ädieinen soU, uiciit an einen urwüchsigen Kommunismus, sondern unmittelbar
aa die Produktion der Gegenwart anknüpfen mala. So ist swar in FanchBa
aUea Aekai^ nnd Weideland Gemeingut, abw die agEariaoha Pjrodnktionsweiae
iifc nicht kommnnistiseli. Es wird an der EinaelwirtHfaaft sdbatSndiger Klein-
betriebe festgehalten, die ja selbst der modenie Soaialismns, wenn aneh nnr
ab ÜbergangBstofe bis zur schliefslichen Zusam!n> rf l^'ul1^r aller Betriebe, in
seinem ZukunfLstaat zulassen mufs. Andererseits bebaut zwar der Einzelne
das ihm überlasscne Stück Land als Funktionär der Gesamtheit, aber diese
höher«* Einh^^it bilden nicht privat^:', sich selbst genügende und isolierte Sonder-
gruppeii^ sondern die gesamte Volksgemeinschaft, eine einheitliche nationale
Wirtschaft, wie sie unter der Herrschaft jener älteren Gemeinschaftsiormen
fiberbuupt noch nicht existierte.^)
Anf dieaer brateren Basis ist dann freilidi das koUektiTistische System
m weitem Umfimg dnrehgeftQiri*) Daa Organ der Volkagemeinschaft, der
') S. Bd. I 8. 3Ö4 tt. m. G. deB ant. KonuQ.
*} Stcabo XV 1, 66 (777): n«^' illoti lutrii ovyyittiav noirg lovi xecfitovi igjaaa-
jifcwc» imitv Kymif— air, aÜfUidm ^pofftUp fiMMvo» tl; Buttfo^^ rsS ImWi (DXtp
') Strabo XVI 4, 26 (783): «<mW| »t^o*« £at«ai rolg «vyyeyiffi, nvffiog di i 9tftcpvtl^'
fiu ih Tud yvr^ näei* . . . dti ««1 ndm§s iiiUpol ndwtmw »Uiv %tL
Sehen dämm iifc es gaas vofdilt, wem Lavdeye meint« dab der KoBunttaiaut» des
Eahemeros die echten Tü^c der jiriinitivcii AjiT'anerfaRsuiip; an Mich tragi-.
*} Ein ganz fal»cbeB Bild erweckt ei, wenn tiuaetuihl (,Litteratur der Alexandrinerzdit
I iliij die 'VerfMsung' Panchäas eine 'leiae kommuniatiflch angehauchte* nennt.
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190
FHUmaiui; Di« «all« Diditaiig d«r Gtiediflii.
Staat, erscheiub hier als eine Öffentliche wirtschaftliche Umsatz- und
Zuteilnngtanstalt, welche im Intereefto tii5gliehst ergiebiger Oesamt-
herTorbringung, vollkommeniter OaterTereorgang und Verteilung
auf der Basis des siaaUicben KoUekti zeigen tnms am Boden die ver-
scbiedenen Wirtschaftssweige zn einem einheitlichen Gänsen Ter-
hnfipfi Genau so wie der moderne KollektiTisaias in seinen Gedanken über
den Zukunftstaat immer wieder die Neigung zur xentralistischen, rein poli-
tischen AuHgestalfrurg goTieigt luit, so st-hcn wir schon hier den St;iat die Volles^
Wirtschaft unmittelhnr in sich aufnehmen. Die Volkswirtschaft ist hier eine
staatliche Funktion, wie Justiz u. s. w. es sind. Ja man hat schon den Ein-
druck, als oh der Staat vor allem als Volkswirtschaft tjedacht wäre. Es ist
ein zeiitralistischer staatlicher Kollektivismus mit streng autoritären Amtern
nnd Ordnungen für die Frodnktion, Zizknlation, Abliefernng nnd Taxierung
der wirtsdiaflilichen Güter nnd Aibeitdeistangen.
Da der Stsat Eigsntltaner an den Pfodnktionnnitteln der Landwirtsohaft
ist nnd die in ihr BesdiSftigten im unmittelbaren Volksdienst itshen, also
nicht für sidi, sondern für die Gemeinschaft produzieren, so sind andi die
Konsumtionsmittel Gesamteigentum. Alle Feldfrüchie müssen von den
Ackerwirten in die öffentlichen Magazine abgeführt werden. '1 Ebenso hahpn
die Viehwirte alles nötige Schlachtvieh auf finind einer sorgfältigen Taxierung
nach Zahl oder Gewicht an den Staat abzuiiefcru.'j Und der Staat ist es
dann, der durch seine Organe, die Priester, die Verteilung des Prodnktions-
ertrages an die einzelnen Bürger vornimmt. So regelt sich hier diese Ver*
teüang nicht nach den Gesetsen des freien, nck seibat ftlmlassenen Markt-
▼erkehrsy sondern nadi streng antoritatiT durchgefohrten Gesichtspunkten: den-
selben, welche noch heute den Sosialismus beschäft^en, so weit er überhaupt
das Vertoilungsproblem ernstlich ins Auge hSaL
Der Bericht Diodors be/^eichnet das in Panchäa geltende System der
Gdterrerteilnng dahin, dafs die Priester jedem das ihm Zukommende in
gerechter Weise zuteilen (rh i:tißal^ov txdöra Sixcct'u)^ istoviiiovöiv).
Diese Worte sind vieldeutig. Wollen sie sagen: 'Jedem kommt derselbe An-
teil zu', und besteht demnach die Gerechtigkeit, die hier gemeint ist, darin,
dafs von der Verteilungsbehörde einfach diese Mileichheit nach Köpfen' (^teort,^-
xax u^i^^iov) gewahrt wird, oder handelt es sich hier um die sozialistische
Formel, an der sich die Sozialdemokratie tot der Annehme des Manisdisn
Standpunktes bekannte: *Jedem nach Verdienst' {laötrig mn^ ä^ütv), Güter*
Zuteilung an die Einxelnen nach Verhalbiis Ton Menge und Wwt ihrer Arbeits*
beitri^? Glücklicherweise findet sich bei Diodor noch eine Angabe, wdldie
uns etwas klarer sehen läfst. Darnach erhalten in Panchäa bei der Verteilung
der Frü(bte diejenigen, welche sidi als die besten Landwirte erwiesen haben,
') Diod. T 45, 4t ol ytagyal tijv ytjv iQyttZ6\ttvot TO^ «opivoi; &vttifii^o%>ei9 ttg th
%Olvov xrX.
KIhI : nuQcirtlriaims 6i rovrot; na} ol voniT^ rd re ifffffa %al tÜJm Mm^adtd6K9t9 ttg
j . d by Google
R. FQUnwiui: Dte «male Diditnng der Griedun.
191
Ehrenpreise im voraus, deren im ganzen in bestimmter Reihenfolge zehn vw
geben werden, *zur Aufmunterung der Übrigen'.*) Demnach weiis man in
Pudiift Belir wohl, daOi eine ganz gleidunjUeige, die Yendhiedeiiheit in den
Ldetongen der am Prodoktionaproieb Beteiligten röUig ignorierende Veiv
teiluig dee PlrodnktiooseHarageB die mSdittgete Triebfeder Termchten wflide,
die den Einzehien beetixnint, auch wirklich nach dem Habe seiner LeistongB-
fikigkeit sich zu bethiftig^. Neben ideellen Motiven wird auch das materielle
Selbstinteresse in Bewegung gesetzt durch ein Piüinirnsystera, welches die
Forderung dos 'Einkommens nach dem Verdienst' wenij^stf ns bis ym einem
gewissen Grade verwirklicht. Andererseits zeiijt f^hf^v gerade dieses l'rämien-
sr-item, dals flir die Masse der Produzenten Gleiciiheit des Einkommens und
liituiit der Lebensbedingungen üherlnmpt angenommen wird* und dasselbe er-
giebt sich ans der weiteren Angabe, dab Prieirter bn der Verteilung der
Plrodiikte doppelt ao viel erhalten, wie die Hbrigen Volkagenoaaen, wae eben
flIr dieee ein emheitliebee NormalmaCi notwendig Toraneaelst.^ Im grofiMn and
gimen bekennt eich hier 'also dnr Staat — jene beeonders qualifizierten
Kleaittite ausgenommen — zu der Idee der Gleiehwertigkeit der Individuen,
und er will daher auch für sie alle der Urheber gleich groferai Olflckee sein.
Weitere Schlufsfolgeningen gestattet die Bemerkung Diodors, dafs es in
Panchäa auiser Haus und (iarten kein Privateigentum giebt und alle
'Erzengnisse und Einkünfte' an die Priester abzuliefern sind.') Daraus geht
unzweifelhaft hervor, dafs hier das gewerbliche Kapital, die Produktiuubmittel,
wie die Erzeugnisse der Industrie, ebenso verstaatlicht sind, wie die der Land-
wirteefaaft.*) Auch der Handweiker mnia die Fkodnkte aeinee FleUkea an die
BebSrde abliefern, von der aie dann — etwa wie in der Utopia des Moras —
an die einaslnen Bürger sn ihrem nnd ihrer Familie Oebrandi verteilt werden.
Wenn aber die Übermittelnng der Waren von dem Produzenten an den Kon-
samenten Terstaatlicht war, so bedurfte es in PanchSa auch keines Zirkulationa-
mittels und keines Zwischenhandels. Es hat hier gewifs so wenig, wie in
Utopien Knnflente und ein Geld gegeben.
andere«! können wii- wenigstens Vermutungen wagen. Diodor
«chw( igL sieh völlig aus über die gi'undlegenden sozialen Ordnungen der
fiuuilie, Ehe u. a. w. und stellt un» damit vor die Frage: Hat Euhemeros
aadi hier den kommnnistischen Oedanken durchgeführt und in den Bahmen
Ntnes Gesellsehafiaideales ansh die Idee der Frauen- und Xindergemeineeh^
xoi oCTis UP ttixdiv doxy ftdiuertt j't/coi^jrijx^vat , iu(t(iuvH y(gug tiuifftrov iv ry
ii*a ngoTQonfjS fpfx« räv üllav.
*) Dai) (Tleirhf> ^It. offenbar für die den Soldaten zugeteilte (Natural ?^l0hiiaiig, x&s
lUfUfieiiivag ovvxüitis, wie Diodor 46, 1 sich ausdruckt.
*'i Die Ifipf eiripr VcrstaathVhiin«? flor Tndnstrio war jäi nicht neu. Man denke an
Ph^eas Tou €baikedou! üd. I 266 ni, U. d. ant. Konini.
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B. PBIihnuui: Dt» loilale Biditniig d«r OnedieB.
autgenommeu, die iäugst vor ihm in diti kommunistiäche Theorie und bald
nach ihm auch in den StaaUrunrnn Eingang fand? Die Frage wird wakr-
■duinlidi lu Teraemeii nin. Enhemeros, dur ha all a^ein Skonomitdieii
BadikBÜflmiis eine gewiaae Mäbigung and Nllehternh^t tiieht Tcrlengnet, der
jedem BUrger einen eigenen Bereidi, eine abgeeehloeeene Hwnililte und
eigmen Hausstand, Torbehalt, in welchem sein individuelles Dasein Wurzel
fassen und sich ausgestalten kann*), — der konnte doch schwerlich die Chtund'
bedingung einer derartigen privaten Existenz, die Einzelfamilie völlig zerstören!
Auch wäre in diesem Falle das Schweigen Diodors iniinorhin auffallend. Zwar
ist seiner elenden und oberflächlichen Berichterstattiu f; illes zuzutrauen. Wer
aber dem Unterhaltungu- und Sensationsbedflrfhis des grofsen Publikums so
sehr Rechnung trägt, wie er, der würde doch schwerlich gerade einen der-
artigen Zog fibergaugen hnbtti, den Diotfor doeh aonsfc i. B. bei JemlralM lier-
Tomdieben nicht vergifst.
Schwieriger ist bei der Dürftigkeit des erhaltenen BomanfragmenleB ein
ürteU fiber den fleaamteharakter vnd die al^eneine Tendenz des Bemuui.
Zwar so viel sieht man dentlidi: Li dem Kommunismus Panchaas prägt sieb
denelbe Geist den Rationalimns aus, in dem die religionsgeschichtlichen An«
schamingen des Euhemeros wurzeln. Die Gliederung der Bürgerschaft, ist eine
durchaus künstliehe und schablonenhafte und erinnert auffallend an das Gesell-
schaftsideal des Stadtebaumeisters TTippodamos von Milet, der dieselbe gleich-
mäläige, rein rationale Dreiteilung der Bevölkerung vorächlägi. Ks gilt daher
auch von Euhemeros, was man Uber diesen 'auf der Schwelle des griechischen
AnfUimngBieitalters' stehenden Staatatheoretiker gesagt hat: 'Der ganxe Fku
ist scheinbar ein&di nnd mag dem gesunden HensdienTerstand ohne weiteres
einlenehten, aber in Wahrheit ist er nnnatflrlidb nnd thnt den Teradhiedenen
lokalen Verhältnissen und Bedfir&issen entschieden Zwang an.*') Auch die
Art und Weise, wie Eahemeros mit seiner Lösung des wirtschaftlichen Pro-
duktions- imd Verteilungsproblems die Forderungen der Gleichheit und Ge-
rechtigkeit und zugleich das Produktionsinteresse befriedigen zu können glaubt,
mag den Vorzug der Einfachheit und Verständlichkeit für sich haben. Dafs
aber eine derartige mechanische Lösung MeiiHtlien und Dinger \siiklich gerecht
werden könne, kann nur ein ungetichichtlicher und rein doktrxuurer Kationalis-
mns ftr mSglich halten. Ein Doktrinarismus, den übrigens noch der modernste
*von der Utopie inr WissenBchnft' fortgeschiittene Soatalismnt mit seinem
antiken VorgPbiger teilt
Ist es aber, wird man fragen, Enhemeroe mit seiner geseUsdiBfllielian
Utopie fiberhanpt Emst gewesen? Ist es ihm wirklich um eine Kritik der
bestehenden socialen und wirtschaftlichen VOThaltnisse an thnn, nm die Anf-
^) Übrigea» wäre ja itogar der periodiiM:hti W'oliuutigawechsel uud die periodische Neu-
verlosoair Hftiuer, woleh« in PandiB» dank das Eigentoiii am Haute atuigeMliIoneii
ist, mit dem Institat der Eüudftmilie vernnbwr geweitn, wie die YeiliKltaSMe in der
Utopia des MoniH liewcison
*) Arifltuteles Polit. II 4, & p. 1267 b ") Ziegler, Thumati Murus' Utopia XXI.
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B. PlOiImami: Di« ■oiial« Diditoi^ der QrioelMD.
193
Stellung eines Ideals? Oder i»t dieser Kommuniatenstaai nur ^dm phantastische
Spiel eber fumiiischenden Stunde'^ ein Produkt des Witees eines geistreichen
Kopfes, der damit nur der Zmtmode einmi Tribai eatrichtei?
Eine dnrdunis befriedigende Antwort auf diese Frage iritoe nor mdgliefa,
wenn wir entweder den Roman selbst oder eme genfigende Charakteristik der
Sozialphili^^ophie besafaen, die in demselben zum Ausdruck kommt. Zn einer
solchen Charakteristik war aber unser einziger Berichterstatter über den Roman
nicht im stände. Für Diodor ist ja Panchäa ein historisches Land, giebt
also Eubemeros Thatsachen, nicht Ergebnisse seines sozialtheoretiscben
Denkens. Ist daher schon das Programm, welches hier der Wirklichkeit als
Ideal gegenübergestellt wird, nur unvollkommen gezeichnet, weil eben als
solches gar nicht erkannt, so ist noch weniger die Rede von den ethischen
Nomen, denen das Programm Geltung verschaffen soll. Wir bdren einiges
Ton dem, was der GrOnder Panchäas wollte, nicht aber, vrarnm nnd au
weldiem Zwecke er es wollte. Was labt sidi nnter diesen Umständen Aber
die eigentiiehe Tendens des Romans sagen? Dals derselbe nicht ein blofses
Spiel der Phantasie sein kann, das ist ja allerdings kanm zweifelhaft. Ifan
bat längst bemerkt, dafs bei Euhemeros die Fabolistik nicht Selbstzweck, son-
dern nur dazu da ist, um 'emsthafter Belehrung die Stätte zu bereiten*.') Er
hält seine Erzählung durchaus frei von allem rein Märchenhaften, Übernatilr
Uchen, 'Teratologi sehen', womit sonst die griechische i'liantasie gerade den
Orient ansznscbmüeken liebte. Die Menschen, die er schildert, unterscheiden
»ich durch keinerlei überirdische und geheimnisvolle Klüfte und Eigenschaften
TOD der übrigen Menschheit Sein Soxialismus mutet ihnen z. B. nicht «oA-
fctnt eine so weilgehende Entsagung zu, wie etwa derjenige Piatos. HfHihrMid
une der Gmndbedingaogen des Platonischen Soaialstaatee die möglichste Yw-
Dindmmg aller Bedflrfbisse ist, nnd an dem Zweck ganie Prodnktionsawdge^
wie z. B. der Weinbau, die Kunstgewerbe o. s. w., in ihrer Entwickehing künst-
bek b^cbränkt werden, preist Euhemeros an Panchäa gerade seine Ergiebig-
keit an Produkten des Weinbaues nnd anderen Luxuskulturen, den Reichtum
semer Bergwerke an Gold, Silber, Zinn und Erz, dessen Ansammlung und
technische Verarbeitung noch tiazu durch ein iilisohites Ausfuhrverbot gefördert
wird, die Gröfse und Pracht der technischen und baulichen Sehäpfungen
Paochäas, die ganz an die Leistungen der hellenistischen Fürsten und Städte
eiinnert. Aach von den Institutionen PanchSas kann man nicht sagen, dab
ne dsm gemeinen HenschenTerstrad von Toniberein nnausfWbrbar erscheinen
unbten. Man wird also die Möglichkeit nicht bestreiten dOrfen^ dafs Euhemeros
«snigstens gewisse Grundprinzipien seines Sosialstaates PandAa ebenso ftr
reslisierbar halten konnte, wie später der * Vater des modernen Sosialismua'
die grundlegenden Gedanken seiner Utopia.
Wir dürfen nicht vergessen, dafs der Freund Kassanders in einer Zeit
lebte, nach deren Anschauungen es für die herrschende politische Macht, für
*) S. Rohde H. 224. Vgl. Block, Eoh^mero S. 57 fi.
■«» JaInMtalw«. llNi L
IS
194 POhlmaiui: Die sonaJ« Dichtiiag dw QriecheD.
die gua von CSbMriatiaeheiii Geist erfüllte Monarchie kanin etwas gab, was
ihr nicht möglidi gewesen wire. Wie oft hatte man es erlebt, dab der seit
dem vierten Jahrhimdert fiberaQ in der hellenisehen Welt emporkommende
Abeolntiamiu den Anstofs an sosialen Umwälzungen gab, die alles Bestehende
ein£Mh Aber den Haufen warfen und aus dem Ruin der alten eine ganz neue
bürgerliche Geeellschafk entstehen lieisen.^) Was hatte vollends die Monarchie
Alexanders und seiner Nachfolger zerstört oder neu goschaffcn! Wer in solchor
Zeit einen Fürsten für hIc-Ii gewann, der ilurfto sich in der That berufen
glauben, auch scheinbar Utopisches mögiicli zu machen. Dafs sich aber das
neue Fürstentum grofsen Reformgedanken zugänglich erweisen würde, war in-
Bofinn sehr wohl denkbar, als es ja selbst seinem Ursprung und Wesen nach
revoltttion&r, nieht dnrdi die Fesseln der Tradition gebnnden war and in der
That den Sisat mS^ehst ids 'Ennstwerk' und nach rein rationellen Gesichts-
pnnklen gestaltete. Auch hat ja dieser an^ekGurte Absolntismns die Sorge
für die materielle Wohlfiihrt aller Unterthanen, selbst der Geringsten, das
'Wohlthun', wenigstens zur offiziellen Regierungsmaxime gemacht'); und er
legte andererseits Wert darauf, seine Gewalt, die der stärksten Stütze, der
Legitimität entbehrte, vor der höchsten moralischen Autorität, vor der Geistes-
bildung der Zeit zu legitimieren. Die Philosophie ntid ihre Vertreter gewinnen
eine ehrenvolle Stellung an den heliemstischeu Hofen, und der Cäsarismus
verzichtet hier wenigstens in seinen besten Repräsentanten vor diesem Forum
auf die einseitige Betonung seiner Rechte und erhebt eich zur Anerkennung
seiner Pflichten, ja sogar bis aar Anfhssnng des Forsten als des ersten Dieners
des Staates.*) Kein Wunder, dab der ^FOrstenspiegeP in dieser Epoche eine
stehende litterarisehe Erscheinung wird, dals, wie die aahlreiehen Titel philo-
sophischer Werke 'über das Königtum' noch jetzt erkennen lassen, die ver-
schiedensten Schulen, Akademiker, Peripatetiker, Megariker und Stoiker, sich
wetteifernd bemühten, die neuen staatlichen Gewalten in den Dienet ihrer
Ideen 7m stellen.
Es if<t gcwifs kein Zufall, dafs diese Epoche di r I irstenspiegel zugleich
die der Staatsromane ist. Wiederholt sich dutli genau dieselbe Erscheinung
in der Zeit, die den modernen Staatsroman er;^eugt hat. Man hat mit Recht
darauf hingewiesen, dafs gleichzeitig mit der Utopia des Thomas Morus Uacchisr
Tellis *F{brBt' und des Eranuus 'Lehrbuch för den christiiehen Fttrsten* ver-
fidbt ist, dafs das Zeitalter ttberhaupt eine ganze Litteratur der Art aufweist
ünd man hat an dieses Zusammentreffen die Vermntnng geknfipft, dafs wohl
beide Litteraturgsttungen, der Staatsroman wie der Fürstenspiegd, denselben
Zweck verfolgt haben werden, dafs auch jenem mit die Absicht zu Grunde
lag, den Fttrsten au aeigen, wie eigentlich regiert werden sollte.^)
V S. Aua Altertum uud Gegenwart S. 283 f.
*) S. die diarBklerbtiidie Inftemng in dem Papyrni SS dei Louvre, Notiees et ezliaits
des manuscrita de la bibliöth^ue hnp. XVlii 9 p. 861 C col. 8, 94. Dazu Schwarte, Bhein.
Mu8. 40, ^56
*) 8. Aus Aitürtum und Gegenwart S. 2(^8. *} Kautaky, Thoma« More u. ». Utopie S. %3G.
j . d by Google
Rb BMilinaaii: Di« aotiale Diefatang der Griedien.
195
Et ist Mhi* wohl möglich, daXs die aosiale Utopie des £uhemero8 eine
SJuJiehe Tendenz gehabt hat, nicht bloft *sa den hergebrachten PronlcBtfldeett
der Beieeromane gehört'.^) Wie das Ideal dee Morus im Kopfe eines Fflrsten,
des HeffOB Eponymos seiner ^fieUichw Insel, entsprungen ist, so geben auch
die mnricihtungen Panchäas auf einen ESnig zurück, der dann als Zens
Triphjlioe göttlicher Verehrung geniefHt, ganz ähnlich wie die Fürsten des
TlellenisTnus. Ihm verdanken die Panchaer die priesterliche Geistesariatokratie,
dit' die Seele des ganzen kunstvollen Organismus ihres Gemeinwesens i-jt Er
bat sie aus Kreta nach Panchäa gebracht und ist eben damit der Sehöpfer
ihres Sozialstaatcs g^'worden. Dieser monarchische Ursprung des PaueliiÜschen
Soziahsmus ist gcwiik nicht bedeutungslos. kommt in ihm die Überzeugung
mm Ansdmek, dafs, wenn nur sin Ffixst wollte, die VerwirUiehung des Somal-
■taatas auch möglidi wSre. Dabei brandit man keineswegs aasnnehmen,
EnhemeroB hStte geglaubt, dafii gerade einer der lebenden Machthaber geneigt
mn kSnnt^ auf derartige Ideen einmgeben, etwa wie Gsmpsndla das Pktgekt
seines Sotit rr tnates dem König von Spanien unterbreitete. Er war ein za
nüchterner Kopf, &h ilafs er dem fascinierenden Reiz, den das Emporstreben
der nenen Weltmächte auf einen phantusievollen Geist wohl ausüben konnte,
in dem Grade erlegen wiirp, wie der Dichterphilosoph der Renaissanw». Auch
hatte der Freund Kassanders wohl allzu reichliche Geh'genheit, zu sehen, wie
sehr sich oft die praktische Bethätigung der Gewalt von der theoretischen
Anffinssuiig unterschied, zu der sich die helienistische Monarchie offiziell be-
kiunte. AUein trotadem kann es ihm mit der Aufstellung seines Gesellsdiafts-
idesls bis an einem gewissen Qrade wenigstens Emst gewesen sein. Ancb
Moros gesteht, dais sich im Gemeinwesen der Utopia gar mandbes fKnde^
demen Verwirklichung 'in unseren Staaten' nicht za erwarten sei. Dennoch
spricht er gleichzeitig den Wunsch aus, dafs es einmal Terwirklieht werden
mochte. Jedenfalls sei vieles so gut geordnet, (lar>* es zur Bcrichtipning der
falschen / unsere Gesellschaft beherrschenden Lebensanschauunireii dienen könne.')
Und dabei ist Morus, der in seiner Utopia überhaupt kein Privateigentum an-
erkennt, noch ungleich radikaler, als der Verfasser der Panchäa, wo der einzelne
wenigstens Haus und Garten sein eigeu nennen darf.
Wie gemäfsigt ersclieint ToUends das GeseUsobaftsideal des Eubemeros im
Verideieh mit dmn kfihnen Radikalismus, wie er uns m emem anderen, kaum
nel sp&ter entstandenen Staatsroman entg^ntritt, in dem Sonnenstaat des
Jambaloa, der in der rllektichtBlosen Dnrchf&hrung des kommunistischen
Gedankens nicht nur EuhemeroB, sondern auch einen Morus weit überbietet.
Der Yerfiftsser dieees loteten uns bekannten") Staatsromans, der überhaupt
0 Wie Behwwrts, Yottrii^ Uber den griechiBclien Roman 8. 109, «asimmt.
^ El kflnnen daraus exempla in corrigendis harum . . .•noMomisi erroHbtu üeitta
tttDOmmeB werden (S. 12 in Michelf^ und Zieglers AiisiraTicV
*) Die Sdulderung, die Ludan in seiner 'Wahren Uescbichte' II ö — 29 von der Insel
der Sfllifan eatwiift, irt bekanntlieh mir eiiM Satire auf die ethnographiiche FabeUitte-
18»
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196
E. POhltnann; Die soziale Dichtong der GriecheiL
den HShepunlii des diehtorisclien UiopinniiB der Oneohmi luww^nftt, üd ein
Bosialokonomischer Jules Verne £r giebt einen Bnaebericlit im Stile der
Abenteuer Simbads des Seefifthrers'), indem er uns nach einem wundersamen
Märohenlaiule entfrihrt, das in seiner grotesken Ausstaffierung uns gnnz wie
Prnspero.s Zaiibennsel anmutet, die WohnsUitte eines glückseligen Menschen-
gesciilecht«*, dem alles physische, sittliche und soziale Elend der übrigen Welt
fremd ist. Diese novellistische Einkleidung, die selbst den Beifall eines Luciaa
fand, hat offenbar zu der Popularität des Romans kaum viel weniger bei-
getragen, ab der souBÜBtieche Kern, den das phautealiaehe FUbelwerk mnninkt
und ftst flb«rwacshert. Auch Diodor, deaaen kurzem Anszug*) wir die Eenntnia
des Jambaloe Terdanken, hebt diese Seite des Romans besonders herror. Die
Entdeckungsgeschichte der Sonneninael, an deren Realität er übrigens ebenso
glaubt, wie an die Panchäas, giebt er ausführlich wieder; ebenso die Fabeleien
über die Naturwunder des Inselreiches, während er sich über die sozial-
ökonomischen Zustände weit kürzer fafst. Jedenfalls ist die novellistische Ein-
kieidnng so bestimmend für den ganzen Charakter des Riomans^ dais auch wir
sie nicht völlig ubergehen können.
Der Verfasser berichtet: Von Jugend auf der Bildung beflissen, habe er
naeh dem Tode seines Vatos, eines Kaufinanns, ebm&lls in Kan&iaana-
geadUUEten dne Reise naeh Arabien und nach dem Gewtbsland (Somal) untw-
nommen. Hier aei er sroerst lUinbem in die H&nde gefidlen, dann, nadidem
er einige Z»ii als Hirte gedient mit dnem seiner QefiliTten von den Äthiopen
^fengen worden, die eben damals eines Sühnopfers bedurften, wie sie es alle
sechshundert Jahre nach uralter Sitte dem Oaean darzubringen pflegtm. Uaa
gab ihnen ein kleines Fahrzeug und hiefs sie nach Süden fahren, wo sie ein
glückliches, von wohlwollenden Menschen bewohntes Eiland finden wfirrleTi.
Nach einer Fahrt von vier Monaten gelangten sie zu einer Insel von runder
Gestalt und einem Umfang von fünftausend Stadien, deren Bewohner die Fremd-
linge freundlich aufnahmen. Sie gehörte zu einer Gruppe von sieben Inseln,
alle ungeföhr gleich grofs, gleich weit von einander entfcnit und alle ron
Menschen bewohnt, d«en Sitten und Lebensnnriehbmgen sich durefaans lachen.
Man be&nd sich hier unmittelbar am Äquator. Tag und Nacht warm immer
?on gleicher Länge, und am Mittag warf kein Gegenstand einen Schatten. Die
Sonne, allezeit im Zenith stehend, bethatigte hier uneingeschränkt die Fülle
ihrer segenspendenden Kräfte, ein Moment, das auch im Kultus der Insulaner
zum Ausdruck kam. Sie verehrten die Sonne als ihre htichste Gottheit, ihr
waren die Inseln und deren Bewohner geweiht.^) Daher auch die unerschöpf-*
ratur, woraus sie die einzeliien Züge zusammentrügt und die sie grotesk übertreibt, um
lie zu patodieteu.
*) über diese Einkleidung und die üttcrargeMhichtlicheii Ftagen, die neb aa den
Boman knüpf« n, vgl. Bdide S, 224 C
*; Ii öö— 60.
*) Diodor II A9, 7: ti^ Ijjktiav fds f t Mfomv lucl ienttig jfQoa«f09»69uaut. Außerdem
werden aufsh der Himmel und alle Btmmelkliditer verobrt, und die Siebeniahl der In«dn
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R. Pöhlmann: Die somle Dichtuog der Griecbea.
197
liehe Pradnktionakraft, die die Natur in dieser eonn^eii Welt aasxeichhete.
Die Bfi"n*^ trugen hier stets reife Früthto, wie im ILdiurischen Phäaken«
Imd. Der Boden brachte unbestellt Nahrungsmittel in überreicher Ffllle
hervor, ebenso 0] nnd Wein und rannoli seltsame Pflanzen, unter denen
besonder« rin Rohr hervorgehoben wird mit erbscrmrtigon Frfichten, die in
Wüiiäer gelegt aufquollen und zur Bereitung eines süiscn Brot«s verwendet
mirden.
In solchem Ueichtum der Natur, der übrigen» die Bewohner nicht hinderte,
in wohl geregelter MaTsigkeit zu leben, gediehen auch diese in nrsprOng-
lidier Kraft und Schdnheii An LeibesgrSbe nnd I^ebensdnuer ttbemgten sie
«Mt das gew51inlidhe Mab der SterbUdien.*) Von Krankheit meist Tench<m1^
duldeten sie auch nichts Krankhaftes, Yerlorfippeltee, Verfiftllendee unter sidu
Wer an unheilbarem Sieditom oder an kdrperUchen Gebrechen litt, mnlkte
Mnem strengen Gesetz gemäfs sich selbst den Tod geben. Ebenso war es
Sitte, dafs alle, die eine ^e\ns?e Altersjjrenze überschritten hatten, freiwillig
ihrem Leben ein Ende machten, indem sjie sieh auf eine Pflanze lagerten,
deren betäubender Duft durch einen sanften Schlaf unvermerkt in den Tod
hinüber leitete. Wus Jambulos Honst über die wundersamen physischen Eigen-
schaften und Fertigkeiten der Menschen- und Tierwelt fiibuliert, können wir
fibergehen. Nur der wunderbaren abgeriebteten Vögel sei hier gedaeht, deren
sich die Insulaner bedienim, um Hut nnd Kraft Uurer Kinder wa prOfisn. Bald
ssdi der Geburt wird lüimlieh jedes Kind auf einen solchen Vogel gesetst nnd
disser dann fliege gelassen. Die Kinder, die den Flug aushalten, werden
sll%eM^en nnd so die Kasse stets kräftig erhalten.
Diese in der Schilderung der Landessitte hervortretenden Eigentümlich-
keiten werfen auch bereits ein heUes Licht anf die grundlegenden Prinzipien,
auf denen sich das ganze Gemeinwesen aufbaut. Dm Sozial prinzip, das
Geraeinschaftsint^resse ist hier die aUbeherrscheiide tiruudnorm des öffentlichen
uiid privaten Lebens, der sich da» Individuum, sei es unter dem Druck des
Gesetaes, es in freier Ergebnng, unbedingt unterordnei
Waa sdion Flsto als höchstes Ideal für den besten Staat angestellt hat»
•nri» ihre kreiifilniiige Gestalt Uogt offenbar mit dem Plsaeleadieovi sotaaimen, ebeaio
die eifrige BeacbMltigiuig d«r buulaner mit der Sternkunde. Auch in ameren Sonalromanen
findet sich diese Beziehung 7ur Sonne. 7 K in (\om 'Sonnen«?taat.' Campanellft"» 'ind in df>r
Gtaduchte der Sevarambier von Vairasae. Hier wird der äonnenkult damit motiviert, data
er ^ben die ursprflnglidute und allgemeoiMte aller Religiooen geweeen sei. — MOglidi»
dafg auch Rcliun für Jambulos dieHer Gesichtt^punkt mit bestimmend war, dafs ihm der
SonnenkuU uls dif 'natürlichste' Religion am besten fnr neaellBchaftsideal zu passen
ichiea, weicht;« ja iuuglich«t das NaturgemäDse verwirklichen aoilte. — Den urBprünglichen
A&knfipfungspunkt gab allerdinge die Lage dieser und anderer glfldneliger Inseln (vgL
Soenenstrom Pnnchäas bei Diod. V 44) in dem nach griedtiicher Aneehanang der
Spime xun&cbst gelegenen 'äufseren' Meer*»
') übrigens ist hier Jambulos weniger phantastisch, ab sein moderner Nachahmer
OiaiiitneUa« deina Sonnenbürger nieht wie ^e des Jeabttlos IM, sondern gar 800 Jnhre
•beeiden.
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R. Pöhlmauu: Die »ozialo Dichtung der Griechen.
die möglichste Yerallgemeineruug des kollektivistischen Gedankens, hier ist ee
zur That und Wahrheit geworden. Der ganze Sonnenstaat ist eine grofse
kommunistische Genossenschaft oder vielmehr ein str»Mig schemati*ch
gegliedertes System solcher (iPiioi^^fMischaften {avaxii(iutu)^)y deren
Zweck nichts Geringeres ist, als eine vol Ikoinim n koiiiinunislische Rege-
lung des gesamten wirtschaftlichen und ^uziulen Lebeu». Daher »teilt
jeder dieser Verbinde zunächst eine sozialistische Organisation der Arbeit
dar, ein System geseUsehafilidier Arbeit, das Hunderte tüo. Hensdien — jede
Omppe säüilt Tierhondert Cdpfe — zu g^einaamm planmätkigea Znsainmen-
wirken Terbindei Nach dorn Grundsata: Gleiche Arbeitspflicht fttr alle,
gleiche Beteiligung eines jeden an jeder Art von Arbeit! lösen sich
die einaelnen GenoHsen bei aller Thütigkeit gegenseitig ab, sodafs jeder, wie
es in unserem dQrftigen Berichte heifst, 'abwechselnd die anderen bedient, Fische
fangt, Handwerke oder Künste ausübt, öffentlich»' C«'Hchäfte besorgt' u. s. w.')
Erst das Grcisenaiter entintulet von dieser allgeniemcn Dienst- und Arbeits-
pflicht. Eine Wirtschaftsorguinsation, die natürlich andererseits das KoUektiv-
eigentuiu uu sämtlichen Produktiunämitteln voraussetzt, an Grund und Boden
ebenso, wie am Kapital, d. k an Werkstätten nnd VoEratshinsem, Werkzeugen
nnd Gttaten, an Arbeits- nnd Nutatieren, an allen fttr die Produktion nötigen
Stoffsn n. 8. w. Auch die Eonsmnmittd sind offenbar Gemeingni Denn cihne
VerstBatUchnng der Eonsnnunittel mm die KoIlehtiTprodnktion der Güter in
der geschilderten Form gar nicht durchführbar gewesen, und noch weniger die
systematische Regelung des Konsums, die sich mit dieser Organisation
der Arbeit verband. Denn 'all das, was sich auf die Eniiilirung bezieht, bat
hier ebenfalls eine bestimmte Ordnung'. Wie alle der Reihe nach gleichartig
produzieren, hü sollen nuch alle gleicharti^r genielsen. Es ist für die Ein-
nahme der Mahlzeiten eine bestimmte Zeit durch das Gesetz vorjj;esehrieben,
ebentio ist für jeden Tag nur eine bestimmte Gattung von Speisen gestattet, so-
dals, offenbar im Interesse einer möglichst naturgemaisen Ernährung, ein
regelmalsig«- Wechsel von ▼egptabüisdier nnd Eleischnahnmg stattfindet.
Es ist, als ob die Bfliger des Sonnenstaates ihr Gemeinwesen nach dem
Programm geordnet Imtten, das die soaialistische Arbeiterpartei Dentsdüands
1875 an^gestellt hat. Was hier für die Zukunft gefordert wird, haben sie
längst irerwirklicht! 'Der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern, gehört das
gesamte Arbeitf]>rodukt l)ei allgemeiner Arbeitspflicht nach gleichem Rech^
jedem nach seinen venmuftgemälsen Bedürfiiissen.* — 'Die Befreiung der
Aibeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesell-
schaft und die genossenschaftliche Hegelung der gesamten Arbeit mit gemein-
nütziger Verwendung und gerechter Verteilung des Arbeitsertrags' (Gothaer
•) Sie erinnern an die Phylarcbien der ütopia, die nsuKiiiieu der Sevarambier.
*) Diodor II 69, 6: ivaUä^ di scitovg xoif^ fikv iUrikmi diaxovtip, tovs 8k aluveiv, tovg
9k «isl ««» rigfag ffvcn, SiXovt M £UUe x&v xon^H^^^ i:<fxoltIa9ttt, tovs i" in ift(n6999
j . d by Google
fi. PoUinaiui: Die «oxiale Diehlnng der Orieclum.
199
Programm § 1). Selbst liif Ik'ijcluiiir des Kiuisuiuü bedeutet keinen prin-
zipielleu Unterschied gegenüber dem mudeiiien Zukunftstaat. Deuu auch in
diesem beetimmt die geeellsohafUiche Behörde das Ausmafs der Bedar&iese
«nee jeden, daa als 'teniiinftgeniife' anausehen tat
JamboIoB geht in der konaequenten Ihirdifllhmng dea Kommiinianiiu
logv noch weiter, ala die aeinoi Sonnenataat unbewnlat kopierenden Qothan:.
Er dehnt den KomniuniHmus auf ein Gebiet aus, vor dem deren 'Kompromiia'
Programm' noch Halt macht. Wie es numliili im Sonnenataat keine geson-
derten wirtschaftlichen Betriebe giebt, so fehlt auch die sozialökonomische
Organisationsform . die «lern Souderbetrieb entspricht, der Einzelhauslmlt , diV-
eine Ökonom i.^it- he Einheit bildende Familie Der Soniu nstaat duldet innerhalb
der grofsen, iille umfassenden Qemeiiiischult nichts, was irgend ein Sonder-
intereääe erzeugen, die (iemeiuschai'tgei'ühle abbchwüchen könnte; er verwirft
daher andi grnndsitalicsh daa Inatitnt der Einaelehe und tna aieh an Kon-
aequenzen ana dieaem Inatitat eigiebi *Die Franen sind allen gemeinaam',
wie Diodor lakoniach beriehtei^ ohne ein Wort zur niheren Gharakteriatik hin-
tosofllgeii.^) Doch ergiebt aich fUr uns wenigstens Sinn und Tendens dieaer
FVauengemeinschaft zur Genüge daraus, dalls es eben das Gempinschaftintereaae
ist, nicht das Genufsstreben des Einzelindividuums, dem sie ihren Ursprung
verdankt. Wir haben hier ja ein Volk vor unn, das «jerade durch weise Selbst
beschränkung, durch MafHhaltfn im Genie&en, dureh sittliche Reinheit den
schrofi'sten Gewnsjitz zu dem moralischen Verderben unserer Kulturwelt dar-
ätellt und dalier nicht einmal die beiden aus dieser bösen Weit stammenden
Fremdlinge auf die Dauer unter sich dulden will, in der Besorgnis, es könnten
dareh sie 'Keime des Böaen verpflanst werden. Jambuloe tuid aeitt Begleiter
mflnen nach sieben Jahren unfreiwillig daa Land verlaeaen, weil sie unheilbar
vardarbt seien und die in d^ alten Oeaellachaft eingeimpften Sitten nidbit mehr
ablegt könnten.*) Die Frauengemeinschaft eines solchen Volkes kann nicht
10 gestaltet geweeen sein, daCs bei ihr möglichst die Sinnengier des Indivi-
duums ihre Sättigung fand, d. h. es kann sich nicht um die Anerkennung des
Grundsatzes gehandelt haben, dafs jeder Mann aller Weiber, jedes Weib aller
Männer genief^en soll, aondem eben nur darum, dafs kein Mann ein Weib,
kein Weib einen Mann eich eigen nenne, damit diis Le)jeiis])rinzip des Ganr^n,
der Geist der Eintracht und Brüderlichkeit, nicht gefährdet werde. Diesem
Pnnzip zu Liebe weiden auch die Kinder ala 'KinÄer der Oemeinachaft' ge-
Diod. n 60, 1: Ag ntauiiffovs %eA now^ftts i^t«fuX9 <w>wtdy«tjylr»pg. — Nebenbei be*
mihtf trä^ hier Jambulos dieselbe Lehre vor, wie Hennann Bahr in teinem Drama 'Die
n«iifn Menschen'. Das SchickBul des .Tambnlos im Sonncnland beweiat, dafs ea, um mit Bahr
>u reden, nie glücken wird, die Menschen der alten Zeit neuen VerhlUtiussea ausupauen,
vom nicht vosher Mhon unter den alten yerbUtiÜMwn neue Heasehen henmgebfldet
werden. Die Memsohen stocken zu tief in all dem Alten. Sie vcrmOgen nicht, aich ^nz-
lich davon loaznngen; und je stolaer aie sich eine Zeit lang darfiber arhobeo, desto h&rter
iat ihr Fall
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R. Pöhlmann: Die soziale Dichtung der Griechen.
meinsain erzogen und, um ein gleichmäfsiges Wohlwollen aller gegen alle zu
erzielen, sogar die Mütter im ungewissen über die eigenen Kinder erhalten,
was man dadurch erreicht, dafs eine öftere Vertauschung der Neugeborenen
von Seiten der Wärterinnen stattfindet!
So kennt man in der That, wie Diodor am Schlüsse seiner kurzen An-
deutungen über den Gegenstand bemerkt, bei diesen Menschen kein ehrgeiziges
und selbstsüchtiges Sonderstreben. Allgemein ist als höchstes Gut die Ein-
tracht anerkannt, und in ungetrübter Harmonie verfliefst ihr Dasein.*) Das
Ideal eines wahrhaft sozialen Lebens ist hier Wirklichkeit geworden, eine
Gemeinschaft, in der die Zwecke aller von allen gleichmäfsig in brüderlicher
Übereinstimmung verfolgt werden.
Daher fügen sich auch alle in die strenge Unterordnung unter die starke
einheitliche Leitung, ohne welche ja die ganze Organisation überhaupt nicht
durchführbar gewesen wäre.') Der Kollektivismus des Sonnenstaates ist ein
streng autoritärer. Für die soziale Wirtschaftführung seiner kommunistischen
Genossenschaften besteht ein Zentralorgan, ein 'Hegemon', dessen Machtvoll-
kommenheit eine lebenslängliche ist und daher von Diodor mit der monarchischen
Gewalt verglichen vrird. ') Er ist offenbar der Organisator der Arbeit für
die ganze Genossenschaft. Auch wird dieses Amt nicht durch Wahl von
Seiten der Genossenschaftsmitglieder besetzt, woraus Rivalität und Parteiung ent-
stehen könnte, sondern der jeweilig Alteste der Genossenschaft ist auch ihr Leiter.*)
Das Glück, das die Bürger dieser Hingebung an die Gemeinschaft ver-
danken, ist ein grofses, es ist die Befreiung von dem Übermafs des Arbeits-
druckes, der auf der übrigen Menschheit lastet. Was Thomas Morus, Cam-
panella und Marx von der Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform
*) n 68, 1 : Siöntg {iridtni&g naQ ainoTs '/ivo(i{vTie tptloxtfiiag itnatnämovs xal rijv
6u6votav JTfpi TtlfLarov Ttoiovfiivovg diartltlv.
*) Auch die planmärtfige Produktion der kommuniBtischen OeselUchafl des modernen
MarxismuH ist ja nicht möglich ohne absolute Aufhebung der Freiheit der Arbeit.
') II f)8, 6: inäerov at>art](iaTos 6 jtQeaßvrtQOs asl rijv rjYfftoviav Ixit, xoc^dwfp rif
ßueiXtvs, %al xovxm Ttuvra Ttii^ovrai.
*) Was die Frage nach der Regierung des Gesamtstaates betriflft , von der wir nichts
erfahren, so nimmt Rohde (S. 240) an, dafs 'alle übrigen Verhilltnisse des Leben» in keiner
Weise geregelt und in bestimmte Ordnungen eingeschlossen' gewesen seien. Alles gehe
hier so zu, wie es sich bei einem Verfolgen der primitivsten Naturtriebe in einer durchaus
noch unorganisierten, durch die glücklichsten Naturverhältnisse aber vor wilden Ausbrüchen
der Not und Selbstsucht bewahrten Menschenmenge ganz von selbst machen würde, ein
Zustand, der völlig dem Ideale entspreche, wie es Cynismus und Stoa aufgestellt hatten. —
Ich will meinerseits die Möglichkeit, dafs das ganze ideale Gemeinwesen nur als Komplex
friedlich nebeneinander lebender Genossenschaften ohne einheitliche Spitze gedacht ist,
nicht in Abrede stellen. Doch geht Kohde insofern zu weit, als er von einer 'noch durch-
aus unorganisierten Menschenmenge* spricht Davon kann doch angesichts der Kollektiv-
wirtschaft der Sonnenbürger nicht die Rede sein. Diese sind überhaupt, wie ja auch
ihre wissenschaftliche Betbätigung beweist, in viel höherem Grade Kulturmenschen, als es
bei Rohde den Anschein hat. liohde verftlllt hier in denselben Irrtum, wie die meisten
modernen Beurteiler der Utopier, in denen sie auch viel zu sehr die 'Naturkinder* sehen,
wie Dietzel la a. 0. Vierteljahrsschr. III S. 396) mit Recht bemerkt.
B. Pdhhiuuui: Die lOEiale Dicbtong der Griechen.
201
erwarten, die Besehränkting des Arbeitstages auf die notwendige Arbeit, der
Konimunistenstaat des Jambulos hat es bereits in idealer Weise verwirklicht.
Jene gleichmafsige Verteilung der Arb<»it unter alle werkfähigeii «ilieder der
Gesellschaft, von der der Marxismus t int' su giofue Abkürzung der Arbeitszeit
erhofft, sie h&tte nicht radikaler durchgefabrt sein k5nnen. Hier war M von
fonberein ansgeedilossen, dab 'eine GeeellBchaftschidit die Natuntotwendig-
keit der Arbeit toh eidi aelbat ab- und eineac anderen Sehidii znwalaen kann*.
Hier wnrde daher andi nieht, wie nach der Marxechen Anaidit in dnr kapi-
tdiafeischen Gesellschaft, 'freie 2ieit für eine Klasse produziert durch Verwand-
lung aller Lebenszeit der Masse in Arbeitszeit'.*) Da im Sonnenstaat alle
nützlich beschäftigt sind, also keine Arbeitskraft ungenützt bleibt, da anderer-
seits die üppige I'rodiiktivkiafl der Landesnntur den Arbeitsbedarf vermindert,
90 ist hier in der Thut der zur iiiatpriellcii Produktion notwendige Teil des
gesellscluiftlifhen Arbeittages' ein aufserordeiitlicli geringer, der Tür freie
geistige und gesellschaftliche Hethütigung der Individuen eroberte Zeitteil um
so gro&er*. IMe Möglic^eit geistiger VerroUkornnmiing, der freien Ent&lhmg
der Yemunll^ woranf hier, ganz wie in der Utopia, der grölate Wert gelegt wird^,
ftoht jedem offim, der Lnst und Talent dasu hai Und ebenso erfrenen eidi
alte limttiigliiJi«' Mulee, nm sich einer edlen Geeelligkelt und den PVenden
eines idyllischen Natiirgenussea hingeben an können, die an das Leben in den
eljsischen Gefilden erinnert.
So hat der Sonnenstaat längst das vorweggenommen, was der Marxismus
nach zwei Jahrtausenden als Ergebnis neuester sozial theoretischer Erkenntnis
rühmt: 'Indem sich die Gesellschaft zur Herrin der sämtlichen Produktions-
mittel macht, um sie gesellschaftlich planmäfsig zu verwenden, vernichtet sie
die bisherige Knechtung der Menschen unter ihre eigenen Produktionsmittel.
IMe OeuUadiaft kann aieb nicht befreien, ohne dab jeder Einzelne befreit
wird. Die alte Produktionaweiae mofs alao von Grand aus umgeDrofait werden,
und namentiidi muia die alte Teilung der Arbeit yenchwinden. An ihre Stelle
muCs eine Organisation der Produktion treten, in welcher ... die produktive Arbeit
statt Mittel der Knechtung Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem
sie jedem Einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körper-
liche wie rjeistii^e. nach allen Richtungen hin auaanbilden und su bethätigen,
und »o aus « r Last eine Lint wird.'')
Der Gedanke einer solchen Befreiung des Individuums lag ja gerade der
Epoche den Hellenismus ganz besonders nahe. Jene harmoniäche Vereinigung
von öffentlichen und priTatwirtschaftlicher Thätigkcit, jene Teilnahme aller
Borger am politischen Leben, die im demokratischen Stadtstaat den Einzelnen
immer wieder Aber den engen Kreis seiner privaten Existenz hinausgehobm
hatte, sie war im Rahmen der neuen Monarchien in diesor Weise nicht mehr
') Marx, Kapital 1* 541.
M ittQoloYucg ml.
*) fngeli, Anti-DOhring & 816 f.
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202
B. FOUnuttni: IHe 8(wi«le Diehtang d«r Grieoheu.
möglich. Im Qrofsstaat dea Hellenismus sind diese Beziehungen Kwischen
Individuum und Staat zerrissen. Der Einzelne kann sich nicht mehr als der
Bttrg^ eines toh ihm mitregierten Oemeinwefleofl fBhlen und siebt sich mehr
tmd mehr auf sieh selbst surflekgewies^ Überhsupt erseheint die ganse Ibit>
wiekelmig des Hellenismus in Politik und Verwaltung wie im sooddkononu-
sehen und geistigen Lehen auf eine Steigerung dieser individualistischen Tendenz
angelegt. Mit der technischen Durclibildung der Administration^ mit dem tech-
nischen Fortschritt in allen Zweigen der Volkswirtschaft machte die Arbeita-
teilnng weitere gewaltige Fortschritte. Wer sich in dieser vielfach ganx
modernen Gesellschaft durchringen und behaupten wollte, niufste auf eine mög-
lichst iiidividuellü Ausbildung bedacht sein. Die Soudcrung der Berufe, der
Individualitäten wird eine weit intensivere als bisher. *Mau ist nicht mehr in
erster Linie Mensch und Bürger, sondern erst Soldat, Beamter, Gelehrter u. s. w.'
Aber die tief im bdlenisdiwi Geistesleb^ wuxselnde Sehnsndit nach hax-
moniseher Entfidtung Persönlichkeit ist damit nidkt beseitigt. Im Gegen-
teil, sie wird um so lebhafter, je mehr die Schwierigkeiten sunebmen, die ibr
die Yerluhltnisse entgegenstellten. 'Dahw das Ibiteresse, das man jetat an
andern Berufen nimmt, das Interesse an andern scharf ausgepragi<?n Indivi-
dualitaten, wie wir es in der Kunst dieser Zeit finden. En ist der Trieb, das
einseitige Selbst aus Fremdem zu ergfinzen'.*) Und ans der tiefen Empfindung
für diese Einseitigkeit erwächst dann ganz naturgemiils ein Gesellschaftsideal,
das die Ausbildung des ganzen Meiisjcben proklamiert und zwar im Sinne mög-
lichst allseitiger, geistiger und köi-perlicher Bethätigung.
Denn auch in Bezug auf diese letztere Seite menschlichen Wirkens ist in
der Lebensanschanang des bdlenistischen Knltnrmensdien ein merkwOrdiger
Wandd erkennbar. Wir befinden uns in der Epodie dar Grols- und W^t-
sttdte, wo politische Zentralisation, Welthandel und Industrie die stidtisdie
Kultur SU höchst» Entfiiltung brachten, wo daher audi bald die MühstSnde
an Tage traten, die grofsstadtische Menschcnanhaufung und das Raffinement
qMlifisch stadtischer Kultur immer zur Folge haben. Eine neue Einseitigkeit,
die auch als solche empfunden wurde und jene modern sentimentale Sehn-
sucht nach der Natur und der 'Unschuld' der Natur hervorrief, wie sie uns
in einer neuen, für die Zeit recht eigentlicii t liarakteristischen Litterafcur-
gattung, im bukolischen Idyll entgegentritt. Diu Berufe, die den Menschen in
unmittelbarer Berührung mit der Natur erhalten, das Leben von Landleutcu,
Hirtel, Jägern, Fisdient in seiner genügsamen Ein&ehheit, Friedlichkeit und
'NatOirlicbkeit* gewinnt für den kaltnrflber^ttigten Stidter einen eigenartigen
Beis. Aus diesem Erdse entnimmt das Idyll Tomelimlich seine Stoflb; und
die Kunst schlie&t sieb diesem Zuge an, wie die aahlreidien Hirten« und
FischwdarsteUungen beweisen, die auf diese Periode curflckEufHlireii Bind.f)
Nadi der treffenden Bemeikiiuif vou Fortwingler in niaeoi Batwaif einer QeMüdchte
der Genrcbildncrci hei den Qriccboii iDcr Domauszieher und der Kbsbe nüt der Gans) 8. 60.
*) Foitwänglcr u. a. 0. *; Ebd. S. 67.
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R. PöUmum: Die MMÖale Dichtung der Griechen.
808
So ist denn nur diu letzt« Konse(iut>ii/. einer weitverbreiteten Zeit-
Stimmung, wenn in dein Sunnenstaat des Jambulos wirklich Ernst darait ge-
macht wird, den dem hellenistiichen Grofsstädter verloren geengt neu Zu-
sammenhanir mit der Natur in radikalster Weise eben dadurch herzuätellen,
d&ßi auch der Gelehrte abwechselnd ein&cher Arbeiter, Landmaim, Fiadier a. w.
vird. Diiait ist zugleich der Gegenssts Ton Kultur und Natur oder von Stadt
und Land beseitigt. Denn das * Leben auf Wiesen'^ dessen sieh nach der An-
deatong IModors die Bttrger des Sonnensiaates erfreuen^), ist ohne eine T^lige
Ansgleichung dieses Unterschiedes nicht denkbar. Li diesem Ergebnis berührt
giich flbrigens der Sonnenstaat bis zu einem gewissen Grade auch mit dem
modernen SozialisT'm« der ja ebenfalls durch eine Vpreinigimg dor gewerb-
lichen mit der ländiahea Arbeit dm Gegensatz von Stadt und Land möglichst
zu beseitigen wünscht.
Hat Jambulos wohl selbst im die Möglichkeit geglaubt, dai's die Institutionen
dieätiü seligen Sonnenreiches, deren rein utopischer Charakter für ein klares
ond nQchtemes sozialdkonomisches Denken keinen Angenblick zweifelhaft sein
ksnn, die YerpÜanzung in die Wirklichkeit vertn^n könnten? Ist die märchen-
hafte NatuTi in die er seine Sonnenbflrger Tersetst, nnd der Tollkommme
IfenichentTpns, den sie repiSsentierai, die nnenÜkdirlidie Yoransseknng ihrer
idealen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, und dah«r diese selbst von ihm
auch nur ab dn reinem .Märchen gedacht^ wie die ganxe Erzählung in die ihre
Schilderung eingefiigt istV
So viel ist ja klar: in den VVundergeschiclitcn , die Jambulos von t^einer
glückliehen Insel auftisclit, zeigt er ^ieh unverkennl)ar als der Fabulist, der
um jeden Preis ein senstitjonslüstemes Publikum zu befriedigen sucht. Allein
andererseits ist auch zu bedenken, dafs so, wie nun einmal der Reiseroman
ttdi entwickelt hatte, jedes spätere Erzeugnis dieser Gattung auf eine starke
Wirkung nnr rechnoa durfte^ w&m es die früheren in der ffilulung des 8en^
astioneUen womdglicih nodi ttberboi Schon in Besng auf die bekannten
Alexanderromane in Briefen, die alter Bind als Jambulos, hat man mit
Recht bemerkt, dals zumal der weniger gebildete Leser eben solche gröbere
Ware haben wollte. Wenn Alexander nun einmal nach Indien kam, mufste
er dort auch ordentliche, Imndfe.ste Wunder erleben*), denn die populäre An-
schauung über Indien wurde dureh ein 'ausschweifendes, im Teratologischen
schwelgendes Fabelbueh' •') , das des Ktesias, lieherrscht. Wif hätte da ein
Autor, der ebeu ein im Bereiche des indischen Wunderlandes gelegeues
Fsiadies schilderte, auf solche Beizmittel der damaligHi Bimianteeluuk ver-
zkhten können, wenn er eben nidit ein Snhemeros war, der als ausgesprochener
Bationslist soldie handÜMte Wunder natOrlich nicht gebranchen konnte? Hat
doch audi Hekaüos, bei dem eine ernste Tendena unTttkennbar ▼orliegt, in
') ttitovg h mee UtfiSn dut^ heifrt es bei Diodor H ST. Tgl. ttbiigeits audi die
IiUtdachafUschildeniug bei Euhemeros ebd. V 43.
*} Schwarkz, OtiechiMsher lionuu S. »7. *) £bd. S 8S.
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204
R. PSUmmi: Die aosUle Didutong der Chiedien.
seinem Hyperboreerroman dieser Zeitinode die weitestgehenden Zugeständnisse
gemacht und ein reclit p}i!intastiH<}H>s Fabelbuch geliefert! Es ist also nicht
notwendig, nnznnehincn, diiis de^wL^eii, weil wir ea auch bei Jambuios mit
einem sülcheu Fubeibuch zu thuii haben, die von ihm geschilderte soziale
Utopie weiter nichts ist, als ein blofses Spiel der Einbildungskraft Es kann
sehr wohl eine bestimmte Tendenz su Qnmde liegen, ünd in der That bum
man eidi selbst dem Berichte Diodors gegMiüber des Eindruekes ksimi er-
wehren, daJs hier eine Sehilderang dessen gegeben werden sollte, was dem
Autor selbst als das Ideal eines natur- und vemunftgemäfsen Lebens vor
Angen schwebte^), wwiu dies Ideal für ihn anch nicht mehr war, als ein
sehdner Traum.
Andererseits ist ja dieses Gesellschaftsideal keineswegs ein rein individuelles
Gedankenerzeugnis. Es knüpft vielmehr deutlich genug an thatsächiich vor-
handene Stimmungen und Ideen an. Wie hätte sich sonst ^^Jambulos eine
Wirkung auf die Leser versprechen können V Wie wir bei einer Reihe von
Zügen seiner novellistisflira Einkleidung nodi nachweisen k5nnen| dab sie aus
der ihm Torliegenden ethnographischen Fabellitteratur entldmt sind, so sind
auch in seinem OeseUschaftsidesl neben den schon henrorgehoboien noch
andere AnkUinge an thatsaehlich Torhandrae geistige Strömungen, ao s. B. an
platonische, kynische, stoische Ideen unverkennbar*); und es wflrde uns gcwifs
noch weit mehr als Reflex solcher Zeitrichtungen erseheinen, wenn uns diese
eben genauer bekannt wann. Selbst dann also, wenn wir annehmen wollten,
dafs für Jiunbulos persönlich die soziale Utopie seines Romans nur die Be-
deutung einer Kuriosität hatte, würde bie es noch lauge niclit für die Geschichte
der sozialen Ideen sein. Auch die Art, wie Ktesias von der üerechtigkeit
seiner Inder redet, wun^elt nicht in eigener sozialethischcr Spekulation — diese
gerechten Inder sind für ihn gewils nur eine sensationelle Kurioeitilt neben so
Tielen anderen*) — ; trotsdem ist dieses Gerechtigkeitsideal das Resultat einer
thatAchlich vorhandenen and weitverbreiteten sozialphilosophischen Strömung.
Wir dürfen nach alledem auch den Sonnenstaat als ein bedeutsames Zeugnis
f{lr die Entwickelungsgeschichte des sozialistischen Gedankens in der hellenischen
Welt in Anspruch nehmen. Er lafst uns erkennen, dafs sich hier die Ent-
wickelnng des Sozialismus, zum Teil wenigstens, in derselben Bich«
tungsiinie bewegte, wie im neueren Europa.
Man liebt es gegenwärtig, Thomas Monis, dem Begründer des modernen
Sozialismus, als Repräsentanten des antiken Plato gegenüberzustellen.*) Was
in der Utopia zu Plato im Gegensatz steht, soll dann 'durdiaus modern', d. h.
der Antike fremd sein. Als ob der Platonische Staat das lebte Wort des
antiken Sosialtsmus, und die ganze weitere Entwickelung, wie sie uns in der
>) Auch Hohde ist dieser Ansicht. ^) Vgl. Rohde S. 231 und 240 ff.
*) Dsrin itinuae ich Sehwarts (8. 89) sa.
*) So z. B. JEbttttd^, Thomas Moms 8. 291 und Zicgler in der genannten Hontt*
ausgäbe XXIX.
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R. FflUanttnii: Dia »otiale Diditaiif der Oriedim.
205
sozialen Dichtung der Griechen entgegentritt, gar nicht vorhanden wäre! So
erscheint es von diesem Standpunkt aus als etwas ganz Neues, 'wesentlich
Modemes', wenn in der ütopia die Handarbeit nieht für illiberal gilt, sondern
all» yoUbigmoaeen wa eb^ jen«r baBsuatachen Arbeit vorpfliehtet werden, von
dar bei Plato die beiden kommoniatiBchen Stände befreit sind. Wir aeben
ganz ah Ton der falachen konTentionellen Ansidi^ als ob die 'Ehre der Arbeit*
eine durchaus moderne Errungenschaft aei, und atellen einfach die Frage: Ist
der Gegensatz des Platonischen Staates zum Sonnenstaat des Jamhulos nicht
mindestens ein ehpnso grofser, wio der zur UtopinV Könnte nicht die moderne
Soziaideiiioknitie von .lambulos mit «Irmsolbm Hechte, wie von Morus sagen:
'Der jfrofse (irundsat;& der gleichen Arbeitsptliiht aUer (d. h., bürgerlich' aus-
gedrückt, der ungeheure Rückschritt des gkuhmälisigeu Arbeitszwanges) ver-
Innikt ihn auf das innigste mit dem modernen Sozialismus, scheidet ihn auf
das atrangate von dem Kommnnianma Platoa, der ein Kommoniamiia der Nicbt-
arbeitar iat?'^)
Ja wir geben noch weiter und behaupten: Vom Standpunkt dieaea heutigen
prolaterischeu Sozialiamua aus ist Morua in ökonomiseher Hinsicht sogar
weniger 'modern', als sein antiker Vorganger. Während er seine Utopier an
ein bestimmtes, allerdings raeist frei gewähltes, Handwerk fesselt, von dessen
Betrieb nur die periodisch vor^eschrichfne lieschäftitrnng mit der Feldarbeit
zeitweihg entbindet, findet bereits im Sonnenstaat de^ .iambulos derselbe stetige
Wechsel der Arbeit statt, wie im sozialdemokratischen Znknnftstaat. Morus
besitzt doch noch so viel gesunde bürf^erliche Einsicht, um zu erkennen, dafs
bat «n^ TÖllig gleichmüJsigen Beteiligung aller an mecbamscher und geistiger
Arbeit die Talente Terkfimmem, die beeawen Elemente nicht aur Bethätigung
ihrer Sjaft kommen würden; und er ISiat daher in aeiner Utopia eine eigene
Oaaae von Gelehrten zu, die Ton der Handarbeit befreit iai Der mechaniache
Konunnniamua dagegen, wie er im Sonnenstaate herrscht mit seiner äuTaer-
liahen quantitativen Gleichmachung, kennt diese Ausnahme nich^ gpma wie die
moderne Sozialdemokratie! Jamhulos hätte mit Bebel sagen können: 'Die
Berufsphysiognomien, die unsere ßeffelljäehaft heute aufweist, sind in meinem
Staat verschwunden', oder mit Kngels: 'KarrmiHchiebcr und Architekt vou Pro-
le^äiou werden nicht verewigt werden, s«ondern in einer Person vereinigt sein.'
Welch ein Abstand vollends trennt in dieser gnmdlegenden Frage die
letzte hellenische Utopie von der des Plato! Während dieser das Prinzip der
Albaitateilung auf die Spitae treibt und daher auch die Konaequena deraelben,
die 'Niederbeugung' oder 'Knickung* der Psyche, bei ganzen Beruftaweigen
und Geaeliachafteklaaeen als etwaa UnTermeidliches hinnimmt, achreitet der
Soaaliamus, wie er uns in dem Roman des Jambulos entgegentritt^ kühn fiber
diese Schranken hinweg. Er will nicht, dafs, um Marxiatiach au reden, der
Ausbildung einer einzigen Thätigkeit alle übrigen körperlichen und geistigen
Fähigkeiten zum OpÜBr gebracht werden. £r will keine 'knechtende Unter-
V Kautak; ä. 292.
806
B. POblmai»; IKe >o«i«]e Diditong dar Qrieeliea.
Ordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit'^), sondern 'die absolute
IHBponibüitilt d«8 Henidien fSr weduelnde Arb«t8«r£wdeniiBte*.') Er will
wie Marx, 'das TeilindiTidaum, den Uofem Trager einer geeelkchafÜichfln
Detailfbnktioii, durdi das total enhridmlte IndiTidmun ersetBen, ftlr daa ver-
adiiedene geMlladiaftliche Fnnktioiieii einander ablfiaende BetiiatigiuigsweiMn
•ind'.') Unbekümmert dämm, dafs er damit thatsächlich einen ungeheuren
BflckBchritt macht, läTst Jarabulos an die Stelle der Arbeitsteilung gerade das
diametral (nitgogengesetzte OrganisationspnTizip treten, das durcli abwechselnde
Inanspruchnuhint' vcri^chiedener körperlicher und geistiger Kräfte die Arbeit
für alle zu einer immer wieder von nenem erfrischenden und anregenden ge-
stalten und, indem es den Arbeitenden durch eine Reihe von verschiedenen Be-
schäftigungen hindurchführt, alle in ihm schlummernden Fähigkeiten zur £nt-
fidtung bringen, ihm gerade die Teilnahine an jenen hdhwen Beefcrebnngen
ermöglichen will, die mach der Ansieht Platoa den wirtachallUdi Arbeitendea
nnzo^biglidi sein soUten.
Hatte Plate die Dinge so beurteilt, wie aie bei einer Beobachtung TOn
oben her erscheinen, so haben wir hier eine Beurteilnng Ton unten aus. Die
geistige Arbeit erscheint hier aus der erhabenoi Stelhmg. die ihr Plat« nn
gewiesen, verdrängt, die Handarbeit ist ihr sozial durchaus gleichge.stellt.
Dafs dadurch auch das Niveau der geistigen Arbeit herabgedrückt würde, die
wiasenHchaftliche Leistungsfähigkeit, um die sich der Platoiiisehe Staat so eifrig
bemüht, bleibt unbeachtet. Es Hegt eben bei dieser Betrachtung von unten
offenbar^ wie bei unseren modenien Sozialisten, eine Anschauungsweise zu
Onmde, dM unter Arbeit in erstor Linie nur Ebndarbeit mateht nnd geistige
Arbeit mehr als Eiholnng und Gennfs ansieht.
Was ferner die Organisation des wirtsdiaftlidien Arbeitslebais betriAy
so mfissen wir ans erinnern, dab Plato Aber dieswi Punkt au einem klaren,
abschliefsenden Ergebnis überhaupt nicht gelangt ist, während auch hier wieder
JambnloB mit seiner kühnen Zeichnung einer streng aatoritar, einheitlich und
plaTimäfaig geleiteten Arbeitsgennssenschaft rücksichtslos die letzten Kon-
sequenzen im Sinne des modernen Marxismu!* gezogen hat.
Noch in einer anderen Frage, die den l"to{iismus von jeher lebhaft be-
schäftigt hat, nähert sich der Sonnenstaat dem modernen Sozialismus. Es ist
das schwierige Problem, wer sich wohl in dem idealen Gemeinwesen aur Über-
nahme der niedrigsten und widrigsten Arbeiten verstehen wird. Für den Plato-
nischen Staat existiert es noeh nidit, weü er an der SUa^erei festhKli Aber
aneh Horns ist hier noeh so 'rflckstandig*, dafs er ohne die Arbeit von Un-
freien nnd gedungenen Knechten nicht auskommen zu kdnnffli ^nbi Da»
gegen hat es in dem Sonnenstaat des Jambulos Unfreie offenbar ebensowenig
gegeben, wie im Kronosreich. Wenigstens enthalt der Bericht Diodors nicht
die geringste Spur davon, vielmehr gewinnt man ans ihm durchaus den £in-
') ^farx, 7nr Kritik dos flozialdemokrati-^chnn ParteiprograilimB. Nene 2eit IX 1. 8. 661 f.
Engels, Auti-Dühriug S. 310. Ebd. S. 318.
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R. FOUnaaim: Di« lonal« Diehttuig der GfiedieiL
207
druck, dafs 'das sich gegenseitig Bedienen' und die allgemeine Arbeitspflicht
der Sonnenbürger jegliche Art nützlicher und notwendiger Arbeit nmfafate,
da& also auch die minder angenehmen Arbeiten von allen Arl>eitäfähigen ab-
«eehselBd Terrichtet wurden, ein besonderer Arbeitszwang far eine be8C«Mfare,
iienachteüigle Ekuwe von Arbeitern nieht existierte, — ganz so, wie es die
moderne Somaldemokralae von ibrem Znknnftetaat ertxftmnt Offenbar wird
TOfiosgesetBt, dafb jener Geist der Oleiehbeit tmd Brfiderliebkeit, der alle
Sonnenbfirger beiiemeht, eine Hingebung und Dienstbereitschaft erzeugt, wie
sie Morus nur von besonders religiös gestimmten, an Zahl völlig unzureichen-
den Elementen seiner Utopia erwartet. Jedenfalls ist es unberechtigt, wenn
man die Lösung, die (]n< Problem durch Morus gefunden hat, ohne weiteres
als eine antiki»' In /j m Imet') nnd damit anch dem tiesamten antiken S^zialis-
mus die Ansieiit imterschiebt, dais <'in ideales (icniemwesen nur auf der Irrund-
lage der Sklaverei möglich sei. Ka wäre ja auch zu verwunderlich^ wenn das
Nudtkeoretische Denken der Griechen, das mindestens sdion im Tierten Jahr-
bnndert t. Cbr. bei der grundsatslieiien Negation der Sklaverei angelangt war'),
gerade b^m Anfban des soaialifttiadien Staates dnrehweg an derselben fest-
gehalten bitta*)
ZweiMbaft freilich bleibt die Entscheidung bei einer nicht minder wich-
tigen Frage, auf die uns bereits der Sozialstaat des Euhemeroe gefÖhrt lirtt.
Wir sahen, dafs die Seite im Platonischen Gesellschafts ideal, die es vom Stand-
pnnkt des heutigen Sozialismus als besonders 'rückständig' und unmodern er-
scheinen läfst, die Forderung einer mngliehsten Einschränknng der Bedürfnisse,
bei jenem Vorganger des Jambulos nicht wiederkehrt. Dagegen läfst es der
verworrene Bericht Diodors bei diesem letzteren völlig unklar, ob er die Frage
nMhr im Sinne des Platonisdien oder des modomen Soiulismim gslSst wissen
«in. Zwar ist es gerade die Mabigung in Speise nnd Trank, die die Sonnen-
bSiger ansMidmet, allein dne {»rimitiTe oder asketische ist deswegen ihre Er-
lähmng kemeswegs; nnd andi der moderne SoauaUamns Torbfirgt ja einem
jßim. nnr ^Genoft nach seinem vcmunftgemäfsen Bedttrfen'. Bezeichnender ist
sdion — nnd zwar im Sinne einer Abweichung von dem platonischen Stand-
pnnkt — , daf« der Sonnenstaat Öl und Wein im ÜberfluTs erzeugt; dagegen
iit wieder völlig ungenügend die Bemerkung Diodors üher die Fabrikation
prächtiger Purpurgewfinder, da nie es unbestimmt läfst, ob es sich hier nur
um Feierkleider der Sonuenbürger handelt, wie sie ja auch Plato für seine
') Wie eft Ziegler a. a 0. XXX! thiit Übrigens wird diese Cbarakteriatik auch Hon»
nicht gerecht S. Dietzel a. a. 0. Iii svs f.
*) SdiMi Ariitotolet «priclit in der Politik (I S, S p. lM8b) von einer Reihe von
T^t-nkem, die die Sklaverei als naturwidrig verwarfen imd ihre Aofkebnng forderten, weil
▼<m Natur jeder zur Freiheit geboren ufi Alkidamas auB Elea, ein Schdler des Gorpias,
*inl als Vertreter dieser Kicbtung genannt. S. Aristoteles Khet 1 12, 2 p. 137» b und
4« 8ehoi t. d. 8t
*) übrigens ist in dem Bericht über den Ideslstaat des Euhemeros ebeoioweBig von
^v«rei die Ilede, wie in dem über Jambulos.
208
pSUmaim: IKe wiia]» Diehtnag der Oriech«!!.
Mc^eten und Morus fflr seine Utopier zulaXat, die im Übrigen mit einfarb^^
Wollenkleidern oder Fellen vorliebndunen wlleeaa. Über die sonstige gewerb-
liche Frodoktion ToUenda erlahren wir gar nichte und können dalur nidit be-
nrtoileny inwieweit der grofse ünteraefaied, der nach Diodor awiachen der Lebena-
weise der Sonnenbürger und derjenigen der flbrigcn Menschheit beatehf), sich
auch auf dieses Gebiet erstreckt, ob hier nur nn die Auaschliefsung von Aber-
trif'benom Luxus gedacht ist oder an die Rückkehr zn einem älteren Stadium
der handwerkamäfsigen und kunstgewerblichen Produktion, wie ee Plate im
Auge hatte.
Doch sei dem, wie ihm wolle; mag in die«iem Punkt der Soiinenstaat dem
lUüdern&n äoziuliäuiuä näher odt^r ferner ütehen, mag er in anderen, die bich
unserer Kenntnis entaiehen, weit von demselben abgewichen sein, soviel fiUst
uns das QeseUschaftsideal des Jambulos, wie flbrigens schon das des Babemeros,
deutiieh erkennen, dafo der moderne XTtopismus im letsimi Grunde nieht in der
Utopia des Morns wunel^ sondern seine Vorbilder schon in der aoaialen
Dichtung der Griechen hat.') Schon von dem griechischen Staatsrom<m
gilt, was man von Morus gesagt hat: '£r hat ein Programm angestellt, das
heute in wesentlichen Zügen das Programm einer j^ofsen und mächtigen l'artei
geworfifn isf und zur Stunde uns alle, Feind und Freund, be^^eliäftigt." ^ t Dabei
i»t cb von höchstem Interesse, zu l)eobaehten, wie der kühne Gedankentiug
hellenistischer Denker in der VorausTialune scheinbar 'ganz modemer' Ideen
selbst jene Schranken durchbricht, welche nach der Ansicht der heutigen
soBialistischM Doktrin vor den Zeiten modemer 'Grolhprodnktion* und wissen-
schafHicher Technik der soaialtheoretischen Spekulation unttberschreitbar ge-
wesen sein sollen.
Nach dieser Doktrin kann eine harmonische Ordnung der individuellen
Thätigkeit, d. h. die Möglichkeit, den Arbeitenden mit seinen Arbeiten in
rationeller Weise wechseln zu lassen, erst das Ergebnis jener Vereinfachung
der einzelnen Arbeitsakte und Handgriffe sein, wie sie durch den modenien
Maschinenbetrieb herbeigeführt wird, während im Handwerk bei der Mannig-
faltigkeit seiner Verrichtungen die Kettung an ein bestimmtes Gewerbe von
Jugend aui" eine technische Notwendigkeit sei, und selbst in der kapitalistischen
Manu&ktur, die dodi den F^uktionsprocefo schon in verschiedene, je einem
Arbeiter ständig zugewiesene und daher rascher erlernbare Teilarbeitea zerlegt,
der Arbeiter fOr lingere Zeit an seine Tdlarbeit gefenelt werden mtsse^ wenn
*) Ii Ö6.
*) Dah flbrigens Bcihoii Mortu die Berichte Diodoc« Aber die «ttislaa des
EuhemeroH und Jambtdo« gekeimt hai, ist nicht zu bezweifeln. Lag doch bereiti Mit 14Tt
eine lati'iiiische ("luTsctzunp Diodor» nm der Feder Pog^os gedruckt vor. Welches Inter-
esse inabesoadere dem Kornau des Jambalo« von der Zeit entgegcugfebracht wurde, be-
weisen die frsnzOdieben vnd itaUeB»ehen Übersetzungen und Separatausgaben, die von
den betreffenden Absehnitten Dlodets im 16. Jahrhundert veiaailaltet wurden. «S. den
KataIo<r <!• s t rit MuseooMO der EünflnA auf Csanpsaella ist Ja, wie schon banerktf
ganz unverkennbar.
*) Zieglcr, Thomas Morus XXXV.
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B. PSUmami: Di« iodale Diehtunf? der Griechen.' 209
er die notige Geschicklichkeit erlangen, nnd seine Arbeit so produktiv als
möglich werden soll. Daraus wird geschlossen, dafs aller Hltoro Sozialismus
bei jener 'unmodernen' Organisation der Arheit, wie wir sie in der üto])ia
finden, d. h. bei der Fesselung jedes Menschen an ein bestimmtes Handwerk,
habe stehen bleiben müssen. Dies sei die notwendige Konsequenz der Pro-
duktionsweise gewesen, von der dieser ältere ScK&ialismua ausging und ausgehen
mttbte.^)
Li der Thai, wenn ee richtig ifSare, was die liier m Qnmde liegoide
Qeadiiditaanticht, die Erolntiomitheorie des MarziemnBy annimmi, d. h. wenn
allo gesellschaftlichen BewuTstseinsformen, überhaupt das gamce Ideenleben blob
Reflexionen der ökonomischen Struktor der GeeeUachaft waren, dann hatte
«ich die antike Sozialtheorie ebensowenig zu dem Ideal des harmonischen
Arbeitswechsels erheben Icf^nnfn, wie der 'Vater dos moderTjon ntopistischen
Sozialismus'. Indem nun aber j^enide die Antike in der rücksichtslosen Ver-
folgung des ^uzuilistischen Gedankens bis zur Aufstellung eben dieses Ideales
fortschritt, hat sie den Beweis erbracht, dafs die Schranken, in welche die
nedianische Geecbichtsaufi^assung des ökonomischen Materialismus den Menschen-
getst bannen will, in dieter Weise flberhanpi nicht ezisti«ren.
Wenn femer die materialiatisdie Geaehiditetheorie meint, dab es dem
ittoren Sonalismiis Ton der Grundlage aus, anf der er stand, nnmöglieh war,
auf die Dienste einer degradierten Klasse zu verzichten, weil erst die moderne
grofsindustrielle Technik die Annehmlichkeiten und Unannehmüchkeiten der
verschiedenen Arbeiten so auszugleichen und den etwaigen Rest unangenehmer
ArKf'it 3o zu vereinfachen vermöge, dafs sie von nllen Arhpii^fübigpn ab-
wechselnd verrichtet werden können, so haben wir gesehen, dafs für den
sozialen Utopismna der Griechen, wenigstens auf dem Höhepunkt, den der
Sonnenstaat repräsentiert, allem Anscheine nach auch diese 'Unmögliciikeit'
flidit bestand.
Vollends aber Tersagt die materialiBtisehe GeechichtBanfibasung gegen&ber
Art und Weise, wie die Franenfrage im griecbischeD Stsstsroman geldst
wird. Nach dieser ^eorie konnte der ältere Soaialismns, wie er uns s. B. in
der Utopia entgegentritt, nicht einmal an die Emanzipation der Frau vom
Einzelhaushalt denken, da er eine mächtige Grundlage desselben, die bäuerliche
ond handwerksmäfsige Produktionsweise, bestehen lassen niufste, bei der natur-
gemäfs jedem gesonderten Betrieb eine gesonderte Haushaltung, ein»' Fnmilie
entsprach. Dieser ältere Sozialismus habe also die 'p'^triarohalijioliL 1 umilie'
notwendig in sein utopisches üemeiuweejeu hinüber nehmen müaseu. Dieser
Qtunodeme Zug erscheine als eine jener unvermeidlichen Beschninkungen, welche
du Bllekatandigkeit der Zeit ihm auferlLgU . Nun, den althellenischen Sozialis«
uns hat die Skonmnische Rfidntandigkeit seiner Zeit nicht gehindert, mit dm
*FonneQ der gesehleohtlichen Beaiehungen, die der patriarchaltadien Familie
vgmtflmlich sind*, über die Morus noch vor kaum vier Jahrhunderten 'nicht
') Kaut«1i7, More 286.
Hm J*lirbtteh«r. 1808. L
14
E. PtfhliDMiii: Die «»£«18 Dichtaag der Oii«eb«n«
hinaus kountfi', und die ja auch heute noch fest im Volkshewufatsein wurzeln,
so gründlich zu brechen, wie nur immer möglich. Während nach der genannten
QesdhiehtaUieorie dem älteren Sozialismus nichts weiter abrig geblieben sem
Boll, a]g Müderungen des strengen Eheredites Tomudblagen, ist 8di«m die
floasiale Utopie der Griechen bei der gnmdriitBlidien Negation der Ehe und dar
radikalttea Emansi|Mition dee Weibes angeLmgt!
Man sieht nach alledem klar und deutlidi: Die Ideen, die in der sozialen
Dichtung der Griechen zum Aufdruck kommen, greifen weit Über den Rahmen
hinaus, durch den eine konventionelle Anschauung von der Antike und eine
nicht minder konventionelle allgemeine Geschichtsauffassung die geistige Ent-
wickelung des Altertums auf dem Uebiete des sozialen Gredankens umgrenzt
glaubt. Angesirhts der Ideenwelt, die sich hier vor uns aufgetlian, muf8 es
in hohem Qrade irrefülueud erscheinen, wenn die moderne Sozialdemokratie,
tun das D(^ma tod der absohiten Neuheit ihrer Lehren su reiten, immer nur
Ton einem 'sogmanntMi* antiken SoEtalismoa in reden w^lk^)
Dbrigens bleibt bei solchen Urteilen völlig unbeachtet dab die Ideenftllle
der Antike anch anf diesem Gebiet noch ganz anders an Tage treten wllrd^
wenn uns statt elender Trdmmer, statt leerer Namen und Buchertitel die ge-
samte hier in Betracht kommende Litteratur erhalten wäre. Wie viel reicher,
mannigfaltiger, umfassender würde sich das Bild gestalten, als jetzt, wo sich
dem Darsteller gegenflber einer verwüsteten Uberlieferung auf Schritt und
Tritt das Gefühl peinlichster Entsagung aufdrängt!
Aber noch eine andere wichtige Erkenntnis erwchliefst uns die Geschichte
der sozialen Dichtung bei den Griechen. Diese Dichtung wendet sich an das
gesamte groDse Publikum und adgt so recht augenfällig; wie verkehrt die noch
immer in einzelnen unpolittscih«! Köpfen spukende Ansidit ist, dab aulaerbalb
der Sophistenkreise und Philosophensehulen Y<m kommunistischen utod soaialiaii*
sehen Ideen bei den Griechen nicht die Bede s«n können dalSi die grobe ICnase
der Gebildeten wie der Ungebildeten nie ein anderes Verhältnis zu diesen
Ideen gehabt habe, als daXs sie — 'darüber lachte, wenn sie ihr auf der Bflhne
Torgeföhrt wurden'.*)
Eine frühere Zeit, die für dergleichen Probleme noch wenig Verständnis
hatte, mochte sich mit der Ansicht Droysens beg7iügen, dais die proletarische
Schlaraffia des Aristophanes sich auf barmlose Diskussionen 'in Hüjs.iilen und
vornehmen Zirkeln' bezog, dsiSs es sich bei ihr nur um uinen Stoö' handelte,
der 'aus den Interessen damaliger modisch- litterarisdier Bildung entnommen
'> Die moderne Sozialdemokratie hat natOrlich ein groftes Interesse daran, die 'Ürand-
vanuluedeiüiett* de« aotiken und nodenieo SottaUamni mUgliehst «n betoaeii. IMe Brfolg-
]<Mng1i«U des antiken Soscialifimus könnte ja sonst als Prl^udis gegen den modernen aiaa-
genfltzt w«Tden, ein Gesiclitsjnuikt, il.'ii Kuutslvv, Morc 8. 1, ausdrückb'cb hervorhebt
K. Herzog ^Kommuniamua und Sozialisuiui« iin Altertum. Beil. z. Allg. Ztg. ib^l
Nr. 166) hat diese «nglaablieh naive Anncht ausm'osprochen, Aber die man slillBdiwei^eiid
hiaweggvben könnte, w&re sie nicht ein trauriges Symptom des in der Altertumawiascntehaft
leider noch immer weit verbreiteten Mangel« an sogial-gescliicbtlidMr Bilduiig.
j . by Google
It. PUhhuKttn: Die aodde Diehtaiifr der Orieehea.
811
war'.** Wer Hie soziale Diciitung der ilellL'iit'n in ihrer Gesamtentwickelung
und in ilireni geschichtlichen Zusammenhang betrachten «relemt hat, wird zu
einer völlig anderen Ansicht gelangen. Er wird aus ihr den Schlufs ziehen,
d«6 fie ongeldsten Fragen der soEialen Sphinx das Nachdenken und die Pbsn-
tMe von TftQMnd«! bead^ftigt haben mflsseii, dab ein Mee Sehnen nach
geMlbdiafllidier Reform in breiten Schiditen Torhaxiden war. Er weifii nun
vorauf dafi^ um ein Wort Rankes auf nnsaren Ftäl aiuniw^den, 'dies Streben,
Süden, Wollen nicht beim litterarisofaen Adel blieb, sondern in gewisser Gestalt
da war beim Volke'. Oder glaubt man, dafs die anfserordentliche P(>]mlariiüt
and weite Verbreitung der Staatnromane, besonders des des Jambulos, bloC»
der novellistischen Einkleidung und nicht »jnny. wesontlich auch dem Interesse
m den idealen Gesellschaftstypen zu verdanken war, die hier dem Leser vor-
geführt wurden?
^ DioyMn, AzktopliaiMi II< SM.
14*
DAS HOHENZOLLERNJAHRBÜCH.
Von Erich Marcks.
An Zeitschriften, die der hohenzollerischen Geschichte dienen, mangelt ea
nicht. Die allgemeinen historischen Zeitschriften, die von Heinrich von Sybel
begründete voran, haben sich ihr, in Untersuchungen und Darstellungen, immer
zugewandt, die 'Forschungen zur brandenburgischen und preuTsischen Geschichte',
die nach R. Koser und A. Naude jetzt 0. Hintze herausgiebt, sind als besonderes
Organ hinzugetreten und haben in den neun Jahren ihres Bestehens eine statt-
liche Menge wichtiger Arbeit geleistet; auch die Preufsischen Jahrbücher und
das Schmollersche Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft
haben die Geschichte Preul'sens und seiner Herrscher auf das reichste bedacht,
jene mehr von der politisch-historischen, dieses vorwiegend von der verwaltungs-
und wirtschaftshistorischen Seite her. Gröfsere Quellenmassen haben seit Sybels
Amtsantritt die 'Publikationen aus den preufsischen Staatsarchiven' an das Licht
geschafft; der neue Direktor der preul'sischen Archive, Reinhold Koser, hat
diese Arbeit seines Vorgängers mit frischer Energie aufgenommen. Und neben
dieser alle Jahrhunderte berücksichtigenden langen Reihe stehen die besonderen
Publikationen zur Geschichte des grofsen Kurfürsten und des grofsen Königs
und jetzt die neueste, die von Gustav Schmoller veranlafsten und geleiteten
Acta Borussica zur Verwaltungageschichte des 18. Jahrhunderts. Was will
neben der Fülle dieser älteren Organe die neue Zeitschrift, deren erster Band
soeben, im Dezember des vergangenen Jahres, erschienen ist?*) In zwiefacher
Beziehung will sie etwas Eigenes: einmal, sie verbindet mit dem Worte das
Bild; und dann, sie nimmt sich nicht die preufsische Geschichte, sondern in
ganz persönlichem Sinne die der Hohenzollem zum Gegenstande.
Der Herausgeber ist der Leiter des Hohenzollernmuseimis und der Kunst-
sammlxmgen in den königlichen Schlössern: ihm steht aus beiden Sammlungen
der reichste und intimste Stoff zu Gebote; man darf vermuten, dafs er für
dessen Erschliefsung der Zustimmung desjenigen sicher ist, der über jenen
Stoff und seine Herausgabe zuletzt allein zu entscheiden hat. Neben Seidel
haben Vorstande und Beamte der staatlichen Archive wie des Hausarchivea
bereits an diesem Eröffnungsbande mitgeschaffen: aus den von ihnen verwalteten
Schätzen ist uns einiges bereits dargereicht worden und ist noch viel mehr
') Hohenzollem-Jahrbach. Forschungen und Abbildungen zur Geschichte der Hohen-
zollern in Brandenburg- Preufsen , herausgegeben von Paul Seidel. I. Jahrgang, 1897.
Berlin-Leipzig, Oiesecke & Devrient.
E. IfarekB: Dw HohAuoUcnyalirlmeh.
sicherlich in Zukunft zu erwarten. Im übrigen richtet sich dm Jalirbucli offen-
h» in entar Bailie an das wdtere PubUkum, «a di« Bifite der Laieotoluilt
Sdm AttftfttM woUen ni dieser spndien, aadb wo sie auf akwga knÜMlier
irimt rnhen und wo rie diese Arbeit ftlr du Auge des ftchgenMaehen Lesen
erkeimbsr durehaehimmem lasMii; ieh bemeiiDe g^idi, dab die des ersten
Bandes das Ziel fast antmahmsloB giflcidieb erreicht haben. Vor allem, die
lUustrationen setzen jenen Kreis von Lesern und Käufern voraus: die glänzend
ausgestatteten Bünde gehören in den Salon ebensowohl wie in die Stube des Ge-
lehrten. Und in dw Tbnt vcrnnigen sie etwas zu leisten, was keine der früher
genannten Zeitschriften vermag, indem sie Porträts, zeitgenössische Gemälde von
historischen Aktionen, Architekturen, büdhcho Quellenstücke also oder Kunst-
werke von eigenem kfinaileriaGhem Werte, in vornehmer und charakteristischer
Wiedergabe an die Öffentlichkeit tragen; der Dienet, d<tti sie damit enraiseD,
ist nnmittdbnr dentlieh: dar Historiker, der Eunathiatoriker nnd dar gebildete
Liabbaber werden ibn gleiehennalaen anakennen.
Das Jahrbuch selber aber betont daneben und darüber vor allem aeine
historische Absidit: die Pflege der bohenaoUerischen Geschichte, der Oeschiehte
lies Herrsclierbauses nnd seiner einzelnen Glieder. Ist nun ein eigenes und
neu«« Unternehmen mit dieser Absieht erforderlich und berechtigt? Es ist
kern Zweifel, dafs diese Frage vielfach aufgeworfen werden wird, und nicht
jeder wird sie mit Ja beantworten. Ich meinerseits bejahe sie gem. Es liegt
nun doch einmal in den Thatsachen der preuisischen Geschichte, dafs die
geradem flebopferiaidie Bedeutung der PeraSnlichkeitao sieb nicht ans ihnen
hinwegdenken noch -dispntieren fibi Dab es eine prenlkiaehe Gasdiidite
gieb% ist ibr Werk^ das Werk der Hobamollem, nnd ihre Wirkaamkeit raidit
in die innersten Tiefian des Tolkslebena, nidit nnr des staatiichen, hinab.
Auch heute, wo es nicht mehr gilt, aus der preufsi sehen Vergangenheit den
Beruf Preulsens zur Einigung und Beherrschung Deutschlands nachzuweisen,
und wo es den Ilistorikem natürlich gcword«'!i ist, aus der nationalen Ideali-
»ienmg der frühereu Epochen preulsischer Machtpolitik zu nüchtemerpr, realerer
und gerechterer Betrachtung zuriukzulenken; aucli hcnte, wo der Nachweis der
Notwendigkeit und Möglichkeit wirtschaftlicher und sozialer Arbeit des Staates,
den man seit den siebzi^r Jahren wiederum ans der altpreuTsiecben Geschichte
erbracht hat, andi wied^nm den ersten Schimmer des Neuen nnd Über-
Hltigenden an verlinen beginnt nnd audi der sosialai Politik der Hobm-
wUem, so gewaltig und so leiurreieh sie bleibt, eine immerhin skeptischere
Kritik ent^gentritt, in b^reilliclier Reaktion gegen die Absichtlichkeit einer
befohlenen Idealisierung und politischen Ausnutzung: auch heute noch kommt
keiner um dii"«^ Persönlichkeiten und die ungemeine Grofse ihrer Wirkung
herum, und die Kinseititjkeit historischer Auffassungsweiso, zu der die jüngsten
Tage manchmal neigen, findet in der Ilohenzollerngeschichte eine der wert-
vollsten und unwiderleghchsten Berichtiguugeu. Man braucht mit Preulsen
nur Österreich zu vergleichen, um die ganze Wichtigkeit des regierenden
ftmses und seiner wegweiaandsn Eimnlnen — die weaentlicii positiTe Beden-
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2t4
Kwcln: Da» BobeuoUenijtJiiliiieh.
tuug hier, die wesentlich negative dort — recht zu trmessen. Gewifs, das
'Jahrbuch' hat daa gute Recht, seinen Veröffentlichungen die persönliche Ge-
Bchichte der Hohenzollem zum Mittelpunkt zu geben. Freilich f&llt es, unter
dieflem Gesiehtopunkte angesehen, nicht gerade eine Lüctke ans, 6eam die be-
stehenden ZeitBehriflen haben die Angabe, die ea sieh da atellt^ aneh berdta
ibreramli inuner ber&ekaiohtigt. Aber auch bierin wird es aieh seine besondere
SteUnng schaffen können. Abgesehen von den eigenartigen Hittehi und Zielen,
die es durch seine Illustrationen empfangen wird, indem es diese historisch
und kunsthistorisch ableitet, einreiht und erläutert, wird es sich auch rein
litterarisch sein Gebiet gut abzugrenzen vermögen, indem es einmal rasche,
künstlerische Zusammenfassungen eines weiten Inhalts, Charakteristiken bringt,
die auf seinen Leserkreis eingerichtet sind, andererseits Materialien ganz persön-
licher Art, Erzählungen und ganz besonders Aktenstücke, Briefe, Öelbätbekennt-
nisse, welche den übrigen Zeitschriften zu speziell, zu persönlich erscheinen
wfirden und welche hier ihr ToUes und wohlbegrflndstes Daseinsrecbt finden;
die eigaitilidie Untersuchung wird das Jshrbudi doch Tcnnatlich jenen
ander«i m ftborlassen haben. Bereits hat der Herausgeber (S. Ifid) den 'alten
pifsulsischen Familien' die Bitte ans Herz gelegt, ihm wertvolle Stücke ans
ihren Familienarchiven Sur Veröffentlichung zuzusenden eine Bitte, die sn
erfüllen und weiter zu verbreiten ein jeder, der es vermag, sich eifrig an-
gelpj^cn sein lassen sollte. Dafs das Beste in dieser Hinsicht aus den Berliner
Archiven, vielleicht vor h1I<>!i anderen aus dem königlichen Hausarchive zu er-
hoffen wäre, ist oben schon angemerkt worden.
Durch diese überaus wünschenswerte, ja unentbehrliche Mitwirkung Uocb-
stehender wird allerdings eine Gefahr gesteigert, auf die ich auch bereits hin-
gedeutet habe und die nidit blofs angedeutet werden wilL Einer Zeitaeihrift^
die so einem Eenrschergesdiledite Namen und Inhalt entnimmt^ wird leicht das
IfiMranen begegnen, dab sie Torbestimmten Anfhssungm dien«i solle, und
dieses Mifstrauen ist heute reger als früher. Dabei ist es wshr, dafs sie selber
nur einer warmen Liebe zu ihrem Gegenstande entspringen und nur aus solcher
Liebe stets neue innere Nahrung ziehen kann; die anfühlende Liebe zum histo-
rischen Gegenstände aber, das warme Gefühl für das Grofs»^ und Echte ist ja
die wissenschaftlich berechtigtste, die eigentlich lebenschaffeude Empfindung für
den Historiker. Mögen Herausgeber und Mitarbeiter allezeit strenge Selbst-
kritik üben, dais diese Liebe sie nur anleite, Menschen und Dingen ins
Herz zu schauen und sie mit ganzer Seele bescheiden und aufrichtig zu be-
greifen — nicht aber, eins harte, wenn auch noch so grolse Wirklichkeit un-
klar zu idealisieren oder su steigern. Die Klippe, die dbs Jahrbuch au meiden
haben wird, ist die Lobrede. Wer auf diese Klippe hinweist thut nur etwM^
was heutzutage leicht und beinahe selbstverständlich ist: ^nzlich überflQssig
pflegt es trotzdem nicht zu sein. Und ich ^v('nigsten8 würde es lebhaft be-
dauern, wenn dieses Unternehmen nicht fortführe, seine innere Lebendigkeit
kraftig zu erweisen. Franzosen und Englander besitzen kostbare Werke ver-
wandter Art und wissen sie zu scbätzenj Au%aben genug sind dem HohenzoUem-
j . by Googl
E. Hurdn: Om HobeuoUengiliTlnitli,
215
jahrbaehe gestellt; den ▼enehiedenftteii Intorisseo vermag es genugzuthun: man
bnn ilon nur eine gltleldidie, reiehe und gesunde Zukunft wflnsdien. —
Diese allgemeinen Erwägungen sind, den Zweeken dieser Zeitschrift eot-
^Mredwid, liier in den Yordergrund gestdlt worden; ein Bliek auf den Inbslt
des vorliegenden ersten Bandes möge sich anachliefsen — naturgemafs mehr
eine Charakteristik des Ganzen a,h i r < einübende Kritik, zu der sieb, bei der
Vielfältigkeit der behandelten Gegenstände, der Referent aucb iiieht gleich-
mäfsig kompetent erkliiren dürfte. Der Band ist schön und reich; man spürt,
dafs Verleger und Herausgeber ihr Bestes gethan haben, äeidel hat die ver-
schiedenen Zeiten und Stoffe gleich in diesem Jahrgange zur Behandlung ge-
ijracht, und beinahe alle Beitrage sind interessant. Es sind Briefe — wenn
•eck Toriaul^ nicht eben znUreiehe — gedruckt aus dem 15., 16., 17. und
18. Jahrhundert: Briefe hohensollerisch«r fVauen ans der frtlheren EfMohe, ans
der späteren Briefe Friedrichs II., Friedrich Wilhehns II., Fsmilienbriefe aus
KSnigin Luises Brautzeit: alle sngleidi ergiebig für mancherlei Beobachtungen
biltnr geschichtlicher Art. Es sind, überraschend in ihrer Fülle und, zum
guten Teile, in ihrer Neuheit, Bildnisse veröffentlicht von fast allen hohen-
lollcrischcn Fürsten, vom grofsen Kurfürsten an bis auf Kaiser Friedricli. Denen
des .xrofsen Kurfürsten ist eine Notiz von Seidel (über den Maler Matthias
Czwiczek), denen Friedrichs II. eine orientierende kritiN ti Abhandlung des
selben Verfassers und zumal eine überaus anziehende, von charakteristischen
Schilderungen strotaende Zusammenstellung der zeitgenössischen ^oidite Aber
Friedrichs äuCaere Eradietnung, von B. Eoser, beigefügt: dieser letstere Auf-
ttli durchaus selbstftndig f&r sidi, derart, dafs die BUdniase — von Peter
Hahn in Tortrsfflichen Federaeichnnngcn mit einem Henaelschen Hauche wieder-
gegeben — hier mit gutem Rechte zu blofsen Begleitern des Textes werden,
den sie an anderen Stellen mehr ihrestoils beherrschen. Rein kunstgeschicht-
lichen Inhalts sind die Abhandlungen Schneiders i Aschaffenburger Miniaturen
aus dem illustrierten Verzeichnisse des Hallesch.cn Heiligtumsschatzes Kurffirst
Albrechts von Mainz), Geyers (zur Baugeschichte des königlichen Schlosses m
Bcrlini und Thouiets (die Musik aui preufsischen Ilofe im 18. Jahrhundert).
Die von Geyer und Thouret sind mir insbesondere lehrreich gewesen. Geyer
hat den Festeaal des grofsen KuiÜlrBten und die S<düofiikapelle Friedrichs I.
rekonstruiert: der Festeaal ist eine SdiSpfung der loteten Jahre des Eurfttrsten,
noch durchaus hollindisch in architektonischem wie plastischem Schmuck,
ein q^irecHendes Zeichen der Kulturzusanunenhänge, in denen das Leben des
groben Fürsten bis an sein Ende steht; die Kapelle giebt dem Verfasser Anlab
so mteressanten Blicken auf den Anteil Schlüters am Schlofsbau. Thourets
Essay geht schon weiter auf dns persönliche Gebiet hinüber: die Epochen des
Berliner Musiklebens gliedern sich, von Friedi'ich I. bis zum .\ntritt Friedrich
Wilht'imts III., nach den Regierungen der einzehien Könige; Thouret verbindet
eine anmutige allgemeinere Schilderung t^ebr hübHch mit einem warmen, gelegent-
lich fiMt flbemrten Eindringen in das Gemfiteleben der Herrsdier. — ünmittel-
bar von den Kunstwerktti ausgegangen, aber dann gana in die politisch-persdn-
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216
E. Mareks: Das Hobenzollerqjahrbucb.
licho Darstellung tinübergelcnkt ist der Doppelaufsatz von Seidel und Jahns
über die bekannten Wandteppiche mit den Darstellungen der Kriegsthatcn des
grofsen Kurfürsten (1675 — 79; die Teppiche vollendet um und nach 1695).
Nach einer kurzen Einführung von Seidel giebt Jahns zur Erläuterung der
Toppiche eine ausführliche Darstellung der Kämpfe, zunächst bis 1677; es ist
das ausführlichste Stück des Bandes und wird auch demjenigen, der diese
Kriegsthaten in ihrer ganzen Bedeutung schätzt — denn in der Schwungkraft
seiner äufseren Politik und seiner Kriege, und nirgendwo anders, liegt doch für
das ganze Werk des Kurfürsten das eigentlich Treibende uud Entscheidende — ,
im Verhältnis zu der Bedeutung der zu erklärenden Teppiche dennoch vielleicht
allzu ausführlich erscheinen. Ich kann hier auf die Vorzüge der Jähnsschen
Schildening ebensowenig eingehen wie auf die Fragen, die sie etwa übrig
läfst, und auf die Einwände, die sich erheben. Aber ich will doch bemerken,
dafs mir die Gefahren, denen das Jahrbuch ausgesetzt ist, in diesem Doppel-
aufsatz noch am ehesten entgegengetreten sind: jene Gefahr zumal der einseitigen
Verherrlichung der Hohenzollem, von der ich früher sprach; daneben noch die
geringere, dafs die einmal zu publizierenden Kunstwerke in ihrem künstlerischen
und historischen Werte überschätzt worden. Beides scheint mir hier vorzuliegen,
letzteres insbesondere bei dem Wandteppiche, der die Belagerung Stettins dar-
stellt. Für die kunstgeschichtliche Einordnung der Teppiche aber scheint piir
zu wenig geleistet zu sein. —
Der Beitrag von Jähns wie der von Koser weisen zu der letzten Grup|>e
hinüber, die ich hier zusammenordnen möchte: den ganz für sich bestehenden
Abhandlungen rein historischen Inhalts. Es sind die beiden Gedenkreden von
Schmoller und von v. Mischke auf Wilhelm I. und Friedrich III., die Aufsätze
von Krauske: Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., und von Bailleu: Vor
hundert Jahren.
Mit gutem Fug ist Gustav Schmollers Name an den Eingang des neuen
Unternehmens, seine Rede an die Spitze dieses Bandes gestellt worden: kein
Lebender war so dazu berufen wie er. Und die Gedächtnisrede vom 22. März
1897, die hier neu abgedruckt und somit aufbewahrt worden ist, verdient ihre
Stelle. Sie trägt den deutlichen Stempel der Tage, in denen sie entstanden
ist, aber sie ist mafsvoU und würdig; sie ist ganz durchdrungen von Persön-
lichkeit und von innerlichem Schwünge, und dabei schlicht und gehalten wie
der ehrwürdige Fürst, dessen Fest sie feierte. Sie öffnet, nach Schmollera ge-
dankenreicher Art, weite historische Ausblicke, formuliert die sachlichen Axif-
gaben und Ideale der Wilhelmischen Zeit mit voller Wärme, mit der Teilntkhme
des mitarbeitenden Zeitgenossen, und entwickelt die Persönlichkeit knapp und
fest. Sie feiert in Kaiser Wilhelm den Inbegriff seiner Regierung, aber sie
schreibt nicht ihm allein deren Thaten zu; das Verhältnis zu Bismarck erörtert
sie in eindringlicher Ruhe. Schmoller mag Wilhelm I. nicht als den Grofsen
bezeichnen, 'so gewii's er der gröfsten einer war unter den grofsen Fürsten aller
Zeiten*; aber der Beiname scheint ihm sein Wesen nicht zu treffen: 'ich möchte
Kaiser Wilhelm L eher den Weisen und Gerechten nennen.' Neben dieser
r
£. Marcln: Dm Hob«asoUenu«lubiiob. 217
1
WOrdigung des alten EuMri^ ans wdeber der historudie Qmndsiig fibereil lier-
TcnbM^ ist die lebhaft empfimdene Sebildemi^ eetnee Sohnes durch Genend
T. IGidike eine Hnldigungs- nnd Weiherede der rein peraSnIiehen Ari Eraneke
and BaDlen schlieblich alehen auf dem Boden der e^entlidi kritischen Forschung.
Knuske hat äcinc älteren Untersudrangen Ober die Anlange Friedrich Wilhelms L
in geschickter Emenerung und WeiterfÖhrung vorgetragen, die alten Legenden
zur Seite geschoben, aus bunten lebendigen Einzelzügen Aio t^iofsen Richtungen
des prt'ufsischen Staatslebens, wie der neue König es zu gestalten begann,
wirkÄiiiu heraustreten lassen. Paul Bailleu knüpft an das ^Schicksalsjabr* 1797
eine fein erwägende, fein pointierende Entwickelung des für lange hinaus ent-
sdieidenden Wandels, der sich damals für Frankreich mid für Preulsen voll-
lOgtD liabe: fOr Franlomdi Ton nationaler an oniTerseller, erobernder Politik^
ibr Prenften ron der alten Sonderpolitik 'Ohne Deatadiland an einer dentsehen
oder doch norddetttsehen Politik der die Zukunft gehörte. Person«», Siromangen,
allgemeine Richtungen werden da mit Zurflcldbaltang und Qerechtigkeit rssdi
beidurieben und beurteilt, Fragen angeregt, knappe Formulierungen unter-
nommen ond die Linien des langen Herrscherlebens angedeutet, dessen Beginn
in diesem Jahre 1797 !fi<; Bailleu läfst in alledem das Zeichen Leopoltl Rankes
Aber der neuen Zeitsciiriit leuchten: und auch wer daran glaubt, dafs wir das
Recht und die Pflicht haben und längst daran sind, über den grolsen Meister
zugleich hinauszugehen, wird diesem Jahrl)uche keinen besseren Wunsch mit-
geben können, als dafs ihm beschieden »ei, dem Unvergänglichen an Rankes
ISibe erbaltrad und weiterbildend getreu au bleiben.
ANZEIGEN UND MITTEILUNGEN.
1) Gkscbichte von Florkvz von Robert
Davidbohn. Erster Band: Ältere Ge-
schichte. Mit einem Stadtplan. Berlin
1896, Emst Siegfried Mittler und Sohn.
XI, 867 8. 8».
2) FOBSCBCXOEN ZITB ÄLTKSKlt GlBCHICBTE VON
Flobenz von Rodert Davidsohm. Berlin
1896, Emst Siegfried Mittler und Sohn.
VI, 188 S. 8".
Zu Florenz im archäologischen Museum
befindet sich die marmorne Basis eines Bild-
werkes, das man vor kurzem beim Nieder-
legen des mittleren Stadtteils auf dem Boden
des Forums der römischen Kaiserzeit ge-
funden hat. Der Stein war dem Genius
der Kolonie Florenz geweiht; und als den
Schutzgeist der alten Florentia wird er einen
Jfingling getragen haben mit der Schale
und dem Füllhorn, da« gßttlichen Segen
versinnbildlicht. Robert Davidsohn hat sich
diese ehrwürdige, fromme Widmung bei
seinem Werke zum Vorbild genommen: er
weiht es dem Genius von Florenz. Er ehrt
damit das Walten jenes Geistes, der aus be-
scheidenen Anfilngen grofscs hervorgebracht
hat; und indem er seinen ersten Spuren,
schüchternen Anläufen zu bedeutenderen
Leistungen liebevoll nachgeht, stellt er sich
in den Dienst wahrer Humanität. Es liegt
eine nicht zu unterschätzende Entsagung
darin, das herrlich Gewordene beiseite zu
lassen und sich mit den unscheinbaren
Keimen zu beschäftigen. Und doch bringt
erst die entwickelnde Methode der Geschicht-
flchreibung wahren Genufs. Davidsohns Buch
ist Beweis dafür. An sich mag es ja reiz-
voller sein, das Florenz Dantes kennen zu
lernen oder sich in die Schönheiten des Zeit-
alters der Medici zu vertiefen — die tiefste
Befriedigung bei solchen Studien findet doch
erst der, wer da weifs, wie das alles ge-
worden ist. Dafür, dafs uns Davidsohn die
Kenntnis des Entwickelungsganges von
Florenz vermittelt, müB«on wir ihm aufrich-
tige Dankbarkeit zollen. Er versteht es,
dem Werden und Wachsen eines Gemein-
wesens ab ovo nahe zu kommen. Nicht die
Baugeschichte allein führt er uns vor: fast
allen Regungen der Volksseele bringt er
feines Verständnis entgegen, und den ver-
schiedensten Aufserungen eines von Jahr-
hundert zu Jahrhundert, von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt komplizierter werdenden Verwal-
tungskörpers wird er gerecht. Und dabei
hat er noch den seltenen Vorzug de« weiten
Blickes. Trotz einer bis in die kleinsten,
anscheinend unbedeutendsten Einzelheiten
sich versenkenden Forschergabe verliert er
niemals das (Janze aus dem Auge Florenzen«
Stadtgeschicbte ist ihm nicht Selbstzweck;
Schritt für Schritt fördert er die Landes-,
die Reichs-, die Weltgeschichte. Darum ge-
hört Davidsohns 'Geschichte von Florenz'
ganz entschieden zu den wenigen Büchern,
die kein Historiker — ja, ich möchte fast
sagen: kein ernsten Studien geneigter Ge-
bildeter — unbeachtet lassen darf. Damit
unterschreibe ich Wort für Wort das ehren-
volle Urteil, das Walter Friedensburg im
'Literarischen Centraiblatt' 1897 Nr. 14 über
D.s Werk, das für 'alle Zukunft festen Grund'
gelegt habe, gefällt hat: es reihe sich 'dem
Besten an, was von Deutschen über aus-
ländische Geschieht« geschrieben worden ist*.
Nach knapper Berichterstattung über
das hundertjährige Dasein des etruskischen
Florenz, einer Tochter von Faesulae, und
seiner Vernichtung durch Sulla i. J. 82 v. Chr.
klärt der Verf. die durch verschiedene Über-
lieferung arg entstellte Gründungsgeschicht«
der auf fast jungfräulichem Boden neu er-
standenen römischen Florentia auf. Danach
ist es mehr als wahrscheinlich, dafs die
schöne Amostadt ihren Ursprung auf Caesar
und sein Ackergesetz vom Jahre 59 zurück-
führen darf. Bereits gegen Ende des dritten
nachchristlichen Jahrhunderts schwang sich
Florenz zum Haupt« der beiden zu einem
Verwaltungsbezirke zusammengezogenen Pro-
vinzen TuBcia und Umbria auf; e« war Sit«
der kaiserlichen Verwaltung und Residenz
des Herrn 'Korrektors'. Kurz vor 400 n. Chr.
scheint es mit Tuscia annonaria der Provinz
Aemilia einverleibt worden zu sein. Jeden-
Anseigen und ICtteUniigeD.
219
hüs bildete Florenz in der römiacben Kaiser-
leit ebe «dir TCspekteble Aiid«ddiuig, und
ein b*»dpntender Komplex ward allmählich
mit schönen und oützUcben Bauwerken be-
dedti Doeh 'der TodMicampf des rBmiichen
Reiches' be<.'ann, und 'an neine Pforten
pochten als angeduldige Erben germanische
Tfllker*. Dann konnten selbst Biege wie
die mit Hilfo von Hunnen und Wesfijotcn
dorcb den grofsen Stilicho bei Florenz her-
heifrefilliTtc Vernichtung der Ostgoten unter
Kada<;ais (23. Aug. 405) Bchlechterdings nichts
ändern. Die alten QOtter sanken; ein neuer
Qflaalie bahnte sieh unbeswingbar seinen
Wen <lurch das Imperium Romaniim. Nach
und nach stiegen auch in Floren/. Augustus,
Uis und Serapis von ihrem Piedestal herab:
am U. Oktober 250 Hillt diu« Haupt des
Hinias, de« einzi^rcn christlichen Mrirtyrer«.
den Florenz aufzuweiacu hat, und schon
giebt es hier einen Bischof. .\ cht zig Jahre
spater weihte der Mailänder Bischof Amhro-
lins die Laurentius-Basilika ein; es ist charak-
tonstiseb fiir Davidtohn, daTs er glaabbaft
machen will, Florenz verdanke ^leinc Iiiteste
Kirche einer Jüdin, da sich das Vorgeben
enwa lapsns lingoae (Ambrosiitt hatte in
seiner Weihrede einmal 'Judaea' statt Juliuna
gesagt) als Ehetorenkunstetück entpuppe.
Dagegen wird die ErOrterong der Anftage
der Reparata-Verehrun;; durch ihren Scharf-
linQ und ihre zwingenden Schlösse jeden
iibenteagen; e« w«r nicht leicht, ans dem
nppipen Geranke und Gewirre spUtmittel-
aiterlicher, gefälschter L^end^ den wahren
Kam hetmnsKUBchUen, wie es gekommen ist,
daTs die [der Zeit nach) zweite Bischofs-
kirche TOn Florenz, die erst im 14. Jahr-
htmdert dem Dombau hat weichen müssen,
gerade einer i^yriacb-griechi sehen Märtyrerin
au» Caesarea zu)r*»pipnef war. In solchen
diffizilen Untersuchuugen zeigt sich der Verf.
als Meister exakter Forschung und kritischer
Methode. Kühl bis an^ Herz hinan steht er
dem Gegenstände gegenüber, den er unter-
sucht; D. kommt einem bei dem Verfahren,
die verhüllten Fälden 7.n pntwirr<»n nnd das
innerste Gewebe blofazulcgen, wie ein Anatom
vor, der am 8est«r(iedie mAae» Amtes waltet.
Das hat aher atich «eine Oefahr So lanpe
sich der Uistoriker auf dem Boden der reinen
Ihterie, der Erforsehiuig de« ThatsBchllehen
bewegt, braucht er nur die Schilrfe th Ver
itandes schalten zu lassen | begiebt er sich
aber auf dos Feld des Olanbens, will er die Oe-
Bchichte reli^'iöser rijerzen^rinigen .-^chreilien,
•0 muft er es sich bei aller Vorurteilalosig-
Ut, bei aller Vermeidung liebloMr Ein-
«iti^Mk ^kwh angelegen seia liaaea, dorn
jeweiligen Zustande des Herzens dessen, den
«r sehildeni will, durch ein gewisses Nach-
empfinden pcrpcht zu werden. Diese Pflicht
eines wahrhaft objektiven Geschichtschreibers
hat Davideoha netnes Sraditeas venKomt.
Das tritt besonders da 7xi Tajje, wo sich
um die DarsteUong der Glaubenskämpfe
handelt, die Floreni aar Zeit der Beform-
ljt'wegun<j innerhalb des abendlflndipchcn
Christentums und während der Investitur-
■treitiglMiten durchgemacht hat. Wer wire
es entschieden am Platze gewesen, sich in
die Seele eines äberzeagien^ ernst denkenden
Christen des 11. Jahrhunderts sn Tersetsen
— Davidsobn hat nicht einmal den Versuch
gewagt. Über die Vorglinge selbst, die
Vorgeschichte und die genauen Daten der
Ereignisse «nteiriehtet er uns ausgezeichnet ;
nher ihren inneren Sinn würdigt er nicht,
da er vuo der Höhe eines über derlei ver-
altete Märchen erhabenen Kulturmenschen
(in d<> siecle hfruhldickt. Zum Beli.>j;t' da-
für will ich aus dem reichen Inbiüte des
sehr ansfflhirlidi gehaltenen Werkes eine
Partie herausgreifen, an der ^^ich die Vor-
aOge, aber auch die Schattenseiten der
DandeohiMehen SehaflSens- nnd Sehreibweise
recht deutlich studieren lassen. Der Ver-
fasser hat — aus äuTscrcn, buchtechnischen
erfinden — die grOfste Zahl der cur Kon-
trole seiner vielfach unerwarteten Hel l t]
tungen nötigen Anmerkungen und sämtliche
Exlnirse einem Beiheft fiberwiesen, das
'Forschungen u. s. w.' (siehe oben unter Xr 2)
betitelt ist, eigene Seitenzahlen aufweist und
aach inhaltlidi som Tdle selbständigen
Wert besitzt. Diese 'Forschungen' bringen
auf S, 55 — 60 eine bisher nirgends veröffent-
lichte Vita des Abtes Johannes Gualberti
(t 1073). Geschrieben ist sie von einem un-
bekannten Vallombrosaner Mönch, tinem
Schüler des schneidigen AutiHimünislcn, um
das Jahr 1127. Sie ist deshalb wertvoll, weil
sie über die kirchliehe Reformbewegung
des 11. Jabrhs., besonders über den Floren-
tiner Btscholintreit von 1067 Einaelheiten
bringrt . die dnn. was man bisher von jener
i'eriode des Kampfes gegen die Simonie
tmd fBr das Colibat wirkte, wesmUieh er-
gänzen und berichtigen. Zunächst wirft eine
Stelle über den Bischof HUdebrand von
Florens (1007/lOOB— 10S4/25) ein grellee Lieht
auf das Treiben der verheirateten Geist-
lichen. 'Cum [domnuü Guarinua Septi-
mensis ooenobis abbas primus] quodam tem-
pore ]iro quodam negotio acccRf^isset ad
Florentiuuni aepiscopnm nomine lldebrandum
emnque peroraiflet rem pro qua venerat et
eipeetarat aepisooiii reaponsioiieBit coqjux
. j ^ d by Google
220
Aiueig«ii and ICttotlnqgeii.
•epiicopi nomine Alborga iuxta enm ledeiiB
reepondll: < Domne alibas, de hac re, pro qua
tu postulas, domouB meus ooo est adbuc coa-
dliatni; ipse loqnefcar cum auis fideHbns et
rpfipondebit tibi quod sibi placuerit > Ad
hanc vocem abbas zelo dei acceiuue c^pit
vebementer contra mn maledicüonia vm>a
promere diceus: .-Tu maledicta Jezsibel, tauii
coDScia reatits, audes loqui ante coaveaiam
boooraitt homliitguii vel deiiconun, qtiM de-
bercR ipui" comburi, quia tale dei plasma
deique sacerdotem detorpare preaamuati?»'
IKeamal bekam der eifernd« Abt noch recht
von Rom: der Klostervonstflu-r von Sottinio
erhielt Krummstab, Saadalco, Mitra und
Hindidralie als Abzeichen eeiner hohen
Wdrde und wurde dem Pujiste direkt unter-
stellt — ein halbes Jahrhundert sp&ter aber
nnfstei) die MOnche nnTerrichteter Dinge
abziehen. Das war 1067. Unter der Führung
des Abtes Rodulfua von Moscheto erschien
die Partei Johanns in Rom, imi der Synode
und Alexander dem Zweiten die Beschwerden
der Mönche über die Simonie des Bischofs
Pietro Mezzabarba von Florenz vorzutragen.
Itotcdem aber der allmächtige Hüdebrand,
der spätere (Irc^or V'II. ('vir acf»repiua et
excelleutiääüuuH ttlterüamaiierj, den. München
sekundierte, siegten doch die Gemärsi^'ton,
Pier Damian! nn der Spitze. Die Niederlage
der Ultras ist aui'serordentlich lebendig ge-
■ehildert; dabei macht die Erzählung den
wohlthuenden Eindruck historischer Treue,
Schonfärberei ver8chmfi.ht der wahrheits-
liebende Antor prinzipiell.
Interessant in kulturgeschichtlicher Be-
ziehung endlich ist der Bericht deshalb, weil
er das zeitlioli erite Beispiel der in
Florenz heute noch beliebten 'beffe' bietet.
Die schlanen Florentiner wollten gern heraus-
bekommen, wieviel der Vater ihm Bischofsi
der reiche Pavese Teuzo Mezzabarba, für
die Übertragung des Bistums auf seinen
Sohn angelegt häie: 'c Domne Tenso, moltom
pretii jiro filii tui diguitate regi contulisti ? *
Quibus iUe utpote simplicissimus homo c^ pit
ittretorando fieere: «Per corpus s. Syri, nec
unum molendinum potost homo in domo
domini mei regia [Henrici IV.] habere sine
magno pretio oedum talem consequi aepis-
cqMftam.» At ilU haao andientes alacres et
avidi rem scitari rursus expostulant dicentes :
«Die ergo si placet tu§ nobilitatt, quantnm
summe potuit haec res constaro tibi?> At
ille: Per s Syrimi, sie tria milia libraM
potestis beue «cire me prupter himc aepiRCo-
patom aeqnimdiim dedisee s^itut unum
valctiü crfdcre nnmwwmn X)ie f loEentiAer
wuIsten genug.
Dennoch saTs der otfenbarer Simonie Ober-
führte Bischof r-u fest auf Beinem Stuhle;
ihn zu entfernen, kostete grofae Mühe: ein
Gewaltmittel deuiagogischester Art raufste
herhalten, damit die eifernden Mönche den
verhafsten Mann stürzen konnten. Eüns der
interessaoleetai Schauspiele des viuid«r>
gläubigen Mittelalters, die Feuerprobe,
wurde im Kloster Settimo veranstaltet i und
der Ton Johumes Ckialbeiti fBr dies immer*
hin nicht ganz uugef;!hrlirhe Experiment be-
stimmte Petrus (später 'Igoeus' zubenamset)
enlsehied dnrdi seine am IS. Febroar 1068
glücklich durchgeführte That, dafs die Sache
der Bischofiigegnw die gerechte sei. Fesselnd
besehrnbt Davidsohn (8. SS7 ff. des I. Bandes)
die Vorgänge, dii' zu der aufregenden Probe
führen, die Vorbereitungen dazu, das Gottes-
gericht sdbst und die Folgen davon. Vnr
schade, dafs er es hier wie an so vielen
anderen Stellen seines Werkes nicht unter-
lassen kann, dem Wiuder- nnd Abergbinben
der katholischen Kirche eins anzuhängen.
Mit sichtlichem Behagen verweilt er gerade
bei Schilderungen soldier Ereignisse, welche
starke Bigotterie beweisen und lilieralerer
Denkweise als lächerlich und komisch er-
scheinen müssen. Hier hat er es z. B. nicht
verschmäht, zur Bekräfligtmg seiner von
jedem VfTTtnnftijreti Ho^vieHo geteilten Behaup-
tung: da.»; Orakel der Feuerprobe brauche bei
günstigem Ausgange durchaus nicht als ein
Wunder aufgefafst m werden, ein Gutachten
des Berliner Branddirektors heranzuziehen!
Das geht entschieden tu weit Ich habe
schon an anderer Stelle lOest. Litt.-Bl. VI
Nr. 9 8p. 267) Gelegenheit genommen, den
Verf. KU bitten, deatarUge SpUhefaen in den
zukünftigen Bänden zu unterlassen; und ich
«riederbolo diese Mahnung hier, weil ich der
Übeixeugting bin, ihre Befolgung werde dem
grofs angelegten Werke nur sum Segen ge-
reichen.
Ton Davidsohas Bnch kann ich fito heute
nicht Abschied nehmen, ohne meiner An-
erkennung vor der trots der eben gemachten
Ansstellnngen hochbedentsamen Leistung da-
durch eine weitere Stütze zu verleihen, dafs
ich auf die schöne Ausstattung hinweise. Die
Königliche Hofbttcfaliandlung von Emst Sieg
fried Mittler und Sohn hat dadurch von
neuem bewiesen, dafs der deutsche Buch-
handel heote noch Idealen lebi ^tpier,
Satz und Druck sind vorzüglich. Besonderes
Lob verdient das sorgfältig zusammen-
gestellte Register und die trotz der grofsen
Opfer noch ermi^lichie Beigabe eines Planes
von Florenz, wie es nach den Rcstiltaten
der D.8cheu Fonchungen Anfang des 13. Jabr-
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Aucigm und Hittflilnnipen.
891
bondertB im GrandriA anagesehen haben
aagi df» laabcve Zaiiiluiiiiig dasn Iwt d«r
bdiannte Statt^^arter EoiutlugtMikir CoflMl
von Fabiicsy angefertigt.
Hai» 7. Waawvt.
Altdectschx PAsaioRBtriKu AU» TnoL. Mit
Ahhindlimgieii über ihre Entwidnliiiig,
Komposition, Quellen, AoffOhrungen und
iittenuhistorische Stellung herauagflgeben
Ton J. £. WAOKsavai^iu Qn», Slgrfi»
CCCXrV*, 550S 8. [Quellen und Forschun-
nin zur G^chichte, Litteratur und ijprache
(menretebl und tdaer Kronlftader. Durch
die Leoge«ell8chaft herausgegeben von
Dr. J. Hirn und Dr. J. E. Waokernell,
0. 8. Fwötm&mn m der üsivetdttfc buui-
brack. I.J
OegenwÄrtip hat das Studium äer deut-
schen Philologie in Österreich tint'n viel
breiteren Boden als in Deutschland. Da«
BewuTstAeiu, dafa Österreich seit <lvi\ Zeiten
iet Minnesaug-R eine so hervorragende Stel-
lung in der deutschen Litteratur eingenommen
hat, weckt die Begeisterung, das nherk ommenp
Erbe gegen Slawentum und Wälschtum zu
Vahren und in der wineniehflftliehen ISr-
«cbiiefsung alter und neuer, noch vf-rhorgonor
Sch&tze der Mit- und Nachwelt zu zeigen,
was Ostendeh flbr die EntwidielanipdeQtMSien
Wp!nr,= Ii r deutet. Nun sind zwar die groTspn
Utteranschen und geschichtlichen Erschci-
«ragen de* IGttelalten iMkaont, aber wie
viel ruht noch in den Archiven und Biblio-
theken, das neben diesen weltkundigen
Ortben fllr beechrinktere Kreiee seine Be-
deutung hatt^ und gleichwohl lifferatur- und
knltazgeachichtlich von höchster Bedeutung
iit. Beeonden seit der MtCe dei IS. Jahr-
hunderts tritt ÜBterreich in den dcntschen
Idtteraturgeschichten aoffallend znxfick. Dar
«nf bal taaa in Ofterrdcli bisher ni wenig
Aufmerksamkeit gerichtet. Giebt es doch
s. B. noch keine ausreichende Sammlung
ürolieeher Volkslieder, geschweige denn
eine litterarbiitoriiehe Untersuchung dar-
über. Hier wollen nun die von Hirn und
Wackerneil begründeten österreichischen
Quellen und Forschungen helfen Sie sollen
nach der Ankündigung Abhandlungen und
Ausgaben, Biographien einzelner Persönlich-
keiten und /usauiinenfassende Darstellung
kleiner Perioden oder gröfserer Zeiträume ent-
halten. Blofse Neudrucke ohne einschlägige
wissenschaiUiohe Untersuchungen werden mw
bei besonders wertvollen Litteraturwerken
zugelassen. Die Ittterai^eschichtUche und
ipneiilitdw Seite itebt im Vordergnmde,
Äer Midi «tgentUeb« GeedUditiquelleBf Ur-
kunden, Briefe u. dgl. sollen ihre Steile
flnden, wranegeeetet, daTs sie ans Sster-
reichischen Archivh est linden stammen oder
doch vorherrschend Osterreichische Verhält-
nisse behanddn. Bei streng wiMenscbaft-
Ucher Form und Methode soll doch auch
thunlichst auf weitere Leserkreise ttücksicht
genommen werden.
Zuer.'^t hat A. Hauffen die deutsche
Hprachinsel Gottachee, ihre Volkslieder,
Sagen, MBtcben, Sitten und Oebriadie be-
handelt (erschienen 1896 als III. Band) und
damit ein schönes Zeugnis von dem deut-
schen Charakter des üntemehmens ab-
gelegt. Etwas weiter ab liegt der II. Band
'Die ältesten Totcnbücher des Cistercienser-
etlfts Wilhering in Österreich ob der Enns'
von O. Grillnberger. Von um so gröfserer
litteratur- und kulturgeschichtlicher Bedeu-
tung ist der vorliegende I. Band Aber die
Tiroler Passionsspiele, ein überraschender Be-
weis für das so oft bew&hrte 'Sachet, so
werdet ihr finden*.
Denn was uns vorliegt, ist das Ergebnis
mphr nl« zehiijühriger emsigster archiva-
liücher Forachuiig and philologischer Arbeit
auf einem Gebiete, von dem eigentlich nur
da« rohe Material von Adolf Pichler vor
mehr als &0 Jahren bekannt gemacht war.
Sdion 188T hatte WaekeraeU etne vortlnfige
r^ntersuchunir t\rr drei Jlltesten Text«* der
Tiroler Pafisiousspiele in den Wiener Bei-
trSgea (Wien, Braninflller) verSffimtlicht and
diese al;» .\hnehrifTen resp. Bearbeitungen einer
verlorenen Vorlage ^des 'Tiroler Pussions*)
erwiesen. Aneb eine allgemeine istbetisehe
Würdigung war damit verbunden. Pa- < r*
konnte al» eine Einleitung in das nunmehr
vollendete grofse Wedt betraehtet werden.
Dieses aber uininit die ganze Untersuchung
noch einmal von vom auf, befestigt die
bereite in der ersten Sehnft gewouneiien
Ergebnisse nach allen Seiten hin, untersucht
die Quellen, die maanigfachoi Verzweigungen,
die EinflQsse anf spAtere Diehtnngen und
geht überhaupt allen historischen und philo»
logischen Fragen nach, die in dem so be-
stimmt abg^^enzten, einen Zeitraum von
anderthalb Jafarimnderten wafaesendeii Oa-
biete liegen.
Die erste Schrift hatte nur a Texte unter-
sucht, den Sterzinger, den Pfarrkircherschen
und den Haller Text; jetzt werden nicht
weniger als 1^ Texte geboten. Damit ist
aber die Zahl der jetzt bekannten Hand-
schriften und Drucke noch lange nicht er-
schöpft; es sind nur die altdeutschen; die
jungem flboiiehtUdi awogliedem hat eich
Verf. wie noeh maaehes andere fllr eine be*
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Aluteigett und ]Ctt«il«iiig«ii.
m
■ondere Arbeit vorbdialtaD, da dM obnehin
sclion 80 amfanfrri'icbc Werk ins T'upouiosseuo
aogescbwolleii wäre. Hier darl' man g«wils
aii«h «of die Biueihung des Oberammer-
gauer Passion? in die ('lirrlictVrung rechnen.
Die blofaen Texte zu geben, lag nicht in der
Absicht Wackemetb; der eigeniUehe Wert
des Buches liegt in der Ausnutzung Jcij
Materials nach der litterar* and kultur-
bietoriidien Seite hin. Und daaa bot auch
die scheinbar trockenste Untersuchung Ge-
legenheit. Di« mit dem ganseo philologi-
schen Appu^at geführte Untersuchung des
HandschriftenverhliltBiBses i. B., ein ebenso
notwendiger wie unangenehmer Teil jeder
Ausgabe, ist gleichwohl mit sehr inter-
essanten Ergebnissen der Testgeschicbto
verknüpft, wie Kollcuorweiteninff , T?olI»'n-
veriinderung, luterpolaLiüueu uub maumg-
fachen Gründen, die kulturhistoriseh von
TntereHge sind Die .\rf der Aufführungen
wird hin iun kleiiibte fLät^stellt; Namen
und Stand der Spieler, ihre Kleidung, die
Kosten, die Bühneneinrichtung ^ind urkund-
lich vorhaaden, und aus ihnen ergiebt sich
ein so Uares QesamlbUd dieser ganaen
Kunstübung, ■wie es heute der genaueste
Bericht von Oberammergau nicht besser
geben kann. Andi die allmähliche Ent-
■wickelung von der alten , an Ort und Zeit
gebundenen Technik za der modernen, die
niehi mdir die alte DreisaU der Avfltth-
rungen (Gründonnerstag, Charfreilag und
1. Osterta^) festhält, sondern alles an einem
Tage erledigt, der beliebig in der schönen
Sommerzeit gewählt -wird , enicheint in den
lotsten Aafführangen des Steizioger Fassions
(Vision ist «rkondlich in diesem Sinne
Maekniinum), besonders der letzten von 1580.
Nicht minder interessant ist die Thatsache,
dab bereite 1614 bei der groAen sieb«i-
tägigen Passionsauffühning in Bosen, der
glänzendsten, die Deutschland je gesehen
hat, Frauuu mitspielten und sogar eine
'Spielregentiu* genannt wird. Bisher schrieb
man diese Nmimmg im Bühnenwesen erat
dem 17. Jahrhundert zu. Von Einzelheiten
sei erwUmt, dafs hier auch Hans Kied, der
saumselige Abschreiber des Heldenbuehes,
mitspielte.
Ein dritter, sehr wichtiger Funkt für die
Untersuchungen war die Feststellung der
Quellen, aus denen die Urfassung sowohl
sÄs die ▼emehiedenen Ornppen insbesondere
geflossen sind. Die Biliel steht natürlich in
erster Linie, daneben aber greifen auch
Legenden ein vmd vor allem lokale und
persördiche Uedürfnifc^e und VerhäUiiisBe, s«
die Wünsche der Spieler, die durchaus dem
besseren Teile der GeseUsdiaft angdriMen,
die Regahung des Bearbeiters, das4 mora-
lische Interesse endlich, das die Spiele zu-
gleich als Fredigten verwerten will und u. a.
die Teufelsszenen als Füttonspiegcl der Zeit
erfindet. Auch gegenseitige liintlehnungen
treten deutlieh hervor.
Alle diese mannigfaltigen Gesichtspunkte
halten da»; Interesse an den weitläufigen
Untersuchungen des 1. Teils atebs rege.
Gleich das erste Kapitel führt uns durch
seine Nachrichten über die Spielsammler und
gewissermafsen Impresarios Benedikt Debe
und Vigil Raber mitten in die spielfrohe
Zeit und ihr Treiben. Ek ffdgen die Unter-
suchungen über die einzelnen Spiele, zu-
nächst die Bozener und Sterzinger und ihr
Verhältnis zu einander Im Anschluls daran
erfahrt der 'Tiroler Passiou', jene auf philo-
logischem Wege gewonnene Grundlage der
Einzelgruppen, eine eingehende Analyse nach
seinem hohen dramatischen Werte, nach
seinen Quellen und Nachwirkungen, nach
Keiner litterarischen und kulturhistoririchen
Bedeutung. Auch der Dichter wird schon
hier In den Hauptadgoa eharakteriaieit,
doch ist ihm noch ein besonderes spateres
Kapitel (XX) gewidmet, was bei der Bedeu-
tung seine« Werkes durchaus g^ereohtfertigi,
ja notwendig ist. — Die AufTührungen ia
Hall und Schwas, die darauf behandelt wer-
den, erbalteo Bnreiterangen, beeondera im
Vurspiel, und diese werden sofort wieder in
Bozen aufgenommen, wo dann 1614, noch
durdi vide andere Zuthaten bereidhert, iin
grofse siebentägige Aufführung zu «tande
kommt, die den Glanzpunkt der Eatwicke-
lung bezeichnet und demgemift in eum
besonderen Kapitel erCrtert wird. Elndlich
folgt die Untersuchung über den Brixener
Passion und sein Verhältnis zu den aadwoi.
In einigen kleineren Ka|ntdn werden so*
dann die (JeHanitergebniRse gezogen. Unter
ihnen i^l besonders Kap. XXI über die Stel-
lung des Tiroler Passions im Oesamtzusammen-
hange der Pa><5»ions!a]>iele Deutschlands her-
vorzuheben. Er bildet gerade die Blütezeit.,
die dritte Periode, ca. 1400 — 1515, die durch
das Aufblühen der Stildle, ihren KuuBi»inn
imd ihre Xunstfreude bedingt wurde, die für
die wohlhabenden Bflrger dasselbe bedeutete,
was früher Singen und Sagen den Kittcm
war. Sterzing ist der Mittelpunkt; von da
geht die Bewegung nordwMa nach BM und
Schwaz und ^^üdw'lrtB bis Bozen, ja darüber
hinaus bis nach Wiüschland hinein. Die
vorhergehende Periode wird durch den
ültcsten Frankfurt er Pas-^ion bezeichnet UUd
umfaTst etwa das 14. Jahrhundert.
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Anseigvn vaA UittaUnngon.
333
Hier und die Anfänge dramatiicher Ge-
ttaltujDg, die Abhebung von Einzelperaonen
ron der Ma^s^e, dialogische Entwickelang,
Yenifiiieriiug, deutücher Text, Dispositiön
a. Ag\. wahrnehmbar, während in «it-r t-rsteB
Periode, dem 13. Jahrhundert, nur kOmmer-
liche Markienwg der Handlung ohne Dialog
in lateinischer Proaa erscheint. Der Ver-
fall. cJif 4. PeriodL", trat im Laufe deB
16. Jakrhunderts ein, d. b. die völlige L08-
lösang ron dem kirchlichen Charakter, Ein-
fuhrang der Frauenrollen u. dgl. In diesen
Zosammenhang treten die Passionsepiele hier
mm «nten Male, und dies allein ist schon
eine wertn Hf Bereicherung der T.itteratur-
geschicht«. k^iu folgendes Kapitel giebt über
<!• T«Ktbeliuidliiii|r ReeheaMliafl mid eia
letztes f!ber 'neuest*^: '/.rrx&chs', der Bich
noch während des Druckte einstellte.
Jm ««retten Tefle dee Badiei folgen die
Tf=xt€ 1—480) Leitender Text ist für
die beiden ersten -Spiele (Gründonnerstag
mi ChatfMtag) der Stendnger; «b Lee-
srten sind darunter gesetzt der 'Amerikaner'
t«ue nach Amerika venchlagene Handschrift),
iet Boaeaer, der PAurrkirdier, eine Mieeb*
handBchrifl und die alten Bruchstücke des
Brizener Paasioos. für da« 3. Spiel (Ostertag)
irt der Pfimüieher Text die dmadlage; in
den Lesarten stehen für den ersten Teil der
AoMrikaner, Bozener und Brixener, für den
twdteo Teil der Haller. Darauf folgt der
Haller Passion mit den Lesarten der Misch-
handschrift, dann der Brizener und endlich
das Vorspiel nach der Hischhandschrift und
da« Nachspiel aus dem Pfarrkircher Passion.
Zn diesen Texten titidpn wir S 481
reiche Anmerkungen Kpruchiicher und
«achlicher .Art , and was hier an Beaonder-
btiten des Wortacbatzes nicht besprochen
werden konnte, ist doch im Öl ossär ver-
teichnet (8. 614 — 544), das als eine wert-
willf Ergilnznng zn Weigand sowohl als zu
Heyne und Paul, sowie zu Lexera mhd.
Worterbnehe nnd sn den dialektiiclMii von
Schmeller und Schopf zu belrarhten ist. Eine
ausführliche Inhaltsangabe (Ö. 546—650) er-
kjditert die Obenicht und nuMsht ein Begieter
entbehrlich.
fief. hat sich dem gewaltigen, bisher
gm nnbekaimten Ibterial gegenüber ein-
gehendere kritische Nachpnlfiing versagen
müssen i die Bedeutung des Werkes, auf die
Uer liingewieeen werden eoUte, nitd ohne-
bin unangefochten bleiben. Nur eine Frage
gaits untergeordneter Art sei gestattet: Wäre
M nicht empfehlenswert, die Oaterreichi-
»cheu Formen ratete verratet, ladet u. ä. zu
tinaaten der gemrindeotechen idiriftsprach-
licben Formen rät, lädt aufiiigeben? Die
Verba sind doch nun einmal stark. Mit dem
Danke für den Spender des sLhSnen Werke«
aber seidieHoffiiung ausgesprucheu, dafs one
die Oitorreichischen Quellen und Forschungen
noch manche so bedeutende Encheinang be-
scheren mögen.
Gomnou» BoRnonm,
Onm YtMwamantmM. In Stauten ftbeveetai
von Consta NTi.t BuLLK. Bremen 1898,
M. Hein^ius Nacbf. XVT, 637 S. «.
'luB Deutsche! übersetzen heifst in Sprache
und Stil unserer grofsen Dichter übersetzen*
hat V Wilaiiiowitz als Grundsat/, aufgestellt,
als er den Hippoljtos des Euripides mit
dmitidier Übersetzung heranegab. Es ist
grrade in den letzten Jahren eine g'anze
iteihe von Versuchen gemacht worden, kias-
■iiehe Bicblnngen in modernen Tenmaften
wiederzugeben, In der rüditlgen Erwägung,
dafs ein getreues Nachemphnden der Stim-
mung oft in der anderen Spradie andere
Formen wählen heifst So hat Franz Bader
in seiner Nachbildung von sechs Tragödien
dee Sopboklee, die siä such neben Wendts
gchöuer Sophoklesübersetzunp sehen lassen
darf, mit Glück statt des Trimeters den
Blankven onaerer grofaen Dnunattker ver-
wendet, während ihm in den lyrischen Par-
tien vielfach Goethes Vorbild maisgebend
war. Weniger gelangen die Bearbeitungen
Humers. Dafs Jemand alle 24 Bücher der
liia« in gereimten trochäischen Langzeilen
ins Plattdeutsche Übertragen hat mit der
seltsamen liegniudung, Homer müsse in einen
Dialekt übersetzt werden, weil er »lelbst im
Diiilckt gedichtet habe, wird zwar bald
wieder vergessen sein. Aber auch Herman
V Schilling, der .jüngst verstorbene greise
StauiHinauu, hat mit seiner Odyssee in
Stanzen nur einen Aektangserfolg erreicht.
Für bedeutsamer halten vrir Oonstantin
BuUes Stanzenübersetzung von Ovids Meta-
morphosen. Die KU Ghrunde Upende Idee
ist ohne Zweifel richtig, die Durchführung
aller Ehren wert. Die Stanse, das typische
YeremaAi des xomantladien Siuutepos, iat
aufserordentlich geeignet, die Fülle der Ovidi-
schen Märchenwunder aufzunehmen. Wurde
ja edbon Sebiller dureh das Etaeheinen dee
Wielandschon Idris «nd Oberou da\on über-
zeugt, dafs sie wie für das Leichte und An-
mutige, so fBr das PaihetiBebe und Schredc-
hafte einen Ausdruck habe, 'freilich nur unter
den Händen eines Meisters'. Auch Goethe
batte die Sebwierigkeit dieeer Form vkHA
unterschätzt. Als er die der Ottava rima
angenäherten Stanzen von Heinse kennen
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224
Anzeigen und Mitteilungen.
lernte, urteilte er begeistert: so etwas habe
er fiir unmöglich gehalten, 'aber der Teufel
mache fünfzig solcher Stanzen nach !' Seitdem
haben treffliche Vorbilder dem Deutschon
die Aufgabe erleichtert, der von Anfang an
dem Romanen gegenüber wegen des schweben-
den Rhythmus jenes Idioms und dessen un-
streitig grOfserer Reimfülle im Nachteil war.
Mit gutem Erfolg hat Bulle den Charakter
der Stanze zu wahren gewufst, der nicht
verwischt werden darf, ohne dafs man ihren
Wert illusorisch macht. Er versteht es, trotz
seiner Gebundenheit an das Original, im
Verlaufe der Strophe zu steigern und in dem
schliefsenden Verspaare den durch die Natur
des Mafses gebotenen Abschlufs des Ge-
dankens auszudrücken, eine Klippe, an der
Schelling oft gescheitert ist. Die R«imfolge
ist gewandt, die Sprache flüssig und durch-
sichtig; sicherlich wird diese Umdichtung
zahlreichen Philologen Freude machen und
auch in weiteren Kreisen zu der Erkenntnis
beitragen, dafs die Metamorphosen nicht
blofs ein schwer zu ersetzendes Schulbuch,
sondern thatsächlich ein einzigartiges, un-
vergängliches Werk sind.
Ilb.
GOETHE
UND DAS KLASSISCHE ALTERTUM.
(Nachtrag.)
Das von mir in diesen Jahrbüchern (Heft 2
S. 81 S.) gewürdigte Buch von Fr. Thalmayr,
'Goethe und das klassische Altertum' ist von
H. Morsch in der 'Berliner philologischen
Wochenschria' (1898 Nr. S Sp. 81 «.) zum
Gegenstand einer scharfen Kritik gemacht
worden. Der Rezensent weist nach, dafs
der Verf. unselbständig gearbeitet hat, in-
dem er in den wichtigsten Kapiteln ganze
Seiten wörtlich aus den Schriften seiner Vor-
gänger wieder abdrucken liefs, ohne überall
seine Quellen zu nennen. Im einzelnen be-
zieht sich der Nachweis auf zwei Programm-
abhandlungen: die eine stammt von Morsch
selbst (Goethe und die griech. Bühnendichter,
Berlin 1888), die andere von Lücke Goethe
und Homer, Ilfeld 1884). Ich eracht« es als
Pflicht gegen die ausgeschriebenen Autoren,
dieses Sachverhaltes hier Erwähnung zu thun.
Thxodob Voosl.
EINE FRAGE AN DIE GOETHEFORSCHER.
Goethes Satire 'Götter, Helden und Wie-
land' schliefst mit den von Wieland ge-
sprochenen Worten: 'Sie reden, waa sie
wollen ; mögen sie doch reden, was kümmert's
mich?' Nun befindet sich im Museo nazia-
nale zu Neapel und im Britischen Museum
je eine Gemme mit der Inschrift: Ujovaiv^ \
Sc ^ilovciv I leyhaettv, \ oii fiiXt ftoi, welche
im C. I. G. IV Nr. 7295 abgedruckt ist. Es
entsteht die Frage, ob diese wörtliche Überein-
stimmung eine zufällige ist, oder ob Goethe
die Inschrift gekannt hat. Ich bemerke noch,
dafs in beiden Museen auch Exemplare
existieren, welche dem obigen Wortlaut
noch die folgenden zwei Zeilen hinzufügen:
ai) <pllt fic I ovvtpiqi «rot. Vgl. C. I. G. IV
Nr. 7293.
Albkbt Mülur (Hannover).
Berichtigungen.
S. 48 Z. 22 1. 62 S. 691 ff. statt 63 S. 1 ff.
S. 62 Z. 9 v. u. 1. Wohllaut statt Wortlaut.
S. 146 Z. 16 V. u. 1. Uthina statt Utika.
JAÜRöANG 1898. ERSTE ABTEILUNG. VIERTES HEFT.
DIE NEÜEHTDECKTEN GEDICHTE DES BAECHTLmES.
Von JdstüS Ebkhamn Lipsiub.
Seit vor sioben Jahrrn widw alles Verhoffen des Aristotolos Euch vom Staat
der Athener und unmittellmr ilaiuich des Herodas MiiiiiaiiilM-n ans ä^yptischt-n
Gribem wieder erstanden waren, durfte die Hoffnung uicbt iiulu als /.u kühn
erscheinen, dafs auch von den Schöpfungen der griechischen Lyrik noch Clm-
finsenderM wieder m gewinnen uns beedhieden sein werde, «Is das schon 1856
«tdeckte Stade eines Fartbeneion von AHrman. Und über Erwarten raech
nben wir diese Hoffnung in Erffillong gehen, als vor wenig mehr als Jahres-
frist die «frenliche Naehricht durch die Tagesbtötter lief, vaiter den Papyrus
des ^tish Museum sei eiiu Kolle mit Epinikien des Bakchylidcs aufgefniidt n
worden. Wäre uns di(> Im * ilu it der Wahl verstaitet gewesen, so würde sie
wohl auf einen anderen Dichter gefallen sein, als auf den, dem unter den nenn
Meist«>rTi des griechistlu-n MeloH nieht hirtls der Zfiffnluc nruh die letzte Stelle
an$r<>\vi<stii war. Abt-r als eine (lunst des Ge.schickt-H dürfen wir es rühmen,
littl» bti näherer Prüfung der Rolle neben vierzehn Siegesgesungen sechs Gedichte
Ton anderer Art sich vorfanden. Denn mag es von nicht geringem Interesse
sein, nnnmdlir rergleichen ku können, wie die konventionelle Form des Epinikions
von swei bedentenden Dichtem gemäfs ihrer Eigenart verschieden gehandhabt
worden ist^ von ungleich hSherem Werte ist es dodi, dafe wir auch Ober andere
Ijrisdie Gattungen nicht mehr blofs ans abgenssenen BmchstQckeD, sondern
■OS einer Anzahl mehr oder weniger vollständiger Gedichte uns eine Vorst^^l-
long bilden können und damit unsere Kenntnis d« i ^ri* ( liischen Ohorpoesie
überhaupt wesPTiHiche Ertrtinzung und Rcii( litinning erfährt.
Von den zwanzig Gedichten, «lie dank ilem aufs tHMie glänzend bewührt^'n
Geschick und Eifer von F. (i. Kenyoii li< iitt' in «^tntt licln in HnndoM voilit gen,
Bind freilich nur .sieben ganz vollständig oder doch nur mit so geringfügigen
Lficken erhalten, dai's deren Ergänzung fast fiberall mit voller Sicherheit mög-
lieh and der Gedanke an keiner Stelle zweifelhaft ist, darunter die längeren
Epinikien auf Hierons olympischen Sieg mit dem Rennpferd (5) und Alexi-
<^os Sieg im pythischen Kingkampf (11), sowie die kflrseren Siegeslieder für
ArgeioH (2i und Lachen (Ö), dazu die beiden besonders interessanten Gedichte
»US der Theseussage (IT und 18), and der Paian auf den pythischen Apollon (16),
«ftwpjt dieser im Papjrrus enthalten war. Von dem andern gröfsercn Epinikion
für üieron auf seinen Wagensieg in Olympia (ä) fehlen an zwei kurzen Steilen
') The poems of Baechylide«. fVom a Papyros in ths Briliik lluseam edited by
fnänie Q. Kenyon H. A. D. Litt. Undon 1897.
HfM JakfVtsbv. INS. I. 16
I
226 H. Lipaiiu: Die nmenideckton Oediclit« dM Bakchylide«.
grofsere Zeilenteile, m dafs wenigstens an der einen der Zusammenhang dunkel
bleibt. Bedeutendere Löcken weisen die übrigen zwölf Gedichte auf, doch ist
wenigstens bei (ici- Hälfte soviel erhalten, dal» ihr Umfang im Pajiyrua sich
genau bestimmen lültit, der von eiiiein Strophenpaar mit oder ohne Epode bis
zu sechs Perikopen ansteigt; es gilt dies von den kürzereu Epinikien auf
Hierons delphischen Wagensieg {4) und auf einen Stadionsieger aus Athen (10),
von den längeren auf Automedon (9) und den such von Pindar gefeierteii
Pjrtiieas (13), und aus der sweiten Gruppe Ton den Oediditeii mit den Auf-
schriften Antonoridai (15) und lo (19). Auch Ton den kunen Siegesliedem
auf Lachen (7) und einen Ungenannten (8), sowie dem langen ersten Lied f5r
Al^ios ( I i wird sich unten herausstellen, dafs ihr Umfang sich weni|pten9
annähernd berechnen läfst So bleiben nur drei Gedichte übrig, von denen
nur die Anf finge mit K» — L'l^ Kola vorhanden nind. die Epinikien auf Teisias (12)
und Kleoptolemos (14) und du» Sclihilsfrefücht der Sammlung, Idas {2i)).
Schon dieser Überi)litk kann eine \ Orstelluiig geben von den grofsen
und kleineu Lücken des Papjrus, welche das bald auf die Ausgabe gefolgte
Faksimile') uns deutlich vor Augen stelli Und dieser gegenwärtige Zu-
stand ist erst das Ergebnis einer viel Hohe nnd Sdiaxf blick erfordernden
Arbeit, von deren Schwieri^eit wir einen Begriff gewinnen, wenn wir hdren,
dafs z. B. die sechzehnte Kolumne ans nicht weniger als 12 Stficken sosammen-
gesetet werden mulste. Jetast sind vier grdfsere in sich zusammenhängende
Ganze hergestellt, von denen die beiden ersten nach einer glücklichen Be-
obachtung von Blase unmittelbar an einander schlössen. Diese enthalten auf
zusammen 22 Knhmmen die ersten zwölf, das dritte Stück auf 6 Kolumucu
die beiden letzten Epinikien, während die 10 Kolumnen des vierten von den
zehn anderen (iedichteii j^etüUt werden. Ob dien vierte Stück voti einer zweiten
l'upyrusroUe stammt, wie um seines Inhalts willen zu vermuteu nahe lieg;t,
bssen äufsere Gründe eher zweifelhafi erseheinen; gegen die Annahme nur
ein^ Rolle würde ihr Umfang kein Hindernis bilden, da wir nieht wissen,
wieviel au&er den im An&ng und nach EoL 29 mindestens fehlende 5 Kolumnen
am Schlds verloren g^angen ist. Setcen wir dafilr beispielsweise 10 Kolumnen
in Rechnung, so würde eine Rolle von 54 Kolumnen zu durchschnittlich
35 Zeilen hinter der Zeilenzahl z. B. der Pythien Pindars {1916 in den Hand-
schriften) noch etwas zurückbleiben. Etwa siebzig ganz kleine Stücke, zum
Teil mit nur wenigen Buchstaben, die auf den rwei letrten Tafeln der Faksimile-
ausgabe vereinigt sind, scheinen alle den im Anfang oder in der Mitte der
Holle fehleniieii Teilen anzuj^ehören. Fast die Hälfte ist noch vor Erscheinen
der Textausgabe au ihrem l'latze einzuordnen gelungen, so dais in ihr die Zahl
dieser 'Fragmente' nur noch 40 beträgt. Und auch von diesen ist nodi
mehreren ihre Stelle im Papyrus durch BkuM ansgemittelt worden, dem sehen
die Ausgabe mandien Beitrag der Art verdankt.
') The poems of Baccbylidee. Facsiinile of Fapym* DCCXXZIH ta tbe British
Ifmeiun. London 189T.
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J. H. Liptitt»: Die nenenUeekten Oediclite ^et Bakdtylid««.
22T
Erheblich leichter als die Ordnung dos Papyrus war seine Lesung, da er
tn deutlicher üncialschrift gcschritlxii und nicht hlnCs mit ramgraphi zur
Strophengliederung, sondern auch mit Accenten, Apostrophen und Interpunk-
tionszeichen in einem an einer Handschrift des ersten vorchristlichen Jahr-
hnnderts bemerkenswerten Masse venieheii ist. Aber Huf diese swei nächsten
Aufgaben hat Eenyon sich nicht beschrankt^ sondern, wie bei der Aristotelischen
Schrift, so auch dieser editio princ^ alles beigegehra, was das Stadium
leines kostbaren Fundes erleichtem hann. Eine greise Anssahl von Lücken bat
er in glQcUicher Weise erf^nzt, wobei er sich der Beihilfe von Jebb, Palmer,
Sandys und Pnrser erfreuen durfte; von dem erstgenannten (Mehrten sind
auch Versnchf zur WiftdcrluTstellung .stärker /erstörtxr Partien in den An-
merkungen mitgeteilt. Der Euiendation wiir nur geringerer Spielraum geHot<»n,
da die Handschrift sehr korrekt gertcluieben und manche \'erschreibungeu und
Auslassungen durch zwei Korrektoren verbessert sind; von den vier Ötelleu, an
denen die überlieferte Lesung nach Kenjon (S. XXU) onTersündUoh ist, hat
die eine (17, 90) bereits durch Blase eine leichte und aberxeugende Besserung
gefiinden, wiUireiid eine zweite (19, 15) nach meiner Ansicht g^ns in Ordnung
ist Oar numchs leichtere Verderbnis ist freilich d»i englischen Gelehrten entr
gangen, weil sie der Metrik nicht die gebfihrende Beachtung zugewandt haben.
Dem Texte untergelegt ist ein Konim^tar, der für die erste Lektüre nQtaliche
Beihilfe leistet, jedem Gedichte vorausgeschickt ein metrisches Schema und
Vorbemerkungen über seinen Titel, Anlals und den Stand seiner Erhaitimg.
Eine Inhaltsübersicht über alle ist der Einleitung vorbehalten, die auiücrdeni
das Leben des Dichters, kurz auch seinen poetiüchen Charakter, seine Metrik
und Sprache behandelt und über Zustand und Alter des Papyrus Auskunft
giebt Am ScUnlii dm Garnen fehlt nicht ein Tollaündiges Wortmseichnts.
An die verdienstroUe Leistung Kenyons, deren Baschheit besonderen Dankes
wert ist, w«den die nachfolgenden Bemerkungen llberall ansuknüpfen haben.
Ihre Au%abe kann keine andere sein, als über die Bedeutung des glücklich
gehobenen Schatses im allgemeinen zu orientieren und daran die Besprechung
einzelner Fragen zu knüpfen, auf die sofort einzugehen mir nahe liegt. Der
philologischen Arbeit ist nach den verseliiedensten Richtungen ein überaus
dankbares Feld erschlossen, dessen Bebauung m Angriff zu nehmen sie nicht
säumen wird.')
Die Epinikien des Bakchylides sind, anders als bei Pmdai, nicht nach
' MiL'iiie Bt'nicrknnf^'en «ine! in allrni Wesentlichen im Monat Januar nieder^'tKi hriebeu,
alä aulser Kenyons Aufgabe und dem Faksimile nur Blas»' Aaxeige der enteren (^Centralbl.
1897 Hr. voriag. Erat tOr die Sehlufinedaktion konnten nuTser Blan* «pftteren Bei-
titgen noeh die AuMtKe von Cnuint (Philol. LVII S. l&O ff.) und Uobert ^HemeH XXXIU
l.io ff . sowie die Schrift von v Wilatiiowitx ;,bakchjlidei>, Herlin 1H<>« finj^eschen
Verden. Auf Polemik gegen abweichende Auffassuugea durfte ich ebea»o venüchteu, wie
dtraof , übereiaBtinuDung überall aaedHlcklidi zu notitten. [Brat bei der Eonektar kaan
ich die inbaltreidie Beeprecbong dmr lienjafifldieo Ausgabe von Wilamowitx im Febmar-
b» rt der Gotting, gel. Anzeigen S. Vt6 ft. nnchtnigen; lie zu berOekaichtigein war nicbt
mehr mOglicb.J
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836
J. H. Lipuni; Die D«ii«Dtdieekten 0«diefate de« BakdiflidM.
den Festspielen geordnet, hei denen die Siege gewonnen sind'), ebenso-
wenig nach den Kampfartcu^j, sondern im wesentlichen nach der Heimat der
Sieger. Den An&ng machen zwei Gledichte aof einen liandsmann des Dichters,
ArgeioB von KeoB^ offenbar darom, weil in dem ersten die Sagen von dee Bak-
chylides Heimatinse], namenüidi von Euxantioe, dem Sohne des Minos und der
Deziihea> eingehende Behandlung gefunden hatten. Ihnen sind aber swei Oden
auf einen anderen Keer, Lachon, nicht munittelbar angereiht, sondern drei Oden
auf Hierona hi^ische Siege diesen vor.in^rstellt, ähnlich wie bekanntlich in
Pindars Olympien und Pythien den 'Ftirstenoden* der erste Platz angewiesen
ist. Bei 8 ist wegen der Verstümmelung Heimftt und Name des Siegers so
wenig erkennbar, wie Ort und Art seines Sieges, 9 gilt dem Plilciusior Auto-
medon, 10 einem für uns niuuenlosen Athener"), 11 dem Knaben Altxidaiuns
von Metapout, 12 und Ki den Aigineten Teisias und Pytheas, 14 deui Tktösuler
Kleoptolemoa. Besondere Beeiehungen zur Peloponnes, in der Bakchjlidea
nach bekanntem Zeugnis einen greiseren Teil seines Lebens in der Yerbannnng
zugebracht hat, treten also in seinen Epinüden nieht zu Tage. Dafs aber das
Altertum Ton diesen nicht viel mehr besessen hat, als wir nunmehr kennen,
hat bereits BIbss daraus gefolgert, dafs von den bisher bekannten drei Brach-
stucken der Epinikien zwei, von den ihnen durch Vermutung zugewiesenen
fanf wenigstens drei sich jetzt im Papyrus wiedergefunden haben. Dafs an
seinem Anfiingt' kein Gedicht weiTirerissen bt, folgt aus «loni, was ül)t'r den
Grund der \'( »ran Stellung von 1 eben bemerkt wurde. Auch hinter 14 wird
kaum etwas leklen, da dies Lied auf einen Sieger in dem wenig bedeutenden
Agon des Poseidon Petraios in Thessalien geschrieben ist, vun dem wir bi.sber
nur durch ein Sdiolion zu Pindar (P. 4, 245) Kunde hatten. Eher könnte
bei dem Mangel an Znsammenhang zwischen Kol. 23 und 33 ein Gedicht
fehlen, das einem Siegnr aus Aigina geölten haben mflfste, dessen Bewohner
an den Epinikien des der Insel freilidt nahe verbundenen Pindar einen so be-
deutenden Anteil haben.
Die Siegesgesänge von Bakchylides sind von sehr Terschiedenem Umfange.
Von denen, die vollständig erhalten sind oder von denen wenigsten» ihre Aiia-
delinunp sieli Ih'stimmL-n liilst, gehen nicht weniger als filnf weit rinter d:is
Minimuliiiuls einer ]*iiidiirisclien Ode herab. Darunter zunächst da.s eine dvr
drei Lieder für liieron ^^4;, das nur aus einem Strujihenpaar zu je 10 Kola Ixe-
steht. Es liegt nahe, hier wie anderwärts die Kürze mit Kenyon tJaruuij zn
erklären, dsJs das Gedicht zur Aufführung bei einer vorläufigen .Siegesfeier am
Siege in den Oljmpien betreffen S. 6. 6. 7, in den Pjrthien 4. 11 und wahrschein-
lich 8, in den btlimi«! 1. t. 10, in den Neneen 9. 11. 18, in den Petnien 14.
* Sicijpn mit dem Viergespann ppltcn .1 4 1 1, mit di^m Rennpferd 5, im Stadion 6. lO,
im iüugkaiupf 11. 12, im Tentatblon it und wohl 1 wegen \'. 7 f., somit uucb 2, im
Pankntion 18. In betreff der Reihenfolge der Kampfitrten im Pentatidon stimmt die
Folge 9, 8S ff., IMakoc, Wurftpeer, snletxt Bingkaoipf, mit dem Sigebnis der letrten ünter-
Buchungen von Fal.rr fPhtlol T- S. 479 ff.) und Mie (N. Jahrl«. f. Phil CXLVII S. 790 ff.).
'j Z. 11 scheint der Sieger augeredet, dajm müBseu aber die Buchataben vedeveo sein.
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J. H. Lipsiu«: Die neoentdeckten Gedichte de» ^»kcbjlidM.
229
Pestorte eelbst bestimmt geweaen isif wShrend ftr die in Aitna begangene Feier
bdEumliich FSndar die glinsendete seiner Oden Törfidst hat Und aieherlich
wir 68 einem am Festort anwesenden Diebter möglich, sofort nach dem Siege
ein Lied zu dichten, zu komponieren und einzustudlcn n, wenn zwischen ihm
und seiner Feier ein Tage in dur Hitte lagen, wie dies für Olympia sofort
nachzuweisen sein wird. Aber wie man bei Pindar mit der Annahme solcher
Bf'iätimmnng vielfach zu rasch bei der TIand gewesen und in der jün^ten Rr-
«irttrunju' vrm Dnichmann ( Mudiruf Pitidarfortolkniny S. 167 flf.) sif mit Kct iit
8ut' l'vtli t) bi'srliränkt worden ht, m scheinen auch für Bakehylidch 4
die Ireiiich noch nicht Tollkommen Hufgeheilteii Z. 13 ff. vielmelir darauf zu
f&bren, dafs die Ode nach Sinlien gesindt war. Aber m&m» aieht anf AnlaJb
etner von Hieron ausgeschriebenen Pk^isbewerbni^ wie fttr Pjtb. 1 eine beliebte
sber gewi& verkehrte Anslegong von V. 42 Sl behauptet hat Eher möchte
idi fBr das aweite Lied anf Argeios (2), das kfirzeste von allen, AufFlIhmng
bei den Isthmien sdbst wahrscheinlich findon. Der Dichter mft die 0ijfia
ttfvodÖTHQtt an, nach dem Ihm Ii gen Keos die frohe Botschaft von dem Siege an
bringen, den Argeios anf dem Isthmos gewonnen und womit er die Erinnerung
an die siebzig Kräii/f wachgerufen, die Männer von KeoH dort hercitH errungen
haben.*) Dies» piilst doch weniger zu einer Entstehung dfs (ndithts irst nach
Eintreffen der Siegeslninde in Keos. etwa j.nr Begrilfsuiig des heimkehrenden
Siegers, zumul wir den Festgesaug zur Siegesfeier, wie sich sofort herausütelien
wird, in dem erst«! Gedicht nnaerer Sammlung noch besiken. Ffir das erste
lied anf Ladion (6) ist Vortrag vor dem Hause des Si^rs denüich bezeugt
durch Z. 10 f. tfk d* (Hifcfvücg l^vog ytQaifftt «poddftotjf dotdols; Wenn
Kenjon aber zugleich Beeng genommen glaubt auf eine andere in Ofympia
adbai snr Zeit des Sieges vorgetragene Ode, die er in dem nur zum Teile
erhaltenen Gedicht 7 erkeimt, so beruht diese AufiGusnng anf einem Müs-
Tmtändnis der ersten Strophe von 0:
Adxmv ^tbg utyi'arov Aajjf (ptQxarov :i6dt69i
äiiaav not' 'Okx>iiziu acü^ %i xui. ördöiov xi^uxtv\ytti
Den auch durch das Metmm Z. 3 geforderten Fufs ei^nxt Kmyon mit
9t^vatg und Z. 7 utifutsttav. Aber dabei bleibt dtftfa ebenso ohne Berechtigimg
wie xA(iot9iv — itmL Also Lachens Sieg ist der herrlichste von allen, durch
die je vordem Manner ans Keos ihre Insel chrteti; nur auf die Sieger können
die ietxten Worte gefaen^ wie die ähnlichen 15, 36 S. Immerhin bleibt die
räoov t:ifdi-li.aiKv ißdoni^novra chp CTfrcirnieir. von Kenyon irrij» :inf dw Zahl de»
fottragendün Choru bezogen. Aus iKtdtiiuntp auf Anwesenheit des Dichten beim Agoo
n dceken, Iftbt der Zttssmiiwwibaag aicbt sa.
230
J. U. Liptiat: Die neuentdMkteii 0«4icbte de« BakebylidM.
dem 7. Gedicht gegebene Besiekuog wahncheinlich genug, so dafii beide Lieder
dnnaelben olympiachen Sieg^ des LaclMm gelten, ebenso wie die swei Oden auf
ArgeioB den gleichen Sieg in den lafhmien feiern; andemfidls könnte I, 17 ff.
oder 2, 5 ff. der Hinweis auf den früheren Sieg nicht fohlen. Und dies be-
stätigt sum tlberflurs ein inschriftliehea Zeugnis, das zugleich den Namen des
Siegers Ober jeden Zweifel erhebt.
Mit den ersten Kolumnen des ersten fipdichts ist inicli der V»ei}restlirieboHP
Titel abgerissen; bei dem zweiten lautet er einfach wie hei dem siclxMitni rw
ttvrä. 2, 4 f. aber bietet der Papyrus ort ^quövx^iq 'jQyHo{. /tj^aro
tnxuv mit Spuren eines i vor ug. Darum ergänzt Kenyon M^kctg ^gaov-
XfiQK.osy 'AQydov, wiewohl er aksh dem Bedenken wegen des zweigeschleehtigen
*AffY^o$ nicht TersehlieTai Dazu kommt, daJs 1, 3 hd^o naQxelQoxuif
*AqyiU^. der Name des Siegera kaum fehlen konnte. Darum lesen Sandys
und Blass beidemal ^Agydog, und dafs dies unzweifelhaft richtig ist^), beweist
eine von Pridik, De Cri itisulae rdnts S. 160 f. veröffentlichte Siegerliste Ton
Keos, die in den Anfang des vierten Jahrhunderts gesetast wird. Uber deren
zweitem Teil steht die Vbersrlirift indf Nmna fvixtov ol — : 'h r erste Teil,
desHen l'berwhrii't mit doni ohcrcn Stück (h-s Steines weggchrnciit-n ist, filhrt
an vorletzter Stelle ^j4Qytiü^ Jluyiy\ti\dtu) Tiuidav auf. Also verzeichnet er die
Sieger aus Keos bei den Isthmien, «und der hier genannte Sieg des Argeios ist
es, dem die beiden Lieder dee Bakdijlides gelten. Aach unter den Nemeea-
siegem kehrt an Tiertletater Stelle *jiifyttos i7tti^C(]dea», aber dytveüav wieder.
Den 2, 14 genannten Namen von des Argeios Vater Ilttv^t£9iig änderte Krayon
in IIttvto£&rjg und ergänzte danach auch I, 9 tdtfa i7ay[dm'df, weil Ilttv^svg
nidit au belegen sei. Aber Ilavd'fid^s kommt yon /Ztfv9i}^, dn Nunc der
Inser. gr. It. et Sic. n. 1866 begegnet.
Der Stein hilft aher noch weiter, zur Bcseiti^inf; einer weittragenden
Folgerung, die Kenyon an das erste Gedicht für Lachon gektiüjjft hat. Nach
Z. 15 hat Luehon im olympischen Stadion gesiegt. Er fehlt aber in dem
dureli Eusebios bewahrten Verzeichnis der Olympioniken, und darum dehnt
Kaiy<m die berechtigten Zweiftl, die morst Habaffy gegen die VerlaHnigkoit
des Verzeichnisses fftr die beiden ersten Jahrhunderte erhoben hat, sofort auf
ein ferneres Jahrhundert aus. Zum GlQck fiberhebt uns die Siegerliste
Keos jedes weiteren Bingehens auf diese fiberaus bedenkliche These. Auf
jener steht unter den Nemeensiegern unmittelbar hinter Argeios zweimal A]diav
*jtQi4titftivsos ntUdav.*) Im Knabenagon bat also Ladion auch in Olympia
' Alter nicht uiyas, wofür 17, W nirht angefnhrt werden darf Warniu snüt»' R
(lÜas nicht wie ^ap96s ^20, S) ab Dciwort gebraucht haben, das doch der Peraonetutaiue
▼orattsBetEt?
*) Gegenfiber dieMm ZnBammentMffen der Nameii kann die Identilftt mit den vom
Dichter gefcicrfon Männern aicht zweifelhaft sein, trotz Halbherrs späterem Zeitansatz der
inuchritt Mit diesem stimmt (;ut, dafs unter den Siegern beider Spiele zuletzt ein Herold
Ainp AfOfii^oi'^i}? auftritt. Der Agon uytvfUiv steht uuu aber für das fünfte Jahrhundert
fettf tat du «r btaiier nur ▼ermatet war, vgl. B«iich bei Faulj-Wiwowa I S. 77S.
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J. H. Lipsiut: Die neaentdeckten Gedichte de« Bakchjlides. ^ 231
ffsm^ und muiste darum in Aar Liste der Stadioniken fehlen, die nur die
Minner veneeichnete.
Dagegm giebt das andere £pinikion auf Lachon in seinem Ein|puig eine
willkommene Auskunft, so Iflekenhaft er auch erhalten ist:
a ItxfeQtt &vytcT6Q X^ovot» tt lud Nwttdg, 0h xtvnjimvttt ft\_^veg
ixxaidfxäruv h' 'OAt'jun'fj'« — — —
D'w Tochter der Zeit und der Nacht mub der Tag sein; wenn nach dem Ab
laof von 50 Monaten dem 16. Tage das Urteil zaeteht aber den Wettbewerb
in SehneUigheit und Kraf^ bo besf&t^ sieh, was der iltere Scholiaat an Pind.
0. $, 35 und der jüngere cu 5, 8 aagiebt und lüe, Quae^ionu agouisHeae
S. 30 f für Erfindung der Grammatiker hielt, dals am 16. Tage des Olympien-
monats die feierliche Verkündung der Preiae atattCuid. Das erstere Scholion
ist zugleich unsere Hauptquelle zur Bestimmung des Festmonats.
Leider ist es eine besonders zerfetzte Kolumne (13^ die das siebeute
(ledieht von Zeile 4 ah und den ersten Teil des achten enthalten hat. Denn
an Hkös' Zusauuueufügung von Z. 4 — 10 aus vier kleinen Stücken mit den
wenigen Zeilencudcu der Kolumne läfst sich nicht rütteln. Aber weder in jene
Zeilen nodi in die auf Kolumne 14 atehenden 16 letaten Zeilen von 8 lafat aieh
ohne gröfsere Ändmuigen Reaponaion bringen, alac ist nur aoTiel su aagen,
dafa beide Gedichte aua je einem Strophenpaar, das letitere mit Epode, be-
lianden haben.
Von den gröfseren Epinikien ist das erate eben darum, weil ea am An&ng
8tand, der Verstümmelung am meisten ausir. setzt gewesen. Die erste voll-
ständige Kolumne setzt mit Beginn einer Perikojie ein, die e« mit der Person
des Argeios zu thun hat, während die zweite mit etliiseken Betraehtungeji (Ins
Gedicht abschliefst. Aber aus dem ihm bereits in der Ausgulie n.u h Blas»
zugewiesenen Fr. 1 ersehen wir, dafs die Sagen von Keos den IuIihU bildeten.
Minoa kommt auf einem Kriegszuge mit fhn&ig Schiffen nach der Insel (denn
sie ist mit der 3toivxQtmvo>; i&av Z. 12 natllrlich geeint), gewinnt dort die
Dezitfaea und ISfiit ihr bei aeiner Hetm&hrt die Hälfte aeiner Mannen xnrfick.
Aus ihrer Verbindung g^t Euxantioa hervor, nach dem die Inael in dem
iwwten Gedicht auf Argeios Ev%iiintq heifst; er ist also einer der Minossöhne,
von denen Thukjdides die Kjrkladen beherracbt werden läfst. Über den Fort-
gang der Sage gewinnen wir leider auch aus den «nderen Bruchstücken nichts,
deren ZugehTtrigkeit /u 1 Blass erkannt oder mindestens wahrselu iulicli ge-
macht hat. Ersteres gilt von Fr. fi, das srlion in der Au>igal)e in deu Eingang
des Gedichtes gesetzt wird*), imd 5, das nach Kenyoiis IVeundlicher Mitteilung
in Farbe und ganzem Aussehen Fr. 1 vollkommen ähnelt; letzteres Ton Fr. 13
') Die Ergänzung vod ra^vn^ru, nicbt vccjog, scbeiut daw Metnim in tordem, wiewohi
der Baum (8r jene« kaum «asrdeht.
*) Z. • ecglast man leicht fufi'^few oad vecitaht Pelei», aber du fttorderfc nicht
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232
J. U. LipHiuti: Die neuentdeckien Gedichti' dva Uakcbjlides.
und 15, bei denen die Farbe den Papynis, wie Keojon mir schreibt, der von
Fr. 6 nicht sdn gh iih ist, zwar dunkel, aber von verschiedener Xuance. Doch
stimmt bei 1.'5 das Metrum, wenn mit Z. '2 eine Strophe, mit Z. lU eine Anti-
strophe heiiaiin. Damit kommen wir auf 4 Triaden, und da 3 Triaden fast
gun/. genau 2 Kolumnen entsprechen, werden von der UuUe vorn 4 Kolunmen
abgerissen sein.
Das gröl'ste Interesse beanspruchen unter den Epinikien die drei auf
Hieron (3. 4. 5) schon diinim, weil hier Bakchylides in Konkurrenz mit Pindar
trat Die Folge der Gediehte in der Sammliittg ist die umgekehrte wie die
Folge der drei hippieehen Siege, denen aie gewidmet sind, weil sie <^en1>ar
durch die Bedeutung der Siege bestimmt ist. Das früheste und ausgedehnteste
der Gedichte (5) geht auf den Sieg, den Hieron mit seinem Renner Pherenikos
in Olympia gewann, dem bekanntlich auch Pindars erste olympische Ode gilt.
N'aeh dem Einj^anj? ist das Gedieht von Keos gesandt. Mit stolzen Worten
vergleicht sich der DiehU i di iu Adler des Zeus:
ß(i9i)V d' (ciiyi-'oK ^twQ^uiOi tccuvojv
vtffov irreQvyeOöi xaitLcu^ aUrög^ ivgvavuxro^ üyyiXos
20 Zrii'bs £QiOq)UQdyov^ &a^6(t XQaraQä Tciöxn'o^
o6 wv icofv^Md ittyciXas t6xcwfi yaiag o^d* äJlofi iaut^dtaq
dvOitidseaJUt x^fucta' vmfUitm d* iv itgukft j^a
30 XesctötQixt^ avv ZtfpvQov xvoalaiv t^tiQKV ugiyvoxog fitz' (iv9Qfö:toig lÖHv.
So Öffnen sich dem Dichter fiberall unzählige Wege, den Ruhm des lüerou
und seiner Brüder zu preisen — man sieht, es ist der Zweck seines Gedichtes,
seine Dienste dem Herrscher von Syrakus! zu empf hlen. an dessen Hofe Pindar
gastliche Aufnahme irefnnden und wohl aneh SinionidL-s damals weilte. Denn
wenn Bakeliylides sich hIh itt'og des Fürsten he/zeichnet, so kann er damit nur
die Beziehung meinen, in die er durch seinen Oheim zu ihm getreten >var. Den
Mythos abeTi den das Epinikion erfordert, entnimmt er dem Zusammentreffen
des Herakles in der Unterwelt mit Meleager, der sein Geschick eraahlt zur Be-
wShning der Lehre od ydQ ns ^({dtoWoiv sedvw y* eödeUfia» ^pVj oder wie
Z. 94 f. motiTierend sagt, %tdB3^ 9'i6p «x^or^^ctt v6w hf6Qsß6tv ärt^doWot^.
Und dafs diesem Gesetze auch Herakles seinen Zoll entrichten raufste, daran
erinnert der Dichter mit dem Hinweis auf seine künftige Vermählung mit
Deianeira, mit dem er den Mythus sehr wirksam abbricht. Aber minder zweek-
müfsig als Pindar, der die gleiche Hage wnhl schon vor ihm behandelt hatte
(Kr 240 Bergki-i, läfst er Herakli-s sieli scUtst zum (Jatten vim Meleagers
Schwester aiitragcji, w;ihr«Mid bei Pindar dieser die Bitte an ihn gericlitet hatte.
Ob der Fürst durch die Mahnung des Mythus besonders angenehm berührt
worden ist, darf man billig benraifidu, mag auch das Lied, so gut wie das
vierte, die AufiRlhrung gefunden haben, fOr die jedes Epinikion bestimmt ist
') BeUftnfig Bei die Bemerkwng erlaubt, dafi das Verbum auch 13^ S4 henastdlen iit
*> Ebento Boberfc S. 168.
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J. H. Idpum: Die neneivUlflekleii Gedichte de« Bakohylide».
238
Durch das eben besprochene Gedicht hat eine viel verhandelte Sireitfhige
effrenliche LSeung gefiinden. Dab dee in Pindars ervter Olympie gefeierten
8i^ dee Pherenikos auch Bakehylidea gedacht hatte, wnfiiten wir echon aus
etDem Scholien, das auch die Worte des Dichters beisetate
«AW d&Uod^öfunr düi vutdgtevra.
Aber erst unser Phpyms TerroUstiindigt den Sata dnreh die Worte j(fiv6S9t«xos
HoMvi «* i¥ Damit ist bewiesen, dafs der olympische Renn-
sieg von dem gleichen Pherenikos gewonnen ward, wie die Siege in der 26. und
27. Pjthienfeier, die Pindar Pyth 3, 74 ( rwiHmt. Wer dieso nach Bockhs Zahlung
fier Pvthiaden in die Jaliie 4Ht) und 482 setzte, konnte den olyni^tisrliert Sieg,
zumal wenn er diesen vrA ()\. 77 = 472 gewonnen glaubte, unmöglich dem
gleichen Ropse zuschreiben, sondern mufHte mit Fennell annehmen, dafs zwei
▼erechiedent'ii Pferden der gleiche Name um seiner guten Vorbedeutung willen
beigelegt wai. Da aber jetzt durch den vollständigen Wortlaut diese Auskunft
abgeschnitten ist, bleibt kein anderer Rat als der, fftr den sich Kenjou ent-
whiedMi bat^ j«te beiden Pvthiaden nach der 2SüiIiing von Scaliger nnd Bei^
je vier Jahre herab nnd den olympischen Sieg vier Jahre herauf also in OL 76
n Tieken. Za dem letstoren Ansata wird man um to ^her sieh entschliefson,
je mehr schon bisher für ihn nadi meinem Urteile überwiegende Gründe
qmdien, die sich in aller Kfirze darlegen lassen. Giinz ans dem Sy)iele m
bleiben hat nattirlich die angebliche Anspielung auf den Anfimi^ der Ode am
Schlufs von Ol. ?i, auf die Hermann nnd Ber<;k allein sich Rtiitzteir. Aher dafs
die alten Erklärer über die Abfiissniig in Ol. 70 nicht in Zweifel waren, lehrt
eiu Scholioii zu V. B3 (2.3). Dort lasen niunche für Zt'paxdöior. . ßa(5ili^a gegen
das Metrum 2^v^tuoO{Giv, weil bei seinem Siege Hieron Aixvuio^ geheilsen
bebe, Ton dem OL 76, 1 gegrflndeten Aitna. Aber, fahrt das Seholion fort,
4» AhmOoe, &S fp^9iv ^AnolXMoQos. 6 *AQt^6vtwoq d|coiv^(0t«>g AttvtOw
^« 23itfftaiiof&tM» 4vo|Mf{^tf^c(i, Bei dieser Kontroverse stsnd offenbar fAr
beide Teile die Voraussetzung fisst^ die Ode sei Ol 70, \ geschrieben. Aristo-
nifeos nahm an, dafs Aitna schon gegründet, aber Hieron auch darnach Syra-
k)i5!ier heifsen konnte; dai^ejTen bestritt Didymos unter Berufung auf ApoUodor,
tlafn Aitnas (iründung dem Hiege vomusliege. Um so weniß;f'r kann ein Zweifel
Still, dals in dem Seholion zur Überschrift viy.r;<im>Ti Itctk^ xtkr^ti tj)v oy'
Uvumdda' 6 dl (atrog xccl tjJv og' vixa xtkrixi mit Bergk für OF herzustellen
iat OF; die dem Fürsten gewidmete Ode zelui Jahre vor seinen Regierungs-
aatritt zu seben, konnte keinem alten Erklirer in den Sinn kommen.*) Anders
*j Am wenigsten dem Uidjmos, wie Christ meiute, Sitzungsber. d. baycr. Ak. d. Wis«.
Fbild. Kl. 1868 S. 877. Denn er nnhi» ja gemde die Leemig JBvQtaiiwnt in Sebuts.
Warum ich Pansania« nicht das entncheidende Gewicht in der Frage beunewen kann, wie
Liibbert De Pindari poetat «t Miarmm regit amieUiae pnmordiis et prognBmtt bum ich hier
ücbt auseiuauderBetzcu.
234
J. H. Lipsius: Die neuentdeckten Gedichte des Bakchylidc«.
freilich steht es mit der Pythiadenzähhing. Denn was für Ol. 49, 3 als deren
Epochenjahr in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten geltend gemacht
worden ist, reicht alles nicht aus, um die Walirscheinlichkeitsgründe aufzuwiegen,
die sich aus Pyth. 1 gewinnen lassen. Aber dies Urteil näher zu begründen
ist heute zwecklos, da niemand sich der entscheidenden Instanz der Bakchylides-
stelle entziehen kann. Allerdings mufs man es dabei in den Kauf nehmen,
dafs ein Pferd noch ;rd>Aos heifst, das schon sechs Jahre zuvor in der Renn-
bahn gesiegt hat. Aber eine schärfere Begrenzung im dichterischen Gebrauche
des Wortes ergab sich doch erst dann, als besondere Agone für xüXoi neben
denen von r;r;rot rtknoi eingerichtet worden waren, was in erheblich spätere
Zeit fällt. Auch Sophokles durfte in der Schilderung des pythischen Wagen-
rennens TcOtkog unterschiedslos neben t;r;ros verwenden.*)
Es springt in die Augen, welche Bedeutung diesem Ergebnis für die
Chronologie von Pindars Leben und Dichtungen zukommt, die auf dieser nun
mehr gesicherten Grundlage einer durchgreifenden Revision zu unterziehen ist.
Für Bakchylides folgt zunächst das eine, dafa er im Jahre 476 noch nicht mit
Pindar zusammen an Hierons Hofe geweilt hat. Auch in dem sechs Jahre
später gedichteten kleinen Epinikion weist noch nichts auf persönlichen Ver-
kehr mit dem Fürsten hin. Erst die Ode (3) auf den olympischen Wagensieg,
den Hieron 408, im Jahre vor seinem Tode, erlangte, schlägt einen wärmeren
Ton an, der auf ein näheres Verhältnis zwischen beiden zu schliefsen berechtigt,
und schon die Thatsache darf man bezeichnend finden, dafs diesmal Bakchylides
der Auftrag zufiel, den Festgesang für die Siegesfeier in Syrakus zu schaffen.
Denn für diese ist das Gedicht sicherlich bestimmt, nicht, wie Kenyon wollte,
für die Weihung goldener Dreifüfse m Delphi als Dankopfer fiir den Sieg.
Deren Erwähnung in Z. 17 ff. diente doch nur als Uberleitung zu der Er-
zählung von Kroisos, der, als Sardea sein von Zeus verhängtes Geschick er-
füllte"), von dem selbstgewählten F'lammentod durch ApoUon zimi Lohn für
seine dem Heiligtum des Gottes bethätigte Frömmigkeit errettet und samt
seinen Töchtern in das Land der Hyperboreer entrückt wurde, tlnd darum
bewirkt der Dichter auch die Rückkehr zum Sieger durch scharfe Hervor-
hebung der Parallele mit Kroisos; diesen hat ApoUon gerettet
dl tvöe'ßeiav ort jtttfyitfT« ^\vttT(Aiv fg «ya^tav (^uv}f:tipL^i [/Tud-]«.
öo\oL yf| iilv 'EkkuS* txovöLV ov Tt(j, (o fisyai'vr}rs 'Itgav, 9'tkijaei
65 [at»j;fJ)i/ öio xktiovu XQvabv \Ao\i\a ircft^at /3poTö[v.*)
Das Bedenkliche, das auch hier in der Erinnerimg an das Hieron sicher nicht
unbekannte Los des Kroisos lag, wird durch die Schlufs Wendung wesentlich
gemildert. Dafs aber in seiner Gestaltung der Sage der Dichter nicht eigener
Erfindung folgt, wird für den einen Zug, die freie Wahl des Todes, durch
*» Elektr. 698 ff. Danach ist auch Pind. P. 2, 8 andere zu beurteilen, als Böckh gethan.
') Z. 2.') f. lies: ivxt tkv itin[Qu>ntvav\ Zrji'ö? xtX(\ioi<aai %Qt]eiv u. 8. w.
■) So amendiere ich Blass' Erpäuzun»; von Z. 65 f., da nach Kenyon ^rX^ff» ebenso
feit steht wie oi' xii.
J. H. lApiim: Die mnentdeehtea Gedichie des BskcliyUdw.
235
ein hekaimtes VasenbikP) erwiesen, und wie ji<>liiuH^ <l»'iii Volksglauben von
Uouier bis Piudar und länger die Vorstellung von der Entrückung gottgeliebter
Mfloadieii in selige Qefilde gewesen ist, das hat Rohde in seiner Psyche gezeigt.
Wenn wir so Bakchytidee im Wettbewerb mit Pindar seine Knnsi in den
Dienft Ton Hierons Festen stellen sehen, darf man sich nicht langer strauben,
ia eiosehien Aab^rungen beider Dichter Besiehungen auf den anderen anau-
erkennen. Vor allen Pyth. 1, 42 ff., wo Pindar die Hoffnung ausspricht, in
Hierons Lobe mit weitem Wurf die Gegner zu üborheffen ((laxQa gCiffatg ß/tev-
6tt6d^ (iVTinv/), ist ^»a geradezu unmöglich, Bakehylides nicht mit vorstanden
zu srlHuben, der ftir den gleichen Sieg gedichtet hatte. Und in der bekannten
Stelle Ol. 2, ff.:
auyyi.(o<f6ia xö^uKii; oic; uxgaiTic yccgvetov
macht schon der aufb beste bezeugte Dual die alte Deutung auf Bakchylidee
und Simonidea unabweisbar. Es ist bekannt daft die Schotiasten noch an einer
Reihe von Pindarisdben SteUen Besiehnngen auf diese beiden Dichter oder einen
von ihnen anfgespfirt haben, ftlr die man nur eine Möglichkeit oder nicht ein-
mal diese zuzugeben hat. Aber in das andere Extrem ist zuletzt vrieder
Michelungeli verfallen, wenn er in »einer unmittelbar vor Kenyons Publikation
erschienenen Arbf it Deila vita di Barchilkie (Messina 18'.>7 ) alle jene Beziehungen
auRfuhrlichst hekampfl (S. 18 — 4HV Übrigens wird dunli ihre Anerkennung
i'in persönliches Zusammen treÜ'en l»eider Dichter in Syrakus keineswegs be-
dingt, dem manches Bedenken entgegensteht.
Schon hei froherem Anlala war Bakchylides mit Pindar in Wettbewerb
gstreten. Denn auf denselben Sieg des Pytheas im Knabenpankration*) tu
Nemea, dem Nem. 5 gilt, ist offenbar das 13. Epinikion unseres Bnehea ge-
dichtet. Wir können damit die dichterische Thätigkeit des Bakchylides etwaa
über 480 hinauf verfolgen, denn dafs der Sieg einige Jahre vor diesem Jahre
fallt, steht aus Pindar fest. Aber auf dies besonders zcrstflckto Oediobt wie auf
Hip übrigen Siegeslieder einzugehen, mufs ich mir versagoti. um für einige all-
gemeinere Bemerkungen Raum zu behalten, ehe ich mich dem zweiten Teile
des Buches zuwende.
Wenn man von der LektQrc der Piudarischen Epinikien zu denen des
Bakchylides kommt^ so empfindet man einen Abstand, wie er gröfser xwischen
swei Yerlretem der gleichen Dichtart nicht leidit gedacht werden kann. Nicht
stmi in der ganzen Anlage der Gedichte. IHe Clesichtspunkte, die ihren Inhalt
bedingen, nnd in der ^uptsache auch die Folge, m der sie sum Worte kommen,
'i Welcker, Alte Denkmaier III T. 3». unvollkommen wiederholt in Bautneitters Denk-
mälern II S. 796. Vgl, auch Duncker, ü. d. A. lY • S. 32ö.
*) Wenn Christ die« trots N. 5, 6 bexweifelt^ weil dieser Agon in Olymiiia erst Ol. 146,
in Delphi Ol. 108 eingerichtet sei, ho beseitigt auch diesen Zweifel die oben verwertete
Siegcrtistf von Keos, deren erster Teil an zweiter Stelle von Argeios £lvti 'JifXtn naiSmv
su'/\*iiutiop nennt.
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236
J. H. Idpum: Di« neaentdeckften Gedichte <k» BakchjUdet.
sind bei beiden Dichtem die Reichen; Ton den wesentlidien Stficken d«r Pin-
darischen Topik, dem enlcomiaetischeii, dem mTihiechen und dem lehrhBften^
lilei anch BakehjUdee wenigstene in den auagefShrteren Oden keinee Tenniaeen.
Oflenbar hatten für die Ennatform des Epinikione eich nach beaiimmte Regeln
aiugebildety unter decen Herrschaft eehon Pindar stand, wiewohl wir keinen
früheren Vertreter der Spielart kennen, als den ihm nur etwa ein Mcna<^en-
alter vorausgebenden Simonides*), und sie Bedeutung überluiupl erst dann »ye-
winnen konnte, als um die Mitte des sechsten Jahrhunderts mit der Ausbildung
der ('hormelik die gesteigi rti' Wertschätzunp der in den gi'ofsen Nationalapielen
gewonnenen Siege zusümiiRiitiuf. Aber iiin so gewaltiger ist der Abstand in
der Art der Durchlukrung. Bei Piudar bat das Verständnis auf Schritt und
Tritt mit Schwierigkeiten zn ringen, die nicht sowohl auf dem Gebiete des
spradilichen Ausdrucks liegen, den nur die Kflhnheit der Bilder und Metaphern
mitunter dunkel macht, als in swei anderen Momenten begründet nnd, die
beide in der OedankenlUlIe und Gedankentiefe des Dichfaars ihre Wutael haben,
einmal in der knappen, überall mehr andeutenden als ausführenden I^urstellnng,
und andererseits in der unvermittelten Schroffheit der Überginge — Momenten,
die vor allem die Lösung der unerläfslichen Aufgabe erschweren, ein jedes (Je-
ditht als Ganzes, in dem inneren Znsnmmenhnnge seiner einzelnen Teile zu be-
greifen. Nichts von alledem findet sich bei Hakehylides wieder. Leicht folgen
wir dem anmutigen Flufs seiner Redt.-, die auch im lüiiirsten Satzgefüge, auch
da, wo sie sich zu bihllicheu und neugeschaüenen Wendungen erhebt, überall
Uar und durchsichtig bleibt. Nirgends lafst uns der Dichter über den Zu-
sammenhang seiner Gedanken, über den Plan seines Gedichts im Dunkeln, wo
nicht die Lücken der Überlieferung im Wege stehen, und nionand könnte ee
bei ihm in den Sinn kommen, was bei Pindar die Reaktion gegen an weii ge-
triebene Bewunderung fertig gebracht hat, die flUiigkeit au konsequenter Durch-
fQhrun<r t ines klaren Gedankengangs dem Dichter abzusprechen. Nur so nel
Kenntnis der Sagen geschieh te setzt er bei !*einen Hörern voraus, dafs. wo er
den Faden des Mythus abreifst, sie ihn selber weiter zu spinnen verniöirpu. wie
in dem fünften Epinikion die ErzShhing mit dem Hinweis auf HcrakUs Ver-
mählung mit Deianeira abbricht und dem Hörer hinzuzudeukeu überlülst, wie
auch jener damit dem Verhängnis verfiel — ein Kunstmittel, von dem Bakchy-
lides häufigen Gehraudi auch in der aweiten Gruppe miner Diditungen ge-
macht bat, wie sofort au zeigen ist Über die Wahl des Mythus selbst, für
die in gar mancher Pindarischen Ode der Grund so wenig au Ti^ li^gt» dala
au seiner Ermittelung viel Scharfinnn vergebUdh au%ehoten worden ist, bleibt
»insiT Dichter in keinem der fünf Epinikien, in denen ein mythischer Teil vor-
handen und erhalten ist, die Aufklärung schuld^. In dem elften Gedichte auf
Alexidamos von Metapont stellt der lang ausgef^ponnene Sagenbericht Aber die
Proitostöchter freilich nur in lockerer Verbindung mit dem Anials der Ode:
V» DcHven Geburt (>57;6 Hteht durch sein Selbst -/.pu^fnis lest; Findar kann 80 gut
wie g«boreu »ein, aber nicht erst blü, wegen Pjth. 10.
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J. H. lapans: Dia aeoentdwkteB G«dielite des BakdqrUde«.
237
der Siog wird der Artomis verdankt und denn Knlt ist nacli Aletapont vom
Lusos in Arkadien übertragen^), wo der Göttin lluiligtura und Fent zum Dank
ftr die Heilung der Proitideii vom Wahnsinn geweiht war. Den hiermit ge
gebeDen Wink wird die Pmdaareridimiig nidit onbenutst laaeen dUrfm. Eigen-
tOmlieh aber an Bakdijlides ist es, dab er an die Stelle des IfTtlinB einmal
die Legende aetafc, die Geeefaidite T<m Kroieoe und eeiner Entrlk^ung in das
Hyperboreerland.
Gerade in diesen erzählenden Paxüen halten wir dir» eigentlichen Glanz-
stücke der neuen Siegeslieder zu erkennen. Ihres Dichters Virtuosität liegt in
der Kunst lebensvoller Darstelhing, welche die f^eschilderten Szcnt^n mit voll» r
Anwhauliclikfit zu vergegenwärtigen wpifs. VVir verspüren t})i'n amdi im ihm
die eigtntüiiilicbt! Begabung des ionischen Stamme«, die dirseii vor allen anderen
zur Pflege von £poä und Historie berufen hat. Liul auch darin fühlen wii*
mis an das Epoa erinnert, dafs der Dichter in noch weiterem Umfang ala
Pindar es liebt, die Helden seiner Erdllilung selbst redend eimufBlimL; so
ToOiieht sieh z. B. die Begegnung awiaehen Herakles und Meleagros in der
Unterwelt fast ausachliefelich im Dialog. Wik besonderer Vorliebe aber ver-
wendet Bakcbylides als Mittel der Veranschaulichung den Zusatz malender
Epitheta. Auch in einfacher iiede iSfst er nicht leicht ein Substantiv ohne
treffendes Beiwort, wie, um »»in paar Beispiele heraus7:nlieben, in den schon
oben ausgeschriebenen Versen von Pherenikos oder in den Eingangsstrophen
dt» allerdings besonders kunstvollen dritten Gedichtes:
tCQiöTOxäfinov 2ji)uklus XQtovöuv ^äfiaxQa loarifpavüv tt xovQav
v^vitf ylvieöda(fi Kksiot, d-odg r' 'OXvfijciodgöftovt; 'Itgavog Taxav^;.
tfCifoirVO yäff (fitv {ms(i6xai ti viKif <fiyv aykuia tt jcccq tvQwdivmv
*jH^iiVy rddt ^uvo^ivg idtput» tiXßw» yivw ät^^dvw «ti^^tfca.
Zahlreieh sind die Stellen, wo ein Nomen ein doppeltes Epithettm empfang!^
nicht ganz selten auch die Fälle, wo es deren drei bat, wie ÄlgOS 11, 79 1
mUiitTov xkvrbv Ixxößorov oder 13, 101 f. Athene x^Dtfcrp/toros ae^v« {isyd-
^vfios heifst. Ja auch vier Epitheta finden sich für Artemis 11,37 f. äygortga
XQvffaläxccTos «ft/pff To^öxXvrog, woljei zu beachten, daffi aufpa erst durch das
i^rüdikat vixav tdaxt sein Recht erhiilt. Freilich k<innen gerade diese Bei-
spiele zeigen, dafs bei dieser Fülle von Beiworteii au« h manche farbloseren und
konventionellen mit unterliefen. Aber weitaus die Mehrzahl bilden doch die
linnlidi malenden Epitiheta, dnber die Vorliebe des Dichters fibr Komposita
mit piv66s, z^^^St daneben für superlativiache Ausdrücke mit «öS, {l^i. Es
begreiift sich, dab der Dichter diesen Bedarf nicht mit dem Torbandenen
Sprachgute allein zu bestreiten Tcrmochte, sondern dsütr TieUM&her Neu-
bildungen bedurfte. Von den 102 neuen Worten, mit denen er nach Kenyons
Zahlung unsere Lexika bereichert, kommt die weitaus gröfste Zahl auf solche
Ton ihm selbst geplagte Komposita. Sonst berührt er sich wie nattlrlicfa in
' Don viin Kenyon vemiifston Ri?leg für den ArtemiRkult in Mctajtont liefert eine voa
Wemicke bei Paoly-WisHowa angeführte Müiuie im Uritish Museum, Ituly Nr. 269.
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^38
J. fi. Upiiiia: lUe neneatdeckten Oedidiie de« BAkehjUdea.
dieflem Sehmueke sehr vielfadt mit dem Epos. Wenn einselnes sidi für ima
nur noch bei Pindar wiederfindet, so braucht das noch nidit auf bewofster
NachalunuDg m. beruben. Eber darf man ein Zusammentreffen mit Simonides
beseicbnend finden, wie &Q£eva(f%og als Epitheton von Zeus bei beiden schon
von den alten Granimiitikern angemerkt wurde ^enjon su \?>, 25 \ oder das
Simonideische Beiwort der Nachtigall xAo^oi^j^v von Bakdiylides auf Deianeira
übertragen ist (5, 172).
Kein Dichter des Altertums, selbst Aisilivlos nicht ausgenoraraen, über-
triöt Pindar in Kühnheit im*l Tiefe der i>il<ier. Auch Biikchylidos hält in
diesem Stücke keinen Vergleich mit ihm aus, wenngleich es nicht an Stellen
fehlt, in denen er sich zu bildliclMmi Sdiwunge erhidi^ wie in den sdicm tw-
hin ausgehobenen Versen der Ode an Hieron, wo er sich mit dem Adler tot-
gleioht, der Uber Berg und Meer in den Lfiften sieh wiegt. Aber wihrend
Pindar seine Bilder blofs andeute^ lieht der ionische Dichter mehr nadi episch«-
Weise seine Vergleiche auszuführen, am breitesten 13, 91 ff, wo er die Achaier,
die beim Fernbleiben des Achill neuen Mut schöpfen, vergleicht mit den
Schiffern, die nach Ende des Sturms wieder aufatmen:
ßtft' iv xvttvävd'el &[Qijii vavtiXovg
-r(>F'T[tJ ßo()]/as vxo xvfittötv daf^ft
Öö VVX.TÖS ccvrdöug f'rr.'.Tfm'Ott/j'wvV ] * kfj^fv S} övv (pat<Ji{i[ßQ6TGi
*Aoi^ OTOQfötv Tf ,-r(j| iTovJ' ov^n'a }'6tux< d' ix6v[ti£ i^üv
lariov ü():iukiio^ t' utkzxov i%Cxovxu y)^i^<iov'
100 hg Tqqbq ixixXvov ulj^tccrav 'AxtXküt
lituvovt* iv «Attf^^t u. s. w.*)
Durchweg aber wird Wahl und Dardbifilhmng der Bilder durch die Zwecke
malerischer Darstellung bestimmt, und man wird geneigt sein, eine geistige
Verwandtsdiaft mit dem blutsverwandten Simonides ansuerkennen, dem nicht
nur die bekannte Definition der Poesie als redender Haierei sugeschrieben,
sondern von dem feinsinnigsten Kunstrichter des Alterturas fOr den einzelnen
Fall leibhafteste Veranschaalichung nachgerühmt wird.')
Noch in einem anderen !*iinkt« drängt sieb der Verj^leich mit Pindar auf
►Schon au den bisher bekannten Bruchstücken hat man die Men^e der St-nten/en
bemerkenswert g<'fnnden, un<i noch mehr tritt dieser Reichtum m (h-n nun vor-
liegenden Ejpinikien zu Tage, die ja zu seiner Bethatigimg besondere Gelegen
heit boten. Freilich hann dieser Reichtum sich nicht messen mit der Ffllle
und Tiefe der Pindarischen Gnomen, die es su einer dankbaren, wiederholt
bearbeiteten Aufgabe gemacht hat, die in ihnen niedergelegte Lebensweisheit
zusammenfassend darzustellen. Im V^leidi mit ihnen halten sich die Sen-
tenzen des Bakchjlides durchweg auf der Oberfladie und selbst nicht frei von
'i uvpi'n und ÜQnuKib)(i x' bieten die Korrekturen des Papyrut«, die fast überall das
Rifbtigt* herstellen. Daruacb habe ich inövitf i^Uv eingesetzt, im nbrigeu aber die Er-
güuzuugtiQ bei Kenyou beibehalten; nur daT» V. Ul Jebb 9^kuh; via Hcbreiben wollt«.
*) [LoDgin] «. ^^po«9 16, 7: 9» «4k ^* tf nf Ihpt» (tnt^ffittt^w cl^<ilo9f*/ij«« 2«fM»»£tdv.
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3. H. Lipnns: Die nduentdeekieii Ctodiehto des Bikcfaylid««.
239
Trivialität, wie die gehäufteu Ivotiexiouen des ersten (^edit'iii^. Wohl aber h«t
auch er es verütauden, einer allgemein anerkannten Wahrheit präzisen Ausdruck
SU rerleilien und die Wirkung seiner Sprüche durch gMehid:te EinfQgung in
Enihlnngen oder Reden m eteigern. Gem lehnt er sieh dabei ui die Aatorittt
«am iltoren Spnichdiditen an, wie des Hemod 5, 191 C:
^Höiodog «^anulog MovdS»^ &v dMmain njjiAAtr, i6^X£(p9
Und aus »hnlieber Quelle stammt das Ton ApoUon an Admet gerichtete Wort
3,78ff.:
yvtoitug ort t' aÜQtov ö^eai iiovvov aXiov (päo^.
Solche Stellen endiliebett uns das volle VwstindniB für ein paar von Clemens
sofbehsltene Vwse, in denen schon Neue (Fr. 13) eine Rechtfertigung des
Dichterg gegen ^en Au^ül des Findar, etwa das obMi besprochene Wort
Ol 2, 86, erkannte:
exegog ixBQOv 6o(pbs t6 xt xaXcu t6 tt vi>v*
Es sind nur wenige charakteristische Züge, die hier / ii ächat für die Epinikien
hervorzuheben waren, aber auch ttir die zweite Oruppe der neuen Dichtungen
ihre Geltung haben, nur dal» bei diesen der Mythus nicht den iiauptsächlichen,
sondern den einzigen Inhalt bildet. In allen sechs wird uns ein kleiner Aus-
sdmitt ans einem größeren Sagenganzen, eine mjüiische Einxelssene in knapperer
oder breiterer Fssanng Torgeftthrt, so dafs jedem Leser die PsraUele mit der
modernen Ballade sieh nahe legt. Desto schwerer aber fiUlt die Zuweisung
der fledichte an die yerschiedenen Arten der antiken Lyrik, unter welche die
QeleLrten von Alexandrien den Nachlafs der groJken Melikor eingeordnet hatten,
so gut oder so Obel es oben anging. Denn nnr eine beschrankte Anzahl dieser
melis<>hen Formen war durch die Regel des Kultus oder Gewöhnung der Praxis
ausirepriigt. wälirond zwischen anderen die Grenzen schwankend und Hüssig
Miftifii. (ileich das erste Gedicht der Gruppe, dem der zweite Korrektor des
l'apjrus* den Doppeltitcl Av\xr^voifidui | 'Ef.n'1^\■^ ii;i«i'i}/öig*) beigeschrieben
hat, labt uns Aber seine Bestimmung völlig im Dunkel, woran auch nicht
der Verlust ftst der gansen ersten Strophen die Schuld trägt; denn soviel er-
hnuMo wir, dafs im Eingang enihlt war, wie Odyssens und Menelaos nach
Trojs kamen, um Helena suHIelanfordem, und bei Antenor nnd seinem Weibe
Tliesno gastliche Auihahme fiinden, eine Sage, die aus der Dias bekannt ist
' Die Ergänzung von 191 etitlphno ich von Keiivon, nv Tt(uaaiv und fnfO^at von HIihs;
io^ldf habe ich ntlvca roi^geaogen trotz der baldigen Wiederkehr des Wortes. In der
*tuendai ErwUmung des Hedod sah Kenjou da KonpUnent des Dichten gegen aeiBen
litraleu Pindar.
Ich ^etzn i) ein, weil der acweiteilig« Titel M weaig wie bei 17 cvei Teilen de»
Gedichtes entsj^rochen haben wird.
240
J. H. Lipdiu: Die nemntdeckten Oedichit« dM BikehylidM.
und nach \V eickers jetzt auch durch Bakchylide^ empfohleuer Vennutung den
InhaLt toh SophoUeB Dran» 'BUmjg axtUx^inq gel^det hai^ TOn dam nun Mine
'Awi^^vQQätm woU nicht mit Beeht geacJiieden hai*) Wdche Bolle Äntenoni
fnnlsig Söhne spielten, ist hei dem Umfiinge der Lttcice aof Eolnmne 30, toh
der uns nur die Enden der erstm Zeilen erhalten sind, nicht mehr an erfcoinen.
Denn Kolumne 31 setzt mit einem kahlen auf sie bezflgliclien uyov ein und
berichtet dann nnr die durch ihren Vater veranlafste Berufung der troischen
VollcBversammlung und die von Menelaos da gehaltene Rede, deren erste Hälfte
uns schon durch Clemens bekannt war (Fr. 2H Rorgkl; ps ist interessant, dafs
die Znweisun»; der Vorse an Rakchylides sieh hestiitiirt, aber 7ngleieli der
Grunil, auf den sie sieli stützt**, hinfällig wird. Mit der VViirnuug des Merieliins
vor der H^hris, die auch die übenuütigeu Giganten ins Verderhen gestür^t^
hricht das Gedieht plotdidb ab, ohne irgend einen Absehlnb zu hringen. Man
könnte trotzdem darin nur eine weitgehende Anwendung jenes Kunstmittela
finden, von dem oben die Rede war, und sich darauf berufen, dab dem
wissenden Hörer der Hinweis auf die onentrinnbaren Folgen der Hybris eine
deatliche Perspektive ei ("»ITiiete. Dennodl erseheint mir das Gedicht mit der
fest zwei Triaden fällenden Erzählung von Antenor und seinem Hause zu breit
angelegt, als dals es nach der dritten mit jener Rede des Menelaos abreifsen
könnte, die nicht einmal die 'Ek(%n^<i a:iuitriaig nusdrin kliph formuliert, sondern
sich lediglich in ethischen Betrachtungen ergeht. Dazu enthält ihre Eiiifühning
mit den Worten Mov(f«^ n's n^pdiTOv; koytav «pjrfr Ütxuiav einen nicht zu ver-
kennenden Hinweis auf weitere Verhandlungen. Ich meine also, dals das Ge-
dicht nur in seinem ersten Teil in dem Papjms eathalten vBk\ beA&en wir den
Bweiten Teil, so würde er uns wohl auch einen Fingerzeig Aber die Bestimmung
des Gänsen geben, an dem es in den meisten andern Gedichten der Gmppe
nicht fehli
.So gleich in dem nächsten 'HQaxXi)g von Kenyon überschriebenen, wiewohl
es die Unvollständigkeit mit dem eben besprochenen gonioin hat. Der Dichter
fordert die Aufmerksamkeit seiner Hörer, weil die raildgesinnte Muse ihm ein
goldMiies Fahrzeug voll unsterblicher Hymnen gesandt hat auf den Gott, der am
bhunenreichen Hebros sich freut am Gesänge seines Schwans*) — man kennt
die Strophe aus Aristophanes Vögehi (769 ff.) von den» (lesange der Schwäne
am Hebros auf Apollou und seiner wunderbaren Macht und weifs durch Himerios
?on dem Pkian des Alkaios, der die Fahrt des Gottes an den Hyperboreern
auf dem ächwanengespann und seine Bflck^nft nach Delphi feierte, die Ton
der ganzen Natur mit begangen wird. Und dann in rascher Wendung an den
Gott selbst:
Ih&tC "AxoXAo^y x6ou xoqoI ztelq>änf
*) Wu Strafaoit XID 8. 609 am SophoUes wfQlirt, konnte ia den 'Arojvoftim blofr
Tornusf^eeagt lein.
*) V. 1 erglhize u-h r^xoiVr.'' tti^c iitfi — tind gebe im folgenden den Sinn nach KenyooB
Text, wenQ auch cinzelncB iu ihm bedenklich ist.
j . d by Googl
J. Lipttu: Dto Mneutdaekteo Q«di«ht0 dm BtkAjhiäm. 94t
Aber bevor solche Lieder angestimmt werden,
xgiv ye xkia^uv kmtiv OljflXuiv xvffl äaxrofiivuv
ünd aiiD folgt im Rest der Antirtroidie und d«r Epcide der «insigen Perikope
die Krifthlmig von deni ans SophoUe» b^eiinfteii Opfer, dea Hmekles am
Kenaion bracbk- zur selben Zeit, da Deianeiia auf die Kunde von der liebe
des Helden snr lole verderblichen Rafc Mnn
a dv6\LOQog^ a xdkaiv* olov iii^tftefO*
ivo(f)tQot' xt xäXvyky^u xäv vaxiQov i(fjyfitvt»v^
ot' t^i 7toxap.(p ^oSötvxi jdvxüQfia
dt%uxo AV^tfov Xttifa Öutrf/köviop xt^fo^.
Damit bricht dae Gedicht ab, das wie das vorausgehende heeondeiee Intereeee
dnreh die Berflhrung mit dem Stoffe eines SophoUeiechen Dramas gewinnt.
Aber es heUkt gewib nicht mit vorgebfeter Meinung an die antike Poeeie heran-
treten, wenn idbi, snmal nach der eben gemachten Wahrnehmung, in ZueiM
»ehe, ob in der Inirzen Vergegenwärt^nng jener Parallelazene am Kenaion und
io Trachis der ganze Inhalt eines Gesanges sich erschöpfen konnte, der am
Fest des pythischon Apollon vorgetragen wurde. Ob in Delphi selbst, scheint
imr nach dfui Eingänge wenig wahrscheinlich; ich möchte' an Koos selbst
denken, wo in lulisi wie in Karfcliaiu Tempel des pythischeii Apollon standen
uutl an letzterem Orte llv&ia mit lyrischen Chorauftuhruiigeu begangen wurden,
bei denen Simonides seine Kunst zu üben Gclt^gt nheit ümd.^)
Die intereaeanteeten und i^üdücherweiBe zugleich lflok«nloaeaten Stficke
uiaerer Sammlung sind die beiden folgenden ans der Theeeussage. 17 ist
Itbenehrieben 'Ht^*M [xtü} OqtfMfg; dds die Eteihenfo^ in dieser Gmi^ die
alphabetische ist, hat sofort Blass bemerkt Wie in 16 werden wir g|mch in
medias res gelDhrt:
xvttvöXQtoQa (tiv vttvgy luvixxvxov
xovQovg 'laövav
KQTfXtxbv xd^i'f Xi'Xayo^.
An einer der Jungfrauen, Eiiboia, hudet Minus, der in Person den Meuschen-
tiibat eingefordert hat, grofses Gefiillen. Ahn* Theseus wehrt ihm mit kühner
Rede^ sieb an dem Mftdchen au vergreiüm; wie jenw ein Sohn des Zeus, so sei
er selber Sohn des Poseidon. Daraus spinnt Minos vwderblidie List; er orbittet
von Zeus einen Bliti rar Beirahmng seiner Abknnfl^ dafElr soll Theseus einen
Ring, den er ins Heer wirft, aus dem TTiuiRe seines angeblichen Vaters herauf-
holen. Als der Blitz erfolgt, säumt Theseus nicht, dem Verlangen 7,u ent-
sprechen. Delphine tragen ihn in seines Vaters Wohnung, dort sieht er die
Nereiden am fieigentana sich ergötzen und schaut Poseidons Gemahlin Amphitrite,
'/ Vgl. Chamaileon bei Atheo. X 8. 466 F und die Nachweiiangen von Pridik a. a. 0.
S. lu f. 132 f.
XmJakiMAw. IMS. I. 16
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34S H. Lipsiiu: Die »eamtdeoktm Oediehto 4m BakofajlulM.
die ihn mit Mantel imtl Kraux beschenkt. So geschmückt taucht er am Schiffe
wieder empor, ein Wunder für alle; vom Jubelruf der Mädchen hallt das
Heer wieder,
Und «n diesen SehlubTera der leeeelnden Enihlnng reiht sidi nnmittellMar die
Anmfnng des Apollon, mit der das Gedicht kura abaoUieGit:
^dlUf jo^oMi Kiitetv tpgiva imr^sig
Also zum Vortrag an den Delien, die auch von Keoa mit einem Chor be-
schickt wurden, i^t das Gedickt -bestimmt, du» wir darum mit K«Djon aU
Paian zu bezeichnen haben.
Der Besuch des Theseus bei Amphitrite, der dun Glanzpunkt in der Er-
zählung des Dichters bildet, iät uchun vor ihm. zum. Uegeiiätand bildnerischer
Darstellung gemaeht worden, nach Pansaniaa hekannlam Bericht von Mikon in
einem Gemälde des Theseion und in dem bdcannten Yaaenbilde des BuphronioB.
Auch fllr eine Tidgedentete DarsteUnng dmr Fnm^ois-Vaae glaubt nun vaa Bxan-
teghem Im Kenyon in unserem Gedieht den SdilSssel gefunden au haben. Der
oberste Streifen der einen Seite stelle in seinem linken Teile das Wiederendieinea
des Theseus nach seinem Besuche bei Amphitrite dar; dmr schwimmende Mann
an der Seite d<s Schiffes, der die verschiedensten Deutungen erfahren hat'), sei
oflFenV)ar Theseus, und das Erstaunen, das die Bemannung des Schiffes zu deut-
lichem Ausdrucke bringt, sei eben durch die unverhoffte Wiederkunft des Theseus
aus der Meerestiefe venuilafst. Es sei also schwer eine direkte Beeinflussung
des Dichters durch den Vaseumaler in Abrede zu stellen — gewils eine inter-
essante Bereicherung der Bestehungen swisdien Bild und Lied, wenn sie nur
ror näherer Prtlfung standhielte. Aber entscfamdend spricht dagegen schon
die eine BrwSgnng, daJs damit die Darstellnng des Streifens abweichend von
all«& andern in awei gans'Tersehiedtttie Sienen anseinandergerissen wQrde^ denn
keine Beziehung bliebe zwischen Schiff und Schwimmer und dem rechts von
ihnen abgebildeten Fest/.uge der geretteten sieben Jünglinge und sieben Mädchen,
dem Thesens mit der Lyra voranschreitet. Und doch gilt das Staunen der Schiffer
deutlich nur dem V'orgjuige auf dem Lande, nach der treffenden Bemerkung von
Heberdey, Archiiol.-epigr. Mitteil, aus Osterr. XllI S. 79. Weiter würde bei
Branteghemü Deutung da« Fehleu des Minus ei)ens<) aufffiUen, wie die Haltung
dee offenbar dem Lande zustrebenden Schwimmers wenig für den aus dem
Meere anftauidienden 'niesens sich eigiMt Ebenso fehlt an ihm alles, «as
«nf den Besuch hei Amphitrite weisen kltonte^ vor allem der Krani, der einen
wesenÜichen Zug der Sage bildet, und das Nebendiehliche seiner Brschcinung
kommt auch im Fehlen des Namens aum Ansdrudc, der allen Teilnehmwn des
Zuges beigeschrieben ist. Man wird also gut thun, das Gedicht des Bakchylides
bei Erklärung der Vasendarstellung ganz anfoer Betracht zu lassen; auch bei
Ergänzung des Namens in Z. 14 kommt die mir auf der Vase deutlich scheinende
') Vgl. Weizsäcker, N. Rhein. Mus. XXXUI 8. 881 f.
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J. H. Ijip«iiu8: Die nenentdeckten ik'dicht« den Bakchjlides.
243
Form 'Exißoia nicht in Frage. Wohl aber mufs dem Euphronios und Mikon
die gleiche Quelle wie dem Dichter zur Grundlage gedient haben.')
Bwonders pigoiitinnlicbfr Art ift das andfrf» (redicbt Stjöevg (1^), fin
VVechselgeapräc-h in vier Strophen, von dt-Tsen die erste und dritte auf die
Frape, die zweite und viert<> auf die Ant^v n t kojiimt. Sprecher der ktztt-n'n
ist Aigeua, wie die zweimalige Anrede an ihn zeigt. Die beiden anderen
Strophen werden von Kenjon der Medeia zugeschrieben, die doch gleichfalls
Biher beEeicshnei «ein mfiftfee. Anf eine andere Anffossiuig fttbit der Inludt
der eraten Frage:
Die Frage pafst doch am besten eben fQr die, welche durch den Klang der
Kriegstrompete herbeigerufen sind. Und fSr dieselben eignen sich auch die
Worte, die an die weitere Frage, ob ein feindlicher Feldherr oder Räuber ins
Land gebrochen seien, angeschlossen werden:
9>^/yyov doxtüJ yäg fi' rivi ßgoxStv
dXxiiimv imxwQim* nui xlv eufievuL v^mv.
Damit werden sich die Sprecher eben selbst meinen, und ihrer Stellung zum König
»eoit endlich anch die respektroUe Anrede am Anfang und Schluls der Strophe:
fiv«tXe9 tSv Uq&¥ '^«vfiv, tAv icßgoßiav 6ved^ *IAtm» —
A IIvißdiavoQ vtt aal KffW&^t/g,
Der ESii^ erwidert, ein Herold sei vom lethmoa gekommen imd habe Ton
nnerhdrteii Thaten eines starken Helden berichtet, der Sinis, Skiron, den Eber
TOn Krenunjon, Kerkyon und Prokoptaa*) erschlagen, er fürchte, worauf das
lunaus wolle. Und auf die weiteren Fragen') nach Herkunft und Tracht des
Helden, ob er an der Spitze eines Kriegesheeres eiuherzieho oder allein und
waffenlos, also in göttlicher Sendung, giebt Aigens eine Scbihleruug des üun
noch unbekannten Theseus, von der ich wenigstens den Schiuis hersetw:
*) Die obigen Bemerkungeii habe idi tmvwft&deti gelaMen, auch nachdem ich Boberl«
iu ^Tufi^ereni Zusammenhange gegebene AuRführungen a. a. O. 8. 144 gelesen habe, die
zum gleichen Ziele kommcti Wenn Robert anf das Fohlen de« Kranzes in der Durstellung
iet Fran9ois ' Vaite kein Gewicht legt und ihn auch bei Kuphrunios nicht hndet, ao apricht
8«g«B lebten! die aiudrfleldldie Tenichening des «nten Heiaiiigeben de Witte (M onnu. gr.
I 1 S. 11), auf die mich mein Kollege Studniczka aufinerksam macht: // ne reste que peu
de tracts dt cette rmirrmnr, qnf Vnn rJistingue pourtant parfnitemmt dans la pciniurr originalr.
*) Die einzig natürliche Auffassung der Worte iloXv^cfjfiovög ts xanxfqüv agiv^ov i^ij^akfv
^k^iimmg it^do999 yaMÖ; ist doeh die« daft FrokoplM, der hi«r an die Stalle des
wiut genannten Prokruatea tritt, den Haminer des PolTpemon (Iberkonnnea, «lao deiMn
Handwerk fortgesetzt hat
Respontion findet sich auch in mancher Einzelheit. Z. und 47 ateht Uyn genau
*a dnmlben Stolle in Frege and Aatwort; aneh das AnageheD von Straplie 9 und S auf
YitfRrm wild ntdit sniUUg «ein.
!«•
244
J. H. Lipum: Die nmentdeekten Oedichte d«i Bttkchylidsi.
Vmi TiiHiittigiicm bt)i Keuyoii wollte in "lfm Gedieht ein Beispiel der
ägdfiata x(iayixä erkennen, die unter den Weikea des l'uidar in dem Kataloge
bei Saidas aufführt wer den. A.ber seitdem Hiller im Hermes XXI S. 357 ff.
den endgültigen Nadtweie geliefert bat, dab das Hehr von Titeb, das dieser
Katalog gegenfiber dem Verxeidinie in der altra Biographie Pindars und hd
Euatathio« enthSIty nii^t den geringsten Anspruch anf Glaabwürdigkeit hat'),
sollte von einer besonderen Dichtgattung tragischer Dramen, die bis zuletzt
manchem Hypotheaenban zum Anlafs gedient hatte, überhaupt nicht mehr die
Hede sein. Dagegen mnl's der fiSr unser Gedicht aufgezeigte WeiliselgeHang
zwisehen Chor und König sofort gemahnen an die berühmte Nachricht dts
Aristoteles von Entstc hung iler Tragödie üxo täv f'lapjjdiTejv top dt9vQaußm'.
wie er aiiderürüeit» dieser Nachricht zum Schutze gereicht gegeu den jüugst
gemachten Versuch, ihre Unrichtigkeit aiw der TimneinllidiBn UnmSglidilmt
zu erweisen, dafe der tr^paehe Sehaiuq[»ieler sich ans dem Chor heransgelSflt
habe.*) Denn auch bei Bakchjlides tritt der Einsel^ger nicht xa dem Chor
hinan, sondern ans ihm berans, und dab d«r erste Scbauapielor nur Spreeher,
nicht at)ch Sänger gewesen, das an behaupten giebt unser bescheidenes Wissen
vun den Anfangen der Tragödie uns noch kein Kecht Allerdings k&uicn wir
Parallelen zu unserem Gedicht erst in dem jüngeren Ditliyrambos. namentlich
bei Philoxenos, naehweij^en, wahrend es von den Dithyramben Pindürs in Form
wie Inhalt durchaus verschieden ist; von den Dithyramben des Simonides geht
uns leider jede nähere Kenntnis ab. Aber erst eiugeheudäte Lutersuchuug über
die Vortragsweise der mclischen Gesänge, die swisdien Einzelvortrag und Chor-
gesang sieherUeh mannig&ehe Übergangsfonneii kannte, wttrde die Bereehtiguog
XU erweiaen haben, jenen Weehaelgesang als einen dem Dithyrambos anssdilielih
lieh eigentOmliehan au betradhten, waa in der Angabe des Aristoteles kebiM-
wegs enthalten ist.
Eine andere Frage freilich ist es, welcher Gattung die sammelnden Ge-
lehrten von Alexandrion Gedichte wie die unseren zugerechnet haben. Sehen
Blass hat Gewicht darauf gelegt, dal's ein Zitat bei Servius aus 17, unzwi ifel
haft einem Paian, auf Bakchylides in dithyrambis l.iutet^), und als Dithyrambos
werden wir sofort auch 19 anKUspreelien haben. So wird auch IH ala solcher
gegolten haben und uiia somit in dem zweiten Teil des» Papyrus etwa die Hälfle
von den Gedichten des BakchyEdes erhalten sein, die ^e alten Ordner ils
') Die» wesentliche Ergebnis bleibt be«teheii, auch weun mau mit Immisch, N. Rhein.
Mus. XLIV S. &Ö3 Ö'. die ÖQÜfiaxu rpayiiut bei Suida« nicht alt fiiiueltilel, SOQdero aU tid-
aaiutbc'Züicknuug aller Gedichte Piudars aufi'aBsen wollte.
*) Bathe, PtolQgomena zur Gwebichte des Theaters 8. S7ff.
Bla«s Itcrufl Bich auch d.irauf, dafs Fr. 41 Bgk. sich wiedergefunden hat in Fr. 2 de?
Ifapjrus, u< il er es ebenso wie J^eue mit dem anderen Scrviuezitat aus den I>i(hTrauibeB
(Fr. Bgk.j ideutiüxiert. Aber in jenem ist nur die Uedc davon, dal's die Mautineer aar
ilireDi Sehilde das Bild d«e PoMidon tragen« wAhrend auf da« in dem anderen BmhMA
Wesentliche, das Umkehren des Schildes bei arkadischen Leichenbe«tattungen keine Spur
hinweist. Ob aber vielleicht Fr. 16 Bgk. aus dem aioht erhaltenen Teil des Heraklw-
gedichies stammt?
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J. H. Lijmus: Die neuentdeckten Gedichte des Bakchylide«.
245
seine di^gaiißoi zusammengestellt haben. Denn der anderen Möglichkeit, dafs
15 — 20 eine Auswahl aus verschiedenen Büchern darstellen, wird niemand den
Vorzug geben wollen, zumal nach dem, was sich über die relative Vollständigkeit
der Epinikien ergeben hat. So dient unser Papyrus zur Bestätigung der schon
oben hervorgehobenen Unsicherheit in der Abgrenzung der verschiedenen Arten
des Melos, die z. B. dazu führte, dafs nach dem Verfasser arfpl fiovffix'^g 9 f.
die Gedichte des Xenodamos von den einen als Paiane, von den anderen als
Hyporcheme, die des Xenokritos bald als Paiane, bald als Dithyramben an-
j^esehen wurden. Waren doch wenigstens in Athen auch an dem Apollinischen
Hauptfeste der Thargelien die Gesangs vortrage kyklischen Chören anvertraut*),
die mit den dithyrambischen für identisch gelten.
Wenn das besprochene Theseusgedicht durch seinen Inhalt seine Bestim-
mung für Athen erkennen lüfst, so hat in dem nächsten (10) mit der Auf-
schrift '/d) ^A^vaioi6i die gleiche Bestimmung deutlichen Ausdruck in dem
Eingang gefunden, nach dessen selbstbewuTstem Ton es in die reiferen Jahre
des Dichters zu gehören scheint. Die Muse soll berichten, wie es gewesen"),
als lo nach Zeus Willen aus Ai^os floh, und Hera ihr Argos zum nie-
schlummemden Hüter gab, den selbst Hermes nie zu täuschen vermochte; wie
er dennoch endlich dem Gott erlegen, das können wir nur erraten, da der
zweite Teil der Antistrophe und die Epode des nur eine Perikope umfassenden
Gedichtes auf der letzten Kolumne des Papyrus stehen, von der nur die vorderen
Zeilenhälften erhalten sind. Aber sie reichen doch aus, um zu zeigen, dafs von
der Geburt des Epaphos in Ägypten und seinem Nachkommen Kadmos die
Rede war, dessen Tochter Semele rbv 6Q6ißttxxa\ v — ]rixTf ^lov viov — —
xal lOQäv 6xifptt[vfov x &voxx<^^^ Nach diesem Schlufs liegt hier unzweifelhaft
ein DithyramboB vor, der in Athen ziemlich gleichzeitig mit dem uns leider nur
zum Teil aufbehaltenen Dithyrambos von Pindar zur Aufführung gelangt ist.
Es ist sehr interessant, zu beobachten, wie beide nicht allein in der metrischen
und sprachlichen Form, sondeni vor allem in der ganzen Anlage ungleich
gröfsere Verschiedenheit aufweisen, als wir sie bei den Epinikien der beiden
Dichter wahrgenommen haben.
V'on dem Schlufsstück der Holle "/dßi; mit dem wieder aus den Anfangsworten
entnommenen Zusatz jdaxfdaiuovi'otg sind uns nur elf Zeilen teilweise bewahrt,
die eine willkommene Vervollständigung erfahren würden, wenn die von Crusius
versuchte Zuweisung von Fr. 7 sich bestätigen sollte. Auch so erkennen wir
den Gedanken des Eingangs: 'Solch ein Lied sangen einst in Sparta die blonden
lakedaimonischen Mädchen, als der kühnherzige Idas die schönarmige Marpessa
heimführte, dem Tode entgangen durch die windschnellen Rosse, die Poseidon
ihm geschenkt.* Wie eingehend aber in diesem Hymenaios zur Vermählung
') Vgl. A. Moiumsen, Ileortulogie S. 42a.
^ Z. 15: tl 'A(fYOi o&' iititiov liTtovact tpivyt xpvff^a ßovs. Kenyon hält tl wegen
de» Trochäus in der Aiitistrojthc für verdorben, aber es i»t die Freiheit der sogenannten
aiolischen Baeia.
V jiov viop mit BlasH , der ächluTs nach der Ergilnxuu)^' von Crusius.
24Ö
J. H. Lipiiu*: Die oeaentdeckteu Gedichte deu Bakchjriidea.
Pkunw Über aeme froheren Oesdiicln benchlet wu> des lehrt dae Zitat in
einem Findarscholion (Fr. 61 B^).
Am meisten zu thun übrig gelassen hat der englische Herao^jeber in
metrischer Hinsicht. Wie die Pindarhandechriften, setzt auch der Papyrus des
Balichylides die einzelnen Kola ab, und wenn ihm Kenyon darin gefolr^ igt.
so hat das fiir eine editio princeps seine gute Berechtigung. Ahfi- wie wir
durch Böckh gelernt haben, dnls die Piudanschen Kola sich niciit sofort zur
Einheit der Strophe, sondern zuuiiehst zu Versen zusammen schliefsen, so wird
es auch bei Bakch^'lides unerlälsliche Aufgabe des nächsten Herausgebers sein,
die Tereteilang durcfasnlllhrtti, TOn der auch die FestateUong des Textes nicht
selten bedingt wird. Die grofsere Bälfte der Gedidxte hat daktylo-epitritisehes
Metnun von gans Bhnlichem Bau, wie ihn die Mehrsahl der Findariadien Epi-
nihien anfweisi Als Beispiel diene die letate Perikope des ersten Gedichtes
(Snbjekt der ersten Worte ist xXovros)'.
%i i^ikn d' ix&^Hv ^ptfinms Mq6^ b it igdw tfcf.
30 jTQoitois i^it^et. navti toi tf^^ig ecv>oxav ßtet
t:ttxuL v6(fipiv yt v66mv ycfvtttg t 6iuax<ivov. ämoTQ.
MtcvQottQonf, «ft Sh Mhmov eifuaifelv oödlv yXvxb
v6(f(ov för voi^ffm' des Papyrus verlangt das Metrum, ebenso ist Fr. 1 Z. 1.^
Krn f7Ti(3[ß nicht EvQ(onid[og zu ergänzen; Z. 2 ist ue\Tt3rfLra falsch wegen
des vokaliachen Ausgangs. Z. 42 habe ich sv y tkaiiv versuchsweiöe ein-
gesetzt für x(tv6' 'ÜM%tv (die letzten Buchstaben sind im Faksimile undeutlich);
unmöglich kann ein Kretikus und Choriamb mit einer daktylischen Tripodie
respondieren; xiyJof wQrde den Sinn Terderben. Branerhenswert aber ist, dafii
im 5. Epinikion in dem ersten Strophenpaar die daktylisdie Trq>odie sweimal
aof dnen Spondeos, in den anderen Strophen auf die Aisis ansgdtt; beide
Büdongen sind rhythmisch gleich. Etwas grSOwre Freiheit der Beqwnsion
kommt den logaÖdischen Gedichten zu, die wie bei Pindar in zweiter Reihe
stehen. Sie und das eigentflmliche Metrum in 17 fordern noch eingänglichere?
Studium, Dal's Bakehylides in seinen Metren sich an den Stil des Pindar, nicht
an den des Simonidf s anschlierst, hatten bereits iiossbach und Westphal gezeigt.
Auch der Dialekt des Dichters stellt zusammenfassender Behandlung eine
lohnende Aufgabe, während Kenyon aich auf Hervorhel)ung einiger Hauptsachen
besehrihiken durfte. Die Untersuchung wird zugleich Simonides zu gute kommen,
der im gleiehen Dialekte schreibt, während die Differens Ton Pindar sdion auf
Qrund des frUheren sdur beschrinkteo Materials in den Arbeiten von Schanlft'
j . by Googl
3, Ii, lipriui: Die neneatdeckten Gedichte det Bakchylides.
247
berg und der besseren von Mucke im ganzen richtig erkannt war. Muiicke
ÜberdiMtiinmimg in I>oriBm«ii £ndet erat jetEft nekere Beseugung, im Infinitiv
$ad Wf im D&tiy t(v, in der Flnion tiQvixsg, aber die AcensatiTe auf 6g nnd
OS fidilni aneh jetst. Von Aioliimen bietet der PapjmB die Fartuapialendong
auf Mdtt und McüetCf sowie tuÖd nur jo einmal; es wird darauf zn achten sein,
ob solche Varianten in dem vprscliiedenen Charakter der Oedichte ihren ürund
haben. Von Wichtigkeit für Beurteilung des dichterischen Dialektes ist die
Reobachtnng von Konyon. dalii in zwei anfeinanderfolf^enden Silben ä vennioden
vrini, (Inr'iTTi gjjjua, fiQtp'a. xvßfQtn^tug, ßdftr/T«. ixher udfifttoi] doch findet sich
aufstT tlciu konstiiiit^ii 'A^dvtt und ^A&üvta auch öeiävtc und nach wahrschein-
hcher Ergänzung ngo^pchas.
DaXs der kritisehen Arbeit noch gar manches ftr Ergänzung kleiner Lficken
und Sieberstellnng des Gedankens bei grSIseren Defekten au tfaun bleibt, ist
schon wiederholt zum Ansdnidk gekommen; nnm^^ch konnte alles gleich auf
den ersten Wurf gdin^n. Aber schon jetat wird man daran denken können,
die bcsterhaltenen StQcke, besonders die beiden Theseusgedichte und das früheste
Epinikion auf Hieron, der Gymnasiallektöre zu^nglich zu machen, um auch
in die meliscbe Dichtung dor (Jnechen einen Einblick zu gewahreUi au dem
Pindar sich am weni^ten für unsere heutigen Primauer eignet.
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EINE NEUE AUFFA^UNG DER ANTIGONE.
Von Ewald Bkdhh.
[iitcr Crvtintem iuria puhUri rindirrw d Antifjonam iuris f^mtilidi patronam
pugnalurj qua ex puffna consrnUinmm trat Antigonam viciam discedere: vüAatac
legis legitima rci piddicae poma sdvenäa erat — diese Sätze geben die Auf
fassung der Aniigoue wieder, welche 0. Kttibel in ein^ jüngst erscliienenen
Qdttinger UniTmtitBprograimii^) sni begründen snchi leh habe «e in der
Übenchrift als neu bezeiehnet: sie ist d&a nicht in dem Sinne, dafs nodi
nimand Aber die Penon«i des Dramas und ihr Handeln ahnlich genrtmli
hatte; Hermann Hinricbs, dessen Schrifl Ober 'das Wesen der antiken Tragödie'
Goethe mit Eckermann am 20. Mftn 1827 bespricht, würde Kaibel als Bundes-
genossen begrüfst haben; aber neu ist sie durch die Art ihrer Entstehung.
Hinrifhs irin^ aus von Hegel« ATiHehauung über das W»'8en der Tr:ALj'')dic und
suchte dieae Auffassung au euieui Drama, da« er als eine vollendete Tragödie
ansah, durchzuführen; Kaibel hat sich nicht auf so luftigen Bahnen bewegt:
er ist auf dem Wege der Interpretation, ja schlielslich von der Interpretation
einer Stelle ans zu seiner AujEhssung gekommen. Und wenn idh nnn sage,
dafs diese Stelle das ber&chtigte Enthjmem V. 904—912 ist, so darf ich bei
denen, welche in diesen Fragen an Hause sind, wohl Interesse für eine Dar^
legnng mid Beurteilnng dimer AufiiasBang voraussetzen.
Ich möchte indessen auch för die^ deren speziellee Arbeitsgebiet nicht die
Tragödie ist, den status cansae kurz darlegen.
Kreon hat Antigonens Klage über dn« bnrte Los, da^^ «ie betroffen habe,
mit rauhem Hohn abgeschnitten; da nimmt sie noch einmal das Wort; nicht
an die Lebenden wendet sie sieb, bei denen sie kein Mitleid gofHinden hat,
sondern an das Grab, das ihre twautkammer werden suU, an die Lieben, denen
sie drunten im SchattenreichB begegnen wird, an die Götter, ftr dnen heiligen
Willen sie gekämpft hat:
xghs rovg ificcvxfjs-, &v ccgi^fibv tv ven^otg
xketOTov didextai (btQ6t<paa^ ökmXoTiov
xtttufu, nifiv yMi y^ol^av i^i^w ߣov,
*) De Sepboelis Antigom loripait Georgin« Kaibel Uotiijigtt«; [1S97J.
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E. BrahB: Eim um» kalhMmg der Antagoo«.
249
il^^ovOtt uttToi itäff^ iv ikxtfSiv t^dipo
fi^Tcp, 9^Aij di 6o£y xaöiyvijrov kuq«'
MO hetl 9v»&ytns uibt6%HQ vfUIg ^
jgtäg I9am& «0v tfl, TToXvviuug^ tö 0Öv
»Uitot iym ^rt/tijffa Tötg q>povoi>6iv
M6 ov ynn ^tot' o^^t* ^1% (l rixvrov u-^xr^Q ifpvv^
ot*T fi Ttööig iiot xat^aveov itrlxfro.
ߣc^ xoliTÖv T6vd^ tev r}(>(^ui]i' wövov.
tCvog vofiov dii xavta x^og ]f^«^iv ^i'yu;
iföaig n^v &v *ttt9«t96vt9g älXog ^v^
od» iieX^hg Bö^ig &v ßldätot siozi.
if6ftft, Kgiovti xavx iSo^* i^UQtdvHP
016 xttl Sfiva To^ußi', tj xatftyvrjxov xaQrt.
xui vvv ('"/Ft uf diu 2^9^'^ oCxa laßrov
aAfxTfjoi uinifit'vttiov^ of'te xov ynuttv
ickJC &d' igt^fiog XQÖg tpikmv dvöfioQog
OSO (Ao* elg &«v6yxnv i^%opiai »atatxa^ds'
%( fff^ {h&9tt^imv ig 4hctbg in
rift* Svööe'ßfiav e^tfißovtf ixTriaf'cur,v.
0S6 tl (ihf ovv Tctd* ioxlv iv &eoig xttAuy
xu&6vteg &v IvyyvoTufv r)^aQxtjx6x(g'
el «J* of^ ScuaQT(aiox>at . ity) -xlfim xcatä
3itt%ouv t] xu\ &Q(b(Siv tKÖixuJi; iftt.
Die durch gesperrten Druck aut^gezeichneten Verse bilden die Steile, welche
idi vorher berttchtigt nannte, bttUchtigt deshalb, wefl seit mehr ab aiebsig
Jilifeii dM ürleil Uber ihre Eebtbeit und Ünoehtheit hin und ber gooehwankk
hai; die blotfiie AuJEdUdnng der Litterator, die oieh aUmSblicfa dammgelagert
bit, wfirde manche Dmelneite Allen. Wir nennen billig Qoeihe suerat unter
denen, welche diese Worte dem Dichter nicht zniranen zu können meinten} er
liat in dem vorher zitierten Gespräche mit Eckermann das Bedenken, weldbea
inimpr und überall den eigentHelieTi Anstois zur Atlietese «^p^boTi hat, t,"'
Üiil'sert: 'Nachdem die HelH'n im Laufe des Stückes die herrlichsten (-rründe
^ür ihre Handlung ausg»spi ochen niul den Eilelnint der reinsten iSeele eut-
^ckelt hat, bringt sie zuletzt^ als sie zum Tude geht, ein Motiv vor, das ganz
eeblecfat ist nnd fest ans Komiscbe streift . . . Dies ist wenigstens der nackte
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2Ö0
£. Bruba: Eine oeue AufiMwung der Aaiigoae.
Sinn der Stelle^ die nach meinem Oelllhl in dem tfimde einer mm Tode gdien-
den Heldin die tragische Stimmnng stört^ und die mir flbwhanpt -sehr geeucht
und gar m sehr als ein dialektischer Kalkül erscheint. Wie gesagt, ich mddite
selir gern, dafs ein guter Philologe uns bewiese, die Stelle sei unecht.'
Der Philologe hatte sich, ohne dafs Goethe es wufste, schon gefunden.
August Jacob hatte schon 1>^21 in seinen (^uaestiirties Sophodeae il 363 ff.)
diese Verse athetiert imd hu üU eine Interpolation bezeichnet, deren Quelle
eine stelle im dritieu Bucho deä Ilerodut sei. Dareios hat den Intaphemes
nebet eemen Kindoni nnd Yennndten zum Tode verorteilt, aber die Klagen
der Gattin des Intaphemes rfihren ihn so- weit, dals er ihr gestattet^ aoe der Zahl
der Terurteilten einen anesawSUen, dem er das Lebmi aohenken; wolle. Sie
wällt den Bruder, und auf dee Königs verwimderte Frage^ - warum sie das
Leben des Bruders höher achte als das ihres Mannes und ihrer Kinder, er-
widert sie (III 119): a ßaatktv, äv^g ^ fu>t otv &XXo£ yivoixo^ el daCfuav
/&/Ao(, xal rtxva aXkoy el tavta äjtoßaXoifu' xtttgbg dh tud fH^f^bs a^adri (bMM
fl/io6vT<ov ad£Jiq>tös av SXlog ovdtiA rprfjroj yivoiro.
Ich will den Leser nicht mit einer (lescbiehte des Streites, der sich an
diese Athetese geknüpft hat, ermüden, sondern sogleich auf Kaibel Obergehen.
Er verspricht uns am Anfang seines Programms certissiniis rationibm eu zeigen,
dafs die Stelle eeht sei. Sein Beweis serflUIt in iwd Teile. Er sadit an-
niehst aof S. 3 — 9 xu zeigen, dals, wenn wir das Enäiymem vebet den tm-
trennbar damit Terbnndenen Versen 913 — ^920 streieben, eine Ltidra sartlek«
bleibt, dafs V. 921 die Verse 916—920 fordert, die ihnrseitB V. 913—916
und damit also anch 904 — 912 voraussetzen. Ich meine nicht, -dals ihm dies
gelungen sei, aber ich verzichte darauf, das sehr feinfadig^ Gtowebe dieses Be-
weises hier nnft;nlospn Denn was Kaibel zu leisten verspricht, ist ja unter
allen Umständen mehr, uls nnm von ihm verlangen konnte. Wer eine Inter-
polation statuiert, ist widerlegt, sobald ich ihm zeige, dafs dieser Gedanke in
dieser Form bei diesem Schriftsteller an dieser Stelle verständlich ist; dals
icb ibm die Unentbehrlichkeit der getilgten Stelle zeige, kann er nicht
fordern. Eine lebendige Rede ist nun einmal kein mafimmaiisdieB Exempel,
bei dem jedes Stfiek des Beweises sich als notwendig mllAte an£seigen lassen;
man wird oft, aber nieht immer seigen kSnnen, dafs dn von ihr abgetrenntes
Stfick nach logischen oder psychologischen Gründen unentbehrlich war.
Fassen wir also den zweiten Teil dieses Beweises ins Auge, der die gegen
unsere Stelle erhobenen Einwürfe widerlegen soll. Soweit sich diese gegen
Einzelb'^ten des Ausdrucks rieht4?n, hat Kaibel sie ziun Teil schon vorher be-
rührt, Ulis lehnt er es auch h1). auf sie einzugehen; nnd mit Recht. Denn gar
zu augenscheinlich ist es, dals alle Bemän^:elnncfen der einzelnen Wendungen
dieser Stelle nur au%esucht sind, um den Ilauptanstüfs , den unser Gefühl an
den Worten nimmt, zu rechtfertigen. Diesen Anstois also will Kaibel be-
seitigen. Man hatte bisher geschlossen; Frömmigkeit und Bruderliebe sind die
Motive, denen Antigone in ihrem Handeln fdgt; also widerspricht es ihrem
Charakter, weam sie hier ein ganz anderes Moüt safllhrtw Kaibel dreht diese
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E, findin: Em« nmie AullbMiuig d«r AatigoBo.
251
ScUulsfolgerung um: diese Steile beweist^ dAit» Frömmigkeit und Bruderliebe
nicht die UauptmotiTe Antigoueag und» alio milMeii -wir Sur HMideln sa> anderen
Motiven ableiten. Dort hieb es: in das Bild, das wir uns tdd Antigone machen,
pebt dieser Zug nicht hinein; hior: nun, so macht eudi ein Bild ron Antigene,
m dsB dieser Zog hineinpabt.
Begleiten wir denn Eaibel auf seinem Gange durch dn8 Stück, um zu
sehen, woher er die Züge zu dem neuen Bilde seiner Heldin nimmt. Wir
glaubten bisher, die Furcht vor den göttlichen Gebottn sei, wenn auch nicht
das einziijo, m doch ein Hauptmotiv für Antigonens liaiulehi; Kaibel findet^ dafs
von Anüuig m (!<'r Dichter uns auf einen andereu Weg leitet:
t> xoivov uvtudfXqior 'loui'jinig leapu^
a(f olo&' 0X1 Zfvg tCii' ait OlöCzov xfxxätv
hiatotov ovil v^v ixt ii&tmv %eUl\^)
Ibm tiammUs vd äeKbenmtis haee twrto sunt asd mamuitis et oeerfte UHgamii»
(8. 10). Die €HWer sind es, die sie ansehnldigt, mit denen sie rechtei Und
swar wirft sie ihnen vor: «3ul qued €db Oeäifi te^kre dermri pouü ipri»
quanhimvis imotUibus lovem reliqui fecme . . • verhis uliiur frrocihtis iniqtm
mpiis: *nosiro capite\ inquit, *am solae superstites sitnus, patris oilpam perlui
dei coUterunf (S. 11). Also kann auch ihr Handeln nicht dtm Bestreben ent
spnmgen sein, die Gebote der Gotter gegen Verletzung d'r Menschen zu
schütsen^ und so mois der ächlu£i ihrer Absage au die Schwerter
iulvov (J' iyia
&cci'(o. xaÄov fiot roOro »otovtfg &avtiv.
ipik-q fUT* ee6to& 3Ut60fuUy (piXov jiixtty
n h» da fk* iffintnv tcts »dua «Ov ht^ÜlU,
ha yi^ dsl u^6<tfM$* 6ol (t si ^omI,
Td xä» ^sAv ivt^* df«|uEtf(e0'
neh anders an&ssen lassen, als man es bisho' ttiat: non äeonm reUgionem
pmfprt, non deontw poimam irn^tque tnetutt, scd qtio timidnm anroris irttfenium
mmeri jmtat hreviUr d mbmuligne iacU *vide num guae apud deos in honore
haberUm tibi vUia vitieri possinf.
Aber was Antigone hier kur^ berührte^ spricht sie ja mit vollstem Nach-
druck aus, alä sie Kreon gegenübersteht:
460 ot^ yaQ xC (tot Zt^ ^ 6 xr}^via^ radf,
odd^ ^ fdMMiio; tAv ititm Jüa^
*) KtiM Mtrt kdn &eos, «r mdat disae Tene erUftren n kttnnen: Mc age, quodmm,
die fuale ktndem malum a nobis deus abstinuerit (S. 11). Aber wenn er die age för &q oits&it
einsetzt, dann die wiederholt, endlich qtwd ihnvh rwm, qiuil' ilnrch Uirulem schärft, ho legt
er damit in Antigonens schmerzbew^te Worte eine Krregung, die freilich die Wiodur-
•sfitthme des Olijekts erträglicher madien wflrde, die aber Sophokles niebt angedeutet
baL Von den Belegen, die er anführt, könnte einer einen Augenblick blenden, Trach. 707 :
xödfir yicQ &v Kor\ ivrl ron Q^v^axcov o 9th} iftol itaffis%' «ivcMe»} In Wahrheit verbeMert
lieh dort Deiaueira; daa 969^tv ist ihr zu unbestinunt.
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252
B. Braha: Bioe AnffMnuig d«r Avligane.
ovdh od^ivHv ToiovTov cid/tijv T« tfa
«ccOr«, xo^^lff <»{9<» ^ Swo iipcnnj.
twSwv iya ovx «ftcAAof, ^(vSpog oödevbg
Aucb Kaibei wird nntflrlich nicht leugnen, dafw das, was Antipono hior sapt,
subjektiv wahr sei. nhcr dennoch haben die Ausle<rer mit Unrecht angeiioinmen,
dal» hier dut> wirkliche Muiiv ihres Haudeltis üuägespriKheu sei. JVort ao^w i/^i
hoe ailemdmuU qntoi äeemm leges aetemas propterm Jml^iom aieoeamt ui am
novkia QreoiUiis leye compararä, ut OreoHÜs k^m prae iBis eantemptu digmm
notaret (B. 14). IVeilich, Eaibel fBblt^ dafs, wenn Beine AnffiMmiig richtig
ivire, Kremi doeh eigMidich leine Verffigong gegen diesen Angriff verteidigen
mOrste. Warum unterläfst der König dies denn? Der Gnind liegt nicht eben
an der Oberflaehe: gentUidos honores, iwn privatum erga fratrem pietaHs exempkim
ab Antigona praestari fyrobe intdlegit. huius autem officii pariicep^ Ifimena
eraO); ipse vtro reu- aliena de gente w«ft<s nequc amM iff^utUicia iura impugnare
nec regis vd rei piäAicae iura gentüiuni vohinfaU posthal^ vuU (S. 15V Mit
besonderer Deutlichkeit spricht hier Kaibei aus, was er von Antigone hält:
regis tnow» edkto aehersata est, quo fratri gcntique auae omni iniuriam fieri
smUAai; adoenaiwra e^am Am» erat «t oStmi quiMä Oreo nutittä tpuä mis
gmtS^m mmriosim eaeUtimatrei, nen äeonm legibus ngpUiMtra Md LMuidarum
honores a regia novieU nwjieto tmdieakira (S. 15). Nicht Ctolteeforeh^ ja kauu
ein Geftllil der Zärtlichkeit gegen den toten Bruder treibt sie zum Handeln an;
ihre Familie ist beschimpft, mit ihr sie selber, von einem Menschen, den sie
^tots gehafst hat*); dagegen bäumt sich ihr stolzer Eigenwille anf; sie will
lieber den Tod leiden, als solchen Schimpf dulden.
Als t'8 dann zuui Hterben geht, da wacht freilich auf, was an Weichheit
in ihr ist, und sie kl^, dafs sie vom Sonnenlichte scheiden, dafs fie ins Toten-
reich hinabsteigen soU, ohne das Ziel des Fraueniebens erreicht zu haben, ohne
Gattin und Hntter geworden zn sein. Aber dennochi sie hat kein Mitieid mit
dem Vater, der Hntter, dem Bmder; dab sie selber die FVndit einer flndi-
beladenen Bhe ist, dafs sie nnv^ndUiIt sterben soll, dafs es ans ist mit der
Htnrlidikeit der Labdakiden, darQber ergiefst sie sich in bittren Klagen imd
schöpft keinen Trost daraus, dal'a sie gegen die Götter und gegen den Bruder
ihre Pflicht erfälit hat (S. 17). Und als Kreon wieder auftritt . als sie seinen
fifrmo naperior — so nennt Kaibei S. 1!» die rohen Worte ^'^2 ff. vernimmt,
da wird sie wieder hart; in ihrer letzten Kode pmcUm ei caesim urget feritque
\\ Der Zweck diesea Zu8utr.e8 wird sich spftter {S, 867} seigen.
*j Dies Iie«t Kaibei aus V. 10 heraus.
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£L Bralw: Eine neue AaffMiaag der Antagone.
253
hotkm (S. 20): nicht um des Gatten oder der Kuider willen würde sie dies
Oeboi flbertrelen haben; für einen Gatten — namüch lOr Haimon! — hätte
ne einen andeni hekommen kdnnen ond ein Kind von einem andern Ihnne^
wenn sie diesen — nämlich Haimon! — verloren hätte; einen Bruder kann
sit nicht wieder bekommen. Also Kreons reines Geschlecht verachte t sie gegen-
über dem verflachten Stamm der Labdakiden: non tarn fratrcm hufii .^ttror fjunm
uliimam ndnlissimafi (fcntis speni mhlatam, nffuf dlio nomine virwn füiosgue
ftUiuros contnumt nisi qmd jnr illos sum geniis radices projio/jari non pnsse videt
(S. 20 i. Also nicht die berühmte Antwort an Kreon enthält den Gedanken, der
die Achse des Stückos bildet, sondern eben die» viel geschmähte Enthymcm
Und ao hat denn der lUolifear gras reeht daran gethan, die seharliimnige Ant-
wort der Gattin dee Intaphernea f&r eein Drama an bennlaen, wenn w nicht
etwa die ganae Tragödie auf dieaer Geacbichte aa%ebant hat (S. 20). FOr-
wahr^ der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist anu Edntein geworden.
Kaibel findet eine Bestätigung seiner Auffassung in der Teiresiasszenc:
hätte Antigone in Wahrheit für das göttliche Recht gekämpft, so hätte der
Heher für sip «eintreten, hätte ihre Sache zu der seinen machen müssen (S. 2()\
Doch <_'ps( lne!it diej* zunächst überhaupt nicht; Teiresius erhel)t nur von nt-ueju
die Forderung, dal's der Leichnam des l'olyneikes bestattet werde; dann erst
äulkcrt er seine Mü'sbilligung gegen die «Strafe, welche Kreon über die Jung
frau verhängt hat.') Und so ist denn, wenn wir ein Urteil fallen sollen,
Antigone mit Recht gedUlen: aie hat sich gegen das Geeeti dee Staatea empört,
nnd kein Athener konnte dem K6nig vorwerfen, dab er ihr Unrecht gdhan
kabe (8. 22).
Wenn eich Antigonene Schale 8enki> so mula sich die JBjreona heben. Hfiren
wir, wie K. ihn cbarakteriaiert: Creo provec^oris aeiatis hemo, in re publica tum-
dum venaiits, imperanäi itmietus, bona wlu^ate magis ^mm pntdenÜa eommen-
dahiiis, fmiliarilnis animi mvtionibtis nec f^ds nrqtie nlienis indnlgcns, forth
hvnestus Severus pertiiuix. puUici commodi ohscn antis^irnus srd quid prosit tdiorum
tuagis institiUi'nie cdoctus quam ipse expertus, Ttrrsior ojx- (id regnum evectus,
suae virtutis ip^e probe sibi conscitts, dignitaÜs mm ni niuf/is soUictius quo minus
se dvÜMS groUum sentit , Creo igiiur ut proburn ac gravem, itisium ac severum
dbuMMiiM ae praebeni tkmdqiie itf ävkm vohmiaim panm propentom «tperirelur,
Auch daa Verhältnis des Teirceias r.ii Kreon fabt Kaibel anders auf, als es «wst
geschah. Aus V. 1058 ii {(lof) yuQ ri;i^' txni ucnaai nölir «^clilif ^t er. daU Tciresia« gegen-
über einer Oppositionspartei in der liiirgerscbatt, zu der auch Antigone gehört habe, für
die Thronbesteigung Kveoni mit Krlblg eingetretea eei. Bennf aoll auoh 994 tieleD: *«ifaQ
ii' d^d-j)^ tijvSf t'uvrtlnffttg nihv. Kaibel branobt natürlich nicht erat von mir zu hOrea,
flufn liif'se Ijeideii Verse sich auch anders anffas^Ron laRsen ^X^'^ liriiucht nicbt den Bcsit7
auszudrücken, sondern kaon mit c^cuf zusammen sehr wohl den Hina des Ped'ckts von
beeüebiien: Du hart die Stadt gerettet und sie iife jetst wohlbehalten. Und V. 994
Vrandlt nicht xu bedeuten prupUrea quotl mihi sanper oboeÜtlU fuisti, nunc regna», fum per
ambaget, m/ rrHa via ad rei publica^ gubemacula errcttts, nulln iliffindUile imjyedttwt
ii), solidem kann einfach heifseo: l>anuQ leiüut i>u jetzt das ätaatsschilt in geraden^
richtigem Kurse, nicht dnreh Stflnne eeitwBKto vecMhlagen.
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2Ö4
E. Brohn: Eiiie neue AnffamiBg der Antigon«.
Polynketn cum adverstts pcUrkun arma tulissä edido vehtit sepdiri, omne oegu^
taÜ8 pondua m eo poritum e$8e rakts ut amiau non pari atgue hoßüt konore
kaberetitr uigiie disermen fieri ntMIegerdur hono» itUer atque w^^rdto». mokm
qmäem nomudlis ediektm panm pMibaium tri ea^peekibait AnÜffonam vero iU
mulierem paäcnter laturam esse ncn dMabat (S. 24). Und so Bind im Grande
beide Gegner gleichwertig: finxit poda dm homines contraria volentes, aUerum
cum cdtero pugnafdeSf firma forüque iUrumque mlunicUe praedüum, flecH ac cedere
nesa'nm utrumqtte . . . paria jmris duriHae ingmia pulcro artißcü) ipse poda
descripsit . . . hominum duorum ingenio cofumnilmni res (ujitur (S. 25). Hier
aber zeigt aich schlielslicb der Unterschied zwischen Hinrichs und Kaibel. Bei
jenem sind wichtiger als Antigone und Kreon die Prinzipien, welche sie ver-
treten; jene vertritt das Recht der Familie, dieser das des Staates, beide aber
einaeitig, darum gelien beide zu Gnmde. Naeh Kaibel li^ der Kaehdrudc
nicht anf dem Eampfe der beiden Prinsipien, Bondeni auf dem dieser beiden
ea gearteten Menschen: non ratio eum raOom eot^igii — uinm enim poäam
dkas vmeere voluisse si quiäm perU AnÜffona phis qwm perU Omf — 9ti
hmo cum hotnine (S. 25). —
Prüfen wir nun Kaibels Argumente. Es klingt wunderlich, aber es mufs
doch ansfff'«y>rorlieii werden: der Philologe, an dem wir sonst gerade die Ruhe
und Uiibetaugenhf'it f!ep Urteils bewunderten, ist hier mit einer vorgefafsten
Meinung an das Stii k herangetreten und bat herausgelesen, was er zu ünden
wünschte. Non Jiarrantki vel deliberantia prhaa Antigome verba sunt, sed in-
auawHa et acerbe UiiganHs. Und warum nicht non sine acerbOate guadam
querenüs^ Nidit die Worte kSoneii das entscheiden, sondern der Ton, in dam
sie gesprochen sind; und was irissm wir davon? NSlü guoä ab Oeä^ todere
derkari ptmü ^pn» quaniimm nmiUSm lavem reUgm feam; wo steht bei
Sophokles quantumoia insoni^ms? *Nwtro capite*, inquit, 'cum solae superstites
simus, pairis culpam perUd dei voluerunt* Das sagt sie nicht, das legt Kaibel
ihr in den Mund. Und wenn (S. 12) die Berufung auf den Willen der Götter
sidmalüm'' iresagt sein soll, so operiert er wieder mit dem Ton, den wir doch
nicht vor Gericht stellen können.
Und warum soll Antigonens feierliche Berufung auf die t«: ttlichen Satzungen
nicht gelten y Weil Kreon nichts darauf erwidert. Und warum erwidert er
nidits darauf? Weil er sich scheut, ihr wirkliches Motiv an nennen und zu
hekampjbn. ZnnSdist sind es ja nach Kaibel zwei Motive, die hier Antigonens
Handehi bestimmen: hmd ignoraf (Greo) tm parUer odh ae fredris getäiaqiie
piäate ükm Mosen' (S. 24). Davon konnte er das eine doch jedenfiüls ohne
Scheu aufdecken. Und das andere, die Verteidignng der .gentüicia iura sollte
der herrische Mann gegenüber dem verschüchterten Chore nicht aufzudecken
wagen? Er soUte nicht sagen dürfen: 'Was Du da sagst, klingt schpn, aber
Du bringst es nur vor, lun Deine That zti henehönigen. Den Bruder willst
Du der verdienten btrafe entziehen. Aber die »Strafe kommt ihm zu, und höher
als sein Wohl und das seiner Familie steht das der Gemeinde'? Ich denke,
sein Schweigen erklärt sich viel einfacher. Er sagt nichts, weil er nichts zu
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B. BrahAt Ein« »m« katUßnag der Antigone.
256
sagen hüt, weil er flihlt, dafs sie recht hat. Und da£s er dies fühlt, zeigt er,
wie Leute seines Schlages es zu zeigen pflegen: indem er grob wird; sein Anf-
fUinn Boll den Mangel an Qtflnden verdeoken.
In dar Klage, mit der Antigooe ftof dM Wort des Oiore« suetg^tcv i»gip»s
W Mov erwidert (857 ff.), Termifiit Kübel ein Wort dee Hitleids ftr Ysler,
Matter und Brader. Ich sehe keine Veranlassung zur AuTsemng eines solchen
Oefthls gerade an dieser Stelle. Der Chor hat sie hingewiesen auf den Urquell,
aus dem auch ihr Leid stammt; das bestätigt sie und flihrt es aus; die Ihren
in Schutz zu nehmen hätte sie nur Veranlassung, wenn sie angegriffen wären.
Dafs endlich Teireaias znnachst Antigoneus nicht gedenkt, finde ich nicht
befremdlich. Wir stehen unmittelbar vor der Peripetie, wo Kreons trotziger
Eigenwille gebrochen werden soll, also mul» dieser Trotz gerade jetzt besonders
atsrk hervorfeeten. Dsmit er das kmu, irird an Kreon anidkliBt nidit die
achinnrere Fordenmg gestelU^ Antigone frei zu gebem und dadarcb einen fimnell
berecht^ten Begierungsakfe snrüeknmelinieny sondwn die leichtere, in die Be-
stattung des PolTneikes an willigen, nachdem sidi geieigt lial^ dlfil doreh ibre
rnterlassnng ein ^ia6\jM über die Stadt gebracht ist Kreon weist diese
Forderung trotzig ab, und nun wird die Verschuldung, welche er ^rch die
Verurteilung Antigonens anf sich geladen hat, auch von Teiresias hervorgehoben.
Ich meine gezeigt zu haben, dals Kaibel seinen Satz flicht bewiesen hat;
aber ich möchte versuchen /.u beweiötä«, dHl« das Gegenteil seines Satzes richtig
ist. Dabei will ich ausgehen von seiner Beurteilung Kreons; denn, wie vorher
g<:.?agt, das Urteil Aber den einen der beiden Gegner miils das über den and^
beeinflussen; so viel Recht Kreon bat, so yiel Unredit bat Antigene und um-
gekehrt Es gilt sonidist «nen aidieren StOtqnuilct su finden, der niebt auf
dem QefQhle des Lesers ruht, sondmi auf einer Thatsaciie, die sieh mit dem
Teistande feststellen und beurteilen läfst.
Eine solche TliatBache ist der aucb fttr den Stil der attischen Tragödie
nngewöhnüche Keichtum an Sentenzen, den Kreons Reden zeigen.') Es sei
mir gestattet, sie ihrem wesentlichen Gedanken inhait nach kurz anzuführen:
1) 175 — 177: Erst wenn ein Mann eine herrschende Stellung einnimmt,
lafst sich seine Persönlichkeit ganz erkennen. 2) 178 — 181: Wer als Staats-
lenker Bich durch Furcht von einer heiWmeu Mulkregel zurückhalten läfst, ist
ein FeigUng. 3; 182 — 188: Wer einen tpUoi bober achtet als da« Vaterland,
irt ein Nichtswürdiger. 4) 188—190: Das Vaterland ist es, das uns erh&Uy
dem wir anch die fHin danken. 6) 821 — ^222: Durch die Hoflbungen, die er
erweckt) richtet der Gewinn Tiel&cb Menschen au Qrunde. 6) 29&— 301: Das
Geld vernichtet ^nze Gemeinden wie einzelne Staatsbürger, indem es die Sitt-
hchkeit untergrabt. 7) 313 — 314: Unrechter Gewinn bringt öfter Verderben
als Heil. M) Unredlicher Gewinn bringt Leid. 9) 473 — 47«: Gerade <ler
harte Sinn wird am ehesten gebrochen. 10^ 47B — 79: Wer andern unterthan
' .\uf Grujid einer Mittellunff von mir hat auf diesen Pnnkt kort hiogewiesw A. fiiese,
Seue Jalirb. 1. Phil. u. Päti. CLIV luy.
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256
E. Bnihn: Eine neue AvShmnng dar AirttgoiM.
ist, darf nielit stok Bein. U) 498—494: Den Schuldigen venüt bald Min
bösM Gewiflsen. 12} 580 — 681: Auch der Eeeke flidif^ wenn er den Tod tot
Angen hat. 18) 641—647: Nur gehorsame Kinder sind den Eltern etwas
nütze. 14) G50 — 651: Ein böses Weib ist ein V^jjpöv stccQayxaXiG^a, denn
15) 651 — 652: ein tpiXog xuxös ist das gröfste Übel, das einen treffen kann.
]()) tjBl — 662: Wer den Seinen gefrenüber ein braver Mann i!=it, vrird sieh auch
in der Gemoindf uls gert'cht ztng*Mi. IT) OGö — 671: Dem von der Gemeinde
eingesetTiti^'ii Iltrirtciier mul's mau in alitsm gehorchen; wer daa tbut, ist ein
tüchtiger Bürger und ein zuverlässiger Kamerad. 18) 672 — 676: Zuchtloaig-
keit vernichtet, Zucht erhalt die Staaten. 19) 780: Die Toten zu ehren ist
ein eitiee BenLflhen. 20) 1044: Die QStter kann kein Henedi beflecken.
21) 1065: Alle Seher sind gewtnnsflchlig.
Ich holfo, nun wird, olme eine Statistik fiber das Vorkommen von Sen-
toofen in der attischen Tragödie von mir zu verlangen'), zugeben, dafs Kreons
Reden von Sophokles mit diesem Schmucke überreichlich bedacht sind, da£iB>
manche dieser Sentenzen ungewöhnlich lang und dabei ungewöhnUch billig
sind, endlich dafs der Redende die meinten von ilnien ohne irgendwelche innere
Nötigung an den hcHo^deren Fall, den er im Au^i hat, anknüpft. Ich nenne
ein besonders signitiknntes Beispiel. Die Wächter sind nach Kreons Meinung
« von politischen Gegnern bestochen, tun sein Gebot zu übertreten. Dann sind
also doch nur jene Gegner eigentlich wirksam, die Wächter lediglich deren
Werkzeuge. Und doeh hSren wir hier von Kreon eine Deklamation von
7 Yereen, die lediglich an diese Untreue seiner Diener anknfipft:
luaUi» v&fuofi ißXaati. tuf&wa $uA «dilns
xÖ^ iitäiöttöiui Tcal xoQttkXttCöei, tpgivag
XQijOtäg stQog ulßxQi( TiQccy^a^' LöraO^ai ^^ovflv*
xal xavzhg igyov Öv6öißtiuv döivai.
Welche Absicht verfolgte denn nun Sophokles, wenn er Kreon diese Vor-
liebe für sentenziöse Redeweise heilste? Ich finde nur eine: er wollte ihn
darsteUen als einen eitlen, selbstgefalligffli Menseheni der fibeiall das Bedfirfiiia
bat, seine billige Weisbeit mr Schsn su stdl^ nnd neb sn seigen als den,
der das Menschenl^Mn kennt bis anf den Grand, der jedes eimtehie Vorkonmnis
unter einen ^Igemeinen Erfabrongsaats einordnen kann. Ich könnte für meinen
nächsten Zweck mich hiermit begnügen. Denn wenn Sophokles Kreon ais
eitel und selbstgefällig aufgefal'st wissen wollte, so wollte er, dafs wir ihn
verachteten, tmd wenn er das Avollte, so konnte er nicht wollen, dafs wir ihn
aLs gleiclil»<re(litigten Gegner Antigonen.s jDiselien sollten, .^ber die einzelne
Charaktereigenschaft wird erst glaubhaft dargelegt sein, wenn es sich zeigt^
') Immerhin sei beispielsweise König Oedipus mit Kreon verglichen. Wir hören aus
Bttneu Munde leekt SanteMea: 10». «60— Sl. s»6. S14— 16. S8a-<42. SM.
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E. Brohni Eine neiM Anffuning der Antigone.
257
dafs sie »ich in oin Gesamtbild «lii scs ( "liüraktt-rs einfügt, und Kaihel 8oll)«t
bietet uns (ielegenheit, noch eine andere rteitc vou Kreons Charakter zu be-
sprechen.
Er Boehie dne Erldäning dafür, dftfii Kreon ÄtttigomenB siolae Berufung
auf die gQtUichen Satsungen, iriewohl er sie aIb unberechtigt empfand, doch
nidit surCkskwiee. Noch ein Zweites fiel ihm an Kreons Antwort auf. Wenn
der Konig sagt:
uvrij xi xri l^a^c; oxm i^iSl^ov
liÖQOV xmUHroV xtd yag ovv xsiv^v ÜtW
490 i:iairiG>(iui tovÖe ßotfifvöai rutpoxK
xaC viv xaXelr^ ' ^aia ynQ ddov ccQrtag
so fragen wir uns doch, wie er dazu kommt, auch Ismenen zn hesehuldigen
und zu verurteilen. Cuius repentini consHii cstne hoc stäis causue quotl ttio<h
se tidim qU Imumm dorn ßtrentm et qmd menU aXkmkmf gmärn^ kl quod
eratf sonrm de sorom »arte stXfmtam em vMegAait? (S. 15). Wir haben
oben gesehen, wie wenig Kaibels ErklSrung ausreicht, um Kreons Verhalten
auch nur g^;enflber der von Antigone vorgebrachten Begründung Teratandlich zu
machen. Wenn wir seinen ungerechten Verdacht gegen Ismene erklären wollen,
so müssen wir nns vor allem daran erinnern, dafs er nicht sie allein ungerecht
verdächtigt. Als der Thor Kchflfhiern vermntft. dar>i «li'f Götter Hand bei der
Bestattung «Ii s IVdyncikes im Spiele sei, weist er ihn schroÜ' ab:
ovx iativ ukXu xttvxu xul jtKXui :i6knas
290 ih'd^fs C^okig qp^(ioiTfs,* iqq69ovv ifioi\
XQv<p^ XKQU (SHovxeg^ ovd* 'bxb
lat dieser Verdacht minder sinnlos? Seit gestern ist ( i König, und schon hat
er längst <lie Existenz einer Oppositionspartei bemerkt, die jetat die Wächter
bestfx'hen haben soll? Aber ein drittes Mal noch hören wir eine solche Ver-
«irnlitit,aiii(f: nh Toiresias ihm — nicht etwa herri^rlt auf fsiino Überlegene
Ut'islieit pochend, sondern milde und freundlich - zuredet, dui's er si»ir» Edikt
}^eu l'olyneikes zurücknehiauii uiöge, wirft er mit völliger (iewilsheit, als
handle es sich um eine durchaus feststehende Thatsache, ihm vor, er sei be-
stodben.
Dabei fällt uns doch wohl eine andere Sophokleische Tragödie ein, in der
(^ichfiills eine Person dreimal eine falsche Beschuldigung, die auf blolker Ver-
mutung beruht, ah Thatsache hinstellt. ESnig Oedipns ist es, der 124 be-
Itsuptet, mit thebanischem Gelde seien die Hiluher gedungen, die Laios get&tet
hatten-, der 378 ff Teiresia« htschuldigt, er habe, um ihn zu stür/en, das
tlelphische Ornl<el im Bunde mit Kreon ersonnen, den er dann aus Kigiment
bringen uud mit dem f»r die Herrschaft teilen woIIp; der endlich 1(H)2 f.
lokusten vorwirft, sie wolle ihn an der Erforschung seiner Abkunft hindern,
K««« Jklirbaolier. 1898. L 17
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268
E. Brabn: Ein» ii«a« AufliMwuing der Aatigoiie.
damit ihr Gatte .sich nicht als unehenh(5rtig hermisst^'Ue. Drei ungerechte
Verdächtigun^^ren hier und da, je eine auf Bestechung lautend, je eine gegen
Teiretias gerichtet — die Ähnlichkeit i»t grofs. Und doch ist wieder ein
Untem^ed da: die Verkehrtheit der Termatongen ist viel gröfter bei Kreon
dÜM bei Oedipns. Dieser kann allerdingB nicht bewneen, dab des Laiot Härder
Ton Theben ans gedungen sind, aber mogUdi war das inunerhin nnd viel wahr-
sdieinlicher, als dafs gegen den soeben ernannten König Kreon sich schon eine
Oppositionspartei gebildet haben sollte, die nun nicht etwa etwas Ernstliches
gegen ihn nnternommen, sondern ein Gebot von ihm übertreten bitte, nur um
ihn dadurch zu «rpem. Im König Oedipus hatte Krpon 7mt Befmgimg dps
Teiresias iforaten; Teiiosias erh«»!) jt^tzt oinc Anklage, deren I'nsinnigkeit für
Oedipus ganz fest stand: war es so befreuidlich. wenn Kreon und Teiresias sich
verbunden hatten, um den Eindringling zu stürieuV in der Ajitigoue sollte
wieder jene erträumte Oppositionspartei thätig gewesen sein und den greisen
Seher mit einer Summe Geldes erkauft haben: diese Beschuldigung war nieht
nur ungerecht, sondern auch abgeschmaekt. Endlich lokaste — warum Stents
sie sieh plötsslich dem leidenschaftlichen Verlangen ihres Gatten so dringend in
den Weg? War es so wunderbar, wenn sie sich ungern als Gattin eines
Sohnes der Tyche sah? Dagegen wer Ismenen kannte von klein auf, der
konnte ihr eine solche That gar nicht zutrauen. Kurz, dort sehen wir, wie
ein Mensch, der seinen Scliarfsinn oinst glänzend bewiesen hat. eben diesen
Scharfsinn am uiirechteti Orte anwendet, hier einen Thoren, der ohne l'berlegung
den ersten besten Gedanken aufgreift und ihn mit völliger Gewifsheit als That-
sache hinstellt.
Nidit in diesem Punkte allein verhalt sich Kreon so zu Oedipus; jener ist
eitel, dieser zeigt ein hohes Selbstbewufstsein, das aber berechtigt ist: denn er
hat wirklich ^nst durch seinmi Scharfisinn die Stadt gecettet .
Und noch einen letaten Charaktsraug des Oedipns finden wir bei Kreon
wieder: die jäh hervorbrechende Zommlltigkeit^ Aber wieder mit demselben
Unterschiede. Oedipus wird heftig und ungerecht, Kreon roh, ja blasphemisch.
Mochte Antigone immerhin aus Liebe zu ihrem Bruder gethan haben, was sie
nicht sollte; er dni-fte sie nicht höhnen, wie er es thut:
xätia wv iÄ&ovö\ ti 9p(A>;Tfor, (fü.fi
625 xci'vovs' «'/iot' ^ß>tfrog ovx uq^h yvvrf.
So üblich in der Tragödie der Vergleich des Zeugen» mit dem Pflügen ist,
wenn er auf Ismenens entsetzte Frage, ob er seines Sohnes Braut töten wolle,
erwidert:
so dürfte das auch f&r dnen Hdlenen eine Hoheit sein. Haimon hat seinen
Vater enfimt, aber dieser fiberschreitet doch Mab nnd Ziel, wenn er ausruft:
760 Bfuyt xh ftltfoff} i}<i xat 'ofniar' avtitut
xagömi OrrJiXXfl xkmüia tc5 w/i^tcj.
Kur ein nnfrommer Sinn kann von denen im Totenreiche sagen;
780 aövo^ xi(fiaa6i iau zuv "Atöov atßuv, *
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E. Bmlm: Eine neu« AnffaMong der Antigone. 250
Aber er scheut vor Zeus selber nicht zurück:
toO stavtbs i^ftfy ^v6g igmtlev xvgtl,,
und slirker noeh 1040:
r('«pa d' fxtlvov ovjl XQV^izf^
oiM' ^/ i>Aoi)(l' ol Zjjröi; uUrol ßoQccv
fptQtiv viv ccQTrdiovTf^^ .Iths ^QOVOVgj
^tt:ixeii^ xuQ^aa xttvov^
WO er selloer fühlt, dafs er zu weit g' güugeii ist, und die — in seinem Munde
sdule — Entedraldigung anfügt:
si^ yiiQ o?d* 8re
Wir können das alles zusammenfassen, indem wir sagen; Kreon in der
Antigone ist eine Karikatur des Oedipus im Kdnig OedipOB.')
Und diesem Menschen steht nun Antigone gegenüber; vor ihm spricht sie
es ua»f dafs sie nicht geglaubt habe, seine Gebote hatten soviel Krafi^
aar t'cyQicTfTU xu(J(f(cXfi iyeCiV
vouiuu dvi'utjd'ai livijTÜ y vJtfQÖQC^iilv^
idät ilensolben Gedanken und dieselben Worte, die Sophoklec^ »«elber 0. R. Siiü if.
Vrsudite. Idi denke, es iai doch so, wie wir immer geglaubt haben: Antigone
weil^ dale man Gott mehr gehorchen soll als den Hrasohen, und dies Bewolai-
■ein giebt ihr die Krafi^ kdhn angerichtet*) dem TTrannm, der ihr das Todea-
ortett sprechen wird, ins Auge sn blicken. Und ee iat allerdingB so, daTs dieee
Szene die Achse darstellt, nm die sich das Stück dreht: das beseugen die
öeklafsworte des Chores — der nun nicht mehr wie vordem seinem Herrn
Tiacli (lein Munde zu reden braucht. Sie wissen nichts von einer Gleich-
berechtigung der beiden (it'^ner, die an der Härte ihres Sinnes beide zu Grunde
K*'J?angen seien; sie /ielen aut Kreon allein, den Sfine utpqoövvy] zur uöißtiu
tUbrte und der /.um qigovetv erst iiara, als die strafende Haud der Götter ihm
■ein Lebenüglück zerschlagen hatte.
Und dennoch sind Kaibels Ausführungen nicht ttberflfisaig gewesen. Es
giebt »neh Leute, welche sidi für reipflichtet halten, Antigone su einer Heiligen
TO «heben, die nur aus selbsttosen Motiven ihr Leben einseta^ um ihre Pflicht
sa ilion. Und diesen gegenfiber ist allerdings zu betonen, dale Sophokles in
seiner Heldin nicht nur ein solches blasses Idealbild geschaffen hiit, sondern
eine lebendige Menschenseele, die hasara und verachten kann so gut wie lieben.
Von einem anderen Gesiclitspuakte aus habe ick dies YcrbiUtnis der beiden Charaktere
dtigdc^ in meiner Nenbearbeitnng der Seluieidewin«NaiickBehen Anagabe de» EOaig
OftdipuB S. 44 ff.
* Denn i^io hebt doch wohl 450 da« Haupt, das tie bi« 441 gesenkt hielt, als ginge
der ganzv Vurgaug sie uichU au.
17»
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260
E. Bruhn: Kiue neue AuiTusdung der Antigouc.
Ich denke nicht an ihr Verhiltnis zn kmene. Der iat sie allerdings, wie die
Anrede im ersten Vt ijJt bezeugt, mit warraem Herzen entgegengetreten. Und
wenn sie von dem Augenblicke an, wo die Schwester sich geweigert hat, ihr
zu helfen, ihr mit so schneidender Schärfe entgegentritt, die nur ganz wenif»
8i( li mildert, selbst als Ismeue mit ihr sterben wil!. so finde ich darin nur die
natürliche Härte ^'mvv starken Seele, für die Erkenntnis nnd ErfdUung einer
Pflicht zusammeriiiiiit, die sich nicht wie die meisten Meuscheu vor Alter-
nativen scheut, der boee heilst, was aicht gut isi Aber ihr Verhältnis zu
Kreon ist nieht ledi^ch bestimmt durdi das Bewußtsein, daGi sie tun des
Broders und nm des gQtUidien Geeetses wiUen sein Gebot übertreten mufs.
Freilich, das Wort if/^ffoi im Prolog^
ff^ö; xoi^ qt^lowg Otu'xovtu xäv ix^gav lutxdi
beweist dafür noch nichts; ein ix^gög könnte er ihr geworden sein eben durch
Hern jetzt erlassenes Gebot. Aber einen deutlichen Hinweis giebt uns Sophokles
einige Verse später:
31 Toitd'TCi cpiaJi rhv äyu%oi> KqiovxÜ 60i
Was soll hier die effektvolle Wiederanfiiahme des i^o£? Ich mdne, sie ist
nnr Terslftndlidi, wenn Antigone der Gedanke vorsehweht: Nicht Dir aUein,
Du sanfte Seele, die er doch vielleicht hoffen konnte einzusohflchtem, hat er
dies geboten; auch mir, von d» er doch wissen mnJste, wie sehr ich ihn ver-
adite. Kreon bestätigt diese Deutung selber, als er den Streit zwischen den
Sdiwesiern um die Mitschuld Ismenens gehört hat:
661 Toj %ulöi tpiifti Tfjöe ti]i' ^tv ccQTi'ag
i(vavi> .T6(5p«j'd'ßt , TT^v d' <c(f' ov tu ,t^wt i<fv.
Er hat ju die beiden Mäilchen aufgezogen und gekannt von klein auf. Freilich
war es zu schwerereu Koiiliikten zwischen Antigone und ihrem Oheim bisher
nicht gekommen; sie wfirde ja sonst nicht seines Sohnes Braut sein; aber
längst hat sie Kreon in sein« eitlen Nichtigkeit durchschaut, er andererseits
die Unhengsunkeit dieser Natur, die in seinen Augen nur Bvouc sein kann,
kmmen gdemi Und darum tritt sie ihm, als er sie fragt, ob sie sich an
ihrer Schuld brenne, nicht nur entgegra mit dem ruhigen Bewufstsein ihres
Kechts, sondern mit zorniger Verachtung, (pijg ij xtitugv^; hat er gefragt; es
ist Hohn, wenn sie sich nicht begnügt das erste Glied dieser Alternative su
bejahen, sondern zugleich das zweite verneint:
II.'! xac ^i'fiti ÖQuGai xovx (c:raQvovu(a r'o ftr/.
Er fühlt (Iiis, er weifs, diil's tinen liet'tigen Anl'tritt geben wird; durum
schickt er zunächst den Wächter weg, dauiiL der Mann aus dem Volke der
Familienssene nidit beiwohne. Und er hat sich nicht getauscht Als er iVagt:
447 ^di}tf#ir 9ir^Qvx^tvr€i ^i, .^(ladtfetfr Tiede;
begnfigt sie sich wieder nicht mit der einfachen Antwort, sondern zeigt ihm,
dafs seine Frage fiberflttssig war:
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E. Bniliii: Eine neue Auffiuraiig der Antigone.
261
BitttT injuiijch ist dann dan wu^j^i' 4.')',>: 'ich mointc daH damals; vielleicht
lerue ich ja jetst einsehen, dn£s ich mich irrte'.
An jedem Satae dieses Qespraohes kdnnte nun das gleiehe nachweisen'),
«her 68 wird nicht mehr nötig sein; so fiwse ich das Reanltat dieser ganzen
firortenmg kors xnmmmen. Sophokles wollte nicht Antigone and Kreon als
gleichhereehtigte Gegner aufgefiilkt wissen; jener sollte nach ihm glucat nnrechi^
diese ganz redit haben. Aber wenii an seinem Geschick sich bestötigen sollt^
was der fromme Dichter glaubte, daüt Menschenta-ota machtlos ^^ei iregen Götter-
willen, f>o ist darum doch fiii Antit»one die Scheu vor den göttliclicn Gpbnten
nicht das einzige Motiv ihres Handelns; wohl würde dies im Verein mit der
Liehe zu dem toten Brutler aus*;ereicht haben, sie zu ihrer That zu bewegen;
aber dals sie diese That mit Freuden thut, dafs sie, als sie gethan ist, sich
mit Freuden dam bekennt, erklart sich daraus, dab sie zugleich ihre Selb-
sttiMitgkeit wahrt gegenfiber dem Versnche eines von ihr ▼eraehtetoa Sehwadi-
linga, sie nnter seinen Willen an bengen.
Wir sind ansgegangen von jenem ans Herodot stammenden Enthymem
y. 004 — ^912. Ich halte ( s mit Kaibel filr echt, und die herbe Verachtung
ihres Gegners^), die sich nach ihm darin aussprechen soll, würde an sich ihr
nullt fremd sein. Aber in die Stimmung dieser Abschiedsworte pafst dies
Uefühl (loch wohl nicht hinein. Hören wir nur, wie sie gleich darauf von
Kreon spricht:
xoioi^f un'Toi öt' ixjrQOtifii'jffttO' fya
l/ÜflOl, KfftOVti tUVt £do|' CijltCQTttVllV
9tb Xtd iewä ToA^äi', & tuatiyvrixov xcigu.
iuA Whf üyH HS diä x^Q^ Xa^v
4LIA' ad' i^iiog jr^ff piXmv ^ diftfftopog
MO t&c' dg 9^((v6iTo>v igio^at xcctttaxectpcig.
Kann maii wirklich in demselben Atem einem Mensehen seine Verachtung
kundgeben und gegen ihn eine so bitter schmerzliche Anklage erheben? Also
Kaibels Versuch, diese Worte mit Antigonens Charakter in innere Beziehung
zu setzen, halte ich für müslungen; waruui ich trotzdem nieht wagen möchte;
die Stelle zu streichen, habe ich in diesen Jahrbüchern Supplbd. XV 311 ans-
-etiiandexgeaekt; ich machte eins der dort in anderem Zusammenhange vor-
gebrachten Argumente klarer und weiter ausg^tthrt wiederholen, ein anderes
hinsnlDgen.
Als der greise Oedipus Ismenen )>egrnrst und nun also von seinen beiden
Töchtern die Treue erfiüiren hat, welche die Söhne an ihm nicht bewiesen
*) Worao« dean hoflsehe Philologen, die an diesem schroffen Auftreten der 'Prinsesein*
dem 'regiereaden Flinten* gegenfiber Imtofs nahmen, eine 'Schuld^ Antigenen» gedieebseli
*j Aber freilich auch Uainiou»!
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262
E. Brubn: Eine neue AufiiMnuig der Antigone.
hüben, sjiricht er seine Eutrüstung über diese, seiue Dankbarkeit gegen jene
iu folgendeu Worten aus:
i» arifv** imiUvn T0I5 h Aiyihtxa vöfiots
ti^n ßiov tQO^tttt :ioq6vvov6' «h.
«fp^v d\ a xi%v\ ovg eUbg fjv Jtovitv Tod«,
acfil) d' (hn ixiivfov xuftu dvöti^ov xaxa
346 v:t{Q:iovdtov.
Bin wunderlicher Vergleich! öhvu tuv xeivotg t« vvv hatte Isinene eben vor-
her von ihren Brüdern gesagt; das klingt doch nicht wie ein friedliches ^axtlv
«cerd 0x{yas\ also wie sollte wohl *OedipQs glauben, aus lamenes Mitteilungen
entnehmeii xu dttrfiMi, die Brfider ril&en rulüg daheim?' Und in allem glei<^en
sie den Aegyptern? Worin denn noch anlser in dem, was der Vater anAhrt?
Die Antwort giebt Herodot II 35: Alförnm , . jtdvt« ifuruXiv toM» äXJLotat
i»^^Aseot6i iffriftfiicirro ^d-ecc xe xal vöfiox g. h' totöi al (ilv yvw^xig dyo^cf-
^ovOi xal xa:tijA£t5ov<ft, ol dl^ avÖQEg atar' oCxovg fopxfg hfpuivovöi . . tgi^petv
XQÜöi näöa (Ivayxri xa) uf] /jovAofttVijöt. Also wie die Stelle der Anti^ono
aus Htroil. III stainnit, so diese aus Herod. II 35; wie dort so ist hier
Herod(*t oline jede innere Nötigung, ja gewaltsam herbeigezogen.
Ahw firdlieh, fät& Oedipos sehfittdn wir den Kopf, was Antigene sagt,
Twletat uns innerlidt Wenigstens in einem Punkte müssen wir nns dabei
doch wohl hfiten, modernes und antikes Empfinden gleichzosetBen. Schon
daran wird sidi unser Gefühl stoben, dab die Mutter sick Ober den Tod
eines Kindes t)r)8t('n soll mit ihm Gedanken, sie krane ein anderes dafOr be-
kommen; und (locli tröstet Perikles wirklich die trauernden Athener so:
xuQxeQilv dl XQH ^^^'^ äXkcav ncUdoji' iX?c{fii ofc ht i]hxia Tf'xv^yatv rrmdo&ui
(Thuk. II 44, P>'t i, und Alkestis sagt, Admets Kitem hatten wohl für ihren
Sohn sterilen krmnen:
293 növog yu^ uvzoig ijO^u^ xoCng lkn\g fjv
Cov xax&ttv6vxos itlXu ^ixvöhv xtxva.
Zeigt sidi hier wirklidi einmal die 'herbe Ehrlichkeit* des Altertums im Gregeu-
satro zu der erkünstelten Feinheit des OefBhls der Modemen?
' Ch. Härder führt in Minor vortrefflichen kleinen Schülerauagabe de» Thul^didea
(Leipzig 1894) mit Itccbt die Ant^oDestelle an.
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DIE AKLAGE DES UBERGERMANISCHEN LIMES UND DAS
KÜMEKKASTELL SAALBÜßG.
Von EiiraT ScHOiiZB.
Seit der deatMhe Reichstag am 6. Juni 1892 die erforderliehen Mittel be-
ivfl^t hatte;» ist die BeichalimeakominiBgion mit der Siforachimg des rSmiechen
OniunraUes, der hinter ihm li^penden Kastelle imd bflrigerlidieii Aneiedelongen,
■Owie des Strafsennetzes and der sonstigen zugchSrigen Anlagen nach einheitlichem
Plane eifirig beschäftigt gewesen. Alljährlich bringt das unter F. Hettners und
0 von Sarweys Leitung in Trier ert^eheinende Limesblatt die Berichte der
Strecjcenkomiuissare in ö — 6 Nummern, und seit lf<05 eraeheint in Heidelberg
in einzelnen Lieferungen das grofHc, die Ergebnisse zusamnienfai^sende Werk:
T)er obergermanisch rätische Limes des Römerreichs. Im Anftratre (]er Heiehs-
hmeskomiuiääion herausgegeben von dem militürischeu und dem arcntiologischen
Dirigenten 0. von Sarwey und F. Hettner/ Dnreh die angestrengte Thütig
bit der Btrecfcenkommissiirej welche die Ausgrabungen oft fem von ihrem
Wohnorte aaovdnen xmd in sehwier^on Geffinde, nicht seltm bei ungünstiger
Witliemng leiten nnd flberwachen mflssen, ist eine Menge wichtiger Einsei-
Imten erforscht worden, die sich aUmaUich zu einem Gesamtbilde der grofs*
artigen Anlage römischer Kriegsbaukunst, die in die Kulturentwickelnng des
dentschen Volkes so tief eingegriffen hat, zusaramenschlielsen werden. Die
beiden oben erwähnten Pubh'kiitionen, von deren Fortsetzung in den nrlehston
Jahren noch wichtige AufkUiruugen zu erwarten siruL hal)en die wissenscluift
hebe Erkenntnis der römischen Grenzanlnge gegenüber dem Werke des hoch-
verdienten A. von Cohausen, Der rümische Greuzwall in Deutschland, Wies-
baden 1884, sehr gefOfderi
Neben diese Pablücation«! ist in jüngster Zeit das Werk L. Jacohis
gMnten, eines der eifr^stra und erfolgreichsten Limesforsdber.') Die Beden-
ttmg des Bnches besteht darin, dab es Aber die Saalburg bei Homborg, das
von allen Limeskastelleii am sorgföltigsten untersuchte, in genauester Weise
berichte^ in Terschiedenen Einzeluntersnchungen die Leistungen der Körner auf
dem noch wenig erforsdliten Gebiete der Technik klarlegt und über die Anlage
') Du BOmerhaiiell Saalbnrg bei Homburg vor der Hobe. Nach den ErgebnitMea
Aotgrabnngen und mit Benutinng der Unterlassenen Auf/eichnungen de« königl. Kon-
•mator* Obersten A von Cohiiiisen von L .Tnrobi, Mitglied 'b r ReichB-Limea-Kommiseion.
Itit einer Karte, hü Tafeln und 110 Textabbildaagen. Homburg v. d. Höhe 1897. Zwei
Und«, Im Selbstverläge des Verfasser«.
^(j4 i^- i^chulzc; Die Aulage des obergermuniscbeu Limes und dati itömerkasteil Kiaalburg.
des Limes auf Grund der vom Ver&sser gemachten Entdeckungen Aufklä-
rungen von allgemeiner Tragweite giebi In 15 Abschnitten behandelt Jacobi
die Gescliicht« der Ansgrabangen, die liin^^wallc, Namen, Lage und Bedeutung
der Saalburg, die Wege und Strafsen, den Limes und die Gescliieke der Saalburg
in römischer Zeit. Dann wird die AnlHije des Kastells, d<T bnrt^crlicbpn Nieder
lassung, der Gräber behandelt, e« werden die teehnischen Erg< Iniisse und die
Erhaltungsarbeiten dargelegt — für Ausgrabungen und für Erhaltung sind in
der Zeit von 1853 — 1H93 rund 800(X) Mark verausgabt worden — , sodaiui
werden die Funde: Inschriften, Gefäfse, Münzen (11)48 Stück), Gerate, Sclilösser,
Leder und Schuhwerk, Schmuckaachen, Hufeisen, femer BaumfrOchte und tierische
über«»»., «.dlicb d» S«l»M»gm«««nn »eh EnMd>m>8 «nd Bbrichtang
sprechen. Ausführliche Namen-, Orts- und Saehr^pster, welche die Benuinmg
des Werkes sehr erleti^tem, machen den Sehlufs.
Bei unserer Besprechung wollen wir von dem Abschnitte ausgehen, clor
v(r.) <1< r Anlage des Limes im Taunus handelt.') Schon Dnisus hatte, als
Motiuntiarnm ^nm railitilrifchen Stiltzjninkt der Itömerherrschaft am Main ge-
niarlit wortU^i war, /um hehut/c des rt'eht«rheini8ehen Vorlandes ein. KasttU
im Taunus, vielleicht am Zugmaiitel uürdlith von \Vie>^baden, angelet^t -r Dii'
ganze untere Mainebene mit der Wetterau bis nördlich vmi Friedberg wurde
durch den Feldzug des Kaisers Domitian im J. 83 dem römischen Reiche eiu-
verleibi*^ Wir dürfen annehmen, dafs damals die GrenBlinie bis auf die Nord-
seite der Taunuskette Yorgeschoben, die Gebirgsübergänge und die Thalweg^
durch kleine Erdfcastelle g^errt und dadurch die rSmischen Ansiedelungen
und Felder in der Munebene Tor räuberischen ÜberiäUm der Chatten ge-
sichert wurden.*)
Schon längst waren von deutschen Forschem am Limes in gröCserer oder
geringerer Entfcminiix flache Erdhiigel wahrgenommen worden. Mehrere
von ihnen hatte man auf«iegral>e?i und untersucht, (dine iilier ihre Bedeutung
volle Aufklärung geben zu können. Mau hielt sie für Uestt- von eingestürzten
Nebengebäuden, ähnlich den hügelartigen, aber unregohnüisigeu Überbleibseln
von Steintürmen, die, mit dicken, in den Boden hineinreichenden Grundmauern
erbaut, in Entfernungen Ton durchsehnittlieh 850 m TOn einander den Grans-
wall begleiten. Die genaue Untersuchung Jacobis aber hat fiber die Anlage und
Einrichtung jener Hflgel im Taunus folgendes ergeben. Bin solcher Hflgel ist
') S. 38— ."1 V£f1. Jacobis Bericht im Limcsblatt Im'iI Xr 7 uud S; den Aufsatz 'Grenz-
markierungcn am Limes' in der Westdeutschen ZcitHclirili Itir Geschichte uud Kunst XIV
147—172, Trier 1895; Hetine» BericU fiber di« Th&tigkeit der Reidulunetkonaiaimoii im
Archüol. Anzeiger 1896, 4. Heft 8. 176—908.
* T.uit .Ann T 56: Grmuinirns . . iws'tf» rnntfUo snjier vestigi'n paierni jjrnesidi*
tu wonU Tituno exiyeditum e.reratum in Chntios rajnt. Vgl. Lime»blatt Nr. 16 S. 437.
*) Homniieii, "BLBm, Qeieh. 6, 1S6.
') FraotiB, Bt»teg. I S, 10 beriebtet: Imperator Caetar Domtümm At^iubu, rwm
Gcrmnni more sun #• mltihiis . . . stthinde in/niffnrrrmf im-tfrfs ttihimfjitr rrfffffis^itt) in f>ro-
funda silvartun haberatt, limitibu« per txutuiii vigmlt initin ^otssmmw ticti» . . . mutocit
statum UtUL
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E. Sebnlse: Die Anlage des obcrgemumiseheii LtmM mid das BOmerkasteU Saalbnrg. 265
fjewöfcinlich kreisnnul, meistens mit einem 1 l!illiiiu s>rr von »»twa l> m rmn.
Ful's), und von einem sichtbaren (iräbclien uuigebcn. aul dcsstn SuliU' siili
eingelegte Basal t«tiicke, Kohlen, Kiesel, vorrömische und römische (iefal'»-
tcherben finden. Der Hflgel Belbst ist mit der an Ort und Stelle anstehenden
Crd- oder Oeeteuiart angeechfittet und leigt keine Beüniaeliung yon Bausteinen
«der sonstigen Resten eines Baues aus Menschenliand. Nacli sorgfältiger Ent-
fernung der au%esehfitteteo Erde kam eine genau niwllierte, kreisrunde hori-
lontale Flüche zum Vorsc hein, die z. ß. am Nurdabliange des grofeen Feld-
bergs mit grolser Mühe dem schräg al)fallenden Steinboden abgewfmnrn worden
ist. In dieser horizontalen Fläche entdeckte .lacobi vier quadratische Liiehcr
von HO cm Breite tind etwa 1 m Tiofo. die, seharfkantif» bis zur Sohle rrehond.
j>tzt mit lockerer Erde gefüllt erscheinen, früher aber viereckig behuuene Holz-
pfüsteu entlmlten haben müssen, die im Luuft' der Zeit vermodert sind. Die
Tier Pfosten stehen in quadratischer Autsteüung, in der Regel je 3,00 m vou
einMider. Zwischen die Pfosten sind biswei^ mauerilmliehf ab«- oluie MSrtel,
Steine eingelegt
Die gleiche Einrichtung der Hügel ist nun auch im Odenwald, in Ober-
hcssen und and»nirörts nachgewiesen worden. Über die Station un Sommerberg
t B. sehreibt Soldan: *Der Hügel ( iiiliält eine elliptische, etwas bergab ge-
neigte Plattform, die nach Art einer Tenne mit Sand und Lehm ahi;p<;Hchen
ist Ilire beiden Achsen haben 11,0 bezw. 10,20 m Länge ... In die Platt-
form siiiil vier fa. l,|Om tiefe Löcher eingeschnitten, in welrbf Hchitrfkurttig
bobauene Pfosten von 'M) — 30 cm Stärke eingesetzt waren.'' v. Cuhausen,
Soldan*), Anthes, Löseheke, TTettner n. a. vertret^^n die Ansicht, dafs die vier
Pfosten einen römischen Wartturui getragen hHl>en, iluls (jeHifsscherben und
Kehlen von cbm Aufentlulte der Bewohner dieses Turmes herrOhren und daTs
der Einsturz des von den Römern Temaehlassigten Turmes und das Vermodern
der Trümmer ohne menschliche Mitwirkung die Hfiget gebildet habe.
Dagegen behauptet Jacobi^ daQi die Hügel nicht Überreste von irgend
welchen Baulichkeiten, sondern die ¥rirkliehen, uns vollkommen erhaltenen
ältesten Grcnzmale 2ur Festl« ^mng der römischen Keichsgrenze seien. Diese
Aiisiiht scheint mir nach Besichtigung der im Taunus aufgefundenen Hügel
uud «ach Erwägung des Zusammenhanges der von den Limesforschem fest-
gestellten Thatsarhen di«> richtige zu sein.
Bei Anlüge eines \\ jirtttirmes hätten die lüimer gewifs nicht das untere
Ende der Balken scharfkantig behauen; sie hätten vielmehr dem Baumstamm
•eine ToUe Rundung und Dieke gelassen, um ihn gegen die Feuchtigkeit des
Bodens widerstandsüihiger zu machen. Der Einshirz eines ziemlidi hohen
Hobbaaes wäre meistenteils eeitiriirtSf nicht senkrecht nach unten erfolgt,
bitte daher nicht die ^eiehn^ige, kunstvoll gewdlbte Form der Grenshflgel
mengt. Ferner liegen die Hügel h'iufi»^' an Stellen, WO niemals ein Wog
vorftberföhrte, &Uo eine Überwachung des Waldreviers aweeklos war. Unerklar-
*) Limesblatt Mr. 28 626, *> Limesblatt 479 tf. 6S0 C
266 E- Schuko: Dir Anlage de« obergermaniflchen Limo« und da« R^inerka«tell Saalburg.
lieh erscheint, wenn wir an Grenzverteidigung oder -Überwachung denken,
warum häufig, wie z. B. am Kieshübel, Weifsenstein (s. Abb. 1), Rofskopf,
Roten Kreuz, Glaskopf und ebenso im Odenwald (Limesbl. S. 468) zwei Hügel
80 nahe an einander liegen, dafs ihre ümfassungsgraben sich fast berühren.
Für die Grenzwache genügte ein Turm, und wollte man die Besatzung besser
schützen, so mufste man diesen Bau gröfser und fester anlegen, vor allem
ihn mit einem steinenien Fundament versehen. Die nötigen Steine für eine
starke Trockenmauer wären leichter zu beschaffen gewesen, als die gut be-
hauenen Balken.
Wie aber kam, wenn die angeblichen Holztürme einstürzten — und sie
müfsten, nach der Zahl der Hügel zu schliefsen, in grofser Menge eingestürzt
Abb 1 '
sein — Erde und Steingeröll aus dem Graben auf die Trümmer? Soldan, der
von seinen Grabungen in Oberhessen ausdrücklich berichtet, ein Teil der Erde
des Grabens habe 'zweifelsohne auch zur Bildung der Kalotte gedient' (Limesbl.
S. 647), vermag diese Frage nicht zu beantworten, sondern sagt, 'die Entstehung
der hohen Erdkalotte über der Plattform der Holztürme bleibe noch zu er-
klaren\ Mir scheint es undenkbar, dafs Naturkrafte die Steine des Grabens
über den Trümmern eines zusammengestürzten Baues in regelmäfsiger Wölbung
aufgehäuft haben, ebenso undenkbar aber, dafs Menschen sich an vielen
Punkten der Grenze dieser völlig nutzlosen Mühe unterzogen haben.
Auf welche Weise sollen wir erklären, dafs an manchen Stellen im Taunus,
ebenso in Baden (Limesl)l. S. ö.V)) der Pfahlgraben über die sonst unversehrten
Hügel hin wegzieht? Die Thatsache beweist, dafs die Hügel älter sind als der
Pfahl. Steckten nun wirklich in allen diesen Hügeln eingefallene römische
Holztürme, so müfsten die Römer in ungewöhnlichem Leichtsinn ihre eigenen
B. MnüM: Die Anlage de* ebeigennBiiiMhen Lünei und das BOmerkMiell Soalbnig. 267
Anlageu haben verfiillen las»s>en. Viele Jahrzchtite lang roüfHten die Türme in
Trümmern irf I('<reTi haben . denn hätten die Kömer bei Anlage des Pfahls die
Balken not-ii unverfault gefunden, so hätten sie diese beiseite getragen und es
irfire tlWhaupt hem Htlgel aststuideii. Die angeftthrten Chrfinde Bpredten
gegen die Annalime, die Hügel seien die Überreste eingestOnter r5mischer
Hohbmten.
jMobie Ansiclit dagegen gehi daliin, die Htlgel sei«! von Anfimg an nidtte
aiultTfs als Grenstmale gewesen, die Holzpfosten hätten nur wenige Fufs ans
der Erde emporgeragt nnd durcli ihre wohlbefestigte, kisteuformige Stellung
den Zug der Grenze unverrückbar bestimmt. Sie wurden scharfkantig be-
hauen, am eine gerade Linie zu bezeichnen. Zwei sokhe, neben einander er-
richtetp Orenzmale — von denen bisweilen eins eine viereckitie Plattform hat —
dienten dazu, an einem Winkel der Grenze die verschiedenen Unohtlinien fest-
tul^en. Die Erde aus dem Graben wurde sofort auf die Grenzbezeichnung
au%escbüttet, um die Anlage vor Zeratorung zu sichern.*) Der Graben ringsum
hatte den Zweck, das heilige CtTensseiclien gegen Verletntttg möglichst sicher
m stellMi. Bekannt ist ans Ortd (Fast. II 641 ft), wie hoch Ton den Bdmeni
der Qctt Terminus, der in nnbMtechlicher Treue die Qrensen der Frivat-
lindereien nnd der Staatsgebiete beieichnet, Terehrt wurde. Audi dem Grena-
sldne selbst wurde göttliches Wesen /.u^i schrieben:
Termine, sit?e lapis, sive es defossus in agro
Sfiprs, ah anfiqids frt qiwqttc numm hahes.
Die Grenz.nachhani sct/.t*'n nacli feierlichem Opfer unter Beobachtung' reli^öser
Gebräuche die Steine, die ihre Grundstücke von einander trennten.')
Die Römer hatten die Sitte, in den Erdboden unter die äufaerlick sicht-
baren Grenzmale unverwesliche Gcgcnsiündc als siffna, Merkmale, zu legen.
Dasselbe geschieiht noch heute \m uns.^ Wenn nun in dem Rnndgraben der
Hügel sich solche Oegenstinde finden, so lifst sich allenfiills behaupten, sie
seien als Reste von Oebrauchsgegenstilnden sufSllig hineingeftUm. Wenn aber
auf der Sohle der Pftwtenlöoher sieh Nagel, Gefafsseherben, Kohlen, Mtlhlstein-
ifcttcke finden, so ist es unmöglich anzunehmen, sie seien dorthin geraten,
nihrend der angebliche Holzturm bewohnt war. Sie müssen Tor dem £in-
') Vgl. Scbriften dor rüm FeldmeBser. Iier v Hlimie, Lachmann und Rudorff, T 307. 5:
In teminatüme sidt terra tjmts palt)« cooperuimus\ 349, 15: Palm picato» ««4 terra dcfixtmu«.
*) Vfl. R0m. Peldm. 1 141, 8« Saerificio facto JbUjofiK immetal» . . . mtper eateiOe» reK«
flia* hipides conlocnhant.
*i Vgl. Röm. Feldni. I 110, H: Qtiihu-^tlinn ridetur mh r,mn!hi(fi termtnis Signum in-
temri oportere . . . aut cinus mu carftones ant tegtea aut vitrea fracta. Augustin. de civ. dei
tl, 4: {whomm) Umta fimiku, irt nüOo htmon corrun^pmitur, fwUti aeMe «MMONfiir tufHe
•I», nt eos subxternere soleant, qui iimitrs fignnt, nd conrinrrndum litigntorem. — Erlafs
de« preufg. PinanzmiDisters vom 2') Okf 1881 § 67: 'In 0»"(Tt'nf!on. in dpiH ii ^toIsc l!i'-*itz-
stÄode vorhemchen, ist die Vermarkung durch Ureuzhügel weit verbreitet und auch al»
Muniebend anzaseheii, wenn nntor d«nt Hflgel in gehöriger Tiefe der «geotiiolie Oiens-
ponkt durch üQverweflHche Geg«nttinde, wie Schlacken, Olas, FoneUaneeherbeii
0. dgL, •ehacf markiert ist.'
. j ^ by Google
268 Schulzo: Die Anlafje de« oberffenDanisebeii Limes imd du ROmcrkMtell SMÜbnrg.
setzen der Holzpfobten absichtlich als s^ignti in tlie Löcher gelegt wonlen sein.
Die Torrömischen Scherben, die sich iu den Hügeln, aber nicht in den späteren
SteinkfuifteUen finden, beweiaen, dafit die Hügel in sehr frtther Zeit, d. h. noch
im ersten Jahrh. unserer Zeitreehnung angelegt worden sind.
Es sei noch bonerkt, dafo die Pankte filr die Anlage der Hfigel ron den
lUhneru sehr umsichtig so geirahlt worden sind, dafs man von jedem nach den
beiden benachbarten sehen konnte, wenn dnrch den Wald eine Schneise ge-
macht wurde.
Im Spätherbst 1807 ist Jacobi mit crrnfspr Mfihr» nnd nach vielem v»»r-
gt'ltliclu'ii Stichen gelungen, ein untrr dem Wahlhotlni liinlanfpridcs, sopir
duicli den Kuis-baeh fortsToffihrt^'js, ausj^csteintes (xiäbcht'n, das die Hügel vom
liuteu Krtuü mit denen am ülaskopf verbindet, auf der ganzen mehrere Kilo-
meter langen Strecke nachzuweisen. Wir haben iu ihm wohl sicher die
älteste Festlegung der romischen Reichsgrenae vor nns. Der spater
angelegte Ghrenzwall zieht weiter nördlich vorfiber. Einem aasf&hrliehen Bericht
Uber diese Entdeckung sdien wir entgegen.
Die enge Zusammengehörigkeit d^ Hfigel und der rSmisehen Grenzlinie
ist durch das Vorhandensein des verbindenden Griibchen» aufsor Zweifel ge-
stellt. Wir verstehen auch, dafs die Romer in späterer Zeit bei Anlage des
Walles dipspn bisweilen über die Hügel führten, ohne sie — wn?« sehr leicht
«rcwpsen wäll' — einzuebnen. Die Hügel hatten gerade in der Fer»tlegiing de»
Grenzzuges ilu » i'i<Tf>ntliche Bestimmung; und erfüllten sie, indem sie dem Walle
seine Richtung vorsihiieben. Sie wurden aber nicht vernichtet, weil ihnen die
Heiligkeit von Grenzmalen innewohnte.
Es bleibt jetzt noch su erklären, welchen Zweck die mflhmme Herstellung
der runden, sorgfiiltig nivellierten Plattform gehabt haben mag. Die Festlegung
der Reichsgrenae war ein Staatsakt, durch den die römischen Kaiser ihre Erobe-
rungen gegenfibw barbarischen Nachbarrölkem sicherten. Baibus, ein höhera*
Offizier, der entweder nntti Domitian im J. 85 oder 105 mit Trajan nach
Dacien zog, schreibt: 'Sobald wir das Feindesland betreten hatten, erforderten
die T^ntornchmiin^en unseres Kaisers eine methodisehc Vennossun«^.") Xatnr-
lieh wurden bei einer solchen Vermessung aueli Zcicli'nmtren auft:ennn\men, aus
denen Richtung und Läiitfe der (Jrenzlinie zu erseiieii waren. Die Karten von
Privatgrundstücken und Stadt^eliieten wurden nach der amtlichen Vermessung
auf Kupferplatten gezeiciinet, und ein von den Regierungsfeldmessem hergestelltes
aweites Exemplar auf Leinwand {mappa) wurde mit dem erläuternden Protokolle
der Yermessungskommission (oofitmfliftirtt) im kaiseiiichen An^ve niedergelegt.')
Es ist daher wohl anzunehmen, dafs im kaiserlidien Archive die Zei<^ungen
der ungleich wichtigeren Beichsgrenze nicht fehlten. Auch wird uns das Vor-
handensein Ton Provinzialkarten bezeugt. Ein t&chtiger Feldherr soU nach
*) ROm. Feldm. I <J2, 11: rostguam primMm hottkam tetram MifraoiNMM, Cehe, Caemirit
nottri ojptm mcnwninim raCronem ae^en eotpenmt.
*) V^l Köm. Feldni II 405 I 8SS,S: JTwHw temtorii forma tn iabuUi am» ab MtfMnrtOfv
Traiam iwm ttt detcribi.
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S. Sdtnbe: Di« Anlag« des oberirenBUiiidiAn LimM und das BOmerkaitell Saolburf;. 269
Vegt;tiu.s ni 5, {') nicht nur voUständigo »schritt liehe VVoi^vvoisor über HtralVipn,
Flösse, (jfluitre, Urtschaften der ihm zu kriegfiisclR'ii Lntirnehinun^cn aii-
gewitJbtjnt'ii liegend hesitzen, sonderu er soll auch VVegekurteji {ii inerat in
proomciarum picta) vor Augen haben, ut non soiim cansilio mmtis, verum
mpedit aeuionim viam profectnnu digenL
Sollte nun nach Festlegung der Grenzpnnkie durch die Hfigel eine Zeich-
noiig der Grenze aii%en(»n]iieB werden, eo mnbte man nicht nur die geraden
Lniien von Hügel zu HUgel auBmeeBen, aondem man muiate auch an jedem
Hügel den Meridian (eardo) bestinunen. Dieser aber war zu einer Süeit, wo
man keinen Kompafs und keine richtig gehende, mechanische Uhr zur Be-
stimmung der Mittagszeit hesafs, nur (hirch eine umständürh«- Brobachttiut?
zu finden. Die Vorschriften über das einzuschlagende Verfahren g< ht ii Vitruv
(dj* architect. 1 6, 12) und Ily^yin (de limitibus constit., Köm. Feldin. I 188, 17)
überfcmätiuuuend. Auf einer geebneten Fläche nmimt man einen Mittelpunkt
tn und beschreibt ^en Kreis.') Im Mittelpunkt der Flache stellt man einen
Steh senkrecht aof und beieichnet den Punkt, wo am Vormittag das Ende
Ntnes Schattens die Peripherie berflhrt Dann wartet man, bis der um die
Mitfaigneit sich TerkOnende Schatten wieder wichst und am Nachmittag die
Foripherie vom swettenmal berflhrt Die beiden Berflhmngspunkte verbindet
malt durch eine gerade Linie, halbiert diese und zieht von dem Halbierungs-
ponkte eine derade nach dem Mittelpunkte des Kreises, diese ist der Meridian.-)
Wenn, wie wir annehmen, diese Vorschrift der Fi Idnienser zum Zweck der
Festlegung (kr Süd Nmd Linie bei Bestimmung der iteichsgrenze beobachtet
wurde, so erklärt sich die Notwendigkeit der mühevnllpn Herstellung einer
kreisrunden, genau nivellierten Ebene, wie wir sie in den Hügeln am Abhänge
des Taunus finden. Der L'int^taad, dafs bei einem Hügel im Taunus 10 cm
tiefe Sitten vorhanden sind, die, vom Mittelpunkt der Plattform strahlenförmig
sulanfend, den Eindniek einer Sonnenuhr machen, und dals bei anderen die
Kordlinie durch Stcansetaung beieichnet ist, spridit sehr dafür, dafs die hori-
miitale FISehe ab Mittel der Bestimmung der Himmelsgegenden benutat wurde. *)
Auf die Festlegung der wichtigsten Onrnspunkte durch die HQgel folgte ~-
wir wissen nicht, in welchem Zeitnbstande — die Herstellung einer ununter-
brochen fortlaufenden Grenzlinie. Diese Linie, die nördlich von dem jetzt sieht
baren Orcnzwall im Taunus und mit ihm parallel, über unt^T der Decke des
Hiddhiidens verborgen, läuft, im Anschlufs an Stdduns vorausgegangene Be-
obachtun«,' gefunden zu haben, im! das W rdienwt Jac4»biH. Sie ist die eigent-
liche Grenzli nie des römischen Ueichs, und ihre Wichtigkeit für uns be-
tirtMlum in lote piano m ttura, Hygia.
') Notntü crgn duahus pnrtihus intrnnfix vmbrae et rxeunfi" Inrn rednvi ftnrnm n siqrtn
*i ifignum circumfereniiae duceuius et meiiiam notabimus. Per quem /on«wi recta Imea exire
'fMü 8 jnmdo cireuli, per qua» lineam cardinm dirigemm, Hjgin; haee Ztaea mit index
«wrtfiMiae et »^kntnomM* r^ionUt, Yitcwr.
*) 8. Arebaot. Aiueiger f. 169$ & 179.
270 Scbulse: Die Ankge d«« obergeRnwuMben JAam vaA da« BOmetlcMtell Saallimg;
steht besonders dariü, «lals sie auch auf Stieckeji, wo der Grenzwall hn Kultur-
land eingeebnet und voÜHtitndig versehe uiiden ist, xmter dem Buden erhulteu ge-
blieben ist. Nach ihrer Au£iindung im Taunus im J. 1893 ist sie auch von den
fibrigen StreekeiJEoiiuiuaaarai an der ganzen Lange des LimM naehgewmen
wonten. Die Riehtang der Qrenzlime wurde auf die Yerbindangalime der Hfigd
ab Standlinie eingemesaeB.^)
Zum Zweite der'Festiegung der Beiclugrenie sogen die raniiaclien Ver»
mcssungsbeamten einen xinuntorbrnchen fortlaufenden Graben*), den sie selbst
in die festen Quarzite des Taunuskammes mit grofser Mühe 70 cm tief einbauen
Uelsen (s. u. Taf. I Abb. 4 ). Auf dem Boden des Grabens stellten sie in einer Flucht-
linie grofso Platten und dazwischen kleinere Steine auf (Läufer, cttrsorii) nnd warfen
darauf den Graben wieder zu. An den Knickpunkten wurden ^ölsere Steine
{tfirmini egreffü, epüledicales) , mit Felsstücken fest verkeilt, so aufgestellt, dafs
sie über den Boden hervorragten und das Auffinden des verschütteten Giabchea«
erleichterten.') Scherben, Kohlen, fremde Steine wurden als Merkzeichen unter
diese Orenzsteine gelegt. Obwohl die Edsteine aber, wie erwäint, aoe der
£rde herrorsehen, waren ue dodi, da sie nnbehauen und von Moos und HumuB
flberEOgen sind, im Waldboden sehr aehwer zu entdecken. Nadh Auffindung
des Grenigrabeiui (1893) aber waren aie ab von Menachenhand geeetat un-
Bweifelhaft zu erkennen.
Mit der äufseren Grenzlinie war jedoeh der Limes des Römerreichs noek
nidit vollkommen bestimmt. Wie Urnen — zu limtis gehörig — den Querstein
unten an der Hnufjthür, so bezeichnet Ihnes den Querweg eines Grundstück?
und in der Kaiserzeit, wie Th. Moniiuyeu in seiner Abhandlung über den BegriÜ
des Limes ( Westdentsehe ZeitHchr. I.sy4 S. Iü4 ff.) nachweist, den Grenzstreifen
des römischen Heidus, den man quer überschreiten muls, wenn mau das Gebiet
verlassen oder betreten wilL Der Limes ist die *fär militärische Begehung ein- .
gerichtete Grenaatrafse'. Er hat daher wie jede Strafae eine gewisse Breite
und bedarf einer swei£Mihm B^prenzung.*) Im Spatherbst 1894 gelang es
Jacobi, die innere Grrenzlinie des Limes zu finden. Sie wird durch ein etwa
30 cm tiefes, an einzdnen Punkten ausgesteintes Ghsbchen gebildet^ das 6 m
20 r. Fuls) Ton dem AuIlMiigraben entfernt, diesem pwallel läuft. Die Auf-
Das rechtwinkelige EininesseD der areDEpnnkte eine« Gebietei «nf die gemd«
Standlinie beschreibt Frontin, Röm. Fekltn 1 7: rttiusnuii/ur foci yiwiitura agf inl/i fuerit.
eum circumirc ante omnia ajaort^ et ad omim augulos siffna ponere^ guM normaliter ex
rigor e coganlur e. q. 8.
*) Es itt oben «rwihnt wordm, dab ein vom Laufe des Pfahlgnben» abweicbeoitoi
aaflgeateint«H Gräbchen im Taunui« nachgewiesen wurden ist. Ob und wo sonst noch >n\c\\'-
doppHtf Or<ni/,Vit'<t{Tiunungen, aui^ Hiterer und aus gp&terer Zeit, neben einander bMteheo,
mufs uoch genauer untersucht werden.
Vgl. Röm. Feldm. 1 141, IS: lajide» cemioetAaml atq^ ita dOigmU atra amfimäbmdi
adiectis etiam quibusda» iaxorum fragminihu» eireumealeuhetnif fuo fimim$ «lanKL
S. oben Al.biUl 1 H
*) Hygiu sagt — Höui. Felda. I 166, ib — von den Wegen innerhalb eines Stadt-
gebietes: Limitu cwtecrrn kabmt latitudinem peä. XII; per ho8 Her poputo netU per eis»
ptUtUcam debetur.
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E. Schabe: Die Anlage des obttrgemuuiiaeheii LimM und dM RBmerktitell 6na]1»a>g. 271
Undung war deshalb ho schwierig, weil bei Aush<'l)unf^ des (inibens und Auf-
schüttung des Greuzwiilles das innere Gnil)chen als luininchr l)i(h'utung^«los ver-
schwand und unter den Wall zu liegen kam. Mit voller Sicherheit liefs es
sich daher erst nur an solchen Stellen, am Klingenkopf und WeUBenstein im
l^iuiiu, nachweiaeo, wo ein Erdwall wegen des felsigen Bodene von den BSmern
mäd angelegt^ sondern nur ein Steinwall Aufgeschichtet worden ut. Anderer-
leitB iat die Überaehüttnng des inneren Gribdiena durdi den Grenawall ein
Beweis dafUr, d&b die beiden den Orenaweg ein&nenden Grabchen fertiggestellt
waren, ehe man an die gewaltige Arbeit der Herstellung des Orenzwalles ging.')
wurden alao, nachdem Beaeichnung der wichtigsten Grenzpunkte durch die
Hügel vorausgegangen war, zuerst die beiden Grenzlinien des Limes von kaiser-
Uchen Vermossungsbeamten bestimmt und durch zwei parallele Oräbchen
festgele^. Darauf wurde der 20 Fufs breite Grenzweg zwistheu ihnen von
Biiumen gesäubert und eingeebnet. Im Anschlul's hieran liutten römische
Soldaten den Hauptgraben auszuheben und den Grenz;wall herzustellen. Es
stimmt dies genau überein mit der Schilderung, die Baibus von den ihm nach
BesetEUi^ Daciens obliegenden Arbeiten giebt Er sagt: 'Ansnl^pen waren mit
bestimmtem Zwischenraum fllr den Weg swei Parallellinien, an denen aur
Überwachung des Verkehrs die micbtigen Wille sich erheben soUten.'*)
Der GremswaU konnte nadi Art seiner Anlage fttr den Ansturm eines
grofsen feindlichen Heeres kein ernstliches Hindernis sein, auch liefs er sich
nicht in seiner ganzen Ausdehnung — 542 km — vom Bhein bis zur Donau
mit einer genügenden Zahl römischer Truppen besetzen. Dennoch ist a\uh
seine militärische Bedeutung nicht zu unterschätzen. Mit seinen etwa achtzig
Kastellen und seolishundert steinernen Wachttürmen konnte er kh^ineren Unter-
nehmungen der Feinde wohl W iderstand leisten, zumal da im \'(>rhuide be-
ständig Reiterabteilungen (exploratores] eupbmiio Ualic. am Feldberg, Jacobi
S. 25 1 patrouillierten, um etwaige Bewegtmgen der germanischen Stamme Techt*
zeitig zn melden. Jedenfalls hat die Limeaanlage aweihundert Jahre lang, bis
in die Zeiten des Oallienns, fOr die Börner eine gute Operationabasb gebildet
und das Reich wirksam geechUtit.
Neben der militärischen Aufgabe aber hatte der Limes, wie K. Zangemeister
in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern 1895 S. 83 ausführt, einen fiskalisch-
poliaeilichen Zweck. £r war die sichtbare Grenze des Römerreiebs, die nur
an wenigen Stellen, wo ffir Wege ein Durchlafs war, überschritten werden
durfte. Hier mufste sich jeder Germane, der Einlafs begehrte, beim Kom-
mandierenden melden und mul'ste die Waffen, die er trug, abgeben. Auch ein
Römer durfte nur mit besonderer Erlaubni.n in.s Aushnid gehen. Und aufser
der Überwachung des Grenzverkehrs der Menschen fand au den Durchgangs-
steUen des Limes die lieaulsiehtigung des Warenverkehrs statt. Manche Ware
\> Vgl den Bericht des wOrttenibergiflcben StMckenkommisuuri, Profasson Cl. Sixt, im
Lim^blatt 8. 361.
•) Röm. Feldm. I 92, 13: Eratü dandi interveniente certo üineris spatio duo rigor et
ordinatit fuibu» m UUdam eommtmdi ingai» vaOonm adniryafci «mIm.
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272 K. Schulze: Die Anlaf^e de« oberffermaiiischen Limes und das Hömcrkastoll Saalburp.
niulste hoi der Aiisfulir Zoll zahlen; einige, wie Gold und WufFen, durften
ühfriuiupt nicht ausgeführt werden. Die nieisti'n Produkte des Auslandes unter-
lagen einem Einfuhrzoll. Natürlich entwickelte sich an der langgedehnten (irenze
auch der Schmuggel, und die Besatzungen der Wachttürmc hatten die Aufgabe,
dem heimlichen HerUherHchleichen von Landstreichern und Schmugglern*) nach
Kräften zu wehren. —
Abb. S. Onrndrifi d«r 8«*lbarg.
Indem wir uns nun der Aufgabe zuwenden, die wichtigsten Ergehnisse,
die Jacobis Forschungen im Sjuilhurggebiete ans Liclit gestellt haben, in Kürze
zusammenzufassen, handeln wir zuerst über Lage, Bauperioden und Einrichtung
des Kastells, dann über die Lagerstadt und die Villa, zuletzt über die Thätig-
keit der Soldaten und der Zivilbevölkerung sowie einige Punkte der Technik.
Wir werden dabei, wo es lorderlich erscheint, die schriftliche Uberliefenmg
zur Vergleichung heranziehen.
') Clattdrsdni httriiuctthnuH transitus C. 1. L III HSh5.
K. SehnlM: Die Anlage des obeigermuiiieben LiniM mid dM ItBmeilEMteU SulbiUjg, 273
Die Saalburg (Abb. 2) liegt nördlich von Homburg t. d. Höhe auf einer
«wthiii sicbibioreii EinsMlniig des Taunusgebirgea an einem alten Verkehrs-
mg» der germaniadien Stimme. Hit der porta praetoria den Chatten im
Lihiigebiete zugewandt, hatte aie die Aufgabe, die untere Mainebene vor Ein-
fallen von Norden her zu schützen. Als Sperrung des Eöppemer Thaies,
durch das jetzt die Homburg- Usinger Bahn geht, stand ihr im Osten das
kleine Kastell bei <ler Lochmühle zur Seite; weiterhin folgte die Kapersborg
bei Friedberg, westlich la^ das Kastell 'Feldlterg'. Mit Mogontiacum, dem
Sitze des Statthalters von ObtTgernianieu , stand die Besatzung der Saalburg
durch die iilier Höchst führende Heerstraike in Verbindung. In Hüdlicher
Richtung führte eine zweite, 1-4 km lange Strafse nach Novus vicus illechlein-
heim; Wolü", Lim^bl. S. 274). Eine dritte steiitc, nach Osten abbiegend, die
Terbindung mit der Wett^an her.
Dentlieh laaaen sich drei Banperioden der Saalbnxg unterscheiden. Gegen
Ende des ersten Jalirhunderts unserer Zeifa«dmung legten die Romer ein kleines
Erdkastell von 91 m Länge auf der PaTshShe an. Im Jahre 1894 ist es Jacobi
gelungen (S. 6l Ta£ TV), innerhalb des jetzt sichtbaren Kastells und zwar unter
dem Pflaster einer späteren Lagerstrafse die Profile des dem ErdkasteHe 7m-
gehSrigen Spitzgrabens zu finden und den gshxen Umfang dieser ältesten An-
lage festzustellen. Im zweiten Jahrhundert reichte diesp kleine Festung zum
Grenzschutxe nicht mehr aus. Es wurde dnhiv ein etwa viermal so gmises
Kastell mit steinernen Auisenmauern angelegt, ihm gehcirt ein grofser W idmungs-
stein zu, der, im J. 140 n. Chr. dem Kaiser Antt)ninub l*ms zu Ehren gesetzt,
bis jetzt die älteste am Limes gefundene Inschrift bietet (S. 273). Dieses
Kastell bestand bis etwa 220. Darauf wurde das letate, jetst noch sichtbare
Kastell gebaui Es wurde dabei mit grofser Hast TsrfiihrMi. Gut behauene
Gew51bsteine warf man in die Lficken des WaUes, in die eine Heng^ Brand-
idmtt hineingeriet In der Wallerde hat sich das StOck einer Ghuscfaeibe ge-
ftunden, deren fibrige Bruchstücke in der bürgerlichen Nicdi rlassung zusammen
mit einer Münze des Septimius Severus (gest. 211) zum Vorschein kamen, und
die bei der Aufschüttung der Erde in den Wall hincingeratenen Münzen
reichen von der Zeit des Antoninus Pius bis auf Caracalla fgest. 2171 T^^ter
Si'VtTUH .M^'xander (223 — 2*-?.') i wurde diirch das Vordringen der Alanianutjn
lii*; Mainebenu und das Tauimshmd uusiiduucr BoHitz. Von (fordianns III.
(238 — 244) hat das Saalburggeluet noi li 114, vua PhilippuH Arub« (244 249}
3 Münzen geliefert. Bald darauf ging unter Gallienus (gest. 208) das über-
rhemisdie Gdnet den BSmorn TSrloren, mit ihm die KAstelle am Limes, die
auch Probus (276 — ^282) nicht dauernd behaupten konnte.
Das uns erhaltene Kastell aus dem dritten Jahrhundert ist ein Recbtecl^
dessen Umge Seite 221,45 m, dessen kune Seite 147,18 m mifst Da nun der
romische Doppelschritt 1,479 m hat, so liegen offenbar die Mafse 150: IfX) passuft
zu Ümnde. Die Schmalseite ist demnach um ein Drittel kürzer als die Lang
»eite. Damit wird die Forderung Hygins « rfüllt: castru, in qHantutn fieri
potuerii, tertiaia tsM' debtfyw^ (de mutt. castr. 21), die er durch das Verhältnis
Nmm iaIuktolMr. 199», I, IS
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274 £• Schulze. r)ie Anlage de« obergennaniacheu Limeit und das üöiuerkastell Saalbtirg.
3400 : 1600 Fuls erföntert. Eine zweite Forderung Hygins lautet: angidos
castromm ewdnari oportet (c. 54). Die Abrundung ist an der Saalboig mit einem
Halbmesser von 40 Fufs (8 passus) vorgenommen worden, denn an zwei Ecktn
hat die Messung einen Radius von 11,70 und 11,93 m ergeben (Jacobi S. 81.
Vgl. u. Taf. I Abb. 5). Daa Terrain für ein Kastell soll mu:h IIv„nTi wo möglich
so ausgcsuiht werden, dafs es sich von der porta decnmaim iiüch der dem
Feinde zugewendeten porta praetoria ein wenig senkt. ^) Genau in dieser Weise
ist die Saalburg oingeriditet Die pwta deenmaiia, dnren swei Ein&lirlen von
Tfirmen flankiert werden, liegt an der höchsten Stell« des QelSndes. Von hier
senkt neh der Boden nach dem Feindeslande za nnd etreicht an der Nordosi-
eeke des Kastells mit einem Höhenunterschiede von 6 m seinen tiefsten Punkt.
Dort (Abb. 2Z) fliclsen die sich sammelnden Wasser unter dem Walle hindurch
ins Freie. Die unterirdische Kanalisation des Kastells ist auch heute noch ao
wirksam, dafs der Baden selbst nacb heftigen Regengüssen rasch trocken wird.
Das Kastoll ist von einer 2 ni dicken Wallmauer umgeben, die mit Zinnen zura
Schutze der Verteidiger ausgerüstet waren. Die Mauer war, um sie vor dem
Eindringen der Feuchtigkeit zu schützen und ihr ein freundliches Aussehen zu
geben, mit Kalk veiputEt nnd angeetriohen. An Tfirmen des Limes haben sich
Stttcke gelben Verpaises mit quadraiförmig eingesdmittenen roten Fugen er-
haltm (S. 44). Die Renne, dar sdimate änlsere Umgang um die Uaner, war
mit Steinplatten belegt. Ein doppelter Spifagraben, jeder von 7^ m Breit^
erschwerte dem Feinde die Annäherung.
Von den Gebenden im Innern des Kastells können wir nur das Wichtigste
hervorheben. Das l'rütorium, ein umfangreicher Bau in der Mitte des Lagers,
hatte zwei »Stockwerke und enthielt mehrere heizbare Häume. V^on einem
Peristyl sind die mit Pfosteulöcbern versehenen Steine, welche die Holzsäuleu
trugen, erhalten. Als Sockelsteine sind auch drei Stücke der oben erwähnten
Dedikationsinschrift för Antoninns Pius benutzt Hier im Hofe stand «uf
einer steinernen Basis eine fibwlebensgrolSM» Bilddlnle ans Bronae, Ton der
Bnichstttcke erhalten sind, wahrscheinlich eine Vietoria. Bin kleiner Steinban
von quadratischer Grundfläche, 0,20 X 5,80 m, war das Sacellum, wo die Katser-
bilder und Feldzeichen aufgestellt waren und wo die Ersparnisse der Soldaten
aufbewahrt wurden.*)
Nördlich vom l'riltorium ist eine elliptische Vertiefung von 27 in Durch-
messer in den Rockn liineingeail)eitet. Reste von Unterbauten für Zuschauer
lassen den iiaum aln ein eiiifuches Amphitheater erscheinen, in dem -- nach
den Funden von Sporen und Hufeisen zu schUeAen — besonders Reiterkunst-
*) Cap. 66: Kam gjuoä aHtiiMi nä «oüt deeHonm «n tMuenäa «MfoKoee, jpiimmm loetm
JuAent, fiuu tx WMpo in ewitientiam lenUer nitoUuntur , in qua potitUme porta iedmana
eminent:>^imo laeo eowrttfwfaw, r^füMws eiw(rt« wbiacemi, Porta praetoria omper hottem
speclare debel,
*) Vgl. V«getiiM, Epit. rei mtUi. U 90: JUml vero ab aaH^i» divhtitat mriflMfum toi,
ut ex donafiro, quod taüiteg eoiMwiMrtiir, dümdiia par$ a^jotttrarehir apu4 oigna tt ^idtrn
iptit militilnu $ertiarettur.
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E.8ci«lM: Di« Aalag» dei obnjgvmMiiKhw Umes und da« Bdoierkastoll Saalbm^. 275
itQcke vorgeführt wurden, um die Langeweile des Lagerlt-iiens zn verfchfuclu-n.
Einen 38,f> m langen. 11.;') m breiton Bau ohne alle ZwiHcheumauern südlich
rom Pratoriuiu hat von Cohaunen ab Exerzierhalle bezeichnet Hier kounteu
bei idileehteiii Wetlw neh di« Soldatai in B««i Abteilungen im Werfen dee
POoine ttben, ihre Feehfkfinete gegen ei]umd«r oder gegen einen Holqpfthl ver^
ntkok und bewaffiiei auf ein hdheniee Pferd ^ringen. ^) Reehte und linkB
fom Pritorinm standen die Baracken der Soldaten. Diese hatten Ter-
iduedene OrSlsey 4x8 bis 6 X 12 m. Dae Holzfachwerk des einstöckigen
Biues, das mit Lehm Terpntafc war, mhte anf »Sockelsteinen. Der Fiifshoden
wurde her^stellt, indem man auf einer Steinpackung einen sehr festen Estrich
auf» Lehm mit Einmischung von gohfirktom Stroh und Farrcnkraut und mit
Kmstreuung feinen Sandes herstellte, In cler ^^itte hat th^r Hfiden eine von
^p-oisen St<')nen inngrenzte keilerartige Vertiefung, die zur Aul i»e Wahrung von
Vorräten diente und mit Brettern bedeckt war. Feuerstellen, von Steinen um-
stellt, Ündeu »ich auf dem Lehmboden, den die Hitze allmählich zu einer
xiegelartigen Masse TerhärteteL Der Ranch, fSr dessen Abaug Schornsteine
mdit vorhanden waren, mulirte dordi eine Öfihnng des Dadies abaiehen. Die
Wina worden wohl oft mit TierfUlen TcrUingt, um das Eindringen der
btten Lnft an verhindem. Um das Dach heranstellen, fang man anf das
I«ttenwerk zuerst eine Schicht Strohlehm auf, auf diesem befestigte man dann
Legen von Stroh oder Schilf So wurde das Dach fest und weniger feuer-
gefährlich. Stücke von solchen mit Lehm verdichteten Strohdächern haben
'^i'li im Sihiitte gefunden.*) Vielfach wurden atieh ffir hessere Wohnungen
cm lange Sehindein aus Eichenholz für <li<> Rcdaehung henntzt.'') Zur Er-
hellung der langen Winternäehte diente chiH otfene Herdfeuer und «laneben
Fackfchi, deren unteres Ende in eine in die Wand eingeschlagene eiserne Hülse
(Tat 46, H) gesteckt wurde. Talg xmd Wachskerzen, deren Gebrauch durch
die Anffindiutg vendiiedenarlager Lenchter bewies«! wird (Fig. 72 S. 460),
und Öllampen waren wohl nur im Besita der Offisiere.
Backofen nnd eine EOche, deren Eessetommanerang anf gemetnschaft*
liebes Eodien ftr die Hannsdiaflen schliefsen labt, fanden sich anf der Osi*
leite des Eaatells. Anf derselben Seite lag, unweit der porta decnmana, das
' V^jl Ve^'pt IT 2^: rV tfiiiji^irr hiimin fle tffiuli\ rrl !sf!udHli< . . Irgerrntur ({iinrdmtt
ttiut bafiltcae, in quihm ItmpesUiie vcl rmiis aerr turhato ituh tfcto armis muiieitatur
wnUm. I 11: Non tafUum mane, sed ctiam poai tneridiem excreelHintur ad palos . . .
OttOn iUum palum tam^tam eontn advtnariHm tiro w exetedbaif mt mme fuati capmt ant
facim )K'Urcl, nunc a lateribua luinaretur, interdum t-onUnderet poplHes tntcddere. I 18:
Equi iignei hietiir sub trcto, arstate pftnthantur in campo; supra hos iuninr^p jrrimn
MerMH», (Zum coMueiudv proficeret, deindt armati coyebantur (ticentiere . . . non solum a
dirilTHi, Md etwa» a «tHMfri* paiiiSbm imriKm H äuSin,
*, S. 90 223 2,-!?.: n.'konstruktioil Tuf. XI 1. Vgl Ovid. Met. VIII CSÜ, WO «• TOm
Uau«e Philemonfl In ifst: >^i;>u/;s et ooNNa keta palwOri; Caes. 6. Q. V 48: amm, fiiae
*ore Gallico gtrautentts rranl Uctae.
*) Vgl Plm. Neil. bist. XVI M: Sea$tdtito conUetam üimam fuitte ad P^rrki ut^e
18*
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276 Scbttlse: Die Anlage des obetgenoaiüicben Limw imd das BAmerlowteU SMdlraig.
Magazin. Der lateiuiscbe Name hürreunt ist ana durch die glücklich auf-
geftafidme Bsninsdhrift des entapreelienden GebSadM der Kapenbug sicher ge-
stelli ZaUreicihe Panllelinsaftni dienten den Balken dieses Gtebindes als StDtsa,
damit der Boden eine grofse Last von Ctetreide tragen könne. Doppelt ge-
krfimmte eiserne Haken und Knochen von Tieren beweisen, dafs hier audi die
Vorratskammer fiir El.eiBch war. Die Knochen rülireii von Rindern, Scliafeii,
Schweinen, Auerochsen, vom Sumpfschweinj Edelhirsch und Reh her. Kleine
Altäre und Steinbilder des Qenius centuriae standen auf steinernen Sockeln
an der Ln^ergasse westlich vom Prütorium (S. 4ü4j. Das Wasser für gewerb-
liche Zwecke wurde in nmden, 2 — 3 m tiefen Zisternen Abi). 2C\. die mit
Letten ausgestampft waren, gesammelt (S. 1-4Ö). Um zum Trinken uii*l Kothen
gutes Wasser zu gewinnen, gruben die Kömer Brunnen, deren bis jetzt sechs
im Kastell, ochtunddreilsig in der bürgerlichen Niederlassung gefunden worden
sind. Die älteren von ihnen sind viereckig und mit eiehenen Bohlen verschall^
die jüngeren sind rand und mit Bradisteinen ausgemanert. Über den BronaeD
ging dn von awei Pfosten getragener Querbalken, «n dem mittels eines Eisen-
beschlags eine Rolle aus Eichenholz angebracht wurde. Ein Eimer mit
eisernem Henkel wurde an einem Hanfseile, das über die Bolle lief, in den
Brunnen hinabgelassen und gefüllt wieder herau^eaogen. Alle genannten
ßegenstände sind bei den Ausp^-abnngen gefunden worden und jetzt in dem
Museum im Kurhiiuse ZU Homburg aufgestellt Die Tiefe der Brunnen geht
von 6 bis zu 14 in.
Wie an bnudert anderen Orten, so entstand auch neben dem Kömerkasiell
Saalbur^ eine bürgerliche Niederlassung. Händler, die dem Truppen-
kSrper getolgt waren, und ausgediente Soldaten, die ihr Standquartier und ihre
langjährigen Kameraden lieb gewonnen hatten, siedelten sich Östlich und west-
lich^ besonders aber auf dem Sfidabhange vor dem Kastelle an, betrieben hier
Garten* und Ackerbau, mandierlei Ibndwerke und Tor allem Seh«ikwirt-
Hchaft.'^) Unweit der porta decumana liegen parallel mit der Hauptstrabe
fünf kleine Wirtshäuser (canabae), in denen sieh die Soldaten au starken
pflegten, wenn der anstrengende Dienst zu Ende war. Gut gemauerte, durch
Kanäle trocken gehaltene Keller, in die eine Treppe hinabführt, dienten zum
Aufbewahren von (ietrünken und Mundvorrat. Grofse, an die VV'rtnde an-
gelehnte Amplioren, Bruchstücke von Trinkgläsern und Thongelülsen und die
zum Aufstellen von Milchtöpfen geeigneten Nischen beweisen dies. tTber den
Kellcrmauern lag eine horizontale Decke von eichenen lialkeii und darüber er-
hob sich der ans Fachwerk mit Lehmi^nden hergestellte, mit ein«n Schiefer-
dach abgeschlossene Oberbau. Hinter jedem dieser Hauser war ein Hof mit
Ziehbrunnen und kleineren Nebengebäuden. Die Besatsung des Kastells der
S. iöl; vgl. Veget. IV lU: Si natura tum praesUit, sc. pereooes fontai, cutH$iibet
ttttittidinig effodiendi mnt putei aqnantmque hamhts f»nibu* extrahemäL
*i Vgl. rctemm et eivn Bamam eantktetita ad eainaha$ kgimi* V Maeedmukai
C. J. L. lU 6166.
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E. Schulze: Die Anla^T <li s oberf^cnnaniiicbcn Lünes und daa Römcrkastell Saalburpr. 277
zweiten Periode hat, wie die Funde darthun, manches Geldstück in diese
Kneipen getragen. Einer der Marketender fcfinabenses) ist bei einem feind-
lichen Uberfall in den Keller geflüchtet und dort von den Trümmern seines
brennenden Hauses eracklHgeu worden (S. 117). Ein Schlachthaus, von
Wohn uiul Wirtschaftsgebäuden umgeben (Taf XIV 1) stand an derselben
Stralse nah beim Kastell. Im Hofe war eine iiuäaltstcinplatte eingeniiiuert,
in der ein grofaer eiserner Ring befestigt isi Sin dnrch diesen King gez<;gene8
Seil diente dun, das xnm Sehlsehten bestunmte Tier niedersusiehen. Der
Fond Ton Trensen, WagNibeeehlagen, Ketten und von/i^n dicht bei einander
fixenden HnlÜBen beknndet, dafs hier anch wt Auaepann fSr die aus der
Ebene herHofkonuneuden Pferde war. Dem Handel und Verkehr diente ein
50 m langes, östlich vom Kastell an einer ins Ausland führenden Römerstrafse
gelegenes Kaufhaus. Es hatte eine überdachte, aber nach Ostei! hin offene
ITalle, in der an Markttagen Handelsgepchäfte zwischen Knmern und Germanen
HbgoHthio.ssen wurden. Verschiedene Hit'UDe mögen zum Aufbewaliren von
• ntreitle und als 8t«llnngen zu voniliergL-lieiider Aufiialmit' von Vieh gedient
Labea. Ein Zimmer war durch ein Hyjtokaustum heizbar (S. 124 Fig 19).
Vielleicht brachten die Chatten auch Kriegsgefangene feindlicher Nachbar-
«ttnue Hierher anm Y^kanf.^)
Dea atattlieheie von allen Gehenden der Saalbnrg ist die aftdweatiich vor
dem Kaaiell gelegene aogenannte Villa. Hure Aufaenmauem, die anm Teil
heute noch 2 m Aber den Erdboden herrorragen, umaehliefaen elf gesonderte
Räume, von denen acht durch Hypokausten heiabar waren. Der schönste Saal
hat eine Länge von 12,50 m und eine Breite TOn 6,25 m. Er ist auf beiden
Seiten durch halbrunde Apsiden abgeschlossen, war durch bemalte Stuccatur
der Wände verziert und besafs in bedmtenfler Höbe über dem Fufsboden
Fensteröflfhungen , die durch Glasscheiben da» Sonnenlidit, dem die «ine der
i\psiden zugewandt ist, cinlielstin ^S. 118 — 122). Der eben erwäluite Saal er-
iQuert mit seiner nach Süden liegenden Apsis, seinem Hypukaustuni und den
Leitungsröhren für die warme Luft an ein Zimmer des Landgutes des Plinius
bn Lanrentum.') Und wmn Plinius von seinem Landhause aus weithin die
bknen Wogen des Meeres überschauen konnte, so schweifte der Blick des
höheren Offiaiers oder Verwaltungsbeamten, der die Villa bei der Saalburg be-
wohnte. Ober die fruditbare Mainebene bis hinüber an den blauen Bergen des
(Meawaldes.
Ohne Zweifel waren die Fufgböden einsbnalB mit Matten und Teppichen
belegt Ein sehr gut aementiertes Badezimmer, das aus einem nahen Brunnen
' ^rmmacb. £p. TI 78: (^htoninm H^rvorum per Umitem facUü inveMtio ei früiiitm toki
tue toUrabik, te dtprecor, ut XX luvenes itUteas comparari.
*) Bpift n 17, 8: ckAhmInm in hap$iäa eurtatum, quod tmbUvm »qIU fenutri»
omnihua uequitur . . . A^taent doriuil"ri'im inembrum, trattsitu inUriacenU, qut suspcnsua
tt tubulatug concepttim mjwrrm .«ilubri temperammto huc iUm digerit et ministral ; vgl.
V 6, 24; cwdtcuium hieme tepitiismmum, quia plunnu» sole perfundilur. Cohaeret hypo-
«««•loa, c( f» im «aUliit, minwmo ««jnnw «1» mom tugght.
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278 Schulze: Die Anlage des obcrgertuaniHchcn Litues und daa Römerkiislell .Saalburf^.
mit Wasser versehen werden konnte, diente dem Behagen der Bewohner. Blei-
röhren, die über einen hölzernen Kern gehämmert und mit Zinn zusammen-
gelötet waren, vermittelten den Abtluls des Wassers. Die Villa gehört in
ihrer jetzigen Gestalt der dritten Bauperiode des Kastell» an, denn es ist in
ihr ein von den Katern der Fortuna geweihter Votivstein aus der Mitte des
Abb. .t. PfeilerhypokaDitum d«r VilU.
A praefurniam; K eUiptitch erweiterter Heizraum hu« Ituialtiieiuea , m Ziegelpfeiler; C unterrr Boden det
HeUraumei; A — i SanditeUiplatte alt Vericbluri »inM zum /weck« der Itcini^DK f(el>**enen KintteignliKboi :
n n leobi al« Baachabzug dienende Uuhren; rr vertclillefitiarv OffnaDgeD im KuTibodeD zum Kinlataen der b^ifioa
Luft; fj) In die Wand cingubauler, nach dem Zimmrr iiffener, dup|>c>Ilvr Kanal zum Veutilieri'U. u Laftkanal,
der frische liOfl in den Vorraum dauu durch einen gutrugeneo Gang dfi in dai Hypokauatnm fahrt
zweiten Jahrhunderts als Deckplatte eines Kanals eingemauert worden (S. 277).
Es ist daher begreiflich, dals die Verbesserungen der Wohnungseinrichtungen,
die in Italien im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Eingang fanden —
Glasfenster und Luftheizung — in diesem vornehmen römischen Bau des dritten
Jahrhunderts, dem rauheren Klima Gcrmaniens entsprechend, zur Anwendung
kamen.' Über die Anlage der Hypokausten giebt Jacobi (S. 24ö — 260)
auf Grund genauer Untersuchungen eine ausführliche Darstelliuig, die durch
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B. Sehnlxe: Die Anlage des obergermaniielieB Umw und du ESaierkaitel] Saalburg. 2t9
eine Keihe von Abbildungen noch anschaulicher gemacht wird (vgl. Ahh. 'i).
Der Boden des Heizraumes ist, wie Vitruv (V 10, 2) vorschreibt, so üiigclcgt,
dals ein hineingeworfener Ball auf der geneigten Fläche zum SchQrloch zurück
rolÜ {sokim ineUiiahm ad hypocausim, «t pUa cum witMiir n<m jpoBsU itUn
femfinvy $eä rwsua reäeai ad proefunmm ^nw per ae). Die aus quadratiMhan
fiMsksteineiL hwgeitaltten Pfeiler bAben eine HoKe von dnrchadmittilick 74 cm.
Auf ihnen liegen grofse Ziegelplatten und diese tragen den 15 bis 30 cm starken
Estriehy der die Wärme des Fufsbodens lange gleichmafsi)^' erhielt. Dem Schflr-
loch <:;egenüber stehen an der hintern Waiul seclis ühortünchte Hohlkachcln
(tuhii, die an Stelle eines einzigen Schornsteins von grofsom Qtifrdurchmesser
deu Huudi durchs Dach ins Freie führten.') (jeheizt vrunle nicht mit Holz,
sondern mit Holzkohlen. Nach Erlöschen des Feuers wurde durch einen Seiten-
kanal frische Luft in den durchglühten Heizraum eingeführt^ die den Wohn-
mam erw&rmte und sagleich vortreflnieb ventiliarte. Die Yerwendimg der
HypokaitBten rnebt weit im Mitteklter hinein. Die Ritter in Itarienbni^ nnd
die Mfinche des doetere Menlbronn beben die sehr iweekmUsige Hetseinricb-
tnng dee Altertoms beibebalten.
Nur ganz kurz sei noch der Begräbnisstätte gedücht, die sich rechte
und links un der nach Süden führenden Hatiptjjtrafse hinzieht. Etwa 250 Graber
Bind geöffnet worden i S. 133). Sie bergen fast ansHchliefslich die Gebeine
wenig bemittelter Lente, deren Leichen anf einen mit Bruchsteinen unter-
mauerten, 6 m im Quadrat mcbscudcn VerbrenuungHplatze (ustrina) dem Feuer
übergeben worden waren. Die Knochenreste wurden dann auf einen Thonteller
gelegt und so in eine mit Steinen lunstellte Grabe gethnn nnto' Bei|^be
kleiner Lampen, Krflge, Mllnnen nnd unbedeutender Schmuckncben. Mit einer
rohen Steinplatte wurde sodann das Grab geschlossen. Ein steinernes Han%
der Ustrina gegenüber, inmitten des Friedhofs gelegen, das seine Thür der
Landstrafse anwendet, hatte wohl den Zweck, als Leichenhaus m dienen. Hier-
her schaffte man die Leichen sofort nach Eintritt des To<le8, nni ««ie nach Ent
femnng ans den Wohnräumen der Überlebenden einige Tage bis zur feierlichen
Bestattung aufzubahren.
Versuchen wir es nun noch, uns ein Bild zu machen von der Thätigkeit,
die einstmals im Kastell Saalburg und seiner Umgebung von der Besatzung
mid den bürgerliehen Ansiedleni entfiJtet wurde. Wir sehen dabei ab von
den eigentlich müitiriadien Aufgaben, der tlglidbien Übung im Harsebiaren
und im Gebrauehe dw WalBm, dem Beudien der Wachen an den Durchgängen
durch den Wall und in d^ benachbarten Tflrmen des Limes, dorn Patrouillieren
jenseits der Grenze u. s. w., und richten unsere Aufmerksamkeit auf diejenigen
Arbeiten, die der Hebung der menschlichen Kultur dienen, und deren Aus-
ühunsT im SaHlljurggebiet dnreh die Fnnde von Werksseagen, von fertigen nnd
halbfertigen Er/.uugnis8en sicher gesteilt wird.
*; Vgl. fcneca, Ep 90, 2Ti: Quifdam nngtra dem*im prudix^f wrmoria scimu$, Mt tutpen-
IMTM bahußorum et impresto$ parietibut tuboi, per gwoi drcumfumkrdMr ealor, fui inta
D
380 Schübe: Die Anlege des oberfennaniMhen LiineB und des ROmerkeatell flaeUnng.
Es galt als Grundsatz, daik im röuiiächen Lagt^r liniuiwerker zur An-
fertigung aller dem Heere nötigen Dinge vorhanden sein mülst«n.') Für die
Erdarbeitoi finden «ich die nötigen Werkseuge wie Hacken, Spaten und
Sdiaofeln. üm Steine f&r die Kastellmauer und den Bäneerbau au gewinnen,
haben die Rdmer ein«i Kilometer Bfldlich von ilirem Standlager swei Stein-
brfiche im Tannua angelegt, ans denen eie Qnanit holt^ Sdiiefer f&r die
Herstellung der Dächer wurde am nordlichen Fufse des Feldberg^ii gewonnen.
Basalt lieferte ein Steinbruch bei Obererlenbach, Sandst^ das Ufer der Nidda
bei Vilbel, doch ist der feinkörnige gelbliche Sandstein, aus dem eine Geniu»-
statue hergestellt worden ist, !»us der Gegend von Trier herbei^schafft worden.
Durch genaue Untersuchung der Steinart<»7i sind die Orte ihrer Herkunft fest-
gestellt worden. Eiserne Keile und Hämmer zum Losbrechen der Steine sind
zum Vorschein gekommen (S. 218 Fig. 32), auch ieklt es nicht an Kellen zum
Auftragen des Mörtels (trulla). Den Kalk holten die Römer aus Gruben aa
der Nidda, die aum T«l wegen ihres guten Iflateriab das ganae Mittdalter
hindurdi in Gebrauch geblieben sind. Ziegel wurden hauptsSchlieh bei HSdiit,
wo sieh Brennöfen gefunden haben") und an anderen Stellen der £bene hw-
gestelli Der Lehm wurde sorgfältig gereinigt, gut geknetet und dann knchen-
artig festgeschlagen, so dnCs die römischen Ziegel sogar die modernen Maschinen-
ziegel nn speaifischem Gewicht übertreffen. Mit den reich verzierten Stempeln
der ^2. Legion versehen, deren Mannsclmflen aus MninT: zur Fabrikation kom
mandiert waren, wurden Ziegel in gewünschter Anzahl an die Kastelle im
Taunus al)gegel>en. Die Richtigkeit der Lieferung wurde durch einen Ab-
nahmestenijie! 'im<tn»n fecit' bescheinigt.
Holzurbeiteu aller Art wurden von den Römern im Tauiuis selbst aus-
geführt. Der Urwald, der dieses Gebirge bedeckte, entiiidit keine Tannen, denn
Tannenholz findet sidi weder unter den bearbuteten Stocken aus dem Schlamnie
der untersuchten Brunnen, noch unter den Besten Terkohlten Holses. Auch
steht urkundlich fest, dab erst im siebaehnten Jahrhundert bei Homburg
Tannen angepflanzt worden sind. Die Eiche war der am meisten verbreitete
Waldbaum und wuchs zu Stämmen von gewaltiger Gröfse empor. Dies ent-
spricht ganz der Beschreibung, die Plinius vom Hercynischen Walde giebt.')
Die Rönn r ]viben diese Riesen des Urwalds gefallt und mit Säge und Beil tu
Balken und Brettern verarbeitet, wie sie nur ein Stamm von mindestens cui
Durchmesser liefern konnte. Aua Eichenholz haben sie, so schwer es auch zu
*) Yeget. II 11: Habet praeterea legio fitlbiros tignartos, ^trudoret^, mrpentarios, ferrariot,
piclores reliquosque nrtißcef; ad hibemorftm netUficia fahriinmht . . . [{ntichaut cfinm fiihrienf
»cutariMfloricarias,arcmrtas. Haec enim erat cura praecipua, utguicquid exercitui nectt-
«MttM« tid^ahtr, ntmigiiam detmt tit eotkiB. I T: I^abn» ftrrarios, earpeHtariM, mae^anm
H egrrorum aprorumqu« venatom eonamit toeiwre müitiae. IL U: SahA (fe^) od fottanm
Optra facienda hidaites, Itgone^, ptilni', rutrn , nlrpo», cofinoa, quihus terra portetur. Habet
fitoque dohifn-as, secures, ascias, serras, guibus matcrie» ac palt dedolantur atque tferruiUitr.
') Vgl. G. Wolff im Azdiiv fflr Fraakfarte Gesditclite und Kunst m S1S^846.
*) Nat. h. XVI S: JZoforiNii vattUa$ iwtacta twti* tt eonfftnUu wmndo pnpe immofUdi
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E. Schulze: Die Aiilago des obergerraanischen Limes und da« ROtnerkaatell Saalburg. 281
b««rimten ist, sogar das Dachgebälk hergeBtelit, das z. B. beim Exerzierhause
einen sehr Ijicitcn Raum überspannen mnfste. Bei tlem grofsen Waldrelchtnm
des Taunus wurden von den Röm» m ;in versehiedinfn Stellen, auch nahe bei
der Saalhurg (S. 553), Meiler angelegt, um Hol /.kühlen und damit ein mög-
lichst raurlifreies Feuer zu erzielen. Zum Anbrennen hatten die Meiler eine
horizoniai in den Boden eingegrabene Zündgasse. Mit den hier erzeugten Holz-
kohkn wurde, ioweit man sie nidit im Kastell verbrauchte, ein reger Handel
m die Hftinebene limab getrieben.
Heben den Arbeiten des Zunmermanne irard«) feine Tiachlerarbeiten Ton
geachiekten Handworkem auf der Saalburg hergeaieUi Das wiehtigete Werk-
»og dea Sdureiners, der Hobel (mneina), ist in Terschiedenen Exemplaren ge-
fhnden wordw, und awar sind die Eisen nicht nur zum Hobeln von litten
Flächen, sondern auch zum 2^hnen eines Brettes und zum Einschneiden von
Profilen eingerichtet (Textfigur 29 und 31). Auch feine Zirkel sind zum Vor-
schein gekommen, dnrnnter einer mit vier Schenkeln, von denen die zwei
kiiraeren ein Drittel der Spannweite der längeren messen. Von Drechslern
sind hölzerne Schüsseln, ninde Sehaehteln. IJollen nnd ähnliche Dinge, ferner
Haarnadeln aub Horn hergestellt worden. Da sich öfter halbfertige Nadeln
und angeschnittene Stücke von Hirschgeweihen gefunden haben, können wir
sieht daran sweifeln, dals die Arbeiten beim Kaatell selbst gemaeht wurden.
Gerbereien sind im nichstan Umkreis der Saalburg nicht gewesen, sondern
dsB Leder mulste aus grSrseren Fabriken besinn werden. Aber alle mögliehen
Lederarbeiten, vor allen Dingen die derbnn Söldatenadbuhe, sind an Ort und
Stelle angrfmfigt worden, denn Schusterhämmer, Messer, Pfriemen, Ahlen
und sonstiges Schnhmaeherwerkzeug sind in reichlieher Menge zum Vorsehein
gekommen. Auch Zaum- imd Riemenzeug, Gürtel und Lederkoller wurden an
gefertigt und anst^ebegsert. Der Brunnen Nr. 18 hat uns ein abgenutztes und
geflicktes Lederwams aufbewahrt.
Sehr eifrig wurde die Bearbeitung des Eisens auf der Saalburg betricbeu.
Im Mai 1895 entdeckte Jacobi nördlich vom Pfahlgraben, bei Obemhain, einen
tiefen Schacht, in dessen obersten Teilen sich Scherben von fränkischen Qe-
fafiKn fimden, wahrend tiefer unten BruehstBcke von terra sigillata und andere
Ckgensiftnde aweifellos rSmisehen Ursprungs zum Vorschein kamen. In der
TXÜtd dieses Eisenbergwerks fanden sieh die sehr gut erhaltenen Ubwreste von
Schmelzöfen (S. 556), in deren Nachbarschaft sieh grolse Schlackenhalden aus-
breiten. Auch Meiler zur Bereitung von Holzkohlen waren zur Zeit der Römer-
herrschaft an derselben Stell' in Thatigkeit. An diesen Schmelzöfen ist in
der Römerzeit mit gröfster Anstrengung gearbeitet worden. Vennntlieh waren
es die auf der Saalburg als Besatzung liegenden Käter, die ihre heimatliche
Vertrautheit mit Ber^rliau und Hüttonwesen hier im Dienste der Kr)mer be-
wahrten. Bewundernswert sind die grofsen eisernen Ambofse, die sie mit ihren
nOTollkommenen Vorrichtungen herzustellen verstanden. Der grölste dieser
Biienblöcke, der 1,40 m hoch ist und 484 I^nd wiegt, hat seinrngleiclMn
in keuiem anderen Museum. Er ist nicht gegossen, da man den nötigen Hitae-
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282 K. Schulze: Die Anlage do« obergennaniHchen Limed und das Itömorkiist«!) .SaaUxirg.
grad zum Eisengufs nicht erzeugen konnte, sondern aus zehn einzeln ge-
schmiedeten Blöcken allmählich mit unendlicher Mühe bei Weifsgluhhitze zu-
aammengeschweifst worden. Auf solchen schweren Ambofsen schmiedeten die
Römer in Waldschmieden beim Dreimühlenborn — nicht weit vom Pfahl-
graben — Wagenreifen, Brechstangen, Meifsel, Beile, die Thürangeln für die
grofsen Thore, Hämmer, Hufeisen und ähnliche Dinge, die der Erdboden und
die Brunnen zu Hunderten aufbewahrt haben. Auf kleineren Ambofsen, die
in einen Holzblock eingesetzt wurden, wurden feinere Dinge, wie Messer,
Scheren und Pfeilspitzen geschmiedet. Ein Ambofs von eigentümlicher Form,
der oben ein enges rundes Loch und seitwärts eine Öffnung hat, diente beim
Schmieden von Xägebi. Ein Eisenstabchen wurde zugespitzt, glühend gemacht,
in der gewünschten Lange abgehauen und durch die obere Öffnung des
Ambofsea senkrecht hineingetrieben. Dabei blieb das obere, dickere Ende
aufsen und wurde als Kopf des Nagels breit geschlagen. Eiserne Giefslöffel.
in denen man Blei flüssig machte, um eiserne ThOrhaken in steinernen Pfosten
zu befestigen, waren im Kastell in Gebrauch; auch Bleikugeln und bleierne
Leuchter wurden in Gufsformen hergestellt. Die auf der Saalburg gefundenen
Hufeisen beginnen mit der ältesten Form, dem Pferdeschuh (solea ferrea). Diese
annähernd ovale Schutzvorrichtung wurde dem Tiere, wenn ea auf steinigen
Wegen gehen sollte, unter den Fufs gelegt und mit Stricken, die man durch
drei hinten und zu beiden Seiten angeschmiedete Ösen zog, am Hufe an
gebunden. So müssen wir uns den Eisenschuh bei dem Maultiere befestigt
denken, von dem Catull sagt, dals es ihn im Schmutze verliert.') S[^ter
nagelte man die Hufeisen an den Pferdeschuh an und machte sie — was
beim Ziehen bergauf, besonders bei anhaltender Nässe, zum Schutze nötig
war — breiter und stärker. Alle Werkzeuge des Hufschmieds: das Hufmesser
zum Beschneiden des Hufes, Hauklinge, Feile, Hammer und Zange sind unter
den Fundstücken. Auch die ganze Ausstattung einer Schlosserwerkstätte ist
aus den Funden der Saalburg zusammengestellt worden. Die oft sehr ge-
schmackvoll und reich verzierten Bronzegrifle der Schlüssel stammen aus
Fabriken, aber der Kamm wurde oft im Kastell zurechtgefeilt. Sehr beliebt
waren die kleinen, an einem Fingerring angebrachten Kassettenschlüssel. Auf
Einzelheiten können wir nicht eingehen, doch sei bemerkt, dafs gerade der
Abschnitt über die Schlösser und ihr Zubehör zu den gründlichsten und licht-
vollsten Untersuchungen des Werks gehört (S. 462 — 480, dazu Textabbild.
73—76 mit 191 Nummern).
Die besseren Glaswaren der Saalburg sind gewifs aus der Feme ein-
geführt, die Glasscheiben dagegen sind höchst wahrscheinlich in der Nähe —
am Glaskopf nördlich von Königstein — verfertigt. Dort sind, dicht am
Pfahlgraben, alte Glasöfen mit Bruchstücken römischen Glases unter vielen
Schlacken gefunden worden. Das römische Glas besteht aus Kieselsaure, Kalk
') Ferream ui soltam tenaci in roragine i»h7« (dtrelinquit^ Cat. 17, 26; vgl. Poppaea,
cnnittnx Ncronis principi«, »olem delicatioribus iutnenÜM suis ex atiro qtioque induere iusnt
Plin. Nat. bist. XXXIIl 140: • "^7. g.
I
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B. Scbnlze: Die Anlag« des obei'genianndi«!) Lüne« und das RihnerkBateU Saalbnrir. 388
und Natron und ist weniger hart als das moderne KHli'jlH«; ' i Die tiüssige
Glasmasse wurde, mn Fenftersclieihen herzustellen, nicht geblasen, sondern in
eine quadratische Form von 30 cm Seitenlänge auf eine Unterlage von feinem
Sande gegossen. Deshalb ist die Dicke der Scheibe ungleich, die Ecken sind
abgerundet, und die eine Seite ist rauli. Völlig durcluichtig sind Bolehe
Sdieibea nicht, dennoch leisteten sie fttr Erhellung der Wohnriome und nls
SchniE gegen die KUte unseliSlulmre Dienste.
Von den Arbeiten snr Oewinnimg der n6tig«i Lebensmittel sind Gemttse-
und Obstbau za enrahnen, wozu die nötigen Werkzeuge sich vollständig finden.
Wir nennen nur Hacke, Grabscheit, Reihen und Hippe (falx arboraria)').
Es !«t cl>ir»}iHU8 wahrscheinlich, dafs dir Mirab»^'lk'n und Kirschen, deren Kerne
ein ßruiiueii aufbewahrt hat, in den Gürten der römischen Ansiedler ^wachsen
sind. Zum Mahlt'ii des (Tetreides, das man zum gröfsten Teile aus der Main-
ebene, wo römische Bauernhöfe nachgewiesen worden sind, herauffuhr, wurden
Hand- und Sknlmfililen (molae mannsriae nnd asinariae) in Befaridb gehaltrai.
Mahlsteine haben sich mehr als hundert von 88 — 82 cm Dorchmesser ge^
fluiden. Sie sin^ aus der Basaltlava der Steinbrttche von Niedw-Mendig bei
Koblenz gefertigt. Auch der Yiebstand war bedeutend. Oloeken aus Eisen-
blech, den Schweizer Kuhschellen ganz Shnüeh, wurden wohl von dem im
Walde weidenden Vieh getragen. Sichdn (falz fiienaria) und Heugabeln, um
Winterfutter für das Vieh einzubringen, waren in bester Ausführung vorhanden
(S. 446. Textfigur 69\ Mit Pfeil und Bogen und mit dem Jagdspeer bo
walfnet zogen die SaalburgbewoLner aus, um Hirsche, Wildsehweine und
anderes Wild zu erlegen. Auch hatten sie, wie die heutigen Italiener, eine
greise Vorliebe f&r gebratene Uetne YSgel. Sie fingen sie mit w^tmasdiigen
Netaen'), die ihre Frauen mit einer doppelseitigen Filetnadel herstellten (s. T«xt-
fignr 71, 12). Enodien von VSgeln sind unter den HansabfSllen im Kastell
m Tage gekommen. Die Frauen kochten die Speisen in In^femm Sesseln .
oder in irdenen Töpfen (S. 245), das Fleisch brietoi sie auf eisernen Brat: s^fi n
nnd waren für Herstellung der Kleidung mit der Spindel und mit llRttmadein
aus Bronze und Eisen thatig fS. 45fi 503y
Ein re<;elmärsiger starker Watren verkelir ist bei einer Ansif-d'^luiiij von
der Gröl'se der Saalburj; an sich lüt lit zu bezweifeln, er wird aber noch bestätigt
durch das Auffinden von Rädern mit gedrehten .Speichen aus Eschenholz, von
eisernen Linsenhaltem znm Befestigen der Seitenhölzer des Wagen:?, von Achseu-
bfiehsen, Deiehsdringen und Ketten. Jn Wagenladungen schaffte man Back-
steine von Hdchst, Thongefftlse von Seulberg, Sandsteine nnd Kalk von der
Nidda» Oetreide aus dw Ebene bei Homburg und Obereschbach, Bisenstdn aus
*) Vgl. Plin. Nat. bist. XXXVI In Vnlturno amne Jtaliae harena alba nnurrnx . . .
pUa molave tcritur. Dein mUcetur tiibue partibua nitri . . . ac liqtMtis in aiiof fornaces
tnmtfimMtm. Ibi fit maam, quae voeahtr hammomünm, atqiie kaee reeoguUmr tt fU «ärmH
pttrum ac maam vitri candidi.
*) Vgl. Hör Kpod •>, I.'l: rnu(ilcs(pie fahe ramon nrffjmtaus feUrii>rt$ inserit.
*) Vgl. Hör. £{)od. äü: Aut amite leti rara tendit retia, turdü edacüms dolos.
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*iB4t E> Scbulse: Di« Anlag« d«R obenrenii«iii«!h«ii Lim«» und du RlIai«r1awteU Soollnirfr.
der Lahngegend ;iiif div IIölu' und licfuik' dafür den Bewohnern der Ebene
Holzkohlen und Wildbret. Den regelmälaigeii Verkelu- mit Mainz, der Kesidenz
des Statthalters von Übergernmnien, vermittelten die Kuriere fveredarii), die
ihrem Geuiu» auf der benachbart<;a Kapersburg einen Denkstein geweiht haben
(vgl. Hettner im Arck Ans. 1896 S. 195). Audi der Epona, der Scha^ottm
Maultiere und Fferd^ ist ebendort ein Relief mit InMärift geweiht worden.')
Die TUitigikeit von Ärsten.euf der Saalbnrg iat durch Funde sicher ge-
BteUt.*) Sonden (epectlla) dielten zum Untersudi«! von Wimdm, Piniefcten
(TolseUa) Bum Herausnehmen von SoiochcnspUttem, kleine Trieht» zum Ein-
träufeln von Ol, eine Zange von vortrefflicher Konstruktion zum Ausziehen
kranker Zähne (s. Textfigur 71, 6). Von Augenärzten wurden Salben zum Be
streichen kranker Augen verschrieben (vgl. S. 350 Okulistenstempel des Le])idus\
Auf die geistige Arbeit, die in der (irenzfestung geleistet wurde, können
wir mit Sicherheit von den bedeutenden technischen Anlagen der Horner
schliefsen. Dem Bau von Wegen, Schanzen, Türmen uui\ anderen Befestigimgen
muisten genaue militärisch technische Untersuchungen und Vennesaungen vor-
hergehen, und die Anlegung von Ziegeleien, SdunebSlBii und OlftshQtten ist
undrakbar, wenn nicht Torher an Ort Und Stelle auafllhrliche Baupläne mit
Berfichaichtignng des Geländes festgest^t und geseichnet wnrd«i.
Sehr viel wurde auf der Saalbnrg gesdirieben. Dies bezeugen 127 bei
den Ausgrabungen zum Vorschein gekommene Griffel, von denen einer dur4^
spiralförmig eingehämmerten Ooldbrouzedraht verziert ist. Auch 21 cm lange
Schreibtäfelchen aus Pinienholz, die früher mit einer Wachsschicht überzogen
waren, sind uns erhalten und Tintenfässer aus Wcifsmetall und Bronze, die
durch einen drehbaren Deckel nach der Benutzung verschlossen werden konnten.
Über jedes Kommando, jeden VVachtdieust, jede Beurlaubung, über Belohnungen
und Strafen wurde ebenso Buch gefuhrt wie über die Lieferung von Getreide
und Bekleidungsstücken. Auch zu rechnen gab es viel, nicht nur bei Empfang
und Aussahlnng des ftbr den Sold bestinunten Oeldes, sondern auch bei Auf-
bewahrung des Ton den Soldaten cremten Geldes, bei den Einzahlung^ fltr
eine Sterbekasse, bdm Absdilu& von Lieferungsvertrigen und bei Quittungen
Aber emp&ngene Zdilung. Deshalb sah mui darani^ unter den Rekruten auch
gewandte Rechner au gewinnen.*)
'l Vgl. Juven. Sat. 8, 1^)6 i" : Turnt mlam Epnnnm et fnn'e/i olida ad praesepia pictaf.
*) Veget. 11 10: Aegri contubemaie9 et medtci, a ^uibus curabanturt . . . ad eiu», sc.
praefeeti caitronun, MMfwfriiom perHmbaiU. Hygin. grom. 4: taithidilutria.
") V«get. II 19: Totius leffioni« rath the obsequiorum «ttw müUafium muntrum sivc
pfcttninf rnti'lie n(hcri'httHr acfis inuiorf jrrojtr (UJtgi'ittia , qtmm rcf nnnonarin i cl n'vi'lis
polyptychia adnotatur . . . ^uando qHta commeatum acccpent vei quot dierum, adtwtatur in
*) Veget. ib.: In qitifnttdam, sc. tironibus, notarum peritia, calaiUindi compntamlique
fIMM eligitur; 20: .Sflccii^. V»t quem tota legio particulam nhqunm ranfi-n hat. sepuUurae sctlicrt
tanua . . , ideo »igniftri eligebantur, qui et servare deposita scirent et singuits redäere
roHonem, Vgl. Sueton. Dowit. 7; Zangemeittar int Lunetblatt 8. 75; v. DomuMiraki, Die
Rellgioa im rOm. HeerM 8. 16.
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B. Sehnbe: Die Anlage dea obergemaniiekMi LimM und da» Rdmerkutell Saalbnig. 285
Ihre Ergebenheit ^egcn die Kaiser hat die Besaisaiig der Saalburg wieder-
holt dnrdi WeihinBchriftenj die sie dem Antoninus Pius, dem Mareas Anrelius,
Sei»timiui Severus imd Caracalla widmete, kimdg^geben. Die toh Korn aus
eHassraen Befehle worden aach im Tannns pflnktlich vollzogen. Ein im Jahre
1896 auf der Kapenbnrg gefundener Inschriftstein bezeugt, dafs der Name des
^Tf ta, den Caracalla schmälilich ermordet und dann für einen Hochverräter er-
klärt hatte, auf höheren Befehl ausgemeilkelt worden ist.*) Ihrer DaiikliarkLit
pepen dio GrUter. haben einzelne Offizierp der Saalburg und die Kohorte der
RättT iiu'hrfacli auf VotivstoiiioTi . die dem .liippiter Dolichcnus, dem Merkur,
der Fortuna, dem (Jeiiius ceuturiae, den Quellnymphen geweiht sind. Ausdruck
verlielu n Die Spuren des Bekenntnisses der christlichen Religion bei der Be-
satzung den Kastells — ein in Glasscherben eingeritzter Fisch und die Inschrift
eines kleinen bememen Rohrchena (S. 457 n. 573) — snid niehi nnbedin^
beweiskrikftig.
Der Zwaek dea vorstellenden Beriehtea war niebi> eine Übersieht Aber den
gBiuen Inlialt des Jaeobisehen Wer^ an geben. Kur die Hanp^nnkte konnten
besprodien werden, manche Abschnitte aber — s. B. die Ober GefaJainschriften,
über Schmucksachen, Ober die Erhaltungsarbeiten, über Anlage und Einrichtung
des Saalburg -Museums — moTsten ganz übergangen werden. Dennoch wird
der Leser zn der l^erzeup^ung pelanfTt sein, dafs Jacnhi durch seine zielJ
bewnlste Durchforschung des Saalburg- Gebietes viele kulturhistorisch wichtige
Thatsachen ermittelt und festgestellt hat Seine Untersuchungen haben bei
der nicht zu verkennenden engen Verbindung römischer und germanischer
Arbeit auch die Einsicht in die Kulturentwickelung unseres eigenen Volkes
geförderte
Am 18. Okiober 1897 hat Kaiser Wilhelm in Wiesbaden den Entsehlub
aoBgesprodiini, das Priiorinm der Saalburg wieder aububauen und darin das
Museum der Beiclulimesforsohnng au erriditen. Wenn dieser Bau aur Aua-
fBhnmg kommt und darin die wichtigsten FVmdatltcke nebst grofsen Karten
der Grenaanlage, Modellen der bedeutenderen Bauten und einer Sammlung
aller notigen Utterarischen Ililfsinittel vereinigt werden, ao wird in schöner
rmgpbnng eine enge Yerbinching liergestelH sein zwischen den Ergehnissen
'ler wissenschaftlichen Forschung und den grünen VVallen de» hesterhaltiMien
IjiiJK'skastells, eine Verbijuhing, die den Ueist des Forschers anlegen und j<'den
i reund des Altertums durcii Erweckuug lebendigen Verständnisses für die grofa-
artige Anlage der Römer erfreuen mufs.
■) 8. Hettner im Archäol Anzeiger 1896, 8. IM; Tgl. CvMW tHo LXXVII IS: ntü t«tt
[Die Clichda zu dun fünf Abbildungen, diu ubij^eiu Auf«at7.e beigegeben worden xind,
Hrdaakcii wir den firenadlidien Entgegenkommeit dw Herrn Baurat Jaeobi hi Homburg.]
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Zmt ÄSTHETIK D£S TBAaiSOUJilN.
Von VsiT Yaleiitih.
Unter der Bezeichnung ^Ästhetik des Tragischen' hat Johannes Yolkelt
Betraehtimgen Uber diesen widitigevi Qegeosiand veidlbntiichl^ die mit ToUem
Rechte grolse Beachtung gefondeii haben,*) VoUcelt versteht ee nicht nur, seine
Oedanken in Uarer Entwidtelung su geben, so dafs sidi ihnen leidit folgen
VUUtf auch wo er schwierige Pkrobleme erSrtert: <r yersteht es axieh, solche
Uar entwickelte Gedanken in eine meisterhafte Form zu giefsen, aus deren
rednerischer Kraft der volle Ton der Überzeugungssicherheit erklingt und deren
schöne Gestaltung zugleich das Gefühl des künstlerischen Eindrucks erweckt.
Wf-r flio Fretule gehabt hat. Volkelt selbst sprechen '/u hören — und wir in
Frankfurt haben diese Freude mehrere Winter hindurch in den Lohrgangen des
Hochstiftes in weiten Kreisen geniefsen dürfen - wird beijn Lesen überall
den Wohllaut wieder erklingen hüreu, der aus den so natürlich flie£senden
und doch so kunstvoll gegliederten Perioden beim lebendigen Vortrag des ge-
schriebenen Wortes noch imkMmer in das Qemfit eindringt, ab es für den
Leser der Fall ist^ der den Ton&ll des Redners nidit ans der Erinnerung hin-
sofügen kann. Erhdht diese Erinnerung den Bindmck, so bedarf ihrer das
gewhriebmie Wort keinesw^ mit Notwendigkeit: es Iftfiit auch Ar sich allein
deutlich erkennen, dafs der Forscher auf Isth^sdiem Qelnete selbst andi ein
Srwecker ästhetischen Eindruckes ist.
Bei der Prüfung des Inhaltes des Werkes wird man zunächst den Titel
wohl '/u beachten haben, um der Untersuchung gerecht werden */u könrion.
Volkelt will eine 'Ästhetik des Tragischen' geben: das Tragische s( Ibst ist ein
Vorhandenes. Gegebenes, und bedarf nicht erst einer Weseiisuiitereuchung. Es
soll vielmehr der Ausgangspunkt von der Thatsachu genommen werden, 'dafs
die vorhandenen Theorien des Tragischen, so viel WertvoDes und Tiefes sie
auch enthalten, sich mit der reichen, vielgestaltigen Fülle dessen, was uns in
den Dichtungen als trugisch ergreift, keineswegs decken, ja meistens Ton ans-
schlielsender, nnduldsamer Art sind. Das Tragische stellt sieh in einer ver*
wickelten Mannigfidtigkeit von Artm, Abstufungen, Übergangs- und Neben-
formen dar. Diesem Ueichtum ästhetischer Gestalten und Werte ist die Theorie
dcB Tragischen bisher nicht gerecht geworden.' Volkelt will ihr gerecht
werden: er bestrebt sich, den grolsen Beiditum tragischer Fonnen festsnsteUen.
\) Johannes Yolkelt, Ästhetik des Tragischen. Manchen 1«»7, O.U. Beck. XVi, 446 Ü.
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7- Valentin: Zar Ästhetik das Tragischen.
Er will sa diewm Ziole gelungen, indem er *dM Heaptaagenmerk auf die Qe-
wimrang mi^^tidul bedentangeroller Selihelaaoher GMttUefcypen ridbtei* Dem«
gcmafi^ wird 'der Hauptgeeichtspunkt die imturgemärse Gliederung der Anleenmgs*
weisen der ästhetisch erregten Seele zu bilden haben.' Wo dabei für die Formen
und Stufen des Tragischen der gewöhnliche Sprachgebrauch keine festen Be-
zeichnungen hat, werden passende Ausdrücke erst zu suchen sein. Volkelt hat
jedoch i]n' Cber'/X'ugung gewonnen, dafs *8ich die Katnr des Tnifp sehen in
miiiiigebencier Weise nur an den Behöpfungen der Dichtkunst studieren läfst*.
So entnimmt er in seinen Untersuchungen, nachdem er in den übrigen Künsten
das Tragische entweder als nicht vorhanden oder doch nicht voll zum Aus-
drack gekngenil gescUUleit luA, *die ItUle dee T^sgiaelien annelilielelieli der
Oidiftonet', beeehrftnkt aiek aber dabei nicht anf die UasetaGhen Dichter, son-
dern sieht mit weit aoegreifeiider Belesenheit aneh die neueren nnd die neneeten
Diekhmgra, nnd zwar keineew^ nnr ans der dentichen Litteratnr, wa dieeem
Zwecke heran. Er beschrankt sich dabei aof Epoe nnd Drama: nur in ihnen
'erfährt das Tragische seine völlig angemessene Verwirklichung'. Das im
Leben vorkommende Tragische gewinnt Volkelt für die ästhetische Betrachtung,
indem er erklärt: 'soll ein Vorgang des Lobens uns tragisch ergreifen, ««o muls
^■r v'in uns in lebhafter Anschauung innerlich nachgebildet werden', und durch
diese innerliche Nachbildung wird der Eindruck ästhetisch. 'Steht die Per.'^on,
deren erschüitenuiei^ ]>os wir erh'ben. unserem Herzen nahe, oder sind wir gar
selbst die tragisch getroffene Person, so kann sich der Eindruck des Tragischen
in mts nicht rein entwickeln. Die aehmeisvoUan, betSnbenden Affokte be-
benaehen nne dann detarl> dab wir des Oradea von innerer Freiheit nnd Stille
entbehren, der snm Entstehen tragischer Gefühle erforderlich ist.* Erst wenn
der Yorfiül nns leitlidi entrückt ist, oder *wimn wir die orstannliche Geistes-
baft besitzen, tms Aber die Stürme im persönlichen Ich in den Äther des All-
gemein-Menschlichen zu erheben, beginnt das Ereignis die weihevollen Zü^
des Tragischen in entschiedener Weise anzunehmen'. Somit 'fällt auch da«
Tragische der Wirklichkeit in das äathetiache Ctebief — wenn diese Annahmen
richtig sind.
Und nun eTiiwi»^kelt Vülkeit an der Hand einer lieihe maf8gel)enihT
Gesichtspunkte vin itiebe Fülle von Ein/cdgestaltungen des Tragischen in «arg
fältiger Gliederung A 1 , a, a u. ü. w. iiuturbalb der »iaa&elaen Kapitel, indem
•r mit erstannlicher Virtuosität allen einaelnen Nüancen nachgeht nnd alle
nicht nnr charakterisiert, sondern anch benenn! Es kommen dabei nach
*) Z. B.: Zweite Btohimig des tothetiaeken Gewinnes darch die Aofiiahme der erhebenden
Momente in das Tragische: A. Erhebende Momente in der »ubjektiven Haltung? des truglRihr n
Menschen. 1. fSeiriiitKvcrhaltnis zu der nt'f;<nimacht :ii Die trotzifjo Haltung im Untergang,
b) Der Gleicbiuut iiu Untergang, e, Ergebung in das Schicksal, aj Elrgebung des V'er-
bnchm. ^ Ergebung des Schnldkeen. d) Jnbelndea Schreiten in den Unteigang. S. Stellung
des QemQtefl zam Scheiden ans dem Leben, n) Pessimistische Form, b) Optimistische
Form, c) Übergangsfälle (zwischen a und b f^elegen). .H St.plbing dp« Üemütes 2ur
Schuld, a) Moralische lieinigung. a) Die moralisch« ii«iniguug ais Zerriittuug. bj Da«
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288 V Valentin: Zur Ästhetik des Tratschen.
und nach die wichtigattm Fragen zur Behandlung, die bei den Untersuchungen
des Tragischen eine grofse Rolle spielen, so dal's sich die Gliederungen der
Formen des Tragischen zugleich zu einer Revue der verschiedenen Anschauungen
über das Tragische gestalten. Und wenn sich nun auch keine eigentliche Dar-
legung des Wesens des Tragischen findet, so ergeben sich unterweges doch
gelegentlieh Hinweise auf 'wesentliche Erfordernisse' des Tragischen. Ein solches
ist das 'Öchicksalsmäfsige'. Oder 'die Gröl'se des leidenden Menschen giebt
dem tragischen Eindruck eine charakteristische, ausgezeichnete Beschaffenheit'.
Oder es ergiebt sich aus einigen Abschnitten, 'dafs ein wertvoll eigenartiger
Eindruck entstehe, wo ein grofser Mensch durch seine Gröfse in leidvolles
Schicksal und Untergang gerät und auf diese Weise uns den Weltzusammen
hang in furchtbarem Lichte zeigt': dieser ästhetischen Grundgestalt sind wir
berechtigt den Namen des Tragischen zu geben. Die Grundvoraussetzung ist
dabei für das Tragische dieselbe, die Volkelt für die Kunst überhaupt macht:
'wenn die Kunst überhaupt das menschlich Bedeutungsvolle zu ihrem Inhalt
hat, 80 gilt dies in ganz besonders hohem Grade von den tragisch wirkenden
Kunstwerken ... die Tragödie soll uns mit dem Eindruck entlassen: wir sind
in dem Bewufstsein, was es heifse ein Mensch zu sein, reicher geworden.* Die
dabei zur Wirkung kommende Lebens- und Weltanschauung hat jedoch mit
dem Künstlerischen als solchem nichts zu thun und darf ihr keinen Schaden
zufügen: die 'Gestalt' des Tragischen wird eine wesentlich andere sein, je
nach dem Boden, auf dem die gerade vorwaltende Weltanschauung erwachsen
ist. Der eine Boden ist einer besonderen 'Gestalt' des Tragischen günstiger
als ein anderer. Allein dieser Gesichtspunkt hat auf die Gliederung der Formen
des Tragischen keinen Einflufs und bleibt daher in der Darlegung der von
Volkelt durchgeführten Sjstematisierung unberücksichtigt: das Material für
diese wird vielmehr ohne Unterschied von überall hergenommen, wo es sich
findet. Sollen für einen bestimmten Fall Beispiele gegeben werden, so treten
Romeo und Julia, Othello, Max Piccolomini und Thekla, Sappho von Grillparzer,
Pastor Rosmer und Rebekka, Johannes Vockerat, oder Klytämnestra bei
Aschylos, Richard UL, Macbeth und seine Gattin, Goneril, Regai>, Edmund aus
König Lear, die Marwood, Philipp II. bei Schiller, der Herzog von Gothland
und Don Juan bei Grabbe, Golo bei Hebbel, Nero in Hamerlinga Ahasver, der
Bischof Nikolai in Ibsens Kronprätendenten nebeneinander, und so überall in
reichster Mannigfaltigkeit ohne Rücksicht auf Zeit und l'criode der Entwicke-
furchtlose Bejahen der Schuld. 4. Wirkunfj de» Unterganj^es auf die Entfaltung des Innen-
lebens, a) Verkümmerung des Innenlebens durch den Untergang, bi Erhöhung des Innen-
lebens durch den Untergang. — U. Erhebende Momente in dem objektiven Ausgang der
Sache, l. Aussicht auf den zukünftigen Sieg der Sache, a) Allzufrühes Vertreten der
Idee. 2. Sieg der Sache in der (»egenwart. 8. Untergehen im Glauben an die Sache
4. Hervorhebung des Wertes der unterliegenden Sache. — C. Erhebende Momente im Tode
selbst, 1. Das sittlich Befriedigende des Tode« im Tragischen der Schuld. 2. Üer Tod als
Läuterung. 3. Der Tod als Erlöser vdni leidvollen Leben. 4. Der Tod als gefOhlarnftTsig«
Bezeugung des Siege«. 5. Erhebender Ausblick auf das Jenseits. — D. Die Berechtigung
der Uegenmacht als erhebendes Moment.
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T. Taleiitin; Zur ÄftlMtik det TrtgtMhMi.
289
lang filr jede der zahlreichen Huhriken. Man wird dies auch von dem Stand-
punkte des Verfessers aus ganz gerechtfertigt finden — es (ragt sich nur, wie
CS mit diesem Standpunkte selbst bestellt ist.
Volkelt luA sidh mit adner Untersuchung 7M einem Linn^ der Ästhetik
des Tngiachen gemadit: w hat auf Qrund *m6gliGhat bedentnngiToIler Ssäie-
tischer Geffiklsl^pen' dn kflnsUiehes Systm der 'Gestalten* des Tragiaehen
aufgestellt, indem er allen Besonderheiten ihrer ErscheinungHwetsen nachspürte
und sie in Klassen, Genera nnd Speanes gliederte. Sobald die unterscheidenden
Merkmale stimmen, erfolgt ilif Zuweisung zn der besonderen Einteilungsrubrik.
E>! i-^t keine Frage, dafs hierdurcli manche Klarheit entsteht, dafs mancher
Zusammeuhang zwischen subeinhav Fremdartigem aufgedeckt und ninncher
dunkle Punkt einer interessanten BcluucLtuug unterworfen wird. Nur luufs
man sich festhalten, dafs über das Wesen des Tragisehen selbst keine neue
KlSrung gegeben isi Das Werk hat also eine groTse Bedeutung für die Sieh-
tung nnd Ordnung dea Bestandes nach einem Sjsteme, deeaen Klarheit selbst
in eifreulielier Weise wirkt, das jedoch seine Berechtigung sehlieJalidi dooh
nur in der subjektiTen Auffassungsweise seines Urhebers hat: das Werk ist
aber kein Fortschritt auf dem Ctobiete der Frage nach dem Wesen des
Tragischen selbst Man kann nnn jene Bedeutung in ungeschmälerter Weise
anerkennen und docli der l'berzeugung .sein, dal's die Lösung der zweiten Auf-
gabe von noch gröl'serer und wichtigerer Bedeutung sein müfste, Wie (ioethu
nach der Lrpflanze forschte und über die Unterschiede der Klassen und Arten
hinaas nach dem Ursprung suchte, der den Zusammenhang des scheinbar Ver*
flchiedenen herstellen könnte, wie er die Bedingungen aufweisen woUte^ die mit
Notwendigkeit die besondere einiehie Gestaltung als Umgsataltung des Ursprflng-
Udien &falieh machen könnte, so wiU es scheinen, dalh auch das Uiphftnomen
des Tragischen erforscht werden mula, das sidl je nach den besonderen Be-
dingungen von Zeiten und Anschauungen zn den einzelnen Erscheinungen um-
gestalten konnte, wie sie sich ge.sehiehtlich darstellen. Es ist siclierlicli sehr
belehrend, z. B. die beiden ')if'rf rbtigten' Formen des Tragischen, des Tragischen
der abbiegenden und de» Tragischen der erschöpfenden Art, dargestellt -/u sehen
und zu verfolgen, wie das Tragische abbiegender Art die doppelte Gestalt des
Tragischen mit versöhnendem Ausgang und des Tragischen mit ungewisson
Ausgang darbietet^ wie das letstere in der Mitte steht swischen dem Tragischen
mit TersShnendem Ausgang und dem Tragischen mit Terderblichem Ausgange
wie der tragisdie Untergang sodann drei Formen annehmen kann, so dafii nur
leibliehsr Untergang oder nur innere Vemichtong eintritt oder endlich &uCwrer
Tod und innere Vernichtung zusammen, u. s. w. Aber wenn die Frage, warum
jede dieser Formen aus dem Wesen des Tragischen lierans 'berechtigt' ist, un-
beantwortet bleibt, wenn nicht weiter geforscht wird, wo donn das Gemein-
schaftliche steckt, das uns berechtigt, alle diese Formen als tragische anzu-
erkennen, und worin denn nun der Kern des Tragischen, das Urtragisehe,
besteht, so ist von dem reichen Grebiete doch nur ein Teil und zwar der äulsere
behandelt. Auch daftlr wollen wir dankbar sein, zumal, wenn es mit solchem
X«M JifeibaBbM; im. L 10
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290
V. Valentin: Zur laUMlIk d«B Tkagiidien.
Wohlbedacht durchgeführt ist^ wie es bei Volkelt der Fall ist: aber dieser
Dank darf uns nicht verleiten, hier schon die letzte Losung gegeben zu finden -
er darf vob nielit abbaten va erU&ren, dafs das Wichtigete hier noch nidit
gegeben ist
Aber dies bitte TieUeieht an einer *apelcu]atiTen* Astiietik geführt? Und
Volkelt lehnt eine wkhe von Timiberein ab und etdlt sidli auf den Standpunkt
der peychologiaehen Methode. Es kann ihm in diesem Gmndeatse niemand
warmer zustimmen, als ich es thue. Aber man darf doch dabei nicht überseheiii
daTs sich das Psychologische keineswegs Tom Physiologischen wird trennen
lassen, dafs vielmehr ein Übergang ron dem einen znm anderen gesucht werden
mufs und si<'berlich auch j>:efTindeii werden kann, ich selbst habe einen dahin
gehenden \ ersuch gemacht, auf den ich hier hinweisen mui's, da er von Volkelt
in seltsamer Weise mifsverstanden worden ist. Der rätselhafteste i'in kt in dem
Wesen des Tragischen, sobald es auf den Menschen zu wirken anfäugi, ist die
mit dem OefDhle des Tragischen verbundene Freude am Snhmen. So lange
dieses Phinomen nicht erkfibrt ist, wird sich auch das Wesen des Tragisebm
nicht verstehen bmen — fol^ aber daraus, dalüs beide Fragen identisch sind?
Ist ee wirklich so sdiwer, sn untersdheiden, dalis die ErUSrung der Freude ss
einer Schmerzerregung nicht dasselbe ist mit der Erklärung des Tragischen
selbst? Es möchte fast so scheinen, da mm schon der zweite Philosoph an
der Festhaltuiig dieses Unterschiedes scheitert. Und doch liegt die Sache so
einfach. Volkelt läfst mich infolge dieses MiXaverstäudnisses auf S. 392 seines
Buches äageu, ich hätte die aul'serüsthetische Wirkung des Tragischen, 'die
Ruhe, das Gleichgewicht, die Schmerzlosigkeit', die sich nach den Auf-
regungen und Schmerzen 'in manchen Fällen' einstellt, 'zur Hauptsache des
tragisdien Eindmdcs genlaeht^ Zum Beweise dafiOr stiert ar, mit den ein-
leitenden Worten *Es ktmune im Tiagiflchen auf das Erleben ron aehmen-
liehm Empfindungen an' die durdi Hinzusetsung von AnfBhrungBaeichen mir
zugesdiriebenen Worte: *die kttnstlich und absichtlicfa wregt werden, um dann
wieder durch ihre Entfernung in uns eine willkomniene Empfindung zu er-
regen'. Ich kann zwar nicht finden, wo an der von Volkelt zitierten Stelle
oder sonstwo bei mir diese Worte so stehen. Indessen sind sie dem Sinne
nach meiner Ansicht entsprechend, «jobald sie in dem richtigen Zusammen-
hange erfafst werden. Allein dio^ien Zusannnenhang zerstört Volkelt: die ein-
leitenden Wort^ 'Es komme im rrniri sehen auf das Erleben von schmerzlosen
Empfindungen an' fügt er willivürlicli hmzu und setzt ein Urteil, das in dein
richtigen Zusammenhange von den körperlichen Schmerzen gilt, in eine Er-
klärung des Tragischen nm, wie ich sie nie gegeben, vielmehr ausdrOcUieh be-
stritten habe. Yolkelt aitiert meine AbhamUnng *Das Tragische und die
Tragödie' (H . Kochs Zeitschr. für Tcrgl. Littentnrgeech. X. F. V 395 ff.) und
sagt auf Grund dieses Zitates: *£s scheint sonach diese Theorie darauf hinane-
zulanfen, dafs das Tr^eehe sein Ziel in dem wohlthuenden Gefiihle finde, von
den tragisilien Schmerzen und damit von dem Tragischen selbst loszukommsn.'
Man wird doch annehmen müssen, dals Volkelt die zitierte Abhandlung wcn^-
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V. Vmlfltttiii: Zur Äi(het9c dm Tnmtiidi«ii.
S91
stens an der zitierten Stelle gelesen hahe: ich kann mich aber nicht des Ein-
drucks erwehren, dafs pr sich viel mehr als durch eigenes Lesen durch den Ein
flufs einer karikierenden Darstellung eines anderen Philosophen hat leiten
lassen, dem er, zutreffenden Falles, allerdings zu viel Vertrauen gtstihenkt hätte:
die Richtigkeit der Ansichten, die jemand vorträgt, steht nicht immer im
geraden VerliSltiufl m dem Aplomb idiieB Vortrages. Ln yerlaii& meiner
Entviekelimg sage ieh Tielmehr S. 370 jener Abhandlnng: Ich ^nbe dnrdi
meine Theorie in der That dargeihan m Haben, dais, insoweit im Tragischen
die Freude au Leiden, die Frende am Scbmerse mitwirkt, der Grand
fibr diese Freude ar^ psychologischem Boden gesucht werden muTs. Der Pnnkt,
wo er mit dem ästhetischen Elemente sich verbindet, ist scharf bezeidmetw Ich
bin aber nicht so einseitig, zu glauben, dafs mit der Erklärung eines
Elementes <1^"j Trap^ischen dieses^ selbst «eine Erklärung gefunden
hätte. Bei der Freude ain Tragischen konunt noch eine Fülle anderer Elemente
hinzu, die aus dem Wesen und der Eigenart des Kunstwerkes überhaupt ent-
springen, sowie aua dem Wesen und der Eigenart der besonderen Gattung
von Kunstwerk, die der Künstler in seinem besonderen Falle als Trager des
l^sgisehen angewendet hat*. Und trotnlem behauptet Volkelt, idi hatte die
infiMTSsthetisohe Wirkui^ des Tragischen *nr Hauptsache am tragisehoi Ein-
dniflk* gemacht! Volkelt hat aber jedaifiüls — denn er hätte sonst so nicht
urtsikn kSnnen — die Abhandlnng nicht beachtet, auf die in der Zeitschrifts-
Bbhandhmg Tcrwiesen ist, weil dort die Entwickelung des physiologischen Ein*
dnickes bis zum psychologischen Stufe fQr Stufe nachgewiesen ist Er hätte
dort gesehen, dafs ich den Kern des Tragischen in etwas ganz anderem finde,
Dort' i hp)T«t es: 'Die Empfindung aber, welche in uns durch ein vorgestelltes
seelisches Leiden erweckt wird, tlas hei an nnd für sich berechtigtem Handeln
durch ein anderes an und für sich gleichfalls berechtigtes Handeln entsteht, ist
die tragische'. Wo ist hier von einer aulserästhetischen W irkung des kürper-
Uchen Schmerzes anch nor mit einer Silbe die Bede? Man darf aber
Tsrlangen, data bei der Wiedergabe einer *Theorie' der physiologische Aus-
gangspiinkt, die psychologische FortfOhrung und dßt Ssthetische Endpunkt
fiehtig untersdiieden bleiben. Hier kommt es indessm aanftchst nur darauf
an, festzustellen, dafs der von Volkelt ausschliefslich betonte ps3-chologisehe
Standpunkt ein^ Erganzimg bedarf, weil sich das physiologische Element Ton
ihm nicht trenneti lüfst, vielmehr zu seiner Erklärung sehr notwendig ist.
Volkelt wendet sich nun in seinem Kampfe für die psychologische Methode
gegen das Abstrahieren von autoritativen Beispielen. 'Da wird «ihiie weiteres
angenommen, dals an yj-wissen als «klassisch» anerkannt4>n Traginiicn — etwa
an denen von Aschylos, Suphukles, Shakespeare, Lessing, Goethe, Schiller —
die Musterbilder des Tragischen vorliegen, und dafs es darauf ankomme, von
diesen Mustern das Tragische durch Abstraktion su gewinnen.' Aber nach
^) 8. ItO der Abbaadlmg: 'Di« Tragik in Weikea belleniteber Plastik* in dem BucIm
tber Kimrt^ KfinsUer nnd Kunttwerke*, Frankftui a. M. 18S9, Litteramehe Anstalt.
19*
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29S
V. Valentiii! Zur JUOieHk det TMgiidiMi.
Volkelt giebt es keine Bürgsjchaft dafQr, dafs tlurch die Tragödien der aua-
gewühlten Meister der Eindruck, der den Namen des Tragischen verdiene, her-
vorgebradit werde*. Es iet niui ucherlidi nieht riclitig, sich auf einwiue als
'UaBsisch' anerkannte Meiator und ihre Werke xn beecb^ken, wenn man daa
Tragiaehe erkennen will — berechtigt dies aber an einem ZweiÜBl daran, dafii
dort fiberhaupt dae TragtBche /ami Ausdruck irokommen sei? Man kann den
aus ihren Werken gewonnoiR ii Eindruck sehr wohl als 'tragiach' gelten laaien
und braucht sich doch nicht gegen die Worko niodrmer Dichter 7u ver
schliefsen. Natürlich <1nrfen auch sie nicht als ausschlicrslichc Autoritätt;n
gelten, und Volkelt nimmt auch seine B^'ifpiplf aus beiden Fundgruben. Das
Wesen des Tragischen freilich ist weder tinseitiir aus den Autoritäten noch aus
den Nichtautoritäteu zu erschlielsen: der Ausgaitg.^punkt wird vielmehr, wie
ich ea in der Abhandlung *Daa Tragiaehe und die TragOdie' gezeigt habe, die
Wirklichkeit aelbat aein mflaaen. Volkelt weUk Belbatreiai&ndlich aehr gn^
daia die Wirklichkeit mit ^gik wfiUlt iat: er benntat aie aber nich^ da daa
Wesen dea Tiagiaeben zu ergründen aufserhalb seines Weges liegt. Nur weil
er daa Torkommen dea Tragischen in allen 'Gestalten* feststellen will, lehnt
er sich £ce<?f*n die einseitige und beschränkende Autorität der klassischen Dich
tuTi'r auf und gewinnt sieb damit in sehr verflifistlicher W^iso für 'meinen
spezieilen Zweck ein reielie.s Gebiet. Er weist aln-r div Wirklu likeit von einem
ganz besonderen Gesichtspunkt aus zurück. Für Volkelt gehört die Wirklich-
keit aelbat achon in daa aathetiache Gebiet, sobald aie 'in lebhafter Anachaumig
innerlich nachgebildet wird'. Ea mUchte freilich dann kaum irgend etwaa
geben, waa nicht ina iathetiache Oebiet gehörte. Denn waa Yoikdt hierbei
noch Dir Unterschiede mach^ aind nur Verschiedenheiten dea Giadea, nicht des
Wesens: es handelt sidi nur darum, ob die Anschauung, die innerlich nach-
gebildet wird, eine lebhafte oder eine flüchtige sei — in dem leteteren Fklle
soll sie nieht ästhetischer Natur sein Für das Wesen des Tnifrisphen ist es
aber zunächst f.;anz gleichgiltig. ob wir den einzelnen Fall unter den Gesichts-
punkt »ies Ästhetischen stellen: damit kommt in das» Tratrische ein Element, das
iiüu durchaus nicht wesentlich ist und von dessen Voi ImndenHein oder Fehlen
das Tragiadie in aeinem Beatande keineawega abhängt. Aber Volkelt will ja
gar nidlit daa Weeen dea Tragischen ergrOnden, aondera den Reichtum dsr
aathetiachen Formen dea Tragiachen darstellen; so kann daa Tragiaehe
Wirklichkeit fttr ihn erst wirksam werden, wenn ea ftathetiach geworden iat —
geschieht es nicht durch die künstlerische Verarbeitung, so nnifs es weuigatens
durch die lebendige innere Anschauung ästhetisch geworden sein!
Volkelt leugnet nun keineswegs, dafs in den übrigen Künsten das Tragische
wenigsten? dem Ans.itze nach in mehr oder weniger entwickelter Weise vor-
kmuiui 11 kann: aber nur 'in der Dichtung kann sich das Tiagisciie in seiner
vollen Entwickeluug durch alle seine Vorbereitungen und seine JStuleu bin-
dnrch darlegen , woan noch der Vorteil der Dichtung durdi die Beatimmiheii
der Tüllen IndividnalitSt und den Reichtum des Voratellungs- und Gedanketi-
gehaltes hinzukommt Das Entacheidende iat jedoch der erate Pnnkl^ die volle
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V. Valontin: Zur ÄHthetik des Tragischen.
293
Entwickelung in dem Verlaufe der IlaiKllung. Denn nach Volkelt int 'das
Tragische stets ein Entwickelungsvorgang'. Diese Annahme hält jedoch vor
den Thatsachen nicht Stich. 'Das Tragische setzt keineswegs eine Handlung
voraus: es bezeichnet vielmehr zunächst die Eigentümlichkeit einer Lage, einer
Situation' (vgl. *die Tragik und die Tragödie' S. 337), das Tragische kann
daher ebensogut in der Bildkunst wie in der Dichtkunst vorkommen und
kommt auch thatsächlich vor: Nachweis und Beispiele sind a. a. 0. ausführlich
gegeben. Es folgt aber daraus, dafs Mas Wesen des Tragischen nicht in dem
unglücklichen Verlauf einer Handlung, nicht in dem unglücklichen Ausgamg, in
dem Untergang der bestimmten Persönlichkeiten liege, an welchen das Tragische
zur Erscheinung kommt': Volkelt erkennt diese Thatsache und schildert sie
als das 'Tragische der abbiegenden Art'. Soll der Ausgang gleichfalls tragisch
werden, 'so ist das ein Neues, was ursächlich sehr wohl mit Notwendigkeit
erfolgen kann, nicht aber aus dem Umstände, dafs die Lage vorher bereits
tragisch war': ein solcher Gesichtspunkt liegt der Untersuchung Volkelts fern,
da er ja auf ein ganz anderes Ziel ausgeht als auf die Erkennung des Wesens
des Tragischen.
Diese Erkennung kann und mufs aber nicht auf dem Wege der von
Volkelt mit Recht verworfenen, einseitig von einigen Musterbeispielen ab-
strahierenden Methode erfolgen: sie kann und muis auf Grund der psycho-
logischen Methode gewonnen werden. Das Ergebnis einer auf solchem Wege
erlangten Erkenntnis ist für mich der Satz, der schon oben angeführt ist. Es
ergiebt sich aber ferner daraus, dafs das Tragische nicht ein Einfaches, son-
dern ein Zusammengesetztes ist. 'Es wird entstehen, wenn ein Zusammen-
strömen und Zusammenwirken mehrerer Motive auf einen Punkt in der Art
eintritt, dafs erstens diese Motive untereinander widersprechender, in ihrer
Durchführung einander ausschliefsender Natur sind, und dafs zweitens jedes
dieser Motive für sich betrachtet eine absolute oder doch wenigstens relative
Daseinsberechtigung hat' (a. a. 0. S, 345). Auf Gnmd dieser Erkenntnis wird
man über den irreführenden Begriff der tragischen Schuld kommen und an
deren Stelle die tragische Unschuld zu setzen haben: nur wo eine solche, ab-
solut oder relativ, vorhanden ist, nur da kann überhaupt von Tragischem die
Rede sein. Was freilich, absolut oder relativ, als berechtigt zu gelten hat,
hangt von der jedesmaligen Weltanschauung ab, auf deren Boden eine be-
stimmte einzelne tragische Lage entsteht. Erscheint sie in einem Kunstwerke,
«0 wird sie auch hier ihre richtige Beurteilung nur aus den Voniussetzungon
heraus finden können, auf denen dies einzelne Kunstwerk sich aufbaut. Der
gemeinsame Kern jedoch, der in allen diesen Einzelerscheinungen wiederkehrt
und der die unbedingt notwendige Voraussetzung der Thatsache des Tragischen
überall ist, zeigt sich in der in irgendwelcher, von uns auf Grund der voraus-
gesetzten Weltanschauung für diesen Fall zugestandenen, relativen oder ab-
soluten Berechtigung zu dem Auftreten und Handeln der Persiinlichkeit, deren
Schicksal uns tragisch berühren soll. Durch die tragische Unschuld allein
kann sie uns sympathisch werden: dies Moment der Sympathie ergiebt sich
294
Y. VAleutw: Znr JUthetik des Tragiadien.
mit Notwendigkeit aus den VerhaltiusBeii selbat und ist daher eine nicht m
nn^hende VoraiMwtiung. Dab dagegen iigendwdehe menaciiliehe GrSlke
▼orUegen mtÜBte, ist nidit der Fall YoUwlt kommt an dieeer Behauptong
nidit ans der Natur dea Tragiadben her, aond^ er nimmt dieae Fordemng
aus seiner Definition der Aufgabe der Kunst überhaupt. Diese soll 'das mensch-
lich Bedeutungsvolle zum Inhalte haben*, die Tragödie speziell aber 'soll uns
mit [dem Eindruck entlaaaen: wir sind in dem BewuTstsein, \vas es heifse ein
Mensch zu sein, reifer geworden'. Ob dieser lehrhafte Zweck nicht schon an
sich dem Wesen der Kunnt widerspricht, soweit sie ästhetischer Natur ist, und
daher nur für manche Zeiten giltig bleil)t, mag hier unberücksichtigt bleiben
— wenn nur der Ausdruck selbst bestimmter, die bezeichnete Sache greifbarer
wärel Das meuöchüch Bedeutungsvolle — für wen? Für den Handelnden
oder ftlr den die Handlung Naeherlebenden? Bin aoldier ZweiftI daxf iidi
bei einer solchen grundlegendai Foiderang nicht erheben — Ansgai^P' und
Zielpunkt dea mensehlieh BedetttongaToUen mfibten Idar gestellt sein, somal
wenn ee eich um ein Prinaip handelt, von dem allee abhangt Gegenatend der
Kunst ist aufserordentlich häufig Nichtmenschlichea — also wird man das
dargestellte Objekt als an sich 'menschlich* bedeutungsvoll nicht annehmen
können. Gegenstand der Darstellung von Menschen ist aufserordentlich oft
etwas, von dem sich als Wesenseigcnachaft das 'menschlich Bedeutungsvolle'
nicht wird behaupten lassen: also wird auch der das Dargestellte in sich Nach-
erlebende nichts im ! schlich Bedeutungsvolles darin finden können. Fafst man
das menschlich Bedeutungävulle als das, waa 'bezeichnend für menschliches
Leben und Streben' ist, so muüs unsagbar viel aus der Kunst gestrichen werden,
was fttr yiele schon ist, ihn«i Freude macht und hohen asthetisefaen Genub
gewahri Ein toter Haee von Weenix oder sein wnnderroller toter weüter
Pfon in Wim ist nicht menschlich bedentnngs?o]l, weder ala Geg^tand aelbsl^
da er fiberhaupt anlberhalb dea Menschliehen st^t, nodi ist er flr maoadir
liehes Leben und Streben beaeiehnend — ^ man mfilate denn die 'dabei zur Ter*
Wendung gelangte künstlerische Auffassungsweise und Kunatfertii^t gelten
lassen wollen, wovon jedoch ])ei Volkelt nichts zu finden ist und was anch
kaum seiner Ansicht entsprechen mochte. Aber selbst in dem »Titren Sinne, in
dem das ineuöchlich Bede\itmigsvolle gelten könnte als das, waa für den Menschen
wertvoll ist, ist der Ausdruck noch viel zu allgemein; es giebt nichts, was für
den Menschen als solchen schlechthin in der Weise von Bedeutung wäre, dafs es
für jeden Mexackufa gelten mtUste. Welche Unterschiede schon in dem, was
fOr Hann und Frau, was Ar das Kind und den Erwachsenen, ftr den Qebildelsn
und den Ungebildeten bedeutungsvott ist — gans dw Unterschiede an ge-
sohweigen, die durch den Wechsel Ton Zeiten und YSXksra hinsukommen! So
muüs der Anadruck entweder in seinem Geltungsbereich so einschrumpfen, dab
▼on einer Allgemeingillagkeit der Vorschrift keine Rede mehr sein kann, oder
aber, wenn er allgemeingiltig bleiben soll, in seinem Inhalte sich so ver-
flüchtigen, dafs er alles nmfafpt, was für irgend einen Menschen in irgend
einer Weise bedeutangsvoll ist: dies würde freilich der Ansicht Volkelts am
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V. Valentin: Zur Ästhetik des Tragiftchen.
205
allerwenigsten entsprechen. Es hängt nämlich diese Definition mit einer
anderen grundlegenden Ansicht Volkelts über die Aufgabe der Ästhetik zu-
sammen: sie soll normativen Charakter haben — also muTs es auch eine all-
gemeingiltige Norm geben.
Volkelt will durchaus nicht, dafs die Ästhetik in Psychologie aufgehen
solle, so sehr er auch für die Anwendung der psychologischen Methode ein-
tritt: 'die Ästhetik unterscheidet sich von aller Psychologie durch den mafs-
gebenden Gesichtspunkt der Norm. Die ästhetischen Gefühle werden nicht
blofs beschrieben, zergliedert, eingeteilt, in ihren gesetzmäfsigen Beziehungen
untersucht, sondern zugleich nach Wertmafsstäben beurteilt.' Es ist durchaus
logisch: soll eine Norm aufgestellt werden, so bedarf es eines objektiven Mafs-
stabes. Ob es aber möglich ist, als solchen den Begriff des Wertes zu ver-
wenden, ist mehr als fraglich. Ob irgend etwas Wert hat, hängt nicht von
dem Gegenstand an sich ab, sondeni ganz ausschliel'slich von dem Bedürfnisse,
das der einzelne nach dem Gegenstände hat: der Begriff des Wertes ist ein
durchaus subjektiver und wechselt daher beständig mit dem Wechsel des Sub-
jektes. Begiebt sich der Einzelne seines Urteiles und schliefst sich dem Urteil
eines für ihn mafsgebenden Subjektes an, thun viele Einzelne das Gleiche, so
entsteht wohl ein verhältnismäfsig allgemein giltiges Urteil, das auf den
gleichen Gegenstand Wert legt: es ist aber kein objektives, sondern doch nur
ein auf gleichartige Bedürfnisse gegi ündetes oder zur Mode erweitertes subjek-
tives Urteil. Wenn zu Zeiten Raff'ael geringer als Correggio geschätzt und
Hobbema kaum beachtet wurde, so waren solche Beatimmungen des Wertes
wahrlich' keine, die einen objektiven Wert festlegten, so wenig wie die es sind,
die jetzt den Wert der Werke dieser Künstler aufs höchste schätzen lassen.
Kann man aber den Begriff des Wertes nicht als einen objektiv giltigen er-
weisen, so wird es auch mit der Feststellung von Normen bedenklich stehen:
die Wertbestimraungen vermögen nur relative Giltigkcit zu behaupten. Es ist
dies kein Nachteil für die ästhetischen Urteile: sie erhalten vielmehr die Mög-
lichkeit, ihre wahre Aufgabe zu erfüllen, nämlich das Verhältnis eines be-
8timmt«n Objektes zu einem bestimmten Subjekte unter den Begriff des
Gefallens zu stellen und die Gründe dafür aus diesen beiden Elementen nach-
zuweisen. Auch eine solche Ästhetik wird Normen aufstellen können: aber sie
werden sich auf klar bestimmte Voraussetzungen gründen und nur für klar
bestimmte Verhältnisse Giltigkeit haben. Sie wird z. B. die Norm für das
Tragische in der Feststellung des besonderen Verhältnisses finden, wie es durch
das Entgegentreten zweier an und für sich berechtigter Willcnsäufserungen, sei
es in einem einzigen, sei es in mehreren Subjekten, entsteht. Inwieweit der
einzelne Fall eine tiefergehende Wirkung hat, inwieweit er im stände ist, seinen
Geltungsbereich über die in Betracht kommenden Subjekte auszudehnen und
Aber die wechselnden Anschauungen der Menschen je nach Zeit und Raum zu
behaupten, wird davon abhängen, ob die Voraussetzungen, auf denen die An-
erkennung der Berechtigxing einer Willensäufserung beruht, noch anerkannt
werden oder durch Einleben in sie noch anerkannt werden können, trotzdem
296
V. Vftleotiu: Zur ÄBlhetik des Traf^chen.
dt» Fremdartige tum klaren BewnlatBein gehngi Audbi wenn wir nicht mehr
an die Einwirkung der Behandlung des Leichnames auf den Zustand seiner
Seele glauben, so fällt es uns auf Grund der pietatroUen Fürsorge, die auch
wir dem Leichnam eines Angehörigen zukommen lassen, doch nicht schwer, in
tlie Steigerung der Pietät zur Erfülhnig otnos göttlirheii (iebotes uns ein
zufühlen, uiul wir halten das Auftreten der Autigone, soweit es sich um die
Erfüllung des göttlichen Gebotes handelt, durchaus für berechtigt. Wir sind
von der Notwendigkeit des Staates vollständig überzeugt und auch davon, dab
die EinielintereflSMt hinter dem allgemeinen Interesse aorflcklrelett mtlssen: wir
halten fOr dttrehans berechtigt, dab Kreon den Neffen nicht anders behandeb
will als jeden anderen Bürger auch, der g^en die Vaterstadt gekämpft h&tte.
Wenn nun die Leidenschaft jedM der beiden in dem Bestreben, seine berechtigte
AafEsssung durchzuführen, zu rücksichtslosem und dadurch jeden Vergleich,
wie er sachlich sehr wohl möglich wäre, ausschbefsendem Vorgehen führt, so
entsteht die tragi^clie Luge, die uns nur deshalb so tief ergreift., weil wir die
Berechtigung des Auftreteus jedes der beiden (jegner einsehen und daher mit
ihm fühlen köiuitii. An und für sich ist in dieatr Lage die Notwendigkeit
des tragischen Ausgangs nicht cuthalten: der schroffste Gegensatz konnte nach
griechischer Anschanung doreh das DaBwischentreten der Qottheit seihet aof-
gehoben werden, wie es bei PhÜoktet und seinen Gegnern der EVdl war. Dab
ein anderer Weg eingeschlagen wird, ist Sache des Diehttts: hier Terwendet
er zur TTerbeifOhrung der Lösung des Gegensaties nur Menschen und ist da-
durch in der Lage, die Mafalosigkeit des Zornes -Kreons alle Schranken durch-
brechen zu lassen, »o dafs die Gottheit nur noch strafend einwirken kann.
Weil die Strafe aber so ist, dafs der berechtigte Kern in Kreons Auftreten
vollständig unberücksichtigt bleibt, weil sie also in einem Mil'sverhültuis zu
seinem Handeln steht, bleibt ihm bei uns immer noch Sympathie gesichert:
ohne diese könnte seine mit immer tieferem Leid si<^ erfiUlende Lage nicht
tragisch wiikra. So gründet sieh die tragische Wirkung nidit anf die Be-
strafung seiner Schuld, sondern auf das Gefühl, dab der vernichtende Zorn der
Gottheit tlber seine relattve Berechttgang rficksichtsloe forlsefareitei Auch
AntigoiK^ labt ihrem Zorne die Zflgcl schiefsen und geht weit über das rechte
Mafs hinaus. Noch ehe Kreon ihr ein hartes Wort gesagt hat, bricht ihre
persönliche Abneigung gegen ihn in schmähenden Worten hervor, die das harte
Auftreten Kreons wenn auch nicht rechtfertigen, «lo doch erklärlich erscheinen
lassen. Und ebenso leidenschaftlicji zielit «ie die Konse(juenz aus der tragischen
Lage, iu die sie sich gebracht hat. Aber unsere Sympathie ist ihr trotz alle-
dem sicher. Nicht ihre Schuld und nicht die Strafe für ihre Schuld macht
ihr Los tragisch, sondern ihre relative Berechtigung, ihre rdative Unschuld,
der gegenfliber das Schicksal, das Aber sie hereinbridit, als unverhiltnismalsig
furchtbar erscheint. So können wir mit ihrem Leiden mitleiden, und da dieaes
Mitleiden nicht aussehliefslich auf Bannherzigkeit, sondern auf Anerkennung
ihrer relativen Berechtigung beniht, so wirkt ihr Geschick auf uns tragisch.
Noch tiefer greift dieses QefOhl, wenn nicht eine relative, sondern eine absolute
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y. T«l«Btüi: Zur JUtlietik des TcagiMfan.
297
Unschuld vorhanden ist. Wenn anf Grund einer ganz anderen Weltanschauung,
nach der das Gr)ttlifhe nicht mehr aktiv und unmittelbar in das (leschick der
Menschen einpjeift, sondern diese ihren menschlichen Leidenschaften, Neigungen
und Abneigungen überlä&t, wie sie sich ergeben, sobald schrankenloses Aus-
leben des WUlens daa Chndiick der Menschen gestaltet, Oordelia dem Vater
die erwartete Lttge Terrngt und die unerwartete Wahrheit entgegenbringt, so
ist hier die ahsolnte ünschnld vorhanden, die ToUe Berechtigung ihres HandelnB,
das uns mit Tollster Sympatiiie erfttllt. ünd wenn sie mm der TQcke snin
Opfer fallt, nachdem sie ihre echte Liebe zum Vater statt durch trügerische
Worte durch opferwillige That bewährt hat, so wirkt das Trai^if^c he nvit der
f^r^chüttemdsten Wucht: je pröfser die Berechtigung ihres Auftretens ist, je
greller der Widerspruch der Unschuld und des Unterganges ist, um so ge-
waltiger erscheint das Tragische in seiner furchtbaren Gröfse.
Solche Beispiele sind bequem darzulegen, weil sie durcli die Kunst zur
ästhetischen Auffassung hergerichtet sind: alles, was in der beziehungsreichen
Welt stSrend und unsere Aulbssung beeinträchtigend eingrdfen konnte, hat
des Kfinstlers sorgsame Hand beseit^: er hat uns einen Xiebmskreis geschaff(Mt,
desien Bedehungen leidit flbearsdihar sind, Ehrend alies, waa anfserhalb der
von ihm ala mitwirkend und giltig anerlmnnten Beaddrangm nodh eingreifen
könnte, von Tomherein ausgeschlossen bleibt. Gerade durch diesen Prozefs ist
der erste Schritt zur asthetisdien Beurteilung und zur Anr^nng einer astheti
5(lien Betrachtung des Falles gegeben. In dem Tragischen selbst liegt jedoch
die Verbindung mit dem Ästhetischen, die Notwendigkeit, ästhetisch zu wirken,
in keiner Weise enthalten. Es hat vielmehr einer lange dauernden Kunst
entwickelung bedurft, bis das Tragische in seiner reinen Gestalt in die Kunst
zum Zwecke des Gefallens, also zur Herbeiführung einer ästhetischen Wirkung,
aufgenommen wurde. Aus dieser Thatsache entwickeln sich drei Fragen, die
nicht miteinander TSimengt werden dlliien: 1. Was ist das Tragische an sich,
das reale Tragische, das Tragische der Wirklichkeit? 2. Wie ist es möglich,
dab das Tragische nur Gewinnung eines Ssthetischen Eindrucks verwendet
werden kann, mit der ünterfrage: woraus erkl&rt sich die isthetische Freude an
der Erregung eines Schmerzgefühles V 3. Welche Gestaltungen nimmt das
Indische, sobald es zur ästhetischen Verwendung gelangt ist, auf den Ter-
schiedenen Gebieten an, in denen die Kunstthütigkeit des Menschen sich
aafsert? Dt r Reiintwortung der dritten Frage ist Volkelts Buch gewidmet,
jedoch uut dir Beschränkung auf das Tragische in der Dichtkunst: er hat sie
mit der iluu eigentümlichen Schärfe der Beobachturtg durch Teilung und
GUederung nach einem bestimmten Systeme gelöst: hierin liegt der bedeutende
Wert seines Buches, ohne dafs damit zugestanden wäre oder auch nur an-
gestanden zu werden brauchte, dafs die hier gegebene Ljteung die einaig mög^
liehe und darum absolut gütige sei. Die iweite Frage kommt filr Volkelt nur
soweit in Betracht, als sie cur Begründung der subjektiven Wirkung des bereits
ästhetisch gestalteten Tnigiachen dient: sie ist jedoch einer Lösung an sich be-
dfkrft^, und diese muis, wenigstens nach meiner Auffassung, ihren Ausgangs-
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298
V. Valeuttii! Zur ItUietik d«8 rrasuehen.
puukt in der physiologischen Beschaffenheit des Menschen suchen. Die erste
Frage liegt der von Volkelt gegebenen 'Ästhetik des Tragischen' als besonderer
üntenachungsgegeiistMid gans fem, weil ihre Losung auJberludb des ABihetiachen
geraeht werden mufe. Audi aie fanui oliiie Zuhilfenalmie dee physiologiflclMBi
und des psydiologisehen Unterbaues der dahingehenden Untersuchungen nieht
gelöst werden.
Ganz getrennt von diesem Streben nach Erkenntnis des Wesens des
Tragischen liegt nun aber die Anerkennung der Thatsache des Tragischen in
der Welt, und diese Thatsache drängt den spekulativen Kopf zu der Auf-
werfting der weiteren Frage: Was bedeutet das reale Verhältnis, dna wir
Menschen als tragisch bezeichnen, in dem WcHeii des Weltganzen? Das Tragische
muls auch als 'metaphysische Kategorie' betraclitet werden. Zu ihrer Erklärung
Verden diejenigen metaphysischen Zutsammenhäuge aufzuzeigen sein, die etwas
der ästhetischen Grundgestaltung des Tragischen Entsprechendes^ etwas ihr
Ähnliches an sieh tragen. Diese Zusammenhinge werden als Ihagik in dem
prinupifiUen- Aufbau der Well^ in der inneren Beschaffenheit und Entwiekelung
alles Seins als die Tragik des ewigen Wesens der Dinge, ab die Tragik des
Weltgrundes beasiehnet werden dibftn'. Volkelt thnt diesen Schritt, und er
hat recht ihn zu thun — freilich haftet ihm auch hier der sein Buch be-
herrschende Gesichtspunkt des Ästhetischen noch an, der bei dieser Betrach-
tung doch wohl richtiger ganz beiseite gelassen werden müfste. Es sollte
indessen damit wohl nur eine Berechti'^inig für die hier zum Schlufs auf-
geworfene Frage in dem Zusammenhang mit dem herrschenden Charakter des
Buche« gewonnen werden. Thatsächlich weifs V olkelt sehr gut und spricht es
in der Vorrede ganz ausdrücklich aus, 'dafs die Theorie des Tragischen von
den Darlegungen des letzten, der Metaphysik des Tragischen gewidmeten Ab*
Schnittes ^hudich getrennt und unabhängig ist'. Wenn wir uns nun auch
nicht gani des Gedankens nwehren kQiHien, ob nicht das, was wir tragisch
wauen, nur dn Iirgebnis unswer irdisch menschlichen BcAraehtnngsweise is^
imhrend von emci' hSheren Intdligeni das fttr uns Unlösbare seine Losung
fände, so dafs vielleicht von einer metaphysischen l^tegorie überhaupt keine
Bede sein konnte, so folgen wir dem Verfasser dodk gerne *au kurzem Hinab-
steigen in die Tiefe der Metaphysik' und fronen uns nicht nur über diesen
Sehritt, sondern auch über den Führer. Festen Blickes geht er auf spiti Ziel
los, die bei aller Einheit dennoch zwiespältige Natur des letzten Weltgrundes'
darzulegen. Ihr entspricht die auch der endlichen Welt als solcher inne-
wohnende Tragik, und so bildet 'die widerspruchsvolle Verknüpfung des End-
lichen und des Unendlichen den tragisch -metaphysischen Kern menschlidien
Wesens*. Damit kommt Volkelt wieder an der 'Schwelle der Ästhetik des
TVagischen' an, so dafs Gedanke wie Darstellung gleich harmonisch und einn>
ToIl sich in sich abrunden — der Ver&sser ist eben selbst von kflnstlerisek
gestsltender Kraft erfOllt, die auch auf seine wissenschaftUohen Schöpfungen
ihren wohlthuenden Einfiufs ausübt.
Begiebt sich jemand auf ästheÜBchem Gebiete in die Beurteilung ton
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y. Yalentiii: Zur Ästhetik dm Traflfiiehai.
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£iiizelfrageD , so erhebt er mit jeder Darlegung seiner Auffassung ziigleich ein
neues Problem, das je nach dem besonderen Standpunkt der weiteren Beurteiler
verschiedene Lösungsverauche hervorruft. So geht es auch bei Volkelt: es ist
daher nicht zu yerwundern, wenn in der Beurteilung von Einzelnem Widttr-
tpraih. «ntatdit Von aolcben Panklen ad hier »bgeedieB, imd war um to
mdur, ab, womuf Volkelt schon aelhst hinweist, infolge abweichendrar Anf-
bamiig das eine oder das andere Beispiel in Wegfidl kommen kann, da jeder
iridit%sre Ponkt seiner Darlegung dnreh lablreidie andere Beispide noch ge-
stützt ist Zugleich aber wirken sie, auch wo sich berechtigter und begründeter
Widerspruch erheben mufs, anregend und eben dadurch auch wieder fordernd
ein. Hier kommt es darauf an, den Charakter des Buches zu beurteilen und
den Standpunkt des Verfassers klar zu legen: auch wo der Beurteiler nicht
instimmen kann, wird er gerne und laut Ijetonen, dafs er vor einer in hohem
Grade achtunggebietenden Arbeit steht. Die wahre Schätzung des Buches wird
sich in eben dem MaTse steigern, iu dcni man sich daä Gebiet klar macht, das
der Ver&sser bearbeitet hat. Eine Lösung des Problemes des Tragischen ttber>
btnpt wollte Volkelt nicht geben, nnd sollte das Buch so aufgefabt werden,
w mflJste im Interesse des Ver&ssers dagegen Einspmdi erhoben werden. De»-
Inlb ging nnsere Benrteilong von der seharfen Betimung des TMels ans, die
die Absicht des Ver&ssers klar ausspricht: nicht ein Weck Über das Tragische
liegt hier vor, sondern ein System der Formen, die das Tragisihe in der Kunst
und zwar speziell in der Dichtkunst gefunden hat, und dies bezeichnet Volkelt
als 'Ästhetik des Tragischen'.
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ANZEIGEN UND lüTTEILUNGEN.
ZUM HAUl'ALISCHEN PROZESS
Über den Haq)ali8chcn Prozefs ist bis auf
den heutigen Tag, soweit os sich um die
Schuld de« Deniosthcnes handelt , ein tiefes
Dunkel ausgebreitet. '} Um eiiiigennafsen
Klarlu it in diese Saehd m bringen, sind in
folgendem einige Fragen a«fg<MieUt und su
beantworten gesucht.
1. Hat D«mfw1lieiiC8 wirUieh SO Talente
an" dptii Ilarpalischen Gelde an firh p«'-
nommen? Die Antwort auf diese Frage
kann nicht kweifSDlhaft «ein; die Ansteige
des Areci]ia^'*' vind das Ziigf.<f iiiuliii.s des-
Demosthenes selbst, diese Summo zu eiueu
Voneltiini an die TheorikenkaeM verwendet
/u haben*), beweisen zur Qenflge, dals die*
io der Tbat geschehen ist.
8. Wann ist dieses Geld in die H&nde
dei DemoHllit ncs gekommen'/ Au» Pausanias
n 38, 4 f wcifs man, dafs der ?.u Rhodos
aufgcgrittene und von Philoxenos ins Verhör
tji'iiomnicne KaBscnfOhrer des Harpalos unter
den von diesem Bestoch^Mien doii Di mostheneK
nicht nauate. Also buttf der Redner, so-
lange noeh das Iii Id dem Harpalos sur Vcr^
fÖpuTip stand, keinen Anteil daran, und f\-^t
als es auf der AkropoUs lag, kann er somit
die angegebene Snume entnommen haben.
Nun flbemahm Dernns^thrnes zur Feier der
114. Olympiade (im Metagcitnion, d. i. August-
September 8S4) im Anftrage des Rates die
Liturgie eiiu's An liitliecii en ' ; dieset, Amt
aber hätte er nicht üboraehmeo können^
wenn er damals sdion im Verdachte der
Bestechung gestanden. Da also offenbar
erst nach seiner KQckkehr aus Olympia
') Pber die Kntstebiinp und drn Vorlauf
dieses Prozesses h. A. Schäfer, Demosthent^.s
und seine Zeit III 304 ff.
*) Hyperid. in Dem. fr. 104 und 105
eol. A; Dtnareh. in Dem. g 6: rrpoxlijtffff nal
avyuKfavriai ttuqü »JijuofrOMoes- ^xovfftj»,
inftdr} oinos &noni<f^ttvtai ti'nuai rülavta
f;|rn)r Youoiov U. Ö.
»} Hyiierid. in Dem. fr, 102 coI. B C: &art
th ftiv Tigmtov &tTO Stiv 6tioloyBtt' ftXjifpivtei
•) A. Sch&fer a. a. 0. in 814 f.; Dinurch
a. a. O § Sl»; fyfififj Tois' (fvyä^ca;
da« Gerücht aufgetaucht ist, dafs auch er
20 Talente de« Harpalischen Oeldes eihalten
oder sieh w iderrechlllch angeeignet, liejjf
der ächlui'B nahe, dala er das Geld bei seiner
Abreise decthin an sich gwicromen habe
3 Wann ist Harpalos zum zweiten Male
nach Athen gekommen, und wann ist er cot-
flobenf Der Umstand, dafs Harpalos tob
Philokles aufgenommen wurde '), der Ol. 11.3,4
Htrat«ge und Hafenkommandant war'j, be-
weist, dafs er ( Harpalos) noch vor Ablauf d«r
Amt-'jteriode diMes, also vor Beginn de«
attischen Jahres am 1. Hekatombäon 33 t
(d. i. Mitte Juli), somit auf jeden Fall vor
der Feier der Olympien dorthin glommen
sein mufg. Entflohen aber kann er erst nach
der Rückkehr des Demosthenes sein, denn
wenn er vor der Abreise dieses entkonunea
wÄre, so hSttp man. da man ja don Redner
beschuldigte, sein Entkommen verunlaTst tu
haben*), diesen sicherlich ebensowenig nua
Architbeoren ernennrn kWi!i:"'i v,-ie wenn er
zur Zeit schon der Bestechlichkeit angeklagt
worden wAre. Harpalos kann aber audi
iiii'ht wrihrend der Aliwe-^enhcit de< Demo-
stheacfl entwichen sein, denn sonst wäre eine
Beschuldigung de« ^»dnera in dieser Be-
adrang überhaupt unmöglich.
4. Zu welchem Zweck h^ Demosthenes
dieses Geld an sich genommen? Keineirwegi
um sich zu bereichern; dafür ist seine Un-
eigeanfitaigkeit zu sehr bekannt. *) Überdies
') Dinarcb in Phil § 1
■ *i A. Schäfer a. a. U. III .WS u. Anm.
») Hyperid. a. a. 0. fr. Iü2 col. Y\: eh i' h
xn ^pif^MfiOTf xov «rnfunin a^od ri]v ^via-
«V ««raeenfeaff mtI oSf* laleniDfi^rijv i»'
>(jd<äv ofcs wmäM^^mus ve^ irffisee
*) Um nur einige Beispiele VOtt »eber
Uneigennatcigkeit anauföhxen, so Ubemahia
Dem. im Jahre 967 eine freiwillige Trieiawhie
(Dem de cor. ^'.lO' : bei seiner zweiten Gesandt^
Schaft Uli rhiii]ip wies er das ihm von diesem
angeliotene ifi Hchenk sttxfick und verwandte
auf dieser Reise ein ganze« Talent <4500 M.)
aus eigenen Mitteln zum Loskauf athenischer
< letaiiu'eneii V.w <lem Hilfsgeschwader. das
dit^ Athener nach üysanx sandten i340 .
schenkt« Dem. eine Trier«; nadi der Schlacht
liei Chäronea gab er, a!"? man in Athen frei
willige Gaben dem Vaterlaude darlintiht«',
wieder ein Talent. Zum Vorsteher des .Muuer-
baues von seiner Phyie erwfthlt, fügte er dem
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AmdgMi lud Ifitteilttiigeii.
301
fehlt ea ihm an 6eld, die verhältniBniärsig
geringe Straftnmme von M Talenten zu be-
rahlfn, tlHcr die er Lei -fincr ikiicrkiiimtini
Xücbteraheit hätte verfügen mii««en. wenn
■eine Offner mit der BehBnptang Recht
hätten, dafs er seine ivolitischp Thritigkeit
tur Geld verkauft habe, 'ji Wenn Demostheuea
Mtti, er ImIm die M Tnlente cn einen Vor-
■ehnfs an die Thr>nnk«>nkaEiRe benutzt, oo ist
auch dies sweifellos nicht der Wahrheit ent*
ipreehend, denn man begreift nidit recht,
vrir- er in difsfui Fallf hritff vr-rurffilt wor-
den kSiineQ. Oli'enbar hat auch der Redner
BBch den Worten der BTperideeitelle fil»
V(/üTOV ätro . . . »('ini' ursprfinj^liclie Hf-
baaptojQg Ober die Verwendung der lielder
Hiebt enfrecht eibnlten. Nun aber tOat
Hyperidee in Dem fr. 102 rn] C fort: x«!
%tifue»v Kvocifop %al oi &iloi (film aitov
Afrov, Sn drayiufeovet «J^ äp9pmro9 vi
alrtoifuvot ff« t('> r(o fn>or ftf/x^rr. a o)' ßov-
Inat Mcl tinttv äri %<jt dijiif» HQoiti&vntnui,
«II fif^fun« »h #m{ki]0iv. Denuiach, so
cdiliofst .\ R. liiif.-r TTI.12:i .\i\m 1 mit Recht,
handelte es sich um ein Staatsgeheimnis.
5. Worin beetand dieeea Stai^egeheinun«,
und wufi^tc (lor Areopag daruur?
Um den aweiten Teil der Frage zuerst
BQ beaatworten , so glaube ich wohl, dalb
der Areopag die Kenntnis dieses Geheiro-
niflsee mit Demoitlienea teilte. l>enn wie
bitte er emist (Iberbanpt wiaeen kOnnen,
dab der Bedner 20 Talente genoinnien?
Üodaiiik aefaeint sein ZOgera*), womit er die
laiflte der Schuldigen heranagiebt, nicht, wie
DinaKh*) meint, ana der Foreht'vor der
überwiesenen Gelde aus eigenen Mitteln noch
100 Minen (7500 M.i, als Vorsteher des Ge-
tretdewesens ein Talent xa. Dafs er auch
flonat im Privatleben wohlthfttig war, be-
weisen seine in der Kraasrede f 868 offen
au9ge«procheueu Worte.
Hyperid. a. a. 0. fr. 102 cd. B und
110 ooL B: xa) Äirmoe^iv^ Kol AiuuiÖtjP d»'
«hAp r&p iv ■!i6Xh '^q>tßaatta9 ««i srpo-
^ft'töiv oiuui rrifitü ;j *|»'xoirf; x äXuvr u
pinjitui;! VOM dem Pcrs^irköiiis^ im J. .33."»
300 Talente an Agitationszwecken gegen
Alexander) wcrl tAv wsep* *AXt^v9pov. Vgl.
femer fr. 10** rol .\ n n , sowio fMnarrh in
Dem. ^ 2H: u(cö-6)To,- auto», «ü A^riifaiot,
*; Hrperid. fr. 104: raCr' o«x inAvtie,
iW into To9 d^fHrv «roUdw; 4ipay*u(6iit90t.
'i Dinarch a a 0 S .': ■xooorK'bou i] (iovli],
lijHP Kfiti nifÜTTHv ivvafup. Wie sollte aber
der Areopag noch den Demosthenes fifirchten,
wo a^eii aeinen ArlOierett Qegaera noch
Macht der Angeschuldigten hervorgegangen
in sein, vielmehr bin ich geneigt zu glauben,
dafs die .\reopagiten, um das Staat-igeheim-
nis wissend, den Demofthenes möglichst
lange an «cbünen suchte». Warum, eo kann
man fraj^on, Ijut ilt'r .^rcopap sinnt» .\nzfipr
nicht durch Zeugnisse und Kewei»e irgend
welcher Art belegt? (HTeobar mochte er
da<! ^taat^'^rflif^inmis nicht prfi-^rphr'n und
liel's lieber, als er, von dem Volke gedrängt 'i,
nicht Iftager aandeta konnte, den Redner
fallen.* Am Ii liin i« Ii vfr«nrht zu glauben,
daTs die verhaUnism&rsig geringe Strafe von
60 Talenten, wo doch nach Dinardi f 60 anf
i'iiii iii V* r;;fli( II, wie og Deraostbenos schuld
gegeben wird, entweder der Tod oder der
sehnfiwbe Betrag veft II ^6z4? li^fifiaretf al«
strufc -«(aixl. auf den EinfluA dea Areopag
zurückzuführen ist.
Schwieriger iat die Frage nach dem Weeen
dieses Staatsgeheimnisfäf* .\iif jeden Fall
war es derart, dafs der Areopag nicht da-
von apredien mochte, nnd dafe Demoiitjienea
selbst nac}] srinor ZurncklMTiifiuig >>u h lieber
schuldig bekennen, als davon reden wollte.
Nnn ist es nicht unmöglich, dafs Demo-
sthenes, wie oben gesagt, bei seiner Rtie»'
nach Olympia die SO Talente ans dem Uar-
paliecben Oelde an aidi genommen hat.
Ferner lilfst eine Stelle bei Dinarch in
Demoath. § Hl r tTtt) .Vixufopt 9tä vj)g
9tmfueg ivTvx^i^' ffiori-no, daranf aehliersen,
dafs Deroosthenes öfter vor seiner Reise den
Wunsch geUufsert hat, die f Jclfi/inhcit zu
bekommen, mit (dem ausStagiru» gebürtigen)
Kikanor xu reden, ''i Aufaerdem iat es auf-
flUlig, dafs I>emoBthenea vor seiner Reise
seine bisherigen Parteigenoasea ihm feind-
lich gesinnt waren y
') Hyperid. fr. lOi.
*y DemosthiTn:-.^ scheint dirü iiiiht er-
wartet zu hübeu. Sein Antrujn'. daf-« der
Areopag über ihn Untersuchungen anst- llen
solle, and seine Erklärung, den Tod erleiden
zu wollen, wenn er von diesem schuldig be-
funden würde (Dinnrrh in l>cTn ij 1 «40
u. ö.;, beweist deutlich eutwtdcr, daU tr
sich vülUtilndig unschuldig fühlte — was
aber nach dem bisher Gesagten nicht wahr-
scheinlich ist — oder sieher darauf rechnen
zu könni'ii erlaubte , <lar« di'r .^rrajiaßr aus
fcwis»en Gründen ihu mtljt ueiiutii würde.
)ie«er aber mag bei der herrschenden Stim-
mung im Volke und bei der Unmöglichkeit,
den verbleib dee Geldes anderweitig an er^
klären, nicht hüben anders handfh» künnen
'i Daf« sich I>omostbenes um die Liturgie
eines .Xrchitbeorcn eifrig beworben hat, be-
weisen die Worte l^inarchs in Dem. % üi;
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30»
AueigeD und If itteiliuigaii.
gegen, nach derwiben fflr die CHMtiieh-
Bprecliung des Alexander') goredot hiit.
SchUeTslich giebt die Art, wie der Bedner
Ton leiner Straft gdflat wird, jsa deniten.
Er erhillt nämlich, wio Ix-kannt, den Auftrag,
deu Altar des rettenden Zeu» für 'dag erst
•m ScUiime des Jahn», idio ungelUhr
6 Monate nach soinor Rfickkelir' zu feiernde
Ppferfett aufzurichten und zu achmdcken,
wofllr Uun der Staat die gance Somme der
zu erlegenden Bufse von üU Talenten auB der
Staatskasse anweist.') Wenn wir su diesem
allen aus Plutarch Alex. 77 erfidmn, dab
sechs Jahre nach dem Tode Alexanders der
Verdacht entstand, dafs der KOnig an Gift
gestorben*}, wenn wir bier hOren, dafa
Olymiiias den lollas, den Bruder des Eai-
sander, als Thäter in Verdacht hatte, wenn
wir in derselben Schrift § 74 lesen, daSs
Alexander einmal den Kassander in der
schmählichst eu Weise behandelte und dafs
dieser in ^püturer Zeit bei einem unerwarteten
An)ilick der Alexaadetstatne in Delphi in
grofsen Schrecken geriet, wenn wir erfahren,
dafs Kassander Ende des Jahres 318 seinen
bisherigen treuen Freund Nikanor beimtfldn-
Kcher Weise kurz vor der Zeit tötet«*), da
Alexanders Mutter Olymjpias, nach Macedonien
nurflclqgekelirt, «iffan Kaesaader and dessen
Bruder lollas des Mordes an ihrem Sohne
seiht, so muTs der Verdacht entstehen, dafs
DeaaoetlMMS den mkanor mit den firagliehen
20 Talenten (90 000 M . bci^tochen und dafs
durch dessen Yermittelung Kassander*) und
loUa» den iinglllck]idie& KOnig ans dem
Wega gMdtaftI haben,*)
Hjperid. a. a. 0. fr. III col. C; Dinareh
in Dem § 04
*) l'iutarch, Demostb. c. 27 j Leben der
X Bedner i». BMd and A. Sehifer III 870
Anm. 1.
*) Man vergleiche auoh Arn an, Aneb.
VII 27, wu als unverbürgte Xuclirieht das
Gerücht erwähnt wird, dal's Aristotele» dm
Qüt bereitet, Antipater es durch seinen Sohn
Kammder nach Babylon geschickt und
lollas, ein f weiter Selm des Antipater imd
Mund»fcbenk Alexnnder^, dieaes dem Könige
gereicht habe. Dazu Plutarch, Alex. 77, wo-
nach ein gewisser Hagnot he Ulis dies von dem
Könige AAtigonu« gehurt, haben will.
*) Diodor XVIlf 76 , Pulyaen IV 11, 1.
*i Es ist mir immer uierkwürdig er-
schienen, dafs Antipater nicht seinen Sohn
Kassander, sondern Pdjperdiott bei seinem
Tode «im Beichsvecweeer gemacht hat
Sollte er von dem yerbreehen seines Sohnes
Kenntnis gehabt haben?
*) Im Leben der X Redner p. d49 wird
sogar erdhlt, daTs Hyperides gleich nach
Bei dner solchen Aiina.hwi^ werden alle
Erscheinungen des Harpaliscben Prozesses
klar. £e wird klar, warum Democthenee
erst gegen die göttlidie Ehrung Alexanders
spricht — damals hatte er den unheilvollen
Gedanken noch nicht gefabt — und dann
fttr dieselbe seine Stimme eriiebt. Es erkl&rt
sich, waram der Areopag so lange mit seiner
Anzeige zögert. Offenbar wartet er die Nach*
rieht von dem Erfolge der Bestechung ab.
E» erld&rt sich, wanun man den Harpaloe
entfliehen Hefs; man wollte ihn nicht an
Alexander ausliefern, um an ihm in dem
bevorstehenden Kampfe gflgw Maeadonien
einen treuen Helfer zu gewinnen Die
Worte, die Demosthenes nach I'Iutarch
Demosth. c 'IG spricht und womit er sich
über die Gefahren der politischen Laufbahn
beklagt und u. a. sagt, dafs der Weg »um
Tode dem zur Rednerbühne vorzuziehen sei,
werden durch untrere Annahme erst in das
richtige Licht gerückt, und die Art, wie der
Bedner von seiner Strafe gelOit wird, Errich-
tung und Ausschmückung eines Altars, wird
erst recht verständlich. Zum Schlufs erklärt
sich das Stillschweigen, das Demosthenes
über die Verwendung des Geldes bewahrt.
Allerdings mag er manches Mal zur Zeit
seiner höchsten Anfeindung daran gedacht
haben, das Geheimnis preis?:" gehen; dafür
spricht die oben zitierte Stelle des Hjperides,
daTs Ibosion umhergegangen sei und gesagt
habe, Demosthenes habe das Geld genommen
tis ritv itolmioi», ein Wort, das an Perikles
erinnert, dar naeh dar Bestechung dea nd-
stoanax f44.'j hei der Recheuächaft.äiablage
das dasu verwendete Geld als im^iii vor
dem Tode Alexanders einen Antrug aaf
Ehrung de« lollad, der den Küuig getötet,
eingebracht habe (_»bgleicli diese Notiz mit
der oben aus Flut. Alex. 77 angefahrten in
Widersprach sieht, so glaube sie dodi
nicht ganz von der Hand weisen zu dilrfen
Es künnti) imim^rliiu möglich äciu, duXü däa
(Verficht von einer Ermordung schon gleich
nadi Alexanders Tode auftrat, aber in der
Folge auf Qrond der irstlidien Teröffent-
lichungen (iqrqiisQiSei; ßaalltioi Arrian VH 26)
verschwand, bis es dann durch irgend einen
Zufall — ich nehme an Verrat des Nikanor —
wieder zu Tage trat. Dab Aristoteles dem
Könige das Gill bereitet habe (Plnt. Alex. 77;
Arrian Vll 2" , glaube ich gerade so wenig,
wie diese Gcwährmllnner. Möglicher Weise
aber kann der Umstand, dafs sowohl Nikanor
wie Aristoteles aus Stagiros stammten, sowie
der Wunsch der in das Gdieimais ein-
geweihten Athener, deu Verdacht auf falsche
Fahrte zu lenken, diese Verwechselung herbei-
geAUirt haben. Vgl. Stahr, Aristotalea I IM
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ßuumgm nad IGiteUw^gflB.
803
de th diw MifllliTie. *) Ja, weim Hyperidw
Demosthene« habe erklärt, 8rt 'AXtiüvitQtp
f«fi|iQfi^ §V9kii iptltlv ttinitv ßoilew,
•0 «^«ut auch dies darauf biiuraweueD,
dafs Demosthenes wohl Andcutaagen hat
fallen laawn, aber natArlich von dem Nicht-
eiageweiliteD nieht verrtanden wurde.
Es fragt sich niu, ob die Sache, was
Demoatbenea betrifft, psjchologiach möglich
ifL Wae dies anbelangt, ao erinnere ich
aar an lein Auftreten bei der Todesnachricht
dee rhiUppas. *) Ein Mann, der bei dem
Tede eines Gegner! tainer Freade einen
solchen Auadmek an gaben im »<tatHle ist,
wie dies von Demosthenes uberliefert wird,
ist von einem Schritt, wie Bestechung zur
Ermordung des gefälttUdllten Feindes seines
Vaterlaudes, nicht gar weif entfernt, bo-
üoiidbrii wu dar riuiußumord bei den
Griechen für eine verdienstliche That galt,
wie die Yerherrlichong des Harmodini and
AristogitOD beweist.
Bei Lykiug, Leoerstoa f M finden neb
die Verse
Stttv jem iuyii damövap ßXänty riva,
tbv vovv töv ie^Xiv, tts ii tiiv {tt^cs tfimn
^v&iiriv, tv' tlS^ firjdif anuifravti.
Bieee Worte passen auf Alexander den
Groben. Mit «eineai Verlangen , unter die
Götter aufgenommen an werden, berfinp er
weni^tens den Macedouit^rn uuü Üriechen
gegenflber einen nicht wieder gut zu machen-
den Fehler Denn dadnrcl) machte er sich
bei diesen verhafst, ohne bui sei neu Göttern,
in deren Kreis er sich eindrängte, Hilib an
finden. Mit richtigem Blick mochte Demo-
stbenes erkennen, dafs jetzt oder nie die
Zeit so einem ÄaieUage gegen den 6e-
ffirchtctPn pekommen sei.
Ob ich mit meiner Vermutung das Richtige
gefafoifep babe, weilb Idi niebt. Idi übergebe
fie hiermit berufeneren Männern zur Be-
urteilung und bitte nur, sie nicht etwM nur
deabalb sordektaveisen, weil sie etefc bente,
nach mehr als 2000 Jahren geilnfsert wird
leb glaube aber, dafs wir durch die Über-
tlefbning in den Stand geeeftzt nnd, gerade
Ro gut wie ein Zeitgenoise in dieier Saebe
unser Urteil abzugeben.
HtMH> WituataCcmn.
Plut. Pericl. Ariatoph. Nub. HM.
*■) Aeschin. in Ctesipb. g 77 und 100}
Plntarcb, Demoetb. c. 8S u. ö.
ZWEI HISTORISCHE SAMMELWERKE.
Tn eeUiebtem Oewande, ibrem in engerem
Sinne wissenschaftlichen Zwecke gemäfs, tritt
die Uiitoriiebe Bibliothek vor die
OffentücUceit. Sie iat bervorgt^gung^n aus
der bekannten 'HistoriBchen Zeitschrift', die,
begründet von Heinrich von Sjbel, jetzt von
Friedrich Meinecke herausgegeben wird: die
hier und da bemerkbare Abneigung der
Gelehrten, ihre Forschuugner^'cbnisse ku
kürzeren Aufsätzen zu verarbeiten, hat die
Redaktion dazu geführt, Abhandlungen ge-
mischten Inhalts, deren L'nifunf,' ülier den
Rahmen eines Zeit^SLhrifteniiuf-^atzeJi hinauti-
reicht, auch kleinere Sammlungen noch un-
bekannter Quellenstfleke in Buchform in
zwangloser Folge crschvinen /.u liwscn; also
VerOffbntlicbttngen , di«" den Anspruch er-
heben , neups ^esehiclithches \\ iss»en zu er-
schlielsea, für die aber Verütandnis auch
bei einem weiteren Leserkreis voran«geeetct
werden kann. Dap erste Rändchen ist dem
grofsen Mitarbeiter und für kurae Zeit auch
Mitherausgeber der HiatorifeheB Zeiiidirift,
Ileinriih von Treitschke, gewidmet. Theodor
Schicmonu erzählt dessen 'Lehr- und Waoder-
jafare 18M— IMe* bis xa der Bemftmg an
die Universität Kiel und der Bepriindung
eiaer eigenen Hiluslichkeiti vielfach gestützt
auf unbekannte Briefe und urkuadliebe Nach-
riehten ilber die ünfseren LebensereipnisHe,
eine recht lesenswerte Vorarbeit zu einer
kfinfUgenLebensgesdiidite dieser gewaltigen,
reichen nud doch lichtvollen Persönlichkeit.
Im zweiten Bande bringt Emil Gigas 84 Briefe
Samuel Pnfendorft an Cbristiaii Tbomaeins
zum Abdruck , wert \ rill als Bereicherung
unsere« Bildes von seiner Persönlichkeit, wie
als <)u«U« tot Oeistesgeschidite seiner Zeit.
Der <1 ritte Hand ist dem Andenken Heinrich
voQ S>-bels gewidmet Conrad Varrentrapp
bietet in der Einleitung eine Darstellung
seines Lebennganges mit einem nach der
Zeitfolge geordneten Verzeiebnis aller seiner
Scbriften. Daran schliefsen sich 'Vorträge
und Abhandlungen', von denen die zur Ge-
schichte bedeutender Männer der Geschichts-
wissenschaft, sowie die Aufs&tze über die
Berliner MOntag« 1848 und die preufstaeb«
Heert-sreform von l«6i) besonderes Intcrpsse
erregen. Im jüngst erschienenen vierten
Bande behandelt Rosenmund Mie Fort-
schritte der Diplomatik seit Mabillon vor-
nehmlich in Deutschland-Österreich' ; d. h. er
sdüldert die Verdienste, die sich hervor-
ragende Gelelirti'. verstorbene und lebende,
namentlich das Haupt der Wiener Diplo-
matikersebttle, derHerauigeberderdmlsdian
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304
Ammgm. und Mittarihmg»,
Kaiüerurkunden, Tlieotlor Sickel, uud ueben
und nach ihm Julius Ficker und der Berliner
Hechtshistoriker Heinrich Bninner um die
Fortbildung dieser HilfswjsnenHchaft der Ge-
■ehiehte erworbra hilben. Angekflndii^ ist
flilie Abhandlung filior 'Territorium und
Stadt' aus der Feder des auf diesen) Ue-
biete verdienten Foraehera O. von Belo«,
sowie eine Darlo^juiif; Heyc];^ über 'Adel,
FOrsteotom und Königtum bei den Uermanen'.
Dient die Hiatotisehe Bibliothdt nur
iiobeiiliei der Mehrung des geschichtlichen
Wieaen« unter den üebildeteu Deutschlands,
■o wenden sich die Monographien xtir
Weltgeschichte 'in reich illugtrierteu,
vornehm ausgestatteten Bilnden^ an diese
fast ausüchliefslich. Die Leitung des Unter-
nehmens liegt in den Händen von Ed. Heyck.
Die Sammlung, bestimmt 'einst ein Ganzes
7.U bilden, dut$ die Höhepunkte der geschicht-
lichen Entwickelung umfassen wixd*^ soll die
vielbändigen Weltgeschichten ersetzen , die
stt blofsen Nachschlagewerken geworden sind;
angestreht wird 'eine Bebaadlnng der ein-
zelnen Zeitalter in der Weise, diifs sie an
ihren hervorragendsten, für die Zeit maTs-
gebenden und chnnikteristieehen ESvscbei-
nun^;eii dargenfellt werden sdllen', Pis jetzt
liegen drei Bände vor, 'Die Mediceer' aus
der Feder deaHernusgebers, 'Königin Elisabeth
von England' von Erich Mareks, 'Wallen-
stein' von Hans Schulz. Es wird darin
eine fesselnde Persönlichkeit von allgemein-
geschichtlicher Bedeutung in den Mittelpunkt
der Darstpllung giM ückt , lebensvoll her^'or-
treteud aus dem breit aufgetragenen Hinter-
gründe des Zustündlicheu ihrer Zeit. Eigen-
tümlich ist diesen Mouographitii zw<ierlei.
Einmal der Versuch, auf äufserst knappem
Raome — durehieiiiiitWdi werden es bei
Absug der Rilder ßO 70 Seiten «sein — ein
ganses Zeitalter dem Leser so vorzuführen,
dafs er nicht etwa bei völliger Voraneeetzung
der Kennt nir. de- St.ifTrs nur all^renieine Dar
legungeu über den Gang der Entwickelung
erlOIt, eondem wirklich ein volles Bild des
damaligen Lebens mit beinahe allseitiger
Berührung der verschiedeneu Lebensgebiete.
Eine solche Behandlung setzt nngemeine
Beherrschung des Einzelnen im Dasein und
im Geschehen des dargestellten Zeitraumes
voraus, zugleich aber eine aufserordentlicbe
Flhigkeit, in da» Wesen der Dinge einzu-
drinf^en Entschieden ■geglückt ist die Be-
wältigung dieser Aufgabe in den Arbeiten
von Beyck and M«rcks; ja Mareks bietet bei
seiner KraO der ('IiaralJeristik . bei «einem
hellen Blick tür die im tiefsten (»runde be-
wegenden Mächte der Zeit, bei seiner Ver-
wertung noch wenig bekannter Gcschicbts-
quellen, s! Fi der anziehenden deutächen
Iteiseberichte, auch dem, der mit der Ge-
■ehldito den Zeitnunm vwtmnt ist, eine
Fitlle von Belehrung J^chulz beschränkt sich
in höherem Mafse auf das Leben seines
■chickialsvollen Helden, daa er gcaAT« den
gegenwilrtiffen Stande der Fnrschun«^ in
schlichter Form erzählt Es wird also in den
Monographien wiiUich ein Bildnngsanitlel
geschaffen, das einem uiileuj,'bareu Bedürf-
nis genügt. Freilich möchte man wänschen,
dah aUen, denen Geidiicbte nidit ein er-
götzliches Schauspiel, ioadem ein tiefes
und ernstes Mittel zur Herausarbeitung
einer eigenen Lebensanachauung ist, diese
MonograpiiieB nicht mehr sein möchten,
aln Anregung; gelegentlich ein Ersatz der
umfstösenderen Darstellungen, aber nicht ein
bequemes Mittd, jene auf die Dauer sa
entbehren.
Das aweite der Sanunlnng Eigentümliche
ist die gatis nngewObnlieh reidie Beigabe von
Bildern: hier 'ritf in OeschichteweÄen das
Bild zum ersten Male völlig ebenbfbrtig dem
Wort nur Seite; es teilt den verwendeten
Raum mit jenem so^'ar sehr ehrlich. fJe-
wifs kann nun das Bild nicht nur künst-
lerischer Schmuck sein, eondeni auch Er-
kenntuismittel, zumal wenn, wie es hier
geschieht, Kunstwerke der behandelten Zeit
selbst in ausgiebiger Weise verwendet wer-
den, wird damit einem Wunsdie von
Ottokar Lureu7, entf^egengekommen , der ee
ItJUl als eine der lolinendsten Aufgaben be-
zeichnete, 'wenn endlieh ein liegestenwerk
nicht für die L'rl\undi'u, Hondeni für die
äufseren Gestalten aller Itegierenden und der
ihnen nahe stehenden Penonen von einem
Institute für (leschichte besorgt würde'
Aber die in den Monographien beliebte Art
der nittstration bedeutet keine otganische
Verbindung von Wort \ind Bild, die höchst
selten su einander passen. Eine Verständnis-
volle Anfiialnne des Textes wird oft geradesu
unmöglich, weil die Aufmerksamkeit be-
ständig abgelenkt wird. Es ist dringend
zu verlangen, wenn hier ein Bildanghmittel
gesdiaffen werden soll, das ernsten Zwecken
dient und nicht nur dem flüchtigen Vor
gnügen des SchauenH, dal« diuscui t'belstaaU
abgeholfen werde, trotz der gewifs nicht
geringen terhnischen Schwerigkeiteu Erst
dann wird man das Unternehmen den wirk-
lich Gebildeten in nnserem Volke ohne Vor-
bdialt empÜBililen kOunen.
KUDOL»' KüTcscau.
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Al<h i. Mmea und auigeilelDtci Ortbohcn nördlich von der »<«alhurg
Zu S. 274.
Abb. 5. BckonatruktioD der /inneu an der üudweilecka dei Kattelli.
Nsux JahkbC'crkr. mU8. I. Aht., l. ünri.
JAHEÜANÜ 189Ö. ERSTE ABTEILUNG. FÜNFTES HEFT.
DAS PROBLEM DEB ÄSOPISCHEN FABEL.
Von AüOUST Hai-srath.
Die letzten Jahrzehnte unsoics Tülirhnndprts liahcTi in rillen modernen
Litteraturen da» Studium dti volkstümlichen Gebräuche und Cberlicfcningon
machtig aufblühen sehen, das joikivre ist eine eigene Wissenschaft geworden.
Auch auf dem Gebiet der altklassischen Litteratur haben anukjge Bestrebungen
ttne Ffllle neuer Erkenntnis geschaiSeu. Man hat auf das achten lernen, was
Wikmowits mit glucklidieni Worte als die 'ungeschriebene Littentnr' be-
leichnet hni Wie die Odyssee einen reiclien Kranz alter Sdiiffersagen von
den Wundem mtd Sdirecken femer Länder ToraoBeetst, so hat manche tin-
begreifliehe Phantaslik in der älteren attiadum Komödie dnreh den Hinweie
auf versprengte Reste alter Volksmarch^ ihre glückliche Deatnng gefunden.^)
Aaeh der dramatische Dichlery der einen rielbehandelten SagenstofT neu formte,
setzte sich nicht weniger sorgsam mit den im Volk umlaufenden lokalen Tra-
ditionen auseinander wie mit den Kunstschöpfungen spiti»"- 1>erühmten V(>rifnnü;er.*)
Auf diese aligemein bekannte, nirgends im Zusammenhaug aufgezeichnete Über-
lieferung beziehen sich zahlreiche Anspielungen in den Schriften sj)iiterer Autoren
in Griechenland wie Rom, man bmucht nur au Xermphon, I'lutaieh, Lucian,
tn Varro, Horatiuü, Petroniua zu erinnern. Überall ist sie ztt spüren^ die un-
gnehriebene Litteratnr des Volkes, nur an einer Stelle tritt sie uns greifbar
entgegen: in den Bammlangen der iMpisehen Fabeln.
Denn audi in das merkwflrdige Kon^omerat^ das nnter dem Titel Fodtdae
AfS(*pica€ in unkritischem Dureheinandw auletat von Halm (1852) neu abgedruckt
worden ist — 'bearbeitet' kann man nicht sagen — , haben diese Forschungen
etwas Licht gebracht. Lehrte die Litteraturgeschicbte seit Tyrrwhitt und bis
auf Christ'), dafs diese uv^oi Jlücjjrftnt in ihrer Gesamtheit nichts seien als
Auflöstmgen (Irr ^ivd^i'uujiot dcti Habiius, so wissen wir heute, dafs »las nur
Äof den ailerkleinsten Bnichteil derselben /.utrifi't. Die Mehrzahl ist von den
Kunstschopfungen des spät^^n »Syrers völlig unabhängig, und ein leider nicht
BUt absoluter Genauigkeit zu bestimmender Bruchteil geht auf jene volkstüm-
Uchen Traditionen aurflcl^ die jedem kriechen ron der Ammenstube, der Sehnig
den Gastgelagen, wie sie in Aristophanes Wespen geschildert werden, geläutig
waren. Aus demselben Boden war zu der Zeit, da der epische Sang allein
^^^^^^ *
',1 Zieliuski, MärchenVnmnrlir Petersburg IKt^ä.
*) V. WUamowitz-Moeliendorft , Einleitung ko Eiiripideii' Hippolytos ä. 'Ab ff.
Gr. Litlerai. üeach. * S. Iii.
»•mJftfaiMahw. tSia L SO
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306
A. HMMitttli: Dw Problem der BeopiMlien Fabel.
hemchte, sicher schon manche ToUntfimliche Diditnng entqtrossen. Die Reste
des Margites, jenes nnlten schenhalleD Epos, das mia dem Homer Mlbsfc su-
snsehreibeii kmn Bedenken famg, die Bafaradioniaehie, deren nnhekannter Ver-
fiwaer popnl&re Tiendmiinke zur Parodie des Heldenepos Terwandfce, vertreten
hier eine verloren gegangene Litleniter. Derartige, xunSchst wohl ebenso wie
die grofsen Epen mfindlich weiter getragene Dichtungen und die im Volk um-
laufenden, sich stets vermehrenden Märchen und Fabeln waren dem Archilocbos
bekannt, der, wie die litterarhistorische Forschung des Altertums bereits her
vorhebt, schon vor Asop 'äsopische' Fabeln verfalste. ^ i Um (><^^ herum iiiiig
dann die schriftliche Fixierung erfolgt sein in SHmmlungen, die für das Volk
bestimmt waren. Seitdem ist diese gesamte Litteratur mit dem Namen des
Aaop verknüpft, dm Herodot auf Qmnd einer fBr uns nidit mehr kontrollier-
baren Kombination som Zei^enoaeen der Sappho madii
Neben diesen eben charakterisierten Yolksbtteliern aber, die ihren Inhalt
dem wechselnden Gesdmiack der Zeiten anpassen, hat die neuere Forschung eine
weitere Quelle erkminen gelehrt, die bei der Herstellung der uns vorliegenden
Sammlungen der AUuoxtytd reichlich ausgenntat wurde. £s sind dies Schul-
bücher, wie sie der im folgenden genauer danuatellende Betrieb der Khetoren-
schulen zur Voraussetzung hat.
Was so auf dem Gebiet der äsojjisehen Fabel durch eine Reibe von Kinzel-
nntersuchungen ermittelt ist, soll auf den folgenden Blättern zusammengefafst
und in einigen Ponktai «r^biit werden. Als Chrondlag» dieser StodieD mnlii
auch bente noeh die Abhandlung Ton 0. Keller erwShnt werden, der im
4. Snpplementband der Jahrb. flir dass. FhiL die Gesehiehte der Fabd im
Altertum zu entwerfen suelite, wenn auch seine Ausführungen oft der nötigen
kritischen Schärfe entbehrten und in wesentlichen Partien tiberholt sind. Das
Hauptverdienst, dafs wir jetzt über Kellers Ergehnisse hinausgekommen sind,
gebührt 0. Crusius, der nun in den Prokgonionft der Babriusausgabc und
dem Artikel Babrius bei Paulj-VVissowa diese btudien zu einem vorläufigen
Abschlufs gebracht hat.
Freilich, über Heimat und Ursprung der Fabel weils die ueuere Forschung
nicht mehr an kflnden, ab vor 50 Jahren geboten wurde, wo diese Frage viel-
fitu^ erörtert worden isi Im Gegenteil, man hat sieh hier daran gewiHmty die
Grenzen des mit Sicherheit Erkennbaren enger zu umschreiben. Wenn man
froher darüber sfaritt, ob die Fabel aus Indien oder Arabien den Griechen xu-
gebracht worden sei, so gilt diese Frage heute als müfsig, seitdem man er-
kannt hat, dafs bei dem phantasievollen V^olke selbst alle Vorbedingungen inr
Entstehung dieses wie anderer Litteraturzweige gegeben waren.
Ebenso nialsen wir uus beute nidit mehr an, zwischen den einzelnen Unter-
arten des Alöi'oTruoc;, für die uns die Rhetoren eine Fülle von Namen —
koyoi yiißvOTixoC, yiiyvsiTwi, Kikixi^^ Ku^ixoi u. s. w. — zur \ erfügung stellen,
*) Vgl. Schol. iu Aristoph. av. 662: ea(pü>i avixi&touv AiootJta ror»- köyov^, nai tovror
rhv natfu 'AQx^oxtfl ltf6iuww, sn/tm sr^ctf/tor^^ tvtt (Schot ed. Dind. lY S p. 801).
A. HMunfh: Dm FroU«ni der teopiMihen Fabd.
307
mit Sicherheit scheiden zu wollen. Keller hat hierauf vergeblich vielen Scliürf-
sinü verwandt, und A. Ludwich ist ihm dieser Tage trotz seiner Abnei^ ug
gegen 'ins Bliiue hineinspielende Hrpotheflen'*) wieder viel zu weit auf dies m
Wege gefolgt. Schon die Notüuakunft der Hiietoren, die Fabeln geien <iaiiii
kahsche, wenn der Anfang laute: Kaifixbg dvri(f . . ., dann kjprische, wenn sie
be^bmen: Kvxffia yvvi^ . . , vaad bo waitor dnreli «Ue Möglichkeiten*), beweist
dentlidi, data die Herren echoii za Theona Zeit nicht Idfiger waren ab wir
hente. Nur ron «ner der bei den Bhetoren aofgesSblten Abarten wies«! wir
Genaueres: das sind die I6yw IhtßttQtnuoC, r<m denen nodi die Rede sein wird.
Was nun schliefslich die Persönlichkeit des Äsop selbst angeht, so heruht
des Urteil hier naeh wie vor allein auf dem Bricht des Herodot (II 134 135).
Er erzählt von einer weitverbreiteten Tradition, nach der Asop am Sitze des
Orakels zu Delphi von der Hand der Priester erschlagen worden sei. Die Blut-
schuld rief schweren Groll defi Gottes hervor — j4löämeiov uiuic i.Ti tüv
dv6u:i<n>i':iToig xui xaxoi^ ovfi'dsfSt övvfxouh'Oüv heifst es seitdem im Sprich-
wort. Um sich zu löafcn, erboten sich die Priester, den Nachkommen des Asop
bohe Sammen su zahleo. SchlielBlich meldete eich ein Samier, der ein Enkel
dee ladmon sa sein Torgab, in dessen Diensten einst d«r SkJave Äsop ge-
tfaunden. Hau siehi^ der Vatw d«r OesehiditBclireibung bietet auch hier nichts
laderea ala eine novellistische ErxShlnng, wie die Gfdtter den Tod des ün-
Bchnldigen an den Priestern r&dien. Schon zu seiner Zeit alao hat sieh die
Volkssage der Persönlichkeit des Fabolieten bemächtigt. Spuren dieser volks-
tfimhchen Traditionen Aber Asop finden sich noch viele. Schon Leasing^) hat
bemerkt, «IhTh die ältesten Fabeln immer an ein bestimmtes Hufferes Ereignis,
d. h. an ein Erlebnis ihres Autors crckuiipit erscheinen. Sie scheinen also mit
einer Lebensbeschreibung des Asop zusammenzuhängen, in die naehweislich mit
der Zeit vieles aufgenommen worden ist, was von andern Lieblingen des Volks
auf Asop übertragen wurde. Eine letzte Überarbeitung dieses ßtog liegt uns
heute in dem sogenannten Aeoproman, der falsehlieh dem Mazimns Planndes
mgesdirieben wird, in iwei Beaensionen vor. In früheren, im einzelnen nicht
mehr gman ftetrastellenden Fasenngen glanbt nnn Cmsins dieses *Volksbnch
vom Iscp' bei Arittophanes, Pinto, Xenophon wiederanerkennen, die daneben
aUe einen bestimmten Kreis inhaltlich gleichartiger Erzahlnngen als äsopisch
bezeichnen Ob wirklich alle diese Fabeln zuerst im Rahmen einer Bol<dien
volkstümlichen Legende vom weisen Äsop vorgetragen worden sind, mufs
einstweilen dahingestellt bleiben: ein starker Beweis für die Richtigkeit dieser
Annahme scheint darin zu li^en, dafe auch Phädrua offenbar eine Quelle
') Einleitung zur Batrachomacbie H. 1 — 14 26 Sd 87.
*) Ebenda 8. 8 Anm. IS.
') Theo, PMgymD. cap. 3 (Rhet. gr ed. Wak I p. 17S).
*) Abhanfllunpen übt^r dif FaVicln I iV '.iM I.;i<liiti;inn •
Auf die in mancher Hczicbung lehrreiche PurallelK zu Till Kuleuspiegel hat schon
Buke Ungewieten O^ef an Leasing, Nr. 488 der Ausgabe ven R. FOnter, Abh. d. Silebii.
0«. d. W, ISST).
80*
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308
A. Eaxnralh: Dm FiroblMn der iaopiMhfln Fabel
benatsrti, die ihre Fabeln in dieMr Weise mit dem Leben des Asop in Ver-
bindung brachte.
Wodoreh nun diese Gruppe von f»if#ii» Als6wom innerlieh suaammen-
gduklten wurde, is^ irie gesagi^ meiner Anrieht naeh ein heute noch nkdkt ge-
löstes Problem. Das Wichtigste dabei aber ist die Thataache, data Aristophanee^
Plato, Xenophon, Aristott U s mit diesem Wort des ftv#os Aloioxov einen be-
stimmten, feststehenden Bt-irritf verbinden. In seiner Art mufs also dieser Mann,
dessen pei-sÖnliehe Existenz schon durch diese Tliatsuche allein sicher erwiesen
wird, in der Litteratur der Fabel Epoehe jfemaclit haben. Während es eitles
Beginnen wäre, ermitteln zu wollen, worin etwa seine Neuerung beütanden
haben könne, i^t es wichtig, den Charakter der Erzählungen festEusteUen, die
dureh das Zeugnis Ton Autoren Uaseisclier Zeit als dem Qrnndstock der Sbo-
pischen Fabelsammlungeii angehSrig erwiesen werden.
Hier hege^^en wir nun Erfindungen, die wegen ihrer einfiwshen, wirknngB-
ToUen Plastik in die Fabelsammlungen aller Völker übergegangen sind. Ich
nenne die vielzitierte ^ i Fa]>el vom Fuchs vor der Löwenhöhle, der aus den
Fnfsspuren das Schieksal der Gäste in dieser Behuusiing 7M erraten w»mTs
Aristophanes erwähnt*) unter andern die (ieschichte von der Feindschaft
zwischen Adler und Fnc-hs, wo der erfindnnfrsreiche Vierföfsler sieb avieh an
dem betlügelten Gegner /u rächen weiik. Aristoteles') erv-iiiill *iue weitere
Fnchsgesehichte, mit d» Äsop das Treiben der Demagogeu gekenmeidmei
haben soll Der Ftwha bittet den mitleidigen Igel, der ihm die Hundalfttiae
ahlescn will, diese lieher sitaen zu hwsm, da sie sdion ToUgesogen und im-
sehSdlieh sei^ und anderen, geföhrlicheren Peinigem den Plab yersperrten.
Was hier und in ähnlichen^) altoD Stücken geboten wird, ist praktiaehe
Lebensweisheit in schlichter Form vorgetragen. Ein lehrhafter Zweck ist kaum
zu erkennen. I)ei- Hörer freut sich der Klugheit des Fuchse», lacht Qber die
Tbi)rboit anderer Geschöpfe, ohne dafs es ihm in den Sinn kommt, nach der
ln'sonib'ren Tiehre zn fragen, die gerade in dieser Erzähhuig stecken soll. Die
epimylhia der uns erhaltenen Sammlungen, die oft mit wenig (beschick dem
Leser eine Iforal «ifiiötigen, .stammen aUe aus spaisrer Zs^ — In derlei altw-
tfimlichen Tier&behi haben wir also die iltette Schicht der Ssopischen sa er-
kennen. Anzumerken ist dabei, data der Kreis der auHretoidfln Tiere ein
beschränkter ist, Fuchs, Löwe, Hund, Esel, Wolf kehroi immer wieder. Den
Chorführer aber macht bei Asop der Fuchs, der auch auf einem von Philostratna
gesdiiidertea Gemälde diese Bolle spielt.^)
1) ZntTHt im grütherea Alkibiades <1<8A), der iwar nicht von Flaton selbit, jiMiocb
ans guter Zeit herstummt
«) Ave» 668 f. Halm, Fab. Aeuop. 5.
*> Rhetor. II e. 90 « Hahn, Fab. Aesop. 86.
*) Ich verwende hier und im folgenden absidbtlich stet« nur drei BBupiete.
*) Phib)8tr. maior. int T (ftXoaotpft ij y^atpi^ x«l ra tthv urOrof aifien«. ^Tigia
yuQ cvfißtUiovetic iv&QtnrToii ittiftiatiiet xoifov rü Aicöaitta &n6 tt,i intivov aniipifs cvnjtiücueu'
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A. Hamratli: Dm Froblflm der liO]ttMh«ii Fabel.
809
Mit der Freude an solchen harmlosen Erzählungen hängt es /.usiinuncn,
daf?* in dtp Sammlungen von ulter Zeit her Stücke aufgenommen sind, die jcd«;»
leiuhafU'n Zuges entbehrend völlig den Charukt^r des Märchens tragen. Dahin
gehören in den PrOMwmmlwig^n die ErdÜblnng too der FMndfchall swiecben
Adler und IGetkifer, wo der erboeie ndp^ttifos eelbst dem Odtterrater einen
üblen Streich spielt, das HSrehen vcm geedrandenen Wolf, der yersach, die
Eigoiseliaflen der Fledermaiu^ des DomstranclM^ der Naehteule nach Art ätio-
logischer Mythen 7m erklären (Hahn 7 255 306) und andere mehr. X'uh
Bahr ins hat solche Enühlungen im Märchonton eingemischt — man vergleiche
die Erzählungen aus des Löwen Haushalt (9ö 97 102 103 106 Crus.), von
denen die letzte pim. mit Unrecht von Hutherford (Babrius, London lü'tö) als
unecht bezeichnet worden ist.
.An diesen (iruii.l;^t<>ck reihte sicli allniählich eine *rnnze Menge von Kabeln,
die imu Teil dem Muster des alten Phrygers ziemlich genau nachgebildet »imi,
bei denen jedoch der alte duftige Märcheutou mehr und mehr abgestieift wird.
Neben behaglichen Plaudereien finden eich etnuim aufgebaute kurze Saenen,
die bewnbt auf den lehrhaften Schlnlk hinarbeiten. Wahrend die Märchen-
mihler eigentOmliche Erscheinungen an Tier und Fflanae sinnig zu deuten
aoditen, werden jetst ohne jede Deutung b^laubigte und nnbeglanbigte Zflge
ses dem Leben der Tierwelt eingeschoben — man fühlt sich an die prodkßa
gemahnt, die in mittelalterlichen Fabeibflchern eingestreut sind und sich aus
diesen bis in unsere Volkskalender, z. B. Hebels Rliclnischen Hausfremul,
hinein erhalten haben. Wenn so bei den Paradoxographen AnIeih^•ll gemacht
wurden, .'*o sind andererseits aus Florilejjien und Apophthegmensammlnnijen
Anekdoten und Witze aller Art t ingediuiigen. Was lotztero betrifft, so waren
die Grenz«» hier seit alter Zeit tiüssig. Neben dem köyos und ^ü^ug yilötönHos
steht bei Aristophanes die B^eichnung Alisäxov yikolov, die fÖr kune Wits-
worte gebraucht wird, als deren Schöpfer eben&lls Asop galt, ^et bei Suidas
^^kti9 X6ywß jMd «broK^ifufrsMr genannt wird. Ferner seheint es eines der
venigen sidiem Resultate aus Nenbners anspruchsroller Arbeit*) su sein, daTs
die Tier&bel zuerst im Rfigegedicfat Verwendung fand. Man denke an den
riten uLvog von IQr^'^ xal di^dtiv in Hesiods strafender Yttwamung des Bruders
und an dp« Archilochus Affen- und Fuchsfabeln. Wenn man verfolgt, wie
dieser der treulosen Neobule und ihrem wortbrfichicten Vater in diesen Fabeln
zu Leihe riickt^ so ist der Unterschied zwischen fiOdos und yekolov oft schwer
anzugeben.
Kaum zu trennen aber wind von den y^löajJiov ytkolu die HvßccQirXixa,
die schon Aristophanes mit diesen in einem Atem nennt. Ihre Pointe bestand
in möglichst gesteigerter Albernheit, mit der eich gelegentlidi Anspielungen
raf die sprichwdrtliehe Üppigkeit und Weidilichkeit der Sybaritoi Terbinden.
Dehrn gehört die Geschichte vom Sf/uviv^idtig (Aelian, Var. hisi IX 24), der
tvf Rosenblätteni lagernd Schwielen kriegt, von dem Sjbariten, der sich Tom
■) Apologt Otaed «ntiquisiimi hutoria eritiea, Leipi. Dm. 1887.
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810
A. HmmcsUi: Dm Problem d«r aaopiBchen Fabel.
Zusehen beim harten Arbeiten einen Bruch snaog, sowie das Prototyp der be-
kannten Errählung Tom Lehrer, der dem Schiller die mitgebrachten Feigen
wegnahm *nnd scheltend selber sie gefressen' (ÄeL t. h. XIV 20). W«m nun
Aristoi^uuies (Weip. 1401 — 6) den vom Gastmahl heimkihnmden Isop einem
ihn an])Lllenden Hund den weisen Rat erteilen lalst: i nöov, «njoy, | sl
iwtX «^fi *<iyi-\i ylatTiis stod'lv j xvQovg xpi'mo, 6(0(pQov(lv Kv fiot doxolg — ^
so kann dies trotz des Sprechers sehr wohl als ein Zr>ßaQiTtxbv yeXnlov be-
zeichnet wcrdrn. Von dergleichen bewuTHten Albernheiten, die nur in der
knappsten Fassung vorgetragen ihre Wirkung thun, finden hicL auch Proben
in unseni Fabelsaniinlungen, freilich von spnten Verfassern oft mit stilwidriger
Breite erzShlt. ich nenne die Anekdote vom feigen Koch, der dem Huud, der
mit dem gestohlenen Hfnrien (altes Ißrehenmotiv, vgl. Bahr. 96, la. 243, das
Vorbild Ton Tetrus, der das Leberl^ gegcbscu*) davoneilt, die Worte nach-
/||M»t waffHUx» didwfttf (H. 232), die Enihlnng Tom Wanderar, der dem Kimbcn^
der am Ertrinken war, Vorwürfe machte, statt ihn an retten (Bahr. 165, H. 362)^
vom Manne, der den Hund auiforder^ die inr Beiae notigen Vorbereitung^ sa
treffen (Babr. 110).
Mit und neben diesen £vßaQixix(i sind nun in die Fabel und Unter-
hultungsbücher eine Fülle von gnt^^n und schlechten Wita&en, Schwanken und
novellistischen Erzählungen eingedrungen.
Unter die erste Kategorie rechne ich die vielleicht von Babrius ersonnene,
jedenfalls von ihm besonders geschickt vorgetragene Erzählung von der Krähe,
die die Benommage der Schwalbe Uber ihre mythologische Vergangenlmit mit
der Bemerkung abschneidet, sie wäre begierig zu erfiduren, was ne erst «rtfhlen
wfirde, wenn ihr Terem nicht die Zunge auagerissett h&tte (Babr. 12, H. 10).
Thöriehter schon ist die ähnliche Nummer (H. 37), wo der Fudis die Pk»hlersien
des Krokodils, das sich als geübten Turner auftpielt, mit der Bemerkung ab-
trumpft, man sehe es schon der karrierten Haut an, dafs jenes viel Gymnastik
getrieben habe — auch hier sind alte, gute Motive ungeschickt weiter-
gebildet worden, vgl «Llaffiji xid sfagäaJUs (Babr. 180 cf. Flui VII cap. 12,
Avian 40, H. 42)
Bei den Witzen hat man eine besondere Gattung zu untei-scheideii gesucht,
die sogenannten 'epiiogischen' Witze, die meist die Form des Spruchverses
haben und in aller VolksUtteratur ungemein beliebt sind. Als Muster dieser
sprichwSrtÜchen Wendungen, der Otto Jahn einst mit besonderer Vorliebe
nachgegangen ist, gilt seit aÜter Zeit') der Vers bei Theokrit (Adonias. 77):
ivdoi xSöM 6 tä» whv fui^ «broid^fffi; dam Tergleiohe man Kraftinns fr. 232:
tti&w* «6tä TCffdrm *^Ktax* di^ Mht «o»dv, und ai» Petronius (45): *Modo
stc, modo sie' iV/utV rtistiats: l arium poratm percUdenU, woan sich leicht ans
unserer Spmchlittwatur Parallelen bringen Uelsen.
Aus einer derartigen Wendung herau^sponnen ist wohl die Eraähiung
'j Vgl. Haupt, Opuacula II 396.
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A. Haunrath: Dau i'robleni rlur tlsopücheu Fabel.
311
von der MQcke, die, im Fleischkesael ertrinkend, einer hedonistischen Lebens-
aafiGumuig^) mit den Worten Ausdruck giebt: dAA' eymye xal ßtßgaxa xal
y/nrojxK xal XiXoviiai xal dvj^tfxovtfij fif'Aft uoi (H. 292). Auch die Ge-
schieht« vom äv^Q (ffva^, dem die Gotter mit gleicher Münze heimzahlten
(H. Ö8j, scheint auf ein Witzwort dieser Fassung ziiriickwitrehen
Dazu kommen dann noch kurz antjodeutete Xoveüenatofle und breiter aus-
geführte Schwäiiko, zum Teil sehr muiderwertiger Art. Manche Stücke dieses
Genres sind in die gröfseren bisher allein bekannten Sanunluugeii, wohl ihres
feiTolen GharakterB wcgcu, nicht aufgenommen worden. Aber ans bisher nieht
ansgenntEfeen Handschriften lassen sich hier noch Naehlarage liefinm, die im
Tod mit der im Altertom weitbekannten Geschichte vom allzvyangen Bohlen
{iv^ih x«(l fMi^öff» auch nnr bei Babrins [116J ftberliefert) ftbereinstunmen.
Nur durch die Sammlung der sogenannten Accnrsiana bekannt ond TCrmutlich
erst in spater Zeit entstanden ist die Erzählung von der Frau, die ihren stets
trunkenen Mann im Rausche auf den Kirchhof schaffen liefs, um auch dieses
Mittel bei dem Unverbesserlichen scheitern zu sehen (H. 108\*^ Auch die
Witwe von Ephesos ist in den Kähmen des Asoprumaus eingeschaltet worden
(H. 109). Unter den Schwänken verdient die von Babrins sehr hübsch aus-
geführte Nummer vom lux(iüg urtj^vo^ Erwähnung. Er be^jegnet einem i'aticnten,
dem er das Lebm abgesprochen, bei detten erstem Aufgang und fragt ihn, wie
es dnmten in der Unterwelt aussehe. Er erfShrt dann, Pinto habe gerade be-
fohlen, alle Arzte rar Stelle ra schaffen — doch kdnne er anbesorgt sein, da
4er Pitient flr ihn ein gutes Wort eingelegt habe, mit der Ymichernng, es
sei eitlee Gerede, dafs jener von der Heilkonst etwas verstehe (Babr. 75,
H. 168). Zu den mifslungensten Erfindungen aber gehört (H. Iü6) xkixvti^
xal xtcvdox^S, eine alberne Verwendung des Werwolfglaubens, die Furia aus
einer späten, für die Kenntnis der volkstümlichen Litterntnr der Byzantiner
interessantes Mat*'rial bietenden Handschrift herau.sijt'f^ritl'en liut.
Überblickt man nun diese reiche Fülle vpr?«ehiedenartigster köyoi, die sich
neben den alten schlichten (iv&oi AinJiniioi in unsern Sammlungen findet, so
kann es nicht zweifelhaft sein, dafs die Erklärung hierfür eben in der Geschichte
dieser Fabel- nnd ünterhaltungsbacher ra sndien ist. In diesen Wandlungen
^dht sidi die Bficksiefatnahme auf dm Geschmack weiter Voikskreise ans,
Ah die diese Bficher sum Oebraudi des gemeinen Mannes bestimmt waren.
Diese Bdiebtheit in niederen Schichten haben die Fabdsammlnngen auch
im Mittelalter behauptet, die Sprache der Handschriften liefert hierfür den
schlagendsten Beweis. So erklärt sich auch die übergrofse Zahl der Hand-
schriften, in denen die Texte zum Teil sehr willkürlich gestaltet sind. Trotäs-
dem ist es gelungen, in der Masse der Rezensionen drei Haupttypen zu sckeiden,
auf die alle Übrigen sich zurückführen lasaen. Auch über diese ist ciu kurzes
' Bur^jer, Hermea XXVII 8. 3Ä9— 62.
' Wdlil ('r^\c Vi^rwriulun;,' flc? Motive vom 'bcffrabcncn Ehemann', mit dem Boccaccio
il>ecam. Iii h: Ferondo nel purgatorioj und Haas Sachs i^'der Ehexuaoc im Fegefeuer') so
«MirtwUch m wirken wiMen.
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A. Haasrath : Das Problem der äaopisdieii Fabel.
Wort hier mn I*latze: haben doch die Aesopea das mit dem Alexanderroman,
dem Buch von den sioboTi Meisteni (Syntipas) und andern volkstümlichen
Schriften <;pm<'iii, dal'a in ihnen die Geschichte der Stoffp nnd div der Texte
unlöslich verbunden ist. Die ältestt; und wichti^stt; Sammlung ist die dt?*
Aujriistaiuis (Aug. Mon. 064), deren Bedeutung licreits Lessing mit sicherem
Blicke erkannte*); die älteste Handschrift dieser Gruppe, der Parisiuus (390, ent-
■iaiiiiiit dem XI. Jh. Hit wauda/t rteht die oft weit ttbenduitote Smnminng
von Monte Gaesino, von der eine Handechrift aue dem XII. Jh. (Vindob. hiei.
graec. 130) erbalten isi Diese Sammlung Tereinigt mit den im Angoataniu
in knappster Fasanng gebotenen Prosa&bdn die werttosen Spielerden bynanti-
niscber Mönche, die eine uns auch gclhstandig erhaltene Prosaauflösung des
Bahrius ^) in sogenannte politische Zwölfsilbler verarbeiteten. Die dritte Gxuppe
ist durch zahlreiche Handschriften des XUI. — XV. Jh. und die editio princeps
doH Pisiaiiers Bonus Accnrsins (1479) vortreten. In ihr sind die ebfn angeführten
und andere uns zum Teil unbekannte Sammlungen benutzt uim] die stilistisch
oft .sehr verwilderten Texte des Caainensis nicht ohne Gehcinck überarbeitet.
Sprachliche und stilistische Anzeichen weisen darauf hin, dals der Verfasser
mit dem des sogenannten Äsopromans identisch ist — daher wohl die Ton
Bentley aufgestellte Vermutung^ dafs es Mazimiu Planudes sei, die schon dnrdi
das Alter der Handschriften widerlegt wird.*) Im groben und ganaen dflrfen
wir die Entstehung der uns flbwUefertm Sammlungen ins XL Jh. verkgen, in
jene Zeit, wo andi der Äsoproman und die übrigen fobnlae Romanenses nieder*
gesehri^Mn wurden, wo überhaupt der Sinn für diese Art von Littmitur
neu erwachte.*)
Diese Einsicht in die Genesis der uns vorliegemleu Sammlungen zeichnet
den Weg für eiiif kritis^che Ausgabe deuthch vor; die heute verbreiteten Drucke
gtih« n nur eine ])iHnIose Auslese aus den in Handschriften und den in Autoren
überlit^ferteii Fabeln. —
Neben den Volksbüchern aber, die im vorstehenden als eine HauptqueUe
der uns fihei^ommenen Aesc^iea dargethan wurden, sieht die neuere Forschung
eine weitere Quelle dieser Sammlungen in den Schulbflehem, wie sie ftr den
Betrieb in Rhetorenschulm bestanden haben. Da die aus dieser Erkmintnis
für die Beurteilung einer grofsen Anaahl von Prosafiibeln sieh ergebenden
Schlfisse noch nicht geaogwi sind, soll auf diesen Punkt etwas naher ein-
getragen werden.
Die Fabel wird in den Rhetorenschulen als das einfachste litterarische Er-
zeugniH an den Anfang des Unterrichts gpstellt und zunächst an Beispielen
studiert: .Tpojroi' ufi' ()fi . . . staQadttyna ^tqoötütthv xol$ vfoig ix^tcv&tiveiv
(Theop, Kh. gr. 1 iöb W .) . . . 6 ^uq ttakä^ xal noXvxQwca^ dLily^tnv mmI fkv^op
*) Wolfenbüttler Beiträge I 72 (IX 67 LachmV
Paraiihrasia Bodleiaua od V KiiHll, Wien 1877.
Die aber trotzdem aoch bei Christ, Gr. Litt.* S. 122 Anm. ü und Kriunbacher, By%.
IM* S. 6U vertreten ist.
*) Knmibaeher a. a. 0. S. 886 ff. und A. Eberhud, Fabulae BoinatiMifl«!, pcaef. DL
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A. MMurath: Om Problem «kr AioiMicb«» Fabel.
313
Jaut^Hlue luAüs ntd Uftoffiav tfvi^tfci (1 147 W.). Dime Beupiele werden mit
Fodidbe den Historikwii, Pbilosophen und Dichtem entnommen, aber nach Äsop
findet sieh verwandt (xaftijAo^ xBifutetv ixt^>(ii^6a6K xvtov xgeag qjtQovaet ,,,
Tfaeon I 177 u. a.). Für die Spftteren dient durchweg der von Aphthonius zum
erstenmale in diesem Sinne verwandte fivd^og r&v uvijuiIxcöv xcd r£bv Tixriyajv
XQOTQixav Toiig vtovs Tf^i'ot'c,*. An dipwn B<'i«yMck'n werdi'ii nun verschiedene
Übungen, zunächst sehr tlenienturcr Art, Vürgeuomineü: xXtT^'nv Tovg (iv&ovs
dg xovg ccQixtjiovg xa\ T(t^ ;rÄf(j'tag TiruxJftg (Theon I 17C W.)*), dann sucht man
sie KU erweitem: tntxtHvioun> zug iv r^ yiv9^ «QoCtaxoicoUag /iijxvfonr^g xcd
Motafiuv ti totwHnv dxtp^u^ovxis, indem man die Seenerie genraer Bohildert
«der die Charaktere der handelnden Personen eich in Beden entwiokehi liUM —
liier nahem nek |»tWo^, dii^y^^ und ^^oatoUit. Dann wird wieder das Oegen^
teil übt und die Fabel auf eine möglichst knappe Form gebracht, 'so dafs
sif, »lern Wits und der pointit rlt n Anekdote sich nliliernd, möglichst direkt
auf «ins lehrreiche Epimythium hinarbeitet: o Öl Fttofth^g rdde aegl r^g rov
^v9ov (f'QaOeejg kiyu . . . mg ^ uv^ng xttO'' itcvxbv ykvxttav i^ti rip' fvi'oiaV
... üx6kot>9^og di TctvTjj nttvtejg xal Aorjr^ (pgatfig KtpfXijg xal oaqfijg
(Doxopater 11 170 W.). In letzterer Vortragsweise war ApUthoiimw Meister,
wie Doxopater S. 183 W. ganz richtig hervorhebt, und sem Beispiel hat in
den Rbetorenschnlen mafi^bend gewirkt^ Eine weitere Übung beatand in
der YeiAnfipfung Shnlieher Fabeha oder der B«fllgung eines geachichtUchen
EreigniflMa^ daa die au%eatellte Lehre ni bestätigen geeignet erschien: SvfixXi-
xoiuv 61 ade' htf^i^voi «öv ft€4tty im^i(f0^av Öttiyr^iSiv ... vlov xaeXw^dpw^
hot6o\ifv TO öttjytiiia xoDxov xbv xqoxov' xaQtatiifjalöv {loi öoxit xi xa^elv
xfj xa^iika ravrg xal KgolOog 6 yiväoQ, xal oXov i<pe^ijg xb Stflyi^ua xo ttiqI
«vxöv iTheon 177 W,j. Namentlich Phädrus verleugnet in dieser Htzichung
deu RhetoreuHch iiier nicht. — Nun erst erfolgte der letzte Schritt, indem dem
Schüler aufgegeben wurde, selbständig eine Fabel zu ersinnen, die der zuletzt
behandelten Lehre zum Beweise dienen könne: toü Idytiv iikn^v «brAi||v
XQmtiveevtts xffoiMiS^i^ttv totg vü&s viov ttvä friiOo» »Harn Xffott^ivn
K(fif$MU obuiw (Theon I 178 W.). Nur die Umkehrung daTon ist die Auf-
gabe, aus eintr gegebenen Fabel eine neue Lehre zu ziehen: yivotvxo tvbq
fiv^ov xle£avt$ äUXoyoi. md Av^eüUv ivog ixUSyov xäfumXkoi fnO^ (ib. 178).
') Hieraus erklärt sich wohl, dafs dieselbe Fabel in der eiueu Sammlung in oratio
reeta, in der aadern ta oratio obliqna gegehm wird.
*) Daher flbprwipircn in unsem •Samnilnngen die straff gebauten lehrhaften apologi, in
denen Herder mit Recht den Duft der voll entwickelten üsopischi'Ti Kafn'l vennifote Er
verglich sie mit geprefuten Blumen, faTste sie aber irrig als 'byzantininche Kx/.eq)tc' alter
«ditor Aeaopicm auf (XV 660 Snph.). And«reraeifa bat bekanntlidi Leinng, denen Geist
Gbfra]! anf e]>if,'rainmatiHche Zuspitzung doR Problemfl drUngte, sich ganz der AufTassung
des Aphtboniuti angCHcblosaeu und nie auch theoretitich gegen i^afbittuine als die 'uRopiscbe'
n erwei«eu gesucht i,V 4U1> Lachm.). (Jegen Le&üng ist für dex Fruiizoscu 'allerliebste
rhelniidM FloAtta* Erich Sdunidt (Leasing J 991 ff.) dngetreten, ohne den htetorieGb
Umgebenen, richtigen Standpunkt gewinnen an kftanen.
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A, Hmiratli: Du Problem der iiopisdien Fabel.
In Wirklichkeit war meist das Epimjthiimi der Ausgangspunkt, wie der Seholisst
au Aphth. (II 10 W.) richtig bemerkt: &t tf^g unS i»t^n9£ov xuQMvitti&i ol
^^o^f xhv p/O^ov ^qMdvovöiv, Sv (Alte?) dwa nttQiUvi0w i>«ti^ap pht
Schlie0üich wurde in den alten Rhetorenschulen auch noch Kritik an den
Fabeln geflht, indem die Unwahrschcinlichkeit des Erzahlten darzuthun war
oder die Gegenaufgabe gestellt wurde, die 6kubwürdigkeit des Fabulisien
durch Zusammenstellen -ähnlicher Züge darzuthun: c^vatfxfvrctfTt'ov inv SdxvvvTug,
ort ttxC^avu xal döviKfOQu Aiyei, xtttuöxttfaarf'ov AI ix xCiv ivcnnitov (Tluon
I 179 W.). Auch hier tiaden sich Ober die Glaubwürdigkeit, innere Wahr
scheinlichkeit des ftv^og u. a. w. eine Reihe guter Bemerkungen, vgl. Thoon
1 180 — 82 W., Doxopater II 161 — 62 W. Der Zusammenhang der letztgenannten
Üknngen mit den hemvo%, md ^ö^'ot, die in den Progymnasmata eine so grolse
Rolle spielen, liegt auf der Hand.
Nimmt man nach diesen Vorstudien die HaJmsche Sammlung in die Ibnd^
die nur in den allerseltenaten Fallen die Proveniena der einaelnen Sttteks an-
giebt^ so füllt es nicht schwer, mit Sicherheit eine grofse A"iF^hl yon Stficken
als Produkte der Rhetorenschulen zu erkennen. Sieht ninn dann sich nach
den Quellen um, so findet man bei vielen, dafs sie thatsächlich den Progymnas
mata des Aphthonius, Nicolnus \\. s. w « ntnommen sind, und «hi« bestärkt uns
im Urteil über andere, in den Sammlungen ohne Automamen überlieferte
Kümmern.
Zunächst bietet eine ganze Reibe von Stücken in übertriebener Knapplieit
mehr ein Gerippe zur Fabel als einen vollen ^vdog — es sind 6v6tiXX6^ivtL,
im %ttQ«xTriQ aq>BXi^q des Aphthonius geschrieben. So die Nummern 13 {AUtCoi'),
21b (dAäcro^£$)y 61b {ytaQybq tuA dl<&an}|) und ein halbes Dutsend andere
die alle der Fkibelsammlung dieses Sophisten entnommen sind. Dafe sie ab-
sichtlich auf Kflne hinarbeiten, läfst ein Studium der Nummern 63b {tcv^qmnq
xal kifov ovvoöivoxniis) und 78e (ßitQa%o$ xal aXani]^ erkennw, da uns hier
die ausführlicheren Muster fflrhaltMi sind. Dafs er gelegentlich auch iicrei'vm'
zu schreiben wulste, beweisen die Nummern 174b T^rrrot; y/Qoyv), 204 h (xöoal
Xff? «AcrrTjlV 404b (roryoq xat aux^Xog), die ebenfalls von ihm herstanunen
Sein getreuer Nachahmer ist der soi^enannte Syntipas. freilich schon ein später
Byzantiner. Im Xöyog ß^fAtJi,' liat er z. B. die Nummern 43b (^Xamril xa)
m'^ixog), 65b («Mjp xal Titr^;, 164 (^(>evn)s; xai xvav) verfalst, vvühreiui
51 (dv^Q^ tststog mA xS>Xos), 53 {ain)(f xal KMta^) 318 {Hpayifos xal ^og)
sieh dem behaglichen Tone nahem. Auch die Tom Bhetor Tbemistius her-
rührende Fassung der Fabel von den 2 Bündeln, die jeder durchs Leh«i
schleppen mulh (H. 369)» aeigt dieselbe absichtliebe Knappheii Aber auch
Aphthonius ist nicht der Erfinder dieser Technik, sondern nur deijenige, bei
') Auch diesen Brauch Uut Lessing wieder einzabürgera verflucht in der Abhandlnng
'Von daeb heMuderen Gebrauch der Pabdn auf Schulen* <T 418— 9t Lachn.), die dhrige«
im we«entlichon nur eine Anregung von CamorariuH iius^fuhrt und auf eigantfimlick Ober-
triebenen VoranuetKiuigea vom Wert der Belehrung beruht
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A. HMuraih: Dw Problem d«r |iopi0cli«ii Fiibel.
31Ö
dem t>it> um um duutlicliäteu vur Augen tritt. £r »elbst üuh sie dem Heriuo-
genes ab, dessen Miistenujthus von den AßeHf die eine Stadt bauen wollen
(fl. 361), dieselbe ttberfariebMie Straffheit der Kompoaition Mtfweist^) Sdion
frfiher haben Tolketainliche Sehrifteteller des Wirkangsrolle dieser Vertrags'
weise erkannt man Twgleiche die drei Ten Baim ans Flntarch angenommenen
Hemmern 82b ßogiaq xai ^^«0$, 238 xwos olxCa und namentlich 282 Xvxoq
uX xomijvy die in ihrer Pragnanz an Lessing erinnert Auch Lucian giebt
die Geschichte vom Esel in der Löwenhaut in der j^odiängteBk'n Kfirxc (ll.'JSnb),
ebenso den selbstrr^imrlcnen ^vd'og vom HeitrT auf dem wilden Pferd, Cyniciis injO.
Nach diesen Proben auf die itegel wird es leicht, auch unter den namenlos
überlieferten Fabeln StQcke nachzuweisen, über deren Provenienz aus Khutoren-
schulen kein Zweifel sein kann. So zeigen viele Nummern in der Sammlung
des Angaatanns daa Bestreben, die lUml anf die kfiraeste Form an redimeren,
E. B. H. 33 (iXAsnii aal ßdt^is), H. 337b (üvos a«l tht^r^), H. 347 (9^
xnwi^ftfOfi)* i>t bisher gewohnt^ in solehen FSIlen *Ezasipte ans Bebriaa*
oder anderen poetischen Gestaltungen anzunehmen, aber dne genaaere Analyse
der Prosasammlungen lehrt, dafs vielmehr bewolate Net^eetaitimg schon be-
kannter Fabelstoffe vorlie|^t. Wesentlich exzerpierenfJ verfahren dagej»pn die Ver
faeser der Oxforder und Pariser Bahriuspariiplirasen, denen eine <lritte bisher
unedierte t^ammlung im Cod. Vatic. gr. 949 an die Seite zu steilen ist. Auch
in anderen Hund^^clirifteu sind ähnliche Machwerke auf uns gekommen, dahin
gehören bei Halm die Nummern 151 {Zivs »td '^xöXXov) und 394 (Xiav xal
tttVQoi tQels).
Einfiicher liegt die Sache bei den künstlich erweiterten. AI» Mittd nt
dieeem Zweek nennt Theon an der oben angefthrten Stdle antM- anderem die
EinschieboBg einer ixipQttoig .TnrrmoO. Babrius hat aaeh diese Lehre getreu
befolf^t, man vergleiche in der Fabel von der Krähe mit den gestohlenen Federn
die hübsehe EinlH^;e fBabr. 72. .^): iöta^f xir^i^^ cdyl dvaßatov x^inj u. s. w.,
vi'iv üVierhaupt an manchen seiner poematia das An/i» hend«t<' di«- Ausführung
solcher geschinackvoll jrewiihlter Details ist.-) Dieselbe Fabel in der gleichen
nur noch gesteigerten Manier linden wir bei Libanius (IV 853 Reiskej, der in
derselben Weise auch die Fabeln vom Wolf und den Schafen und vom Wett-
lanf der Sduldkrdte und des Pfardea (eUtt des Hasen) ersShlt (ib. 8041).
Schon Dio C3u7BoetomnB liebte solche behagliche Breite des Vortn^ bei
FabelatoÜMi (vgL H. 105 u. 106). Spftteze wie Gregor Ton Nasians (H. 416b)
fallen gar in unertrSgliehe Oeechiriitni^eit.
Aneh f&r diese imtivigusim faUt es nicht seh^rar in den Fabelsammlnngen
') Auch Hprmogenea «cheint in beidtni ^^ätteln gerecht gevr^in^n m <^fm, man vpl ilas
Urteil des NicephoruB (Bh. I 435 W.) 6 fiif&os ottog (xcfi ixxov %tei iidipttv) ieri fiiv Aiem-
Bokatiiitlich t-ln alter K'rn-^tu'riä': Honit dt- arte pi»:-f 15: Purjrftrt^ti tntf ipti yplevriffjt
wmw et alter Adsuümr ^nntu, cum lucust et ara Ihanae Et properanttn aguae per
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A. Havamih: Dm Ptobl«« d«r OMpiMiiea FtSM.
Belege zu finden. Dahin gebort die wortreiche Schilderung des Streit« der
Laud' uud Wusserschlange (H. 147), die Beratung der Vögel, wie den Nach-
ateUungen der Mensdien m entgehen aei (H. 417b), die yaXeo(iuxiu (H. 291 b) n.«.
GelflgwÜidi etnd so FttbebOjets ta ToUBtimiigen rhetoriiciien SUiopoüen vt-
weitert, wie wir sie aoe dm Ihrogjmmuunata sIb eine hdhere Stuft des Unter-
riehte kennen. So kminte H. 67, wo an vieUeieht ätr Komödie oder dem
Mimne entlehntes Motiv weiter ansi^eführt wird, sehr wohl die Überschrift
tragra: tivecg av Xöyovg (txot üi'iji) deilbs kiovttc xgvaovv tvQav. Dieselbe
Provenienz möchte man für die Geschichte von xatiiQ detlbg xal vlog yevvaiog
{II. 340) vermutet], wo der von der Löwcnjii^d /.uriickgehaltene Sohn das in
eine Tapete eingewirkt*! Bild eines J^iiwen apositrnphiert. *> üiiter die iyjtafita
lielse sich xavai^f (11. 2o4i, unter die tftjyx^ttfttt," aui'ser anderen xetiiav xtcl
euQ (H. 414), 2^Aiddi'c$ xal xvxi'tn 11. 41G) einreihen. Bei manchen dieser
Fabeln könnte man die Vermntuug hegen, dafs ein poetisehes Original sn
Gnmde liege, bei dem det Zwang des Hetnims und das BedOifnis nach
genauerer Charakterisiernng der Handelnden und ^tt dahin fliebender
Schüdemng die bei der Prosaliissung stdrende Breite herbeigeilihrt hdbe. Das
letstere trifft nur auf die wenigen an Babrins angeschlossenen Stflcke sa, der
Zwang des Mebnms erklart die Umständlichkeit vieler Nummern in Furias
Sammlung. Denn diese sind, wie oben wwahnt, ursprünglich in sogenannten
politischen Zwölfsilblern gebaut, deren einziges Oesetz in der Silhenzahl und
der Betonung der vorletzten Silbe durch dcü \rcent besteht.*) Solche StQcke
liegen vor (bei Halm nicht, wie Korais richtig ^etlian hatte, nach Verszeilen ab-
gesetzt): aktxtOQtg i^li. 21 cK kv^qcotto^ x(d xvtop (H. Ö2), i)uLm>og (H. 157 ) u. s. \v.
Wenn bei den bis jetzt betrachteten Fabeln die Art der Ausführung auf
die Vorsehriften der Rhetonnsefanlen hinniweMen schien, so ist von TOmh^ein
die Annahme berechtigt, d&Is die Zahl der Fabeln noch gröfser sein muls, die
in Anlehnnng an bestehende Muster als Schnlezereitien nen gesdiaffm sind.*)
Hustem wir die Fsbeln des Äphtiionios und des sogenannten Syntipas, so
lassen sich Ix i einigen die Vorbilder leiclit feststellen. Aphthonius hat selbst
die alte Kabel vom Hohr nnd der Eiche behandelt (H. T'-^ci, die dem Sturme
mit ungleichem Erfolg zu widerstehen trachten. Genau diesem Muster hat er
dann die Fabel vom Ölbaum nnd Feigenbaum nachgebildet, die im Wint«r
ein ähnliches Sdiicksal haben (H. 124). Ebenfalls nach bekannten Mustern
hat er das 'Schuster bleib' bei deinem Leisten' an den Weihen iÜuatricrt, die
*) Die nächste Parallilc lii'^ton ali'^r auch hier wieder «hV Ri^diiipr; vpl. Libiuiin'< IV 1021:
1048: r. ä. eßr. l. d$ilh9 tpiliifyv^ eip^p xf<69$o* |{q»o$.
*) Fedilc, Priitjranini des Breslauer ElisabetaiiH 1877.
' Kini^'es der Art , liin^v nicht alles, ist von Halm erkannt und unter die Punin<'lfn
verwiesen worden. Dies ist tust der einzige Punkt, der in Eatherford« Uistorj of Greek fable
■elbsUUidig, über nicht ohne Übertreibung ausgciRIlirt itt. VgL s. XL: Oism » fabh, «enite
doNM Ut morai. Given a morai, wrüe out a fMt to illustmie «t. Qinm mkm mawMh,
«OMiMM a fM» im ukith tt^ ect m thamder .... Foor Uni», poer muttnl e. w.
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A. HMiratb: Dm FtobleiD der toopiicboi F»b«l.
817
sich wie dif^ SrhwHne aufs äingen vcrlopton TH. ITOhY Nur eine Weiter-
bildung dieses; Themas ist dann die eheufalis v(.n Aplithouiuti herrührende Er-
zählung vom Raben, der es dem Schwane nicht au Ötimme, sondern an Farben-
adiSiiliett nachthun will und deshalb die Altare, die er bisher plflnderte
(Anlehnimg an x<jp«c| vot/Av »ul |Hftrq^ H. 208), verlifet und sidi ins Wasser
Mnk, worin er umkommt (H. 206). So seiet aneh Synttpas an die Stelle
des Bocks, der Ton dknr Uaner herab den Wolf TCrliohnt (R. 136, Babrins 96,
d(p' v^Aot) ftov xatayekäg Sprichwort bei Diogenian III 24 Paroem. Qott.
I 217), den Fuchs am Löwenkäfig (H. 40). Wenn der Fabulist einer freien
Zeit den Wolf an dem von der Kette abgeschabten Hals des HunfUs tTl<<'nr>«-n
liil'st, dais dessen Wohlbeleibtheit allzu teuer erkauft ist f Phaodr. III 7. B.ilir. KA),
Aviaiv 37, H. 278), so fafst Syntipas (H. 'M^ die Saihe von der auderen Seite
und iaüsi den wilden Esel vom Löwen zerrissen werden, während den zalimen
der Hirle beedifttst.
Aneh nnter den namenloa fiberlieferfeen Fabeln lassen sieh leicht die Kopien
noch erhaltener Originale «kennen. Wenn Pinto schenend einen ftß^os ersann,
am die Bedfiifiiisloaigkeit der Orillen m erkUuren (H. 899), so gab er damit
das Vorbild zu der auch von Babrius nacherzählten Fabel von den Weihen, die
ihre klnnirvoll«' Rtinime auf ähnliehe Weise einbflfsten (Bahr. 73, H. 170). Wie
Pf zu erklären suchte, warum Freurle und Traner sieb ?iiet\(r ablösen (H. liöß),
so «k'ntet Plntarch das Verbfiltuis von F»'st und Katzenjaimner i H. I'^'-Ji imd
Babnus I Hahr 1-S4, H. 1) v«'rallgemeinerud (his der ayu&ü und xccxd, und dieaeibe
Thatsache, dal» diis Glück wetterwendisch ist, suchen dann sowohl die Fabeln
H. S8 wie H. 867 au verwerten. Die Beobachtung, dafs das Unglück meist von
dn* Seite nahi^ wo man es am wenigslen beftrchtet, ist von einem Fabnlisten,
dem die alte Yerwandlnngssage vom 'jilKv6v, die noch Lncian mit Liebe er*
aüilt, nicht mehr lebendig war, am Gesdiick dieses Yogdl» illustriert worden,
der Tor den Meeschen auf einsame Slippen flüchtet, um dort Nest und Jvnge
▼on den Fluten Temichtet zu schauen (H. 29). Mit abgeschmackter Über-
treibung bat dann ein spitzfindiger Jünger der Khetorik danach die OeHcbiohte
eines Hirsches ersonnen, der. auf dem cinf^n Auge ))Hnd, sich nach iler Küste
zurückzog, um dort, das gesunde Auge sorglieh ileni Lurule zukehrend, zu
weiden: Schiffer erlegten ihn vom Meere aus (H. 12ih. im allgemeinen haben
die Bearbeiter der nns Überlieferten Sammlungen keinen Anstofs daran ge-
nommen, Terachiedene Behandlungen deeselben ^Hiemas aufiranehmen. Aber
das uralte Märchen vom gescfaimdenen Wolf, das die Grundlage unseres
geimanisehen Tlerepos geworden ist^), ist doch wohl deswegen nnr in der
jüngsten Sammlung, der s<^enannten Accursiana, flberliefert, weil in den
anderen die Parallelfabel von der boshaften Ziege iiand, die dem Esel rat,
sich krank zu stellen; der Arzt verordnet dann eine Kur mit ZiegenVdnt, und
dip Ziege büfst wie im Keineke der Wolf (H. \'^). ReiH])ieh' für s(dehe parallel
laufende Fabeln lieüseD sich noch zu Dutzenden anführen j wenn man den Ver-
Juc. Griuliu, keiuhui t Fuchs 8. Li!
318
A. Hausratb: Da« Problem der äaopischen Kabel.
such macht, die wirklich selbständigen Typen von den Variationen zu scheiden,
schwinden die umfänglichen Sammlungen sehr zusammen. Die Rhetoren
arbeiteten eben mit Vorliebe mit dem altbewährten Gute und zeigten ihren
Scharfsinn nur in geschickten Kombinationen.
Die Übung der Schule hat aber auch gewisse r6:toi (iv&av geschaÖeu.
Dahin gehört vor allem die Anlehnung an die Schöpfung von Mensch und
Tier durch Zeus oder Prometheus, die namentlich bei ätiologischen Erfindungen
passend war. So erzählt ein Feind des ehrsamen Handwerks (H. 13C), als
Zeus nach der Schöpfung dem Hermes befohlen habe, allen Handwerkern
Lügengift zu trinken zu geben, seien die Schuster zuletzt gekommen und
hätten nun den ganzen Rest schlucken müssen. Woraus sich erklärt, dafs alle
Handwerker lügen, am meisten aber die Schuster. In der Sammlung des
Parisinus suppl. gr. 690 wird die Fabel zweimal fast wortlich gleichlautend
erzählt, nur ist an die Stelle des Schusters im zweiten Falle der Arzt getreten,
invettto ni fnUor recmtiorc, wie Crusius zu Bahr. 221 bemerkt. Der Nachahmer
hat sich eben die Sache hier besonders leicht gemacht und sich der typisch
schlechten Rolle erinnert, die die Arzte in der Fabellitteratur (vgl. Babr. 75,
H. 107 169) spielen. Mit ganz ähnlicher Wendung erklärt Himerius in einem
duftigen /ivdoi,' die verschiedene Art, in der sich die Liebe bei den Menschen
äufsert (H. 142). Ebenso an den Schöpfungsakt knüpft die unsaubere Er-
zählung Zfvg ytal Al6%vvr^ (H. 148) an, mit der verschiedene bedenkliche
Geschichten bei Phädrus (IV 14 15 16) zusammenzuhängen scheinen. Einige
Reminiszenzen bei Plutarch, Conv. sept. sap. Cap. 3 lassen vermuten, dafs uns hier
wie öfters die griechischen Originale verloren gegangen sind. Dasselbe Motiv
ist noch oft verwendet, so z. B. in der Parabel von den Menschenaltern larrrot;,
/3ovg, xv(ov xal av&Q<03tos (H. 173b) und dem breit ausgeführten Paradoxon
AiW, IJQOfirj&evg xal ikitpag (H. 261), das im wesentlichen nur die Über-
arbeitung eines Kapitels bei Achilles Tatius (II 21 f.) darstellt.
Eine andere vielgebrauchte Szenerie läfst die Tiere vor Zeus Thron über
ihr unglückliches Los Klage führen. Man vgl. övoi :rp6g rbv dia (H. 319),
ö^Jtg :Tßrovfi£vog (H. 347), xciftr^los xal Ztvg (H. 184, wohl die Vorlage für
Zeifg xal (liXiaöai Babr. 183, H. 287) u. s. w. Uralt ist auch die Form des
Wettstreits der Tiere und Pflanzen unter einander um den Preis der Schönheit,
Stärke u. s. w. Sie benutzen u. a. xoXoibg xal (H. 200), ^6dov xal
äfiaQuinov (H. 384), kiuivu xul aAcS^r^l (H. 240) und viele andere. Hiermit
verband sich leicht das alte Märchenmotiv von der Königswahl, so in äkantf^
xal nC9riXog (H. 44), Zevg xal ukaTCrjl (H. 149), artdTjxog xul xajüTjAo«; ( H. 365).
Schliefslich sei noch auf die häufige Erwähnung eines Kriegszustandes in der
Tierwelt hingewiesen: Xvxoi xul xvvig (H. 267), (iveg xal yaXal (R. 291),
6rQox>9oxtt}iT)kog ( H. 391) u. s. w.
Wenn so die Technik viel befolgte Vorschriften für die Ausführung der
Fabel an die Hand gab, so bildete sich bald auch eine Tradition, wo die Stoffe
für neue Fabeln herzunehmen seien. Man knüpfte dabei gern an volkstüm-
liche Überlieferungen an, - wie sie im Märchen und Sprichwort in Umlauf
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A. HMKmibi Dm Pn>bl«a d«r bopiaehen Fkbel. 319
waren Xamentlich das letztere wurd»^ in solchem Umfang herbeigezogen,
dafs spätere Theorie ^Lucill von Tarrhae) die Fabel überhaupt als xtcQoiftia
^r^jilanivi] bezeichnen konnte. Solche aus sprichwörtlichen Sentenzen heraus-
gesponnene Erzählungen verraten sich zum Teil schon dadurch, dais für die
SnMdrang des ^eiehen Worte remhiedene ErkförungBreTsnche YorU^n.
So ist nach Snidas ISvov ancpaaN^frciD^ «n Wort gewesen, das ixl tüv waa-
yiUtft»; ihftut^puvto&vtav gebrancht wurde. Seit Korais and Furia findet
Bich non in uneeren Fabeltammltuigea eine Geachiehte, die berichtet, dab ein
Esel die von einem TSpfer ans Lehm g^onnten Vögel zerti eten habe und nun
dessen Herr 6vov siccQccxöifftog verklagt worden sei. Dafs diese, dacu nocb
möglichst ungeschickt gefafste Erzählung (es sind zwei Versionen ineinander
gearbeitet, nach der anderen hatte der Eael TtccQtatvi'a^ Sue r/Jg f^vQfdog
lebendige V(")gel :iiifgeseheneht, die beim Aufflattern nun allerlei Unheil an
richteten I, nur einen niiilsigen Deutiingsversufh der Parömiopmpben darstellt,
beweist dar Umstand, daik in der Quelle von l's.-Luciaus ih'o^ und. Äpuleius'
Metamorphosen ein sinnvollerer Veraueh tm firidarung dieser dunkeln Wendung
g^macbt wird. Dort schafft sidi nämlich der Held wahrend seiner Metamor*
phcse selbst wieder neues Unheil, indem er sich in einer geföhrlichen Situation
der Natur seiner augenblieklidim Erscheinungsform gem&fs neugierig vom-
aberbeugt und durch seinen Schatten sich und seinen Herrn verriit: xAk t&rt
^ inov Ttgaxov ^X&£v tl^^ (h'^()äafOVi ^ Xöyog ovrog' ^| ovox) xecQoxvtffeais
(Luc. 613, wo das ^ auffällig ist), vgl. itndr etiam de prospedu et wnbra
asini frf*ptens nntnm r.9f prorerhinm ( Apul. Met. IX 12). — Dafs eine Schwalbe
keinen Sommer niiicht, sclieint aneli bei den Üriechen bereits volkstümliche
Weisheit gewesen zu sein, aus der tnit ersichtlicher Mühe ein Jünger der
Rhetoren die Geschichte vom viog Scouto^ herausarbeitete. Dieser trug den
Winterchitou ins Leihhaus, sobald er den ersten Sommerboten erblickt hatte.
Ab er dann TOr Flroat aittanid am SInnde die Schwalbe tot daliegen sah,
brich er in die Worte aus: i jßlii6viov^ 9^ ml 6k Med ixA3L§0as (Babr. 181
Yiellttcht gehSrt unter diese Kategorie auch die umstindliche Er-
dUimg Tom iuiQtauegudiiKtts eUij^jb; utA X^tog (fi. 354), die der volkstfim-
liehen Anschauung Ausdruck geben soll, dafe auch den fifichtigsten Verbrecher
üe hinkende Strafe ereilt.*)
Für einen derartigen Betrieb sind weitverbreitete Handbücher eine not-
wendige Voranssetziing. Schon das mehrfach erwähnte Verfahren, aus einer
l>fkannten Fabel durch leichte Abändenuigrn . Hinpinflecht<»n anderer, ebenfalls
"Ithewahrter Motive u. s. w. neue 7.n l)ihleii, macht die Existenz von liuch
teiteü Wahrscheinlich. Aber wir sind auch in der Lage, die Richtigkeit dieser
Annahme strikt zu beweisen. Es kommt nämlich der merkwürdige Fall vor,
^ Ton einer Fabel nch verschiedene Varianten finden, die sich nur ab aus-
^i»ndergeh«ide Heilungsverauche einer in der gemeinsamen Quelle — .dem
*) Vgl.HMBOd,Op.«ie Bs.! etirUa yitQ TQ^xtt oQ%oe uiia ütolitjat SUtjai . cf. The0|f . S81 f.).
^^■^tnua, Leiilogn* II 66.
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SSO
A. Hauirmth: Diu Fkoblam d«r Siopudum Fftbel.
Haiulbuch — veristüiimielt überlieferten Fabel erklären lassen. So isfc hei
H. 257 {^kt(ov, uXaxiji xal fiv$) eine Tabel' der Nachwelt aufbewahrt, die tw>
BinnlM iiiy dafii mm sie anch dem fcbönchtesten Khetorenschttler nicht sminntti
mag. Eine Maua iLuacht aber den adilafenden L5wen dahin, to dab dieaer er-
wadit und wild am «ich bliekt Der Fvtdha Terhohnt ihn, er aber erwidert:
i»d v6y i^pofi^i9ipf, HIA t^v xeat^v 66h» xai ti^ «iwifieMCV iiwtQiitn* So
die Ynlgata (H 2.' Tb), die selbst den Abedumbem dunkel blieb, so dafo es in
einigen Handschriften kurz, aber kaum verständlicher heilst: aXlcc n^v xelQtt»,
Die Beiubeitor der im Auf^istanus und Casinensis vorbVf^nrlen Sammlnntjen ver-
fuhren radikaler. Dort i H. 2ö7) heifst es: alXa xcaä T»)g yvmfirig ennov rriv
6q}h]v ti(o {vQy{p> Cas., aber V}tI. TrMzes: ov fivv q)oßov^<it^ <^q>iXtttTrf^y t?}i' öl
0(ffi-^v ixT(fisi(o). Aber all du» ist überÜUssige Mühe, du der ganze Unsinii nur
die Kadiwirkiittg einer korrupten Stelle in der gemeinnimen Gründl^ ist, die
auch in den Babrinatexfc eine doppelte Fassung hat eindringen lassra. Wfthrend
der Athoua dort einen der oben mitgeteilten Vulguta uuhe stehenden Text
bietet, ist das Richtige bei Suidas fiberliefert: xaitijv Ö* I^JLXs rfyv
x(ctai0x^veiv (= xutuxbX^iVj vgl. Crusius zu Babr. 82, 8), so dafs also der
König der Tiere seine Furcht mit einer derben, aber glücklichen Wendung
benwntelte. Die Fabel 257, 257 b aber ist aus unseren Sammlungen zw tilfren.'i
Ähnlich liegt die Saebp bei der Fabel vom Frosch als Arzt (H I^k Iii
der, wie wir erst dureli tJruaius' Ausgsibe erfahren haben, nach Ausweis des
Athous auch von Babrius (120j befolgten Fassung benutzt der Fach« die ieichen-
blaaae Farbe des angeblichen Heilkfinstlert au einem Angriff auf deesm Flhig-
keiten: «Ag . . . ällav ii^tfg, tfitwdy oßva^ j^opov tftnr« oiD tfo^tts; die-
selbe F^HMung kannten Aphthonins: dit<&ri}| tb ifi^og M toO x^Aiuerog
i^i9yx*^ Babrius abhSngige Avian: poMida cootuUms cm mkt
ont dolor. Dafs aber auch hier in der gemeitisainen Quelle die Lesart schwankte,
beweisen die Sammlungen des (^asinensis und der Accursiana. Im Caa. nämlich
wird dem Frosch wenig passend snin Hinken vorj^oworfen («tcvrov nokhv
ovxu ^ij &egusteveis), die Aeeursiaiia aber, die sieh auch hier aln letztes Glied
der Prosftversionen erweist, hilft diesem Mifsstand dadureli ab, dafs sie j^oArfg
betbeiiült, aber au Stelle des Frosches einen uubehili liehen Wurm [^exijkti^)
mm Trager der Handlung madit — womit freiliGh auch die SpitM der Br-
sahlung, die sich gegen den grofsmünligen Schreier riditete^ rettungslos ver-
loren gdit.
Die Existena dieser Handbücher lalat sich weiter aber anch aus der
Idtteratnr beweisen. Wenn wir an verschiedaien Zeiten den gleichen Kreis
von Fabeln mit nur geringffiL'iL--* n Abweichungen in der Ausführung wieder-
finden, so isf der Schlufs geboten, dafs hier eine gemeinsame Quelle dieser
Art zu Uruiide liegt. Daik dieser Fall bei Phädrus und Plutarch vorliegt^ die
'i luturessant ist, il:ir> die Rabriua- und 'Äsop'versioiK^n sidi scharf scheiden: Babr.,
par. Uodl., Neveletaua, Ignutiuü (666^) auf der eiuen, AugiutauuB, Cuaiuensi«, Tawtsen (^i^fiij)
aaf der anderen Seite.
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A. HMimih: Du Problem d«r iMpiseben Fnbel.
321
eine Reihe von Fabeiu ziemlich gleichlautend erzählen, ist schon lange bemerkt
worden.' )
Weiter siiul in der rümiscli griecLischeii Spruchlehr»' des l'seudo-Dositheus
Fabeln in beiden Sprachen mitgeteilt, wobei die lateinischen in der Auswahl
und im Text snin Teil mit der unter dem Namen des Romulos gehenden
FhwunflBflnng des Fhadnu stark flbereinstünmen.^ Auch f&r die griechiachen
Texte dee Pa^-Donfhena la&i sieh jetat die Vorlage genauer bestimmen. In
Palmjra sind Wachstafeln gefunden worden, auf den* n * in des (tri<-c1iiächen
offenbar nur wenig kundiger Syrerknabe (griechische FabeLi, w i*- es .niheint
nach dem Diktat eines etwas ungeduldi<;en Lehrers, niedergeschrieben hat. Der
Text der.sell)en stimmt so auffällig zu drin cUt ixhichcn Fabeln bei l's. Dusitheus,
dafs auch hier ottenbar das <;leiclie Uandhuidi /.u Grunde ifcletfcn liat.''(
Dergleichen liandbücher sind in der Litterutur ja auch nicht ohne
Parallele. Wie für den Elegiker Gomelioa Gallus Parthenius die xa&i^iucTa
i(fmnxd zusammenstellte, seheinen auch Itlr den Novellenschreiber ahnliche
Stoffinmmlungen bestanden au haben. Darauf weisen die Eingangsworte Ton
Apnieius* Metamorphoeen; T3n . . . tarias fahidas amaaram.*) Ähnliches lifst
sich far Lucian erschliefsen, der Oberhaupt in hervorragendem Mafse mit der
Fabellitteratur vertraut ist. In seinen Schriften findet sich eine nix rrascbend
grofse Zahl aus den Sammlungen der Aesopica bekannter Erzählungen, die
teils unv* rändert übernouinicn, teils leicht umi^earlicitct sind. Er, der ftir das
Wirkuii<rsv(>lli- schliclit vorj^etragener ^v9oi ein inncs N'erständnis besitzt''),
kann auch als der i*jrtinder einer neuen Kunstgattung auf diesem (lel)iet be-
zeichnet werden: ist doch der ganze ziiowaus (III 125 — 129 Jacob.) nichts
ab ein kunstgerecht durchgefOhrter fLv9os vom gottbegnadeten und vom ge-
meinen Zecher. Der AbschloHs lautet: fiÄ %bv /iC odx hf hi iatayd-yoi^
ix^fiv^iov^ 6p£v« ydtQ fftfi} meO^ 8n fvö^ ioixcc fitfvc ft/v ti sro^a-
Ma£ei^v, ^ {i^&Ji uln'u, el dl xtwtä dö^Ht tu leyoneva^ <'> 2Jfth,i'bi; t(Qci
Tlfag. Viel ist sicher auch sonst bei ihm Produkt der eigenen Phantttsie.
Aber für all die Freundschaftsmärehen des Toxaris, all die Spukgeschichten des
Philopseudes, die verschiedenen Variationen des Wunschmarchens im Xiiviiriiim
u. a. m. wird er sich wohl el)enso l>t'reitsteliciidcr Sammlungen Ixuln nt liulicii,
wie in den Het{irenl)riefen, wo manches novellistische Motiv verwendet ist, das
auch bei Alciphron und Aristaenetus wiederkehrt.
*) Crusiufl, Rh. Mas. XXXIX 606; J. Denis, De la fable daas Tantiquit^ dsfliiqne.
Caen 18>«3, j). 49 - r.i.
*j Überhaupt hängen die uns erhultuncn griechii<i:huu Fubflsaiuiuluugen mit den
rthniiehen des PhSdnis, Aviaoni, Romtdas n. s. w. durch die mumigfachBten Fftden su-
mnmen.
*) Vgl. meme 'llntetracfaungeii rar Oberliel'erung der a80|iUGbe& Fabeln' S. S99; Cnuios,
Babr. S. 8.
*) Cniflids, Pbflol. XLVII 448.
*) Vgl. den oben (S. 31f») angefüIiHcn Mythos vom Roiter auf dem rusonden Pferde.
*i Vßl. aacb Scjrtha 868; fioviteQt ovv ijdq imt^fayt» ^v9^ ti tÜoi^ mg |it^ «ht^oieg
Vmu ttMmibK, IN«. I. Sl
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322
A. Hauarath: Da« Prolilcm der äsopiacbeo Fabel.
Ob und wie nnn diese Stoflbamniliuigen f&r den Dichter und NoTellisieD
mit den Volksbüchern und den Handbficheni fiir Bhetorenschulen, deren Sparen
im vorhergebenden verfolgt wurden, zusammenliangen, ist schwer zu sajifen.
Schöpfungen der lebendiffon volkstümlichen Lu;^t am Fabulieren, die in Griechen-
land von jeher hoiniisch war, kreuzen sich hier wunderlich mit den schalen
Produkten euier alternden Uhetorik. Diese Verhältnisse zuerst richtig erkannt
zu haben, ist eines der Verdienste des grofsen Meisters, um den heute die
Philologie trauert, Krwm Kohdes. Denn auf sein wunderbar abgerundetes,
nie versagendes WesA vom griechischen Romftn nnd den bei aller Knappheit
die gesamte Entwickelung scharf und sieher skiiaierenden Vortrag über die
griechische Norellendichtnng sind die wesentltchsten Anregungen zu den Studien
surQclaaftlhren, von denen hier ein Bild zu entwerfen versucht wurde.
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ITALIENISCHE FUNÜBERICHTE. ')
Von Hans Qbabvek,
Auf dem grieehimilieii Fertknid und auf den grieehischeii Inmby ebenro an
den Kflsten Eleinaaiens sind seit Jahnehnien aUe groloen Nationen, die als
Ti^eritinen der modemeD Kaltnr gelten dflrien, in edlem Wettslrait bemflhi;
dem Schol's der Erde die Zcuj^en ibrer grofHen Verganj^enheit zu entreil'sen,
die Überreste der klassiscbett Kunst Licht zu ziehen. Aucb die Itiilieiier
haben H!<'b an (Jiesen Hestrebungen beteiiiijt; ihnen danken wir die Auffindung
der wiclitif^cn Inscluift- ), weleli»' «las Stjultiecbt von Gnityn enthält, die Unter-
suchung den d(»rtii^f 11 Apullotempcls und der Zeusifrottt- am Ida.") In Italien
»elbst ist es indessen dem Fremden versagt, den Spiitt n anzusetzen. Als vor
twei Jalircn ein Mitglied der Ecole frauyaise de liuiue in der Tenuta Conca
den Tempel der Mater Matnta^ das Heiligtnm der alten Vojakersiadt Satrieum,
entdeckt hatte und ihn blolnulegcn begann^), wurden die Arbeiten von der
Regierung tistiert^ die dann selbst die Ausgrabung forteetste. Wenige Monate
ipiter beabsichtigte der Direktor der neug^rflndeten amerikaniadien Schule in
Kmii zur genaueren Erforschung Norbas einige der Ruinen von dem Schutt^
der sie teilweise verdeckte, zu befreien"), ihm wurde die Erlaubnis dazu ver-
weigert. Den Ruhm, die Altci iiiinti iliirs I^audes aufzudecken, wollen die
modernen Italiener iriit nioniuiulcm tciltn. .Man ninls ijestehen, dafs dio von
ihnen veranstalteten Ausgrabungfu in \ (nzuirlH ln i Weise auKgetuiirt werden,
die Üntersuchungeii der Pfkhlbauniedcrlassungeu m >jordit&lieii, der Nekropoleu
') Die uehftologiMfaen Pnnde in Italien w«»rden in Mugeseichneter Wmse bekanal g«-
uiacbt durch verschiedeiic porioiÜHchc I'ublikutiuneii, deren Orf^aniHutioii gcnchildert int
ilurch V Dubn, Neue Heidelberi^er Juhrbb. VI lH5)ß S. 21. Ks Kind vor allem die Notizic
degli scavi und da« BulleUnu di |»aletnoIugia itulianu. Dum treten die Monumenti auttchi
iMbbl. dnU' AccMleniia dei Lincd, Atfci della R«wle Aecademia di NapoU, du Bnlletino
della commisRiune archeol. coniunale di Roma. Aus den Fundberichlen, die in» Jahrj^an^
IHÖI der betrefi'en«len Organe nit«derj^elt'jft »ind, int im folgenden da« Wichtijfi> auHffe7.o>,M-n.
*> S. die Publikation iu ci«'n Alouunieuti untichi pubblicuti per ruru dellu Ii. Accudemia
iti Unca III 1898.
') S. Monumenti etc. I IHUO S 1 und Muse« italiano di nnticliitA cla^si- a II ihm S. 6>*y
*> 8. ficole frani-ai"!' ilf Hmiif, Mt-langea d*archt'<d. et tl'liiNtoin' W l isufi I3l tf.
bei Tempel lag nicht innerliulb der Stadt, Uereu Tlata nocli nicht mit Mciierlieit tent-
gMrtellt iit^ sondern iMliert auf einem Hflgel. Die aufgedeckteii Grundmauern zeigen, dafii
dtT alte Tempel zweimal erneuert ward, jeder Neubau hatte eine etwas veränderte nml
v»T£rT-r.r»«|.rt« Gestalt. Zalilreirlic Kcsle der 'J'errakof ten , welclie «lii> Tciupcl yierten, und
t'itie Fülle von WeihgeHcheukeu auM Thon, Brouxe und iieruttteiu ward getündeu.
*) 8. American Journal of arcbaeology II aeries I 1897 t$. 6ft ff.
tl*
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324
n. (iraeven: Italieniflcho Fundberichte.
in Sizilien können als musterhaft j^elten'); aWr die Mittt»l sind beschriinkt. an
vielen Orten, wo ergiebiges Material zur Erweiterung unserer Kenntnis «les
italischen Altertums zu erwarten ist, wird es lange, vielleicht für immer be-
graben bleiben.
Wie unendlich reich der italienische Boden ist, davon zeugen Jahr für
Jahr die zufälligen Kunde sowie jeder noch so bescheidene Tastversuch, der
vorgenommen wird. Die Direktion der Museen und Ausgrabungen in Nea|)el,
die eine systematische Erforschung der südlichen Provinzen anstrebt, hatte in>
vorletzten Sommer einen jungen Archäologen zu einer kurzen Rekognoszierungs-
reise ausgesandt; auf verhältnismiifsig kleinem Gebiet, im Norden des alt^n
Lacaniens, komite er nicht weniger als ein halbes Dutzend pelasgischer Mauer-
ringe besuchen, die teilweise noch ganzlich utibekannt waren. Drei derselben
lassen sich identifizieren mit lucanischen Städten, die in der litttTarischen ( ber-
lieferung vorkommen. Numistro und Blanda worden in der Geschichte des
zweiten jjunischen Krieges erwähnt; bei dem ersteren, in der Nähe des heutigen
Muro, fand 210 eine unentschiedene Schlacht zwischen Marcellus und Hannibal
statt (Liv. XXV'll 2); Blanda, unfern der Küste im Gebiet des heutigen Tortora,
gehörte zu den Städten, die mit den Karthagern ein Bündnis eingegangen waren
und 214 von Q. Fabius zurückerobert wurden (Liv. XXIV 20). Consilinuui, da»
man auf einer Höhe unweit Padulas wiedergefunden hat, nennt Cassiodor in
einem Briefe als civitas antiquissima (Var. VIII 33). Gerade von dem nächst
Numistro bedeutendsten Mauerringe wissen wir nicht, welche antike Sta<lt er
umgab. An ihrem Platze liegt der kleine moderne Ort Atena, er nimmt nur
den höchsten Punkt eines zweigipfeligen Hügels ein, sein Vorgänger umfal'ste
beide Gipfel, deren jeder eine Akropolis bildete. Die Anlage entspricht hoch-
altertümlichen vorhellenischen Gründungen auf Kreta, z. B. bei Gulks und Kani
Kast<dli. Die Befestigung der lucanischen Stildte besteht aus zwei Parallel
mauern von unregelniäfsigen grofsen Blöcken, die ohne Mörtel aufeinandergefiigt
sind. Ihre Höhe ist nicht mehr festzustellen, da nie mehr als zwei oder drei
Steinschichten erhalten sind; der etwa 3 m breite Zwischenraum der beiden
Mauern war mit kleinerem Geröll ausgefüllt. Die Akropolen hatten ihre
eigenen Ringe, zu deren Herstellung aber minder schwere Steine verwandt sind.
Von den Menschen, die vor den Erbauern der Burgen jene Gegend be-
wohnten, eraihlen uns zahlreiche dort befindliche Höhlen, in deren einer nun-
mehr auch bei einer Versuchsgrabung Steinwaöen zu Tage gekommen sind.
Die Fortsetzung der Ausgrabungen einer Terramare nahe bei Forfi hat eben-
falls die dortige Sammlung v(m Steiiigeräten bereichert, und Einzelfunde dieser
Erzeugnisse einer primitiven Kultur sind in verschiedenen Teilen Oberitaliens
geniiicht Winden. Minen, in denen das Material für Steinwerkzeuge gewonnen
wurde, hat man in Sicilien aufgespürt. Nahe bei Ragusa liegt ein Kalkhügel
Montetabuto, in dessen Flanken niedrige,, aber geräumige Kammern unregel-
') S. F. V. Duhn, Neue HeiilelberKor JuhrUb. VI IS'.tC S. 19 fl'.: Über die arcbüologiHche
Durchforschung Itiilii'iifi innerhalb der letzten acht Juhro (1887 — 1896).
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H. Grucvcu: Itaiieuischc Fundbcricbt«.
325
niJsigar Form auagehohlt sind, um Yon ihnen auB Gang^ ine Innere des B^ges
zu treiben. Sie haben eine Lange von 15—40 ni, sind aufserordeutllth eng
und erweitern sich nur da, wo in der Kallutchicht die für Waffen brauchbaren
Steinarten häufiger sind. Basaltbeile, deren einige in den Grotten aufgelesen
wurden, bildtten die Werkzeuge, mit denen die alten Siculer ihren mtthaamen
fiergbau betrieben.
Aus dem Lande der At cjutr wird uns von neuent^lickttw polygonalen Bauten
berichtet. Auf einem liügel oberhalb des alten NerKue, dessen Lage im Qcbict
von CiTiteUa Salto durch Inschriftenfunde fest^ostelii war, sind die Beete einer
polygonalen Ringmauer TerhaitnunuSJaig vrohlerhaltai und hatten bereits die
Anfinerkeamkdt Stterer Archäologen auf sich gelogen. Sie umsehliefsm ein
Viereck, dessen Seiten annähernd 90 m hmg sind. Die Sttdseite xeigt einige
8tti(^ der Maner in der ursprfin^ywhen Höhe Ton 6 m, neun Reihen von
Blocken lagern hier übereinander. Die Vorderseite derselben ist geglättet, und
die nnregelmäfsigen Kanten sind wohl aneinaudergepalst, so dals die Mauer
ach yergleichen lüfst mit der viel bewunderten Befestigung^ Alntris im Herntker
land. An »b r Ostecke der Südmauer sind auf ein« in St« in zwei einander zu-
gekelirte Phalli ausgf'meifscit. ein oft vprwundtes Ajxitropiiion. Wenige km
von diesem Ringe entfernt liegen die bisher uubvuchtcteii Trümmer einer ähn-
lichen Konstruktion unter alten Eichen und Gestrüpp verborgen.
In geschichtliche Zeit fuhren uns die Reste einer Mauer, die man in einer
ViUa b« Porto d'Anzio aufgedeckt hai Sie besteht ans Schichten regel-
miCriger Qnadem, die 0,60 m, d. i. 2 rSm. Fnls hoch sind, und wird im YII.
oder VL Jahrhundert nun Schnti der Yolskeratadt erbaut sein. Bei Nepi sind
ebeoMs Teile der alten Stadtbefestiguug blofsgelegt, die im System von
Bindeni und Läufern errichtet ist gleich der Senrianischen Mauer in Rom.
Eine eigenartige Befestigiuig hat der unermüdliche Orsi, durch dessen fast
zwanzigjährige Thätigk* it über die älteste Geschichte Sicilien? nnrrcnhnf^'s T/i< ht
verbroitft ift, jüngst aai Monte FiiKK i lufn aTis'jograben. An den Hängen des
Bcrpos tindeji sieh altHi\ulisi:hf Ntkroixtlcn, ilio gemurs der Grabanlage und
Jen Beignben der Tuten vom X. — VII. Jh. im Gebrauch gewesen sind; auf dem
(hpfel des Berges muis die »iaxu gehörige Niederlassung gcstauden haben. Der
selbe iSttt nach drei Seiten steil ab, so dafs er einer kfinstliehen Befieetigimg
bier nicht bedurfte, um aber den Aufgang zu verteidigen, ist auf dem Istimius,
der die Kuppe mit einem Bflcken verbindet, eine Bastion errichtet. Die Kon-
itntktion der Maner ist ähnlich wie bei den Incanisdien Burgen, eigentttmlich
vt dem sicilischen Bau, dafe aus der geraden Manerlinie ein gröfserer und ein
Weinerer Halbkrei?« vorragt. Die Festungsmauern der mykenischcn Epoche
haben nur eckige Türme und Vorsprünge, Anlut^m Ltleich der unsrigen kennen
Wir en»t nw^ altgriechischcr Zeit sowohl im Mutterlande nls anch in Sicilien
wibst, wo Megara Hyblaea solclie biete! l>:Mlurch wird Orsi /u dem seliarf
sinnim'ii Schlüsse geführt, dals die altou iJewidiner des Monte Finoeeluto die
Bcfestigiuigskunst, die sie bei den Griechen kennen gelernt hatten, angewandt
l*beB beim Bau jener Bastion, als sie sich gegen die von der Küste ins Innere
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326 H. Graeven: Italienische Fundberichte.
Tordrftngenden Hellenen veiteidigen mubten. Sie haben sidi üirer nicht su
erwehren gewulki Da die Reihe der Orabfonde mit denen, die der erste»
Hälfte des VII. ^fh. angehören, abreifst, ist es sicher, dafs die Niederlassung
damals zu Grunde gegangen ist, tind zwar ist anlker der Basticm keine Spur
▼on ilir geblieben.
Reste einer nfx Ii älk ren siculischen Siedelunj? wurden dagegen von Kizzo,
einem Hchüler Orsin, in der A^rigentiner Gegend anfirefnnden. Unj^^efälir km
vom Meer entfernt auf den Hügeln von Cannatello zuKsehen dem gleicbminii^eu
Flusse und dem Fiume di Naro wurde ein Terrain \on etwa KH) qm zur Be-
pilanzuug von Grilben durdifurcht, die etwa 0,70 m breit und 1,40 in von einander
entfernt waren. Die ansgehobene und auf die Stege geworfene Erde seigle an
vielen Punkten schwarze Flecke und war hier mit Tiorknodien, Kohle und
Scherben durdisefst. An den betrefienden Stellen der Grilben lag eine min-
destens OjöOm tiefe gldche Sehichi Riiio mafs in zwei Parallelgraben die
kon es]>ondierenden Flecke, in einem waren sie 2,85 m, im andern 1,00 m lang.
Da sie bei der kurzen Entfernung der Gräben nicht als Reste zweier Hütten
angesehen werden k5nnen, mufs man entweder auf Trapezfonn der Hütten
sehliefpen oder annehmen, dafs die Flecke Kreissegmente sind mit tingleichem
Abstaride vom Mittelpunkte. Dals die Hütten kreisf(>nnitj waren, wird durch
eine andere Überlegimg waluäscheinlieh. Die (Jiiilier jitlegeTi ein Abbild der
Häuser zu sein, welche die Toten uaiirend ihrcü Erdcndasein» bewohntt'n,
unsere Niederliuaung aber gebort nach ihren Thongefäieen und Bronzen, die,
wie mitgefundene Giefsfonnen beweisen, teilweise an Ort und Stelle ent-
standen sind, der zweiten siculischen Periode an; in dieser waren die Giiiber
backofenförmig.
Nicht alle siculischen Niederlassungen teilten das Geschick der Schweatem
am Monte Finocchito und auf den Hügeln Cannatellos, deren Bewohner einst-
mals vernichtet oder vertrieben worden sind; andere siculische Orte hielten
sich, wurden nber rillmälih'cli gräeisiert, Dii' Sfndt N/carnv (Netum) z. B., die
an Stelle des U)U3 durch Enlbeben zerstörten Ni>t<i Wcchio lag, war eine alte
sii nlische Gründung Diese Annahme der Historiker hat jetzt durch Orsis Kr-
foisehung der Nekrt»polcn ihre Bestätigung getundeji. Die Anlage der grieehisehen
Stadt oder gar die ihrer Vor^ngeriu zu untersuchen, wird durch die liurüber
gelagertoi Ruinen der mittelalterlichen Stadt unmöglich gcmacfai
Besser steht es um eine untergegangene Stadt Umbriens, von der wir ge-
legentlich dort gefundener Thonreliefe hören (s. u. S. 334). Sie hg halbwegs
an der Strsfee v<m Sassoferrato nach Aroevia auf einem Hfigel, dessen Name
Civita Alba die Erinnerung an eine ehemalige Stadt bewahrt. Die litterarische
Überlieferung 2^nr wpils von keiner Stadt Alba in jener Gegend, doch war
dieser Name für Städte, die auf dem Berge schimmerten, sehr gebrauchlich.
Oerade die Lage auf einem Berge ^n^ammen mit etliehen Einzelfnnden be-
weisen, dals die ötadt keine römische Gründung war, sondoru schon bestand,
Uohu, Aus dem klofliüischCD Süden, oben S. 131.
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H. 6meT«n: Italieniiche Fandberichte.
327
ah fliV Römer 295 bei Sentimim <H<> vereinigten Samniten und Gallier besiegten
n;i(i jtiies Gebiet r.n kolonisieren In'tiaiiiicii. Ihre (irümiirnjitii sind in die Ebene
gefüclct. Unbekuiuit ist, wie lani^«- die Stailt auf Civitä Alha bewohnt blieb;
erst gjstematische Ausgrabungen, die seit Jaliren geplant sind, aber immer ver
lehobea werden muJbien, können hier Licht bringen. Der Lauf der Stadtmauer,
aas grolsen Kieseln und Travertinquadern besteht^ lafsi sieh voUst&ndig fest-
Bldlen; dentUeli wkennbur ist eine Akropolis mit besonderem festem Hanerringe.
Bei FeMsrbttten ward einmal ein langes Stflck Stnise freigelegt, gq|»flastert
mit denselben Eieseln, die in die Mauern verbaut sind; ein andermal kam eine
Was&crrinne zum Vorsdiein und ein Töpffinfi-n ^li-icL drn zu Heddernheim
uad Nocera ontdeckten. Man sticfs auch auf Mosaikfufsbödcn und auf bemalte
Hauswande, die noch bis r.wr Wöhc von 0,r)f) m aufrecht stehen. Die Häuser,
von denen eine Probe durch Versuchsgrabungen freigelegt wurde, zeigen den
Pompejanischen Typus.
In Pompeji ist, seit das schoiu- Haus der Vettier vo« seiner Sehuttdecke
befreit wurde, in dessen Niichbarsciiait weitei gegraben worden, ohne dals
Wichtiges dort gefunden wäre. Die glficklichen Finder der antiken Villa in
BoBCoreale, welebe den reichen nach Paris verkanflen Silberschafa spendet^
hsben anf einem ihnen gehörigen Landgut eine aweite Villa rustiea freigelegt^
M «hJs wir fiber derartige Anlagen jetzt gnt untmichtet sind. Mauerreste
und Mosaiken ' ) von römischen Bauten sind an manchen Orten zu Tage getreten,
besonders zahlreich in der Nähe Homs. Die Unii^t bung der Hauptstadt war
in der üppigen Kaiserzeit mit Landhäusern besät; Trümmer von solchen und
mannigfache Kesto ihre» SkulpturenaehTnm-kes ?ind in Tastel Gandolfo, am
Monte Cavo, in Frascati und Monteeellio dem I^oden entstiegen.
Da die Wohnungen der Lübiiiden der Zerstöruni; und dem Verfall weit
mehr ausgesetzt waren, als die der Tuten, sind tliese t>ftuials die einzigen Über-
blflibael von den Bewohnern einer Gegend. Auf den UUgebi zwischen dem
buiineDiieh«! See und dem Ton Chinsi z. B. muls ^ne Reihe etruskiseher
Ollidiiilteii gelegen haben, die im SuUanischen Kriege zerstört sind; ron
wenden nur sind Trfimmer erhalten, und diese iufserst dttrftij^ aber von Zeit
m Zeit stöfiit der Landmann anf wohlerhaltene Grabkammem. Drei derselben
wurden jüngst etwa 1 km vom trasimenisehen See im Gebiet der Badia di
S. Cristoforo geöffnet. Ein langer in den Tuff gehauener Gang bildet den Zu-
l?»ng; längs der Kammerwände sind Nischen angebracht, jede mit einem Ziegel
verschlossen, der des Toten Namen trägt. Die Asche ruht entweder iu einem
ein Mosaik, da» bei Torre Annunziata ««"fniidcn ist, wird unten ausRilu Ii« liPr
Kehaudelt werden. Seit der AufGnduog de» SUberscbat^e« von Boacoreale, der von Koth-
■diOd mit einer halben IGllien besolili wurde, tund viele Oitindbesitser der Utnfr^nd um
''i* KrlaubniH üinj^ekoiunion , AuH^ralningen anf ihren» (»rund und Boden zu machen Nur
ilie Sjjfnora Manucci d'Aquin'» hat einen nennenswerten Erfnlir oiziclt; auf ihrem F?c«»itztum
^ud (Stell anter den Trümmern eines antiken Uauses da.s Mosaik, das sogleich, da ilic
^«piter Arehioloffen seine Bedentimg erkannten, um 60000 Lire für da« Keapler Museum
•«gAasfl ward.
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328
H Gracven: Italienische Fundberichte.
henkelloscn bauchigen Gefafse oder in einer viereckigen Thonciste, auf deren
Deckel eine in den Totenmantel gehüllte Figur lagert. Die vierzehn Urnen
dieser Art zeigen auf der Vorderseite ein Relief; fünfmal ist der Brudermord
des Eteokles und Polyneikes wiederholt, neunmal sehen wir einen mit der Pflug-
schar bewaifneten Mann im Kampf mit gerüsteten Kriegern. Dieselbe Dar-
stellung kommt sehr häufig vor, und man deutete früher die Hauptfigur als
Echetlos, der in der Schlacht von Marathon die Pflugschar als Waffe benutzt
haben soll; jetzt hat man die wahrscheinlichere Deutung aufgestellt, dafs es
Kadnios ist, der die aufgegangene Saat der Drachenzähne vernichtet. Neben
einer dieser Urnen lag innerhalb der geschlossenen Nische ein römischer semi»
mit dem Jupiterkopf und einem Schiffsvorderteil, dadurch wird als die Zeit
des Grabes die erste Hälfte des II. Jh. bestimmt. Weit älter muls das Grab
sein, das auf demselben Terrain unter einem künstlichen Hügel verborgen ist.
In dessen oberen Schichten hat man Gi-äber Hadrianischer Zeit gefunden, auf
seinem Gipfel stjuul eine Sonnenuhr aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert
oder aus noch früherer Zeit; sie verrät, dals sich hier ein Auguraltempelchen
befand oder ein ager efiatus, auf dem Auspicien veranstaltet wurden. In den
Kern des Hügels ist man noch nicht vorgedrungen.
Eine neue siculische Nekropole ward von Orsi bei Licodia Eubea unter-
sucht. Die dortigen Gräber zeigen drei Typen: es giebt rechtwinkelige Kammern
mit flacher oder giebelfÖrmiger Decke und mit kleinem Pavillon vor der Thür;
daneben kommen rechtwinkelige Brunnenschachte vor mit einer Grabstätte im
Boden und mit je einem loculus an der Langseite, der eine ausgestreckte Leiche
aufnehmen konnte. Der dritte Typus ist eine Verbindung der beiden anderen:
in einem Brunnenschachte mit den loculi öfliiet sich an der Schmalseite die
Thür einer Kammer mit Totenbetten. Vasen einheimischer Fabrikation mit
geometrischen Mustern und griechische Erzeugnisse von der Zeit des korinthi-
schen Stils bis zu der des strengrotfigurigen (VII. — V. Jh.) bilden die Aus-
stattung. Wir lernen hier zum erstenmale eine Nekropole aus der vierten
siculischen Periode kennen, in der sich die Kultur der alten Einwohner mit
der der Eindringlinge mischte.
Von den zahllosen übrigen Gräberfunden verdienen mir noch zwei Er-
wähnung. Bei Palestrina stiefs man in dem Räume, der zwischen der 1H76
gefimdenen hochaltertümlichen und aul'serordentlich reichen tomba Bernardini
und einer Gnippe von 92 ärmeren Gräbern später Zeit liegt, auf zwei dicht
benachbarte Grabanlagen an der Seite einer antiken Stralse. Von dieser aus
wurden kurze Gänge in dem neben der Strafse ansteigenden Terrain ausgehoben,
an deren ausgebauchtem Ende die schweren Sarkophage niedergesetzt wurden.
St^irben später Angehörige des zuerst Beigesetzten, so ward das Grab erweitert,
um ihre Särge ebenfalls aufzunehmen, wodurch die Form der Gräber mehi
oder minder unregelmälsig ward. Das eine der neugefundeneu enthält vier
Särge; zwei, ganz naihe aneinander gerückt, ])argen offenbar ein Ehepiuu", neben
ihnen ruht ein junges Mädchen und ein Kind. In dem zweitt>n Grabe ward
zuerst ein Manu bestattet, dann eine Frau, die in vorgerücktem Lebensalter
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H. Graevua: Italienische Foudberidite.
329
livb, wie die Enochenbildnng und die abgenutzten SUine erkennen lassen.
Bei ihrer Beerdigung haben die Tote&giiber den Deckel des alteren Sarkophags
tetlweiN lertrtlnuneii, um die Leiche ihrer Beigaben an berauben. Die vier-
6el%eo, echmuckloHCTi Surkophnp' aus Pppmn haben grofse Dimensionen (der
Innenraum ist bis 2,'24 m lang, 1 m breit und tief), von den Deckeln ist nur
einer t^phflfiirmig, die ilbritiPTi sind flach, auf ihnen wurden in mehreren Fällen
Kalksteine pefiindcn. Sic sind iti Erinneninsj an den ulten Rranch, über dem
Grabe einen iSteinhHtjfen errichten, von den Angehörigen auf den Sarg ge-
legt, gleich wie bei uns die Leidtragenden eine Hau«! voll Erde in die Grube
in werfen ptlegen. Im Innern zweier Sarkophage fand sich ein Stück aee nide,
dv in Praenesfiniseben Chübem bis mm m. Jb. abwfirte oftmals Torkonunt.
In diene Periode weisen andi die übrigen Beigiben, anmeisi campanisches und
apatiscben Fabrikat. Der Mann, dessen Grab unberOhrt war, hatte an der
rechten Seite eine Lance, die rechte Hand hielt eine Striegel^ eine zweite lag
neben der linkm SMmIftT ond neben der Linken stand ein OlgefiUa an Kettchen.
Das Kindergrab barg Reste von I/eug; die Frauengraber waren am reichsten
ausgestattet. Goldplättchen und fäden rühren vom Besatz der Gewander her,
aus demselben Metnil sind Ohr und Halsschmnrk sowie Fingerringe. Zu
Haupton der Leidien staiidi'n S;!!!i<rf»f;UVe aus Thon oder Alabnstor, ihre Rechte
hielt den Spi<'<^n'I. r.xi ihren Kulsen hatten sie vernchieclt iiaitigi!?» Thongerät,
Arbeitskfirbcben und Webegewichte. Neu und uugewöhnlitii ist es, dals neben
jedem Schenkel des jungen Mädchens ein aus Thon gefertigtes und bemaltes Ei
bi^ eue Nachahmung wirklicher Eier, die in etmskisdien Gräbern nicht selten
lind und als Wegiehrnng fBr den Toten oder als Lustrationsopfer gedacht waren.
In Tarent ward eine Grabkammer der Verborgenheit entrissen, die aus
wohlgefQgfcen, aber nicht mit Zement ▼obundeoen Quadern erbaut ist. Den
Thürbsilkm stfit/te eine ernste dorische S5ule, deren altertii i' I i- Form der
ersten Hälfte des VI. Jh. angehört. Dem entsprechen die attisciien Thongeföfiie,
weil hl die Grabkammer enthielt, der Mehrzahl nach Kyliken mit schwarzen
I i;ftin'n. Die Hnupt^Hrf tcllim«; findet -iich :ni drr AnrHenweite in t'iiiciii Streifen
unmittelhar unter dem St Inih-iirand«'. Ein W'iKjrnrennt n, die kaiydonische Jagd,
der Kampf der l'ygmaeen gegen die Kraniehe, Ai Hill und Penthesilea sind die
Gegenstände der Malereien, ihr Stil i.st verwandt mit dem der sogenannten
Kleinmeister, die um die Mitte des VI. Jh. blühten. Zwei unserer Gefiifse
tragen unter dem Fulse den Namen ihres Verfertigers, eines bisher unbekannten
Tdpfers, ANTIACOPOC. Die Bemalung seiner Produkte scheint er yer-
icliiedenen Händen anverfanut au haben, sie sind unter sich nicht ^eich-
artig und stehen an Feinheit den meisten Ton den deinmeistem signierten
Werken nach.
Nicht minder wertvoll als die Beigaben, mit denen die Lielie der Hint<«r-
bhebeneii die Toten ansstattetr', sind für uiis«'re KenntTiis der antiken Kunst
die Wcihguhen, welche frommer Sinn (h»n (ir.ttt rn darhraciite. Vier km von
dem sicilischen Städt<'hen Granmichele, das erst nach dem Erdbeben von KUlii
gegründet ist, führt ein IlQgelkomplex den Namen Terra vecchia; emer der Hügel
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H. OrAeren: Italie&twbe Paiidbericbte.
tragt die Trümmer des dtircli das Eronielien zerstörten Ortes Oeehiola, aber von
der elu'iiialigen Gräberstadt, wclt lif aui diesem Terrain lag, sind nur zerstreute
dürftige Spuren vorhanden. In grofser Zahl sind nur am Abhang des Pojo
deir Aquja Terrakotiafiguren ans Licht gekommen, die eine lange Entwickelung
repräsentieren, denn die Sltesten reichen hodi bis ins VI.JL lunauf, die Jüngsten
stomnuni ans dem Ende des IV. Jh. Sie sind in versdiiedenen kflnstlichen
Grotten aufgelhnden, wo sie offmbar geborgen wurden, als das Heiligtam von
alteren wertlosen Weihgeschenken befreit werden sollte. Die meisten stellen
Frauen dar, sitzend oder stehend, eine Krone oder ein Modius schmückt das Haupt
vieler der Gestalten, als Attribute erscheinen in ihren Händen die Fackel, die
Mohnblinnp, der Granatapfel und das Schwein. Die« führt zu der Yeriniitung,
dnl's auch au diesem Platze, inmitten einer sehr fruchtbaren Gegend, ein Heilig-
tum der Demeter und Kora bestand, die in Sicilien besondere Verehrung ge-
nossen. Vom Tempel, der den Gipfel des Pojo dell' Aquja eingenommen haben
wird, ist indes keine Spur va entdeciken; es ist nieht ausgeschlossen, dals ee
nur ein Holzbau gewesen ist.
Überreste von steinernen Tmpeln sind an mehreren Orten auftaucht.
In der Nachbarschaft von Pnduhi, unmittelbar neben der dortigen Certoaa,
liegen Architekturstiu kc ionischer Ordnung, die aus dem Kalkstein der Gp«jend
gearbeitet sind und noch unbeeinflufst scheinen von romischer Architektur.
Ebenfalls aus Kalkstein sind die Baniilieder eines Tempels, der unterhalb
der polygonalen Uingc im Aetpierlande ^s. oben S. 325) laij. unt^T ihnen
ist ein korinthisches Ka|ntell. Koriutluäch ist auch das gewaltige Mariuor-
kapitell, das auf der Area de^ kapitolinischen Juppitertcmpels dem ruuiisclieu
Boden entstieg. Das berUmiteste der stiidtisehm HeiUgtClmer war merst unter
den Tarquiniem von etruskisdien Baumeistern errichtet worden, und bei allra
Neubauten hatte der alte Grundplan beibehalten werden mflssen; nur durch
grdfsere Höhe tmd gröFsere Kostbarkeit des Materials hatten die Späteren den
nrsprflnglichen Bau überbieten können. Die letzte Erneuerung geschah durch
Domitian, nachdem das Werk »eines Vaters nach kaum zehnjähriger Dauer in
Flammen auf<?e<jrnntien Avai-, Märlitii^i' Säulen pentelischen Marmors trugen das
Gi'hälk di'fi Ncul)aus; aus riucui Kapitell, das ^'ti^tm Ende des XVI. Jh. ge-
funilea ward, konatf Fluminio Vacca den Löwen verfertigen, der vom Grola-
heraog Toscanas best<dlt war und der jetzt an der Loggia dei Lanzi in Florenz
die eine Tn pi)enwange BchmQckt. Das neugefundene Kapitdl hat einen Durch-
messer von fast 2 m, leider sind die Zierformen desselben sehr zerstört
Der romische Boden hat femer den köpf- und armlosen Torso einer
kolossalen Minerrastatue gespendet, der beim Palasso Sciarra am Corso be-
graben lag. Das nachs^legene antik« B^uiwerk, dem die nichtige Figur mit
Wahrsclu'inlichkeit zugewiesen werden kann, ist der Tempel der Minerva
Chalcidica. do-^son Platz die Kirche S. Marin sopra Minerva einnimmt. Nach
einer aitcu Naclu icht in der Thn<;ebung der Kirclio die berühmte Miiu-rvii
Giustiniani gcluudeii, div deshalb gewöhnlich als Kultbild des untergegangenen
Tempels angesehen wurde. Doch jeuer ^iutiz steht eine andere gegenüber, die
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H, Oneren: Ibklteniscbe Fnndbarichte.
331
den Fandori der Giustinianischen Statne in die Nahe der Porta Maggiore ver-
legt Gesefast aber auch, diese Figar stamme aus dem Bereich des alten
Tttnpels, es ist nichts Ungewöhnliches, dafs mehrere Bilder einer Gottheit in
ihrem Heiltgtiim standen, und die Ueineo Dimensionen dar Oiustinianiscben
Statne, die nur 2 m hoch ist, »prechen * iitschieden dagegen, dafs sie das Knlt-
bild des gröfsten römischen Minervatempel? <j:<'w(»8en ist. Die neuentdeckte
Stahle, (leren Toi-sio 2.^3 m mif8t, war viel eher dazu geeignet. Sie rcprii-
sentit-rt rienst'lhoii Tvpii^i wie die aiu li in <l< r firofiap üViereinstimmende Pallas
Vi'llttii im Ijouvrc, (l(r(>n Arbeit aber geringwt?rtig» r ist Beid«» fTphen auf ein
attiHcheä Original den V. Jh. zurflck, das, wie Münzen wahrscheinlich machen,
in Athen aufgestellt war.
In Rom ward auch die Zahl der isolierten Ältir^ die in den leisten Jahr-
hunderten der Republik lokalen Gotttieiten errichtet wurden, mn ein neues
Exemplar Termehrt. Der bekannteste dieser Alüre ist der an der Sfldwestecke
des Palatin stehende, einer Gottheit gewoilii. \ m der es ungewifs war, ob sie
eine mannliche oder eine weibliche war (SEI DEO SEI DEIVAE). £in anderer
ward dem Gotte Verminus aufgestellt. Welcher Gottheit unser Altar zugeeignet
war, wird durch die Inschrift, die an Stelle der urspriinglicbon Wcihiing auf ver-
tiefter Flache stoht, nicht vermeldet, sie nennt nur die Konsuln Nero Claudius
Di u.suä Germanicus und T. Quinctius Crispinus (9 v. CL) als diejeiiigen, welche
die Ära restituierten.
Aus andern Tdlen Italiens zeugen einige neugefiindene Inschriften von der
Verehrung des Jnppiter Doliehenus, der Matronen, der Bona Dea and der
H«:«en. Fttr den Kult der letsteren sind in den Hfigel, der die Griecbenstadt
Netum trug (s. oben S. 326), awoi geraumige Kammern hineingearbeit» t mit
zahlreichen Nischen, die in Relief oder Malerei die Bilder heroisiert ? Toter
enthielten. Im Tynipanon einer Nische ist noch an lesen HPCüC APAÖOC,
nnter einer anderen ANTAAAoi; MPiuc
Von neuen Inf>rbriftt n , <lie unsere Kenntnit* des oflFentlieber und privaten
Lebens zu erwciteni vennöifen, ist die silti'ste nnf einem cyliinlertormigen Cippus
der (iracehiscben Ackerverteilung. Solcher Cippen waren bisher sechs bekannt,
drei, ans dem Gebiet Ton Aeclaoum stammend, nennen als tres?iri u(gri8)
i(adicaDdis) a(dsignandi8) M. Fnlvins Flaecns, G. Gracchus, C. Papirius Carbo.
Fbceus und C^rbo waren gewShlt worden an Stelle der verstorbenen P. Licinius
CrssBUS nnd Appius Clandias, die zunächst nach dra Tiberius Gracchus Tode
mit seinem Bruder das Kollegium gebildet hatten. Der jinifist i i At la t iitdeckte
Stein trägt auf einer Seit<^ des Cylindermantels die Inschrift C • SEMPiiONIVS •
TI F • I AP • CLA\T^)IVS . r . F j P T.K^INIVS P ■ F ■ | ITT VTl? A T A.
Dust llx'n Namen kehren wieder auf tleii im (ithiet von C-apuH, Suessula, (\>iv
."ilinuni gefundtiieii Cippen, alle vier mü«stn daher den Jahren 1.32 und 131
angehören. Da Consilinum und Atena dicht benachbart sind, werden die be-
treffenden Cippen T4m ein nnd derselben Yermeesung herrflhren. Leider ist
hei dem stark korrodierten Stein aus Consilinnm keine Inschrift auf der Kopf-
Ißehe erkennbar; ob der Stein aus Suessula, der verschollen ist, dort eme In-
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U. Graeven: italiemüche Fuodbcrichte.
Schrift trug, ist nicht konstatiert worden; der Stein aus Oapua bietet an dieser
St<;lle: h(artio) uufbcmus d(ccutnanns) primtts. Am Stein aus Atena ist auf der
Seite des Cjlindermanteb , <lie der Haupttnsclirift gegenüberliegt, eingegraben:
h{ardni st'pfhnus; m\( der Kopffläclie int in der Mitte ein Kreis, von (hm vier
gerade Linien in tilriilit-m Al>«tand dem Kande zulaufen. An einr (It iscUxMi
lehnt sich ein kleiner Hulhkn irt an. der je naeh dem Stand|Mmkt als C odt-r D
aufgefafst werden kann. Die Bedeutung dieses gromatischeu Zeichens ist noch
nickt ergründet; nur soviel läTst sich mit Sicherlteit sagen, dafe im G^nsate
zu den Cippen aus Aeclanum, welche nur die Festsetsnng der Grenxe zwischen
5fibntlichem und privatem Eigentum bezeichnen, der Ateneser wie der Capuaner
Cippus sich auf die Verteilung des öffentlichen Ackers bezidien, d«r durch fest-
gelegte cardiues und deeumani par/.clliert ward.
Um eine Scheidung zwiws In n »iffentlichem und privatem Besitz handelte es
sich Hiirh hp\ der Tormtnutioii der TÜHnifer in fJnni durch die Consorcn
M. Valerius Mt'ssala und Scrviliiis Isauricus (T)4 v. Ch i. Von den Cippen,
die sie auftitellttin zur Hi'/rirlmnii'^ <lcr Liiuf, bi& zu wi-lchiT da.s l t'cr dem
Staate gehörte, sintl uns verhältiüsniiiisig viele erhalten, y,u 15 bereits vor-
handenen sind jetzt zwei binzugekonumen. Sie standen am link«i l^berufer,
etwa dem ersten Meilenstein der Via Flaminia entsprecheiul, mit der Inschrifk
dem Flusse zugekehrt, von dessen Rande sie etwa 6 m entfernt waren. Ihre
Entfernung von einander betrug 28,i50 m, d. i, 100 rSm. Fufs.
In Praeneste sind zwei Fn^pnente aufgetaucht, deren eines zu den am
dortigen Forum aufgest<'llten Konsularfasten gehört*», während das andere vom
Kniender de? Verrinn Fluccus stammt. Es enthält di*' Angabe, dafs am 1. August
zur Kriniicriini: an die Einnahme Alexandriens gemäls einem Senat^beschhifs
der ^ ictnria und der \ ictoria Virgo am Palatin sowie der Spes am Fnruin
Hoiitoriiun geopfert werden mufste. Durch eine Inschrift aus ("agliari, die auf
die Zeit vom 1. Jan. bis 13, Sept. 83 n. Gh. zu datieren ist, weil Domitian darauf
die Titel TRibunicia FOTeetate II und COnSuI Villi f&hrt, werden wir be-
Idirt, dals damals Sardinien einen procurator Augusti hatte. Nnto hatte 67
die Provinz dem Senat ttberlaasen, und unter Marc Aurel wird sie von Pro-
konsuln verwaltet; dafs aV» r in der Zwischenzeit die Insel wieder unter kaiser-
licher Verwaltung gestanden bat, war dxirch eine Inschrift aus Vespasians
Regierung wahrscheinlich geworden. Jetzt erhalten wir ilafiir eine Hrstäti^-un'^.
In Sardinien ward ferner «in Klirendekret der Sulcitaner für Hadnan vom
Jahre Iis aus der Erde gezogen und biUlet ein neutiü Zeugnis für die Lage
des alten Sulci beim heutigen S. Antioco.
Einer Inschrift des III. nachchristlichen Jh., die am Golf von Bajae ans
Licht kam, danken wir die AufUirung einer bisher dunklen Stelle in Ciceros
Briefen. M. Gaelius Rnfiis schreibt dem Freunde gegen Ende Mai 51 (Ep. ad
fam. Vni 1, 4): Te a, d. VIIH K, lun. subnatram — guod iUorum cajj^
sii — flissiparant inriise: urbc ac f'oro foto maximus rnmor fuit te a Q. Pom-
peio in ithtere oecisum. E^o gui setrm Q, Pomiietui» Am2» mhaauticam fuare
et iiflsae eo, egw» mserem' cnis^ cstirM^ nan wm eommt^us, 3tatt der Lesart
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H. OnMven: Italieniseh« Fiuidb«Hchte.
333
tlts Laureut. 49, 9 (M) haiilis mthmtn Untm steht im Paris. 17^12 fR") Jmuliaem
hcmiimm. im Hurleiau. 2773 ((i j bauli mm hn/rfitant , \vnihU- Kurruptelen des
im Lttuf. Uberlieferten. Da das Wort emlm4-N*tuatn uirgciids anderswo vor-
kommt und sein Sinn nicht ergründet werden konnte, haben Terachiedene Kri-
tiher zu ändern gesueht; der letzte Herausgeber, Mendekaohn, setate ein Kreuz
an die Stelle und bemerkte: *Mihi — idemqne veterea quidam editorea aen-
Mront — Pompeios neeeaaitate eo adductua videtur eaae ut ei sordidnm opi-
fioiuni aliquod vitae sustentandae causa Baolis exeroendum esset, TOCabulani tanion
qiiod placeat non reperio.' Da.H überlieferte Wort, das nur einer ganz kleinen
Korrektur bedarf, giebt den gefordert» n Sinn, wie die folgende Insdirifl xeigt:
D M ; T. t CAECILIO DIOSCORO | f V UATOIU AVGY8TATJVM [ CVMANOR »
Pi:i!I'ETVO ^ I I'PKMQVI-: - AVGVSTALl j DüPL ■ PVIEOLAaNüR • | ET
CVKATülU PEUl'K r ' , IvMliAENlTARIORVM » | iTi P1S(JINIENSIVM » | VIXIT
ANNIS » LXXUI • MVÜI » ] CAErilJVS HERMIAS » FATRONO ' H » M » F '
In d^r dritten Zpüp von iinttu int du» Zeichen iTl wahrscheinluh aufzulösen
ais. trHratn\ da.s Wurt cmhuetiUarii ist abgeleitet von ^fißutvi^eiv und wird liier
gebraucht zur speziellen Bezeichnung der Schiffer, die in den Piscinen thätig
waren. Sogliano, der die Inachrifk herausgegeben hat, erinnert an den Ge-
branch dea italienischen gandoUeref das nicht allgemein den Barkenf&hrer be-
zeichnet, sondern nur den BarkenfOhrer in den Lagunen. Daa Handwerk der
mbamiiarii hieb offenbar enAaeniHca, und embaenitieam faeere ist daher an
der Cicerostelle zu schreiben atatt des überlieferten emhavneticam , das nur er-
kürt werden könnte ab Ableitung von i^ßaiva durch fidsche Anaio^ebiUhing
nach :tUQaivixiyi6g, iii:ro^frix6g. Die Piscinen tles Golfs von Bajae waren hoch
berühmt- zwar die grofsartigsten «geboren erst der Kaiscr/fit an, wie das
Ütagnum Neronis und ilir Schöjitnni^t-n des AlexancUr Severus, aber auch
in der Cieeronianischea Epoche ichlte es d<»rt nicht an derart ij^en Anlagen.
Vom Redner Q. Hortensius eraihlt l'Uniu«, Nut. bist. L\ 81: Apud i>'«M7o.s" in
parte Baiana piaeinam fuUmU , . . in qua muraenam aätso düexit, ut emni-
mtam fies» eredatm, und Varro, De re rasi III 17, 5 hebt herror, dafs die
Pisdnen dea Hortenaiua magna pccunia erbaut worden seien. Vielleicht war
CS gerade des Hortenains Fischteich bei Banii, wo Q. Pompetus dem elenden
Lebenaerwerb nachgehen muTste, der selbst daa Mitleid seine« ehemaligen An-
klägers erreirte.
Die Zahl <lei- jibisfisdien Werke, welche letzthin in Italien gefuncU^n worden
xind, ist nicht erheblieh. Den Min«'ivatf)rso aus Rom haben wir bereits kennen
gelernt (S. iVM)'>, die Skulpturen aus den oln'n erwähntt-n V^illen (S. ^^27) sind
'i'-ki>rntive Dut/eiulware. In Tarent war<l drr Torso ctnrs nilienib'n Flerakh's
siu.-igegraben , der interessant ist als neue lu )>Hk einer Statue des jüngeren
SkopuK. Die Zeit dieses Bihlhauers ist noch nicht mit Sicherheit festgest<dlt,
Mio Werk aber kennen wir aus einer Reihe von Nachahmuugt u. unter denen
bisher nur eine Rondfignr war. Ein Relief des den Stier bändigenden Heraldea,
ZQ Tramutola in einem Treppenhauae eingemauert, aoU der Statte dea alten
dmmentum entstammen und ist in einem Sandstein der dortigen Gegend ge-
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334
H. GxMv«ii: Italieiiiaelte Fimdberiebte.
arbeiWt. Der Stier strebt nach rechts /m eiitspringLU, Herakles aber hat mit
der Linken daä eine Uum desselben gupackt und greift mit Rechten in das
Fell iemes Hdsee; das Eompositionssclkema ist dawelbe wie anf einer Met<)|»c
des Theseiona in Athen, doch ist deren Darstellung freier und bewegter. In
dem lacaniedien Relief erinnert die Bildung des Stieres ganz an arehaiaehe
Bildwerke^ der menschliche Körper aber wost trotz einiger Fehler, die der
Ungeschicklichkeit des lokalen Künstlor? zuzuschreiben sind. Mit eine Zeit, die
vollständige Kenntnis der Anatomie besal's; die Stellung der Beine — das eine,
im Profil gesehen, steht fest auf dem Boden, das andere in Vortleransicht ist
gehoben — ist von der Art, ^vie sie auf Htti<»chen Vanon vom Ende des V. Jh.,
auf süditalischin dts Jh. begegnet. Bei der groi'sen Seltenheit lokaler
Skulpturen der isüdituliseheu liiimenlandsclmft^n ist dies R<^lief nicht nnwichtig,
weil es uns in charakteristischer Weise das Ringen der eingebureneu Künstler
mit den Leistungen dw i^eehischm Plastik vor Augen stellt
Der unaweifeUiaft wertroUste Fund der letaten Zeit ist ebenlalls ein £r-
aeugnts einer einheimischen Konsl^ das in der Stadtruine auf dem llflgel Givita
Alba (S. 326) zum Yoradiein kam. Ein Landmann, der einen Graben zur An-
pflanxung von Obsttömnen und WeinaiScken zog, entdeckte in der Tiefe von
1 m auf einem etwa 4 m lann;eii Kaum vereint die Bruchstücke zahlreicher
Terrakotten, teilweise in einer Reihe liegend, teilweise übereinander geschichtet
Die Ordnung und Zusammensetzung der Fragmente ergab mehr als zwanzig
Fig;nren, einige völli|r frei gearbeitet, der Mehrzahl nach an einen Keliefgnmd
anii;ehhnt. Sie lassen sich in zwei Serien sondern; ilie eine uinfafst Figuren
von l),üi'> ni iliihe, die alle dem bakchischen Kicise angehören, die andere bietet
(lentalten einer Öallierschlacht von 0,4;') m Höhe. Die erstereu bildet^-n tirei
geplünderte Ghroppen. Diejenigü, die sich am vollständigsten rekonstniieren liels,
stellt die AufSndang der Ariadne dnrch den Thiasoa in ähnlicher Kompositioa
dar, wie wir sie Ton Sarkopbagreliefs, campanischen Wandmalereien und Mosaiks
her kamen. Die verhuMene Oeliebte dea Theseua schlummert am Boden aus-
gestreckty die Rechte aufs Haupt gelegt; ein Satyr, der von links herbeieilt, bebt
da« Gewand der Schlafenden empor, so dafs der schöne Oberkörper derselben
entblöfst wird. Hinter Ariadne ragt eine ruhig stehende weibliche Gestalt auf,
die Linke auf die Hüfte stützend; sie ist fast nackt, nur fällt ihr von der
linken Schnlter ein Gewand herab, das zwischen die Beine geklemmt ist. Da
(in ich gleicht sie vollständig der Venus auf zahlreichen etrnskischen Aschen
innen, wo die Göttin bei der VViedererkennnng des Paris durch seine Eltern
zugegen ist; den Namen Venus dürfen wir daher auch unserer Terrukottatig»»r
beilegen. Rechts von ihr werden zwei von rechts kommende Satjrn sichtbar,
die ihr Erstaunen über die SchSnheit Ariadnea anadracken und andere Begleiter
herbeirufen.
Der ersten Gruppe entsprach in vollslSndiger Symmetrie die Auffindung
einer Nymphe, von der indes nur zwei Figurw bisher zusammengesetzt werden
konnten. Die Nymphe kehrt dem Reschauer den entldöfsten Kücken zu, und
mUirend Ariadnes Kopf nach rechts hin liegt, erscheint der ihrige links. Der
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B. Qnwven: ItaliemMfae Fnndberidite.
336
Satjr, der ihr Gewand lüftete, kam Ton rechts herbei. Auch hinter ihr steht
eine Venus, die ein genaues Pendant zu der der andern Gruppe bildet
Von einer driüen Qrnppe sind drei weibliehe Flflgelweeen erbalien, die
ein gro&es Gewand bftldnehinartig ansBpBnnen. Eine der Genien wird ober-
halb des Gewandes siditbar, die beiden andern sind anf die reehte und linke
Seite geatellt, dne fiein obgenmdefee Komposition. Die Mitte des Gewandes
weggebrochen, vor ihr befanden sich die Haup^)erBonen der Szene. Brizio^
der die Terrakotten herausgab, erinnert an eine Qrabume aus Ghiusi, die unter
Pinera von zwei Frauen ausgebreiteten Gewand zwei Männer und eine Frau
zeigt. Man deutrte sie als Brautpaar mit dem Bnmtvater und meht in der
Darstellung i-inen altitalischen Horhzeitsbrauch. X.u li dirspr Anuloirjc ' i lälst
mh in der Teirakottagruppe das iföttlicho Hrautpaiu-, Dionysos nnd .Aiiadn*^,
vurauiiötit/A;!!. Die Vermutung gewiruit an \V uiuscheinlichkeit durch eine Kiii/.t^l-
figiur, die mit dieser Gruppe offenbar in Znaammenhang stund; es ist der elegante
Torso eines nackten geflügelten .lüuglings. Er sebreitet nach rechts, aber der
OI»erk5rper und der jetst Terlorene Kopf waren umgewendet; die Bedite schultert
eine Esckel, das AtMbut des Hymenaeus. Es kann kein Zweifel sein, dab die
letste Gruppe die Mitte einnahm zwischen den beiden anderen ganz symmetrisdi
SOgeordneten Gruppen.
Die kleineren Terrakotten ergeben keine aus mehreren Figuren znsammen-
gesetzten Gruppen, sie lassen vielmehr eine friesartige Anordnung erkennen.
Eine Darstellung der Gallier aus die.ser Grs^rnd verdient besond^rr- Rcuclitang,
da den Künstlern der Stadt, dio kaum vier MimIcii von Hena tialln a «'nttVmt war
und unmittelbar an diuj üobiet von vScntinnin ificn/tc, m wils die Gallier durch
eigene Anschauung bekannt waren. Der Typua und daa Kostüm derselben sind
daher in der That mit scharfer Charakteristik wiedergegeben. Aus den bisher
gpfiindeneii Fragmenten liefsen sieh l&nf Gallier mehr odor mimkr vollslandig
wiederherstellea. Das Haar ist lang und struppig, Aber der Stirn einen auf-
strebenden Schopf bildend, mit der Ausnahme eines Mannes, dessen Stirn kahl
ist Alle trag^ starke SchnurrlriUte^ dazu kommt b« einem «m diditer Voll-
Wrt, bei einem andern ein gefurclitci Kncl»» Ihart. Die Adlernasen, die Fsltm
aaf der Stirn, die Augen mit tief i in^i^rtabcnen Pupillen verleihen den Ge-
sichtern einen finsteren, trotzigen Ausdruck. Da es bei den Galliern Sitte war,
dals die mutitistfn nackt in den Kampf stürzten, nur mit » incin um dio Ufifton
peirftrtftei I Tau, stdicu wir auch hier eiin'n Krieger so daint stcllt. Aulsrr dem
Tau trii^ vv nocli die TorquCi», statt ihrer ist bei zwei anderen t-in kleines
^lüntcichen um den Hals geschlungen; sie schützen sich mit einem ublongcu
^ild, dbNwn Oberfläche durch einen erhöhten Band nnd ein aufgelegtes Kreuz
gcö&ere Festi|^eit erhidten soU. Eine gegürtete Tnnica, die aber die reehte
' Kinp noch trcftVudero Anulnrric Lintot ffnu andere Anchenurnc niis ("liiusi, die in
der Sammlung Scalambrini war i:Cutulo};ü della Colleziouc Giuseppe Sculuiubrim, Kuiu
1888, tav. Vm). Braut und Brftutigunt Hitzen einander gej^enüber, hinter ibnen Mteht je
eine Fnui, eine dritte in der Mitte; jede bebt ein grobes tiewand, nni e« aber die KOpfe
tfci Paarw za holtea.
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336
H. Graeven: Italieoiache Fundbericbte.
Sehulter frei föfst, trägt allein der bärtige Mann, der auf einem mit vier Pferden
bespannten Streitw;i|^n ti i-rscheint. Dir Benutsung der Streitwagen durch die
Gallier bezeugen die alten Scliriftst*'iler; in unseren Reliefs dient er dazu, den
Anführer auHZUzeichnen. Der letzt«- der (iallit-r, der nicht am Kampfe teil
nimmt, soikUth im He<fritl' ist, eine ^rolse Vase \veir/,usciile|t|>eii , hat st-iiien
()l)erkt»rj>er mit einem zottigen Fell umhüllt. Von den Kämjtt'eni sind zwei
bereit» in die Knie gesunken, die übrigen eilen flüchtig nach link» und wenden
entutit den Kopf; die Wagenpferde sprengen Aber einen au Boden geennkenen
Kri^ier dahin, um die Wildheit der Flacht zu kennaeichnen.
Von den Gegnern der Gallier iat biaher nur eine kopflose Figur zu er-
mitteln gewesen. Sie tragt einen ärmellosen Chiton, der Mantel ist um den
Leib gegürtet, ihre FOf^e stecken in Kothurnen, ihre Hechte schnellte einen
Pfeil vom Bogen. Die Deutung der Figur als Artemis wird gesichert durch
die völlige Übereinstimmung derselben mit der Artemis in der liigantomacbtc
des Pergamenischeii Zeusalturs. Die L Ijeiemstimmung ist zu grols, um eine
zutiiüige zu .sein, der uiubrische Künstler muls eine KepUk jeiu-r Figur vor
Augen gehabt haben, wodurch wir einen festen Ansatz für die Zeit unserer
Reliefe gewinnen nnd sie dem II. Jh. anweisen können. Die Figur der Artemis
beweist augleieh, dafs wir keinen rein historischen Kampf vor uns haben,
sondern es ist die Vertddigung Delphis durch die Oötter dargeatellt Nach
einer Version haben die Gallier im Jahre 378 das Delphische Heiligtum ge-
plündert und siiul mit reicher Beute abgezogen, nach einer andern Version
wurden sie durch Apollo. Artemis und Athena an der I'lünderung verhindert.
Der Thonkünstler hat die beiden Versionen vereinigt; der eine Gallier hält ein
geweihtes Ueials, tlas er dem Heiligtum entwendet hat, in den Händen, zwischen
den Beinen der Krieger sehen wir Opferschalen liegen, die den Uaubem eut-
faiieii sind, als sie die göttliche Strute ereilte.
Es ist EU helfen, dals neue Ausgrabungen auch die Gestalten der bttdos
andern Gdtter liefern. Wird der Apollo hier der berflhmten Statue des Bel-
vedere entsprechen? Von ihrem Original wird bekanntlich angenommen, dab
es xur Verherrlichung des Si(^ Aber die Gallior geaduffian sc», und man er-
gänzt die Statue mit einer Aegis in der Linken, der(!n Anblick die Feindo Ter*
trieben habe. Den neuen Auagrabnngmi iat daher mit Spannung entgegen-
zusehen, wir dürfen von ihnen auch weitere (lallierliguren erwarten und
Aufschluls ül>er die Verwendung der Terrakotten. Der friesartige rharakt4'r
der .Schlacht legt die Verniutung nahe, dals sie den F'ries an der (.'ellawand
eines kleinen lleiligtuui.s bihlete, während die drei tiruppen im Giebelfelde auf-
gestellt waren. Die Vereinigung von Bildwerken aus dem apollinischen und
bakdiischen Kreise an demselben Tempel hat nichts Befiremdliehes, der grofee
Tempel in Delphi bietet dafttr das klassisdie Beispiel Der eine seiner Giebel
aeigte ApoUo, Artemis, Leto und die Musen, der entgegengesetzte Giebel ent-
hielt Dionysos unter den Thjiaden.
Obwohl an Kunstwert den Terrakotten bedeutend nachstehend, hat doch das
oben (S. 327 Anm. 1) erwähnte Mosaik aus Torre Annunziata seines Inhalts
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H. Omem: Italieniidie Fnadberiehtd.
387
wegen weit mehr Beachtung gefunden.^) Es hat quadratische Form (80 X 85 cm),
ringrain laiiit eine reiche Ghurlande von irautem, Blumoi und Frflehten, mit
bakdiiMhen ISsAea in den vier Ecken und in der Mitte jeder Seite. Das Mittel-
feld leigt erae Terwunmlang Ton sieben Philcflophen oder Gelehrten onter freiem
HtmineL Links erheben sich zwei Pilasier mit einem ArchitraT darauf, der drei
Vasen tragt; rechts davon steht ein belaubter Baum, von dem ein kr&ftiger Ast
unter dem Architrnv durch^ewachHen iflt. Ähnliche Darstel Inneren sind auf den
sogenannt^>n helleiiistiHchen Relief bildern und Huf I'oinpejHnischeii Bildern «elir
häufig; wir dürfen daraus schliefsen, dafs die Vorbilder derselben in den
damaligen (Hrten nicht selten waren. Jedem Besucher Fraäcatis wird duä
malerische Thor der YiUa Faloonieri erinnerlich sein, aus dem ein grofser
Zweig der dahinter stehenden Eiohe herrorragt, ein Zeuge dalttr, dab der Ge-
srJimack der Ahnen in den Enkdn fortlebt Im Hintergrande des Mosaiks
sieht man redite eine uounanerte Stadt mit emer beeondeni nrnmanerten Akro-
polis. Im Vordergrunde befindet sieh eine halbkreisförmige Steinbank mit
Fufstritt und Lehne, hinter deren Mitte eim Sihüe mit Sonnenuhr aufsteigt.
Halbkreisförmige Bänke wurden oft als Ausstattung eines Gralimals angelegt;
zwei derselben finden sich vor dem Staliiaiier Thor l'ompejis, zwei vor dem
^lolaner Thor, auch unmittelbar an der Porta Salaria Roms liegt eine gleiche.
Noch geuauer entspricht aber der Darstellung des Mo.saiks die scolu et iwroloyium,
die laut der Inschrift von den Duumvirn L. Seponins Sandiliauus und M. Uerennius
Epidianns anf dem Fomm trianguläre in Pompeji erriditet ist
Vor der Sinle sehmi wir einen der yerBammdten auf der Lehne der Bank
oder auf einer an dieaer Stelle befindlichen ErhShnng situn; er sttttst den
reehten Ellenbogen auf das Knie und logt das Kinn auf die Hechte, nm auf-
merksam den Worten des Protagonisten zu lauschen, der links von ihm auf
der Bank selbst sitzt. Dieser, ein ehrwürdiger Greis mit weifsem Bart und
Haupthaar, stützt den linken Arm auf die Lehne der Bank, der Ki)|>f ist vorn-
übergebeugt, unil die Rechte weist mit eineni langen Stabe auf eine vcm Zonen
kreuzweise umzogene Kugel, die im Mittelpunkt des Uanzen auf eiuem Gestell
ruht. Der Vortrag betrifft demnach ein Kapitel der Astronomie. Auf die
Hinunelakngel lind die Blidbe einea dritten tthnnee gerichtet^ der swiechen den
beiden erwÜmten hinter der Bank steht, und ihr wendet >idi auch das rechts
befindliche Pbar mt Der eine satst auf dem Ende der Bank und hebt mit der
Rechten eine Bolle, eine Bewegung, die das Staunen aber etwas eben Gehörtes
anszndrficken scheint. Die vor der Bank stehende Figur erscheint ganz in
Vorderansicht, dieht aber den Kopf dem Mittelpunkt zu, ihre Rechte ist an
das obere Ende der geschlossenen Holle gelegt, welche die Linke hält. Durch
die Bewegimg wie durch die Haltung wird di r Eindruck erweekt, als ob dieser
Mann in Bereitschaft stehe zum Widerspruch gegen das Vorgetragene. Dar
Publiziert ward daa MoRaik zuerst von Sogliano im AugiJsthefl der Notizle dej^li sravi
I8ö7 S. .H.*)?; eine bessere Reproduktion brachten Chiapelli und Stein im An hiv für (icHch
der Philosophie 1897 S. 180. Petereen vereinigte mit dienern Mosaik eines aus Sarsiaa
i. Baten) in den UittsiL des anOi. Insi BOati. Abt XH 1897 S. 888 f.
X«M^«kiMMMt. Uta X. 88
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H. Oraeren: ItaUeniidM FniKlb«ri«1ite.
gegen ninunt das gcgenHWliagende Paar an dflm Yortrag gar kmnen AnteO.
D«r ^oa linln stellende Hann betmchtet etwas, das er in der halbgeachlowenen
Rechten Yor die Brust hili, und der war ihm auf der Bank sitsende, dem
er die Linke auf die Scbulter legt, wendet seinen Kopf demselben Gegen-
stände zu. Zwischen ihnen am Boden steht ein Kasten. Vielleicht war ihm
der betreffende Gegenstand entnommen, doeh UUiBt sich auch an einen BoUen-
behalter denken.
Die Mehrzahl der Versammelten ist einfach mit einem Mantol bekleidet,
der gewöhnlicli die rechte Hälfte der Brust unbedeckt läl'st, nur die niittelst»-
Fitriir träj^t unter dem Mantel einen <'hiton. Alle äiiid bärtig unil u
iudividnelle, ausdrucksvolle Gesichter, Uals es auf den ersten Bliek klar ii^t,
wir haben bestiuiiute ausgeprägte Purtrüts vur uns, die von dem Mosaikarbeiter
gut und scharf wiedergegeben sind. Weniger ist dies der Fall bei emm
VkagBi bekannten Mosaik ans Sarsina^ das dem neagefondenen sdir nahe steht
und auf dasselbe Original aurflckgeht, aber weit roher gearbeitet ist Eine
Reihe Ton Abweichungen ist daher gewilb der NaehlSssigkeit des nmbrisohen
Mosaikai-beiters zuzuschreiboiy a. B. die We^aasung des Baumes und des Kastens,
aber es sind hier auch wesentliche Änderungen der Komposition mit Absicht
vorgenommen. In dem Raum zwischen der Bank und der Stadt, die kleiner
gebildet ist und ohne Andeutung der Burg, ist ein charakteristisches Gebäude
eingeschoben; wir sehen in einen Ilof, der auf den Seiten von Gemächern
flankiert ist und in eine halbkreisfürmige Apais endigt. Die (liruppierung der
\ erHuuimeiten ist zwar uuniiliernd dieselbe, aber der Trutugonist hat seine
Uollc abgetreten an den ganz rechts stehenden Mann. Dieser, ins Protil ge-
rttckt, hat den Stab in der Rechten und berflhrt damit den QlobuB, wihrend
der Vortragende des campanischen Mosaiks gespannt der Anseinanderaetniiig
des Jüngeren folgt Der hinter der Bank aufirsgende Mann, der auf dem Sor-
sinatischen Mosaik bartlos ist, legt die Rechte wie sor Begfitigang dem Alten
auf die Schulter. Bartlos sind auch die beiden links befindlichen Personen
geworden, und sie wenden jetzt ihre Aufinerksamkeit auch der Himmelskugel
zu. Derjenige, welcher auf dem andern Mosaik einen kleinen Gegenstand den
Augen näherte, hat die Rechte gesenkt^ hält aber in ihr eine kleine Schlange.
Sif gJilt älteren Erklärern als Zeichen, dals hier eine Versammlung von Ar/tcii
dargestellt sei, gleichwie in einer Miniatur der Wiener Dioskurideshandsciinf^
wo der Nikander eine am Boden liegende Schlange betrachtet.*) Indessen die
Schlange kann auch das Studienobjekt eines Philosophen sein, der sich ein-
gehend mit Natorwissenachaften beschäftigt.
Bs ist sdir au bedauern, dafs auch auf dem nengefondenen Mosaik Nsmens-
beischriften fehlen. In Afrika ist Tor nicht langer Zmt ein Mosaik entdeckt
worden mit inadiriftlidi beghmbigtem Portriit Yergils, und der. yom Mosaik*
*} Abgeb. Winekelmwin, Mon. aai. bed. Tttf. 185 IT. V|r1. Heibig, Führer dwdi die
SauiuiIuugeD in Ilum II 8. 115.
Abgeb. Visconti, leoaogmphi« gtecqiie, Paris 1811, Taf,
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H. Oraoraii: ItaUeniidi« Fnndberidite.
SS9
&brikanten Monnus verfertigte Fufsboden in Trier bietet die rorträtköpfe des
Hesiod, finnios, Meaander, Cicero u. s. w., die Figur des Arai mit der Urania^
und neben anderen Husen einige Weise des AltertnmB, von deren Leistungen
wir sehr dnnkle Knnde haben, wie Thamyris, Agnis, Aciearns. FOr die Den-
tm^ anserea Mosailn sind wir auf Yenoratangen angewiesen. Zwei Qelehrie
nun, ChiapeUi und Stein, haben bereits f&r alle Personen Namen gefunden.
Sie adien die Darstellung als eine Vorliuferin der Raphaelschen Schule von
Athen aa, dM'in die Häupter vDrschiedeoer Philosophenschulen vereinigt seien:
Pkto, Zeno, Epikur, Sokrates, Pythagoras, Aristoteles; nur in Bezii£^ auf die
siebente Figur sind die beiden Forscher nicht p^leicher Meinun<j;, dem einen ist
sie Theophrast, der andere schlagt für sie die Namen Pyrrho, ArkosUann oder
Karneades vor. Den Ausgangspunkt dieser ganzen Erklärung hiUlet die An-
sicht, dais Porticus, Baum und Säule die Stoa, deu üarteu Epikurs und die
Ahademie symbolisieren sollen*. Ein Epistyl auf zwei Pilastern ist aber keine
Polüeas, sondern ein bedentongsloser Gartoischmnck, und die Siele mit der
Sonnennhr ist das flbliehe Zubehör jeder beliebige Seola. Damit wird der
phantssieTcUm Deatnng der Boden entMgen.
Eme antike YorUinfenn des Raphaelsdien Gemaides würde sehr merk-
«flrdig sein. Bis jetzt ist, id^^ehen von TJnterwelteszencn, keine Darstellung
sns dem Altertum bekannt geworden, die Personen Terschiedener Zeiten in dem-
selben Räume vereinigt zeigte. Zwar in der erwähnten Miniatur der Dioskurides-
Landschrift und in einer anderen desselben Codex »eben wir jedesmal sieben
Ar/t<', deren Lebenszeiten durch Jahrhunderte» von einander getrennt sind; aber
hier sind nur Einzelbilder auf dieselbe Mäche gesetzt, die Personen stehen
Dicht iu irgend welcher Beziehung zu einander, uie beüudeu »ich nicht in einem
beetimmt charakterisierten Baume. Anders ist es auf den Mosaiken. Wie
■dion der wate Herausgeber des campanischen Mosaiks, Sogliano, erkannt nnd
Petersen lüQier begründet hat, ist hier die Akademie dargestellt. Die Stadt
mit der Akrqfiolis entspricht dw Ansidit Athens, die man von dem Flatse der
Akademie mi NNO hatte. Das Gebäude, welches auf dem Sarsinatischen
Mosaik vor der Stadt erscheint, kann der Form nach als Gymnasium gelten
und soll jedenfalls zur schärferen Charakterisierung des Lokals dienen, denn
Diogenes Laertius III 7 liefert folgende Beschreibung von der Akademie: t6
iöjl yviivdötoi' :TQn(x(freiov uXöädes^ <^*<^ rivag "jQOiog ^i'ouaötflv 'Exudf'jUniK
Mit dem erhöht+^-n Sitze der Mittelfigur des campanischen Mohiniks verirleuht
l'fct-erscn ein lleroon der Stadt Terniessus Maior in Pisi<lieu. Dort ist aus
(leui uatürlicheu Fels eine Imlbkrtiisförmige Bank geächnitteu, deren Lehne
nseh der Mitte zu ansteigt und an der hdehsten Stelle eine Aushöhlung
zeigt, das Gnb eines ala Heros verehrten Toten. Die Akademie hatte ihren
Kmea Tom Heros Hekademos, die scola des Mosaiks ist wshrscheinUdi ds
Min Qrabmal an&n&ssen. Das umengekrfinte Epistyl mit d4m Baume ist
gnade an dieser Stelle neben einem Qrabe besonders passend, ein Baum des
Hekademos wird direkt erwähnt vom Sillographen Timon, in dessen Versen es
m Pkto heilst:
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H. Ohmvi»: ItaUMiach« Fnndberidite.
Der den CikBden Tei^^ichbue^ woliliauteiid redende Ploto iai in dem Alten
zu erkennen, der auf dem campanischen Mosaik das Wort führt. Leider sind
die Gesichtszüge desselben hier teilweise zerstör^ aber auf dem andern Moeaak
ist gerade der Kopf ilii ontsprechtnidcn Figur verliültnismäfsig sorgfaltig ge-
arbeitet; beiderwärts ist die Ähnlichkeit mit den gesicherten Platoliernieti •)
ersichtlich. Wer über sind die Sehnler, die den Meiüter umgeben V Für den,
der auf dem tSarsinatischen Mosuili das VVurt ergriffen hat, ist der Name
Aristoteles vorgeschlagen und dabei an Aeliana Erzählung erinnert worden
(Var, biet III 19), wonach der Stagirite, wahrend Xenokrates veireiat war
nnd Speuaipp krank hg, in die Akademie gekommen wea, um den acktBigjihrigen
Plate annigreifen. Sein Gegttaflber würde man gerade geneigt sein, Spensipp
zu nennen, von dem es bekannt ist, dals er naturwissenschaftliche Studien trieb.
Für ihn also würde die Srli!:uvri in der Hand als Stadienobjekt passend er-
scheinen Doch mit Holelieii Mittelu lassen sich ikonographische Kin n ti nicht
entscheiden. Bisher gie)<t <"= von keinem Schüler Plfiios ein insrln ittln h be-
glanl)igtt!s Porträt, ohne solche wird die weitere AuHdeutung di s M iH i ks un-
möglich sein. Aber wie viel neue Funde, wie viel ungeahnte Aulsciilüsse dürfen
wir noch von dem Boden des kkseischen Altertums erwarten! Die Eeichhidtig-
keit dieses Berichte, der sich anf Italien beBehxaukt, nur die Funde eines kuraen
Zeitraums umiabt, ja aus ihnen nur das Wichtigste ausgdioben hat, ist ona-
dafflr eine auYerlfissige Btirgschaft
*> a. Winter, Jahrb. des arch. lost. V 1890 8. ibSi Collignoo, Hist. de la scolpture
grecque D 8. 846.
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0IE BESIEDELÜNG SACHSENS.
Von Robe KT Wuttke.
Unt«r allen Aufgaben, die der deutschen Gtoschichtschreibung gesiellti Bind,
ist dio DursUluiig der iniiprpn KoloniHattnn und Effifdoluiig Drutschlaiidfs oine
der interessant^'ston. Von welcher S<*ite iriHn nuch dies Problem betrachten mag,
immer führt et» zu einer Reihe der wichtig><ten Fragen unserer (ieschicht^'.
Die Prähistorie berichtet uns von den Ureinwohnern Deutschlands. Erst
mit dem Beginn der Kolonisationsbewegung setzt die Geschichte ein. Der l'ber-
gaug von einer zur anderen Forschungtimethode, das In- und Nebeneiuandcrgehen
Ton FHUiiMtorie und Geacbidite, die ichlierBlidie Trenniing dieser beiden WimenB-
Bwuge bietet ftr die OeBchiehtadireibang grofsen Beis. Die Bededelungs-
gnehichfe flihrl nne munittelbMr in die Gegenwftri Dareh die Koloniflation
haben wir erst unser heutiges Stammesgebiet errungen. Die Ritter, die erobernd
hinraBEOgen, die Bauern, die in barter Arbeit dae Land urbar genMcht und den
Slawen deutsche Sitte und Sprache aufzwangen, legten den Qrund zu unserw
jeteipen Machtstellung. At)er nicht allein die Grundlagen unseres heutigen
pohtischen Ansehens danken wir jenen Kolonisten; mich unsere bpütige soziale
und wirtschaftliche Ordnung hängt von den Formen der damaligen Besiedelung
ab. Wie die Örundherren und Bauern das Dorf anlegt^'ii, wie sie die Feid-
flur ausmafsen und unter sich verteilten, wurde malsgebeud für ihre Nach-
bnunen bia auf unsere Zeiten. Jeder Fortschritt in der VolkBwirladiaft Idirt
ma mehr nnd niehr die enge WediBelwirknng der Verteilang Ton Qnmd and
Boden an den Handeln nnd Uran der Menaeben. Auf der einen Seite aeben
wir die Nator als Siegerin; der Hensoih mnlk sich der Ton ihr geadiaffiBnen
l4[ge anpassen, sich ihr unterordnen. Auf der andern Seite zeigt sich die
Nator durch Menschenkraft besiegt. Entscheidend flir diesen Kampf zwischen
Natur und Mensch ist die erste Besiedelung des Landes. Sie bildet den Aus-
gangspTinkt für die Thiltiglceit aller kfinfiigen Gesclil echter; sip giebt aber nwh
gleichzeitig den Uahraen ab, innerhalb dessen sie sich })ewegen müssen. Die
erste Anlage wird meist für die F'rage, ob der bäuerliche Grundbesitz oder der
Grofsgruudbesitz vorwiegen werde, entscheidend, damit aber auch für die soziale
Schichtung und für die Kräfteverteilung auf dem Lande. Nur unter greisen
SohwierigksitBii Blbt sich Grofsgrundbesits in BauembSfs aufteilen, nnd nnr
nach schweren Eampfen ist daa Bauemgui zu gunsten des Gmndherm ein-
gm^pen worden. Überall in Dentsehhuid werden wir bä den agrarpolitischen
Frsgen, die die Gegenwart beherrschen, auf die GnindbeBitarerteilung geftthrt;
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B. WtttUte: Die Besiedelnng 8ac)u«n«.
Ton ihr b&ngt in erster Linie die jeweilige Znnafame der BerSlkerung, des
Urquells aller VoUiskraft, ab. Sie entscheidet, welcbe Stftnde und Khssen in
der politischen und wirtschafUichen Entwidbelung eines YoUtes die malsgebrade
Bolle spielen. So greift die Vergangenheit uDmittdbar in die Gegenwart ein.
Die ersten Besiedelungsformen eines Landes bestimme auf Ji^hnnderte hinaus
die treibenden Kräfte des Volkes.
Eine Geschit lii'' dir deutschen Besiodelung schreiben heifst also die Grund-
lagen unseres heutigen Volkslebens tntwickeln. Liegen aiuli Jahrhunderte
hinter der Zeit, wo die ersten Kolon isaton-ti sich niederlioIstMi . die Wirkung
ihrer Arbeit können wir heute noch t>püren. Mau sieht, es wird wenige histo-
lisohe FrtMkm» geben, die eine Shnlidhe Tragwette beeitaen.
Das Pkvblem der Besiedelung zeigt auch in der Methode der Erfbrsdrai^
Eigenartig^. Wo kann man sonst in der Oesehichtschreibung an der Hand
der Gegenwart und aus ihr heraus so erfolgreich die Vergangenheit eninfEeni?
Die heutige Agrargeschichte arbeitet nicht mit der philologischen Deutung der
Dorfnamen, sie legt darauf wenigstens keinen grofsen Wert; wohl sucht sie
das ganze vorhandene Urkundenmaterial zu benutzen, ihre Hauptkraft setzt
sie jetlocli ein, um aus der gegenwärtigen Gestaltung der Dorfmark, des
Dorfe?;, «Ics Hauses die ursprüngliche Anlage zu erkennen. Die Xatur t)ietet
ihr hilfreich die Haud, luu auf Grund der heutigen Ank^ den alten Formen
nachzuspfiren. Einem Historiker, der nur in Bftchem Tergraben süct, der
nicht in FeUl und Flur sich lebensfroh umzuschauen Teimag, blttbt diese
Forschungsmethode fremd.
'Verhaltnismafsig früh, ehe man in anderm dsutachen Ländsm daran daoht«^
fing man in Sachsen an, sich mit der Feldmark und der Dorfanlage zu be-
schäftigen. So erscheint schon am Ausgai^f des XVin. Jahrhunderts ein Buch*),
das in seiner »ganzen Anlage sieh den neuesten Forschungen verwandt zeigt.
Der Vertassi r ist ein Geistlieher, der anschaulieh die Bewi i Im haftnng der
Dörfer im duuiahgen Knrkreiö schildert. Er ist meines Wi.ssenb der erste,
dtr die slawische Dorfform mit dem sprechenden Namen 'Rundling" bezeichnet
Besondere Aufiuerksiunkeit schenkte er den flämischen Dörfern, die sich zer-
streut im Kurkreia fimden, und es ist recht beieichnend für den «eiteren Fort-
gang der deutsdien Dorfforschung^ dalk man mehr Interesse den eingewanderten
Flümüngen als den Slawen und Deutsdien suwandte. Eine ganae Reihe von
Arbeiten erschienen fibtt die Flämlinge und machten uns vertraut mit ihren
Sitten und Gebräuchen wie mit ihrer Sprache, die noch Anklänge an ihr altes
Hcimatsland aufwies. Sie st hildern eingehend die Fluranlagr, die Be- und Ent-
wäs^eningsarheiten, die DortTorm u. s w T)!Ps<' üntersuehungen frliiclt^-n einen
gewissen Alischlufs durcli die grunrilegenüe Ari)eit von A. v. VVtrselje, 'Über
die niederländischen Kolonien, welche im nördlichen Teutschlande im Xli. Jahrh.
gestiftet worden* (Hannover 1815 — 16, 2 Bde.). Aber merkwürdigerweise schlägt
*) J. £. Spitzflcr, Die Landwirttchiift in Oemeinhciten . . . nach der Einriciitung im
Kurkreit. Leipsig 1791.
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SL Wnttke: Die Bepiedelmig a«cb«eu.
843
diese Forschung nicht breitere VVurzelu; die slawischen und gt rnmnischcu Dorf-
formen werden nicht weiter verfolgt. Es ist eine Blute, die keine Früchte tragt.
Ais dann der Sinn fttr alte deataehe Art in unserem Volke wieder er-
wadiie^ und als man mit Begeietening in die Spraehe und Volksdiditnng eich
Tertiefte, mit neu wieder angenommenem Vent&ndnis den vaterfiindiachen Sitten
nnd Gebrauchen nachforochte, da leigte man trotadem kein IntereHe 'fBr die
urqirlbiglichen Fonnen der Besiedelung. Wie so oft in der dents« hoi Xultur-
geiehidite kam Ton anfsen die Anregung. Der Däne Olafsen wurde bei seinen
Studien auf die jT^rmanische Fhirointeilung geführt und wandte ihr bald seine
Neigung' zu. Seine Arbcitt'ii fuiKlen Wiedorhall in der noch jugendfrisehen Seele
des öpätt'rt'U Führers und Mfisters der lU'utschen Agrargeschichte, in Georg
Hanssen, der als junger Privaliit/z-Aiit von Kiel nach Kopenhagen !il> Kainmer-
sekretär berufen wurde und dort die Bestrebuugen Olafbens kennen lernte. Die
«mp&Dgenen £iudrficke eudite er dnrch eigene Foraehong auf d^tschem Boden
m erweitern und zu Terti^w. Er wandte sieh jedoeh in seinen Ail»eiten ror-
wiegend der Erforschung der germanischen Flureinteilmig zu — ein grolises und
weites Gebiet; die slawiadie Dorfrerfiusung lieb er beiseite liegen.
Hier setaten v. Haxthausen und Victor Jacobi ein; letzterer kommt für
Sachsen in erster Linie in Betracht. Hanssen war von 1842 — in Leipzig
Professor der Kameralwissenschaft, unter ihm habilitierte sich Jacobi, und
sicherlicli ist dieser in seinen Bestrebungen von Hanssen unterstützt worden.
Von allen deutsehen tJelehrten, die da« Dunkel der älteren deutschen Agrar-
geschichte aufcihellen versuelit haben, war vielleicht keiner für die £igenart
dieser Forschung m> veraniagt wie V. Jacohi; leider hat er, einer unglücklichen
Neigung zu philologischen Untersuchungen nachgebend, die glänzenden Erwar-
tungen, die seine ersten Schriften erwedien, entünscht und seine «genen wert-
vollen Leistungen verdunkelt. Jacobi war sowohl als praktischer Landwirt wie
als Ksmeralist ausgebildet worden; er urbeitete mit unennüdlichem Flei6e in
den ArduTen; dodi blieb er hierbei nicht stehen, sondern durchslarolfte das
Land nach allen Richtimgen nnd beobachtete mit feinstem Sinn und Verständnis
die bäuerliche Eigenart. Er hüie seine Arbeitsweise in den Worten 'Natur
und Karten") zusammen. Ihm verdanken wir, wenn auch nicht die Entdeckung;
80 doch die eigrntliche Erforschung des slawischen Dorfes Fr stellte zuerst
die als typisch erkannton Dorffnrmen auf und suchte die Ajila^'e des Dorfes in
BeziehunfT zu \\'a»ser, Berg und Thai zu setzen. Sein feiner Natursinn zeigte
ihm, wie dieser oder jener Stamm Neigung hatte, sich am Gehänge tider längs
Moes' Baches anzusiedeln. Von ihm stammen die ersten eingehenden Arbeiten
in DeutKhland .Uber den Ackerbau und die Volksart der Slawen. Fabt man
dsa Ergebnis seiner Studien susammen, so kann man sagen: was er fiber den
'Rundling* ausführte, gilt heute als Gemeingut der Wissensehaft; was er Aber
i»» innere Leben der Slawen sehrieb, ist dagegen weit flberholt worden und
bnn nur als ein erster Versuch gelten.
') Slawen und Teutachthum 8. M%
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344
B. Wvttke: Die Beneddung Sadneni.
Ein äulserer Umstand führte Jacobi auf dieses seiner Begabung am meisten
suBagende Gebiet Der Herzog von S.*Altenburg erlieüb ein PreiiwMedimben
Aber die Qcedueliie dee altenburgieehen Oeterlandee. Hit deutaclier QrOndlii^-
keit fing Jacobi die Uniennehiing mit der Beeledelung dee Lendee an; darflber
hinaas ist er aacb nicht gekommen. Er legte die ersten Ergebnisse seiner
Arbeit in einem Artikel') nieder, der 1845 in der Leipziger Illustrierten Zeitnng
und später selbständig erschien. An Kartenbeispielen erläuterte er vier ver-
schiedene typisclic Dorfarten, die sich in Sachsen finden. Auf Grund dieser
Arbeit wurde von der Kp^\. Gesellschaft der Wisfenschaft in üöttiugen durch
Preisaufgübe eine Unkrsuchitng der von den Wtiidon abötammenden Nieder-
lassungen im Liiueburgischeu angeregt. Aud der Bearbeitung dieser Aufgabe
entaiaad ein gr5fteres Buch von Jacobi: 'Slawen- nnd Tentaehlluimf in coltor-
ttttd agrarbistoriechen Stadien zur Anschauung gebracht, beeondmn ane Lftne-
bu^ und Altenburg. Quellenmalirige Beiträge zur Geeddehte der Dörfer und
Landwirthsehaft in Teutschland. Hannover 1^0/ In diesen Arbeiten bat Jacobi
die GrundzQge der slawischen Besiedelungsarten festgeetellt. Er fand für seine
Ideen einen hohen Förderer in dem Prinzen Johann. Schon 1849 hatte der
Prinz in dem Kgl. sächsischen Altcrtinnsverein einen Vortrag über die W«ihn-
sitze der Deutschen und Slawen am linken Elbufer gehalten, und un Jahre
1852 bet^prach er in die«!em Verein die hi3t/)rische KolonisationskHrt^» den Pro-
fessor Jacobi 'j, über die er urteilte, es sei eine sehr interessante, auf grüiid-
lichea Foradiui^ai berubeiMh^ in der Haaptsadie Mn richtiges ReenUat lielemde
Vorarbeit, weldie zu weiterer umfiaaender Behandlung des G^natandea aof-
fordere. Leider ist weder dieae Karte noch die Erlanterong daau von Jacobi
im Dradt veröflPentlicht worden. Jacobi wandte sich um diese Zeit von dtfr
Besieddang^eechichte ^tchsens ganz ab und anderen wissenschidliidiett Fmgfin
zu. Prinz Johann hat dann auf seine Kosten den Archivar Landau zur £r-
forsebnriL^ der li'MTTn*«ehen Dnrfformen wie des Hausbaues auf Reisen geschickt.
Der frühe Tod Landaus liefs die Erü;el)iiisse'^ i dieser Studienreisen nicht aus-
reifen. So tritt nun in den aeehziger Jahren, nachdem die Erforsehunj^ der
ältesten sachsischen Agrurgeschichte so klüftig eiugesetzt hatte, ein völliger
Stülatand ein. Jacobi lieb seine Arbeiten bUen, der Prinz Johann wendete
anderen FVagen sein Interesse zu, und Hanasens Nachfolger in Leipzig, WüheJm
Roscher, lieferte uns wohl in grundlegender eystematlsoher Daratellong die erste
Agrargeschichte, aber den vielen ongelSaten Fragen auf dem Gebiete der sach-
sisdhen Besiedclung trat er nicht nSher.
Unterdessen hatte in Preufsen, unter Fflhmng von A. Meitzen, die Agrar-
geschichte einen neuen Aufiachwung genommen. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt
*) For»chuagea über das Agrarweseo des alteDburgiBcben OsterlaadeB mit besonderer
Berflckiichtiganfir ^ Abstammungsverbtitoiase der Bewohner. Vit 9 in d«B Text gedrodttea
Flur- und Dori'karten. Leipzig 1846. 4.
*' Mitteilungen des Kgl. sächs. Vereins für £rfor«chung und Erhaltung vaterländischer
Altertümer. 1862. 6. Hft. S. 2&.
*) D« HMubsn. 1859— «8.
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R. Wnttke: Die Beneddung SAcfaieiis.
346
artieiiete sich Meitzen mehr ond mehr mm anerkannten Führer und Meister
m der SUeren AgrargcBchiehte herauf. Das blieb eehlielUliQh nicht ohne Rfiek-
w^kung auf Sadiaen. 1889 atellte die JabkmowskiBehe Geeellechaft die Prei»-
sii%pd>e: Geediiehie der Kdoniaatioii ond Gennaninenrag der wettinieehen Lande.
Doch erat 1895 wurde der Pk«ia Ed. O. Sehnlae fBr seine Aibat: *IHe Eohmi-
eierung und Q^rmanisierong der Gebiete zwischen Saale nnd Elbe' (Leipz. 1896)
la teil Fast gleiclizeitig erschien das grofse Werk: 'Wanderungen, Anbau und
Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen' von A. Meitzen, in dessen
zweitem Bund«' <\\*' Rflckerobenini» rj« r Slawengebiete in Osterreich, Bayern und
Sachsen auHtührlich behandelt wird. Beide Gelehrte sind nicht unabhängig
nebeneinander hergegjingen. Sie standen während ihrer Arbeit in gegenseitiger
Ffihlung und in ihren Ergebnissen, soweit sie die Grundzflge der sächsischen
Besiedelung botreffen, weichen sie nicht von einander ab. Man kann wohl
sagen, dab mit dieeen beiden groAen Werken die iltere Agrargesohielite
SeeheeiiB in, gewinem Siime ni einem Abaddnls gekommen ist E« wird sich
deihalb empüriileii, die ErgebniBse der beiden Foredier knrs snBammenatiatellMi.
Über die VerfiMsuig, Wirtschaft und die soaiale Gliedenmg der 8orb«i,
die seit dem VI. Jahrhundert die Elbe und die Saale besiedelten, erhalten wir
durch diese beiden Arbeiten ein anschauliches Bild. £s ist kein Volk, das
unser Interesse zu wecken vermag und dessen Untergang durch die (iermanen
irgend ein Geffihl des Bedauerns hervorruft. Schulze, der mit grolser Sorgfalt,
fast mit Liebe die Sorben schildert, charakterisiert sie als voll von Rachsucht,
binterhstig und treulos, stets bereit, das dem Gegner gegebene Wort zu brechen;
geneigt zu Zank und Streit untereinander, uubotmärHig gegen ihre Führer,
Toll wilder Grausamkeit und wahrhaft teuflischer Lust an den Qualen ihrer
Feinde. Aber gelegentUeh leigen sie ancih ein frenndliehea, ftst gutmütiges
Weeen, ond ihre Gastfirenndsdiafit wird B%emein gerfihmt; sie ging bis aar
Teracihwendinq^y ja mm ihre Oiste reidilieh an bewirten^ Tergrilfon aie ntk an
fremdem Qnt,
Die Familie bildete bei ihnen, wie wir ee noch heute bei den Südslawen
finden, eine Art Genossenschaft, die sich von aulsen abschlofs. Eine solche
Familie pflegte ein Dorf zu bewohnen. Die Dorfer waren deshalb sehr klein,
sie bestanden aus wenigen Häusern; grofsere Dörfer, wie wir sie bei den Ger-
manen treffen, kannten die Slawen nicht. Auf die l eidarbeit verwendeten sie
keine grofse Mühe; sie suchten sich den am leichtesten zu bearbeitenden Boden
&uä. Meist breiteten sie sich in der Ebene au»; das Gebirge und die groiseu
Wsldmassen dee Erzgebirges sachten sie zu vermeiden. Die Feldmark teilten
ne nicht wie die Deutschen in einadne Hofen and Gewa&ne ein; sie lerfiel m
lOgBnamite Blöcke, orbar gemachte Streifen Lande« yoa Tersdiiedener Grolbe
nad Form, die anregehm&big dorcheinander lagen.
Zwei Dorfformen, das Straleen- oder Qassendorf und der Rundling sind
bei ihneta verbreitet. In Sachsen findet sich vorwiegend der Rundling. Die
einzelnen Gehöfte waren RicherfÖrmig oder hufeisenförmig angeordnet. In der
Mitte dee Dorfee lag der Dorfplata, meist mit einem Wassertfimpel Tersehen.
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846
R. Wttttke: Die Beneddiing SacfiMUB.
Bei der Anlage war man auf Schutz v<ir etwaig;»'!! Feinden bedacht gewesen.
Nur ein Eingang; fiihrt* in das Dorf. Hinter den Gehöften kamen zunächst
Gärteu^ die dann Bckliei'slich durch eine Hecke mit einem Graben al>get>chloBseii
worden. Kodi heute ketin mea fiui überall im aiehfliadiai Lende auf Dörfer
aUttteai, die gans xein die tursprflng^chenl dawimdiexi Formen zeigen.
Zwei Hachte suchten vom IX. — XL Jehrk weehidMittg die Herraeheft
filier die Sorben zu erringen: die ehrietliche Kirche, um neue Gläubige und
mit ihnen neue Steuern und Abgaben zu gewinnen, und die deutschen Hfisrwi,
die erst ihr Land vor den Einfiillen der Slawen zu schützen, dann sie zu unter-
werfen trachteten. Am Ausgang des XI. Jahrh. war die deutsche Oberherr-
schaft befestif^t und die Erobenni<i des slawischen Landes vollendet. Die Sorben
hatten einen neuen Herrn bekommen, aber im wr-'^entbehen waren sie im Be-
sitze ihres Landes gela^^sen worden; ihr Pflug l)e^<te[lte noch den väterlichen
Boden; bald jedoch sollten sich diese Verhältnisse ändern.
Seit dem XI. bi» in das XIV. Jaiirii. druugie aus dem Süden und Westen
DeutsdhluHb eine VölkerweUe nodi dem Ostm tot. Der politischen Erobe-
rung der Slawenländer durch die deutschen Ritter folgte nun die planmafsige
Bssiedehu^ des Landes durch dm deutschen Bauern. ZunSchst nahm er
die von den Slawen freigdassenen Gebiigssflge, dann den in der Ebene un-
bebauten Boden, schliefslich aber drängte er den Slawen aus seinem Dorfe
^in^|.^ Das sorbische Dorf war aber für ihn zu klein, er suchte durch Um-
legung der Feldflur es zu erweitem. An die Stelle des kleinen slawischen
Weilers trat nun das detitsche Dorf. Meitzen schätzt die Zahl der flbrig-
pfebliebenen slawischen Dörfer auf ein Prittol bis auf ein Viertel der früheren
Zahl, und anschaulich zeigt er an Karten beispielen, wie ein slawisclier Weiler
in deutsche Gewanne umgelegt wurde. Lange bat die sächsischt' Lokal
forschuug das Dunkel, das über der Zerstörung und Erweiterung rcsp. Um-
Inldtmg sorlNseher Dörfer lag, durelL TTntersnehimg der Dcwfiiam^m Teigebüeh
SU liehtea Tersucht. Die Namenforschung labt hier im Stich, denn die slawisdie
Benennung einee Ortes ergiebt keinen sicheren Anhalt, ob wir es mit einer
ursprünglich slawischen Anlage zu thun haben. Sefauhe weist Qbersengend
nach, dafs die deutschen Bauern, dem Zug zum Fremdartigen, der unser Volk
leider beherrscht, nachgebend, ihren neu angelegten Dörfern häufig slawische
Namen gaben. Treffend ist sein TTinweis darauf, dafs auch heute noch die
Siedler in Amerika, .\n<<tralien und Afrika die Ortsb^ichnung oft dem Sprach*
schätz der Ureinwohner entnehmen.
Mit der deutschen Eroberunjj wurde die ^anze sorbische Bevölkenmg unfrei.
Entsprechend der älteren sozialen Gliederung des Volkes können wir aber ver
schiedene Stufen der Unfreiheit beobachten. Eine etwas bessere Stellung nahmen
die Supane, Witbasen, eine Terachtete die Smnrden ein. Nachdem der deutsche
Bauer das Land besiedelt hatte, versehwinden in Sechsen, man kann tui sagen
lautlos, die Slawen. Es entstand allnmhlioh seit dem XHL Jahrh. diüe einheit-
Udie Berdlkerungsmasse. Nicht flbeiall ist ein derartiger Ausgleidi beider
Völker gdungm. Li der Lausitz haben bis heute die Wenden Sprache^ Trsdit
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WntÜre: Di« BededdiUK Sadweiw.
347
nod Eigenart bewahrt. Diebe VerBehiuelzung hatte aber tiefgreifende Folgen
flr d» deatMÜie biuerliebe BefSOnxtuig. Wir ttofiimi auf «b Frobkoi, da«
nodi nidkt genügdiid aü%eUftri iit; mn konnte sagen, die Baehe der nnter-
gciModen Sorben eeM» hier ein. Ab Bieger fiber die Sorben lieb sich der
deataehe Bauer nieder, bald aber wurde ihm, der als fVeier ine Land ge-
kommen war, die Freiheit genommen. Die Unfreiheit der Slawen drückte den
Deutschen herab, und der Besiegte übertrug seine Kettt n auf den Sieger. Als
im XV. und XYI. Jahrh. der Gegensatz zwischen slawisch und deutsch langst
geschwunden war, da war auch der Bauer zur Hörigkeit licrnKpeHuiikcn. Der
Ritter, der ihn in das Land trcrufcn, dem er das T.aiirl mbar gemacht und
beätelit hatte, der ihm »eine bttvliunt; t^ftron die fSorben vrA befestigen geholfen,
drückte ihn zur Erbunterthänigkeit lierab. Und dort, wo sich, eingesprengt in
die deutöche Bevölkerung, Reste Ton Slawen erhalten haben, finden wir unsem
deaiMihen Bauem seit der Befonnation in einer Lage, die neb nur mit Leib-
eigBueekaft bewiebnen Iftbi — Die deutsche Pditik bat verecbiedene.Wege rar
Genaanieiening der wetliniacihen Lande eingeecUagen. Zuerst galt e^ aidi vor
den Einfftllen der tlawiicbeii Ydlker an aehlltMn; dann, als dies errudht war,
ging man zur Eroberung des Landes fiber. In dem nengewonnenen Gebiet
aekton sieh Herren und Ritt«r fest und beherrschti^n die unterworfene slawische
Berölkerung. Noch aber bestand die Masse der bäuerlichen Klasse aus Slawen;
eret mit der Einwanderung des deutschen Bauern ward Toilendet, was die
deutschen Könige begonnen hatten.
Die (ieschichtschreibiinc: hat in der Beurteilung der Politik Heinrichs I.
und üttoH d. Gr. melirtaih geschwankt. Die Ziele, die Heinrich verfolgte,
werden in der neueren Geschichtschreibui^ enger gefafsi Er gilt nicht mehr
•b «n Hebrar des BeM^is Mdi dem Osten, dmn die Sroberung d«r slawisdien
GTsn^bider strebte er nicht an. Er woUte seinen Landen Sdiuta gegen die
Einfille der Slawen, besonders der alles TerwOistNiden Ungarn gewahroi, er
bdknd sidi noch in der Verteidigong gegen die dawische Hochflut. Der Weg^
den er einschlug, war ein wahrhaft staatsmännischcr. Langsam, Schritt vor
iSchritt ging er vor und gewann gesicherte Grundlagen fta die spätere staat-
liche Entwickelung. Da er den Schutz seines Landes vornehmlich ins Auge
gefafft hatt^, legt^ er den Schwerpunkt seiner Tiratigkf'it '-i militärische Mafs-
nahmen. Er gcliuf ein schhij^ferti^es lioiterlieer und uinHüunite sein Land mit
einer Kette von Burg^varteu, die nun eine Art von Militärgrenze bildeten. An
eine Kolonisation der slawischen Länder, die ihm nulu facii zugeschrieben worden
ist, dachte er nicht. Erst unter Otto d. Gr. ging man von einer mehr pastuven
n «ner aktiven deutschen Politik Aber. Nidit länger wollte man sidi defensiT
gegen die Slawen verhalten, man wOnachte jetat ihre Unterwerfung, um ihre
kriegerischen Gelfiate im Zaum au halten und dem Beidi den Freden lu sichern.
Eng verknilpft mit dem Gedanken an den Beichsfrieden war der an die Christiani-
siening der Heiden. Das Christentum machte aber nicht durch sich getiag^
unter den Heiden Fortsc Ii ritte; nur wn der dtnitsche Herr bebbl, vennoehte
«s m langeamer und stiller Arbeit sich aosaubreiten.
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R. Wuttke: Die Beriedelnng Saehaeiii.
Dio eigentliche Gernuinisi« i iin^'- der Sorbenlnnde begann nach Schulze tim
950, Thüringen war der Ausgangspunkt der Bewegung; aber noch bis zum
XI. Jahrh. konnte man nicht von einer eigentlichen German isierung den Landes
sprechen, sondern allem von einer Festsetzung und Ausbreitung der deutschen
Henvehttft. Die Berölkernng auf dem platten Lande blieb durchgängig sor-
bisch, und eine freie unabbangige BanemBchaft g|ab ea aueb nidit. Überall
im Lande setston aicb «eltlftibe und geistUcbe Giundberren feaf^ gleichBam wie
ein Nefat mit engen Haeeben das ganae i4»l»Mbe Land ilbemebend. Sie baUen
sich unter dem Sebnta der Landeaherren die Herrachaft errangen und den
Sorben sich dienstihar gemacbi
Damit sind wir am Ausgang des XI. Jahrh., an einem wichtigen Wende
punkt der innerpolitischen Entwickelung angelangt. Die Frage stand offen: sollen
diese Lande nur von deutschen Herren beherrscht, oder sollen sie deutscher
Kultur erschlossen werden? Bei dem grofsen Gebiet, das die Deutschen den
Slawen abgewonnen haben, können wir verschiedene Formen der Eroberung
wie der Besiedelnng der slawiscben LSnder unterscheiden. Die spätere Eni^
wiekelnng bat gezeigt, welcher Wert fttr die CfevmaniBierang jeder dieser Fornen
snkommt. Die Entwickelung in Sacbsen batte im XI. Jabrii. an gaoa Sbn-
lieben Zuatfaiden geftthrt, wie wir sie beute noeb in den ruasiscben Ostsee
Provinzen finden: Herrscher und Beberrschte durcb Basse ges<Aieden; auf der
einen Seite der Grundherr, auf der anderen die unterworfene Bevölkerung;, kein
Bindeglied zwischen beiden, keine eingewanderte deutsche bäuerliche Land*
bev()lkening. Und das Ergebnis: der deutRohe Ritter hat wohl die russischen
OstseeprovinzcTi zu erobern, aber nielit zu germanisieren vermocht. Aueh hent^
finden wir in (ier OberlauHitz noch wendische Volksart weit verbreitet. Sie Init
sich in alle den Gegenden ^ wo der deutsche Adel lieber mit unfreien Wendeu
fortwirtachaflete, als dals er freie deutsche Bauern ansiedelte, zu erhalten ver-
mocht Nur wo der deutsche Bauer eindrang, ist die Germanisierung der Land-
bevölkerung gelungen.
Die Oescbidite volhdeht sich nidit nach dem Darwinschen Geeets der
natflrlicben Auslese; ^te es, dann lAtte der geistig hochstehende, nnter«
nebmungslustige und thatkriflige deutsche Ritter den Sieg fllr das OermaneD-
tum erfechten müssen. Der handfeste deutsche Bauer, der nichts von der Reg-
samkeit und Gewandtheit des Slawen besafs, oft ihn kaum geistig Qberrugt*,
der aber an harte, schwere, entsagungsvolle Arbeit gewöhnt wur, wurde Jedoch
zum Träger der diiiitschen Kultur!
Zum Glück für unsere politische Mucbtstelluug in Europa nahm die
Entwu kc lung in Sachsen einen anderen Verlauf als in den Ostseeprovinzen.
Im XII. und Xlll. Jahrh. begann der Zuzug von Bauern, uud erst mit ihrer
Einwanderung jfoan man von einer eigentlichen Germanisierung des Landes
sprechen. Nicht aus eigenem Antrieb ksm der deutsdie Bauer, politisdie und
wirtBcbaMiche Vor^nge in seinen Stanunlindem unterstfitsten seinen Abing;
die Anregung daau ging von den Gmndberren und den KlSstem aus. Sie ve^
sprachen sich von der Besiedelung des Landes mit deutsdien Bauern mannig*
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R Wutlk«: Die Bedadatniig SMhniM.
349
£dtige Vorteile: Stärkung des di»ui»clien filementes, Zunahme wehrfaftfter und
mnaSanfgst Mbuier, dann wiftMÜiirfllielie AttmutBang dea Wald- und Ödlandea
und Steigen der Einnahmen aus Abgaben and Dienaten. Fttr die Kirehe kam
beaondera der hShere ErtragBEehnt, den der Deutsche im Ctegenaata zu dem
fixierten Zehnt des Slawen zahlte, in Betracht.
Die eigentliehen Kolonisatoren waren die Ritter und die kleinen Qrund-
herren. Sie zogen mit Yeraprecliungen die iBauem heran, und ihrer Ycmntte-
long bedurfton die Fürsten und die Kirche, wenn sie Land besiedeln wollten.
Zahlreiche rrktinden zeigen unHcbaulicli, wie dieses 'Untfriu'hiuL'rtum' arbeitete.
Die Bauern holte es sich zumeist aus den henaebbartvn Gauen. Saehsen, Thüriiigtin,
Franken lieferten den Stamm der neuen Annietlier. Einzelne sächsische Durftiamen
weisen aucit aui di^n Zuzug aus anderen deutsoLeu Guueu hin. Eine besondere
Stellung nahmen die Niedeiiander oder Flimliuge ein; zerstreut in kleinen An-
siedelungen traf man sie im Norden wie im Sfiden d«i ReidieB bia au den Kar*
paflien. Sie vermieden gebirgige Gegenden und lieben sich lieber nieder, wo
«B fiel Waaaer gab. Die Elbthalniederungen und die Maredbien ventanden sie
kanstroll zu entirifamm. Von der deutschen wie wendiech^n Bevölkerung lebten
sie abgeechlosaen, und nur sehr allmählich sind sie von den Deutschen auf-
gesogen worden. Der Bauer pflegte mit dem Grundherrn einen Vertrag ah-
zuschliefsen. Die noch erhaltenen Vertrage zeigen, dafs die Ansiedler ihre A'olle
Selbständigkeit und Freiheit /u erlinlten verstiinden. Der Bauer verwahrti >ich
uitist gegen jeden Eingriff des Grundherrn wie seiner Beamten in seine persön-
lichen Rechte. Er verpflichtete sich nur mr Zahlung eines Erhzinaes. Der
Zins war eine Vergütung für da^ überlassene Land und bedeutete nicht etwa
des Zeichen irgend einer rechtlichen Abhängigkeit vom Orondherm.
Das ganae Anriedelungswerk hatte mit einem Sdilage die Stellung des
deutschen Bauern amm Grundherrn völlig geändert Die Feeseln^ die den Bauer
itt gebor alten Heimal^ in Franken vrie in Thflringm^ an seinen adeligen Herrn
banden, warf er, als er nach Sachsen zog, ab, um als freier und unabhängiger
deutscher Mann sich neben dem Sorben niederzulassen. Seine Freiheit aber
hat er, wie wir schon anführten, nicht behaupten können. Im XVII. und
X^^II. Jahrh. wurde die gesamte sächsische Bauernscbui't zur Hörigkeit heiab-
gedrückt, und erst die liauernhet'reiung in dicscin Jahrhundert hat ihm seine
poUtische und wirtschaftliche Freiheit wieder gebracht.
In Meitzeus grofs angelegtem Werke wird die Erobcrtmg und Befieiiehmg
Obersachsens nur als eine Episode in der deut«icheu lUtkeroberuug der Slawen-
gebiete behandelt; Sd. 0. Schulze dagegen wendd; bewundere S(»gblt auf die
Darstellung der sosialen Schichtung und der Lage der banerlidien Bevölkerung
in Sachsen. Sein Budi erweitert sich an einer Agrargeschidite Sachsens bis
nun Ausgai^ dea Mittelalters. Noch ist die Geschichte der Beaiedelung der
wettuiischen Lande nicht zum völligen Abschlufs gebracht. Über die Gründung,
die erste Anlage der Städte, wie die Entwickelung des tifirgertums in den
Städten, im Gegensatz zur ländlichen Bevölkerung, fehlt uns eine abschliefsende
Arbeit £8 ist jedoch begründete Aussicht vorhanden, daü» in kurzer Zeit
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850
R. Watkk«: Die Meddiug SaeliBeu.
▼<m b«rttfener Seite dieeem Mangel abgeholCm werden wird. Fenier hat
■ich die Kgl. rikheiBdie Eommieeion fttr Gesdiichto ein grolSwe YerdieDst
erworben^ indem sie ron der bewShrton Hand Bd. 0. Schuhee einen Flor-
tartenathia zur Geschichte der Besiedelung und des Agrarwesens in Sachsen
herausgeben will. Der Atlas soll 40 — 50 Tafeln enthalten, und auf 50 — 60
Bogen Text soll die Entwickelung der agrarischen VerhaltniBae von der Sorben-
zeit und der ersten deutschen Einwuiiderung bis in unser Jahrhundert be-
schrieben werden. Wenn dieses grol'se Werk abgeschlossen vorliegt, werden wir
Gelegenheit nehmen, die Ergebnisse den Lesern dieser Zeitschrift voi-zufUhren.
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SCHILLER UND PLUTABCa
Von Karl Fbibs.
Wenn Kaiser Uüdrian den Bliik ron seinem weltbehfrrschenden TVirnne
aus in die Niederungen der arbtnUi:den, rastlosen Menbchbuit gh^iten liel's, so
tmil'ste fr mit Befriedigung einen eigenen CJlaiiz iiher dieser ganzen Welt wahr
iieiuueii, eiucu (iluiiz, debseu StruLieu ulle auf ihn zurücktielen, in seiner Kruue
flureo Brennpunkt hatten. Wie gern ecninte eidi der eelbeigetällige Clear in.
4er Fradii seines Werkes, wenn rings die Leiern erUangen, die Grabstichd
nch r^^n, die KJlen der Fhilosophtti und Blietoreu vom Beifidl der Menge
crdrShnten. Dieser neue Frühling des Geisteslebmis — sein Werk! Und dodi
konnte er der schonen Gegenwart nicht froh werden. Wie rein, wie korrekt
man die Atthis anch schrieb und sprach, der neue Aiif-^rlnvung v?ar kein
organisch gewordener, es fehlte der Ausdruck der Freiheit, der Natur, der Un-
Wmifptheit in den Mienen dieser boinliastisehen Sophisten, dieser gleifanerischen
I'iiiu'gvriker. Tausend warnende Zeichen verkündeten es, dals der jfhv^^'ste Tag
dieser Kultur nahe, dafs nicht Kunst und nicht Gewalt den di ul i nd- n Strom
dtr Zeit und der Entwickelung hemmen würden. Klug wulkte (ier Monaick
noch einmal alle lleerschareu der Bildung, des Klassizismus um seinen Thron
sn Bammeln, um den AngrüEnnaehten der Zersetanng und Barharei dnrdi das
9M116 Bild einor blendenden Parade Einhalt sn gebieten. Aber Tergebens er-
sdidpften jene Dio, jene Plntarch und Fansanim ihre Kraft in der Nadiahmnng
der Antike, die besdiworeiien Geister konnten nidit retten. Ifan ^idi dben
Bchliefslich dem Geist, den man begriff, nidit demjenigen, aus dem die Werke
der Perikleischen Zeit hervorgegangen waren, mochte man sie auch noch so
begeistert rühmen. Bo schritten diese antiken Uomantiker, die Aogm auf die
Terainkende Sonne gerichtet, den Weg der Geschichte dahin.
Vielleicht darf zwischen jener lievcdiition, an der das Heidentum der alten
Welt, und derjenigen, an der der Despotismus einer bevorrechteten Gosel Ischaits-
klaese im Frankreich des vorigen Juhrhuudcrtsi zu Grunde ging, eine i'arallele
gezogen werden. Dort wie hier um sieh greifende Korruption, dort wie hier
Sebisadit nach AnnnersnDg infizierter Teile, nach tiefster, völliger Begmeration.
Wenn aber dort die Bildmig in den Dienst der absterbenden Zeit trat, Kunst
and Wissenschaft an den Stufen des Thrones sich mit den 3f astem der Ver-
gnigeiihett durchdrsogen und sich an ihnen idealisierten, so ruft hier die Kultur
nach dem Neuen, Kommenden, Niedi^ewescnen; von Iloifnungen durchglüht
iiiht sie der Schwelle des Jahrhunderts^ um sie im Thumpli su überschreiten,
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352
K. Pries: Schiller und Plutarch.
Montesquieu und Rousseau blicken auch auf das Altertum zurück, aber
nicht mit jener halben Resignation Hadrians, sondern in dem frohen Gefühl,
in den antiken Aufserungen des Freiheitsdranges und MenschengefUhles Prä-
zedenzfälle ihres eigenen, allerdings kühneren Denkens und Handelns zu
finden.
Wenn Rousseau freilich in dem Johannistrieb der Antoninischen Zeit sich
einen Helden erliest, so ist das ein verfehltes Beginnen. 'Plutarch', äufscrt er
bei Sturz*), 'hat danini so herrliche Biographien geschrieben, weil er keine
halb grofsen Menschen wählte, wie es in ruhigen Staaten Tausende giebt, sou
dern grofse Tugendhafte und erhabne Verbrecher.' Das trifl't für die Biographien
des Artaxerxes, Lucullus, Crassus u. a. schwerlich zu. Aufserdem kam es
Plutarch bekanntlich hauptsächlich darauf an, die Charaktere berülunter Männer
psychologisch zu beleuchten und mit einander zu vergleichen, während ihm
der etwas geschraubte Rousseausche Begriff der 'Gröfse' an sich ganz fremd
war. 'Plutarch glänzt durch Detailschilderungen, die wir nicht nachzuahmen
wagen. Er hat eine unnachahmliche Gabe, grofse Männer in kleinen Zügen
zu schildern, und er ist in der Wahl derselben so glücklich, dafs oft ein Wort,
ein Lächeln, ein Gestus ihm genügt, seinen Helden zu charakterisieren' (Emil
II 211). — 'Ich ziehe einzelne Lebensbeschreibungen vor, wenn ich das
Menschenherz studieren will; da enthüllt der Mensch sein Inneres, der
Historiker folgt ihm überall und gewährt ihm keine Ruhepause, keinen W^inkel,
sich vor dem durchdringenden Blick des Betrachters zu flüchten. Je mehr er
sich zu verbergen glaubt, je mehr wird er enthüllt. Diejenigen, sagt Mon-
taigne, die Biographien schreiben, verweilen lieber beim Wägen ihrer Helden,
als ihrem Wagen, mehr bei dem, was aus ihrem Innern kommt, als bei dem,
was draufsen vorgeht; sie stehen mir näher, das ist der Grund, weshalb in
jedem Betracht mein Mann Plutarch ist' (ebd. S. 210 f.). Plutarch also ist ihm
das Ideal des Historikers, des Seelenkünders, er ist der rechte Lehrer Emils, der
ihm den wahren, grofsen Menschen zeigen soll. Demgegenüber möge Plutarch
sich selbst äufsem. Er sagt im Anfang des Cimon: 'Man verlangt von einem
Maler, der schöne Personen, die viele Reize haben, abbildet, dafs er die Flecken,
die etwa das Original hat, nicht ganz weglasse, aber auch nicht zu genau aus-
drücke, weil jenes das Gemälde unähnlich, dieses aber es häfslich machen
würde. Ebenso mufs man, da es schwer, ja wohl unmöglich ist, das Leben
eines Menschen ganz untadelhaft und fehlerfrei darzustellen, bei guten Menschen
die Wahrheit, als die Ähnlichkeit, vollkommen beobachten, aber die Fehler und
Vergehungen, welche von einer Leidenschaft oder politischen Notwendigkeit
nach den Umständen herkommen und sich in die Handlungen einschleichen,
mehr für Mängel der Tugend als Bosheiten des Lasters halten und sie nicht
gar zu absichtlich und weitläufig in der Geschichte erzählen, sondern eine
gewisse Ehrfurcht vor der menschlichen Natur haben, wenn sie keine ganz
vollkommene Schönheit und keinen ganz tadelfreien tugendhaften Charakter
H. P. Sturz* Schriften, erste Sammlung (Leipzig 1779; S. 145^
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353
hervorbrinj^.' Das entspricht i'igentlicli nicht recht dem Standpunkt des
von Kousseau geschilderten Historiker?« und l'sychologen. Phitarehs stilisierte,
für t'in^^n romeille recht zugestutzte Helden haben mit dem verloroiicn
und wit'<l('r o;( fuiulenen Menschen des Housseauschen Paradieses ni< lit^ zu
thiin. W'iis der Franzose seinen Landaleuten in l'lutarch enttleckt zu hal>en
glaubte, das &nd der Germane LesBing in dem grofsen britischen iia»8en-
bmder, deoaen Name wie Feuer in den Zunder der Sturm- und Drangstimraung
«eUag und Wirkungen endelte, an welche die des Griechen nicht im ent^
fmitesten heranreichen. Boniseau aber erhob Plutarchs Kamen snm Schlag-
wort, und ein Wort von ihm wirkte orakelhaft. *Pltttarch, mein Lehrer und
Troster!' Imlltc is in allen jungen Genies nach. 'Soll ich nun weiter lesen in
Brutus' L« lH ti V" fragt Grimaldi in Klingers Zwillingen, und .Inlio in der 'Neuen
Arria' h;it ilcn 'Plut-arch im Fieber gfUson'. Goctius Plan zum Julius ('ii?<ar
ist gewil's durcli Shakespeare, vielleiclit uiu Ii v(m Plutareh eingegeben. Eiue
Erinnerung an jene Zeit findet sich viclki« lit in der Stt llc der kiüSäiächen
lf\ alpurgisnacht, wo von der Schlacht bei Pbursalus tiie Rede ist:
Hier träumte Magnus früher Gröl'se Blüt^^ntag,
Dem schwanken Zfinglein lauschend wachte OSsar dortl
Die Benntaung Lucana für die Episode ist nachweisbar, aber daneben
dOrfte der Dichter doch audi in die Plutarchisehe CÜsanrita geblickt haben.
Hl* r traumt Pompejus ror der Schlacht, er befände sich auf dem Theater au
Rom und werde von den Romern mit Handeklatschen begrüfst. Casar aber
opfert vorsichtig vor der Schiacht und fragt den Priester, ob er auch in dem
Opfer glnikliche Zeichen wegen des Ausj^inj^'s fl* r Srhlfirht b(>nierke. — Wie
hoch der Dichter jedenfalls Plutarrh norli in siült* rm .luhn ii st» lltr. «^oht aus
tiii-lirt rcii Stfllcn der Tm^ebfiflit r und dt r (irj*j)räi he lu'rvi)r. Wt-mi fr /.. fV
ein Buch über Lord Hvmn besüiidtn» UiUvn will, nennt er es 'eines Plutareh
wttrdig' (Eckerm. II. Juni l.S2r)). An der Stelle, die Goethe hier besonders
herrorhebt, wird der Abstand awischen dem britischen Edelmann und seinen
bürgerlidmi Benrteilem und der Nachteil, der daraus fttr Byron enraehst^ her-
vorgehoben. Etwas Plutarchischea iSfst sich darin schwerlich finden; es ist
klar, dafa der Grieche hier im Rouaseauschen Sinn als Tjpus und Muster des
grorseu Historikers aufgefafst wird. Dafs die 'Mfltter* ans der Marcellus-
biographie stammen, ist bekannt
Von allen jungen Genies trieb Schiller den Plutarchkultus am weitesten.
Ohne Rousseau wiire or freilich wnhl nie zu dieser Vorliehr «je kommen, denn
'inr innere Verwandtschaft konnti- ihn kaum an den Gne*'hiii tcsschi, von
'It.ssen Person und Schaffen i r vidlcirbt recht weui<i wufste. Und Joih miH^hti:
ftUH den Biographien den» jungen Dichter ein Geist des Ernstes, der j»hilo-
sophischen Würde entgegentreten, die ihn auch ohne liuusaeaus Empfehlung
angesprochen hatten. Waren dodi beide Männer, ohne ein eigenes System au
bilden, Ton tiefem "Hmg zur Philosophie erfüllty der eine dem Neuplatonismus
mit seiner Ekstase, seinem Damonenglauben, seiner gelftuterten GottesTorstel-
Xmh JthrMkdMr. IM«. I. 23
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354
K. Priei: fichtUer und FlnUtch.
lung, (ItT andere dem Kiaitischeii Idf/aliainus üugttlian. Bt'itle wirken durch
die bestechende Form und die Aulricbtigkeit ihrer Gesinmuig für die Yer
lyrettung ihr« Liebltngsdogmen, beide vereinigen mit der Philosopliie die
Qeaehidite, ohne wiBsenechafUiehe Gesiditspiinkte, der eine mit etiuscher, der
andere mit ästhetischer Tendens, beide ohne produktive Gründlicbkeit, aber
beide voll sittlichen Ernstes, beide von edlem nationalem Feuer beseelt trota
der Ungunst der äufseren Verhältnisse. *Ich setze die Arbeit ans eigener Lust
fort, indem ich die Vortrefl'lichkeiten der bescbriel)enen Männer in der Geschichte
Ko wie in einem Spiegel betrachte und mich ihnen gleich zn bilden suche. Und
<s i^t soviel, als wenn man einen fortgesetzten vertrauten Umgang mit dicMen
Mäiineni uuterljielte, wenn man sie aut» dar Geschichte gleichsam bei sich aul-
nimmt, bemerkt, wie wie vortrefflich jeder gewesen, und die merk-
würdigsten und schönsten ihrer Thaten ausseichnei Welehes Vergnügen
könnte gröfser sein, welehes nur Verbessening miserM Charakters wirksamer!*
schreibt Plutarch (Aemil. PauL 1), und jedes Wort bitte Schiller als Dichter
und Historiker unterschreiben können, AJle diese Übereinstimmungen hätten
aber doch eine nähere Beziehung awischen ihnen nii !it bewirkt, wenn Rousseau
Hcineni Jünger nicht diese Bahn gewiesen hätte. Plutarch war nicht der Mann,
den man iii iliiii vereinte, und dn^ Kiinstlieb(» des Verhältnisses zwischen
Schiller uiul ilmi tiuij^ ein (iruiul (l;itur sein, dals inim es bisher versäumt**,
die Wechselwirkung zwischen ihnen zum Gegenstand einer besonderen Betiach
tung zu wählen.
Die erste Hinweisung auf Plutarch empfing Sdhiller auf der Akademie.
Im Jahre 1779 hörte er bei Friedrich Ferdinand DrOch^ der, wie sein Schfller,
in Marbach geboren, 3d;^rig als Professor der alten Sprachen an die Akademie
berufen wurde und die Schriftsteller des Alt< rtiuns iiliil(il<i<j;iseh und historisch
erklärte. 'Recht im Widerspruch zu der in der Akatlt-niie herrscln n(ien Sub-
ordination stellte Drfhk seinen Zöglingen die politisehen Ideale der (iri»rhen
und Hönier z.ur Naelirifeninij; liin' «aj^ Minor von ilini il lli.^)). Er war also
ein echtfi .Schüler Rousseau.^, und er wit-s Sdiillcr iuit" l'Iiitarch hin, dessen
Biographien bald die Lioblingslektüre des jungen Eleven bilden sollten. Als
dieser im Desember 1780 die Akademie verlieft, schafite er sieh die Über-
setzung der LeboisbesdiTeibungen von Gottlob Benedikt Schirach an, die in den
Jahren 1777 — 1780 bei Decker in Berlin erschienen war. Das Werk behielt
Schiller immer bei sich, und es findet sich noch jetzt in der Scbillerbibliothek.*)
Jeder Band ist mit einem Titelkupfer versehen, und jedem geht eine Widmung
an einen adligen Freund des Ubersetzers und eine historische Einleitung des-
selben voraus. Srliiiiich vertritt ülicrull die strengste arist<>kratisclie Auf
fassung. Nur an f*iebenten Band werdt ii die Uberj^ritt'e des* römischen Adels
gerügt. Aber der Tadel eines Braun.seliwtiger lie/.ia.scuten veruuliilst Scliinioh
im uächsten Bunde (^S. Will f.j zu folgender Palin<»die: 'Keine Staatsverfassung
'j Ks lohute rticb, dies Kxcujpliir einmal auf etviui^'e UajiUbciuerkimgeu SchiUers hiu
4iurehziiiiebeii, di« vielleicht manchen nfitslicb«ii Hiuwcü fülr onser Thema enthalten.
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K. FrioR*: Schiller und Plutarch.
355
ist schlet'hter, als die demokratische, und man verstand mich falsch, wenn man
j;laubte, dafs ich in der Vorrede zu dem vorhergehenden siebenten Theile meiner
Übersetzung des IMutarchs, der reinen Demoknitie das Wort geredet hatte.
Ich halte die demokratische Uegierungsform, mit dem Plato, für einen Jahr-
markt aller Kegierungsverfassungen , für ein buntes, vielfarbiges Kleid, an
welchem sich Kinder und Weiber ergötzen.' — *Zu unseren Zeit^m sollten er-
leuchtet* Männer aufhören, sich wider die monarchische Uegierungsform zu
erklären, und der repulilikanischen Freyheit das Wort zu reden.' Im Leben
<les Dion fürchtet der Übersetzer, wie er in den Anmerkungen sagt, dafs
Plutiirch seinen Helden in zu günstigem Licht erscheinen läfst und den
Dionysius, der in der Vorrede auf jede Weise entlastet wird, zu .streng be-
urteilt. Es ist ein eigenes Spiel des Zufalles, dafs Schiller gerade aus solcher
Hand die Nahrung empfing, die die Begeisterung für (iedankenfreiheit in ihm
errej^te. Die Übersetzung ist in flüssigem und ansprechendem Stil geschrieben,
und ihre Anmerlamgen bringen in textkritischer und sachlicher Hinsicht
manches Brauchbare.
Charakteristisch für Schillers damalige Stimmung ist eine Stelle in dem
'Bericht von den KrankheitsumsUind<'n des Eleven Grammont' vom 11. .luli
17>S0, den Schiller als Medikus abzustatten hatte. Er schreibt an den Obersten
Si'eger: *Er liefs sich von mir einige Zeit aus den Biographien des l'lutnrchs
vorlesen.' Selbst am Krankenbett vergafs er seinen Liebling nicht, wie er
denn überhaupt in der Ausübung der ärztlichen Praxis öfters durch plötzliche
Besuche der Muse gestört wurde.
Alles Grofse und Kühne ent'<prach dem Ideal der Sturm- und Drangzeit.
Wenn Plutarch im Anfang des Demetrius sagt: 'Beide Männer (Demetrius und
Antonius) bestätigen das Urteil des IMato, dafs grolse Naturen sowohl grofse
Laster als grofse Tugenden zu haben pflegen', so mufst<' das eine willkommene
Bestätigung ihrer Theorie sein, und Ilousseaus Zustimmung wirkte elektrisierend.
Einen grofsen Mann suchte auch Schiller, als die Gestaltungskraft sieh zuerst
in ihm regt«'. Der Held <ler 'Räuber' ist ein Kousseauscher 'grofser Ver-
l>recher'. 'Mir ekelt vor die.sem tintenklecksenden Säcnlum, wenn ich in meinem
Plubirch lese von grofsen Menschen.' Er legt das Buch weg und zieht jene
vernichtenden Parallelen zwischen Altertum und Neuzeit, zwischen Alexander,
Hannil)al, Scipio und den Pygmäen seiner Zeit.
Vieles in den lläubern mahnt an Plutarch. Der Stoff" ist freilich modernen
Quellen entnommen, obgleich das Schicksal des Moorschen Hauses an den To<l
de« Königs Philipp 111. von Macedonien erinnert, der den Verleunulungen seines
einen Sohnes Gehtir schenkt, den aiuh'ren ins Ver<i«'rl»«'n stür/.t und später aus
lieue und Verzweiflung darüber stirbt (Aemil. Paul. III SO Schirach), und zwar
besonders deutlich, wenn man das Genauere ])ei Livius nachliest. Der Hunger-
tiirm des alten Moor geht gewifs auf Vorbihler bei Gerstenberg und Lenz
zurück. Aber was vom Aufenthalt des jungen Crassus in der Hr»hle und
seiner heimlichen Ernährung durch den Sklaven erzählt wird, mag gleichfalls
in der Erinnerung des Dichters lebendig gewesen sein (Crassus V 91).
356
K. Fries: 8oluller vmä. Plotarefa.
Mit einiger Zuversiciit wird man dagegtn folgende Stelle aus dem Lel>en
des Brutus uiit gewissen Partien der ^KHuber' in Zusammenhang briugc-ii
dürfen (VIII 432 ff. Sebir.): Bratus ging Hnch Yelia am Meere. Von hier
wollte eben seine Gemahlin Poreia wieder nach Rom mrficldceliren. Sie enchte
soviel wie mSgUeh, ihren schweren Kummer au verbergen. Aber sie Terrielli
ihn doch, SU herzlich sie sonst war, bey Erblickuii^ eims Gimähldes. Dieaee
war ein grieehieehes Gemählde, und stellte den Abschied der Andromaehe vom
Hektor vor, wie sio von seinen Armen ihr Kind widemimmt, tind ihn iiiiljlickt.
Porcia konnte hev th-- Betrachtung dieses (iemähides ihre Hüliruiit; nicht
zurückhalten; sie zcrilois in Thriinen, und j^ien^ darauf viehnals hin, und be-
trachtete weinend dieses (ieuiäklde. Ein gewisser Acilius, ein Freund des
Brutus, brachte bei dieser Gelegenheit die Worte der Andromaehe gegen den
Hektor an: Hektor, Du bist mir Vater, bist mir thenre Mnttor, und Bruder,
Du, mein geliebter Gemahl! Brutus sagte dazu mit LSchehn: Aber ich kann
gegen die Porda das nicht sagen, was Hektor sagt — Befiehl Deinen Dieimrinneii,
fleifsig zu weben und zu spinnen — Denn obgleicli (' leia durch die Schwach-
heit ihres Körpers verhindert wird, es uns an tapferen Thaten gleich zu thun,
HO t})ut nio o<( doch ^;e\virs an hershaftem Muihe förs Vaterland, ebenso gut
wie wir, alk-ii andern zuvor.'
Es kann w»)hl kein Zweifel sein, dafs Schiller durch dies«' Stelle zur Ab-
fassung des Gedichtes 'Hektors Abschieil' inspiriert wurde, und nicht durch
Homer, wie man bisher annahm. Dieaen hat er jedenfalls erst nach der An-
regung durch die Brutusstelle aufgeschlagm. Von Homeriachm direkten Sin-
flfissen ist bei dem jungen Schiller nirgends eine Spur zu bemerken. Die
Gewibheit des Plutardiischen Ursprungs j^ner Konseption grQndet sich auf die
Rolle, die das Gedicht in den Räubern spielt. Wir können noch weiter geben
und behaupten, dal's die gnn^o S/onenreihe swischen Amalia und dem als Graf
auftretenden Karl stark unter dem EinHufs jener Episode steht. Auch Amalia
und Karl stehen vor einem (ieniiilde. das sie ;ni ihr eigenes l ii^^mach erinnert,
imd auch Amalia weint Ijei seinem Aidilit k liV 2), auch sie kehrt trauomd
zu dem Gemälde zurück, auch hier wird die Situation in ein Wechselgesprach
zwischen Hektor und Andromaehe eingekleidei
Eine andere Koinsidens ärgiebt sich aus der folgenden Stelle des Bratns
(VÜI 489 Schir.): Inxwischen bemühte einer von der Gesellsehafly den selbst
durstete, dafs auch Brutus durstig war, er lief daher mit dem Helme an den
Flufs, um damit Waaser au holen. Weil unterdessen ein Lärmen an dem jen-
seitigen Ufer entstand, so lief Volumnitts, und der SchildtrUger des Brutus,
Dardanns, etwajs voraus, \\m Kundschaft einzuziehen. Wie sie bald dniuf
wieder zurückkamen, fragten sie, ob kein Wassi r mehr fiii' sie lia wiireV Hrutiis
sähe den Volumnius mit einem aiisdrucksvollen Lächeln hu, und sagte: 4 Es ist
alles auÄ^etrunkcn, aber es »oll auch wieder anderes geholt werden.» Es wurde
derjenige, der Torher das Wasser gebracht hatte, wieder abgeschickt, aber er
lief Gefiihr, von den Feinden gelängen zu werden, und entkam mit genauer
Noth und verwundet zurfick.'
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K, Fric»: SdiiUer und Pliitordi.
857
Sofort fällt um die Epinode im dritten Aivt tui^ in der Schweizer uiit
iebensgefahr dem TWwhniBehtenden Hauptmann Wasser im üut bringt. Ja,
befanchien wir die ganze Plutardutelle im Zusammenbang, die webmOtige Ein-
aamkeit des BrotuB mit ivenigen Getreuen nach der Schlaclit Ton Philippi, bo
wcfden wir an die DoBanazene erinnert *Bratne gieng fiber einen Bach, der
mit Gebüschen bewachsen war und ein steileB Ufer hatte. Von da gieng er
nicht viel weiter, da es schon ganz finster geworden war, sondern setzte sich
in einem tiefen Gruiule nieder, vor welchem ein cjrofser Felsm stand' (S. 4^7).
Die Dekoration ist ditselbe bei Schiller: 'Gtireml an der Donan. Die liäuber
^lagert uuf einer Anhöhe, unter Bäumen, die Pferde weiden am Hügel
hinunter/ Im Phitarch heilst es weiter: 'Es wiiren nur wenige von seinen
Officieren und Freunden bey ilnn, er l)liekte an den Himmel, der eben voller
Sterne war, und sagte zwe^ Vert>e her, davon Volumnius nur den einen in
seiner Nachricht daron anführt: — Jupiter, es entgehe dir nicht der Urheber
dieser Übel! Den anderen aber, wie er vorgieht, vergeesen hat' Dieser andere
wird dann in der Anmerkung nacl^holt: *EIende Ti^endl Du warst also nur
ein Wort; ich verehrte Dich als etwas wirkliches? Allein du bist eine SUarin /
(It's dhUks.' Auch Karl Moor klagt über die Nichtigkeit der Welt und mensch-
hchen WoUens, 'dieses bunte Lotto des Lebens, worin so Mancher seine Un-
schuld und — seinen Himmel setzt, einen Treffer zu haschen, und — Nullen
«iiul der Auszug — am Ende war kein Treffer darin.' — ^Es giebt ein frucht-
bares Jahr. — Meinst Dti? Und so würde doch ein Schweifs in der Welt
Viezahlt. Einer? — Abtr es kann ja über Nacht ein Hagel fallen und alles
•lu. Grunde schlagen.* Auch Karl Moor blickt zum Himmel auf und vergleicht
sich mit der untergehenden iSonne. Y^on Brutus heilst es weiter an dcrsclbcu
St^e: ^Knrae Zeit darauf ermihnte er jeden snner FVeund^ die in der Sdilacht
vor seinen Augen umgekommen waren, namenttieh, besonders seufisete er bey
der Erinnerung an den Fbivius und Labeo^ Ton welchen dieser sein Legate and
FlaTitts Oberaufseher dwr Zinunerleute gewesen war.' 1^1 Hoor sagt: *Es
war ein heifser Nachmittag — und nur einen Mann verloren — mein Roller
starb einen sehonen Tod.* Wir werden demnach nicht Anstand nehmen, die
ganze Szene an der Donau als eine Nachbildung der Brutusszene nach der
Schlacht bei Philippi, wie Plutarch sie schildert, anznsebpn. Brutus scheint
üborhaupt der Liebling Schillers gewesen zu sein, und man wird daher dessen
Biographie besonders genau beachten. Brutus safs *in der Nacht vor dem
Übergang seiner Armee aus Asien nach Europa, in einer stockfinsteren Nacht,
bey dem dunklen Scheine einer Lampe in seinem Zelte, da im ganzen Lager
ickon allgemeine Stille herrschte, und war mit tiefen Gedanken beschäftigt,
als es ihm auf einmal Torkam, als wenn jemand zu ihm hereinkäme.' Es
folgt die Erscheinung CSsars, die ihn vor Philippi warnt Ebenso ruht Karl
Moor yor der entscheidenden Turmsaene im Walde, auch in tiefe Gedanken
versunken. Die Räuber 'lagern sich auf der Erde und schlafen ein'. Da er-
Hcbeint auch ihm Cäsar, »eine Phantasie ruft ihn herbei, und er stimmt den
Wechselgesang zwischen Brutus und Cäsar an. *Den Rdmergeeang mufs ich
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358
K. Fries: SchiUer oad Plutwch.
hören, dafs mein schlafender Genius wieder aufwacht' Wenn auch der CSsar
des Brutoa eine gamt andere Rolle spielt, ala der vor d<ar TumsMne bedungene,
BO sieht mau doch, wie immer Plutarchisdie Vomtellungen in der poetischen
Werkstatt des jungen I>rBniatikers Eingang finden. Der Dichter wird hier
wohl nicht nur aus Shakespeares *Juliu8 Cäsar' geschöpft haben. In dem
'RomcrirtsaTig' drückt sich trots der mythologischen Einkleidung doch eine
mehr liistiH iscIie (rnindstininmu«; huh. der Vorfassor kommt offeiib;ir t'li(>n von
eifi i;^'rr lirscliättiguii'^f mit ih r Zeit di r ]{iir}^'rrlcrirge zurück, es ist ein geschicht-
lichth liitrn-jfse, das ir am Stoffe nimmt.') Auch das Foltjemle in der Stelle
der Biographie, Brutus" Unterredung mit Cassiiis über den irinuii und die
rationaliitiachen Auseinandersetaungen Uber dm natfirlichen Ursprung der
Wahnvorstellungen und Trilume, scheint seine Spuren in den FranzsEmen des
letaten Akts und den Erörterungen Ober die Bedeutung der Traume znrfick-
gelassen zu haben. An Plutareh werden wir aber auch sonst in einselnen
Stellen utul Worten erinnert, so wenn Kosinsky auftritt und sofort den Haupt-
mann erkennt: *lch habe mir immer gewünscht, den Mann mit dem vernichten-
den Bücke zu srlion, wie er sal's auf ilni Kninen von Karthago — .]t't/-t wiitisch'
ich es nirlit mehr.' Hier liut Stliillt r zwei l'lutarchstoüon komlnnicrt. rrsti^ns
die G' faiij^'i'u Schaft des Marius in Miiiturnä, wo t r ermordet werden ndlte:
*l)aa Zimmer, worinnen Manu» lag, war dunkel, und es kam dem Suklaten
roTy als wenn eine grolse Flamme aus den Augen des Marius fllhrey und ihm
eine Stimme aus der Dunkelheit xuriefe: *Du unterstehst Dich, den Cajus
Marius umaubringen?* (IV 177 Schir.) und aweitens die Stelle, wo er Tom
Prator aus Afrika ausgewiesen wird: ^Dieser Befehl machte, daTs Marius vor
Traurigkeit und Schwermut keine Worte finden konnte, sondern eine lange
Zeit stillschweigend den Geriehisdiener mit starrem Blick ansah. Der (jericbts-
diener fragte ihn endlich, was er denn dem Prätor fUr eine Antwort bringen
sollte? Marius antworifte mit rinem tiitVii Spufzor: »Sag' ihm, du hättest den
Cajus Marius als einen Flüchtling aul den liuincn \im Kurtliai^o sit/.ni ge-
sehen»' (S. 180 Schir.J. Dieser Manu ist es, den Kosinsky sucht mul in Moor
findet. Im Lied von der Mftnnerwärde findet sich, wenn auck nicht in
heroischem, sondern in burschikosem Bfligerscbem Stil, dieselbe Erinnerung
an Marius:
Behl ilir den Hünu>r sloU und kraus
In Afrika dort »^it/pn?
Sein Aug* speit Feuei-sHammen aus,
Als nnhi ihr Heida blitzen.
Da konnnt ein Bube wohlgemuth,
Giebt manches xu Terstehen —
'Sprich, du hättet auf Karthago'« Schutt.
Den Marius gesehen.'
lu) Aotichlur« daran uiag au die Viguelte am ächliilH iii<r crnteu Ausgabe erinnert
werdco, auf der BratoB und Caaor in Cbarons Nacken stt igcnd dargestellt aind. Braluu
Schiller I ISO.
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K. FriM: Schiller und Plutorch, 359
So spricht der stolM RSmctamann,
Der Bub' th&t fOMk eilea;
Das dankt der stol/e Höniersmaniti
T>n<: dankt er seinen Pfeilen!
Auch hier die Verbindung? beider Stellen, denn von einem Feuerblick in Kar-
thago hören wir nichts, desto lebhafter erinnern die *FeuerHammcii' und der
'blitzende Hekl.i' un die andere Stelle. — Auch einige AnHdrii<'kp, wir S|»it'<iel-
iHTgs *freie l'a^sage zu Cäsar und Catilina' oder Rollers %>liii< ( )lH rliiiu]»t <;ing
liom und Sparta zu Grunde' u. a. m., litlbeu »ich zur Di>kumentierung der
PlntarchiBcben Stinmiuug des Oicliters anführen, zu der sieb dieser ja auch
selbst bekenni
Aoek sonst in den Gedichten dieser Zeit findet sich dieselbe Erscheinung;
wenn es s. B. in dem oben zitierten Qedicht heilst:
Pompejus bat mein Talisman
Bei Fhaiwlns bexwongenf
oder in spaterer Fassung:
Den Perser hat mein Talisman
Am Granikns bezwungen,
80 werden auch hier rSsar und Alcxnndor dem entarteten Jahrhundert als
Muster ullt r mtinnlichen Vollkommenheiten voriiclialton.
Bei Stuiz HHgt Rousseau: *In der nenoti (itsLliulito gab es einen Mann,
der seinen (IMutarchs) Pinsel verdient, und das ist der Ctraf von Fiesque, der
eigentlich dazu erzogen wurde, um sein V^aterland von der Herrschaft der
Doria so befreien. Hau leigte ihm immer den Prinzen auf dem Thron von
Qessa; in seiner Seele war kein anderer Gedanke^ bSb der, den Usurpator zu
itünen.' Den Anfang der Stelle zittert Schiller in der Vorrede zur zweiten
Auflage der BSuber, und aneh in der 'Erinnerung an das Publikum* 1784
wird darauf angespieli Also anch beim Fiesko haben Rousseau und Plutareh
Pete gest^mden.
In den Räubern wird in die Abgründe der Menschennatur hineingeleucht<?t.
f^if Probleme des Stoffs rulien auf der denkbar breitesten Untmlac;«', ps int die
Kain- und Abel Trafi^ndie. die älteste der Menschheit, die sirli wieder abspielt.
Der leitende Umins des r)i(litiTJ« war bi<»r der p-ofse Fran/.Ksr, der jene Ur-
probleme w^ieder aufgerührt Imttc. i'lutiirths Eintlufs konnte nur ein gelegent-
iidier sein und in einzelnen Episoden hervortreten. Die fundierenden Thesen,
die Charaktere, die Idee haben nichts mit ihm gemein. 'Ich habe in meinen
Bäsbem das Opfer einer ausschweifenden Empfindung zum Vorwurf ge-
sominMi. — Hier ▼ersuche ich das O^enteil, ein Opünr der Kunst und Cabale*
Ittilst es in der Vorrede zum Fiesko. Während also die Räuber den Menschen
im weitestt'ii Sinn angehen, wendet sich die zweite Tragödie nur an das
'P 'liti^cho \V'( sen', politisdu r Sturm und Drang ist ihre Grundlage. Sie steht
•n viel höht'rt in Grade unter dem Einflufs Plutarchs. als dii' Häuber, und in
'hr sucht der Dichtt r lich mit den Fjindrüekfn s» iiicr l'lutarchlektüre ab
zofinden. Idee, Handlung, Charaktere des ''republikanischen Trauerspiels* atmen
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K. iit'm : Schiller and FluUrch.
antike Orainnung. Der Verrina iti gleichaani wörtlich aus dem Plutarch flber-
setei Er hat den starren Sinn CatoB und begeht die That des Brutus. Auch
Appius Claudius war sein Muster, wenn er wie Lesait^ Odoardo die Ehre der
Tochter schützen will. Fiesko trägt viele ?chöne Züge von Cäsar, und Minor,
der Brutus sein Vorbild nennt, denkt wohl hauptHuehlich an die iliifsero Tlaiid
lung. Indessen «»obärdcff s\ch doch atieh Cilsar /jiiiärlist als Befreier vom
Joch der Aristnkiatit^, his vr sclilielsheli die Musku abwar!' und wie Fiesko
nath der Krön*' iititf Beide scheitern an der republikanischen Idee. Spielend
ui>trwinden beide aiilangs ihre Gegner, ihre Liebenswürdigkeit bezaubert Freund
nnd Feind, beide herrschen, indem sie zu dienen scheinen. *Za Rom madite
den GSsar der Reiz «einer Beredtsamkeit in gerichtlichen Reden ebenso be-
rOhmt, als sein gefalliges, freundliches Betragen gegen jedermann, mit welchem
er sich weit herablassender aeigte als man Ton seinen jugendlichen Alter er-
warten konnte, ihm die Liebe des Volkes erwarb. Daau kam die Ounst, die
er sich durch Freigebigkeit und Qastuialilo verschaffte, und Oberhaupt seine
glänzende Lebensart, wodurch er nach und nacli immer su mehr Ansehn im
Staate gelangte. — Cicfro war der erste, der die Absicht seiner Staatsmaximen
durchsciiauete, und ihre liuliehule Heiterkeit für ebenso «.gefährlich als die
heitere Stille de*« Meeres hielt. Er bemerkte, dals in riisarf iuen$chenfreund-
liohem gefälligen Wesen ein gefährlicher Charakter vt-rhorgen läge, und sagte,
er sähe in allen seiuen Maasregeln und Staatsunterneluumigen tyrannische Ab-
mditim versteckt; «wenn ich aber dagegen», setste er hinzu, «die so künstlich
accommodiwten Haare des Casars, und ihn sich selbst mit dem einen Finger
im Kopfe kratzen sehe, so scheint mir dieser wieder glicht der Mann su
sejn, der einen so grolsen Frevel, ab der Umstnra der rdmischen Stasts-
Verfassung ist, sich könnte in den Sinn kommen lassen»* (VI 3d8f. Scbir.).
Das ist der ganze Fiesko. Der junge Cäsar schwebte Schiller vor, wie Shake-
speare den älteren schilderte. Wie letzterer auch auf Schiller bei Gestaltung
eines spateren Tleid« n wirkte, wird noch zu erwähnen nein. Für Fiesko koumit
iilxr aueli der Demetrius Poliorketes in Betracht, von dem sich folijende
Charakteristik bei Plutarch tindet ( VIII 7 Schir.): 'Demetrius war von gr^l-^er
Statur, obgleich nicht ganz so grofs wie sein Vater, und von einer »o be-
wunderungswürdig schönen Gestalt und Gesichtsbilduug, dafs kein Bildhauer und
Mahler im Stande war, die völlige Ähnlichkeit seiner Sdidnheit zu erreichen. Er
vereinigte Grazie und Emst^ und etwas Furchtbares mit ebem sehr at^enäbnen
Wesen: unter seiner jugendlichen Lebhaftigkeit blickte ein sdiwer nachzuahmen*
des heroischM Ansehen, und eine königliche WOrde hervor. Eben so setzte sein
moralischer Charakter die Menschen in Erstsiunen, und gewann zu|^eich ihre
Liebe. Er war im Ilmgange bej lustiger Gesellsc haft, und Ciastinahiern. der an-
genehmste Mann, und der weichlichste PMrst, und wiederimi bey den Geschäfte
der thätigste, jätrengHfe, imd nnermUdet ämsigste Mann. Er suchte daher am
meistt ii tlein (iottt- Haeehus naehzuabTnon, als welcher im Kriege ebenso tapfer,
als ;ius di'iji Krit gf, den (mährenden Frieden zu verschaffen, fähig gewesen
und ein Freund der Fröhlichkeit und der Freude gewesen war.' Man erkennt
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K. Frifls; Schiller unU Plutwch.
361
die Ahnliehkeit sofort, wentn man die erBten Saenen des Fiesko init den
febendigen Beschreibungen seiner Person oder seine Cluyrakteristtk im Personen-
▼eneieluiis liest: ^Junger, schlsokery blidiend schöner Hann von 23 Jahren —
bIoIs mit Anstand — freundlich mit liqeslftt — bSfisdi geschmeidig, und
ebenso tückisch.' — Berthas Verwandtschaft mit Virginia-Bmilia Galotti ist
bekannt. Auch Andreas ist ein antiker Charakter. Leonore Tergieioht sidi
selbst mit Porcia (V 5): 'Eine Heldin soll raein Held umarmen — mein
Brutus soll eine Hömcrin umarmen — Ich bin Poreia'. — Für ihr AuftrotL-n
als Amazone hat man auf üssian und aul" NOrgäntr»' im siebenjährigen Kriejie
hingewiesen. Vielleicht liiist sich fcdgonde Stelle aus dem Leben des Aiat
(welches auf das Leben des Brutus folgt) anführen (VUl öliO .Schir.): 'Während
dieser Verwirrung (Überikü der Stadt Pallene durch die Aehäer) safs eine Ton
den Gefimgenen, die Tochter des Epigcthes, eines Tomelunen Hannes, ein un-
gemein schönes und wohlgewaehsenes USdcfaen, in dem Tempel der Diana,
wohin sie ihr BÜnber gebracht, und ihr seinen Hdm mit drey Federbttschen
sa%eeefait hatte. Sie lief bey dem entstandenen Tumulte vor die Thüre des
Tem|>els, und sähe in ihrem Helme mit den drey Fcderbflschen dem Gefechte
zu. Dieser ungewöhnliche Anblick schien den Bürgern von Pallene eine er-
habene, übermenschliche Gestalt zu seyn, und die Feinde hielten ihn auch für
eine gottliche Erseheinuntr und gerietheii m Zittern und Schrecken, so dal's
niemand weiter an fiiic tafifcre Vertoi(liirun;j; dachte,' Es wäre nicht undenk-
l»ar. (ials diese Stelle Schiil^T vor^rescliw cl)t liat, als er (U-n letzten Akt schrieb.
Freilich für Leonores Katastrophe fehlt jede Analogie, aber es ist ja auch nicht
TOB einer eigenUicheu Anregung, sondern nur Ton einer leisen Erinnerung die
Rede. Wie dort s. B. die Helmbfische der Jnngfran den Bflrg^ auffielen, so
erkennt FSesko seine Leonore an dem Busdi und Hantel des vermeintlichen
Gisnettmo (V 11): *Eenn' ich nicht diesen Bnsch und Hantel? Ich kenne den
Busch und Hantelt* Die Emschlielsung im Tempel eriniMrt an die Bertha-
szene, in der Bertha in einem unterirdischen Gewölbe dem Kampfgetöse zuhört^
bis sie der Freiheit zurückgegeben wird. Endhch mag hier gleich zur Er-
wägung itestellt werden, ob die Ähnlichkeit zwischen dem Eindruck der be-
helnitiTi fiingfrau IMutarrhs auf die Feinde, die, wie erwähnt, Zittern und
>'lü«iKin gerieten, vukI nicht mehr an eine tapfere Verteidigung dachten'
und der ersten Erscheinung der Juhaiina d'Arc völlig zufällig ist. Es
bedarf keines längeren Zitates aus der Erzählung iiaouls. Nur die letzten
Worte mögen wegen der Ähnlichkeit mit der Plutttrcbstelle augeführt werd^.
Vom Feinde heilst es da:
I>cr, hoch botrotlen, .st+'ht bewopungslos,
Mit weit geöffnet starrem Blick das Wimder
Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt —
Doch schnell, als Ultien Gottes Bchrecken ihn
Ergriffen, wendet er sich mn
Zur Flucht, und Wf»hr und Waffi n von sich werfend
Entschaart das ganze Heer sich im Geülde.
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362
K. Fric«: Schiller und Plutarch.
Viel Gewicht darf man auf solche l^ereinstiniinun}:fen nicht legen, die immer
auf einem Zufall beruhen können, aber erwähnt dürfen sie werden, wenn auch
nur der Vervollständigung wegen. Die Aratvita enthält aber noch andere
Züge, die ihre Benutzung durch den Fieskodichter wahrscheinlich machen. Die
ganze, hochdramatische Beschreibung der Einnahrae von Korinth durch Arat
mit ihren nächtlichen Strafsenkämpfen erinnert lebhaft an den letzten Akt
unseres Dramas. Sie ist zu umfangreich, um hier eingefügt werden zu können
(Plut. VLII Ö28 — 544 Schir.), aber es lohnt sich wirklich sie zu lesen, da sie
neben der Schilderung der Schlacht bei Carrhä und derjenigen des untergehen-
den Pyrrhos vielleicht zu den farbigsten und dramatischsten Stellen der Bio-
graphien Plutarchs überhaupt gehört. Um so gröfser erscheint die Möglich-
keit, dafs Schiller sich ihrer erinnerte. Dals der Dichter in der Fieskozeit in
der That an die Aratbiogmphie dachte, scheint aus einer anderen Stelle der-
selben hervorzugehen, die zunächst angeführt werden möge (VIII 524 Schir.):
*Als Aratus <lie Geniählde, die die Tyrannen vorstellten, gleich nach der Be-
freiung der Stadt (Sicyon\ vernichten liefs, war er doch lange Zeit unschlüssig,
was er mit demjenigen, das den Aristratus vorst<»llt«, welcher zur Zeit des
Königs Philippus herrschte, machen sollte. — Es stellte den Aristratus auf
einem Siegeswagen vor, und war so bewundernswürdig, dafs Aratus sich an-
fänglich durch die Kunst dafür ehmehmen liefs, bald dniuf überwog aber do«'h
der Hafs gegen die Tyrannen, und er befahl, dies Stück zu veniicht<?n. Der
Mahler Nealkes, ein Freund des Aratus, legte mit Thränen eine Fürbitte
ein*. Amt läfst sich dann zur Milde umstimmen unter der Bedingung, dals die
Gestalt des Tyrannen übermalt werde. Dafs die Romanoepisode im zweiten
Akt auf Emilia Galotti zurückgeht, steht aufser Zweifel, aber bei genauerem
Hinsehen zeigt sich, dafs die Unterschiede zwischen beiden betreffenden Szenen
sehr erhebliche sind. Der Contiszene fehlt jedes politische Moment. Conti
malt weibliche Portraits, Nealkes und Romano politische Vorgange, 'Scenen
aus dem nervigten Alt^rthum'; Romano kommt zum Fiesko, die grofse Linie zu
einem Brutus zu finden, also auch er von Rousseau und Plutarch begeistert.
Diese republikanische Gesinnung hat er nicht mit dem Hofmaler Conti, son-
dern mit dem Freunde des Befreiers Arat, dem Nealkes gemeinsam, der zur
Rettung seines Gemäldes sagt: *Man mufs gegen die Tyrannen, nicht aber
gegen die Gemähide der Tyrannen Krieg führen.' Arat will das Gemälde aus
Hafs gegen den Gegenstand vernichten lassen, Verrina entbrennt in Wut gegen
den gemalten Tyrannen: 'Spritz zu, eisgraiuT Vater! — Zuckst Du, Tyrann? —
Wie so bleich steht ihr Klötze, Römer — ihm nach, Römer — das Schlacht
messer blinkt — Mir nach, Klötze, Genueser — • Nieder mit Doria! Niederl
nieder! (Er haut gegen das Gemälde)', und Fiesko schilt den Maler, der
Republiken nur mit dem Pinsel fi'ei mache und seine eigenen Ketten nicht
brechen könne. Verächtlich wirft er das Gemälde um, das Romano mit Be-
stürzung fortträgt. Nealkes rettet .sein Bild dadurch, dafs er den Tyrannen
durch einen Palmenbaum verdeckt. In demselben Arat begegnet übrigens noch
ein Gemälde mit politischer, reptililikanischer Tendenz, welches von Tiraanthes
E. Frie«: Schiller iiti<l Pliit»re1).
363
gemalt war nnd die erwähnte Erolx'rung und Btfieiuni^ Korinths darstellte.
Wenn nun auch in d« r TTomanos^iene viele Züge vinleutjhnr auf Lpf<?'ing hin-
weisen, 80 darf doch aii^tnoninien werden, dnfs lulxii »litsir Amt^ntng die
Plutarchische in Betracht kommt, der Schiller die Verbindung des politischen
Momeutti mit dem künstlerischen verdankt.
In der Theaterbearbeitung des Fieftko ▼on 1783 unterdrückt der Held
■eine Herraehg^Iftote und ecltenkt dem Volle die FVeibeit wieder. Dm erinnert
an eine Stelle derselben Vita» wo von dem Tyrannen von Hegalopolie, Lysiades,
enSUt wird (8. 556): ^Br wurde aber der Last der Monarchie bald fiberdrasaig,
und da er den Antue wegen eetnee Ruhmes beneidete, und wegen seiner Nach-
stellungen fBrditete, so entschlofs er sich zu der rnlunlic listen Veränderung^
erstlich sich selbst von allem Hasse, Neid, Wache and TrabHiiteu zu befrejen,
und dann der Wohlthäter seines Vaterlandes zu werden.* Auch folgende
riianilitfristik erinnert an Fif»sko: 'TjTsiudrs war vttn Nrittir cdehnüthig, und
ruiuiilx-ixieritr. nnd hatte sich nicht, wie viele aiuU rt; Miuiarcheu, durch Herrsch-
begierde und ilübsucht zur Ungerechtigkeit gegfti weine Mitbürger hinreifsen
lassen, sondern ein erweckter Trieb nach Ehre, und die falschen eitlen Vor-
stellungen, die man ihm ron der Alleinherrschaft, als von einer höehstglfick-
lichen und bewunderten Bt^chc, gemacht (vgl. Fiesko III 2), hatten den hohen
Geist dieses jungen Mannes zu den Gedanken Terleitet^ dais er sich selbst zum
Oberherrsdber aufwarf/
Selbrt f&r die Beziehungen Fieskos zu Julia finden sich, was man am
wenigsten erwarten sollte, Analogien in derselben Biographie. £s wird da von
den Absichten des Antigonns auf Akrokorinth crzülilt, übrigens wieder gelegent-
lich der Schilderung jener Korinthischen Kämpfe. Mit Gewalt konnte fr den
Platz nicht nehmen. Dn machte er der Niclhi, der Herrscherin der Stadt,
Aussicht auf Venniililunt; mit seinem Sdhn, 'wodurch sicli auch Nicaa, da sie
als eine bejahrte Fniu dat» \'ei «rniitrea einer Verbindung mit einem jungen
Prinzen haben sollte, bald einnehmen liefs. Antigonns gebrauchte aber nur seinen
Sohn gleichsam zu einer Lockspeise gegen sie' (S. :)'dO). Sie übergiebfc die
Festung noch nidit, Antigonns liUst troisdem alle Anstalten zur Yermahlung
treffen, Vobej Schauspiele und tägliche Qastmale waren, dafs man glauben
mubte, Antigonus habe Tor Freude und Vergnflgen alle seine Gedanken blols
auf Scherz und Lustbarkeit gewandt.' Als die Zeit der H(>chzeit herannaht,
sendet er Nicaa nach dem Theater, dem Schauplatz der Feier, und begleitet
sie selbKt, ^welche über die ilir widerfahrende Ehre nni^»'mein vergnügt war,
und an nichts weniger als d:ii^. whs ihr hevorstnnd. <Iiiclite.' IMfHzlich wird sie
dann hu Stich gelassen, und die Burg wird mit einem Handstrei« Ii iibernimpelt.
Wir sehen, dals die Spuren dieser Einflüsse fast alle auf" die Rit)sri-a|diie
des Arat zurückgehen. Sie folgt in dem Bande der Scliiraehschen Übersetzung
unmittelbar auf den Brutus, mit dem sie bei Pluturch aber nicht in Parallele
gesetzt wird. Schiller hat sie also gewils Sfter als einmal gelesen, wenn er
Tom Brutus kommend in dem Bande, der ihm so wert war, angeregt weiter
butterte. _Und in der That ist sie eine der interessantesten Biographien der
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K. Vnedi Schiller und Plutardi.
guueii Sammlung; der Schriftsteller kounte hier aus dem reiclien Born
ismiluirer Tradition schöpfen, und M irt behn^^ich breit auttnalenden
DeiailMhUdemiigen deatiich anzumerken, wie dem VerfiuMer bei Arbeit die
h&uslicben Enahlongeii von den That«a dw VorTOTderen im Obre klangen.
Die Peraon dee Arat mufste Schiller anheimehi. Er war *eiB Bfirgerfrennd,
Ton einer erhabnen Denkuugsart, uiui für äa» gemeine Beste mehr als fiir sein
eignes sorgfältig, ein bitterer Feind der Tyrannen, und gewohnt, das allgemeine
Beste zur Grenze der Freundschaft und Feindschaft zu machen' (S. 519), also
t»in Hold, wie Schiller ihn in jeuer Periode suchte. Geldgeschenke der Könige
bchlägt. IT nickt aus, sondern verteilt sie unter das Volk, Sinnmen, 'von di-ncn
nur L'in Lreringer Theil andere Feldherren und D(.'uiiigo»r»-n, wenn sie sit- von
einem Könige erhalten hätten, fähig gewesen wäre zu allen Ungerechtigkeiten
und Verrätherejen gegen ihr Vaterland zu beweg».u' t^S. 525). Er söhnt die
Amen und Reichen aus, sichert die WoU&hrt der Republik und scheut jeden
Verdacht monarehisdier Gelüste. Stola und fireimfitig begegnet er den ESnigen
und erinnert hierin etwas an den IDurquis Posa. Dadurch erwirbt er sich die
Freundschaft des Antigoni», dar, ihnlich wie Fbilipp, von ihm sagt (S. 527):
'Ich nehme diesen jungen Mann auch gern an, bin entschlossen seine Dien^tt-
zu nutsen, und wijl, dai's ihr ihn alle für unsern Freund erkennt.' NatQrlicli
darf niuii hierin nicht zu weit gehen und verkennen, dafs auch andere Vor-
bilder eing<'wirkt haben, wie Timoleon, den Schiller in späteren Jahren noch
anführt, und über den Abel im ersten Bande des VVirtembergischen Kipcr
torinms einen Aufsatz geschrieben hatte, und Brutus, auf dessen Zeit Fitsku
selbst hiu\veibt [11 b): 'Genua ibt da, wo das unüberwindliche Rom wie ein
Federball in die Rakete eines zärtlichen Knaben Octavius sprang!'
Die Fabel, die Fiesko den Deputierten eruhlt, mag auf neuerer QueU«
beruhen; die Anregung sur Anwendung dereelbM auf die Politik verdankt
Schiller wohl dem Plutarch, bei dem sidi Wele politische FMbeln finden. Am
bekanntesten ist diejenige des Henenius Agrippa im Coriolanus (II 329), aber
auch im Themistokles (1 4^4), Phocion fVI r)0.5), Demosthenes (VIl 396) uud
Cato (III 401) finden sich Beispiele dafür, in leiasterem Falle wird auch ein
reifsendes Tlf.i mit dem Tyrannen verglichen. Im einzelnen geht sonst die
Ahnliehkeit nicht weit, riber im ganzen läfst sieh gegen die Möglichkeit einer
Einwirkung' im geniinntcn Sinne wohl nichts einwenden.
^Venn Fiesko in der Verschwörungsszene (III 5) dem Doria zurull:
Auch Patrnkhi« i<5t t^ostorben,
Und wai' mtihr als Du,
so hfAreist das nichts für Schillers iinmittclbnre Beachtnn*^ de<» 21. Buches der
lliiis, da Plutarch im Leben des Al< XiHuler enüihlt ( \1 HiO): 'Kallisthenes soll,
wie er dio Untrnade des Königs gemerkt, als er nach Hause gekommen, zwey
oder dreyniul zu hich selbst gesagt haben: — Auch Patroklus kam um, ein
Mann weit besser als Du.'
(ScUnlb folgi)
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ANZEIGEN UND MITTEILUNGEN.
ZUR GESCHSCHTB DEB ASTBOMOIOB.
Dfr Jenuit Petau beginnt die 8 Bücher
Miner 'Variae ditwertationefl', die zum so-
gemimteD ünmologium ^h5ir«n (endnenen
IMOi, mit den Worten: 'Ortus stellarun»
rMTaüusquc co^itio ren c^t ad ninltas vitae
\tsiTif,» «tilis et ad ncriptorum veteram in-
tellif^entiam apprune neccRsaria, et ad absol-
vetidam t6mf)Orun) doctriiiani haud levin ex
ea fit a<:cc««io.* Dieser Satz hat in »einem
mittleren Teile noch heute volle Gflltiffkeit;
ein jed'-r w( iT><, wu- In j ^rici hischen und
röDUAchen Dichtem der Auf- o<ier Untergting
«i m «bw gaasen Sientblldes oder «in«
•"iiii't'Incn Stfriu'-' zur Zeitbeistininiuii^ vor-
wendet wird. Die wiMenschaflliche Forschung
hat neh dalier whon frflh mit Holdieii dicbte-
ri?>"lien [{t'/i'fhun^n auf flii» Kr>^i'Ii»'iinin<,'fii
un Uimiucl bMch&ftigi, wie ?.. Ii. von Idcler
in den Abbandhmgen der K^l iireuTs. Aka-
tlemie aus den Jahren und 18SS (ge-
druekt 182ä, 8. 137 — 16») die Angaben der
Firten von Ovid einer einffehenden Prflfnng
natoirorfen worden sind. Von spiitoren
Arbeiten, die einen gleichen Zweck ver-
folgen, ist mir nur bekannt geworden die
Abhandlung von Cf. Hofmann 'Ober die bei
griechischen iimi rruiiisi-hcn Sclin'ftstcllern
«rwähnten Auf- und l ntergiinge der Sterne'
{Pngnmm des k. k. Gymnasinnm in Triest
1879) Au» diesen beiHen f^iellen, besondrra
au8 der Abhandlung von Idelcr haben dann
die tencltiedenen Kommentatoren der antiken
Ih'rhter iliri' Tlemerknogen IQ den betreffenden
Stellen entlehnt.
Daneben rind nun noeb in jüngi^ter Zeit
'He Auf- und Untergänge ib r Fixsterne be-
budelt worden von Walter F. Wislicenus in
•raier 'Aitronomiecben Chronologie* (Leipzig
If'J.'ii, Kiu eigenes Kapitel tS. .Sö — 44i be-
»}>rti hf hier im AnHchlufs an I'efau und bleier
ik' tiiL'lii Isen und jährlichen Auf- und Unter-
Rüti^'i ,!i r (lestirne, um dann folgende Tabelle
Mfzuitellen iS. 40 f.) :
A Mit blofiiem Auge nicht wahrnehmbar:
1. Der wahre koatnische Aufgang: Stern
und Sonne gehen gb ii Ii/.< i»ig auf
^(ieminos: imrokif iöa üiT^{f-t vi'jj.
S. Der wahre kosmische IJntcrgaiii:; di'r
Stern gebt bei Sonnenaufgang unter.
5. Der w^re akranycbtadie Aufgang: der .
Stern gebt bei Sonnenuntergang auf.
4. Der wabre akron;cbi»cbe Untergang:
Stern und Sonn« geb^ gleichseitig
unter (Oeminoi: Meng UtUgUt dJli|-
Ii. Mit blofsem Auge wahnielimbar:
6. Der belialdaebe Aufgang: der ernte
sichtbare Aufgang de« Sternes in der
Morgendllmniening ^Üemino»: introki^
itoee (ftttvonn >,/.
6. Der heliakische Untergang: der letzte
sichtbare Untergang des Sterne« in
der Abenddiluunening i tteraino«:
7. Der scheinbare nkmnyrbi^che Aufgang:
der letzte sichtbare Aufgang des Sternes
in der Abenddämmerung (GeniinoB: Im-
foir) iaTtm'itt tpaivnu ti'T]
5. Der flcbeinbure kosmische Untergang:
der letcte eiobtbare Untergang des
Stprne?! in der Morgendämmerung
{Ueniinos: dveig ima rratvofifvjiu
'Für die Nvunmem 5 bis tUhrt Wislicenua
fort, 'bat Ideler die deutschen Namen FrOb-
anf^nnir. S]>"itnn1er<,'aii>:, SpHfnufVjüng nml
Früiiunlergang vorgeschlagen, währenil er für
di« unter 1 bis 4 anfgeftlbrten Pbftnomene
dieselben Namen unter Vorsetzung des Hei-
worte« «wahrer:* gebraucht wisiteu will.'
Riebtiger wftre es, an sagen. Ideler hat
Nr. 1 -4 als >1if 'wahrm', Nr r. s al-- ,lie
'flcbeiobaren' Phänomene bezeichnet, und
darin ist man ihm, so viel icb sehen kann,
ganz allgemein gefolgt. So sprii hf 0 Hof-
mann a. ii O. 8. ll> von 'Hcheinbureni Si»rit-
untergung' i Nr. 6), 'scheinbarem Frflhaufgang'
Nr '«cheinbarem SjMitaufgung' i Nr. 7 1,
'si )i<'inbarem Fn'ih Untergang' (Nr. H;, und
auch Wislii'cnus gebraucht den Ausdruck
'scheinbar' bei Nr 7 uml 8 in gleichem
Sinne. Vgl. beHonders die oben zitierte Ab-
handlung von bleler S. l.'sytf.
I< Ii l ' iuiupte nun, daf» hier ilberuU
'scIm i iiWur' i'frii- f.ilM lir t Iji'i'>''t /im«; iles
griechischen ^«iioiiii'ij i«t, das auf Auf-
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306
Anzeigen und Mitteilungen.
und Untergänge von Fixsternen ungewandt
iiichtH andere« bedeuten kann al« 'sichtbar'
lieh habe jene falsche TberHetzung, die «ich
dann bis /.um heutigen Tage erhalten hat,
am frühesten gefunden in Ideier« 'Historischen
Unt^'rsnrhungen über die ustrououiisciien Be-
obachtungen iler Alten' (IHim, S. ;n2i.
Nebeniiei sei bemerkt, dols wir jetzt in
Autoljkos aus Titane ilSHö von Hultsch
herausgegeben I eine sehr wertvolle, «len
Früheren so gut wie unbekannte Quelle für
die antikif Lehre von den Auf- und l'nter-
gängen iler Fixsterne besitzen. Dieses älteste,
wohl noch aus dem 4. Jahrhundert, vor Chr.
stammende Denkmal der mathematisch-astro-
nomisrhen Litterutur <ler ({riechen enthalt
zu den einzelnen Lehrsätzen auch die aus-
führlichen Beweise, und aus denen können
wir mit vollster Kvidenz ersehen, dafs
ffuii'üutvui von Auf- und Untergängen ge-
brauclit nie 'scheinbar', somlern nur 'sicht-
bar' liedeutet. Was soll denn überhaHi)t
ein 'scheinbarer' Aufgang irgend welches
Sternes, wie bisher stets der ttiruiinus
technicus lautete, zu Itedeuten haben V Da
'schrinbar' der logische (iegensatz zu 'wirk-
lich' ist, so kann doch, sollte ich denken,
••in 'scheinbarer' Aufgang allenfalls nur das
Aufleuchten eines Sternes bezeichnen, der
schon längst über dem Horizonte stand, als
es noch hell wj^r, und nun erst bei eintreten-
der Dunkelheit aus der Tiefe des Himmels
zu strahlen beginnt. Das könnte man allen-
falls den scheinbaren Aufgang eines Sternes
nennen, im (iegensatze zu seinem voraus-
gegangenen wirklichen, der Helligkeit wegen
aber unsichtbaren Aufgange, wo er über
den Horizont heraufkam. Hei Plinius ^N. h.
XVIII liegt in der That eine Stelle vor,
wonach es den Anschein hat, als hätten die
Uümer nicht ganz genau auch jenes Auf-
leuchten au« dem tiefen (irunde des Himmels
ejrortm genannt; I'linius meint, er würde für
die entsprechende Krscheinung lieber den
Ausdruck emersus gelirauchen. Selbst aber
wenn die Stelle bei Plinius anders gedeutet
werden niüfste, jedenfalls bedeutet tfiuiruiiivt]
iitirokri oder ivtsii ein wirkliches Herauf-
steigen des Sternes über ilen Horizont oder
ein wirkliches Hinabsteigen unter denselben,
un<l zwar ein sfdches, bei welchem der
Stern je nachdem zum ersten oder zum
letzten Male sichtbar ist. Er passiert in
Wirklichkeit ja stets innerhalb i\ Stunden
auf- oder absteigend zweimal den Horizont,
aber so und so lange im .lahre ist dieser
Auf- und Untergang nicht sichtbar, weil es
noch zu hell ist. L>ie Ausführungen l>ei
Autulykos lassen keinen Zweifel zu, dafs
<faivöiitvoi in solcher Anwendung auf Auf-
oder Untergänge nur 'sichtbar', nicht 'schein-
bar' bedeutet. Dementsprechend wnirde man
dann das liegenteil, die uXrf&tvr^ üvuxoki},
am besten übersetzen nut 'gleichzeitiger,
aber unsichtbarer Aufgang' tGemin. Oap. 11:
avrii 6t ii — äli)9tv{i — fjriToiij äOnüpjjTo»
yiviTai Siü rüs avytc^ rov ijliov).
Ks mag auf den ersten Blick befremden,
dafs einem so sprachkundigen Astronomen,
wie Idelej- war, ein derartiges Versehen in
der l^bersetzung von (fatvöfitroi hat zustofsen
können, vielleicht wird aber die merkwflnlig«»
Thatj<achK einigermafsen verständlich durch
folgentle Krwägungeu. Fortgesetzte lieobuch-
tungen der Planeten und ihrer Hahnen
führten ini Altertumc schliefslich zu der
Annahme, die vor allem (wenigstens für die
Sonnet Hipparch zu begriiuden suchte, dafs
die Planeten sich in exzentrischen Hahuen
um den Mittelpunkt der Welt und des
Zodiakus bewegen, den die im Verhältnis
zur Fixst.ernsphäre nur punkttTinnig zu
denkende Erde einnimmt. Auf dieser ex-
zentrischen Bahn bewegt sich nun der
Planet in voller Ii«gelmäJsigkeit mit Be-
ziehung auf den Mittelpunkt des exzentri-
schen Kreises (die Hpicykeltheorie kann hier
füglich der Kürze halber ganz au« dem
Spiele bleiben), d. h. in gleicher Zeit le^
er auf dem exzentrischen Kreise stet« gleich»»
Bogen zurück, und zu diesen gleichen Bogen
des exzentrischen Kreises gehören stets gleiche
Zentriwinkel des exzentrischen Kreise«. Nun
butindet sich ja aber die winzig kleine Krde,
von der aus wir Menschen die Planeteu-
bewegungen am Himmel beobachten, nicht
im Mittel|iunkte der exzentrischen Plani't»'ii
bahn, sondern daneben im Mittelpunkte Je:>
Weltalls und des Tierkreises. Daraus er-
giebt sich mit zwingender Notwendigkeit,
dafs die an sich stet^i gleichniäfsigf Ik'-
wegung des Planeten auf der exzentrischcu
Hahn für den beobsvchtenden Menschen im
Mittelpunkte der Welt ungleich und uo-
regelmäl'sig wir«l. Für diesen Schein der
Unregelmälsigkeit, dem in Wahrheit vollste
Regelmäfsigkeit der Planetenbewegimg auf
der exzentrischen Bahn zu Grunde liegt,
verwcn<let nun aber die griechische Astro-
nomie ebenfalls stets das Verbuni ifaineffai,
das dann ganz sachgemäfs mit 'scheinbar*
übersetzt wird i^dcr Gegensatz dazu ist hei
Ptolenuieus, Theon unti Proklos gewülinlich
ÜTiQifii^i otler auch uiiaXöiL Das ist uher
nur ein Fall, wo die antike Astronomie
ganz richtig den Begrilf 'scheinbar' ver-
wendet ; daneben giebt es noch amlere Fälle,
wo die Bezeichnung 'scheinbar' vollständig
I
Google
Anwigtti und llitteflnngen.
367
berechtigt int, z. B. wenn es »icli um div
wahre ond scheinbare i^Tox^} '()rt> eines
StfTTif^ handelt oder in tl> r L' Iin» von der
i'aralliue do» Mündt;», woruut wir liier nicht
««itor «ingehen.
Wer nun vivin Stiidiimi rlo« Alniii^'i'>;t('«
zur Lehre von den Auf- und Lntergäugt'u
d«r nzaterne fiberKehi, dem kann m ja
ulh'nfallH hfikomuH'ii . dn< Iliin aus i!» i
Ahnageat ganz gelüutigß tptupöfuvos ao wie
dort mit 'TCheinbar* XII überMtxen, aUein
trotzdem iKt diene C'beraet'/ung, hei Auf-
oder UatergängeD der Fixüteme angewendet,
duTchaiM falsch, denn tpaipöfitvoi beieidinet
liier nur 'sieht liar' Somit 8<illten hinfort
alle 'scheinbaren' Auf- und Untorpilnge ver-
■t-hwindcn; cb giebt nur einerseiti« sichtbare
ood aadereneit« gleidiaeitige, aber unaicbt-
hire Auf- ond Untergftnge der Fixsterne.
AlMS Häblea (t^
1/ J. Jastbow und ti. W'ihtkb, I^kl-tkcuk
Gaacncimt ni ZatTAtTKa des HoBaaaTAvnni
112.'.— 127S Er>-tor H.iii.l 1125 — 11901
{Bibliothek deutscher UcHchicbt«, beruuM-
gegeben von H. v. Zviedineck-SAdea-
»inrst 1 Stuttgart IHUT, J. Q. Cotta Nach-
folger. XXU, 644 i^. S.
DaflgTOlseUntem«hmen der 'Bibliothek
deaticher <J r h i ( h t <• das unt^r Weg-
lassnng d^ gelehrt »n Apiiarat« 'eine auf
qaeUenmUaigerOmniilagu ruhende, für jeden
gellitdeten L«ser zugängliche itarntcllung*
nnsterer gesamten (ieH<;lii< lifc geben will,
ttchreitet »einer Vollendung entgegen. Die
(jeacbichte der Hohenstaufen lief» lange auf
»ich warten. Hier war der lloclen noch nicht
soweit vorbereitet wie io den übrigen
Perioden. Zugleich aollte hier auch ein
t'berblick über die friihmittelalterlirhrn 7.n
atijide io Kultur und Verfassung geboten
werden, die in der Zeit der Hohenstanfen
bekanntlic h wi- hende Wandelung'« n « i
fuhren. J. Jastrow, der die üearbeitung
dietei Zeitaltera flbemommen hatte, raurite
zuletzt wegen Änderung «einer winHennehaft-
licbeii Thätigkeit die Volleudnag de« Werke«
anderen Händen tlberlassen. Der jetxt vor-
liejjeiide erste Hand it<t nodi grölVtenteilf!
JaRtrowH geistlj..'< > Eigentum; das erste lUu-h
ktammt vollstiludig von ihm, da» zweite und
dritte bat (i. Winter nach aeinem Kntworf
•iiMgearbeitt't
Im er«t«n Iluch erhalten wir ein grofs
angelegte«« lebenavoUea OeraUde von Lanil
und Li.-uten zn f?' L:iiiii «Iit l|nhcn>»taufen/clt
Autigehead von dem gemein.sameii Kultur-
loeia der alten Welt führt um der Verfaaeer
zunächst die verschiedene Euiwu kelung von
Morgen- und Abendland vor, die Bildung
von vier selbstilndif,'» 11 Vcrk<'lirs;;i lMff i-ii. dem
chiucäi«ch-indi8chen,dem arabiBch-türkischeu,
dem griechischen nnd dem latetaiecb -ger«
maninchen, ihre « »'ihi^clrflfn ^?(^z^ehungen
xu einander, worin Araber und Griechen die
YennittlerroUe awiechen dem ftttTaereten Oaten
und ilfiii änrsirstfii \V<-sttii sjiiitcn. Itis da»
Abendlaind zuerHt in den Normauuea selb-
«tftndtg die Wege xum Osten findet, nnd im
Zeitalter der Kreuzzüge Morgen und Abend
unter den Bannern des Islams and des
Christentems den Kampf um die Handels-
herrscbafl b^innen. In lehrreicher Weise
wird nn» die noch »ehr unbedeutende Stel-
lung' 1 »L'ut^chlands im damaligen Weltverkehr
gezeijft. Wilhrend Araber und Griechen <Ue
römische Kultur t^ilweine unzer^t^irt über-
nomnu'U und sich zu eigen gemacht hatten,
war dem Abendland von allen SehOfiftmgea
de« RiSmerreicheH allein diV Kin licnvcnvaltiini,'
geblieben. Indem nun .ia«trow ' Westeuropa
in kirchlicher Einigung* schildert, scheint er
(b.-rn l!fzcMsfntr-n in •'fitit'jii Strebpu niU'h
dem ZuHammenhang deä Ganzen in cier Welt-
geaehiehte doch etwas an weit zu gehen.
Thatj<ilchlich hat i s du» Ii liii- auf tiregor VII.
keine gemeinsame lateioitiche Kirche gegeben.
Die eigentümliche Verfassung der deutschen
KeidiKkirche hätte eine ausfQhrliche Dar-
tttellung erhalten mÜHsen. Die weiteren
Schilderungen des deutschen Lande» und
seiner Pxwohner, der sozialen tJliederuuf»,
von Landwirtschaft, (iewerbe und Ilauilel,
Keclit und tiericht lassen überall den kundigen
Führi r i rki'iinen und mat lien sich dem Leser
dun Ii [ihistische Anschaulirliki it ^'cfilllig.
Ziemlich dürftig i»t dagegen die i>arKtelluug
de« Heerwesens sasgefiiUen. Der Abschnitt
'Fürstentümer, Bistümer, Stadtgemeinden'
leidet unter einer gewistten Unsicherheit in
der Auffassung der Veffaaaangsformen, di«
>iili ti, a in dtir schon bemerkten Vernach-
lilüHigung der ileicbiikircheuverfaiuiung äufseri.
Was ist denn das Gemeinsame der drei hier
/usanmiengenommenen Hegritf'e? Hie Sta<lt-
gemeinde gehört in jeuer Zeit noch nicht au
den politischen Oebilden, den Olicdem des
Reichen, sonilern tlillt durchaus unter ilio
wirtschafllicben iin«l so/.ialen Verhältnisse.
Die übri«^eii Ab.'<<Iinitte »les ersten BiicheH
behandeln die Stellung des Kiinigs, den He*
sanitcharukter der Verfassung, «las Lehnn-
wesen, Kunst, Litleratur, j^eistij^es Leben
und die Verhiillnisseindmeinx^dnen Ländern
• Ich Hei« lui ir^iir/cn lurn lid' nuin eine
elwaK slrutlere 1 MsjMJsition wünschen; der
Stoff (kUt maachmal ein wenig auaeinMdec.
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368
Anseigen und Hitteflnngm.
Dan zweit« Bneh föhrt den Titel Dan
Zeitalter BernbardR von Clairvaux' Wir
lerneo die ErRchö])fnng der Laieuwdt nach
den Rtünnischßn Zeiten der Salier, das Über-
gewicht der kixdilichen Idccu in Deutüch-
laud kennen. Kainer Lothar erscheint trotz
mehrerer Anläufe stur Selbaüludigkeit funt
völlig als Diener dieser Ideen Nclu'n Bern-
hard von Clairvaux hat besonders Norbert
von Magdeburg bestiounenden Einflufs auf
die Politik Lothure. Die Stellung des Kaisen
ist vielleicht etwas zu ungilnstig gezeichnet
Die Thutsache, dafs Innocenz II. sich dcui
Urtcilss]>ruch(! Lothars unterworfen hat, bleibt
doch immerhin bestehen, tind da« Investitur-
recht des Königs ist iiiiiuitKt^^ns nicht ge-
tkchmülert worden. — I ntcr dem 'Pfafl'en-
könig' KoTirad III. erreichte dii' Tl^rrschaft
der Kirche ihren ersten Höhi'{>utikt; der
Beredeamkeit des heiligen Bernhard gelang
es. <ln9 di'titsche Königtum mit fortziiriMTsi n
in den Kampf g^en den Islam, die Zeit de«
theoretuclieii Weltreiche« schien gekommen,
als da.s gänzliche Scheitern flrs 7-wf>iteu
Kreusu&ujjes die Völker von dem banne des
heiligen Giferere erlOete.
Als der t,'lnn/oii(lste Vertreter der wifder-
erwachien Laien welt besteigt Friedrich 1. dun
Thron. Wie die anfetoigende Sonne den
Nebel der askotiKcliPn Woltiinsrhauung sieg-
reich durchbricht, wie sich die arbeitefroheu
Krftfte der Nntion willig um den neuen Herrn
Hcharon, wiV dieser durch Nachgiel'igkfit im
kleinen und Festigkeit im gtofBea in kurzer
Zeit jeden fremden EinlhiAi auf die Reiehe-
regierung unsscliliiTfl luul ilie ersten Grund-
lagen aicherer liechtszustände «cbalit, das
schildert in trelFlieber Wetee der erste Ab-
schnitt df's ilrilfi'n Buches. Dann sehen wir
dae neugeknitligte Königtum die äcbieds-
richteretellung in den Kämpfen der lom-
burdischeu St^ldte ergreifen und den Kam]if
gegen das Papeitam Alexanders III. auf-
nehmen. AI« TfleksiebtsToeer Verfochter der
kaiserlichen Ansprüche beherrscht Frie<lrich»
Kanzler Ueinald von Dassel jene Zeit. Sein
Tod im Jahre 1167 heieiehnet einen Wende-
punkt in Friedrichs Politik, der nun zu einer
ihm persönlich wühl näherliegenden versöhn-
lichen und mafsvollen Richtung zurückgreift.
Der Niederluge von Lflgnano messen die
Verfasser entg*»prrn der gewöhnlichen An-
schauung nur f,'riiiiLrp Bedeutung bei. Miin
muls ihnen in^oicin recht geben, uls der
Kaiser dem loniburdischen Bunde gegennV)er
Heine Stellung unverrückt behauptete. Aber
mit Alexander III. trat er tliatsäohlich doch
prsf jit/f in Friedensverhandlungen ein, so
düi» muu eme Folge der Schlacht hier nicht
wohl leugnen kann. Ein bpsonderer Ab-
schnitt ist der Monarchie Heinrichs des
Löwen und ihrem Sturz gewidmet. In den
80er Jahren aehen wir dann den Kaiser auf
der Höhe setner Macht. Über den Schiebungen
und Reibungen der unermüdet beweglichen
Bevölkenmgsschichten erscheint er als der
starke Uli ] nnlde Herrscher, wie sich sein
Bild im iiewufstsein des Volkes erhalten hat.
Der letzte Abschnitt schildert 'Friedrich
Bubarossas Kreuzzug und 'lo<l'
.Aucb iti der zweiten Häittc des niieiies
kaiiu Hiiii dt-r liezcusent nicht j,'an/. mit der
Verteilung des Stoffes befreunden. Durch
die vTilligf' Trennung der lombardischen, der
kirchlichen und der dcutschon Angelegen-
heiten wird es schwer, in den einzelnen
Zeiträumen die Gesamtlage zu öb^rPclKinen
Wenigstens in den entscheidendeu Zeit-
punkten, etwa lltiO, 1167, 1176 hätte eine
Ubersicht übet dir gleichzeitig auf ver>:rhi(«-
denen Gebieten wirkenden Kräfte gegei»en
werden sollen, denn auf die EntAcWidang
haben sie jedesmal n]\o nirtr'in^'fwirkt Im
gauseu erfüllt das vornehm und verständlich
geeehriehene Bwh, das nach der Fachmann
mit Nutzen lesen wird, iJi'inPn Zweck vor-
trcälicb. Möge uns bald der zweite Band
besehieden werden!
2;Hkikhicm Gkkuks, GKSCHicnTR dm
ncneomn Volkes im» flEixui Klltl-r im
MiTTKLALTEK. Zweiter Hand: Geschichte
der salischen Kaiser und ihrur Zeit. Leipzig
189B, Dnncker nndHnmblot. XII, 6658. 8.
drr rrsfe Hiind des v firlif^'cnden
Werkes im Jahre IbDO erschienen war, wurde
von manchen Seiten, wie der Verfasser in
der Voncdi» des zweiten Bandes erzählt, 'die
Ansicht ausgesprochen, dafs das eigentliche
Ziel einer kflnstlerischen Bearbeitung eine
innige Verschmelzung der Erzählung der
ftufseren Breignisse mit der DarsteUong der
mannigfachen Sinten dM Kulturlebens sdn
mfllktvV Man wird nicht finden können, dafs
der Verfasser diese Ansicht hinlänglich
widerlegt habe. Die von ihm uirh in dem
eben erschienenen zweiten Bande seiner
Geschichte des deutschen Volkes beibehaltene
Einteilung in eine 'ftnfsere' und eine 'innere
(ieschichte' mufs als ein recht uaglfll^iclier
Gedanke bezeichnet werden. Wenn er selbst
in der Vorrede die Wichtigkeit der inneren
Verhältnisse <les Reiches hervorhebt, die 'den
Schlüssel für das Verständnis der bedeutungs-
vollen politischen Vorgänge jener Zeit ent-
hailcn'. KU mai Iit > r d;iiiiit gerade auf einen
empfindlichen Ki-hli r M iin»r Arbeit uitfim rk-
sam. Denn indem er die 'uul'i»ere Geschichte'
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Auzetgen und Mitteiluttgea.
369
al? -t!ii*trni(iii,'' n Ti'il uml yi>v <lcr 'iiiiiiTi-jr
bvluuiddt, verzichtet er durauf, jcneu Zu-
nmiDenhiiig swiidieii beiden, in dem doch
di«? inneren Verhilltnisse d&n Primäre nein
«ollen, danal«g«ii. Aber die Cbersclirift der
beiden Teile entoprieht anch nicht reclit
ihrem Inhalt. Der Verf. giebt uns in der
Mst«n Hälfte sein^ liuche» eine Kr^ühhin^
der änfficren uud inneren Kriege sowie der
ja daiiialh noch recht >feringfrij;fi>?en sonstij,'en
auüwrirtif^en Bc/.iehun>;en der denlschen Kr>nif,'e
in den Jahren I0ti4— I12r>. Die /.weite Hillfte
bewteht au» 4 Abschnitten, von denen der
en«le den Staat, der /.wpiti- die Kitrh«', der
dritte die sozialen V'erhilitni»!<e, tler letzte
dw fteiHift« Leben der iialiaeben Epoche
«chililrrt Rin derartijr»'^ S:inui)<lu frk darf
mau aber doch nicht eine Ue^chichte de«
dentocben Volke* nennen: «e «ind nnr Bei-
trij;.'»' /,u L-iti>'r Hnlclii'ii. iiiri;.n'ti ^i«' .imli im
einzelnen noch hu «urgfulUg uut^gearbeitet
•em. Der Verf. macht fUr lelne Methode
Sreltend, dafs «o 'die fortlaufende (lem-hichti»-
eraifaiiing nicht beständig durch Darlc^^ung
der poUtiachen und wirtschaillichen Gesichte*
punkte unterbrochen wird, und dafx einzelne
Punkt« der inneren (ienchichte je nach Be-
darfnis in ffr^fs^-Tfr Ausführlichkeit be-
bandelt werden können'. .\ber dieser achein-
l>are Vorteil wird Ih'i weit<'m anf^"'w'>j;f««n
durch den schweren iSachteil, daJs die aulsere
(teiichichte teils de« rechten Inhalte entbehrt,
l«"ils Stückf Hrr innprrri vorwej^iinuiit. und
der zweite Teil unter Uäulig«a Wieder-
Mmigen leidet. Die VerhMtnime der Kirche
werden fast auf jeder Seitf «Ic^ ersten Teils
«rwähat, dait l^huawe«en kunu in der
Qochtdite Konrad« II. nicht nnberOhrt
Weil)en. und uuf S ".et finden wir
WKar ein Kapitel 'Lauere und äa£Mre Ver-
hältniwe den Reichet'; aber m einer be*
friedigenden Sehildeninff kann es der Verf
liier nir^nd kommen lamen, da er eich
■Ücae Din^e ja für den sweiteo Teil auf-
*paren mnlH. Man möchte xuweilen wünichim,
du ganze Buch von hinten nach vorn an
kaen.
Die Entahlung des ernten Teile itt klar
und anschnnli« h .Feclen» der saliHchen
Uerrscber wird am Schlut*i*e seiner Ue«chichtti
ein Kapitel aber «eine yeiBÜgeH «nd körper-
lichen Kii,'r>nsrhnftei: jji-widmcf Der V«'rf
■teilt die politische Be({i»buui; der Salier
mit AtHnahme Heinriche III. eehr hoch. Ihre
'fiprniürlli.'lir Thatknift. tlm' 7rtli(' lifliarr-
lickkeit uud diplomutiHche ÜL-waudtln-iL hobt
•V treffend hervor. Heinrich dem IH-itten
vird er nicht jferecht. Dicjicr ki>II in uii-
b«ioi)Denem Idealismus das Werk eeine»
prakiisili M?n*tiindigen Vaters zerstürt, in
gutmütiger Schwäche der klerikalen und
arietokratischen Revolution die We^e «?e-
bahnt halten. Aber die 'praktische' (JeisteH
hchtung Konrads II. hat e» meiner Ansicht
nach venichuldet. dafei da» KfSnigtum »eine
SldHonf an der Spit/.(; der geistigen Hi*-
wegung des Jahrhunderts verlor Heinrich III.
hat eB verstanden, die Zügel noch einmal in
die Hand zu bekoifimen und bis an sein
Knde festzuhalten Vii llci. hl wäre er auch
<ler Mann gewesen, die notwendige Neuord-
nung der kirchen|Kditiachen Verhältnimc
nhui' gewaltsame Krschättemngen zu voll
ziehen, indem er der Kirche ihr R«cbt gab
und das Recht de« KOniffe wahrte. War «e
seine Schub!, dal"- tiu< li m iiimi jnli- n Tode
ein Knabe den Thron bestieg, uud eine ho
gewaltige PeraSnlichkeit vrie Hildebrand die
(teschilfle der Kirche übernahm V Heinrich III.
bat den Geist seiner Zeit besser verstanden
als Ronrad n. nnd Heinrich IV. Die Fragen,
die <Iii' neuere (Jeschichtforschung nn
iieinrichs III. Hofhaltung eu Goslar an-
knüpft, hat Oerdee merkwürdiger Weiae
ganz unberührt gela8.<;en. Seine Darstellung
uuf .S. 122 und 12ß f sowie andere Stellen
seines Huches lassen erkennen . dafs ihm
Nitisrhs (Jeschichte des deutschen Volke«
zu seinen) lnuli n unbekannt gcblielten ist.
Im /.weiten ist da^ Beste <lie Dar-
stellung der päpstlichen Politik, die Knt-
Wickelung «1er Lehren tiregors von der For-
derung kanonischer Wahlen au bis xor
absointen Hemchafl des Papstes in geist-
Iii Ih m und weltlichen Dingen Xirhf <x:\n7.
konsequent ist der Verf. in seiner Auffusüuug
von dem Erfolge dieser Politik. 8. 481 be-
hauptet : 'Schon nach dem Tode Heinrichs IV.
im Jahre 11U0 konnte die völlige L'uter-
werftmg der deutschen Kirche unter Rom
als beendigt angcfiehen werden.' .\ber aus
dem erst«'n Teile hat man doch einen anderen
Kindruck davon gewouuen, vgl S .HO.'» über
die letzten Jahre Heinrichs IV : 'Deut.^'ch-
hunl war in «ler That vom Papste abgefiillt-n ;
es gab nur noch kaiserliche Bis< liöfe' ; S, ."140
cum Jahre 1112: 'Die deutsche Kirche blieb
dem Kaiser im ganzen fii n'' Bei der Be-
handlung der ständischen \ eriiitltnisse uiöchle
man öfter eine sehärfere Begrilfsbestimniung
wünschen M:ui h:it ilrti Kimlrn! W , als üb
der Verf. seine« StotleB nicht ganz Herr ge-
worden wftre. Auch bat ihm hier offimbar
dir nTpfiu''' r,iftfT;t1\ir Lfofclilf I>ie I'nttT-
scheidung zwischen Fürsten uud (irafeii z. H.
entoprieht niehl dem damaligen Zustand
■ vgl. Kicker, \'om Keithsfiii^tenstand i Aus-
führliche Belehrung erhalte u wir über das
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370
Anzeigen und Mitteiluu^^en.
wirtschaftliche, häuNliche und ^esellij;? Leben
der l)eutj<chou und zum Scbluf« eint.' daukt-ns-
werte Übersieht über die Schulbildung, Litte-
rutur und Kunst, nunicntlich die HuukunRt.
Diu in den Monutucntu Gemiunitie historica
g<*sunimelt«n Quellen hat der Verfasser fleilsiff
benutzt, auch die Litterulur öfter, freilich
niclit f^leirhniäfsi^f. herunf^ezoffen. I>ein Fach-
mann wird da« Uuch weni<j bieten. Zur Kin-
fiihrun<; in die Geschichte jener Zeit kann
es je«loch nützliche Dienste thun.
H} (ilHTAV KiCHTKK, AxMALKN DKK DKL'THCilKN
(i»:SCni(-|tTK IM MlTTKLALTEB VON DKR (iKÜN-
IIUNO DKS KkICU« IIIS ZLM L'nTKB-
(3ANU DK» HuiiKxsTAi FKN. Mit durch);ün)fi);er
kritischer Kriüuterung aus den (Quellen und
den neueren L{earbcituii};en. Hin Handbuch
für das wissenschaftliche Studium der deut-
schen («oschichtc im Mittelalter. III. Al)-
t^'ilung: Aunalen des deutscheu Reichs im
Zeitalter der Ottoucn und Salier. Zweiter
Hand. Halle a S. 18U8, Huchhandlunf; den
Waisenhauses. XIV, 7Hi' S. H.
Während die von der Münchener hist.
Kouiniission herausi^cgebencu 'Jahrbücher
der deutschen fieschichte' alle historischen
Cberlieferunjfon über die deut«chen Könige
zu einer ausführlichen Darstellung verarbeiten,
haben sich die 'Annale n' U. Richter« zur
Aufgabe gesetzt, nur «lau, wau zur Reichs-
geschichte in unmittelbarem Zusammenhang
stellt, in einer Weise zusammenzustellen, die
für Sonderuntersuchungen dem Fachmann
»ichere Anknüpfungspunkte und Anregungen,
dem Lehrer eine wissenschaftliche Grundlage
für den Geschichtsunterricht und jedem, der
sich über irgend einen Teil der Reichs-
goschicht* unterrichttMi will, rasche und zu-
verlilssige Auskunft gewahrt Der jetzt
erschienene zweite Hand der dritten Abtei-
lung behandelt den Zeitraum vom Tode
Heinrichs III. )»i8 zu dem Kaiser Lothars. Die
Zeit Heinrichs IV. ist vom Herausgeber be-
arbeitet, die Heinrichs V. nach einem Ent-
würfe Horst Kohls von Walter Opitz
iUe Hinrichtung des Buches ist im ganzen
diest>lbv wie in den früheren Bänden. Als
erfreuliche Neuerung sind die Jahreszahlen
um Kopf je«ler Seite zu bogrüfsen, die das
Nachschlagen sehr erleichtern. Der Text der
Zeittafel ist etwa.>< ausführlicher gehalten;
die Cjuelleuauszüge sind etwas beschränkt
worden, werden aber doch wie bisher das
Nachschlagen der Quellenwerke vielfach ent-
behrlich inachen. I>ie kritischen Krörte-
rungeii haben im neuen Band einen ziemlich
^'i<)(«tii l'mfaiig erreicht, was sich durch die
Fülle <b'- in m it.'r. ri i,>';<'lb.>naitsgabeu und
Einzeluntersuchungen 7.u«ammengetragenen
StüHeg hinlünglich erklärt. Die Jiüirbürher
Heinrichs IV. von Meyer von Knonau rtMchen
bekanntlich nur erst bis zum Jahre 1077.
Die Zeit von 1077— 110« tindet in den
'Annalun^ ihre erste den neueren Fort-
schritten der Wissenschaft entsprechende
Bearbeitung. Aber auch für die vorher-
gehenden und die folgenden Jahrzehute, wu
die 'Jahrbücher' als (irundlage dienten, er-
mangeln die Annalen durchaus nicht d<>r
selbständigen Forschung, zumal auch eiiiti-
Reihe wichtiger Veröftentlichungen uachKr-
scheinen der 'Jahrbücher' noch zu bearbeiten
waren. Vielseitigem Interesse wird u. a. die
gründliche l^ntersuchung über die Vorgänge
von Tribur und C'anossa io76 - 1077 auf
S, 220— 24>* begegnen. Als Anhang zu deu
Annalen Heinrichs IV. giebt Richter in au«-
führlicher Darstellung Ii 'Das (Jharakt^'rbild
defl Königs nach dem Urteil der ZeilgenosucD*
und 2) einen Abschnitt 'Zur bistoriogruphi-
schen Wünligung', worin er die wechselnden
Auffassungen der Geschicht^chreiber über
«len unglücklichen Herrscher seit dem An-
fang des 16. Jahrhunderts bis auf un»ere
Tage schildert, mit teilweise wörtlichen An
führungen aus den (ieschicht«werken Am
Schlufs des Bandes hat der l'nterzeichiiete
eine Cbereicht über die Verfassung des deut-
schen Reiches während der sächsischen und
salischen Penode geliefert.
Auf ausführende Darstellung leinten dif
Annalen grundsätzlich Verzicht. Sie stellen
sich gewiasermafsen dar als Auszug aus den
Monumenta (»ermaniae historica und den
Jahresberichten der Geschicht8wisseugch»ft
und als tjuintessenz des in den 'Jahrbüchern'
verarbeiteten Stoffes. Sie werden vielen Ge-
lehrten, denen jene gn>r8en Werke nicht
leicht zur Hand sind, Krsatz bieten könaeo;
namentlich wer keine grofse Bibliothek in
der Nähe hat. wird gern nach einem solchen
Hilfsmittel greifen Was Müllers Handbach
der klassischen Altertumswissenschaft für
den Altjjbilologcn ist, das sollen Richfer-
Annalen dem Historiker sein, der sich de«i
deutschen Mittelalter widmet.
Er.hr r DeTmiKirr.
Fonsciit'KOBN zim xkikiikh Littiuiati«-
OKscHiciiTE. Herausgegeben von Dr. Fka»»
Mi NCKKR, o. ö. l'rofcMor an der Univer-
sität München. Müucheu Ibüß tf., tarl
Uaushalter.
Ein >'ielversprt'chende8 Unternehmen «iad
die 'Forschungen zur neueren Lil-
t erat Urgeschichte', herausgegt'ben von
Franz Muncker. Sie sollen in 7«ang-
Google
Aoxeigen and Miitdliiofea,
371
lo«er Folge wis9ea»cbaitlichc AbUuDÜluogeu
pliiIotofpfldi-hi«toriBcher Uetliode od« auch
üsth> Um Ii |i~vi li< il.iy[ifH>ht'r Ht'tracbtungKweise
enUiaIt«u aus dem Gebteto der deuUcheu
Litteiatar sowie fretndl&ndueben Sehrifttam
vom Auügao); des MitteIalU»r» bin uuf di«' im
miUdbare Gegenwart ood die 'wechselaeitigeu
Euiwirkiiiig«n dieser Littorataren vie uidit
minder die manm^arhcn Beziehungen zwi-
8di«D Dichtung und Wissenschaft, xwiachen
LiUentnr, Huiuk und bildender Kunst be-
lendlten'. Doch wollen sie trotz, ihres Htreng
wixucnsrhaftlichcn riiaralcterfi auch die Auf
iuerki»<imkeit solcher Lv^er erregen, die nicht
zu der kleinen Zahl der Fachleute gdlOren.
Vier treft'Iidie AM..iiiilhin;:i n Hi ixon vor vnr
Betätigung dieses Programme. Die erste
gehfiri zur Faustlitt^ratur: 'Nachkl&nge der
Sturm- und Drangperiode in Fittistdii lituti'jen
des 18. und lU. Jahrbuaderts' von Koderieb
Wnrkentin. Nachdem Lessinfr in seinem
berfilimti'ii I" T.ittcratiirlincf ilcn Fauststort'
aui« neue benchworcn hatte, luuTstc der Held
dieser Sage in seinem Hochmut nnd seiner
Vermessenheit so ndit eine Idealgrst.ilf
der ätOnner und Driloger werden. Ein un-
bedeutender Wiener Dichter, Paul Weid-
niaiiu, hat das \'. i ilienst, 1775 als erster aus
der Periode den Stumis und Drangs eiueu
Faust auf die Uühne gebracht zu haben, ein
'all<'g*>ri(*cheH Drama', wie er e« nannte, wäh-
rend (Joethes 'Urfaust' bereit*« geschrieben
war. .\n dieHCM Weidmannsche Drama haben
die beiden Oeaiedichter Maler Müller mit
»einen Bruchstücken aus dem dramatisierten
Leben Faust« und Klinger mit $>einem Roman
Tansts Leben, Thaten nnd HöUenfahrt* an-
^fknüfift, uncf oinv jn'f^räe Zahl von Dichtem
und Dichterlingen hat ücb unter dem Ein-
tols der Sturm- nnd Drangpniode des Faust-
slottVv lii-iiinihf i^'t I'iTi n lüclit uiii:rn füliif
aus der S'erfiuiser vor und beleuchtet ihr
gegeneeitiges Verhältnis sn einander, soweit
m bi8 zur V'ollendung des <;octhis>chen Faust
enchieneo sind. Es sind der Vergessenheit
anhehngefallene Namen bis auf Chamisso,
dessen Faust IhüH gedichtet ist. Klinge-
mana, dessen bübnenkundiges Ktlektstürk,
1916 entstanden, auf dem Theater viel tilück
inwhte und noch heute in der Ausgabe der
Reclamschen Hililiothck gelesen wird, und
'Irabbe, der in unglücklicher Weide den
Kaust- und Don Jnaastoif nüt einander ver-
quickte.
Die zweite Abhandlung versetzt uns in das
17. Jahrhundert und zieht ein nngedrticktwB
rk \on Mn-!cberosch ati ila« Lieht: 'IMi
l'atieulia', nach der Hjuidschrift der Htadt-
bibliotliek zn Hamburg inm cnteamal heraus-
gegeben von Ludwig Pariaer, der sieb
schon wiederholt um Philander von Sittewald
M iilii iit -.remacht haf Die P.itiriifia ist kein
voilcudetes Werk, obwohl der Dichter von
1627 bis in die sechsiger Jahre, die letzten
seine» Lebens, daran ^'» ail.citi t Iiat; < sind
nur Vorarbeiten und zwar iu der Uauptsache
drei Entwürfe zu einem Lehrgedicht mit
Erläuterungen in Prosa, das die Nützlich-
keit der (leduld in allen Lebenslagen be-
handeln sollte. Da/u kommt uUerhand Bei-
werk, da« mit dem Thema des (tedichtcis
nicht in nnmitt'elbarem Zusammenhang steht,
ein ausführliches Gespräch eines (Jeüngstigteu
und eine« Fretindes über den Hofdienst, aus-
£r''filhrt nach ii«'m Vorbild fincs Traktats
von .\mos Comenius, wie der Vertasser nach-
weist, Gebete aus allerhand Situationen,
Vorreden in Briefform, ein Wust von ge-
lehrten Zitaten aller Sprachen und Mate-
rialien, ans denen weitere Strophen fBr das
Lehrgedicht und ilic i>ii»a!>clicn Krläute-
rungeu geuonuueo werden sollten. Au diesem
fiberreichen Beiwerk ist sehliehlich die ganzo
Arbeit des Dichters erstickt.
Die wertvollste Abhandlung ist die von
Sulger-Oebing, *Die Brflder A. W. und
F. Schlegel in ihrem VerhaliuiJ-^c /ui bilden-
den Kunst', wertvoll einmal als tiedeutsauie
Vorarbeit für eine zukünftige tJeschicbte di's
Kunstgeschniacks, dessen Entwickelung und
^Vanc^ung ja ikh Ii <n \vi tii<; erforscht ist,
ajiili'icrseitH in ihrtiu Ziiniumaenhange mit
der viel behandelten Frage: Goethe und die
I'ilili nde Kunst. Beider Brüder Jugend steht,
wie CS sich in ihren ersten Kunstschrillteu
xejgt, unter dem Zeichen der «aliken Kunst^
wie sie Winckelmann und Meng« der Welt
gedeutet batteu, nur dafs sich schon jetst
August Wilhelm als der vielseitigere und
;,'c-:clniiakw.II.^re, Friedtii h al< ih r naivere
und originellere zeigt, üuu nehmen die De>
grRnder der romantisdien Schule als reife
Männer nicht nur die litlerarisch«'n Bestre-
bungen der 8turm- nnd Drangzeit wieder
auf, sondern auch, was eine Hervorhebung
verdient hätte, dit* .\rt der Betrat-Iilung
liildeuder Kunst, die vor ;J0 Jahren Hamann
durch Herder die Stürmer und Dränger ge-
lehrt hatt«', über die uns Vulbehr ('Goeth«-
uml die bihlende Kunst' so ülierzeujjcrid auf
geklärt hat. Schon hier bei Hanmuu mul
Herder, nicht erst bei den Koniantikern, ist
der erst»^ Schritt zum historischen Begreifen
der liildenden Kunst zu suchen. Der junge
(ioethe, der in seiner Freude an der Gotik
die l'lu;.'<cliiin 'Von deutscher Baukunst'
schrieb, der al.'cr zu gleicher Zeit den
Griechen die 'hOchste Sch<»iJieit* snerfcaonie
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372
Ans!«ig«tt und Hitteilungeo.
und im Mauiibeimer Aotikcnkabint'tt mit
Enteflckcn da« Pantlieonkapitlll bewnnderie,
«Icr in «lor r'ii''-t'M<ir fVr < lalli rii- -^icli :m ilcn
Nicderländeru urgützt»' und kurz vor seinem
Betreten Weimani Bcbneb: 'Ich xeicbn«,
küriHtle miil ]>'\<v i^mv/. mit l{4'ml>randf
dacht«: liistoriHcbcr uJa der «pütere, der
ftll^n die Dabo den KlMfcisdnnmi ein-
jjc^ilila;/!'» liat(<* iiml iin .Tiilni' ISI»" \iru
Beiuer hoben Warte allgemciuHtor luter-
essen be! der Redaktion der ItaKenischeo
Hcic«' Aiistallc f^Ofrcn die (Jolik «'inschoh,
wie Hie der Keisende von 1786 in gleichem
Grimnie nicht gefiiblt hatte.
Oicsi' historische AiifTaHKunn <l«'r KiiiiKt
haben die Gcbrfider ächlegel wieder auf-
l^oBiinen und weiter antgebüdot , ^estfltct
auf" eine aiirseronleidlich roicho Sachkeniitni«*,
die sie sich zimtichst an der Uand der
Dresdner Gallerie erwarben, wie es vom
Verfasser eiiifjeliend im<l khir darf,'estollt
wird, und die sie aufs sorgsamste ver\-oU-
st9ndi}^en, Friedrich bei seinem Aufenthalte
in Paris von 1H02 IKOl, u n danialK Napoleon
die beweglichen Meisterwerke von Mildern
und Stataen aus ganx Italien und Spanien
ausammengchäun hatte, August Wilhelm auf
seinen Reisen in Italien im Dienste der Frau
von StaPl. Auf der Höhe ihror Leintunpen
aln Ästhetiker und Kunatforscheir stehen die
Mnlder in ilirem pemeinnamcn Wirken an
ihrer Zeitj^cbrifl, den) Athenäum, die j^röfste
hVf'tematisebe Leistung sind al>t>r die Fterliner
X'orleHuUf^en von Willudm August. Nach
ihror verschiedenen Art hahen die Mrüder
eine ganz gotrennte Weiterentwickelun*,' ge-
nommen, rherranchend finden wir oft da«
Urteil Frieilrichs, wie zum Beispiel «eine
Verurteilung der Maler der zweiten Bologneser
Schule, der ('ar.u • i. tluido, r>omenichino, die
lu'sher nel>en IJitthu l .m der Spitze der ita-
lienischen Malerei gestanden hatten, wie sie
(Joethes Vorliehe liilden, als er Italien he-
tritt. Al«er er ist später abwärts geschritten,
hat Rieh abgekehrt von dem Ideale seiner
Jugend, «ler .\ntike, bis zu ihrer Vcidam-
niung, ist den» Mystizismus und dem Katho-
lizismus anheiiiiget'alleu , und dor einst so
freie, vielseitige Mann i-^l in lii=r!i)-"ni1<<er
Eiusvitigkeit bei «len Xazareneru gestrandet.
Reich ist noch «lie kuustschriftstelleriflche
Thätigkeit August Wilhelms jjcwvi^u, aber
er hat nur die alten <iedaiiken weiter aus-
gestaltet und iitt flimr seine Cilanxieit za
BegiuTi (]>■- .T.thrhundcrts in Berlin nicht
h i uuusge k onuu c n.
Emtatinlich beherrscht der Verfasser da«
;;i-<fse, weitverzweigte kurs(>rl)n'n>(.Hrt i-rbe
Materiul der Gebrüder iSchiegcl Howie das
der Kunstgeschichte, wie er sich auch im
letzten Goethe-Jahrbach so heimisch geseigt-
hat in di'ni Horn der (Joethis( bi n '/l it
lu die uuuiiltelbare Gegenwart IQbrt uns
endlich die vierte Abhandlung! 'Gerhari
Huujttmanu' von F (' Wiu rnt r I>er grofse
Bühnen- und Buchurfulg von Hauptmanns
'Venmnkener Glocke* im vorigen Jahre bat
don Dirbter so sehr in da- allgemeine
Iutcre«i<ü gerückt, dai'H zu gleicher Zeit
nicht weniger als drei ausführliche Bflcher
llbiT illll i'l-rliirli>'ll sim! Hie 1^ ii >i,n:\ ] dl
von Paul Schleutber, dem vertrauten Freunde
des Dichter«, ist m subjektiv geflirbfc zum
Lr.lii" Hauptmanns, dat« Buch von A<ioIf
Bartels wird ihm oft zu wenig gerecht. Auf
der rechten Mtttelstrafse bewegt sich unsere
Schrift von Woerner, die mit Beschränkung
auf die notdürftigsten biographischen An>
gaben, wie sehr auch bei Baupimann Ij«1>en
und Dichten zusammenhängt, in besonnener,
sachlicher Kritik die Werke des Dichten
von seiner Jugenddichtung 'Promethidenloa*
bis zur 'Versunkenen (5 locke' bespricht. Per
Verfasser weils sein Lob und seinen Tadel
wohl zn begründen, so daft man steh in
ganz.en seiner Kritik durchaus anscbliefsen
muls Ohne blind zu sein für die Schwächen
der ersten Hau])tmannscben l>ramen des kon-
sequenten Heaiismus, 'Vor S'onnenaufgang',
des sozialen Dramas der VererbungMÜieoria,
und des 'Frieileusfestes', der erschütternden
Familienkatastrophe durch den Zwist zwi-
schen Vater und Sohn sowie Binder und
Bruder, weifs uns der Verfasser zu über-
zeugen von der tinbedingti«n Wahrhaftigkeit
und dem «-nisten Streben des Dichten*, von
der vorzüglichen Durchfühniugder Charaktere
und der musterhaften Einfachheit und Ein-
heitlichkeit der Komposition. Den 'Webern'
wird hohes Loli zu Teil, wie sie e« ver-
dienen, während ihr tiegenstück 'Florisn
• iever*, das auch 'Die Bauern' heifsen könnte,
auf keine Weise zu rotten ist .ähnlich ver-
hält es sich mit den beiden Komödien des
Dichters. 'Knllefrf < 'raiii]itnn' wird abgethan
mit der Kritik Schillers als ein Stück von
unwichtigen Handlungt'n , in dem die wich-
♦ i'_'eu übergan^'on «iml I>a|,'''i,'f^n orwri^t
sicli alt» eine wirkliche KomOilie «ler köst-
liche 'Biberpelz*, ein Seitensifick zu Kleists
'Zerbrochenem Krug', tn>f7sb'iti da*; Stück
um seinen ricjitigen, guten Schlufa gekummun
ist. Zuletzt hat der Dichter das romantische
mff dem streng realistischen Kl-'iiient ver
bundou und dadurch seine gröfsteu Erfolge
erzielt. Doch zeigt es eich, dafs die Fabel
dr-r '^'i-r^uiikt <Itnrkf'' in Wulirlx'if cirK'
Wiederholung eines frühereu uaturaiistischen
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Anzingi'ii iinil Mitteilungen.
373
Werkes, <l« r 'Kiii'-rmit ri Menschen'. i«t, mit
deD«i>lben Hauptcharaktereu, aber hier mit
v«ffto(l«iieii DanitellaiiKMnitteln aosgefObii.
Danmi liri''en auch lieitle Ilmnien «lieKelben
Scbwiiehon, die letzt^'D Akte i'alleo gegeu-
ab«r den Gxp<MttiooMlrt«n ab, w«il die
schwachen. imsilhiätäiHiiLr'^n, willens urnl
tbateiriuseu Holden, wie «ler uuklare (ilocken-
gicfser Heinrieh utd der nervOi dberreixte
Johannes Vockerat, nicht <Uv TnlL'er iMrxT
energisch lbrt«clireiteu(luu lJundluug »ein
kOnoen. Die wirksam geEeichneten Nehm-
figiin'n . wie der AValdsrlu iit iitnl der
NickelniauQ, jeau ganz ucuuu Krschei-
Dangen Backlinwher Fhantatte auf der
Biihue. und tlie bes(:.,'i'Iiiiigene Figur, »las
liebliche Kautendelein , haben den grol'üen
Theatererfolg herrorgebiticbt. Die Oestal*
fung den KIfenkindes Kteht hoch über der
der entsprechenden Figur in <len 'Einsanieu
Memche«*, der Studentin Anna Mahr, von
deren geistiger Tberlegenheit wir immer nur
hören, während sie tbatsikhlicb nirgends
tum Ausdruck kommt. So bleibt noch flbrig
ilufi wertvollste Bflhnenwork, dan Hauptmann
bis jetxt genehrieben hat, daH mit Keeht
den fSrillparzerprei« davongetragen hat, die
Traumdiehtnng 'Haunele»« Himmelfahrt', nnd
in di«»er WertxchiUzung stinunon wir durch-
an« mit dem Verfasser Oberein. Nur glauben
wir dem Lyriker Hauptmann, wie er sich
mu im 'Hannrlc* nnd der 'Versunkenen
Glocke"" otl'enliart, noch einen höheren Platz,
an weifen zu dürfen, alt« der Verl'a.sser thnt,
•ler d««n UealiKten und CbarakterdareteUer
weit darüberstellt,
RoBBBT Waau.
AsTow K1.KTTR, D» ScLMTiimioxEiT nsB
■IBI.IOTIIKKAKIÄCHKM FIeRI KK« IN iHl IS( II
LAMP At« (iKUaULAaK KIMKB ALbOKNiaNKM
BnuoTHBKt-KKPORif. Jubilftums - Ausgabo.
Marburg 1««7, Elwert VIII, 7'.» S. H.
Prof A. Klette hat mit obigem Hurlii miter
etwas erweitertem Titel in einer 'JuliiiauiiiH-
mifgabe' die im J IMTI erschienene Schrift:
'IHe Selbständiu'lM'it Int'liothekarischen
ikrufe» luit Uuck«icht auf diu deutschen
Universitatsbibliothckeit. Geschrieben am
S4 FcliriKir 1h71' sowie «Im AutHntz: 'I>ie
tielbHtuudigkeit deHbibliothekuri^cheulierufeä
mit Rflekdeht auf die Stadtbibliothekea* ('!>te
8ta<lt'. Wnrhenlieiluge <ler Frankfurter Presse
IIÜM) Nr. 4, 6 u, 8» xusMmmeugefaTHt. Duh Kr-
wheinen der kleinen Schrift kommt sweifel*
los einem Bedürfnis ontgegen, da die er.stere
Abhandlung fa«t vorgritt'un war und selbut
auf fiffentUeben BibU«Äbeken vielfach fehlte,
nad die letstere sich nur «u einer echwer
yn^rnjtjrlichen Stfll»' l^fand .XiiC'-crUeh zer-
fallt dit! tSchrift m drei Teil«, da noch ein
dritter Abschnitt: 'Die Verscbmelsung der
(«ymnasialbibliotheken mit den .^tadtbiblio-
thuken. (Jeschriebca am 24. Februar 18^7'
hinxngekommea ist r8. 46 — 60), woran sich
.!!< Fskursc (S. Ol 7'X KchliefKen. während
zahlreiche pertiüuliche Beiucrkungeu namtuit-
lieh dem ernten nnd xweiten Abschnitt eia>
Lr('f'i"i<Tt siml. I>er Krf.'l^^ <lrr \ou K iinfi'r
den er»teu uagebuhntcu Bewegung zu tiiuiüleo
der Enetsung der UniversitAtsprofessoren
durch techni-ili*' HiM-i'tlifksliranil.' :in ilrn
Umversit&ttibibliothekeu ist, wie bckanut, ein
so durchschlagender gewesen, daTs der Ver-
fas«er mit vollem Hecht «ich seim < il;im;ili'^en
Ülintretena fiir die gerechte i:ache rühmen
darf nnd es auch fAr das gegcnw&rtige Oo>
schlecht lehrreich ist, einen Blick in <Ue
vicliachcu Schwierigkeiten und Kämpfe jener
ersten Bewegutig ztirficksuwerfen. DaTs tech-
niMche Bibliotheksbeamte vorhand«,>n sein
müssen, daran sweitelt beute schon längst
niemand mehr. Wie sie aber vorgebildet sein
mfiHsen um! wie der Begrifl' der 'Bibliofheks-
wisttenschaft' zu fassen sei, ist auch beut«
noch keinei4weg.-< entschieden. Mit der 'teeh*
Itischen* und s|irachlichen Ausbildung inufii
vor allem die allgemeine methodinch wt«?»en-
schaftliche Bildung Hand in Hand ^t lun,
und mit Hecht verlangt K. vom 'Xormal-
biMiiitheksbeandcn', 'dafs er für die Förde-
rung jedes Wissenschaftszweiges dasselbe
Interesse, dasselbe VerstUndnis. daoHclbe
Herz hat' iS, Vi Wir hatten e« au« diesem
(Jrtuide gern gesehen, wenn K. seine Schrill
niclit .ils liistorischen Hückblick, sontlern auf
(Jnind der augenblicklichen Verhältnisse voll-
stihidi}.' neu gearbeitet uml namentlich auch
Ih'iiti;.'!' I'iiliiiiik berücksichtigt hiltte;
denn »lie von F. Kichlei '»ene Petinition
der BibliothekswissenHchalL in: 'Begrifl" und
Anfgftbe der BibliothekswiaeettSCbflA* (Lpz.
1H1>»>, S. 17 ist entschieden zu eng, wenn-
gleich er »ich mit dem Berufe des Biblio-
thekars anderwftrts i'Bibliotheknpolitik am
.Ausgange des lU. Jahrhunderts'. I.jiz. 18i)7.
S besser ablindet Pas Verdienst K.»
wird es aber immer bleiben, hier für rich-
tige ,\nschauungen die Bahn gebrochen zu
haben. Auch waa im zweiten .Yhschnitt
Aber die Btadtbibliotheken gesagt wird,
nniiTcntlich über den heutigen Zustand der-
sellien :,S. 38 ff.;, i»t leider vielfach noch zu-
treffend. Fast {iberall fehlt es an geeigneten
Käumlichkeiten, Schw!Vri<.'WeiteTi, mit «li tien
grofse Htadtbibliothekuu, wie z. B. die Ham-
burger, Oft am onpfiKUkiietai m kftupfen
haben, und ebeoao, nameotlieh an Ueiacrett
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374
AuzcigRD uud Mitt«'ilungon.
Hibliotheken, an ffccijjiipten, lu'Honder« vor-
gehildett'n Heamton, von der Kutalo^i-
Nieruug der Bücher uu<l der i>]aumiir8igeu
Vermehrung des Büfherhe(»tttn«le» durch an-
gemesHeue, efatsniäfHige Kondt» ganz zu
schweigen. 'Soll eine. Hihliothek ül)erhuu|it
existeuzberechtigt sein, ho uiufs »ie durch-
aus angeniCHHen \*Tmehrt werden, «elbst-
verHlündlich nicht ins Blaue hinein, »ondern
nach ganz bestimmten Urundsützcn' beiCst
e» bei K. H. 4*2 f., und er bezeichnet es ganz
nach unserer Meinung als Aufgabe der Stadt-
bibliotheken, 'dafs . . . die gesamt*« historische
Littenitur bei den Stadtbildiotheken vorzugs-
weise zu Iterücksichtigen sein wird. tJunz
von selbst aber versteht es sicli femer, dafs
kein Buch, welches auf die (Jeschicht*? der
eigenen Stadt Bezug hat^ auf der Zukuntls-
Stadlbiltliothek fehlen dairf. Desgleichen
niufs alles, was im Orte ge<lruckt ist, Theater-
zettel und Konzert progranune nicht ausge-
nommen, tlaselbst vorhanden sein' »S. 441.
Bei diesem klaren und zu biltigen<len Pro-
gramm ist es nun nicht einzusehen, wenhall)
K im dritten Alischnitt seiner Sclirift die
8ta(UI)ibliotheken mit den tiynmasialbiblio-
theken verschmolzen und zu ' Wissenschaft s-
Zentren umgewandelt' wissen will .S. f»'J i. Kür
grofsc Orte wjlre ein derartige» Vorgehen
min<lest«nH überflüssig, für mittlere und
kleinere ist es, wie wir sehen werden, erst
recht unausführbar. Ks ist ja richtig, dafs
tlie Beschattung der fachwn'ssenschaftlichen
Litteratur für Arzte z. B. i S. ö*2i in kleineren
Städten mit Schwierigkeiten verknüpft ist,
und dafs es mit dem Ausleih«%geschilft der
l'niversitiitsbibliotheken nach auswärts viel-
fach hapert iS. 53). Aber 'da neuerdings die
Kortentwickelung der Wissenschaften sich
mehr und mehr auf das Gebiet der Fach-
zeitschriften konzentriert hat' iS. öHi, nuissen
«leswegen grofse eigene Bibliotheksgebäude,
wie K sie haben will S. bä tt. , gebaut wer-
den? Würde es nicht genügen, Zeit»<chriflen-
zirkel ins heben zu rufen, welche wenigst^'ns
die wichtigsten Journale hielten? Denn wo
soll liier die tJrenze sein? K. will freilich,
dafs bei seinen (iynmasial- und Studtbiblio-
theken 'die Pflege der streng- wisst-nschaft-
licheu Litteratur . . in Bezug auf wissen-
schaftliche Zeitschriften jenen (d. i. den
l'niversitätslübliotheken: nicht nachstehen
darf S. 58 ; aber wenn man weifs. wie viele
/.«•itsclirifteu bei der heutigen Aus«l«'hnung der
Wissenschaft, namentlich ausländische, den
rniversitätsbibliotheken unW -"uav «b r Kgl
Bibliothek in Berlin fehlen. crkt-nnt man,
dafs es keinen Sinn hab> n wünle. grofse
Uobäude ius Leben zu rufen, tun Doubletten
zu haltt-n. K. übersieht femer, dafs der
Fortschritt der Wissenschaft vor allem auch
durch die L'niversität«schritleu (.Dissertationou
u. H. w.) bedingt ist. Will er diese seinen
Bibliotheken durch Austausch zuführen, und
was will er tauschen? Denn auch mit
der Forderung, da« zweite Exemplar der
Pflichtlieferungen nicht der Königlicht-n
Bibliothek, sondern den (lymnasial- und
Stadtbibliotheken zuzuweisen (8. 68), können
wir uns im ganzen nicht einverstanden er-
klären. Wie «ehr übrigens <lie .\nsicht<'n
über die künftige Oestaltung der Staiit-
bibliotheken noch auseinandergehen, Itcweiit
ein Aufsatz Franz Hühls über die Köuigs-
berger Stadtbibliothek i Sonntagsbeil, zo
Nr. 43 «ler Köuigsberger Hartungschen Ztg.
vom 20. Febr. d. J.(. Ks hcifst dort gegi'n
den Schlufs hin: 'Kndlich wäre noch die
Frage aufzuwerfen, ob man «lie Stiultbibliothek
nicht, wie anderswo gt»ra<le gegenwärtig viel-
fach ge|)laut wird, z>igleich zu einer Art von
Zentralbibliothek für die Wissenschaft liehen
Institute d'T Stuilt machen sollte. Natürlich
müfst^'n die (iymnasien und ähnliche An-
stalten ihre eigenen Bil)liotheken wie bisher
behalten. Ks giebt jedoch grofse und gnmd-
legende Werke, welche für iliese zu teuer
sin«l, deren Studium aber ffir die hehrer un-
umgänglich ist. Wir denken dabei zum Hei-
spiel an die Inschriftensammlungen und an
die (lesamtuuKgab««« »ler Werke der grofsen
Mathematiker.' Wir möchten Herrn I'rof
Kühl <lenn doch fragen, was es für einen
Sinn haben sollte, auf der Königsberger
Stadtbibliothek die lnschriftensammlung«'n
anzuschaffen, währenil jeder Lehrer da»
Corjtus inscriptionum so be<]uem auf der
L'niversitÄtsVübliothek haben kann! l^m
Bedürfnis nach Zentralisienmg könnte ja
vollständig genügt werden, wenn ein (Jeneral-
o<ier Zentralkat4ilog, ähnlich wie er für die
Instituts- und Iniversität.-^büdiotheken ge-
plant wird, von sämtlichen städtischen und
Provinzialinstituten angefertigt uml auf der
Strtdtbiblioth«?k ni<Hiergelegt würde Im
übrigen 8in<l wir aber der Ansicht, dafs die
Stadtbibliotheken nur bei völliger Selb-
ständigkeit vgl noch U. Zedier, («eschicbfe
»ler rnivei-»ität«bibliothek zu Marburg »on
Ift'J" -18H7, S. Vi sich gedeihlich entwickeln
können, wie K dies auch so richtig im zwi-iten
.\bschnitt, seiner Schrift dargelegt hat
ABBvigOB «nd MUteUongm.
S15
ZU OOETREa
GÜTTEll, HELDEN UND WBBLAND*.
In dieser Keitechrift I Sit (B. S) wird von
Alhert Mflllfr iHannuveri (Ii»- 'Frage an
die Goetheforschcr' gerichtet, ob die
wSrtUchc rbereinstimmung der Scbluftwortc
in 'GPttor, Heltlen und Wieland*: n'<lf n.
sie wollen; mögen sie «Inrh reden, WM
kümmert'» mich?' mit tler griechiechen
UeBiiB«nin»cbrUl: X4fovmr. ü »üoveii-
Twcrr, Ol' fij'ii jioi auf Zufiil^ Iwruhe oder
nirht. Diese Frage ist von mir iiu 2«. Hunde
von (loetliet W«rken in Kdrscfaners Deutscher
Nationullitteratur 1'!" Anm. beantwortet
worden. Wielttud entnahm die Inncbritt ans
WiaekebnannR 'Sendachreiben von den Her-
«ulanischen Entdeckungen' S. 46, kmiiifte
daran seine '(iedanken über eine alte Auf-
aclirift* (Leipzig die Goethe in den
Frankfurter gelehrten Anzeig' ii 1772 Nr. 'J:i
memierte, und verwies noch ciuiual darauf
in seinen 'Briefen tlber dmi neue Singspiel
.\lce.'(te' (Tc-utscher Merkur 1T7.H I •-".'."»
So lag eil für (loethe nahe, in 'tiötter,
Helden und Wieland', der Fnce, die sieh in
mter Linie gegen die Wielradwbe 'Alcuste*
wandte, dem angegriffenen Dichter gerade
diese Worte in den Mund zu legen, die ihm
• !it Wi lli r durch Winckehnann odet dnrch
Wieland selbst vermittelt wonlen waren.
<!k<iro VVitkowski.
VVISSKNSCHAFT FND LMEHUICHT.
Georg Kuibel hat «ur diesjährigen Ge-
burtstagsfeier de« Kaisers im Namen der
l'niversiUlt zu (Jttttingen eine Festrede über
'Wiüsenschaft und Unterricht' ge-
baltea (Qflltingen, Dieterichaehe Univ -ihuh-
dnickerei'. iiii« deren relch<*iti Iiilialte wir
im folgenden einige Stellen für unsere Leser
hetMshebens
'Die Universitilt hat eine dopjielte Auf-
giUi« überuumuien , die Fliege der Wiäsen-
»efaaft und die Erziehang der Ju^d fSr
d;i.H Leben. Die WiHHeuHcbaft d. h. Krlceimi-
nu (lesaeu, waM war und wa« int, iu welcher
Ponn sie auftreten und welcher Methode sie
folgen mag, int und bleiM fil-i-r alle jMiliil
«eben und sosialen Verüuderungen hinaus
eine und dieselbe. Die Eraiehung dagegen
i^t nicht nur für das Leb«i «chleebtbin ge-
meint, sondern filr ein Leben unter ganz
beriimaiten Bedingungen, als Ersciehung für
«im beHtimuiten Beruf. Dort int uns ein
>Qn ideellen, hier ein eniint-nt pniktisclies
Ziel gesteckt; dort gilt ca Arbeit, die ihreu
Zweck in sich selbst su tragen scheint, hier
Arbeii «t eiaem a«Aer ihr licKeade«, von
Tonhercin ausgeaprochenen Zweck Wn
vereinigen Hieb diese beides Bewegung«-
Linien? . . Die wiaeemchafllkbe AAeit ist,
wenn auch nicht die alleinige Triigerin, so
doch die Erzeugerin aller geiHtigen Energie
und somit die Erzieherin aller derer, die
denken und han«lcln eoUen, BWg es ihnen
sum üewufstsein kommen oder nicht ' . . .
'Erbe der griechiKclim Kultur ist ilie
giune gebildete WeH, Erbe <ler griechischen
Wissenschaft sind unsere Uiiivi rnitAten Sie
bethätigen ihre Kiadscbail dadurch, dufs sie
eiieüerett} denn von den Griechen haben sie
df'Ti Hf'gritJ' und den Betrieb, die .\iif^'ahen
und die Metbodeu der Wissen^cbaft nicht
gelernt, sondern einfnch in der Kontimiitllt
der .lahrhuntlerte übernommen Von ihn»'n
wissen wir es, dafs Denkarbeit JUenHchen-
pflicM und nicht Kasten pri vi leg ist, dafb die
Wissenschaft keine Orenzen der Staaten uml
Nationen kennt, dafs sie den Menschen be-
glückt und die Völker stark macht, dafs sie
eiae Erziehung fürs Leben bedeutet. Die
gewaltigen Fortschritte, die über die «Jrieehen
hiu;»us die Wissenschaft gemacht hat, sind
kein (>r«nd zur rberhebnnf : si* haben sich'
mit \nt weiiiliirki-it fiiiiT nun dem andren
ergeben, viele Nationen umi tii>.t y.wei Jahr-
tanaende sind danm beteiligt.. An den
grnrscri'ii ViTiliensten der tSrierlien v.irt'
Menschenwitz nichts kürzen: ai»er iltrer
auch nur vei|i^Ren wollen, ist unwisaen»
schaftliili. denn eij ist Undank, und die
Wisscnttchaft i^t eine Zucht xur Dunkbar-
keit, weil sie uns lehrt, wie wir nichts
wülVt.M, wenn uns unsere Vorgilnger nicht
belehrt hätten. Diesem Undank, wo immer
er auftaucht, noch Krftften zu steuern, ist
. in.- Klirenptlicht der Universität, der Philo-
logit> aber als liist4>rischer Wissenschaft ist
die Aufgabe zugefallen, nicht das Uriechen-
tum zu einem fr<mtigi?n Scheinleben in der
modernen Will wit-derznerwerkfu, sondern
den tieist uiui die Ik'deutung jener Kullur-
cpocbe ohnegleichen verstftndlich und leben-
dig zu marlini ' . .
Traxls otme wi««cu«chaftli<iie Grundlage
ist Handwerk, Wissenschaft aber kann xtt
n II fruchtbarer < lilrlirsainlvrlt hrr:il'siiiki-ti,
wenn sie nicht angehalten wird zu einer
im realen Leben aidi bewährenden Thätig*
keit. Nicht jedes wisscnschafllichf Li riiPri
steht %u seiner praktischen Verwendung
im gleichen VerhiUtnis. Das Verhältnis ist
nirgend ein so enges und durum so har-
monisch einfaches wie beim Lehrberuf. Wir
erziehen die Lehrer zu dmelben Lebens-
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376
AnMigen und Hiiteilniigeii.
thAtigkeit, die di« nnvere irt; nicht nur
was sie Ifbrrn, niiüiIiTti aiirli w-i> nie lehren
sollen, lerncu »ic bei uu». Die Wirkung
ab«r ihrer Lehre «trOmt anf un« snrflck:
dem» hie i-r/iclicn ilirii'iii;^i-n . die «lereiiiBl
auf der UniverKitüt unser aller Hcbüler
werden. Ana diMem bestiladiir wieder-
holten Knisluvif erfjlcbt sidi von «lelliRt
die ik'deutuug, welche die richtige Aus-
bildung der Lehrer, inebeiondere der philo-
lojjisehen Lehrer !i;it . nii lit nur für Ilm n
eigenen %'enuitwortuag8KcUwcren, aber, wenn
er recht yersfauiden wird, herrlichen Beruf,
londern auch für dir |,'e**an»te l'niversit.'it '
^Eb spricht zuiiücbai noch nicht« dafür,
dafs S|iroche und Littemiur der Griechen
und llömer auf unwereu (iyuinasieu durch
geeignetere Lehrgegeustäude erHct/.t werden
kannten. Ihw Bild eines aciaiin müchti^en
Volk« und eines Hturkr'u Staat«*, «nner von
beiden gemeinsam ausgegangenen und durch
keine Mittel m Temichtenden Kultur, die
Ltekanntxchaft mit Dichtern un<l SehritY-
Mteliem, diu alle Weltlitteratur haben be-
einOttSsen knnn<>n und die in Zeiten littera*
risdien .SiechtuniK innner wieder die helfenile
und heilende Uaud biet+m mufften, weil nich
eben in ihnen Innigkeit de.« Knipfindens
und Ti< fr (Ii s Nachdankena mit vollendeter
PormenHchünbeit zu einer wunderbaren und
nur von einem einzigen deutrtchen Dichter
erreichten Harmonie verbunden haben; dazu
endlich das Erlernen von zwei wohllüingen-
den, wort- und Ibnnenreiehen, an streng
lojjri'-' bf" (ifvift/e jjebundene Sprachen —
dm Hind Iiildungttmittt.-1 , die den Verstand
ebenso xu reixen wie «n sehftrfen venn5gen
und dli' viir allnii di r liiTanreifend'-n Kii.ilit ii-
Bcelc die Ideale der Cirüfse, Schönheit und
sittlichen Kraft, nach denen sie hungert, in
Fiille darbii f •■ti.' .
'Wir lehren die Witiaeuachaft nicht blof«,
nm Schflier und Mitarlieiter am gemetn-
^.iim ii Wi rk«' ^-ii i^cwiiini'ii , -"iidt rii am
dem Vatvrlunde denkende und arbeitende,
pflichttreue und selbständijire HAnner zu er-
ziehen, riisni' .Tn^n'iid soll es lernen und
an sich erfahren, dalt> Denken Lebensbediirf-
nis vnd Arbeit Pflicht istn beides zusammen
aber eiji (ih'lck bedeutet, das unverlierbar
aber alle Not und Sorge des äufscreu Lebeua
emporhebt: denn es ist das Bewufstsein, nicht
unisonnt zu leben.' . . .
'Das Leben ist Arbeit, die ihren Lohn in
sich selbst trftgt. Es ist ein wundervolles
Diufj, zu «lenken, wie dan kurze Lelienswerk
des kleinen Griechen vulka eine Segnung ge-
worden ist fSr Jahrtausende, und nicht
minder wundervoll, «n wissen, dafa die
«clnv;iilie Kraft eine« einzelnen Menschen
der ^r'»rHen Oe»amtheit nützen kann und
darf. Auf dieeen Lohn unserer Arbeit sind
wir alle ntolz und keinen andern erwarten
wir, wenn wir bereit «ind, mit allem, was
wir haben und was wir können, in aller
Freudigkeit dem Vaterlande zu dienen.'
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JIHBGAKG 1898. BB8TB ABTEILUNa. 8BCB8TE8 ÜKD SIEBSNTE8 HEFT.
DIE SIEGESGÖTTIN.
Bntirarf dw Gksehichte einer antiken Ideal^stah.
Ton Fbahs BriimnoncA.
Vorbemerkung.
Einen Vortrag, dessen Stoff grCfsteateils den Fachgenoeaen längst vertraut ist, heraus-
ngeben« iMettmiiit midi die von üiteiMUiigeii erweckte HeArang, d«b er ntnftdieb den
«eitonn Kreise von Freiuden der Antike manches noch nicht genug Bekannte oiher
bringen, daneben aber auch den Kennern des Gegenstandes durch die Yerknflpfung, in
die hier gel&ufige Thataacheu gebracht sind, wenigstens Anregungen su erneuter Früfung
«iiMM bedeatHHneD Abeebnitte der elten Kimat^ehiehte l>ieteii kflnute. TJm dieie beiden
Zwecke besser zu erreichen, habe ich das, was ich wirklich gesprochen, etwas umgestaltet
and erweitert . auch für den nachprüfenden Leser einirrp Litteratumachweise beij^cfügt,
obwohl diesem Brauch eine wie mir scheint falsche Voruuümheit jetzt nicht günstig ist.
Seldie ABfBbrangen »nf des ITofcwendigite sa beeduinken, geeUttet die Amnabt «af
baldiges Erscheinen des Artikels 'Nike' in Roschers Lexikon der griechischen and rSmischoi
Ifytbologie. Seiu Verfasser, Heinrich ßulle, und ich haben unsere unabhänp^ von einander
entstandenen Arbeiten verglichen und wechselseitig benützt, ein erfreulicher Austausch, der
beiden Teilen Gewimi bniebte. liit uns werden nneb die Leier dem Tenbneieehen Teriag
für die Fülle der Abbildungen Dank wissen. Die der Bescheidenheit ihrer technischen Aua-
fühnintj wenigstens nach der herrschenden Sitte niebt rr-cht entsprechende Anordnung
auf iai'eln ist nur aus Bücksicht auf mögUchRte Klarheit dos Druckes bevorzugt worden,
bndite dann aber aoeh den Vorteil ttbexiiehtlicher Zwtammfiinfiiwing von <3rn|»|wn mit
«idit wie ihn die übliche Zecebreming der Figuren im Teibe niebt erreieht h&tte.
Ilochanüehuliche Versammlung!
Diese Stunde mit allgemeinen Betrachtungen Qber mein Lehrfach auB-
zufÜllen, würde ich mich nur dann befn^ erachten, wenn ich darüber wesent-
lich Neues sagen können glaubte. Da ick das nicht vermag, scheint es mir
flbeiflflssig an einMik Ortc^ wo die Wissmadinft Ton der antiken Kunst, die wir
mit dem komTMitionellen Namen ^klaBBieehe ArdhSologie* beieidmeii, dank dem
Wilsen TOD Ifinnem irie Otto Jahn und Jokanne« Orerbeck l&ogit daa volle
Bfligerraehi erlangt bat; wo ea nnr gelten kann, ihren Betrieb aeitgemäb
weiterzubüden, zwar mit voller Wahrung ihres wurzelhaften Zusammenhanges
mit dem Studienbereiche der klassischen Altertumskunde, aber nicht weniger
mit dem BewnfstRPtn, dafs die Archäologie innerhalb dieses Organismus und
des gröfseren einer T'ntvorsitüt nur dann das ihrige leisten kann, wenn sie,
gemäfs ihrer Zugehörigkeit auch zu dem Ghinzen der Kiinstwisseaschaft, neben
der allgemeinen philologisch -historischen die ikicm btäuudcrn Stoff eigentüm-
liche Betrachtungsweise selbst&ndig entwickelt.
nstt» f «kiMsb«. tm. i m
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378
F. Bbufaaieikft: Di« f&tgnffittSM,
So ziehe idk es denn vor, Ihnen an einem bescheidenen Einselthenw zu
zeigen, wie ieh meines Ämtee tu walten beetrebt bin^ mit HiUiB all der modennii
fiilfinmittel, deren Verrolklindigang an nneerer HochMhide in jfingater Zeit lo
erfireolidie Fortaekritte gemadit hai
Bei der Wahl eines Gegmatandea war es mir gleichgtUtig, ob er mir Qe-
legenheit biete^ Ergebnisse eigener Forschung mitnileilen. Nur darauf kommi
es mir an^ eine recht bezeichnende Probe unserer jetaigen Bestrebongm sn
geben: Ihnen zu vergegenwärtigen, welche Menge des wertvollsten nenea
Stoffes durch die pl,i?iTnärsigen Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte m-
geführt wordeuj wie diidurch ein Aufbau immer vollständigerer Typenreihen
ermöglicht wird, die sich nicht blofs äufserlich in den Verlauf der GJeschichte
einordnen, sondern da und dort schon eine genetische Eutwickelung des Kunai-
schafifens erkennen und begreifen lassen; eine Entwicicelung, die zwar selbst'
veratiadlifili von den allgemeinen Faktoren des Enltarlebens bedingt, am ent-
aeheidendatMi aber doch von der aohdpfieriaGben That dea Binaelnen Toiwiria
getaieben wird.
Fset jeder soldie Auasdmitt aua der Geschichte der antiken Kunst wird
TOn selbst zu einem Hymnus auf die onTergängUche GrÖlse des Hellenentonu.
Nicht als ob wir noch an dem frommen Aberglauben unseres Winckelmaon
festhalten könnten, der in jenem ein unübertreffliches Muster för alle Folgezeit
erblickte. Wohl aber im Sinn einer gerechten historischen Würdigung, weiche
uns immer deutlicher die Griechen als die er«tf ii Befreier der Menschheit aoi
dumpfer Gebundenheit bewundern lehrt und damit als die Führer zu aUeni
Groi'seu und Qrüiseren, was nach ihnen gekommen ist.
Ein Stoff, der solchen Absichten entspnohe, war am besten dort sn sndisn,
wo die giieehiselie Kunst ihr Bigenates geleistet bat: auf dem Gebiete der Ueal-
gestalten. Es ist die griediisdie Siegesgöttin, ans deren Gesdiiehte ieh Urnen
daa Wiehtig^te enSUen wiU.
I
W&hrend die meisten anderen Gottheiten, bevor sie kfinstlerische Ge-
staltung fanden, eine lange Vorgeschichte in Reli|^n, Sage nnd Dichtong
hinter sich hatten, ist sie bei Nike rasch erzählt.
Das Epos gebraucht zwar den Ausdruck vix.i) als die gewöhnlichste Be-
zeichnung des Sieges; die Personilikation aber ist ihm fremd, so gut wie die
der Liebe. Schwerlich mit Recht püegt mau daraus zu schlielsen, dais sie
damals noch nicht geschalton war. Sie wnnelt wobl Tielmehr in einer der
ältesten Scbichten des Volksglaabens, die erst nenüeh Hemann Usenera Weck
Uber griecbisdke Göttemamen in bellerea Lieht gesteUt bat: in jener EpodM^
da jeder Klasse von bedentsameren Voxg^bigen, nnprlinglieh sogar jedem Snaelr
Vorgang sein eigener IMbnoo, aein Sonder- oder AngenbUcksgott ankam, dessen
Name irgendwie aus dem entsprechenden Begriffs wort gebildet wurde. Ein
ganzes Pantheon solcher Sondergötter waren clio bekannten Indigitamenta der
Römer, Ton denen als Beispiele Abeona nnd Adeona» die Sehntagaiater dea Ab»
F. Studniczka: Die Siegesgöttin.
379
und Zugangs, genannt seien. Zu dieser Gattung wird mit vielen anderen Per-
sonifikationen der griechischen Götterwelt auch die Siegesgöttin gehören.
Sie taucht denn auch zum erstenmale dort auf, wo sich der dunkle vor-
geschichtliche Dümonismus mit dem leuchtenden Olymp Homers ausgleicht und
verschmilzt: in der Theogonie Hesiods. Hier wird Nike mit einer Geschwister-
schar verwandter Wesen, mit Zelos dem Eifer, Kratos der Macht und Bia der
Gewalt, von ihrer Mutter Styx, der düstem Nymphe des Unterweltsflusses, dem
Zeus zugeführt, als wertvolle Bundesgenossin im Kampf um die Weltherrschaft
gegen das ältere Göttergeschlecht der Titanen. Diese durchsichtige Einkleidung
des Satzes, dals der Sieg den Allherrscher begleitet, ist — wenn wir von
ganz unbedeutenden Zügen späterer Uberlieferung absehen — alles, was der
Mythos von Nike zu berichten hat.
Aber während andere Personifikationen dieser Art des Gedankens Blasse
niemals überwanden, ist sie mit am frühesten in der Phantasie und Kunst der
Hellenen zu vollem körperlichen Dasein gelangt, gleich ihrem männlichen
Doppelganger Eros. Nur mit dem Unterschiede, dafs sich dieser Sondergott
einer gewaltigen Naturkraft frühzeitig, wenn auch nur an wenigen Orten, zu
einer grofsen Kultusgottheit ausgewachsen hatte, Nike dagegen erst spät und
m sehr beschränktem Mafse zu solcher Bedeutung gekommen ist, aufser wo
sie mit einer verwandten Kultgöttin verschmolzen wurde, wie in der attischen
Athena Nike.
Woher also hat sie ihre wunderbare Lebenskraft geschöpft? Die Antwort
giebt uns wieder Hesiod mit einer allegorischen Dichtung. Das Menschen-
leben beherrscht Eris, die Göttin des Streites, und zwar in doppelter Gestalt.
Die böse Eris reizt zu verderblichem Zank und Krieg, die gute aber eifert, an
den Wurzeln der Erde sitzend, selbst den trägen Mann an, durch Fleifs und
Tüchtigkeit den Wohlstand des Nachbars zu erreichen. So spricht der aber-
gläubische böotische Bauernpoet. Aber dasselbe meint schon der greise home-
rische Ritter, wenn er den Sohn in den Krieg entläfst mit der Mahnung:
'immer der Beste zu sein und sich auszuzeichnen vor andern.'
Dieser Wetteifer beherrscht das hellenische Leben, öflFentliches und privates,
in einem Malse, das selbst unsere konkurrenzsüchtige Zeit nicht erreicht
hat. Er gestaltet sich auf den verschiedensten Gebieten zum organisierten
Wettkampf, zum Agon. Nicht nur die Hunderte von Kantonen und Städten
messen in Krieg und Frieden ihre Kräfte. Auch die friedlichen Bürger wett-
eifern miteinander, am meisten um den Preis der körperlichen Kraft und Ge-
wandtheit in Gymnastik und Pferdesport sowie um den Vorzug der geistigen
Leistungen, namentlich in Dichtkunst und Musik. Und diese mannigfachen
Agone erhalten ihre religiöse Weihe, indem sie zum unentbehrlichen Bestand-
teile der höchsten Feste werden, die man Göttern und Verstorbenen feiert.
Der Erfolg aber in jedem solchen Wettstreit, auch im allerfriodlichsten , wird
als Sieg, als Nike bezeichnet. Schon Homer spricht von Wxij nicht blofs im
ernsten Wafl'engang und im gymnastischen Wettspiel, nein, auch in der Rede-
gewandtheit, der Klugheit, der Schönheit.
880
F. Stadnietka: Die SicffMgOttiii.
*
Und für jeden Sieg gebührt der Dank den ti<tttfni. Bein dauernder Aus-
drnck ist das Weihgeschenk, das, im Ueiligtuiu aufgesttillt, die Gottheit an den
frommen Sinn des Stifters, die lieben Mitbürger und Volksgenossen, Freund
und Feind, «n winen rfibmlkhen Eifolg erimiert. Eloldien Anathwnen «ine
sinnreiehe Form zu geben, ist ouie dor ersten, eine der wichtigsten Aufgaben
der grieduBclien Bildnerei. Sebr gebr&ndblicli w«r das Bild der QoMiiMt oder
das des Stiftern. Auch Andeatongen oder Darstellungen des glücklichen Ereig-
nisaefl werden von Anbeginn Tersucht. Aber allzugrofse Indiyidnalisienuig liegt
nicht in der Art der alteren griechischen Kunst; sie liebt es vielmehr, das
Wesentliphe in allgemcintjültiger Form, in einem Typus auszudrücken. Da
mufste dorm der Sieg nn sieh so recht ein Gegenstand imoh ihrem Herfen sein.
Ihn befriedigend zu verkürperu, hat sie sich schon mit den primitiven Aus-
drucksmittelu ihrer Kindheit eifrig bestrebt
n
Das Gesdiledit der Nikegestalt war dnrch die Sprache von Toniheretn
gegeben. Es ist einer Ton den anmutigen Zufallen, die eich wie eine Tor-
bedachte FQgung ausnehmen, dafs, was der Mann mit allen Krilfben eretrd^t«,
die Gestalt eines Weibes eribielt. Auch Attribute, mit denen Art und Wirken
der Götter äuTserlich gekennzeichnet wurde, lagen bereit in den Ehrenzeichen
der Siegor: Biindern, Zweigen, Kränzen. Aber solche konnten nicht sinsreichen,
um Nike von anderen weiblichen Wesen des Himmels und der Erde zu sondern;
die Gestillt .selbst mulste die Eigenart der Siegesgöttin ausdrücken als der
windschnellen Botin, welche in dem einen entscheidenden Augenblick die herr-
liche Gabe von den Olympiern herabbringt. Gelang dies, dann mochte man
sogar auf Attribute Tersiditen.
Verwandte Wesen standen sc&on vor den Augen der bomenschen Dichter;
so die Gfötterbotin Iris und die rasdi ereilenden TodeadSmonen, Keren und
Harpyien. Die ihnen eigene übematürlidie Geschwindigkeit anschaulich zn
machen, hatte die griechisohe Kunst ein Hauptmittel von der des Orients ent-
lehnt: die Anfügung von zwei oder auch vier mächtigen Vogelflügeln an den
Rücken, Es zeugt von gesundem Instinkt, dafs sie zn dieser semitischen')
T»fei I (Fig. l), nicht zur iigyptischen Anordnung gegrifl'en hat, welche die Flügel
mehr oder minder eng mit den Armen verbindet*) (Fig. 2), Denn diese geht
zwar aus richtiger naturwissenschaftlicher Erkenntnis der Identität beider Organe
hervor, aber sie fesselt die Motschengestalt an ihren wichtigsten Aktionswerk-
aengen, ein nutsloeee Opünr, da es doch nicht ausreichen kaim, dem kritisdiea
Verstände die HSgliehkeit solcher Wesen au&nbinden, der gläubigen Fhaii-
tauic aber ein bischen mehr oder woniger von empirischer ünml^lichkeit gar
nichts Terschlägt. Dieses orientalische Sjmbol gebrauchte der griecbiacbe
Archaismus mit besonderer Vorliebe, auch bei €N)ttheiten, welche die Itlaesische
>) Das Beispiel Fig. 1 nach Perrot, Mist, de l'art Ii 8. 603.
*) Die Abbilduiig nach Wilkinson^ Mannera and cnstoms III' 8. 107.
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P. Studniczka: Die SiegeagStiin.
881
Zeit nur flügellos kennt. So bei der schnellen Jagd- und Todesgöttin Artemis,
wofür ein Bronzerelief aus Olympia das beste Beispiel ist*) (Fig. 3). An ihm
wie an den später zu besprechenden Vasenmalereien (Fig. 5, 6) sieht man
auch die von nordsyrischen Vorbildern angeregte, aber erst bei den Griechen
ausgebildete Gestaltung der Flügel*): sie wachsen aus der Rückenflächo wag-
recht heraus, um dann nach oben und innen hakenförmig umzubiegen, eine
zwar naturwidrige, aber dekorativ wirksame Linie.
Dieses vom Orient übernommene äufserliche Symbol, 'die Hieroglyphe der
Schnelligkeit', wie Zoega gesagt hat'), genügte aber auf die Dauer der lebendigen
Anschauung des Hellenen nicht; er wollte auch den Zweck der Flügel, die
rasche Bewegung durch die Luft, anschaulich machen, was einem Orientalen
niemals in den Sinn gekommen ist.*)
Wie war das zu machen? Wir haben heute leicht sagen: man muüste
eben den fliegenden Menschen nach Analogie des fliegenden Vogels darstellen,
nachdem die Griechen uns das gelehrt haben. Aber wie langsam und mühsam
haben sie selbst es gelernt.
Da der vom Orient übernommene beflügelte Mensch offenbar mehr Mensch
als Vogel war und seine Flügel nicht zu gebrauchen wufste, stellte man sich
seine Bewegung durch die Luft zunächst auch nur als menschliches Gehen,
Laufen und Springen vor. So schildert die Uias und noch der Hymnos auf
Demeter die Iris, Tyrtaios den Boreas, Alkman den Eros.*) Die Bildneroi
konnte, um einigermafsen überzeugend zu wirken, nur die raschesten von diesen
Bewegungen gebrauchen; denn 'Geschwindigkeit ist die Seele des Fluges'. Aber
auch aus ihrem Verlauf einen relativ dauerhaften 'fruchtbaren Moment' heraus-
zugreifen und festzubannen, ist eine Aufgabe, deren Lösung erst in den Zeiten
der Vollendung ganz gelingt. Nach einer von Ernst Curtius begründeten An-
schauung hätte die frühgriechische Kunst den raschesten Lauf mittelst einer
Formel ausgedruckt, die wir nach ihrer Ähnlichkeit mit dem llalbknien das
Enielaufschema nennen. Sie entspricht aber, wie die Momentphotographic ge-
lehrt hat, vielmehr überraschend genau den Körperhaltungen vor dem Kul-
minationspunkte des einseitigen Sprunges') (Fig. 4), die immerhin Dauer genug
haben, um auch für das Auge wahrnehmbar zu sein. Ihre Übertragung auf
laufende Gestalten hat ihre Berechtigung darin, dafs solches Springen auch
im Laufe, namentlich auf unebenem Boden, oft Anwendung findet. W^erdeu
aber solche Figuren mit den Füfsen auf den Boden gesetzt, dann liegt nur eine
Katachrese vor, abgesehen natürlich von Fällen, in denen das jetzt zu sehr bei
') Die Abbildung nach Olympia, die ErgeboiBse IV Tf. 39.
•) Furtwingler in Roschers Lexik, d. Mythol. I S. 1758.
») ZoSga im Rhein. Museum VI (1888) S. 689.
*) Langbehn, Flügelgeatalten der ältesten griech. Kunst S. 39.
•) J. H. Voss, Mythologische Briefe I * S. 144 f. Kalkmann, Jahrb. d. d. arch. Instit. X
(1895) S. 67 f.
*) S. Reinach, Rev. arch. 1887 I S. 106 f. ders., Chroniquea d'Oriont 1883—1890 S. 331.
Unsere Fig. 4 nach den Momentbildem des Pbotographen Ottomar Anschütz in Berlin
(früher Lissa).
382
F. StadnieKl»: Dm StegetgOtti».
Seite geschobene wirkliche Knien oder Niederducken gemeint isi War aber
der *KaieIanf von Haua tau das Bild der einzigen eriahrnngsmäGsigen Hensehen-
bevegnng durch die hvSt, dann lag seine Überfcragang anf deren fibfflrnatflrlielie
Steigerung zu dauerndem Luftlaiif nodi Tiei nBlier. Das ftlteate geaiciharie Bei-
apiel hierfür ist der mit HiUfo seiner Flügelschuhe vor den Gorgonen (Fig» 6)
anareüaende Perseus, den genau so, wie wir auf Yasen (Fig. 6), ein Homeride
etwa in dnr zweiten TTalfte des siebenten Jahrhunderts auf dem Schilde des
Herakles sali, mit einem fassungslosen Staunen über solch ein Wunder der
Kunst, das nur einer neuen Schöpfung gegenüber reelit begreiflich ist.*)
Dies war das gegebene Schema, um auch das Wesen der Siegesgöttin an-
schaulich zu machen. Zwar in der alten Fl&chendekoration hat sie sich bisher,
wohl nnr anfällig^ nicht mit Oewilaheit nadiweiaen lassen. Aber dalllr haben
wir ana neueren Funden und ihrer sduurfeinnigen Deutung duroh mdnen
lieben Lehrer Engen Petersen nicht ohne Überraaehnng gelernt, dab und wie,
unserer Oöttin zu Liebe, der Jugendmut jener Zeit sic^h erktthnt hat, das
malerische Motiv in die ßnndpkiatik an ttbersetaen.')
ni
Nach einer in die Aristophanesscholien versprengten Notiz pergamenischer
Forscher war die älteste geflügelte Nike das Werk eines der frühesten Marmor-
hildhaner, des Chiers Archermos. Von den beiden Orten, an denen man Arbeiten
dieses Heisters kannte, Leaboa und Delos, liegt dieser alüieilige Festort des
ionischen Stammes hier entsdiieden am nBebsten. Und dort ist denn auch,
nadi Tcrbreiteter Übenengong, des Archermos Nike im Jahre 1879 Ton den
Franzosen wiedergefunden worden, in einer etwas weniger als lebensgrofsen,
««tein stark besdbädigten Marmorfigur') (Fig. 7, wo die am Gips angebrachten Er-
gänzungen durch helleren Ton kenntlich sind). £s ist eine Gnmdfrage f&r
uns, ob diese Kombination zu Recht besteht.
Sie schien urkundlich gesichert, so lange man glauben könnt«, dais die
Figur anf einer in der Nähe gefundenen fragmentierten Basisplatte gestanden
habe^ deren leider sehr verstümmelte Inschrift von drei Hexametern den Namen
jenea alten Meuters enthÜi Diese Annahme haben jedoch geaane Unter-
soehungen als unm(%lieh erwiesen*), was mir ein eigener, mit dem besten
>) Schild c1 TToralvl 215 (f., v^M. twMyA Spr+a Harteliana. Wien 1898, S. 74. Un8*'re
Gorgo Fig. 6 von der Fran9oi8va8e nach Wiener Vorlegebl. 1888 Tf. 4, der Peneus Fig. 6
von der Sohflnel am Aigin» (Berlin Nr. 1683} nach Arcb. Ztg. XL (1882) TT. 9. — Über den
'Koielaiir hat ohne Kenntnii der Beinaohadien Beobaehtong IMkmuB a. a. 0. (t. 8. Ml
Anm. 6) gehandelt. Vgl. G. Kf5rte, Jabrb. d d arrh. Inst XI fl896^ S 12 und etwat WM"
fÜhrlicher in meinem dernnftchst erscheinenden Aafgatze über Mjrons Ladas.
>) Petenen, lütt d. d. ueh. loat XI (1886) S. 37S ff.
■) Kavraffias, Fimnit coS <9w«oS fiowirt/o« I Hr. 91. CoUignon, Hiit. d. 1. seolpt. gr. I
8. 1S4 ff
*) B. Sauer, Mitt. d. d, arch. Inst. XVI (1891) S. 182 ff. Treu, Verhandl. d, 42 Philo-
logenven. in Wien IWS 8. M4 Ton den poritivea Aatwortea Inf die Frage, was deaa
nirUieh auf der Bani gestanden haben kOnne, aidieini mir die Sanenehe wabiaehei^lioher.
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F. Rtudniczlta: Dio RicgCBfftJttin.
383
Willen unternommener Versuch, beide Teile im Abgufs durch Er^nzung des
Fehlenden zu vereinigen, nur bestätigte. Die Plinthenform, wie sie an der
Statue mit höchster Wahrscheinlichkeit zu er^^nzen ist, pafst nicht zu dem
erhaltenen Teile der Plinthenbettung auf der Basis, und diese Bettung lag
wesentlich in der linken Hälfte, statt der Figur entsprechend in der Mitte der
Standfläche (vgl. Fig. 7).
Die Unzugehörigkeit der aufgefundenen Kflnstlerinschrift schlösse aber die
Gleichsetzung des Bildwerkes mit der Nike des Archermos nur in dem Falle
aus, dafs jene notwendig auf das einzige litterarisch bekannte Werk des Meisters
bezogen werden müfste. Aber dies ist nicht blofs unsicher, sogar recht un-
glaublich. Die erhaltenen Teile der Urkunde geben über die Art des Weih-
geschenks, zu dem sie gehörte, keinerlei Auskunft. Eine sichere Ergänzung
des Fehlenden aber ist schwerlich zu finden, bisher jedesfalls nicht gefunden.
Fast alle veröffentlichten Herstellungsversuche rechnen nämlich mit einem
Schwanken in der Beobachtung der Schriftregel, den Lautwert der Zeichen O
und Sl zu vertauschen, für das weder die wirklich sicher lesbaren Teile dieser
Inschrift, noch andere in demselben Alphabet aufgezeichnete Texte irgend einen
Anhalt geben.')
Fest steht nur das eine, dafs die besprochene Form der Basis zu keiner
archaischen Nike pafst: denn eine solche kann nicht wesentlich anders aus-
gesehen haben, als die eben nicht zugehörige delische Statue. Und damit
lenken wir schon in die positive Begründung der fraglichen Kombination ein.
Die Figur, nach ihrem Stile gewifs in der Zeit des Archermos entstanden,
tritt an die Spitze einer langen Reihe von gleichartigen Gestalten aus Marmor,
Thon und Bronze*), deren gemeinsamer Typus sich uns als lebenskräftiger Keim
') In Z. 1 ist %al&v ebenso mOf^^üch wie xa2(^, Z. S nach den Buchstabenresten
lit[Yäl]a>s sogar viel wahrscheinlicher wie MÜavof. Die Litieratur bei Hofifinann, Sylloge
epigr. gr. Nr. 289. Wahrend der Korrektur bemerke ich, dafs mir der Aufsatz von
E. Oardner, Classic. Review VII (1893) S. 140 f. entgangen war, der im Negativen mit
obiger Darlegung Obereinstinunt und zwei wenigstens paläographisch mögliche Ergänzungs-
vorschl&ge aufstellt, von denen aber keiner beansprucht, als endgültige Lösung zu gelten.
') Mir sind folgende Exemplare erinnerlich: Marmorstatuen: Deloa: I Nike des
Archermos. — II gröfseres und freieres Exemplar, beschrieben von Furtwängler Arch.
Ztg. XL (1882) S. 324. — Delphi: HI reifarchaisch, abgcb. Qaz. d. bcaux-arts II (1894) S. 449,
mit Kopf bei S. Reinach, Rupert, d. 1. stat. Or. II 1 S. 390, 7 (ein Buch, das mir zu spät
zukam, um ausgenützt werden zu können), wohl identisch mit der Figur, die HomoUe, Bull,
de corr. hell. XX (1896) S. 652 f. als Akroter für den ApoUontempcl in Anspruch nimmt. —
Akropolis von Athen (chronologisch geordnet): lY Mitt d. arch. Inst. Athen XI (1886)
Tf. 11 B. — V. VI abgeb. bei Sophulis, 'EtfmifQ. &gxaiol 1888 S. 89 ff. und V hier Fig. 8. —
Vn (?) 8. Reinach, a. a. 0. 8. 890, 6 (nach Pavlovskis russischem Werke 'Die att. Plastik
vor den Perserkriegen' Fig. 62). — VIH Statuette erwfthnt Mitt. a. a. 0. S. 384 Anm. 1, wo
Petersen m. E. mit Unrecht an der Zugehörigkeit zu unserem Typus zweifelt. — IX Mitt.
a. a. 0. Tf. 11 C, hier Fig. 10. — X— XII drei 'Gewandfüfse', Mitt. XVI (1891) S. 183 f., von
Sauer D — F genannt. Ist es ausgeschlossen, dafs diese Stücke zu den unten unvollständigen
Statuetten V— Vm gehören? — Terrakotta: Olympia, die Ergebnisse m Tf. 8, 3, Text Ol
8. 40, nach anderen von Treu als Akroter, wie es Vasen darstellen, erklärt. — Bronze-
384
F. Stndni«sln: Die Siegesgöttin.
des klassischen Nikebildes erweisen wird. Hiermit ist ja freilich seine Verwendung
auch für andere Wesen in der mit wenigem haushaltenden archaischen Kunst
nicht ausgeschlossen. Aber wer soll darin so häufig dargestellt worden sein?
Gewiis nicht Artemis \), (knn sie jagt auf der Erde, nicht durch die Luft, und
kann dabei umuöglieh ihr 8ehiei'sgerät entbehien. Iris wiederum tspieli in der
Ennit eine gar zu geringe RoUe und ftthrt meistoiB den Heroldisteb. üiuere
Froren aber entisehrlen, nach den erlialtenen Hlnden sn scbliefBen, so gut wie
■amtlidi der Attribiite')^ ein deutliehee Zeichen, dafe ihre nonnale Bedeutung
allein durch das eigenartige Bewegungsmotiv verständlicb aueg^drfickt war;
auch dies in Obereinstimmung mit der Xil^o des Paionios. An den alten Feet-
und Spielorten, wo sie gefunden sind, Delos, Delphi, Olympia und der Akro-
polis von Athen, war fQr Weihebilder der Siegesgöttin damals schon ebenso
vielfältiger Änlafs wie später. Denn dais ihie ursprüngliche Bedeutung auf
irgend eine besondere Art des Sieges, etwa blofs auf den dureh Körperhraft
gewonnenen, beschränkt gewesen sei, ist luil Unrecht behauptet worden, im
Widerq^c^ au dem Mher erwihnten, ganz allgemeinMi Oebranahe dea
Wortes, das in Nike Henediengeitalt empfangen hat Und die andere Yei^
Wendung, weldhe Dantellungen von Bauwerloen auf Vasen beaeugen und aueh
für ein oder das andere erhaltene Exemplar, am meist«i ffir die olympische
Terrakotte, wahrscheinlich machen, trifft wieder zusammen mit der Sitte der
Blütezeit, diese Begleiterin und Dienerin der grolsen Qdtter als Firstschmuck
auf ihre Tempel zu setzen.
Die Typenge^chichte also spricht ganz entschieden für die Identität otler
wenigstens die engste Verwandtschaft der Statue von Delos mit der Nike des
Archermos. Und dem ist, nach unserem bisherigen Wissen, auch iki- besonderer
StOehaxakter nicht en^egen. Zwar findm sich unleugbare Beaidiungen nt den
Werken der kretisch-peloponnesiBdmi DaidaUdenj so gleicht die Faltoibehand-
lung und Geaiehtsbildung in weseniliehen Zflgen den Überresten des Bersr
kolosses in Olympia, den unter anderem seine am linken Ohr noch kenntliche
Haartracht den kretischen Statuen von Eleuthexna und Tegea ganz nahe rückt.')
Aber diese Daidalidenkunst war die gemeinsame Mutter der peloponnesischen
wie der ionischen Schulen, und die Bichtung der letztgenannten auf reichere
figürchen: Akropciia: I— IX, alle abgeb. bei de Bidder, Catal d hronz. aat. s. l'acrop.
d*At1i. Nr. 809. 806—808. 810—814 (nur di« tieh«r nun Typus gebürigen Stfleke «ittd an-
geführt v I.oruhn: XI erwähnt Mitt. a. a. 0. 1886 S. 873. — Paris, Louvre: XII abgeb. Col-
lection Eu^^ I'iut i>-i>o Nr. 41 und S. Beinscb ft. a. 0. S.»99^b. — KoHmihe: XII Schomachar,
Bescbr. d. ant. Bronzen Nr. 930.
') Die froher der bidei^er Bmaotte mid neoUdi noeb Robert etkeaasa «dlte, Hemsi
XXV (1800) S. 449. An Im daebten Bmi», IL Hayer, Boacbtts Lenken d. MyVboL U
8. 368 und andere.
') Nur bei der Broozefigur XI der Liste ä. 3BS Aam. 2 seigt die Photographie ein Loch
in d«r eihobenea r. Hand.
•) Olympia, du- Ergt'buisg«' IH Tf. 1, Text III S. 4, wo die Faltesstacko mifsvcrBtaiidea
sind. Die kretischen Werke: Löwy, Rcndiconti d. accad. d. Lincci VTT (1891) S. 602, besser
B^rard, BuU. de corr. heU. XIV (1890) Tf. 11 und Joobin, Eeyue arch^oL XXI (1898) Tl U.
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F. Studniczka: Die Siegesgöttin.
385
und frischere Auffassung der Einzelformen, wie sie sich am reifsten in den
Werken ausprägt , welche die Kunstweiae von Archermos' Söhnen veranschau-
hchen dürften, kündigt sich in der delischen Nike schon vernehmlich an.*)
Nach alledem ist sie entweder das Werk des alten Meisters selbst oder —
seine Doppelgüngerin, eine Möglichkeit, die in unserem Znsammenhang unbedenk-
Üch bei Seite gelassen werden darf.
Diese kritischen Vorbemerkungen, deren Ausführlichkeit die fundamentale
Bedeutung der Frage entschuldigen mag, vorausgeschickt, wenden wir uns end-
lich der genaueren Betrachtung des Kunstwerks zu, wie es Fig. 7 mit Hilfe T»f«i u
besser erhaltener Exemplare der Reihe (z. B. Fig. 9 10) im Gipsabgufs
wiederhergestellt zeigt.*) An Stelle des nur aus technischer Bequemlichkeit
gewählten Pfeilers sollte wohl eine Säule (mit ionischem Kapitell) als Basis
dienen, dercngleichen Archermos auf der Burg von Athen verwendet hat.')
Hinzuzudenken ist noch die lebhafte Bemalung aller archaischen Marmor-
skulptur, von der sich noch Spuren erhalten haben.*)
Ich weifs, es ist keine Schönheit, diese älteste Nike, so grofse Mühe
sie sich auch giebt, ihrem glückbringenden Amte gemäfs 'recht freundlich'
dreinzuschauen, so zierlich sie sich frisiert, mit Diadem und Collier heraus-
geputzt hat. Ungeschickt hampeln Arme und Beine durch die Luft. In dem
alten Sprungmotiv eilt sie am Beschauer vorbei, statt auf ihn zuzukommen;
nur der Rumpf und Kopf sind unvermittelt nach vorn gedreht, der letztere
mit einer leisen und doch belebenden Wendung im Sinne der Bewegung. Aber
sobald wir das Werk im Rahmen der sonstigen Rundplastik seiner Zeit be-
trachten und es mit ihren richtigen Bildsäulen vergleichen, die noch starrer
dastehen, als die Artemis in dem früher herangezogenen Relief (Taf. 1 3), dann
erscheint es als eine Leistung von bewundernswerter Kühnheit des Gedankens
wie der Technik. Ein stark bewegtes Motiv, das an die Flächenkunst ge-
bunden scheint, weil es eine wie immer primitive Darstellung des die Gestalt
vom Boden trennenden Raumes erfordert, steht in leibhafter Körperlichkeit vor
uns. Die Füfse berühren den Boden nicht, die Göttin schwingt sich wirklich
durch die Luft, deren Widerstand das Kleid bis ans Knie hinauftreibt. Nur
das Gewand stellte, zwischen den Beinen herabhangend, den materiellen Zu-
sammenhang mit der Plinthe her.
Diese Lösung eines anscheinend unlösbaren Problems ist umaiv, gewifs;
') Winter, Mitt, d. d. arch. Inst. Athen XHI (1888) S. 123 ff. gegen Brunn; vgl. jetzt
des letzteren Gr. Konstgesch. II S. 90 ff.
*) Die Ergänzungsstilckc des oberen Teils sind aus der Werkstatt des Albertinums in
Dresden (Treu, oben S. 382 .\nm 4 ), die des unteren von dem Gipsformer des Archäologischen
Institut« der Universität Leipzig geformt. Die Schuhe statt der von Treu angenommenen
blofsen Füfse werden durch den am rechten Fufs erhaltenen Flügel nach der Analogie der
Kleinbronzen sowie anderer archaischer Werke gefordert.
') 'EtftiUfQ. iQxaiol. 1886 S. 134 und 1888 S. 74; Corpus inscr. Attic. IV S. 181, vgl.
Petersen (oben S. 38*2 Anm. 2) 8. 389. — Zur Form unseres Pfeilers vgl. Jahrb. d. d. arch.
Inst, m (1888) S. 271 f. (Bomnann).
«) B. Oräf, Mitt. d. d. arch. Inst. Athen XIV (1889) S. 319.
886
F. Stadniosl»: Die SMgMgOttiii.
aber es Ut dieselbe geniale Nairelfti, mit der Ootombui das Si mni Strien
Imehte. Sie bai da onbewiiAi ein Samenkocn gepflsu^ aus dem dAreinai die
httriidiste Fmeht erwaehsm sollte.
IV
Welchen Beifall die Erfindung den Archermos bei den Zeitgenossen und
den folgenden Geschlechiern geerntet hatf zeigt die lauge, etwa ein Jahrhundert
ausfüllende Beihe der bereits angeführten Wiedorholongen des Typus. An ihr
UefiM flieh treinioh naehweisen, wie der grieohisoihe Arduusmoa zwar daa £r-
worbMie festhilt, gleieh d«r orientaliseheii Knust, vie er aber, von ihr aehr
verschieden, in gedald%er, nnermfldlidiflar Arbeit daraa wiitersdiafft, so dbla
die Wiederholung kein Erstarren, nur stetigen Fortsehritt bedeutet. Ich mnfii
mich hier mit drei Beispielen begnügen,
vnfii n Ein kleiner Marmortorso der Äkropolis^") (Fig. 8), den Söhnen des Archermos
untTpfnhr gleichzeitig, zeigt die Gewanrhing nicht allein zu reicherem, wenn auch
noch schematischem Qefalt eutwicktlt, sondern in ganz anderem Mafae wie
von Archermos für den Ausdruck der stürmiseheu Bewegung verwertet. Die
linke ELand packte vor dem ScboCa, wo sie einen Bruch hinterlassen, den Peplo%
ond von der entspredienden Sohnlter herabhängend weht s«n Übersddag hefüg
sorliek, ein rakanftreicher Gedanke des begabten Metsters, der aoeh das offiene
Hsar nach l^iften rar Seite flattern Iftlit
In diesem Punkte viel zahmer, anch die eckige Harte der Bewegungen
mildemd, Territ eines von den danmenhohen Aronnefigürchen') (Fig. d) einen
anderen bedeutungsvollen Fortachritt der Auffassung. Dif leblose, wagrechte
Haltung der Flügel ist einer erhobenen fjewichen: die Kunat fängt an, sich be-
wiifst zu werden, daSa Schwingen geschwungen werden müssen, wenn man
fliegen will.
Im weiteren Verlaufe dieses Lebendigwerdens der Flügel ei^b sich daa
BedBxflnis nach ein«r Veranseliaiiliehmig ihrer Qelenke; an die Btelle des ans
der H&dienkunst ttbemomm«ieii FestUeb«is am Rltckea tritt ein fireiea HcvanS"
springea ans der Schnlterbkttgegend. So ist das leblose orientaUsehe Symbol
som bewegUohen Oi^an geworden. Zugleich weicht anch die archaische Haken-
Ibrm ganz einer natürlichem Bildung. Dafs man sich im übrigen aneh jetat
um Anatomie und Physiologie der geflügelten Menschengestalt sowie um den
Schnitt ihrer Kleider keine Sorgen machte, kann uns nur nh ein neues Zeichen
gesunden künstlerischen Sinnes gelton, der daa. was im Glauben lebt, ohne viel
Grübelns als wirklich hinnimmt. Auf diesem Standpunkt ist die jüngste und form-
ToUendetste von den archaischen Marmorniken der Akropolis'), etwa aus der
Zeit der Perserkriege, angelangt (Fig. 10). Ihre nur in Bmehstttoken erhaltenen
*) Nr. V dor Liste oben S. 883 Anm. 2; vgl. den Text von Sophulis.
*) Xr HÖH bei de Riddcr, vgl. oben 8. 888 f. Anm. S; die Abbüdnag naoh Mitt. d. d.
weh. Inst. Athen XI (1886) Tf. 11 c.
*) Oben 8. 988 Anu. S Nr. IX, die Abbildung nach der Taftl Fetenent, aw die beUen
Teile, wie notwendig, botHkhÜiek weiter anseineadeigerildct.
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F. Stndnciltt: Die «egMgOttiit.
887
bunten Schwingen waren in den RQckeu eingezapft, und zwar gesenkt, nicht
gehoben, wie bei der Bronze. Die Rechte grifl" wieder vor «lern Schofs ins
Gewand. Der Kopf trat hier endlich aus der alten starren Yorderaiuiicht
lianiM, fireilidi nicht «ben mmgenriU^ nach Ausgangspunkte der Be-
wegung hingewandt Dm arehusehe SprnngBcihenia iit hier noch weiter sa
mabroUem Lanfichritt gemildert womit imlieh «axk vkl Ton der natTen Dber-
lengongskraft jener nrqirtinglichen Form verloren geht. Der Künstler empfindet,
dafs sich mit so heftiger Aktion der Beine die eben erst entdeckte der Flügel
schlecht vertragt; aber er versucht es noch mit einem Kompromifs zwischen
beiden, statt, sie!! vor i r Überlieferung befreiend, die ganze Bewegung aus
dem neuen Mutiv heraus neu zn gestalten.
Damit war die Lebensfähigkeit des von Archermos geschaffenen Typus zu
Ende. Die Frühzeit überdauert hat er, wie so manche Archaische, nur noch
in tektonifldier Yerwendnng za konatgewerMiehea Zwecken. Dies lehrt der
hflbeche Griflhaattli etnee Bronseepiegek, den neolieh das Berliner Antiquariom
'moB Griedmdand' erworbm hat, wohl ein Werk der Blflteaeit im fünflan
Jahrhundert (Fig. 11): Nike, in der Linken ein Toilettekästchen am Bügel
hwbeitragend, also, gemäfs dem Zweck eines Spiegelsi im Dienate weiblidier
Sdidnheit, wie auf i^ehaeitigen Vaaen.^)
V
Zngleidi mit dem Freiheitdoimpfe gegen die SsUidie Weltmacht sog Aber
Hellas jener iraTergleichlidie^ stfirmische und sonnige Frühling herauf, der die
Kunst zum erstenmal aus den Banden fconTentionellen Formelwesens, in dem
alle ^Barbaren' stecken geblieben waren, auf die Höhe freier Menschlichkeit
emporführte. Er hat das orientalische Flügelsyml^ol mancher Ge-^tnlt, wie der
Artemis, für immer abgestreift. Auch die Schwingen der Siemes goitin blieben
nicht unangetastet, wie zum Beispiel ein inschriftlich beglauijigtes Mönzbild
vuu Terina »icher lehrt^j, weshalb kein Grund ist, anzuzweifeln, dais auch
ein grofser Bildhaner der Übergangszeit, jSakmis, Nike flügellos gebildet hat
Doch sokhen Badikalismos Überwand die ÜBst eingewnnelte, weil nieht orienta-
lische, sondern eehlbihiig hellenisdie Vorstellong TOn GotUieiten, welche die
Schwingen wirklich gebrauchten, um ihren Dienst sn Tcniehten. Wohl aber
wurde die alte Aufgabe im Sinne der neuen Zeit ganz von vom angefiüU; natür-
lich wieder unter Führung der FUchenktinst Die fehlenden monnmentalen
Zeugnisse hierfür ersetzen uns Münzen und Vasen.
Als Mttnzgeprage findet sich die fjottm wiederum zuerst im griec^hischen
Osten, dann namentlich bei einigen Weststaaten, die zu den grolsen National-
*) Berliner Aatiqnarina, BfOBMSiavfliitar Nr. 8619. Für die Erlaubnis zar Publikation
bin ich Herrn Geheimni Eekiile TOD Sfaradooits, (Kr die Photographie Hern Dr. £. Penuoe
ni Danke verpflichtet.
») Gardner, TjpM of Gr. coins Tf. l, 23,
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388
F. StndnieskA: Die Sieger^gOttin.
festen in engen Beziehungen standen: in Eüs and groisliellenisclien Städten
Den äUestoii Typus hBlteii naeh Bewegung und Flflgelliildung auch noeb im
Tkitt m fünften Jahrhnnd^ die Münzen von Uallos in Kilikien hat (Fig. 12), ^rahiend
flieh die von Elia (Fig. 13) nngefiUir der auletEt besprochenen HarmonMae
(Ta£ n 10) an die Seite atellen. Ganz ähnlich erscheint Nike aach auf dem
älteren Ton zwei ausgewählten Bei^elen der langen Reihe sieiUscher Stftckey
wo sie auf ein siegreiches Gespann zueilt, nm es in bekränzen (Fig. 14).
Auf dem jüngeren dagegen (Fig. 15) tritt uns ein ganz neues Bild entgegen,
das, um es kurz zu si^n, das Flfigeln^cheii wie einen fliegenden ^ogd
darstellt.
Was hat dazu geführt? Nichts als eine schärfere, lebendigere Auffassung
des Problems. Der geflügelte Mensch hat nur so lange seine Beine nach
Menschenart zu gebrauchen, als er sie auf festen Boden setzt. Sobald er sich
mit HiUe der Fltlgel durch die Lufb bewegt oder in der Schwebe lAlt, mnb
auch sein mraischlicher Leib sich dem des fliegenden oder schwebenden Vogels
möglichst entsprechend Terhalten. Was aber thut der Vogel nach unseren Be>
grifEen? Er schwimmt in der Luft, ind«n tat die Schwingen mfßmx^ ala
VÜlschirm und als Ruder gebraucht. Der fliegende Mensch mnls also dem
schwimmenden gleich sehen. Nur dürfen wir dabei nicht an nnsere heftigen
Schwinunscbultempi denken, sondern eher an die Ruhelage, die sie unterbricht,
oder besser noch an die behaglich leichten Bewegungen, mit denen der vollendete
Schwimmer sein Gleichgewicht bewa^irt - i Wie genau das Nikefii^ürehen der
Münze dieser Forderung entspricht, lehn sein Vergleich mit der ISchwijnmerin
in dem Damenbade, das in der Werkstatt des attischen Töpfers Andokides etwa
zur Zeit der Peisistratideu auf eine Amphora gemalt wurde') (Fig. 16).
Diese «itscheidende Übertragung hat begreiflicherweise froher bei un-
bekleideten Luftschwimmem, bei Eros und Shnlichen Flügelknaben statIgefimdeD.
Soldie stellt in dem neuen, nur noch sehr steif geceichneten Sdiema bereits
eine kyrenSisdie Schale mit schwarzen FSgoren dar, die nidit vid jflnger ala
die Hitte des sedisten Jahrhunderts sein dürfte^) (Fig. 17). Doch das ist, wie
so manches andere in der Vasenmalerei der Battosstadt, nichts als eine Ent-
lehnung aus den Stötten ostionischer Kunst, die, als rechte Erbin der mjke-
niadien, swar an formaler, 'geometrtsdier' Zucht weit hinter der des Mutter-
*) Nach den gmmdlegeBden Arbeiten hahoof-BIvin«» vgi flir miMre Zwecke tt/bmn
8. 392 ff s oben S. 382 AlUD. 2). IMs Utoaten Stücke sind jetzt wohl Catal. of Gr. comi Brit.
Mus. Mysia Tf. 4, 7; 9. — Unaere Abbildunppn 12 — 1. 5 sind entlehnt aus Gardner, Trp*«t
of Gr. coins Tf. 4, 30; 8, 14; 2, 10; 2, 36. V gl. Six, Mitt. d. d. arch. Iiut. XHl (1888; S. Ib'^.
*) Klar »iMge*proc1ien finde ieh diesen Qedaaken nvr in des Phyiiologen 8. Einer Vor»
trag 'Die Hijaiologie des Fliegens und Schwebens in den bildcndt n Künaten', Wien 168S,
der mir erst nach AbschlufB infiner Arbeit zuganplich wurde. Vgl. Kalkmann S. 57 f. (oImb
8. S81 Anm. 5), auch Petersen S. 3S»6 (oben S. 382 Anm. 2) und Six (vorige Anm.).
*) Abgeb. nach Schreiber, Kaltnrhistor. Bilderatlaa Tf. 67, 6. Das gaue Oeflft bei
Korkon, Ameiie. Jonn. of Andneologj XI (189S) 6.
<) Bnll. de ooir. heH XVH (IBM) 8. SS8. .
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F. Stiidmcika: Die Bie^iresgOtthi.
389
landes zurück ))l»M'l)t, ihr dagegen in frühreifer Kühnheit des Beobachtens auch
der flüehtigston Erscheinungen, nuinenthch im Bereiche des Maleri>*chen, damals
wie zumeist voranschreitet. Am Dache des grol'^artig )»iUlerreiehen Sarkophags
Ton Klazomeuai im British Museum seli\vel)t jedem von den W agenlenkern ein
solcher Genios voran, abwechselnd iu dem alten Knieschema und der neuen,
hmr sdum mit gms aadtrer Frkdie «rfiftbten Sdnrimiidialtung') (Fig. 18).
Dm wur ohne Zweifei die konaequenteete LSming der Aufgabe, und sie
Uieb stete fiblich^ wenn Eros oä» Nike als kleinere, »llenfislls mit Vögdn
Teri^eichbare Nebenfigorm Aber griSIseren Gestalten anznbringeii waren. Wo
ne dagegen als Haaptgegenstande oder aus anderen GrOnden der Bodenlinie
nahe rücken, da wird die Schwimmlage mifsverstandlich'), und gebieteriscb
drängt wich die Forderung auf, dafs auch die geflügelte Menschengestalt über
ihr Verhältnis zum Erdboden keinen Zweifel lasse, dafs sie sich der aufrechten
Haltung, die doch emTnal zu ihrer Natur und Würde gehört, wieder nähere.
Und zu diesem Zwecke brauchten die niaf^gehenden Naturvorbilder gar nicht
▼erlassen zu werden: für die vom Himmel zur Erde herahschw« biiiiden Uott^ r
bot sich die Analogie des Vogels, der aus dem Flug, des Alenscheii, der vom
Sehwimmen in den Stand ttbergehi So ergab sich eine mehr oder weniger
vorgeneigte Haltung mit aorficksdiwing^den Ffifsen, deren leichte DiTecgens
auf die Toransgehmden Sehwimmbewegongen anrfick, anf das bcTorstehende
Besehreiten des festoi Bod«is voranswiea. Die versdbdeden«! Stadien des Über-
gangB Ton der Schwimmlage zu dem &8t lotrechten Sehweben veranschaulichen
am besten die vier ihre Herrin timflattemden Eroten auf einer Schale des
Töpfers Hieron (Fig. 10), die der Fund einer sehr ähnlichen Darstellung im
sogenannten Perserschutte der Akropolis in die Zeit kurz vor 480 verwei:^t.'')
In dieser und der unmittelbar anschliefsenden Periode taucht endlich auch
Nike und zwar gleich als ein Lieblingsgegenstand in dem bisheri^rrn Vorrat
attischer Vasenmalereien auf, nur noch vereinzelt in dem absterbenut n bch(.'mu
des Luftlaufs*), gewöhnlich in dem neueu Motiv. Zu deu ültetiteu Belegen für
das letatere gehört diese nodi streng und ^waa unbeholfen stilisierte Gestalt»
(Fig. 20), welche, die Schale Aber einen Altar aosgieJsend, in der andern
Hand das Thymiaterion, eine Art Leuchter für das Weihranchopfer, herbeibringt.
In der freien, wenn andi noch etwas herben Anmut der beginnenden Blflteaett
aber schwebt die OSttin anf einer anderen Vase (Flg. 21) m einem Dreifofs,
■) Unziay, TeRacette Ssfcopha^i, Gr. and Etr. in the Brii Hos. TT. 1. Ober den ioniachen
EUdtnfii auf die kynaUidiea Taiea s. jetst dai tchttne Buch von BOhlaa« Aus ion. «ad
ital. Nelrrop , S 121 if., wo jedoch dieses schon von Purh^toin erkaiute Veriiilteit SUU
Kachteil de« peioponnesischen Einflusses allzueinseiti^ betont wird.
Als Beispiel diene Lenorniant u. de Witte, £litc c^ramogr. I Tf. 98.
*} Abgeb. nach Wiener T«tI«gebL A TT. ft. Tgl. Jahrbuefa d. d. atch. hnt. II (1887)
8. 164 Anm. 135.
*) So bei P fJardner, Catal of fir. vaf?p« in the Aabmolcan Muaeum (Oxford) Tf. 25
Nr. 266. Für den älteren Bestand sei ein für alie Mal auf die beiden Üoktorschiifteu
'Niks in der TaaeniBalerei* wn Eaapp und Kteierit^ venriesen.
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390
F. StadnicdA: Di« 8i«e«igMlui.
dem Preis eines Sieges mit dem Dithjramboscliore, hernieder, um ihn mit der
Haie m tehrnftdEMi.^)
NichtB aadereB als diese Nengeataltang ilurei Fluges wird gemeint sein,
wenn die ißeiehe Quelle, die wn dem Werke des Ardiennoe Kunde gieb^
einen nunliellMi Ibkr eue der Zeit des ilterai VasenbildeSy AglopJum, den
Yeter des grofsen Poljgnotos von Thasos, neben jenem Bildhauer als den
xweiten 'Erfinder' der geflflgelten Nike bezeichnet^ Es wer in der Haaptseche
das letete Wort der Fliehenkanst aber dieses Tfaona.
VI
Aber nun gelt es wieder, das auf der Fläche geschaffene in die Bond-
plastik zu übertragen, die auf eine solchermafsen im Volksleben festgewrirzelt«
Gestalt schlechterdings nicht mehr verzichten konnte' Und wie viel plastischer
war diese geworden, seit sie nicht mehr in flächeiüiafter Halhing an dem Be-
schauer vorbei eilen mufste, sondern in runder Geschiosseniieit auf ihn zu-
schweben konnte. Dennoch war die alte Schwierigkeit geblieben, und diese mit
bewuXBtem Emst nach Vollendung i iugende 2^it versuchte sich an ihr zunächst
mit anderen, strengeren Mitteln, ab sie in dem seheinbar abgebranditen, naiTen
Ennsl^riff des Chioten anerkennen modite.
Zun Wesen der Statne gehört, dafii ne steht, also den Boden mit den
Fttlsen berfihrt. Wer dieser Foidernng treu bleiben wollte^ der mnfirte sidi
begnfigen, von dem neuen Sehwebemotiv nur den An&ngs- oder Endpunkt
darzustellen: wie die FüTse vom Boden abstofsen oder ihn wieder berühren.
Das letztere, dem Erdenbewohner näher liegende, wurde unseres Wissens
anerst ver«iicLt..
Im ivunaervatorenpaUste zu Rom steht seit einigen Jahren die altertüm-
lich schwerfällige Marmorstatue von der Hand eines peioponm-Msi hi n Meisters
w«! lY aus der Zeit der Perserkriege') (Fig. 22). Die Flügel, nach den erhalteneu
Ansätzen noch in der alten Weise aus einem Block mit der Figur gehauen und
^erngsmUs wenig herauaspringend, kennieidman sie ab Nike. Ab^ die Haltung
ihres auf beiden Eufsspitzen emporgereekten Kftipers entsprieht hSehstena einem
Heniohen, der eben ans mSlsiger Höhe heral^esprungMi isiy und dab wir wiric^
lidi so verstehen sollen, deuten nur die Hände an, indem sie den Übersehlag
des sdiwtren dorischen Wdlenpcplos am Saume fassen, damit ihn der Luft^
sog nicht zu hoch emportreibe. Woher sie kommt, verraten eben nur die
Bewingen. Und das bessern auch nicht die formal reiferen (Gestaltungen, die
in römisehen Kopien vor nne stehen, wie in dieser Exzstatnette aus Hercn-
*) EÜg. 17 von der Täte Britith Hutemn Nr. E 518 des neuen Katalogs, nach Lenormant-
de Witte, £ute de uoMim. ednunogr. I Tf. 98. Fig. 18 ebendaher Tf. 98, das QeflUii eiaat
bei Pourtal^ß.
*) Six a. a. O. (oben S. SdS Anm. 1) S. 168 f.
*) Helbtg, Ffllmr d. d. lOm. Antikeniemml. I Kr. 689. üater Zink aadi Braaa-Bnnk-
ntaitn, Denkm. gr.-rOni. Skelpi Nr. 888.
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F. Stadtticik»: 0ie Bii^MlBttiii.
891
luienm^) (Fig. 23), deren Deatm^ EinistzIScher fitr die Elflgel Bichani. Die
Welttugcl, auf der ne etebt, kran, wie inr nodi aehen wwden, xaski dem
gnefthiiritBii Urbild aagdiOrt hftben.
Wie viel lebendiger wirkt ee, wenn die Odttin den Boden nur mit einer
Folsspitze betritt, und das schon an den alten springenden NikeD Torgebildete
Zurückflattem des Qewandes die Lebhaftigkeit der Bewegung veranschaulicht.
So sehen wir sie in der hübschen Bronzefignr aus FoH«nml>rone in Cassel*)
(Fig. 26 27), wieder einer römischen Arbeit, die in allen Hauptformen, namentlich
der strengen Körperhaltung und Kopf bildung, auf einen Typus der grofsen Zeit
im fünften Jahrhundert zurückweist. Doch aucii hier sähe der uubefangeue
Bück nidili iIb einen kuiany tingelndem iMhebacilttf wenn nidit wieder die
Srdkugel den Boden abgibe.
Dem Zide nÜher mfiaeen die Nikebilder gekoaunen sein, welehe FheidiM^
wenigrtene in der Art dieeer Yerbiadattg an srchaiiehe Vori^ütiger enknfipfend,
seinen beiden erhaibenen Tempelstatuen aus Gold und Elfenbein, der Athena
Parthenos und dem olympischen Zeus, gleich einem Edelfaiken auf die rechte
Hand setzte. Von diesen beiden Werken ist nur die Athena durch statuarische
Nachbildungen genauer bekannt, und eine unter ihnen hat auch die Nike erhalten;
leider gerade eine der kleinsten und künstleriach minderwertigsten, die meterhohe
Marzaonigur vom Varvakion in Atimu i^i^ig. 24.j, aus der uur dem geschultesten
Auge ein Sehettoi TOn der Gr5Iiw dee Yorbildee entgegentritt Wae tine am
meietMi befremdet, ist die gegensündlidi gens nnmotiTierte Slide, weldbe dmr
Torgeetreckten Bend das Gewiekt dar im Original etark lebeoegroleen Fignr ab-
nahm, ▼ielleicht in Erinnerung dar hoben Pfeiler, auf denen wir uns schon die
archaisdien SiegeegÖttinnen aufgestellt denken (Taf. II 7). Aber ea darf dabei
nicht vergessen werden, dafs der technische Notbehelf zugleich einen unent-
behrlichen ästhetischer) Diennt leistet, indem er, als Gegenstück des Schildes
mit der bclilange, das im architektonischen Rahmen der Parthenonhalle doppelt
unerläfsliche (iieichgewicht der Massen herstellt.*) Da» stumpf gearbeitete
Xikepüppchen selbst (Fig. 25), an dem auXaer dem Kopf auch ein Ansat/.ätück
des rechten Flügels feÜt, hielt in beiden Händen einea feetonartig herab-
heiqpnden Kiaiia oder eine ttnde. Um dieeea Ekreneeidien den nnten eteheor
den Sebfltdingen der Herrin an bringen, will eie sieb eben, mit vorgelebtem
') A^l.'pV' nach Photoffraphie Allnaris; vpl FrieJerichs ■'Wolt<-rH, Olpua^j^nttt; N'r 17&4.
*) Piiuler, Führer durch das Mtueom Fhdehcianum in Cauel 1891 B. 20 f. Nach fr«xind-
liehar IDtteUung roa Johannes BAhlaa, don ich auch die Lichtbilder ▼erdMÜra, kann die
jeirt vothaiidflM Kngal ans peUsrtaa 9Amwam 'Menior' nodenM Btgkaaoag lein, daaa
aber eioe richtige, da ein vom linken FuCm dorcb die Kug*-! hindurch^^liünder aatiker
Bronzedübel kaum zu einer andern Form der ursprünglichen Humib passen wurde
Kavradia«, Uvma xo^ ie>. fiov«. I Nr. 129; CoUignon, Hiat. d. L scalpt. Gr. I 8. 640 ff.,
«0 die littoratw. Ffbr die Nefewendigkaii üar Shde «gL \mmkn IL Luge, IGtl. d. d.
arch Inst. VT i^<-^! , S 71 ff — nach Brunn - Bructmann, Denkm Nr 39. Fi/ 25
nach Zeichnung Da* Nikehgürcheu ist jetzt, wie mich Bolle belehrt, befreit von dem
angeblichen lan^^eu Krau«, den die ültoren AbbUdongen und der GifMal^fuCi zeigen, weil
«r tick eis ein elBalos tagektebter — fSager henaefeiteUt bat
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F. Stndniotka: Die Biegeagdttin.
Oberleib und leicht gcbogfrifn Knion. den linken Fiifs ein wenig voran, in ihr
Element hinablassen. Fheidias hat also den Anfang^tpunkt des Niederscbwebeiu
gewählt und hu das Wesen der lIinimelnbotin am besten ausgedrückt.
Damit waren die Möglichkeiteti streng statuarischer Durchführung der
Aufgabe erschöpft. Von Urnen allen gilt mehr oder weniger, dals sie hinter
d«ni Emdrad^ der DanteUiiDgen auf der Ffiche weit corfieUtleifaeti. Jede Be-
rflhrung der Füfse mit dem Erdboden rieht den fibematOrlielien Vorgang
wieder herab in den Ejreis des menBcUichen Springena und Lanfiens, Dia
Niederschweben von hohem Standort aber entgeht dieann Fehler nnr dann,
wenn jener durch einen Zusammenhang, wie ihn die Götterbilder des Pheidias
darboten, als Heimstatt der Göttin beaeichnet iat. Für sich allein kann selbst
der Sehoitel der höchHten Säule einer edion weniger anepmohslosen Pliantaaie
nicht den ülyinp })edeut< n wollen.
Die Theorie von den Grenzen der Künste wird daraus ganz richtig schliefsen,
das Problem sei für die Kunüplastik überhaupt unlösbar. Aber des Lebens
goldener Baum trägt immer wieder Früchte, die aller Theorie Hohn sprechen
und dennoch recht behalten durch die zwingende Ejraft ihrer Lebendi^eit.
vn
Um das Jahr 480 Ch. stdlten die Tertriebenen Heaeenier im Vereine
mit ihrer zweiten Heimat Nanpaktoa den Zehnten von der Eriegabente, die m
als Bundeagmoasen Athraa im eraten Teil dM peloponneaiachen Kriegea er-
kämi^ hatten, in Geatalt einer Marmomike von der Hand des Paionioa in
Olympia auf. Es war ein köstliches Weihnaehtsgeachenk für unsere Forscher,
die vor mehr als zwanzig Jahren im Namen des jungen, sieggekrönten Beidm
in der Altis den Spaten eingesetzt hatten, als dieses Meisterwerk wieder an«
Licht emporstieg. Traurig zerschlagen freilich ist es auf uns geknnnncii
T«w V (Fig. 29 31). Aber langjähriges Zusammenwirken von Bildhauern und Gelehrten,
unter denen Grüttner mul Treu besonders dankbar zu nennen sind, ergab eine
in allen Hauptpunkten gesicherte liekonstruktiou, der üchliefslich noch emt
von Amelung entdeckte, freie Nachbildung des Kopfes aus römischer Zeit daa
am Original fehlende Geaicht hinaaf>e (Fig. 28). Die einatige Anfiteliimg
▼eranaehanlieht daa kleine Oipamodell^) (Fig. 30).
Seibat gegen awei Meter meaaend, atand aie anf einem achlanken Marmor'
pfeiler Ton gegen nenn Meter Hdhe. Seme ungewöhnliche, dreieddge Form
liefs ihn dem Auge meistens nur als eine weifse, schattenlose Fläche, nicht ab
Körper erscheinen. So auf das wirksamste über den Wald der übrigen Weih-
g^chenke emporgehoben und auf diese Ansiclit meisterlich berechnet, schien
diese Xike in Wahrheit vom Himmel herniederauschweben, in göttlicher Ruhe und
äicherheit^ und doch ein Bild des die Lüfke sausend durchschneidenden FlageS|
>) Treu, Olympia, Text Ol S. 182 ff. Zur Inachrift, Dittenberger-Purgold, Olympia V
Nr. 259. Unsere Abbildungen: Fig. 2» u. 31 uach Ol. Text III S. 184 f., 30 nach Ol. Tafelb. lH
Tf. 48, Fig. S6 meh Photographie d«t ratannertea Otpiea im Albertbum ta DnsdA.
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F. Stndmeska: Di« 8i«gMgMtm.
393
TOT deasMi LebcnafOlle jedw Zwwfel ▼erstommi Die Fittige sind ungleich
«lioben, aiieh der Körpor sieht etwas edurS^ wie oft bei dem Vogel, der nach
einom beetimmtBn Ziele hinabeteneri Bure Arbeit bef5rdert der weite HenteV
indem er sich^ Ton beiden Händen festgehalten, wie ein mächtiges Segel rück-
wirla tind auff^rts bläht, um, gleich einem FallBchirm, die Wucht der Be-
we^mg wohlthuend zu hemmen. G^egen diesen ruhigen, einst purpurnen Hinter-
grund peitscht der Wind die Faltenmaasen des Chitons mit dem gegürteten
Überhang, so dai's aus ihrer Lmraiimuag die jugend kräftige (Jeatalt in voller
Plastik heraustritt. Von dem stürmischen Flattern hat sich die Spange anf
der linken Schulter gelöst uud aus einem Schlitz des Kleides tritt das liuke Bein
hwor, gani firei in die Luft hinaimdiriitend, nur mittela einer unanffSUigen,
einat gewib durch Farbe gleichsam aosgelfisditm SUttae an der Plinihe be*
festigt Doch anch der snrQekschwingende rechte Ftils mht auf keinem {inisn
Boden, nor rflckwirls haftet «r an einem Zwisehenatfick, das die Gewandmassen
mit der Standplatte verbindet; nnd dieses bildet in der Haoptsadie ein fliegen*
der Adler, dessen Kopf links deutlich hervortritt. Der wesensverwandten Göttin
im Finge begegnend, schiefst der Bote des Zeus unter ihren Fflfsen hindurch,
wie ein kleines Segelboot vor dem Bug dp'* stolzen Dreimast<?r3 vorbeifliegt.
Mag auch die Theorie den Bildhauer tadeln, der sich erkühnte, sein
schweres Marmorgebilde so zu sagen an den blaueu Himmel hinzumaieu; mag
andi eine scharfe Betrachtang der Einseiformen etwas von der nnabertreff-
lichen Klarheit nnd Feinheit attischer Knnst Dennissen — immer bleibt die
Nike des Paionios ein Heisterwerk Tcm Gottes Gnaden, in der himmebtOrmenden
Ktihnheit der Erfindung^ in der Virtnositit der Technik.
Kein Wunder, dafis die Hesseniar nnd Naupaklier auch dem Apoll in
Delphi nichts anderes darbringen mochten, als eine Wiederholung ihres olym-
pischen Weihgeschenkes, von der bisher leidor nur das gans charaktoristisohe
Postament aufgefunden ist.')
Aber auch vorher hatte Paionios denselben Auftrag in etwas anderer
Fassung auszuführen gehabt. In der Künstleriuschrifl unserer Niku rühmt er
sich) derselbe zu sein, Mer auch beim Anfertigen der Akroterien für den
Tempel den Preis erhielt*. Und das Hai^tstftck unter diesen Akroterien, das
ist dem plastischen Firstschmnck des Zenstempels, war nichts anderes als die
Bronaenike auf dem Seheitel des hinter dem Messenierweihgesehank empor-
fsgandm Os^iebels. Der Gmnd, weshalb Paionios diese gerade hier als sain
Eigentum reklamierte, kann nnr engste Verwandtschaft beider Werke gewesen
sein, die das spätere von dem früheren abhängig erscheinen Hefs. Der Künstler
hatte also seine verwegene Komposition erst in Erzguls versucht, bevor er sie
in den spröden, aber den gerade für sie unschätzbaren Vorteil der BemaluDg
darbiebeuden Marmor zu übersetzen wagte.
So freudig wir nun auch dieseu Autorstok begreifen, so wenig dürfen wir
nns der Au^^be eulneheD, rttekbliekend fsstmateUen, wie Ttel selbst ein solches
» »
Pomtow, Neue Jalubflclier l PhiloL u. FIdag. Ojn {tm) 8. 577 ff.
»fM^akibUh«: INS. L U
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304
P. Btndiiiesk»: Die 8i8g«^«tliB.
Werk, das au» dem visionären Schauen eines glücklichen Augenblicks ^boren
seheint, der Tradition zu Terdanken hat
Anlberlidi nmSdiat gemahni diese Nike auf ihrem sehLuilcni Pfeiler
«a die der Athena Parthenos, die fhataAehlieh auch auf hoher Statnanle
mhte. ]>cMsh wird, nach d«m firSh^ Dargd^jieii, das nnmitlelbare Voorbild
dieser Aufstellung der ß;Ieichen Herkunft gewesen sein, wie der techniidie
Grundgedanke der Komposition selbst. Die schwebende Gestalt wesentlich nur
mit dem Gewand auf die Basis zu stellen, das ist ja gar nichts anderes, als
die alte, dem kindlichen Gemüto des Archrrmos entsprungcip Lösung (Taf. II).
An seiner Nike (F\^. 7) findet sich überdies schon der auscirucksvolle Zug des
entblöfsten Beins, au ihrer besten reifarchaischen Tochter (Fig. 8) der noch
bedeutsamere des im Rflcken wehenden Gewandes vorgebildet Ja selbst die
Übertragung jenes alten Grondgedankens auf das neue, Ton der Ualerei ge-
schafliuie Schwebemotiv hattm vor Paionioa aohon iltere HiniiOflHldBer an-
gebahDi, wie diw» wueheinhare und Ubel sngeriehtete Fignr auf der Inael
Mbi VI Faros lehrt ^) (Fig. 32 33), eine Vorlauferin des späteren Meisterwerkes auch
in der Faltonbehandlung, die ganz anders darauf ausgeht, die Hauptformen d^
Körpers zu zeigen, als etwa die schlichte 'olympische', das heifst peloponnesische
Art der Statue im Konservatorenpfi laste (Taf. IV 22^ Einen Gewandstil aber,
der dem dea Paiouios ganz nahe kommt und dazu jene» Hiiiiiiliaben des Mantels
als Segel sowie jenes Einschieben eines geeigneten Tieres unter die Menschen-
gestalt, als Andeutung des Elements, auf dem sie sich flbematttrlich bewegt
— das alles findet sidi au einer Reüie wohl etwas JOkei» Sknlpturen wieder,
an den Nereidm von dem nadi ihnen als Nereidenmonument besaidmeten
Grabmal in Xanthos (Fig. 34 36), welche Aber Delphinen oder SeanSTon auf
den Wogenlummen hinhusshea.') So war alles schon dt^wesen, nur nicht
das Ganze in seiner unvergleichlichen Herrlichkeit und ergreifenden Wahrheit
Es ist gewifs kein Zufall, dafs sich diese Ahnenreihe der olympischen
Nike, soweit nur unser Wissen reicht, gan?, ans Knnstleistungen des ost-
ionischeu Stammes zusammensetzt, dem, so gut ^^ le Archerraos von Cbinn
der klazomenische Sarkophagmaler, Agiophon von iiiasos und der unbekannte
Parier, auch Paiouios als Biuget des ionischen Städtchens Mende in Thrakien
angehörte. Die dargelegte Entwiekelung des vtm "Brno» ans malerisebeii
I^blems diNT fliegmden MenschengestsU, sie erweist sich als ein echtes Blatt
aas der Geirtesgesehichte dieses kecken, gmialen Väklnns, dem Tendier wie
nachher der freieste Flug der Phantasie und die entschiedenste, durch Namen
wie Polygaotos, Ptorrhasios, Apelles glansvoU erwiesene Begabung fttr dss
Malerische eigen war.
'ji Die Seitenansicht nach Löwj in d. Arch.-epigr. Mittcii. a. üHterr. XI 8.
die Vorderusieht naeh Photographie geMietmet. Das Yerhlltnii dieiei Wsrksi sn d«D
Skulpturen des olympucben Zeusteinpels bat m. E. falsch beartaüt Fnitwlagler in da
Arch. Studien, H. Brunn dargebracht S. 79 ff.
*) Abgeb. nach Mouutu. d. inst. arch. X T/. II, Zur Deutung vgl. Kalkmaan a. a 0.
(8. m Anm. 5) 8. 6? Ann. Sl.
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F. StndniMk»: Die ««gv^gOttb.
395
vni
Der weitere Verlauf dieser Eiitwickelung bietet geringeres Interesse. Sind
doch die zahlreichen fliegenden oder schwebenden Kiken nr.d Victorien späterer
Perioden nur mehr oder weniger geglückte Nachbildongeu, Modifikationen, auch
Kretmingen dessen, was wir das fünfte Jahrhundert leisten sahen, vor anderem
der klassischen ächöpfuDgeu des Pheidias und noch viel mehr des Paionios. Das
ir«i0y WM (He spatere Zeit binsutbut, ist nur in einem Punkt erheblich. Sie
txbM und seigt, an den achwebenden, wie an tansendoi und aooBt lebhaft
bewegten Gestalten, die natnigenüUbe 'diagonale ABaocistion' der Bewegungen
beider ExfaremilitttiiNuure: dab nlmlicli beim AoBaebreiteii dea link«i Fnliwfl
der rechte Ann Torw&rtegdit und umgekehrt; eine adidnbare Verdrehong^
welche dem Streben der älteren Kunst nach relie&iäfsig klarem Auseinander-
legen der Körperteile widerapradb und deshalb meist beseitigt wnrde^), ohne ihr
freilich ganz unbekannt zu sein, wie unter anderem die Schwimmerin des Ando-
kidea verrat*) (Taf. III 16). So stellt Nike, um nur das Bedeutendste zu nennen,
der stattliche Torso von Megara'), der pergamenische Gigantenfries*) (Fig. 37) TM. tu
und die hübsche Bronzefigur aus Pompeji*) dar (Fig. 36j. Dieser unleugbare
Fortschritt in der Naturwahrheit der menschlichen Bewegung scheint mir aber
ein zweifelhafter Gewinn für unsere göttliche Luftschwimmerin. Denn was
beim menecUiehen Sdiwimmen die Ame^ das besorgen bei ihr die Hflgel,
ud wer ihre Anne eo an der Bewegimg der Beine Teil nehmen latat^ der aer-
ftSrt den Eindroek des tidiereo, vog^lartigeiL Sehwebeni, welchen der IUi<mios-
tjpu gerade dnroh die Rohe der Körperhaltung wo ToUkommen enreidit
Zu Obertrumpfen war er nur auf einem Wege: indem man mit dem
Sehweben vollen Emst machte und die Flügelfigur — aufhängte, wozu eine Oie
am RQcken der pompeianischen Statuette gedient hat. Auch andere Bronzen,
namentlich aber Terracotten, Niken und Eroten, f?ind so verwendet worden.
Damit ist die von Paionios mit kimstreicher List so wohl gewahrte materielle
Standfestigkeit des Rundbilder preisgegeben, auf die doch unser Gefühl nur
dort beruhigt verzichtet, wo es sich einem tektonischen Ilaiigi werk einfügt, wie
nm Beispiel unsere Lustreweibchen. Aber diese Stilwidrigkeit wird man sich
bei 10 leidhtwiegenden CMHldoi ala harmlosen dekiratiT«! SdianK gerne ge-
&]len lassen. Bei groften Statuen dagegen mnls sie als brutale Clesdmmck-
leei^it wirken, weleho dahin gehört, wo sie die Per gamener terfibten: bei
einer Festrorttellung im Theater lieJiwn sie eine goldene Nike herabsehweben,
dsfa sie den bhitigen Sultan Hithradates bekrime.*}
') Ich bekeniifi, dH TenUndiüa dieser Bache «nt dmeh Marej, Le Mottvemeiit, Farif
18*4 S. 167 Anm. gewonnen zu haben.
*) Vgl aach sp&tere Bilder des ächwimmens, z. B. Baumeiitar, Denkmäler I S. 640,
n s. «es.
^ Fttigold, MHtefl. d. d. «reh. hui VI (1881) Tf. 10 11, 8. ST6 ff.
*) Abbildung nach Rayet, Monum. de l'art ant. IT Tf. 62.
Fricd^nrh<i Wolter«, QipsabgOMe lir. 1166. Das Original steht auf einer Kogel, die
aber modenib Zuiuat tat.
*) Flutaieh, SoUa 11.
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f: Stndnieska: Die SiegesgöttiB.
Künatleriscli ivnc-h nicht erfreulich ist eine weitere hellenistische Neuerung;
das Aufstelleu der Schwebenden auf dem ülobus, dem Sinnbilde der Welt-
macht, die uns als römische Kopistenzuthat zu älteren Typen bereits öfter
vorgekonuncu ist (^Tai. 23 27): ein ochteü Stück 'alexandriiüsch' gelehrter,
totor Symbolik, daa beim Worte genammm ai» dnr GSfttin eiwM wie ebe
GauklertB m«chi^)
IX
Doch wenn auch das Werk dns Paionios einen Endpunkt in der auf
steigenden Entwickelung unserer Idealgestalt bedeutet: zu £nde ist sie damit
noch lange nicht.
Ich habe schon erwähnt, dafs die Übergangszeit vom Archaismus xar
freien Kunst den Gebrauch des orientalischen Flügelattributs wesentlich ein-
sehränkte. Sehen wir ab von den Imeht kenntlichen DSmonen der Unterwelt^
dann bleiben ala oft daigesfcellte QotÜheiten dieser Art nur diejenigen fibrig^
die ArietophaneB in den V^ehi aueammenetellt: Eroa, Nike und Iris, nnd da
die Götterbotin hinter der Siegeeg5ttin sehr Knrficktritt, ist Nike so ziemlich
das Flügelmaddien schlechthin geworden. Als aolchcs r hrn nchte sie nicht
mehr immer zu fliegen, um kenntlich zu sein; auch nicht biols loicht nuf den
Zehen hinzutänzeln, wir- sie besonders archaisierende Werke, zum Beispiel die
T»f»> viu Kitharodenreliei's darsteiltn *) (Fig. nein, sie durfte fest die Erde betreten
gleich Hudcren Göttern, und damit begann für sie ein neues, mannigfiadtigeü
Leben und Wirken.
Betraehien wir vanScbst, wie sie in göttlidier Bube dem Thun der
v«M IX ]f ensehmi «laielit, die nach ilur streben. So steht im FarllienonfirieB (Fig. 39)
Nike — nicht Iria*) — dienstbereit im Qefblge ihres höchsten Oebiebers, von
ihm, gemäfs den Forderungen der ganaen Komposition, nur durch Hera getrennt^
und blickt dem Panathenäenzug entgegen, in den Händen einst, wie drinneu
am Tempelbilde, Kranz oder Binde bereit haltend für die mit herankommenden
Sieger in den Agonen des Festes. Der fein jugendliche, lieblich ernste Kopf
mit dem hochaufgenoniraenen Haarbund (Fig. 40) ist ihr erst durch die jüngsten
Ausgi'äbungen auf der Burg wiedergegeben.
Bei den grolaen Wettspielen, wdohe die Göttin Tage lang in Atem hielten,
mu&te sie sich awisehendurdi auch ein wenig Ruhe gönnen und sich nieder-
lassen. Li kSstUdi frischer Auffiusung aeigt daa ein noch etwas atrrages Vasen-
bild mit roten Figuren (Fig. 43), wo sie mit Hilfe ihrer Flttgel auf hohem Pftiler
Plata genommen hal^ um von dort in lässig bequemer, nachdenklicher Bialtbng
') DuH früheste Beispiel scheint das nur durch arg verballhornte Zeichnung bekaunte
Werk dt'H Nikcratos iu Pcrgamon gewesen r.u sein: LSwy, Inm-hr ^r. Bildh Nr 4j6, vgl
Furtwängler, Bekehr. «I. (jesclmitt. Steine im Äiiiiquarium i^Berlin; Nr. 2616, und dazu Bulle«
Alt. Nike in Roichen Lesik. d. Mythol. (nocb nieht enebieoen).
*; Nach Schreiber, Hellenist. Reliefbilder Tf. 35, Berliner Skulpt Nr 921.
*i Die alte Deutung hat gut verteidigt Overbeck (Ir-Mh d st Plastik I* S. 444. Fig 39
aus lioscbers Lexik, d. Mjthol II S. 348, Fig. 40 nach Amenc. Jauru. of Arcbaeol. V (1889) Tf. 2.
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F. Stndnieskat Di« 81«fre(ifrBttiii.
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«•inem Ringkampf zuzusehen.^) Auf dem Erdboden oder auf Stufen sitzend
stellen sie in vollendeter Schönheit Münzen von Terina und Elis dar ( Flu;. 41 42),
doch wokl im Auschluls au .statuariaclie Typen, derengleichen ^chun dem
Fliubr TondiwelMii dürften, venu er den Siegw in Nike« Seliofe &]len fibi*)
Aber im allgemeinen geht ihr Ruhe wider die Natur, me liebt ee Tielmehr,
bewe^eb nnd bebende eelbet mit Hand ansaleg», GSUem and Heneohen
freundlich ihre Dienste su leihen. Sie steigt ab Roseelenkerin auf ihre Wagen,
um sie zum Kampfe, zum Rennsieg oder tarn Triumphzugo zu geleiten. Sie
reicht dem Krieger die Waöen, dem Mtisiker sein Instrument. Besonders gern
aber greift sie zu bei den feierlichen IlantUungen naeh dem Siecre. Schon früher
sahen wir sie anf Vasen hernie<l"rsrhweben , um ein Trankopfer zu vollziehen
oder einen PreisdreifuiW zu Hchinütk(!n (Taf ITT 20 21). Oft befalst sie sich
mit der Errichtung eines Tropaions, jenes Kreuzpfahlcs, an dem die Waffen-
rflttimg des Feinde« befestigt wurde, wie er sie im Leben trag (Fig. 45). Hier t«m x
trinlrt eie Tor dem dionysisehen Dreilbfe som letgetenmale d«k Opferetier
(Fig. 46); dort hat sie dem i^fieklidh nun Vater heimgekehrten Kriegsmaon
den Wein zum Willkommgrufs eingeschenkt (Fig. 44). Denselben Dienst leistet
aie auf jenen Kitharodenreliefs (Taf. IX) dem Apollon als göttlichem Urbild
aller Sieger in seiner Kunst, wie sie denn frflhzeitig an Hebes Stelle zur Götter-
mnndsohenkin schlechtweg erhoben wurde. Selbst dem Dienste des rühmlich
Gesciuedenen versagt sich die menschenfreundliche Göttin nicht (Fig. 47):
leise herantretend legt sie ihre Kränze an den Stufen seines Grabmals nieder.^)
X
Diese Uebenswflrdig^ GesehEflagkeit ist nun andi der Boden geworden, in
dem «in nener Oedanke Wortel fiiJbte nnd herrliche Bifiten trieb: die Vidheit
der Siegesgöttinnen. Zwar dOrfte, wie wir eingangs Ton üsener gelernt haben,
schon der uralte Volksglaube jedem einzelnen Siege seine besondere Augen-
blicksgöttin zugeschrieben haben. Aber die theologische Systematik Hesiods
hatte die Vorstellung der einen dauernden Sondergöttin an die Stelle gesetzt.
Und wenn die arehaische Kunst mehrere Niken nebeneinander stellte, wozu ihre
Verwendung aln Firstschmuek Anlafs ge})()ten haben kann, dann wird dan nur als
VVltiderboluüg der einen Gestalt verstaudeu worden sein, lu wirklich lebeudigür
Mdirzahl, zamSchst paarweise^ finden wir sie erst auf Yasen nnd Bdie& poly-
gnotiseh-pheidiasiseher Zeii*) Ihnen folgt sogleich das Slteste Beispiel einer
') Nach F. Gardner, Catal. of Gr. vases in the Asiunolean Museum, Oxford, Tf. 14
*) Die MfinzbUder Fig. 41 4S sind aus P. Gardner, Tjpes of Gr. coins Tf. S, 4; 6, 13
nprodmiert Vgl. Kalkmaaii, Bonner Stadien, R. Kekuld gewidmet, 8. SB ff.; Finder,
Isthm. 1, 26, Nem 6, 42.
*) Fig. Ab nach Lenormant de Witte, £lite c(lramogr. I Tf. 96. — Fig. 46 von der
Vase in Manchen Nr. 386 nach ReiKh, Gr. Weihgesch. S. 69. — Fig. 44 Yase Bnt. Mus.
E ST« nadk Geibard, Annri. gr. Yaseab. II Tf. 160. — Fig. 47 UkjÜm am Eretria ia
Oifbrd, Joura. of Hell ^ti:(1. XV (m^) Tf 15.
*) Vasen z. B. Brit. Mus. Nr. £ 460 46»; Reliefs Friederichs -Wolters, GipsabgüMe
Nr. 11&4 1185.
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F. atodaiesk»: Die Sk^MgOttiiL
grölseren Menge: am Throue des olympischen Zeus. Die vier Thronbeine um-
gaben unten, wo an die beiden inneren Seiten eines jeden die bemalten
Schranken ukeetElen^), je zwei, oben jedodi ringsum je vier Nilnn, im Beigen-
liftDie b^riAm, aho gewilk nieht mehr in hiofo dekonttver Yerrielfitltigang
gedaohi Und dieser unbegrenzten flehar bemichtigl eich alsbald die tätige
Beweglichkeit, welche dexn Einwlwesen langst eigen war. Ihren khtssischen Aua-
dmek erhielt dieee Vonteilung an der Balustrade dea Tempels der Äthena Nike.
Rechts vor dem perikleiHclien Prachtthor zur Akropolis tritt dem Heran-
kommenden eine wohlgefügte turmartige Bastion, der Pyrgos entgegen. Auf
ihm wurde doch wob] nach dem Propyläenbau, in der frUheren Zeit des pelo-
poimeaischeii Krieges, das zierliche ioniaeho Tempelchen der Athena Nike erbaut.*)
Kultuarücksichten werden es gewesen sein, welche den Architdden swangeu, die
Kapelle Imrt an den Abatots des Pyrgos keraazarfleken. Dennodi eniBchkfii
man mth erst spater, Termatlich aadi einem der groÜmi Erfolge des peloponnesi-
sohen ^eges, den gefibrliehen Fkia emnifrMdeo. Alle drei Seiten des Pyrgos
umfafste eine Brustwehr aus meterhohen Marmorplatten^ nach aulsen mit pracht»
vollem Hochrelief geschmflckt. Auf jeder Seite saia die Tempelgöfcfciny der Er-
richtung von Trophäen und der Darbringung von Siegesopfern znschanend.
Diesen Gottesdienst aber verrichteten nicht Mäuuer und Frauen von Athen,
sondern eine entzückende Schar beschwingter, geschmeidiger Mädchengeatalteo,
deren Schönheit eine raffinierte Meiat^^rschaft der Gewandbehandlung mehr ver-
vielfachte als verhüllte. Von den Trümmern dieser Herrlichkeit seien Ihnen nur
sutf IC einige HaaptsMcke doroh Abbildangen') ins GedSehtnis gerufen (Fig. 48 — 51).
Die gpnse Platte aeigt links eine Nike, die iieh mit dem ToigesetBten Falke
gegen eine Bodenerhebnng stemmt, mn an der Leine die dnrciigebende Opfer^
koh zurückzuhalten, vor der die andere erschreckt zurückwmdit. Dann folgen
swei mit erhobenen Händen an Trophäen beschäftigte und endlich die reiiendate
von allen, die in geschmeidiger Balance schwebend die Sandale vom erhobenen
Fufsc M'M; sie wenigstens tragt ihre Flügel nicht ohne Nutzen.
beibst au3 diesen Bruchstücken lacht uns noch eine verschwenderisch aus-
gebreitete, fast kokette Schönheit entgegen, von der wir begreifeu, dafs sie in
mehr als einer Hinsicht für die .Nikedarstelluugeu der Folgezeit den Ton an-
gegebm hai Znniehst waren die Bdnttndenreliefii, «a «nem der beror-
mgtesten Ptttn der ersten KonststStte Oriechflnlsads tot aller Angen ge-
stsUt, eine nnersebSpfliehe Fondgmbe von KmdlongBmotiven. Dann aber
>) E. Oardner, Jounial ef HdlflD. rtnd. XIV (1894) 8. «SS ft Robert, MarallHMueUadit B. 9».
*) Die von Kawadias, 'Ecpr]fitQ. ti^j'^toloy. 1897, Tf 11 S 143 ff. herausgegebene IcAchrift
lehrt allerding«, dafs der Bau schon in der früheren Zeit des Periklee bcschloBsen, nicht
aber, dafs er damals ausgeführt wurde. Die Gründe für spätere Entstehong dargelegt von
Wollen, Booti«- Stediea, It. KtknU gvwidmefc, 8. 9S ff; vgl. Paehstein, Ion. CapiteU 8. 14ffl,
Fnrtwangler, Meisterwerke S. 207 ff
») Nach Kektild, Die Balustrade der Athena Nike Tf lA, 3B, 4M0 Vgl. Collignon.
Hisi d. L sculpt. gr. II 8. 104 tf., wo jedoch die wichtige Untersuchung von Peteraen aach-
nfatgen ist: Zeitschr. l d. ttatenr. Ojmn. XXXU (1881) 8. S61.
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F. Studniczka: Die äiegesgOttin.
399
wieieii sie den Weg zu der dnsigeii Nenemsgy welche die Zeit des Praxiteles
«n ihrer Charakteristik nocli vorzunehmen fand: die Verkörperung des Tiel-
begehrten Sieges wird derjenigen Gottheit angenähert, die das begehn t s ^ t rte
Weib als solches darstellt, der Aphrodite, schliefslich auch in der halben oder
ganzen Entblöfsung. Als ansprtichsloHor Beleg für beides diene eine Qnippo
vorn Relief della Valle in Müni-hen ( Kig. ^2), eins von den '/.ahlreichen Ikn-
spieieu der stioropfemden Nike, deren Motiv auch schon auf der Balustrade
vorgebildet war.^;
XI
Emr 1- ülle von Niketvpen enthalten die Münzen vom vierten Jahrhundert
abwärts, namentlich die der Feldherren Alexanders des (Jrofsen, die sein un-
ermefslicheB Reich iu die verschiedenen hellenistischen Herrschaften zerrissen
haben. Durch nichts wird die Grofse des unb^eiflichen Helden — an der
la nSkeln eine beschämende Mode nnserer Tage ist — so lant yerkfindely wie
durch die Zahl der ehrgeizigen, maehirollen PersSnlidikeiten, die, unter sdner
Ffihnu^ m einheitliofaem Zusammrawirken gebindigt, über seinem frflhen
flnibe sich aufeinander stOnten in titanisdiem Bingen, als deMen Preis dem
Sieger mit berückendem Glänze das Königsdiadem winkte. Und diese dämonisdi
gewaltige Zeit hat uns denn unter ihren vielen Gestaltungen der heifsbegehrten
(rottin eine hinterlassen, die zwar auch an vorher Dagewesenes anknüp% aber
dennoch in ihrer Weise alles Dagewesene überstrahlt und übertont.
Im Norden des griechischen Meeres, nahe dem thrakischen Gestade, liegt
die rauhe Felsinsel Samothrake. Ihre ganze geschichtliche Bedeutung beruhte
auf dem Mjsterienkultus der Kabiren. Dieser erreichte seinen Höhepunkt, als
sich ihm das Herrschergeschlecht des benachbarten Makedonenlandes zuwandte:
FhÜippoe und Oljmptas sowie beider Sohn Alexander. Auch seine Nachfolger,
. wie Lysimaehos Ton Thrakien und die ägyptischen Ftolemäer, wetteiferten
durch stattliche Neubauten und andere Dienste um die Ounst der groleen
Gdtler. Dieses bedeutsame Heiligtum wurde in den siebenxiger Jahren durch
österreichische Ausgrabungen wissenschaftlich erschlossen. Aber das grSürte
Kunstwerk, das dort die £rde barg, war bereits seit 1864 nach dem Loum
snsgeflogen.
Die ursprünglich gegen drei Meter hohe Marmorstatne wurde aus stark
über hundert Fragmenten und Ansatzstücken soweit zusammengefügt, wie sie
unsere Abbildungen zeigen*) (Fig. 53 54)^ nur die linke Brust und Schulter- T»f«»i xi
partie bis zur Mitte des Halsansatzes und der rechte Flügel sind aus Gips
binsugef>. Auch das groDsartige Postament, dessen erste Entdeckung ein
sdiSaes Verdienst der Österreicher ist, lieft sich &st gana wieder insammen-
') Abbildung nach Keknlt' a. a. 0. S 27
*) Fig. 63 nach grofiier Photographie von Braun in Domach, ö4 nach derselben Photo-
gnpU«, die dar Zink ia d«n Calslogne wmunaire von H^ron de Villefoeie sn Nr. 18M
viedergiebt. Der Herr Yetfteeer hatte die Güte, mir diesLs Blatt zur Terfilgung x«
■teilen, da« auch meiner Übeneagnag von dem richÜgsten Staodpiuikie für die fiebnubtung
U& o&chsteu kommt.
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400
F. Stuclnicsüca: Die Siegesgöttin.
bauen. So ngt> immer noch mSditig argreifend, das Siegeedenbnal auf seinem
Ehrenplätze, dem Treppenabsatz des Escalier Dam, empor, imstreitig der
stolzeste Besitz der französischen Antikensammlongen.
Hit leichtem und doch wie stürmischem Schritte tritt das schlanke
Riesenmadchen heraus an den vordersten Rand des Schlachtschiffes, auf dem
sie über die Wogen dahinfahrt, um ulier Welt den Sieg der Flotte zu ver-
künden. Der fröhliche Seewind wühlt in dem weidien (ietieder ihrer Schwingen,
in den Falten des Mantels und des durehsclieinenden Chitons. Aber die
Draperie bildet hier nicht mehr, wie an der Paioniosnike, blofa den Hinter-
grund, die Folie für die Gestalt: das Gewand ist ein lebendiges Wesen für sich
geworden, das mit verediiedMiartig bedingten, unendlich mannigfidtigen Be-
wegungen die jugendlicli miijestStiachen Eöiperformeoi bald begleitet, bald
durcbkrenai
Diesen Gewandatil hat uns Benndorfii ver^idiende Betraditung') Ter>
stehen gelehrt als die letzte, reifste Frucht der eigentlich hellenischen Ent-
wiekelung, man darf wohl sagen: als Analogon zur Körperbildung Ljsipps, wie
er sich denn auch, wenigstens in einem schwachen Abglanz, an der kleinen
Nachbildung der Antiochia seines Schülers Eutvehidpi* wiederfindet. Der Ver-
gleich dieser naturfrischen Formen mit dem üigantcnfriea von Pergamon')
(Taf. VII 36), der trotz all seinem barocken Überraafs auch in üie^em Punkte
deutlich an ältere, ^klassische' Kunst anknüpft, kann den Beundorfschen Zeit-
ansatz nur bestätigen. Und wenn er richtig ist, dami verdient auch die schöne
Kombination ToUe Beachtung, durdi die derselbe Foracher dem herrlichea
Werke seinen Plata in der Geschichte nodi genauer ansnweisen Tersudit bat
Den glSosendsten Seeneg der ganzen Diadochenseit errang im Jahre 306
beim kypriichen SalamtB über seinen mSchtigen und klugen Gegn«r Ptolemaios
von Ägypten der 'StÄdtebezwinger', Demetrios Poliorketes. Diesen grolsten
Triumph seines Lebens, der ihm mit seinem Vater Antigonos den Königsnamen
brachte, verkündete ein auf seinen Münzen (Fig. 56) wiederholt nachgebildetes
Denkmal, dem wahrhaft königlichen Weihgeschenbe von Samothrakc ähnlicher
als irgend einer anderen Darstellung der Nike auf dem iSchiffsvorderteiL^) Die
') Conze, Hanaer, Benndorf, Npup Unters auf Samothr , bes. 8. 69 ff
*) Di^r Vergleich hat nach Murraj auch Kleiu (Prajuteles S. 336; zu einer &«br
sp&teit Dati«niiig der Nike verlockt. Seiiie Äulaeinuigen geben adr AalsA tu eiaem Bskui.
Zu den nächsten Verwandten der Nike gehr)rt nach ihier QewandbellSndlung dio wunder-
volle Miinade, Berliner Skulpturenkat. Nr. tiO«; man mufs nur die Verschiodenheit der
Mai'ae und des Kleiderstoffes in Betracht ziehen. Da von den vielen £rg^zang«yoraucheD
die mit der Doppelflöte (die aech «aseinsader genonimen TOrkemml) nnnderteiis nicbi U'
wahrscheinlicher als die anderen sind, WBge ich die Frage, ob wir hier nicht eine Mannor-
kopie nach Lyi^ipp» temulenta tibicinn vor uns haben PüniuR XXXIV 63, von Klein gmndlf«
angetastet). Dieses Mädchen als trunken aufzufasseu, ist mindestens ebenso möglich, wie
da§ Originsl des Anakzem BofgheM-Jaoobsen (vgl. snletst Fortw&ngler, MeiiterwtdM
8. es f.) als ein Büd f^ovce« ip fU^n ip^tfJunv xu beschreiben (Pausaa. I 26, 1).
') Unsere Münzbilder nach Gipsabdrflcken der nerlincr Sammlung — Zu dem von
Benadorf S. 77 ff. Zusammengestellten käme vielleicht als ältestes Beispiel die Schiftbaaia
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F. Stadnicska: Die SiefcMgAttiD.
401
ITierein Stimmung geht in tocLiiischt.' Einzclhoiten des SdiifFshaues und
dals dif Stemp^lschneider die Bokleidiuig vereinfacht, die Flügel dem Rahmen
KU Liebe gojienkt Laben, kann nicht als Unterschied gelten. Es fragt sich nur,
ob sich die fehlenden Teile der Statue nach den Münzen or^nzen lassen, wie
ee Meiller Ztimbiiaeh venaehfte (Fig. 55). Die Linke war gesenkt und hielt
nmik ndieron BefeetignngBepureii ein etttburtigee CMt in ilmlioher Lage, in
der die Mfinsen das leidite Holskrei» damteUeiiy da» wohl keinen Tropaion-
pfiüil, Bondem eine Schiflhtrophie: die als Stütze des palmettenähnlu^en
Aphlastons am luKshgeschwung* m ii Sihitfghinterteü') dienende *Stylis*, vor-
stellt. Die Rechte kann, nach dem erhaltenen Schulterteile zu achliefsen,
sehr wohl mit einer Salpinx erhoben gewesen sein. Und dafs der Kopf
soweit nach dieser Hauptrichtnnjr der ganzen Bewegung gedreht war, um
mit den Lippen das Trompetenmuudstück l)er{lhren zu können, scheint aueh
mir der weich geschwellte, nicht gespannte Ansatz des rechten Kopfnickcrs zu
ergeben.*) Nw in Kleinigkeiten bedarf ZtunboMlis Rekondvnktion der Be-
richtigung; beispieleweiee mfliste die Salpinx in untergelegter, mit dem Danmen
naeh rechts gewandter Baad mhen, was allgemein flbltch und auf den MOnaen
SQ erkennen ist. In der ^nplsache bleibt sie möglicb und damit, nach dem
gonoen Sachverhalt, höchst wahrscheinlich.
So haben wir denn nicht schlechthin zwingende, aber doeh sehr gute
Gründe z'i der Annahme, dafs es jener glorreiche Siep des jungen Helden, in
dessen (JestJilt und That«n Alexander selbst wieder aufzuleben schien, gewesen
sei, was diese Nike der Gemeinde der seemächtiiren Kabireu mit schmetternder
Fanfare kuudgab, von ihrem erhabenen Standort im Süden des Heiligtums^;
weit hinflbe^Kniend Uber den Sund nodi der thnkisdien Kfiate, wo ifaree
Herrn Totfieind Lysimachos gebot.
Aber mag die Entscheidung Aber diese HypottieBe schliefslich wie immer
anff&Uen, ftet bleibt die SobEfanuig des wunderfollen Fundes ob des Meister-
werks eines gewaltiffen Künstlers jener Zeit. Seinen Xanien wissen wir
leider nicht, wir können ihn kaum Termnten.^) Aber soviel, glaube ich,
läfst »ich bfhnnpten: es war ein echter Sohn der vom Genius Lysipps be-
herrschten Epoche; einer von denen, die den verblassenden Idealtypeu der
bei Kawadia«, Kouilles d*£pidaure S. 38 f., wenn eic nicht statt einer Nike auch Krieger ge-
inigeu beben kflniite, wie die Praren am fl«beitei1ieiifo& des Hepbeiatioa (IKodcv XYH lU).
') Ammann bei Baumeister, Donkmillor III S 1631 ff.
*) Babelon, M<«lange de numismat. I Tf. 7 S. 203 ff
*) So zuletzt Hubenaohn, Die Mjsterienhciligtümer von EleuBis und Samotbrake S. 149.
Wenn lidi Dein (vgl. S. 400 Anm. 2) dagegen auf die ResteimtoreD des Berliner Mmetuee
beruft, 80 kann ich mittoi]cn, ilafs ich demjenigen von ihnen, mit dem ich neulich den Thst-
))o«tnnH nm. Qipwbgni« prüfen konntet Herrn Pesienti, m der berraehenden Meinuag be-
kehrt habe. •
•) Darttber tdefert Kern, IfitML d. d. arch. Inrt. Athen XTDI (1898) 8. 888 ff. Dweh
■eine und Bmbeasoluu (vorige Anm.) AusAfamngen fkllen m. E. sttoh die topogisphieeben
Bedenken gegen Benndorfs Hypothese fort.
*) Kavvadias, Bull. d. inst, archeol. 1879 S. 11 dachte an Eutychides.
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402
F. Stndmcaln: Die 8i«g«igffttui.
grolsen alfcen Zeit etwas von dem frisclu'n Blute der liuiividualität einzuflöfsen
verfltHiul<*n. Besitzen wir in der Nike dvs Paionioa das fromme Bild des yom
Himmel kommeudeu Sieget« an aich: hier steht ein Werk, iu dem der einzebe
Triumph iidiacher Madit so bestunmieii Auadruck erlangt hat, ala iimerhalb
der Orensen idealer Kunst nur irgend mS^ich mr.
xn
Aus der Folgezeit wüTste ich kaum eine Nike anzuführen, welche den
von der griechischen Kunst auf den Hohen ihres Schaffens hervort^pTumchten
Tjpen etwas wesentlich Neues hinzugefügt hätt-e. Dargestellt freilich ward sie
noch unendlich oft. namentlicli als Vietoria der neuen römischen Welteroberer,
deren Kaiser tind Legionen der Göttin, wohl auch dem Vorgange der heUe-
niätiBchen Fürsten, auch einen wirklichen, ausgebildeten Kultus widmeten. Und
es fehlt SpUS ihrem Berenbe nidit gsni tm Werken, die nnswe Bewnnderang
erregen. Aber selbst die besten hangen gans Ton iUeren Geetsltiing«n ab —
wie ans ja sdion mehrere rOmisehe Nachbildungen griediischer Originale be-
gegnet sind — ja nicht einmal imm«r von solchen, die aus don e^pnen
Wesen der Siegesgöttin heransgewachsen waren. Dies gilt auch von der
TttM xn vielgerühmten Bronsestatue in Brcscia, aus der Zeit Vespasians^) (Fig. 59).
Sie ist richtig eri^nzt mit einem Schilde, auf den sie die Siegesinschrift einer
Trophäe aufzeichnet, ein Motiv, das der hellenistischen Kunst nicht fremd ge
blieben nein wird. Aber trotzdem ist diese Victoria nichts als <'ino Variation
jener durch die Statue von Capua am besten vertretenen Aphrod t* dn^ vierten
Jahrhunderts, die den Schild des Ares als Spiegel benutzte (>ig. 57). Und
diese dürftige Leistung fand doch soviel Beifall, dafs auch noch die grufsaitige
Eunstthatigkeit unter Trajan nichta Besseres an ihre Stelle zu setzen fand,
was hier das Relief m der TnyanssSoie beaeugt (Fig. 58). Die OrfiliM der
rdraischen Kunst liegt eben anf anderen Gebieten; ihren Bedarf an Ideal-
gestalten hat sie ans dem Erbe der Hellsnen bestritten.
ünd Ton diesem reichen Erbe »ehrte auch aUe Folgezeit, bewnlst oder
nnbewufst. Die himmlischen Heerscharen unserer christlichen Kunst, was sind
sie anderes, als die direkten Abkömmlinge von Eros und Nike? Und als die
Renaissance den selbstbewufsten Stolz des Menschen wieder erweckt hatte, da
flog auch die alte Siegesgöttin ohne Maske wieder herbei. Es ist nicht m* ines
Amtes, ihr reiches Nachleben bis auf die jüngste Zeit herab im einzelnen zu
verfolgen. Aber darauf möchte ich noch hinweisen, dals sie selbst heute, in-
mitten all des Kampfes um eine neue, natur- und zeitgemäfse Kunst, keine
Miene macht, wie ein Gespenst z\i zerrinnen, so grimmig auch hin und wieder
diese 'wahren Monstra* mit dem *nidit allein paratypisdieiiy sondern aadi
meefaanisoh sinnlosen' 'dritten Ptar Eztremit&ten' von gbubensslarhen Priesleni
*) Zuletzt beaprochen vou i'urtwängler, Meiaterwerke S. 631. Unsere Abbildoageo
Fig. 67— M aadi Bniim«BniekttsaB, Denkm. Nr. Wl IM tSS.
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F. Studniczka: Die Sicgesf^ötiin.
403
der alleinseligmachenden Naturerkonntnis exorziert werden.') Der Name mag
noch öfter wechseln; sie selbst aber, diese holden, glückverheiisenden Flügel-
wesen, zu denen der Zauberstab des Hellenentiuns die leblos symbolischen
*Mif8geschöpfe des Ostens' umgcachaffen hatte, sie werden fortleben, so lang es
im Zusammenhang unserer Gesittung Menschen giebt, die zu höheren Wesen
aufblicken, dafs sie ihren MQhen das Gelingen, ihren Kämpfen den Sieg herab-
senden. Auch von ihnen gelten die Worte, die Anton Springer an die Spitze
seiner allgemeinen Kunstgeschichte gesetzt hat: 'Mit den Griechen beginnt
unsere Kunstwelt.' ,
') Zuletzt meines Wissens von E. du Bois-Roymond, Naiurwisa. und bild. Kunst (Berlin
1891) S. 48 ff., woher die Zitate entnommen sind
t
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ZUR gp:schtcttte
D£B LEURDICHTUNG IN DER SPÄTAÖMiäCHEN LITTEBATUB.
Tod Jiruus Zibbbk.
Wer die rudis iiidi^estaque moles überblickt, als dif wir in ErraaDi^n l üig
<'im s ni'SHeren ja noch immer den zweiten Teil der Antbologia Latina e codKiHus
protracUi hinnehmen müssen, der kann kaum muUin, sich über das starke ÜWr-
g^cht SU wundem, mit dem unter der Masse verschiedenartiger Gedichte dort
die Didaktik encheiBt; die Didaktik in allen ihren BrsGhetnungsfonneii Tom
acUiehten versus niMnonalis bis vom «m^rttchsTollen« Lebrg^chl^ das Lnkre-
Eifldien Ton imitiert und sich mit altertOmehidea Wendung^ WOrde au geben
Buehi Man empfindet das Bedürfnis, fUr dieses starke Hervortreten der didak*
tischen Poesie die Gründe zu suchen und, soweit es angängig ist, die einaelnen
Erscheinungen ihrer litterarischen, wir dürfen bei einigen &8t sagen publi-
zistischen Beziebung nach bosser vorsteben 7ai lernen; als Anspingspunkt des
vorliegenden Versuclies in dieser Ricbtnnfr müssen einige Bemerkungen dienen,
die ins Gebiet der Poetik hinüberführen; aber littemrbi«tnri«Hiii» Forschung
ohne Kläruiic der einschlägigen Fragen und (lesichtspunkte der Poetrk ist j;i
woU ülierliaupt ein Unding und — um von einem naheliegenden Beispiel zu
reden — der ^allgemeine und sachliche' Teil von TeufiSels römischer Litteratur*
gcscfaichte ein metiiodisch geradem notwendiges, leider aber nicht immer als
gleidiwertig anerkanntes nnd ausgenutstes^) Gegenstfick des ^besonderen mid
pers5nliclien' Teilea.
Bchlagm wir dem mten Teil des Teuffislschen Bndies ^ekdi einmal an^
um die Darstdlnng der Lehrdichtung in der späteren lateinischen Litteratur
einer Prüfung zu unterziehen (§ 23): 'Aus dem vierten Jahrhundert ist hierher
zu rechnen des Palladius Lehrgedicht de re rustica, die vielerlei Sachen des
AuBonius, besonders seine Moseila, die Elegie PböniT, des Avienus De-scriptio
Orbis terrae und Aratea. sowie seine Ora maritima, auch die christlich- dogma-
tischen Gedichte des Prudentius; aus dem fiinften Jahrhundert des Rutilius
Namatianus lieisebeschreibung . . Es bedarf für den Kundigen schwerlich
langer Nachweise, um darzulegen, woran dieser Teil des Teuffelschen Para-
graphen krankt: die Hoeella eb I«ehrgediclitl Und gar das Itinerar des Nama-
Eti will mir beinahe Rchoinon. als ob auch die Ncubo-trln itung des Ruchea ia dtn
neuesten Auflagen dem zweiten Teil mehr ab dem ersten ihre Gunsi zugewandt hätte; die
Scheu vor Gemeinplätzen der Ästhetik und Poetik von der unwissenschaftlichen Sorte mag
dabei in stillen nitwiiken.
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i. Ziehen: Zuv Oeachichle der Lehrdichtmig in der ^AlrBmiachen Littertttur. 405
tianiiB «oll dn aolehes aein: ioh wflbte nur den Nunen su nenneii als Indis
dafür; gleich das aehSne Prnslied des Selidd«iiden auf Rom') und dann so
manche stark persSnlieh ge&rbte Stelle der weiteorm Daratellnng sollte nns Ittr
die po^sehe Einreihnng des C^ichtes doch ein^ Besieren belehren. Selbst
beim Phönix kann man Zweifel hegen — aber der Mosella und dem Reditus
wollen wir den Ansprach auf Berücksichtigung ihres lyrischen Charakters doch
unverkürzt lassen.
Teu£Fel erwähnt weiter die Lehrgedichte des Orietitins, Dracontius sowie
des Avituö und fährt dann fort; 'Ist in den meisten dieser Arbeiten die Versi-
tikation eine äul'serliche Zuthnt zu dem Stoffe, so schwindet vollends der poetische
Gehalt bei den Lehrgedichten vou ürammatikeru für den Gebrauch der tSchule,
dergleichen nicht nur die versus memoriales sind, simdem namentlich die
Lehrbücher der Rhetorik, Metrik, Ptosodik, Metrolc^e in gebundener Form,
die carmina de flguris Tel sohematibns, des Terentianns Werke de littwis, de
syllabis Tarsus heroic^ de metris Horatü, die ihnliehen yoa Gaesius Bassns und
Albinus, d^ Rufinns Verse de metris oratorum, die carmina de ponderibas et
mensnris, de librae partibus u. dergL Unternehmungen ähnlicher Art sind die
Arzneimittellehre von Serenas SammonicuSp Finnas and Vindicianns» das Lehr^
gedieht de aucupio u. a.*
Es war nötig, den ganzen Passus aus Teuflfel abzudrucken, denn wir haben
es mit der Grundfrage nach dem Wesen und den Erscheinungsformen der
didaktischen Poesie zu thun, wenn wir nachprüfen, wtlche Dichtungen alle für
den vortrefflichen Geschichtachreiber der rönuschen Litteratur unter den Begriff
Ulen: Werke von 'Grammatikern', 'fUr den Gebrauch der Schule' gedichtet.
Zm Sdüagwdrler haben, wie mir sdieinen will, in der Au&ssang rSmischer
Idtteratarwerke, namentlidi der Kaiseneil^ viel Schaden angerichtet and kOnnen
lieh reichlicher Wirkung in dieser Riehtang noch heute rühmen: ich will den
UUsbrandi des Wortes *rhetori8ch' an anderer Stelle flr das Geschiehtswerk
des Florus darzulegen sudien, hier haben uns die Ergriffe 'Grammatiker' und
*Schuk ' in ihnar Besiehang war didaktischen Poesie etwas näher zu beschäftigen.
Ich entsinne mich, vor kurzem irgendwo Worte der Würdigung für den
poetischen Charakter des Serenus Saniraonicus ^ele*jen zu haben: offen ge-
standen, da möchte ich lieber nicht mittbun, und wu immer ich bisher in der
Absicht einer dermaleinstigen Gesamtbehandlung des Gegenstandes der didak-
tischen i'oesie in der Litteratur der verschiedenen Völker nachgegangen bin:
auf rebellische Gedanken gegen 'Pope ein Metaphjsiker' kann einen kaum
eines von allen Lehrgedichten, vom Serenas Sammonmos aber sicher auch keine
einiige Zeile biingen. Aber ein anderes ist poetisdier Wert, ein anderes
littorsrisdie Bestimmung «nes didaktischen Poems, und in Besag auf diese
') Zur poetischen Gattung vergleiche man die Querela de Mantua <c 686 Kiesr'; fs hi
ia dem Gedichte V. 8 meines Erachtens als Ganzes ohne jede Änderung sehr wohl ver-
■ttndlidil) uad dai CbrnMN de üfedtofamo ctvüoie; als eingelcigift Partie m einem grOfserea
Ganzen auch die für unsere Keaatais satilnn Stftdteweaent iriehtige Lobrade auf Nsrboime
b« Sidon. ApoU. c. S2 ff.
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406 •I- Ziehen: Zur Qeichichte dar Lehrdiehtung in der BpfttzOniiichen Uttemtw.
letfttere ist miuiM Sraehtont die oben abgeärmM Darlegung Teuffiab in mehr
eb eineiii Paukt Terfbhli
Das Lehrgedicht ist unserer Zeit völlig frrand, vir mflseen aleo die ver-
gleichende Littenturgesehichie um Bat fragen, wollen wir die IKcIitungsart in
ihrer Beziehung znm Leben, vor allem ihrer Zweckbestimmung nach würdigen
oder verstehen lernen. Die Lehre aber, die wir da erhalten und fQr deren
Richtigkeit ich hier nur anf Lichtwers Verhältnis zu Woli", auf Herders nicht
zum Austrag gekommenes Verhältnis zu Kant und auf ein Kuriosum der neu-
französischen Litteratur, auf Du Roiu^s Art historique hmweiseu will, diese
Lehre lautet folgendofmaleeD: Die Beelinunung dee Lehrgedichtes in allen seinen
beesemi ErscheinungBfonneQ ist Popularieierang des von ihm bdiand^ten Stotfea^
Zweck der Lehrdichtong ist prsktische Einwirkung auf die Dir den betreffenden
Stoff in Betracht kommenden Lebenskreise, nicht aber die Ableitong Aber*
sdhflssiger VerHiiizierungK- und Dichtbedürfoisse eines mülisigen Ingeniums an
einen rein scholastischen, dem Inhalt wen^^ dem Wort- und Versgeldingel &at
ausschliel'slich zugewandten Leserkreis. —
Unsere allgemeinen Bemerkungen über die Poetik des Lehrgedichtes sind
etwa» lanjT geraten, aber vielleicht werden wir entscliüJigt, wenn wir nun beim
Durdiblutteru der latemit^chen Anthologie und bei Ausblicken auf andere ihr
seitgenÖBsndie Dichtungskreise dn Stfi^ qtitr&nisdier Knltttigesdnehte etwas
riditigN* beurteilen können.
Das Comm de pondmbust dar Autor ist nicht mit Sidrarheit festBUsteUen,
aueh die EntstHhungssdt nur annähernd, auf das vierte Jehrhund^t^ m be-
stimmen; wenn als Adressat ein Sjmma<^us erschetn^ so führt uns das in die
Kreise nicht nur gelehrter Forschung, sondern auch praktischer Staatskunst
hinein. Potidcra Paemiis veterum niemoratn liheUis nosse iuvat — die? der An-
fang des Yf'ch\ philoHopluseh (s. V. 7) anhebenden Proomiuma; die priores
npielen auch sonst wiederholt in dem üedichte eine RoUe, aber im übrigen ist
docii der Inhalt des kleiueu Werkes durchaus praktischer Art, und besonders
die Erwähnung der l^m jperiH V. 22 ist kaum ohne bestimmte Beaiehung
hinzunehmen; man kann bei wiederholtem Durehlesen dee Qedudites siidi nicht
des Gedankens erwehren, dalSi der Verfssser des Carmen in lesbarer und leicht
behaltbarer Form für diejenigen sdueiben woUte, denen die Kenntnis der Ge-
wichte und Mafse, alter und neuer, im praktischen Leben, also vorwiegend
wohl im Handelsleben von nöten ist, besonders für das Yer.sUlndnia gesetzlicher
Bestimmungen über Handel utul Wandel; als Schullektüre hingegen ist das
Carmen doch hei Licht heselien eigentlich ein Unding und — Handelsschulen,
für die es sich zur Hoi hinnehmen lieise, die kommen ja nicht in Betracht*)
^ Wir noid dem Hemmerven in nnieren Graauuattken so begegnen gewohnt; weniger
bakannt und als FSfellelerscbeinung zu antiken 'Lehrdichtungen' in des Wortes tmtenfeer
Bedeuiun;;^ von Intpropse ilHrftf »pau ein Versiicli, die Arithmetik fi'ir HiindelHzweclcP in
Memolierveräe i.u bringen, wie ihn L. Chavignauds in tuehreroQ Aaf logen erschienene 'NonveUe
SfiCluii^qae appliqate au commerce et 4 la marine, uüaa sd Ten' dantdlt, Ober ein nomis-
mattcdiw Lehiqgedidtt des 18. Jehrbonderts c. Stark, Arehftolegie der Keait 8. Ml
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J. ZUktas Zur G«tchiehte d«r Lehididitnng ia d«r qAtrtmuclwa Uttemtiur. 407
Weit janger seiner Entttehmigneit nach ist dw Ueine Lehigedidit des
GotenkönigB Sisebnt (61S— 680), dis in Rieses Sunmlimg den miten ilss&kel
der Anthologie evOffiiet (Nr. 482 vgl Tenffd § 495, 2); es fUirt die Anftdirift:
I^pkkUa SiBMi regit Gokmm müm od Jbiäomm de lifti« roknmt €lemeiis
ScotuB giebt ihm den Titel De eclipsibus Solis et Lunae. Isidor hat den Goten-
könig zum Dichten au^efordert (V. 9 f. En quibus indicas nf rrinem fnmdea
Fhofhi Sttccinffant heder aeoe comas at^ustius unU^rent)] der fürchtet zwar, der
Aufgabe im Drange anderer Sorgen nicht gewachsen zu sein, aber mit einem
S'-d tarnen ( V. \b) giebt er dem Wunsche des Isidor nach und wendet sich
seiner Materie zu, die durch das Zitat des bcotus ganz richtig bezeichnet ist.
In 41 Versen ist die Sache abgethan; ob mit dem puius von V. M) (vgl.
33 aspice) ebenfalls noch Isidor gemeint ist, oder der Leser des Gedichtes im
aUgoneiiMiL, kaim swdldiisft sein; aber der Zure^ der Ideinen Dichtung ist
uns aofili in diesem Falle durch eine Andeatong nSher beaeiehnet, die kaom
mÜraaTeratehen ist V. 16 ff. ^triebt Sisebat Ton der Mondfinsternis und maeht
dabei die folgende, leider am Schlosse TerstOmmelte Bemerkni^ (18 ff.):
Non iUam, ut populi crednnt, nigrantibus antris
infemas olulans molier praedira sab ombras
detrahit altivaga e qpeeola, nee caimine victa
Tel rore Stygias . . .
Wir sehen den König mit diesen Worten den heidniHchen Aberglauben be-
kämpfen, und es ist wohl zu verstehen, dals ein Vertreter der Kirche an
diesem Streben einer so hochgestellten Persönlichkeit sein Wohlgefallen haben
konnte. Mehr als manche lange homiletische Auseinandersetzung mochte auf
mite Kreise der germaniscb-rdmischen Bewohntt* Spaniens dieser Bdehrungs-
fetsaeh ans könif^iehem Hunde Eindmek machen; und damit scheint mir auch
ftr dies kleine didaktisdie Gedicht ein praktiaelMr Zweck beseichnet sa sein,
der weit Aber die Bedttrfiiisse der Sdrale binansgeht
Freilich, nicht immer mochte den Vertretern der Kirobe das Bestreben will-
kommen sein, die naturwissenschaftliche Darlegung und die nüchtern Terstandes
mäfsige Erklärung (s. rafum rationis opus bei Sasebnt V. 33) in der Form von Lehr-
gedichten w(^i^^ Verbreitung tinden zu lassen; einen AngriflF auch auf didaktische
Poeme im Stile des Sisehnf sehen hndeii wir bei Paulinus, dem N'erfasser des
Ep^ramma, der V. 42 fi. Hmncs Gedichtes folgende Bemerkung macht:
At qui confessis vitiis et crimine aperto
nun potuere capi — vütutiti imagine ducti
altins occulti foyerunt vulneris nlcns
hos tcmna trahit sapientia neseia veri
et uiseros idem qni denpit indtat error.
Inqninmt cansas remm astrormnqne meatns,
qnae ait forma poli, enr longo flmnina enrsa
non pereant, latus iaceat quo limite pontus,
quaeque deo tantum sunt nota recondita cunctis,
aeire Tolunt hen pro^que^ nefiw et soire videntur.
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408 Ziehen: Zur Uesdücbte der Lehrdichtung in der spätrömiachen Litteratur.
latdornsy d«r Adresiat dM Siflebttiaelien YeranelieBy steht nidit auf dem
engen Standpunkt dieser Worte des Paulinus; hat er dodt selbst in der durch,
das ganze Mittelalter hindoreh fiel geltenden Schrift De natata renm den Ter-
sudi gemacht, die Foraehungen der Heiden mit den Darlegungen der mihdici
piri in Einklang zu bringen; Sueton, Solin und Hyginus fs. Teutfel § 496, 0)
komnuii neben Clemens, Ambrosius und Augustinus zur Cxeltung, und das
kleine Prosaschriftchen stellt — in mehr als bescheidener Ausführung frei-
lich — eine Urkunde in dem uralten und nie zu Ende gefochtenen Kampfe
zwischen Uluubeu und Wissen dar; bei der Betrachtung christlicher Lehrdich-
tungen über die Schdpfuugägeschiehte können vir des flbelgelungenen, aber
woUgememten Yenndies noch euuoal gedenken.
Ffigen wir in diesem ZuBammenhange gjleieh ein^ Worte hinan fiber die
RoUe, die das Lehrgedicht in der altchriatlichen Litterator eelber spielt*) Als
erste Art didaktischer Dichtung tritt uns da die polonisdi-apologetische Poesie
entgegen, toh der wir in der lateinischen Litteratur an einem Gedichte des
PbnlinuB TOn Nola ein interessantes Beispiel besitzen; es ist c. 32 der Hürtel-
sehen Ausgabe f R ff ), dessen Inhalt durch das Proömium mit folgenden
Worten bezeichnet wird:
Discussi, fatoor, sectas, Antonius^ omnes,
plurima quat^ivi, per singula quaeque cucurri,
äed nihil inveni melius i^uam credere Chi'isto.
Hsec ego disposni tou describere Tsran,
et ne displieeat quod talta earmina pondo,
David ipse Denm modnlata Toee rogavit;
quo nos exemplo pro magnis parra eanemns,
dioentes qnae sunt fugienda sequenda eotend»,
cum tarnen in cnnctis et res et causa probetur.
Der zweite Teil des Gedichtes, von V. 10 bis V. 150, bringt die Bekämpfung
der Sekten, von denen in V. 1 die Kede gewesen war; die Juden eröffnen den
Reigen, dann reihen sich die verschiedenen lieligions und auch die pbüo-
sophischen Richtungen des Altertums wenigstens zum Teil an. Ein Teil deu
Stoffes kehrt in dem anonymen Carmen mntra paganos in ganz ähnlicher Weise
wieder, bei welch letzterem jedoch der poiemiKche Charakter — mau denke an
die immer wiederkehrende Bezugnahme auf den aaerakisl — der henwhende
ist*). In ganz anderer poetisdier Umgebung hat denselben Stoff dann Fkvdentiuf
in seinem 10. Märtyrei^edicht angebracht; in die Passion des h. Romanos ist
eine mit hoher dramatischer Kunst belebte LiTektive gegen das Heidentum
verweben, die den didaktischen Charakter mindestens ganz in den Hintergrund
gedrängt zeigt vor der selbständigen kflnstlerischm Idee des Ganzen. Berück-
sichtigt man die Absicht der freilich lang genug gedehnten didaktischen £in-
*) Zu vttgleiehen sind etwa die AmfQliniiigen von Msoitiiu, Oeieli. der dimti.>lstdai.
Poesie (Stuttg. 1891)8, 7 IF,, mit denen das hier gegebene freilich nicht überall fibereinstimmt.
* Mit contra paffanox te seriberr bezeichnet übrigens Augustin (Ep, S4) 'gerades» den
Inhalt des Uedichtes von Paulinas selbst; s. Teuilel § 437 Anm. 4.
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J. ScSmd: Zar GeMihiehte d«r Ldwdiditiing in der ipftMiuuehen LitteMtar. 409
lagen jenes Gedichtes, so wir(i man «ioch Bedenken tragen, mit Manitius S. 93 f.
2u urteilen, (ials es 'aus äufseren und inneren Gründen zu den schnröchsten
Cfedichten des Prudentius gehört'.
In grolaeiii Maßstab hat derselbe PradentiiiB aber das Lelirgedicbt in den
Dienst dar Polemik gegen das Heidottun gestellt^ indem er die bttden Blleher
gegen S^mmachus rei&fste; wir können nur bedauern, dals es uns Tersagt ist^
j<m den Entstebongsverhalinissen und den ersten Wirkungen der beiden Bflcher
nach ihmn Ersciheinen auf Grund zeiigmössisolier Berichte eine genauere Vor-
stellung zu gewinnen. Wer das Werk vorurteilsfrei und obne es in unbilliger
Weise an den Schöpfungen der' Augusteischen Zeit 7U messen betrachtet, mufs
jnigestehen: es ist eine prewaltigo Leistung, gerade als praktische Kampfschrift
teilweise sehr fein berechnet, übrigens auch trotz soinos ausgesprochen lehr-
haften Charakters durch zahlreiche Kunstmittel der satirisch-polemischen und
der lyrischen Poesie über die öde Form der blofsen Leurdichtuug weit empor-
g^oben, ein w&rdiges Gegei»tfi<& ro manehem poekiieli weiirdlen Work des
leitg^Sasisehen Clandianus; besonders das poetisch gewifs w«t bedeutendere
sweite Buch hat an AusfBlurangen wie die Aber die rSmisdie Sittmlosigkeit
einerseits, die Einbeiilidikeit des Eultnrlebais im Imperium Bomamum and«er-
teits Stellen von hoher dichterischer Kraft.')
Auch die Sektenkämpfe innerhalb der jungen christlichen Kirche selbst
haben das Lehrgedicht in ziemlich ausgedehntem Mafse in ihren Dienst ge-
nommen, der praktische Endzweck der Dichtungsart kann natürlich auch auf
«liesem Geliiet gar nicht genug betont werden. Pro8j>er» (iedicht JJtt in<jrutis
geht dem mhdxr Brifnnnm, dem Pdagius, in einer Weise zn Leibe, dafs man
deuthch merkt: m i&i auf ein thatkräftiges Eiugrcifuu zu Gunsten der Lehr-
meinong des Augustinus abgesehen; dem entsprechend sagt der Dichter auch
sc&on in der Plrae&tio (V. 3 It):
AdTersum ingratos fUsa et virtute superbos
eentenis decies TSrstbns ezcolui (sciL die HeilBlehre);
qnos si faanquilla stndeas ci^nosoere eura^
tutus ab adverso turbine, lector, eris.
Von einer packenden Darstellung, die den Leser mit fortreifsen könnte, ist
freilich in dem Gedicht nicht die Rede.
Auch das pseudotertullianische Gedicht f?egen den Marcin, dessen Heraus-
gabt; wir von A. Oxe ho£Pentlich recht bald erwarten dfirfen, zeif^t die Didaktik
ohne die künstlerische Rechtfertignnii. die ihr Prudentius meist zu geben weifs,
in ihrer rein der praktischen Verwendung Rechnung tragenden Kahlheitj das
dflrre Ingenium des Verfassers weills z. B. in der langen AoCEählung, die das
dritte Buch anfüllt^ kaum hier und da einmal su etwas gehobenem poetisehem
Ausdruck su gelangen; und das Gedicht ist doch, wie schon Berne Ausuntaung
durch Yietorinus beweist, entschiedMi genug gelesen worden.
') Das Fragment der Prodigiendicbtung de« Fatriciua (c. 791 Kiese) glaubt meines
InwiitBiHi Uauiiitts su niTerriditlicb leiner Tendens nach beurteilen la kflumen («. a.
8. t40 r.); die «ntieheidende Stelle innerhalb d«a mu erhaltenen TeilM, V. ist verderU.
iMwJabiMohw. ISM I, S7
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410 Zi«beB: Zur Gwcfaidito d«r Lahrdlchtwiig is der «piMnuieliMi UttCMtor.
Aach der anziehenden Gestalt des Prudeutiu» begegnen wir in diesem Zu-
nmmeiihtiig wieder; die 'A^ztyiwna und die 'jhm^iacis eteUen die Lehre
Ton der Sünde und die Trinitfitalehre mit Rfldatielit raf liizetfaehe Lehr^
meinmigen dar; ich dnrf, da es eich hier nur nm Ancteniimgeii handeln fcann^
auf die Inhaltsangaben beider Qedichte bei Manitiiu S. 67 £ TenraiBeD, die
freilich die dichkeriache Eigraart der awei didaktiaehen Werk« nur waii%
hervortreten lassen.
Als dritte Art christlicher Lehrdichtwng dürfen wir die von Polemik im
wesentlichen freie Darlegung einzelner Punkte der ciiriatlichen T-fhre in metri-
scher Form betrachten. Nimmt man den poetischen Wert zum Mafsstab der
Beurteilung, so uteht ohne Zweifel des Dracoutius Gedicht, die Landes Dei, allen
andren Erzeugniseen dieser didalcUaeh-poetiadhen Riehtnng voran das dritte
Bneh der Dichtung tat in aeiner Art «n Meisterwerk; die kflnatteriabbe Zothai^
die das Werk ttber bloiBe Didaktik im Bta von AOmmt Mankmtas weife
hinaushebt, sind besonders die snVjektiyen Elemente, die Besognahme daa
Dichters uuf sein eigenes Lebensschicksal, die dus Gedicht an dnem adion firfih
als solches empfundenen Gegenstück der Satisfadio machen.
Die gansw.' ^ofse Zahl anderer Versifikationen christlicher Lehrhegnffe und
Lehrmeinungcii hier aufzuzahlen hat natürlich keinen Sinn; bei einigen der-
selben ist ein ähnliches Emjjorheben über den Boden dflrrer Didaktik zu kon-
statieren, wie bei Dracontiu»; so hat z. B. daä Gedicht, deä Verecundud vou
Bjaaoene De paenümlia dnroh starke Bdmisehung p^rsdnlidier Znthaten den
Charakter dea reinen Lehrgediehtes verloren (s. TeniM § 491, 14; Maoitina
S.404fl:).
In wen^er günstigem Sinne müssen wir des Prodentiaa an dieser Stella
gedenken; die Wvxoiutxia ist ein «itsetalich frostiges Spiel mit allegoriaehan
Gestalten; aber der Erfolg, den gerade diese Dichtung bei den Zeitgenossen
wie im Mittelalter errungen hat, beweist, wie «elir die Dichtungsart dem
Gesclimack der Zeit uiigepafst war. Wenn von anderer Seite in der sj»t-
römischen Litteratur die Tafel des Cebes in latfiuischer Bearbeitung wieder-
aufgefrischt werden konnte, so war die Wvxoiiuxiu mit ihren Kampfbildern
noeh eher dem Qeiat des Römertums entsprechend.
Gans hinein in die Beciehnng xnm alltSglichen Leben führt ans diesem
Gebiet dar altehxirilidien Didaktik andi noch die umfangreiche Litteratnr De
laude virffhitafy oder wie die zahlreichen Bearbeitungen des Stoffes benannt
sein mögen, Ton denen Manitius S. 480 ff. (vgl. auch S. 414) eine Übersicht
giebt. Fragen, die die Gemüter damals bis zum Auftreten rein pathologischer
Erscheinungen bewegt haben, linden wir da in Büchern behandelt, die gewifij
in \veit<'n Kreisen der christlichen Welt mit Eifer gelesen worden sind; man ist
gerade bei der sozialen Tragweite dieses Stoffes ja von vornherein am wenigsten
geneigt, an müfaiges Spiel mit Rhetorik und YersihiiatiouskuQät zu denken.
^) Mit Eecbt fSilt Manitius S. 330 f. eia »ehr güuatiges Urteil über diese LKchtung de«
DraeontiiM.
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J. ZidMB! Zur Owdiiöhte d«r Ldudidituiiff in d«r ipiMiiiuadieii littmtar. 411
Bedeutungsloser nach Art der Ansfnhnin;4; wie der Absiclit uacli siud Ge-
dichte wie Auguatiüs kleine Lelirdichtung Ih auima, die iu Kieses Anthologie
unter Nr. 489 abgedruckt ist Dagegen int als christliche Moralkatechese das
(kmmmiiUonim dm Oriatiofl ein Uehat beaehteoBwertea Werk, Aenm iHrakliMhe
Bedflütimg Ibnitiat S. 199 sehr richtig herrorgehoben haL
Ab UMe Bidiinng der durutlidMn Ldhxpoene mSehie ieh eine Reibe Ton
Gediehten Anfifiuaeiiy die nun enf dm ersten Bliek nie erdUende Gediehte eher
dem hietoriflehen Epos zu7ai gesellen geneigt sein könnte: wir besitzen eine ganze
Masse von metrischen Bearbeitungen aller möglichen Stoffe aus dem Kreise
dps alten Testamentes, des neuen Testamentes und der Heiligen gesehichte bis
hf rab auf Martinus von Tours. Vom Standpimkt der Poetik aus — mit anderen
Worten, was Arbeitsweise und Endziel der beteiligten Dichter betritlt — bilden
diese Gedicht« keine Einheit; neben einem Werke wie dem Enchiridion <les Aniönus
oder etwa den Triaticha des Itusticus h^liudius, den christlichen GegeuütQcken
derjenigen heidnischen Litteratur, deren Heros Eponjmos Solpicius Apollinaris
iit, stehen die poetischen IbrtinnslMographiea nb Dicfaterwerke^ bei denen die
lebvhnfte Tendenn des e^^ben Cbankters niijgends in nngebflhrlicher Weise
Herr wird.
Zwischen diesen beiden Extremen der ernhlenden Wiedergabe heiliger
Bo rieht« steht in der Mitte eine Dichtungsart, fftr die wir die MeOua des
Marius Victor als typisches Beispiel betrachten können.
Die erhaltenen drei Büeher des Werkes (fiber ein vielleicht verlorenes
viertes Buch s Sehenkl S H4H der Wiener Ausübe) geben, wie seh<»n der
Titel andeutet, eine erkliir cm]* Darstellung der Genesiserzählung bis zu Sodorns
Untergang; den Zweck aber, den der Dichter bei seiner Arbeit im Auge hat,
drückt die dem Werk vorangestellte J'recatio (V. 104 f.) mit folgenden Worten aus:
. . . teneros formare animos et oorda pannins
SA Temni firtulis iter poerilibns nnnis.
Der Leser des Gedichtes wird nidit gende finden, dnb die didaktische Tendens
dem Dichter flberaU das fllr die Jagend angemessene Wort nnd die den pumlea
anni entsprechenden Gedanken eingegeben hat; aber aweifelloa bat sich Marias
Viktor sein Werk in den Händen der Heranwachsenden ebenso gedacht, wie eine
frfibere Zeit den Homer als Schulbuch in der Hand der Jugend gesehen hatte.
Man mnfs sich die eben nngeführte Äufserung des Marius Victor in seiner
Alethia vor Augen halten, wenn man vom Standpunkte der i'ootik und vom
Standpunkte der Litteraturgeschichte aus andere ebristlicbe Epen richtig wür-
digen will. Arftt<ir tbnt sich viel zu gut mit der hiatorica ratio, die seiner
Darstellung der ApuHtelge8chiuhte zu Grunde liegt (s. II 1081 flf.); gleich im
ProSminm tuigt er: hietorittim geguem earmme vem hquar. Der Stoff ist dem
Dichter — sehr zum Unterschied z. B. von JnTencus — gar nicht die Hanpt-
SBche, die Art der AnJEMsnng steht ihm im Vordergrund. Wenn schon der
Titel des Victorsch«! Werkes an die antik-heidniacbe Mjthendentnng erinnert
wie sie in den Kreisen der Stoa und des Perijialos heimisch Avar, so drängt
sich beim Lesen der 'mystisch-ellegorischea' (s. Tenffel § 491) Wendungen des
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419 Ziehen: Zar Oeadiiehte der Lehtdidilaiig ia der ipitiOmiBdieB Uttenter.
Arator geradezu die Parallele der allegoriBcheiL iUchiang in der heidni^en
Mjrthendonhing auf.')
Statt also in wenig geniefsbaren aelbstandigen KommetitÄren die Erklä-
rung und Ausdeutung der heiligon Geschichteu vorzuuehmen, zogen die
SchriftsteUer du LiterpretatioiiBmaterial mit dem Hateml der poelisdien
Pan^linse in ein Ganzes su8unm«i. Nimmt man hinan, dab die poetisdie
Fonn a]s aolche dem ganxen Stoff geirila Tiele Lesw «na den Ereieen der
Qebildelen snfiUnTte, lo ergiebt eich klar genug, wie wenig wir berechtig
sind, die ganze Gattung ab eine bloCw scholaatiedie Spielerei ohne praktMe
Bedeutung hinzustellen.
Ein Stoö, der — vielleicht auch mit Rücksicht auf oben (S. 407 f.) be-
rührte Kämpfe zwischen religiöser Uberlieferung und naturwissenschnftlicher
Forschung — öfters in diesem Sinne bohiuulelt wurde, ist zunächst die
Schopfiin^sf^eschichte. Salviauus, der Presbyter von Massilia, hat nach Ver-
sicherung des Gennadius (Vir. ill. 67; s. Teuflfel § 465, 1) ein Buch JBexaemerm
.-schrieben nnd zw^ur in morem Graecorum a principio Genesis usgue ad eoMr
eBHouem AoMmv; ein anderea B/aaemeron wuide actoa frfih aoa dem Lehr-
gedidit des Dracontins De Deo heranegenommen nnd sogar in Bearbeitang ib
Eiaielbach Terbreitet (a. Teoffel § 475, 4). Wenn wir nnn duroh Gennadius
(Vir. ilL 13; b. Tenfiel § 436, 1) erfiduran, dab anch IVudttitina ein enteprecbendes
Werk verfafste, so ist das ein neuer Beweis daffir, dafH gerade dieser Teil der
blbliBcheti Urktmden der Tnmmelplatz sektiererisch (^r Deutungen nnd orthodox
gemeinter Abwehren war; man darf auf Tertulliaris Sclirift gegen den Hermo-
genes verweisen, um für dii' Art der häretischen Anknüpfung an den (Jenesis-
bericht ein lehrreiches Heispiel zu gewinnen. Wie innerhalb des christücheii
Lehrbegriffes dem Scliöpfungswerk eine fn'iere Behandhing gegeben worden
ist^ lehrt uns die Dichtung, die Flavius von Arulate dem Papst Loo gewidmet
hat; Ton 6ßr eehUebien Umdichtung des Cyprianus im Heptatenchoa zn aoldieDi ,
Werk ist ein weiter Weg, deeeen Tersefaiedene Etappen migleidi ftr andere
Stoffgebiete der heiligen Geeehiehte dnrch die Namen dea Älcimoa Avifau^ dee
SednliuBi des Bnaticna Elpidins ja genugsam bezeidbnet sind.*)
Gleiche Bestrebungen praktischer Art haben auch aof einem anderen Ge-
biete in der spätrömischen Litteratur das Lehrgeihcht hervorgerofiBn: das histo-
rische Lehrgedicht entatand im Dienste der auf die Erhaltung grofser alt-
romischcr Traditionen gericliteteii politischen Strömung. Auch auf diesem
Gebiete müssen natürlich di«- ^^lol'seu versus memoriales in ihrer l)escheidenen
Sonderstellung belassen werden: Ausonius mit seinen an den Hesperius ge-
richteten Versen mag als Vertreter dieser an8pruchsh)sen und aufs praktische
Bedürfius berechneten Versifikation stehen.-^) Avienus hat schon wegen seiner
') Ich habe dabei auch Moraldeutuogen wie die des Barthsehen AnthologiedidiUn
über die Argonawtenfahrt r 940 bei Riesel nn Aug^e.
') Über GodelbertUB b, Manitiiu S. 256; über Crescouius ebenda Ö. S14 f.
*) Dagegen ist der Cykha der Camma de tm* ühMribt» Jttmamt (e. 881 IT. bei Bt««)
naeli MatagaJb« des Binleitiuig^gediehiefl voU als eine Sanunlmig von EpigiemiiMB sioi
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J. Ziehen: Zur Gesdiichte der Lehrdichtang in der ipiLtrötQiacbea Litieratur. 413
amtliehMi Stelliing Ansprach darauf, mit seinen schriftsteUeriselien Arbeiten
nicht ganz dem praktuMheo Lehen ahgewandt au erscheinen; wenn wir ron ihm
bei Serv. ad Aen. X 388 erfahren, dals er iokm . . . lAmtm tamlria aer^^ so
läfst sich das nur auf eine kurz ziisnmmenfassende ßearbeitong der romischen
Geschichte im AnschluTs an das Werk des Livius crklänn; und ein solches
Streben Litte pniktische Bedeutung in einer Zeit, wo die Ijcstoii Männer Roms
ihr Streben darauf ti;erichtet liahen, die alten TratUtionen des KiUnertnnis ^gen-
über dem EinHufs neuer VolksHtrönnin^en neu zu beleben. Teutfel (§ 42<), 6)
giebt dem Avienun mit seinem lambenwerk eiuea V'orgüiiger in Alfius Avitus
(s. Teufiel § 333; Bahrens, Fragm. poet. lat, S. 388 f.); wir müssen gestehen,
dafs naeh den drei F^guiMiten, die wir nnr TOn den ZeSri exodletUmm besitzen,
Uber den Charakter des Werkes schwer an irgend welcher Ehrheit an gelangen
jeden&Us gewinnt man den Eindnu^ einer Aurf&hrlidikeit in der Dai>
stellang dnaelner Ereignisse, die nicht gerade an eine aosanimeo&ssende Ge^
schichtserzahlnng in poetischer Form denken läfst. Aus dem VII. Jahrhundert
liefse Hich allenfalls Tlieodosiua' (Jedicht über die Weltalter (s. Manitiaa
S. 476) heranziehen als Erzeugnis gefchiebtllclier Lehrdiibtiing, doch ist es
eine gar 7,ti besclieidenc Ticistiing. Als litterarhistorisclies Lehrgedicht, ein
spätes (legenstück analoger Dielittmjren der alexandrinischen Zeit, wie ich
vermuten möchte, sind IsidiUM Vemus in bihliolheca beachtenswert: und auch
in ihnen tritt die Absicht praktischer Beiehrung und Anregung wiederholt
zu Tage.
Als ein sonderbares litterarisoheB Produkt, ftr das ans jedes Yinstftndnis
at^^ehty steht in der lateinischen Anthologie, unter Nr. Sl bei Biese, das Gedicht
des Cod. Sahnasianus, daa unter dem Titel SaenleguB eapik pmiatitr etc. das
Bild einer stark rhetorisch gefftrbten Gerichtsrerhuidlttng Uber einen spitafindig
ersonnen^ Bechtsfall giebt. Was ist der Zweck der ganzen Dichtung, wenn
anders man flberhsupfc den Namen auf sie anwenden will? Man kann ja daran
erinnern, dafs im Judicium coci et pistoris (V. 6) zur Empfehlung des Gedichtes
die Worte stehen: uliq^dd quofjttfi iuris haltehit «nd dem Oe^nstand des Prozefs-
gedichtes im Salmasianus nun dasselbe entnelinien, was Teuftel den Worten
des Vespa entnommen hat: die Jurisprnden/, stand zur Zeit der Abfassung des
Prozei'sgedichtes noch in Blüte, auf das Interesse für die Jurisprudenz ist das
kleine Werk berechnet. Weiter würden wir natürlich mit dem Versföndnis des
Anttiologiegedidites kommen, wenn Aber das genus der Iiiiteiratnr, dem es aa~
gehört, irgendwo Ton einem antiken Schriftsteller sich etwas berichtet iSnde;
nun finden wir in einem Briefe des Ansonins an den Rhetor Azius Paolus
(Ep. lY 11 ff. S. 836 Peiper) die folgenden Worte:
einem ikonographincben Werk 7ii Viffrachlen ; man mag da« OiMochaion vergleichen, Ha«
Teuttcl § 4^, 3 'eine Art chrietlicher Bildcrgallerie* genannt bat. Welcher Art die bei
8idoa. Apoll. Ep. I S erwBlmten Oedidite des Hflconiiu waren, wnaen wir nieht; «. Teoffel
(466, LS. f^hri^en« hat, wa« die Kenntnis der altrömi-iolif^ii Geschichte betrifft, Teuffd
§ 391, 5 ein'- Äufscninp des Pt^tcn Panoffyriku« auf den Maximian c 8 wohl falsch ver-
standen: audieras ist su rcretebcn im !:>inne de« später folgenden cognitum mcm^mt es.
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414 Ziehen: Zar Geschickte der Lehrdichtung ia der sp&trSmiachea Litteratur.
Perfor in osenrsa vel terii^ mili» epodon
Tel falsAB litei qnae eehola Teetr» eerit.
Nobifcnm mTeniw nnllM, quia liquimns ietio
nagarum yeterae com. eale relliquias.
Was haben wir unter den falsae lües zu verstehen, von denen im zweiten der
hier anpfofillirtcn Verse die Rede ist? Die Nachbarschaft der teriuga milic
epoiion legt mindestens nahe, an poetische Forin niich für diese Utes zu denken,
und es ergiebt sicli dann eine litterariscbe Gattunfi;, wie wir sie iu dem Prozefs-
gedicht der Antliuli^gie iu der Tkat an einem Beispiel kennen lernen; als ihr
Zweck kann doch nur der gedacht werden, in leicht bebaltbarer Weise einxebe
Formen der geriehflidien Beredsamkeit, nantttHo, exeeaius, probatWf exemphrn^
r^kOaUo und epüogntSf an einem Musterbeispiel dannlegML Wir haboi, iofmi
diese Annahme das Sichtige trifft, dem Gedichte also einen didaktischen
Zweck zuzaschreiben, der es für die Bedürfiiisse da* Bketorensdiale entstsnden
sein liel'sc.
Haben wir aber das Prozefsgedicht des Salmasianus mit Recht als ein
Memorierstück der Rbetorciisclnilc mit praktischer Tendenz liezeichtiet, so darf
es wohl zusammengeFtf^üt werden mit dem Canum de fif/uris (Nr. 4S5 lliese),
das ja ganz zweifelloiö im Dienste rhetorischer Belehrung vcrfafst ist. Das (ledicht
arbeitet mit archaisch klingenden, gewifs auch zum Teil aus der älteren Lit-
teratur geschöpften Beispielen, wie es denn überhaupt den Eiudiuck dea Alt«r-
tOmlidien au erwecken ab«ibt und Üiatsächlidi ja bis zur Irreleitung der
Datiemngsvezsuehe erweckt hat; aber in weit ttbersiditlicherer Wdse als die
entsprechenden Schriften in Prosa legt es den gpnzea Stoff dar und lifiit in
seiner leidit memorierbaren Gestalt die Yennutnng berechtigt erscheinen, dal»
es dem angehenden BedekOnsiler dea Altertnma als Lehr- und Beispidbnck
nicht üble Dienste titai
Wenden wir uns zur geographisclien Lehrdichtung, so mufsten wir den
Reditus des Rtitilius Namatianus*) ja bereits oben als fälschlich der didaktisclien
Poesie zugewiesen betrachten. Als reines Lehrgedicht steht dagegen Priscians
Bearbeitung der Schrift des Periegeteu Dionysius da, und neben ihr e^^cheint
Avienus als Vertrettjr der erdkundlichen Didaktik iu gi-ofsem Mafsstabe. Aus
der umständhchen Vorrede der Ora maritima an den Probus ist wenigstens
so viel heranBKnlesen, dafs der Ver&sser fttr eich und andere ein Bild geirinDea
wiU (V. 9 SL)
regionis eins quam veinstis paginis
et quam per omnem spiritos noetri diem
secretiore lectione acceperam.
Der Zweck der Dichtung ist an einem bestimmten Beiq»iele niidit gnade tiflf-
sinnig bezeichnet mit den Worten:
^) Die Beifleiehildeniiig begegnet «na in den Tanehiedeotten EnehehnuigifSataMB W
den Dichtem der spatromiHLhen Litteratur; Ennodiiu und AMhelm vertreten am de«tr
Hch^ifcn (!i> Abarten der Dichtungsart, deren iHNMauchee Qegentttück in dem Briefe I &
dc8 iSidomus Apollinaria steht.
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J. Ziehen: Zur Qesohichte der Lehrdichtung in der spätrömi^hen LiUeratur. 415
TKoriei ponti muju
mgi ut valeret hia probabili fide
qaos distinerent spatin ienanim extima.
Zu einer künstlerischen Form ist der spröden Aufgabe gegenüber, die der
geographische Lehrstoff bietet, weder ein r^i chischer noch ein römischer
Didaktiker, ich darf vielleicht hinzufügen n inur Kenntnis nach auch keiner
der neueren Zeit gelangt; und so erklart denn vornehmlich wohl die muemo-
technische Rücksicht ^} das wiederholte Auftreten der geographischen Lehrpoesie,
von deren praktischen Erfolgen die weite Verbreitung der gemeinsamen Quelle
dm Anmm und des PriBdeniiB aelb^t ja am deafUchatm Zeugnis ablegt
Auch der mediumadien Lehrdicbtung haben wir bier sehlieieUch noch mit
du paar Worten sa gedenken. Dae portiaehe Nachwort, das MarcellnB, ein
Zei^^oMC Theodorina U, aemem Boche De meäkameiiih angehang:t hat (AnthoL
latb 910), ist eine bbüie Spielerei, Tom Ver&Mer dea Bnches ttbel genug ein-
geführl, wenn er aelbst gesteht: VerMKs qjMgjtit Imnm . . . gwtd cpuMaämim
m mfima parte 1mk$$ eodids ecßoeovi, d ut sermone nostro opera haec claudantwr
et nagas nostras muU^atex fotiorum celä obieeka (s. Tenffel § 445, 2i der Sinn
der letzten Worte ist mir aweifelhaffc).^*)
Höher als dieses sonderbare Beispiel der Kompositionsart, die man unter
dem Namen Menipj^eischer Form ohne rechte ITnterHeheidnng verschiedener
Dinfxr auch mit eiTizubi-irrfiftu pflegt, steht (Ihs vclbstündige Gedicht des oben
schon genannten iSammonieus, SdlufifcruDi quoä jxDif/imus carmm nennt der
Verfasser sein Werk und will das salutifmim gewifs ganz wörtlich geiuiramen
wissen: schreibt er doch eine ganze Anzahl von Rezepten und ilauümittekhen
für aoldie &aiikheiten nnd fBr eolche Lehenelalle aoeanunen, denen anch in
unseren Tagen noch eine eigene Bnch&brikaÜon in mm Teil recht bedenklicher
Weise Rechnung tiigt Von dea 63 Abschnitten mnfii entschied«! der grSfsere
Teil den Eindruck erwe^en, dab das Werk auf praktischen Gebranch in den
Händen der Laienkreise berechnet ist und dals die poetische Form, in keiner
Weise Selbstzweck, vielmehr nur der Verbreitung dea Reseptenbuches dienen
soll. Tins Wörde die poetische Form an dem Wort eines solchen Buches irre,
machen; in der Zeit des Sammonicus tnig vielleicht gerade dit- metrische Dar-
stellung dazu bei, die Heilmittellehru im Kampf gegen sacraleu ileilHchwindel
weiteren Kreisen praktinch zum Bewufstsoin 7U hringen.') Es ist bei diesem
Beispiel achlaislich wie bei allen denen, die in den obigen Ausführungen ohne
jeden Anspruch anf Volls^digkeit in der Anfeahlung herauge:6ogen wurden:
Reine M6morier\'erKe sind auf «tteMm Gebiete die Venn» de Atkt i$ mimni
nmndi rota, s. Teuffel § 407, 6.
D. h. der KompiUtor MarceUu« hat et neb nicht vena^ wollen, etwas Eignes an
den SeUnfii sa teteen, wo ja, wie er veneÜiBmt biaBolttgt, üHr seine Verse ein betobBidner
Tenteck sei. Ub.]
' Vgl anch uU't die Entstehung der medizinischen itehrdichtuog des Beuedictus von
Miuiimd di« ^'otiz bei Manitiua S. tt96. •
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416 J- Ziebent Zw Geflcbiehte der Lehrdichtiinf in der spfttrSmiNben UlAenitiir.
als hlofsos Produkt dos Vorsifikntinnsbt'dürfniöscs ist das Gedicht ein Nonsens^
als Populardartsteüung gewinnt ts eine kulturgeschichtliche Beziehung.
Es ist eine Frage der vergleicheiidea Litteraturgeschichtsforschung, welche
Zeiträume das didaktische Gedicht begünstigen und unter welchen Bedingungen
das Lehrgedicht in doD litlenuisohen Leben eine Rolle «pidt oder ganz mrfidc-
tritt; wir baben sie hier nicht su beantworten. Aber eine B«ner1nuig liegt f&r
die epilr&nitehe didaktieche Poesie bo nahe, dals wir nidit an ihr TOrbeigehen
dürfen. In der ganzen spätrumischen Litteratur erscheint die poetische Form
mit ihren althergabiaehten, ann klassischen Maatern entlehnten Ausdrucksmittdn
und ihren festeren sprachlichen Typen geradezu als heilsames Präservativ gegen
Schwiilpt und i'l)erli\durig. Wir sind ja durch Vergleichung des Pasdiale ojws
und des Pasdtale cannm des Sethilius in der besonders glücklichen Lage, sogar
an demselben Stoff den Unterschied des prosaischen und des poctiseheu Stiles
in der spätrömitchen Litteratur genau beobachten zu können ^) (s. Teoffel § 473),
und ein imd derselben schriftstellerischen Persönlichkeit snf den beiden so ver-
schiedenartigen Wegen ihrer Thät^^t naehsagehen, dazu bietet sich die Ge-
legenheit ja fortwihrend dem Leser der Patrolc^e. Wie anders schreibt Panlinns
▼on Nola in seinen Briefen, wie anders in seinen Gedichten, and Sidcmius
Apollinarts bietet uns ein ganz anderes stilistisehas Bild in seinen Gedichten
als in den prosaischen Partien seiner Korrespondenz, ja auch in der Consolatio
des ßoethius xeigen die metrischen Partien einen anderen Stil als die prosaische
Hauptpartie. Wer gar die Praefatio des ('od Salniasianus (Nr. 19 bei Riese)
liest, in der 'die Manier des Tertuüianus, Apuleius und Martianus Capella bis
ins Aberwitzige gesteigert ist' (Teoffel § 495, 1), der kann es wohl yerstehen,
wamm gerade ein auf Popnlarisierimg einM Stoffes berechnetes Werk in den
Zeiten der spfttrömisehen Lttterator ?on seitmi seines Urhebers eine Form er-
hielt^ in dw eine gewisse AbU&mng und Fafsliehkeit^ sei es selbst auf Eoaten
der Originalität — dies zur Erklärung des cento! — sich erreichen liefs
£ine ÄuTserung aus dem Kreise der spätrömischen Litteratur darf freilich
nicht unerwähnt bleiben, die gerade im Zusammenhange mit Popularisierunga-
hestrubungen von der poetisch-metrisclien l'orm in ganz anderem Sinne redet.
Augustinus nämlich sagt in dem autobiograpliischen Rückblick auf seine schrifl-
stellerische Thätigkoit lietract. \ 20 zu unserem Erstaunen folgende: Voktis
etioM causam DcmHstarum ad ^pfltM iamaBim tK%t . . . wiiMvm parvmire . . .
psalmm gm eü eaniaräitr per laUnas lUlenu fed . . . Ideo autem non aliquo
earminis gener» id fieri volui, ne int neeessiias metriea ad aliquo
Zn der ParaDeliielliiiif von Proia und Foeefo« die bei Sedvlivs ub etlrlnteB lo
Tapo triü, vor-^loiche mnii noch Alifliolm, V>f laitd. vir«;. 19 f.: üt prlus H jyrom hiiulahat
lUtera castOH, Sic (Migue: m) modo herokum stipulentur carmina Utudem; Sidon Ap. Ep.
rV 3, 10: Seu liberum seu ligatum placeat altemarc aerntonemi Venant Fort. App. apur. III 6:
XHun «el pnta vet ptOen earmim mOri vtad S £: Kr^mi f^mmda «ertOiM (n4 cumM»
nut prosrtf veliere texm». Vgl auch C. de figur. i'Nr 4R5 T^iosf»^ V s in tlor Hnchstiflsbcr.
1896 S. 4 f. vorgeschla^nen Lesart. — Über den üntenichied der poeiisdbeii und der
proaaiaclieD Schreibart bandelt fttr AleimuB Avitus Manitios S. 24i.
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J. Ziehen: Zur Geieliidite der Lefardiditniig in der ^trSmiflehen Liiterntur. 417
terha quae vulgo minu$ esaent usitata compelleret Die Worte des auch
als Pablttirt »nfterord^Uieh gewandten Hannes finden ihre richtige ErUinmg
Bor dann, wenn man das AumtSimt i^bllhreiid betont; Angnetin redet von
einer Vol^chicht, die den Traditionen der daoaudi-romiBchen Poesie ttber-
haupt völlig firemd ^ei^enOberstand; und os int ja ganz selbstverständlich, dafs
die Popularisierungsbestrebungen, die wir für die spütrömiacho didaktische Dich
tung hier bchanrieln, über die weitesten Kreise der Gebildeten hinaus nicht
gemeint »ein konnten.')
Ein französischer Dichter aus (Miicm goldenen Zeitalter der Didaktik hat
einmal über da^ VVetieu dieHer Litberaturgattuug den folgenden Ausspruch gethaii:
La FaMe äUaeHque a meuu pmr hut de ereer, que i» eoiuaaw les prvceptes des
airtt, Ott des semees MUes, La raiao», le ffoüif 1a virUi, mrtovA la darie, wSä
m OI90I», le» detwir» Im impoee, ka homes dtms lesqu^tes eUe se nmferme
(Dorat, D^claination th^trale S. 179 f. der Ausgabe ton 1771)*). Ganz im
Sinne dieser Worte hat schon im späirömischen Alteitnm die Lehrdichtung
den praktischen Bedürfhissen der Zeit Itechnnng sn tragen gesucht und gelegent^
lieh im Dienste jjeistig-religiöser Bestrebungen als nn verächtliches KampfTnitt<^l
gedient; unt«r diesen^ Gesichtspunkt verdient die üiiätromische Lehrdicbtuii^
ernster genommen zu werden, als es wohl im allgemeinen bisher geschehen ist
*) Ober die Art, wie Conunodiaa den BedtliAdisen des Volkes in Sprache vnd Uetnun
Rieb aap ' b Schans, BOm. Litt m 860. Ober Angottmi Donatisteagedidit selbst
Manitiiis S 320 ff
*) Was Goethe im Jahre über das Lehrgedicht aufgezeichnet hat, verdient oatür-
lidh in enksr Idnie von jedem geleien so werden, der vom Stso^paakt der Pbetik ans der
didaktiBchen Gattung gerecht, werden will; es ist eineFfllle frndiiSrarer Oesichtsponkte, die
in der konen Notiz 'Über die Lehrdichtung' anf dem engen Räume weniger Zeilen eneheint
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SCHILLEB UND PLUTAKGH.
Von Kaw« Vbmbb.
(SdüvA.)
im Don ('arloa liegen die Spuren jenes Einflusses weniger au der Ober-
flache, aber auch hior lassen sie sich mit einiger Deutlichkeit nachweisen. Um
au Gesa^dcti auzukuUpfeu, wenden wir uns zunächst dem Posa zu, dessen Frei-
mut gegen Fürsten schon beim Arat erwähnt wurde. Vielleicht bietet tuu
jcdodi PInterch noch «n amkreB Mutter für diesen groÜMUigelegten MensdMD,
für den man biaher nnr anf die PrinsraenBieher bei FAiflon, Wagmeeil, Halkr,
Beaedow, Leieewits u. a. hinwies. Wie weit aber ragt der Posa, dieser ih*
geordnete der ganzen Menschheit^ Ober den rationalistisch befangenen Aufklarer
und Philantliropen jener Zeit hinaus. Er steht wie ein Prophet in einer dnnklaB
Zeit und lehrt die ^Erdengotter' die Schranken ihrer Macht erkennen; auf dem
sonnifien Grunde der Zukunft malt er ein politisches und allgemein mensch-
liches Idealbild, das selbst in miserer Zeit noch nicht verwirklicht worden id:
er ist ein philosophischer Dichter, eine Platonische Seele, und in der That —
Plato selbst ist es, in dem wir das Muster des Posa vermuten tlürltii, jener
Plate, den Plutareh im Leben Dions als ersten und gröfsten aller Prinzen-
eraieher aehilderi Nidit unemihnt nu^ bleiben, dals der Dioa mmuttdbsr
vor dem Bmtns stehl^ nnd dab diese beiden Helden nadiher in der &6ynqtSit
mit einander verglichen werden. Dien fiberredet den jflngerea Dionynns, des
Plato einxnhiden (Vlli 906 Schir.), nm sich dnrdi ilm an Teredeln *and dam
schönsten Muster, der Gottheit selbst, SbnlMb sa werden, deren Regierung das
ganze Weltgebäude folgt * Dion malt ans, welches GlQck für Herrscher uud
Volk aus solcher Wandelung erblühen werde, wie der erzwungene Gehorsam
der Menge sich zu freudigstem Entgegenkommen, zu treuer Ergebenheit '<t«">üen!
werde. In Dionysius entsteht eine 'heftige und beynahe rasende Begierde',
Plato zu sehen. Dieser folgt dem Ruf in der HofiPnung 'durch die Verbesse-
rung eines einzigen Mannes, als des herrschenden Theils, die ganze verderbt»
Insel SiciHen zu bessern*. Der Übersetzer nimmt gegen Plato Partei, indem
er Ton einem der Widersacher desselben sagt (309 Anm.): 'Er hatte indflsaea
reellere Grandsatse yon der wirklichen Staatdnmst, als der phantesiereidM
Plato, der nur f&r idealieche Reiche Staatsmann war, aber doreh die sdiSaeo
Worte Ton Freyheit blendete.' Mit Plato Terorteilt er Schiller und Posa.
Dion hoffte das Beste von Piatos Worten. Es folgt die Schildenmg der Sinnes-
änderung, die sich im Konige vollzieht. Die Gegner Piatos fürchtra, 'dafs seine
Macht mit der Zei^ durch die Dauer seines Urngsags mit dem Dionysia^ ^
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I
JL. FriM: BchiUw «wd Plotwch. 419
OUrwmdlich werden mödiie, d» er in einer eo kmzen Zeit eehon die Oe-
•iiuiung des Regenten eo eelur veiindert und rnngescluiffto bntte' (311). *Mit
der Zeit aber, und dnrdi den fortgesetnien Umgang mit dem Pinto gewShnte
er ekih, wie ein wildee Thier neh naeb und neeh ebfameididbi nnd greifen
UUbt, eo sehr nn den Umgang mit dem Fbto, und dessen pliilosophische
LeKren, dalSi er eine herrschsüchtige Liebe zu ihm bekam («Ihr seid von heute
an In meinen Diensten — Keine Einwendung! Ich will es haben») und nnr
allein vom Plato, mehr ala andre Menschen, geliebt und geachtet zu werden
wünschte (vgL «Was gehen die Lohenden mich anV Ein Geist, Ein freier Mann
stand auf in diesem ganzen Jaiii hundert — Einer — Er verachtet mich Und
stirbt») und sogar bereit war, die Staatsverwaltung und die liegiemng ihm zu
überlassen («Wer weils, was ich ihm aufbehalten !>). Diese leidenschaftliche
Liebe dee Dionyatoe wurde dem Pinto eelbet sor Last, denn er war, wie die
uigUlGUieli Liebenden, für Bifarandit fiMt rasend, nnd enfimte aieb daher oft
in knnter Znt wider ibn, nnd sSbute aieb wieder mit ihm ans, nnd bat ihn
vm Yogebong^ nnd hfirte mit flbartriebenem Eifer aeine Lehraitae^ nnd aadkte
seine Philosophie practisch zu machen, wobej er diejenigen vermied^ die ihn
davon abzubringen suchten, als Leate^ die ihn verderben wollten' (315). Ebenao
heftig wird Pluto dann bestürmt, zum zweitenmal nach Sizilien zu kommen.
*Seine Ankunft erfüllte deu Dionysin« mit Freude, und ganz Sicilien mit Hof-
nutitr Jedermann wünschte eifrig, dafs Plato über den Philistus, und die Philo-
sopiue über die AllLnihcirsohaft siegen möchte. Auch die Frauenzimmer am
Hofe beeiferten sieh, dem riuto ihre Iluchuchtuug zu bezeigen, und Dionysius
beehrte ihn mit dem auseerordentlicbeD Zutrauen, dala er, ohne vorher Ton
der Wadie dnrehanebt zn werden, den firejoi Zutritt m ihm batle' (320; vgl.
<D9t Bitter wird kflnftig ungemeldet Torgelaaaen»). Andi IHato wird dann wie
Poaa rem KSnige als Werkseng seiner Prtvatangelegenbeiten benntat Er er-
hält den geheimen Auftrag, Dion auaiufiffaeben, 'ob er dawider seyn würde,
wenn man seine Gemahlin einem andern zur Ehe gilbe* (323). Plato giebt
brieflich über seine Ermittr Innp^on Anaknnft. Die guten Beziehungen trübten
sich bald, nnd Plato verband si('h immer mehr mit Dion, fiel daher heim Konig
in Ungnade und entrann nur mit L* b> n«^f'fahr den Naclistellungen des Tyraimen.
Zweifellos hat Schiller Dioas Leben gelesen, und es liegt daher nahe, an eine
Beeinflussung zu glauben. Freilieh ist der jüngere Dionysius dem greisen
Philipp nicht sehr uimlich, ebeusoweuig wiü der alurude i'iato mit dem
blühenden Posa personlich vergleichbar ist. Aber die Übereinstimmungen tiber-
wiegen doch derart, dab man jene WidereprUche 'leidit Qberaielii Übrigens
war Sduller auf jene Biographie schon durdi Wielands Agathon hingewieaen,
in wdehem Romas bekanntlieb der Held ab Ersieher dea Dionjaiua eiaebeint.
Die Liebe dea Carloa zu seiner Stiefmutter war ja adion durch die Quellen
gegeben; merkwürdig ist aber die Ähnlichkeit eines Vorgangs der Diadochen-
aeit, den Flutarch im Demetrius erzählt: Antiochus liebt seine Stiefmutter, 'die
noch jung war', und verfällt in eine Oemfitakrankheit, da er seine Leidenschaft
Tej^bena bekämpft £r erkennt das Unerlaubte seiner Neigung und die Un-
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K. Friet: Schiller und Plutwreh.
heübarkeit seiner Leiden und will sich toteu. Die Szene, wie dann der Arzt
ihit beobaehtet imd an «einen Mienen beim Eintritt der Königin den Gruod
seiner Schweimat erkennt, erinnert so lebhaft an die Yersuehe der EboU und
Domingofl, des Prinzen Herz xu entritfaeln, dab man mit einiger Znversidit tod
einem wenn anoh nnbewulsten Anlehnen dee Dichters reden dar£ Doeh kann
hierauf nicht viel Qewicht gelegt werden. Das aber darf man mit BsstinuBt-
heit aussprechen, da& in den Charakteren des Carlos nnd besonders des Posa
das antike Element, wenn auch schwächer als in den ersten Dramen, doeh
(loutlich 7M orkpnnen ist. 'Alle Grundsätze und Lieblingsgefuhle des Marquis
drehen sich um republikanische Tugend. Selbst seine Aufopferung fnr mr\en
Freund beweist dieses, deuu Aufopferungsfähigkeit ist der Inbe^n^ifi aller
republikaniscliiMi Tuo^nd' heifst es im zweiten Brief über Don Carlos. Carlos
klagt, dafs er noch nichts filr die Unsterblichkeit gethau habi', ähnlich wie
CSsar bei der Lektüre dner Alezanderbiographie mit Thränen gesagt haben soll:
^Ist das nicht der Traurigkeit ^werCh, dals Alexander in einem solchen Alter
schon über Tiele Beidie herrsdite, in weldi«n ich noch nidii Grofiws getitu
haber (VI 380 Sehir.). Ähnlich erinnert Philipp mit seiner Klage:
Des Yatera ontergehende Sonne lohnt
Das neue Tagwerk nicht mehr. . . . Das Terspart man
Dem nenen Aufgang seines Sohns (V 9)
an die Worte des jnngen Pompejos (Pomp. TI 29 Sehir.): 'Sylla mSdite he-
denken^ dafs die aufgehende Sonne von mehrem als die untergehende angebetet
wQrde.'^) Spuren Gatonischer Starrheit finden wir, wie in Yerrina, auch im
GrorsiiKjuisitor, der, wenn auch nichts wenii^cr als aus republikanischem Sinn,
dem König doch so freimütig wie ein Hold des Altertums begegnet.
Nach dem Abschhifs des Carlos trat liekanntlich eine ünterbrechunp der
poetischen Produktion ein. Der Dichter fühlte, dafs er eine Technik, mit der
er sein Kunstideal nicht erreichen konnte^ aui ilie Spitze getrieben hatte, uud
sehnte sich nach stilistischer imd äsÜietiflcher Wiedergeburt. Die beste Arznei
für seinen Znstand fand er in wissensehafllidi« Thätij^eil Der Anregung
folgend, die ihm die Quellenstadien anm Carlos geboten hatten, widmete er
sieh fiuit gans dam Stadium jener Zeit und schrieb den *Abfidl der Nieder
lande'. Fragt man, was ihn gerade zur Gwehichte trieb, so wird msn auch
hier zum Teil an ihn IMutarch zu denken haben. Wenn ScliiJler in seinen
Jugenddramen das Bestreben an den Tag legt, scharfamrisseue Charaktere auf
die Bühne zu stellen, so darf man nicht vergessen, dafs er in Pltitarchs ßioi
vierzig sorgfältig ausgeführte historische Porträts vorfand. Diese Richtung auf
das Individualisieren und psychnlo<;isehe Zergliedern, vom medizinischen Studium
befordert, ist es, was die Brückt* zu deu historisc lien Schriften schlägt. Ein
ganz wissenschaftlicher Historiker konnte Schiller nie sein, er büeb innerlich
tt^ der Dramatiker. Wenn er sieh rtm ungeaehiehtlidien Gestalten, wie dem
' i Man hat Posa auch mit Katte venglichen. In dsMwa TodeiarteU Sud «ich £e
Wendong: 'dab er mit der neaen Sonne tnunieret*.
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K. Friw: Behilkr oad Plntardi.
421
Carlos und Posa, dem goschichtliclien, dem wirklichen Menschen zuwendet, so
liegt immer die uuauägeäprocliene Absicht vor, ihn später gestaltend zu er-
neuen. Du ReaalUt war der Wnllenstein und der Dm umringende Stab wohl-
getroffBner WirUlehkeiittnenschen. Dem Mmadasa, den er in der Geechidit^
nicht wie Goethe im Leben Mlbet geionden und mit ein^r Verleugnung seiner
tie&ten Natur gezeichnet hatte, hüt «r dann, indem er in die ideale Heimat
seines Geistes zurücUdirt, die leuchtenden Gestalten vor, die sich in seiner
Phantasie hell abhoben von dem dunklen Grande der ihm firemden empirieeben
Weli> denn sie ^lag hinter ihm im wesenlosen Scheine'.
ZnnHchst also richte er 'des Menschen Kern' in jt^non Biofrmphien Philipp«
des Zweiten ( 1 7><*V\ E|rniontH (1789), Amalia Elisabeths (1791) u.a. zu er-
forschen. Das biu^"ii]>hisch« Element tritt mich in den ^-iViseren Werken, im
Abfall der Niederlande und iiu dreifsigjalirigen Krieg atark hervor. Egmunt,
Oranien, WaUeuntein, Gustav Adolf werden ÜEtst monographisch behandelt. Das
btteteBie des Dksbten kulminiert nieht in der Enahlung der Thatsachen, son-
dern in der ModeUierang der Charaktere, in deren feiner Ausarbeitung er sidi
nicht genug thun kann, bei denen er mit wahrer Lust verweilt und bei weitem
mehr als EfinsHer, dran als Ferseber interessiort isi Wir glauben in die
Skizzen eines Historiennuilers zu sehen, der dieselben Typen immer wieder in
Biannigfiiichen Variationen hinwirft, um sie schliefslich in einem grofsen Werk
zu vereinigen. Unleugbar schwebte auch Schiller bei allen seinen historischen
Arbeiten ein grofses Dichtwerk vor, und wenn man von einer zelmiiilirigen
Unterbrechung des dichterischen Schaffens redet, so ist da« unzutretfeiiU; er
hörte niemals auf, zu entwerfen, zu skizzieren, zu gestalten. Die historischen
Schriften gehören stofflich und formell künstlerisch mit dem Wallenütciu zu-
sammen, sie bilden ein grobes Korpus, das durch das geiistige Band des Realis-
mus umschlungen mt. Die Richtung auf das vertiefte Indi^nalisieren, die zu
Sdiilleni nener Kunst gdiSrte, findet ihre Erklirung im Einfluls Flatarchs.
Dieser ist von Hans ans nichts weniger als Historiker, von seinem philo-
sophischen Ststtdpunkt ans laJst er die Personen der Vorseit an sich vorüber-
ziehen und glossiert und interpretiert sie mit psychologischer Kritik. Auch
Schiller ist mehr Philosoph als G« schichtschreiber, ja er wird von der
Geschichte, wenn auch inittolbnr, zur Philosophie geführt (hierin im Gegensatz
zu Plutarch, der vom Plttt(»tiisinus herkommt), aber in erster Linie ist er
Dichter. Beiden ist die Geschieht*! ein Mittel zu ihrem Zweck. Dafs Schillers
Neigung ziun BiographiHcUeu auf den Grieelieu zurückzuführen sei, hat man
schon ausgesprochen. Aber man kuuu noch einen Schritt weitergehen. Im
Ab&U der Niederlande werden Egmont und Oranien charakterisierl^ aber nicht
jeder ftr sich, sondern mit- und aneinander. Ein bestftndiges Übetgreifim vom
einen snm andern, ein gegenseitiges Abmessen und 'Wagen. Ifan bemerk^ mit
welcher fVende Schiller bei dieeem Verfishren resiproker Kritik verweilt und wie
er sich als Herrn des Stoffes fühlt — gleichsam Reflexbewegungen seiner dra-
matischen Seele. So wird Philipp mit Kurl V., WaUenstein mit Tilly, sogar
in den pfailosopbiBdien Schriften der üeaUet und der Idealist in Naiv und
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Z. FriM: Bdiilkr und nntareh.
Sentimental, der Brot^lehrte und der philosophische Kopf in der Antrittsrede
in Vergleich gesetzt. Man deiikt au Plutarchä ßi'oi xoQaXhfloi, in denen je
sirei Helden stmächBt einzehi behandelt, dann in der Sjnkrisis mit einander
vei^clmk werden. Anch 8<äi]lan Münte Yoiliebe ftr Doppelbelden in den
Dnunffli kann in dieeem ZwMmmenluu^ orwSImt werden.
In den liiitonecli«! Sdiriften finden sidi viele Stellen, die «if BeminieBens
en Flatwrch beruhen.^) Kurs mümati wir noeh bei dem Anftatat *Die Geeefat-
gebung des Lyknrgus und Solon' verweilen, an den sich bekanntlich eine Debatte
über die Echtheit geknüpft hat (vgl. Na^, Herrigs Archiv XXXUl IH'^ unA
Goedeke, Sch.s Sehr. IX 9). Nagel hat erwief?en, dafs der Lykurgaufsftt/ gröfsten-
loih von Nast, Schillers ehemaligem T.' hrer an der Karlsschule, herrührt Die
Zusätze zum Nastscheu Text, die Kagf'l kenntlich gemacht hat, tragen, s oweit
sie nicht rein philosophischen Inhalts sind, Plutarchisches Gepräge, z. B. der
Abschnitt über Köuig Charilaus (vgl. Plut. 1 168 Schir.), über das in Essig
gelSschte Biaengeld (ebd. 177), Uber das gemeinschaftliche Speisen (178 ff.), die
spartaniechen Kinderwirterinneii (196 1), Aber den Anemg nun Krieg und die
Feldausrflstang (210), die MUSiliandlimgen der Heloten (221 f.; die Ableitung
dee Namene Heloten von der Stadt Hdot steht nieht im Flnftareh), die Kriege-
lieder (209). Diese Stellen aind alle last wÖrtUch ans dem Sehiiadi enbiommttL
Übrigtais beruht auch der Nastsdhe Teil fast ganz auf Plutarch, wahrscheinlidi
andb anf Schirachs Übersetzung, wie wörtliche Anklänge zeigen. Goedeke
nimmt nnn an, dafs auch der Solon kein selbständiges Produkt Schillers ist
An einer Stelle wird Plutarch mit Schirachs Worten zitiert: "^Er ma^'hte iha
(den Areopagi zum obersten Aufseher und bchutzgeist der Geseiase und be-
festigte, wi(( Plutarch sagt, an diesen beiden (icrichten, dem Senat nämlich
und dem Areopagus, wie au 2wei Ankern die llepublik' (I 343 Schir.). Auch
sonst wird Plntareh bennfat^ wie an den Stellen Ober Drakon, aber die Nentra-
littt der Bürger beim Aufiatand, Aber die fible Naduede der Toten, ftbw
Solons Ende.
Im swSlften Brief über dm Don Carlos findet sidi eine Schfldcmmg Toin
Tode des Lykurg und von der Art, wie er die Spartaner zom Festhalten an
seinen Gesetzen zwingen wollte, genau nach Plutarch, nur dafn bei diesem
Lykurg den Orakelspruch der Pythia Bchriftlich in die }{<mr*^ sendet^ während
er ihn bei Schiller in Sparta selbst mitteilt; offenbar nnr ein Versehen dee
Dichters, der seinen Autor ans dem Gedächtnis zitiert.
In dem Lykurgaufsatz ist die Erwähnung jener Sage einer der Zusätze
Schillers selbst. Jener Aufsatz wird demnach ungefähr mit den ITHS \er-
fafsten Carlosbriefen zeitlich zusaumienfullen. Freilich wird schon im Spazier-
gang unter den Linden (1782) Lykurgs Tod nach Phttueh erwähnt (Sehir.
I 233): *So mag die Asche dee Lykurgns noeh bis jetsst nnd ewig im Ocetti
liegenl' Die Gestalt des spartanisdien Gesetigebers sefaeint Sehiller inuser
*} EoffeBtiich bringt die nene SehiUennugabe von BellttinaBii ein amRIfarlidiM Nwaae»
veiMidiiiit, ans dem men rieb Iridit orienllereii kann.
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K. FriM: SdiillMr und PlnteMh.
428
stark gefesselt zu haben, und im La Vüiette, im Ortlensmeister des Kampfe«
mit dem Druckeu glauben wir Ljkur^ strenge Züge wiederzufinden. Was* ilm
eigentlich an ihm interessierte, m^ eine gewisse Ähnlichkeit mit dem strengen
Oesetzgeber «of monlÜNdiBm Gebiet geweaot sein, mit Kan^ deaten Sehfller er
m Warden b^nn, imd deesen BlgorottÜt üm teilweiae lurlielEeolireGikte.
In den lÜBtoriMhen Sehriften finden aieh «iederholt Anepidongen wat
PIutanshieeikeB, wie wenn i. B. m der Vorrede zu Ywtote Geeehiekte des
Maltheserordens die Ritter von St. £lmo mit den Helden von Thermopyla ver-
gehen werden. Wie sehr der Dichter ftberhaupt damals noch im Plutardi
sein historisches Vorbild sah, erkennt man an dem Unternehmen, über das er
am 26. Nov. 1790 an Kömer schreibt (Jonas III 118) und das er als mit seiner
ganzen Verfassunpr sebr genau verbunden bezeichnet. 'Ich trage mich schon
seit anderthalb Jahren (also seit dem Antritt der Professur) mit einem deutsehen
Plutarch. £s vereinigt sich fast alles in diesem Werke, was das (ilück eines
Buchs machen kann, und was meinen individuellen Kräften entaprichi Kleine,
mir nicht whwer m fibeimhende Ganse nnd Abwecheelun^ knnalnüUhige Dax-
stellung, philoacphiedie und mondiaclie Behandlong. — Alle £ttii^Miten, die
in mir Tontfig^eh nnd dmreh Übnng aoBgebildet lind, werden dabei beeeUftigt;
die Wirkcmg auf das Zeitalter ist nidit leicht sa Terfehlen.' Am 19. Des. 1790
an Kömer (Jonas III 124): *Mich freut, dafs Dir mein deut«cher Plutarch gefallt.
Gewifs iirt das die Arbeit, die auf mich wartet, wo alle Kräfte meiner Seele
Befriedij2[ung finden werden. Ich bin nun begierig, was Dalberg dazu sagen wird.
Er will mich nicht von der !*(if'sie, und besonders nicht von der dramatischen
verschlagen wissen. Aber beides wird sich recht gut vereinigen lassen.'
Auch in den Beziehungen zur Braut spielt der Plutarch eine Rolle. 'Hier
ist der Plutarch' heilst es iu einem Brief vom September 1788 an die Schwestern
JiMigefeld, dem wobl das Exemplar des Antors beifolgte. Ähnlidi echreibt
BoQwean 1766 an Madame d'^pinaj (Oenyree^ 1871, X 113): 'VoSlä mm maUre
ä tonsMmr, FUtUwqm; gardohle mm acmpule autsi longtempe ^ tmw k
Ureß; mais ne le ffonkt paa pom tim fam, d mrkmi ne le prtkt d pet-
sonne; cor je ne veuz m'en passer qiie pour vom,* Am 20, Nov. 1788 sdireibt
Schiller nach Rudolstadt: 'Es ist brav, dab Sie dem Plutarch treu bkibeiLi
Das erhebt tlber diese platte (ieneration und macht uns zu Zeltgeniwaen einer
besseren , kraftvollem Menschenart. Lesen Sie doch diesen Somraer auch die
Geschichte des Könige von Preulsen, und geben Sie mir Ihre Gedanken darüber.
Ich werde sie auch lesen.' So greifen ['lutarchische und moderne Anregungen
ineinander. Plutarch wird noch immer mit RousseauBchem Auge betrachtet.
Noch wuTste man seinen Helden keine aus der Gegenwart an die Seite zu
Mlen.^) In einem Brief Tom 4. Des. 1788 heifbt ea: *Die Gegenstftnde wovon
M enteeqniea Ittodelt sind Urnen dnrdi Gibbon, Plntarch n. s. f. gelftnfig.' Am
1. Sepi 1789: *Idi Tomnthe dala ich Moxgen (Hittwodi) über 14 Tage mein
lalatee CoUeginm leee. Ich eile jetrt gauc gewaltig; und meme Studenten
^ deg^gu Goethe, Eflkmniaatt M. Nov. 1814.
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K. Fri«s: SehUlw und Flntareh.
freuen sich ordentlich, wie schnell es ^eht. Ganzp Jahrhunderte fliegen hinter
uns zurück. Morgen bin ich schon mit dem Alcihiadea fertig, und es geht
mit schnellen Schritten dem Alexander zu, mit dem ich aufhöre. Unser Plutarcli
tbat mir jetsl gar gute Dienstey aber freüich liebe ieli jetet anch mehr Oelegeiir
beit mich Uber ihn sa axgem.* In einem Semester hatte SdiiUer ecunit die
üniTwealgeschidite hie auf Aleunder den €bx)leen gefthrt^ waA in swei Wodien
eoll die Zeit tob Alcibiades bis zu Alejcandere Ende hesprodien werden. Ln
Drang der Zeit mag wohl jener Nastsche Aufsatz unter die KoUegienhefte ge-
raten und so jenes seltsame Produkt entstanden sein, das nns vorliej^t. Ist
das der Fall, so scheint Schiller in der ersten Zeit seine Vortrage schriftUch
auagearbeitet und abgelesen zu haben, was bei den späteren Vorlesungen iiii
gesichts des schnellen Vorgehens nicht wahrscheinlich ist. Bemerkenswert ist
die Stelle aus dem Brief an Kömer vom 18. Okt. 1790: 'Der Aufsatz über
Moses in der Thalia hat also Deinen Beifall im eilften Heft kommen noch
zwei andre, ungefähr von demselben Gehalt; auch die Vorlesung über Lykurg,
die Du mit angehSrt hast, ist daronter.' Also wurde jener An£nti von Nest
mit SdiiUeni ZneKiaen geradesn eis EoUeg vorgelesen. Dab nur solche Vor-
lesungen herausgegehen wurden, die sich mit den Anfingen der Geschichte be-
sdhSftigen, lälst deutlich erkennen, dsis Schiller nur an&ngs seine Kollegien
niederschrieb, solange der Stoff zu philosophisdien Betrachtungen tther all-
gemeine mensddiche Fragen Anlafa bot.
Worin jenes 'Ärgernis' bostiinil, das Schiller jetzt 'auch mehr' am Plutarch
nahm, ist in jenem Brief nicht ausgesproclu-n, nhcr man kann es aus der Natur
der Zusätze zum Nastöchen Lykurgaufsatx entnehmen. Dort lieifst es gelegent-
lich einer l'olemik gegen die spartanische Verfassung: 'l.'berhaupt können wir
bei Beurteilung politischer Anstalten als eine liegel festsetzen, daTs sie nur gut
und liehenswfirdig sind, insofern alle Krafte, die im Menschen liegen, zur
Ausbildung bringen, inso£nm sie Porlsehreitnng der Gultnr befördern oder
wen^tens nicht henunra. Dieees gilt von Religion»- wie von politisdien Oe-
setsen; beide eind Terwerflioh, wenn sie eine Kraft des menschlichen Geistes
fessehi, wenn sie ihm in irgend etwas einen Stillstand auferlegen.* Wir er-
kennen den Schüler Rousseaus, den späteren Vorkämpfer IBr die Verwirk-
lichung des ästhetischen Staats. Es war die antike Begrenztheit, der Mangel
an philosophisclipr Freiheit, die Auffassung der Menschen als Staatsbürger, was
die allmähliche Entfernung Schillers von seiner Lieblingsquelle herbeiführte
*Bloi'8e Achtung demütigt den, der sie emptindet. Daher gefällt uns Vä^&r
weit mehr als Cato, Cicero mehi' als Phocion, Thomas Jones mehr als Grandison*
heifst es in einem Brief vom 23. Febr. 17U3. Durch die Beschäftigung mit
der Philosophie lernte Schiller orst erkennen, waa der Weltanschauung des
Altertums mangslte.
Einige Jshre vorher hatte der Dichter noch ganz andere Worte ftr Flatndi.
An Cotta schreibt er am 20. Aug. 1788: *Ich habe gestern geschrieben mid
dann das Leben des Pompejus im Plutarch gelesen, des mir grofse OdUhle
gegeben hat, und den Entschlufs in mir erneuerte, meine Seele kfinftig mehr
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K Frie«: SdiiUer ond Plnludi. 425
mit den grofsen ZQgen des AltertamR sa nShren.' Jene Sinneswandclung
«(C'heint also ziemlicli unvermittplt eingetreten r.xi sein, so panegyrische Aufse-
rungen finden sich später nicht wieder. An(h>rs wird das Altertum «f'iiter bc
trachtet, das politische Ideal ist durch das ktmstiensche verdrängt, und statt
I'lutarchs übeniimmt Goethe die Vermittelung. Bezeichnender Weise charakte-
risiert Schiller den grolüen Eiodruck Goethes auf ihn mit einer Plutarchischen
Rj^mmimwi« Ooe£he habe in ibm eine Empfindmig erweckt, die derjenigen
Didit nngleidi sei, die BrntoB und GasBiiis gegen den Caesar gehabt haben
mfi&ten (2. Febr. 1789). Im Bilde bleibt Schiller, wem er Bebenweise ge-
stebty &t kannte Goethes Geiit ermarden.
In den phfloBophiBchen Schriften )jikt sich jene Sinnesändenmg deutlich
▼erfolgen, wenn z. B. in dem Aufeaia: *Üher die tragische Kunst' (1792) in
dem Richterspmch des Brutus über seine Söhne, im Selbstmord des Cato nur
eine für den Römer geltende subjektiv»' Wahrbt-ii, dagegen in der Aufopferung
deü Leonidas. in Aristides', Sokrates', Diunir^ SeiiickHaleu allgemeine, rfihrendt»,
objektive Wahrheit erkannt wird. Ininurhia wurden die Beispiele noch fast
ausschlieiklich dem Plutarchischen Gesichtskreis entnommen.
Auch die poetische Produktion ist noch von Platarch beeinfiu&t. Das
Qedidit *ArdliimedeB md dmr SchfiliO'* beruht, was Viehoff Bchon bemerkt hat
(Erlantemngen III 186), einer Stelle der Ifaroellnsbiographie (III 272 Schir.):
*Er (Ardumedes) hielt die praktische Hedianik und Uberhaapt jede Kunsiy die
man der Nothwendi^it wegen triebe, f&r niedrig nnd hendwerksrnftlsig: sein
Ehrgeitz gieng nur auf solche Wissenschaften, in denen das Gute nnd Schone
einen innem Werth für sich selbst hat, ohne der Noth wendigkeit zu dienen, die
mit keiner andern Wissenschaft verglichen werden können, und bey welchen
die behandelten Dinge mit den Beweisen in Absicht der Vortreflichkeit gleich-
sam wetteifern, weil die Bachen an sich so erhaben und schön, und die Be
weise so gründlich und wichtig wind * Auch die Erklärung der Sambuen stammt
ans der genannten Biographie (^2G6i. Da» Gedicht it^t inhaltlich mit dem Lpi
gramm 'Wissenschaft' verwandt. Wenn es femer in dem Gedicht *An die
Ptoaelytaimaeher' heilst:
Nnr ein weniges. Erde beding* ich mir aoTier der Erde,
Sprach der gOttlidie Mann, mid ich bewege sie leicht,
so geht das auf dieselbe Biographie zurflck, wo Arcbimedes' Behauptung er-
zahlt wird ( 266), er vermöge diese Erde, wenn er eine andere lultte, auf der er
skethen könnte, in Bewegan^ setzen. In jener Zeit entatond auch die Belage-
rung von Antwerpen. Die Ge<^chichte dieser Belagerung erinnert in vielen
Zügen an diejenige von Syrakus durch Marcellus. Auch hier wird die Stadt
von einer starken Macht vergeblich berannt nnd hiilt sich aiiffalleiid lang da-
durch, dafs ein genialer Ingenieur mit unerwehöptliclur Ertindungsgabe dem
Feinde den gröfaten Schaden bereitet. Triedrich GianibeUi hiefa dieser Mann,
den das SchickBal bestimmt hatte, der Archimed dieser Stadt an werdm, nnd
eine gleiche Geschicklichkeit mit gleidi Torloniem Erfolge sn deren Vert^digong
»1 Terschwenden.' Die Bezeichnung *ArdUm^ Ton Antwerpen' fcdut noch ein-
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426 K. frivt: 8ehiU«r nnd Plntansh.
mal wieder, wo erzählt wird, wie die Volkslcidenschafb ihn je nach dem Erfolg
bald in Stücke zu reiTsen droht, bald vergöttert. Die Analogie zum 'Marcellu'
mag Dichter aufgefallen sein, dem gelegentlicb erne«iter Lddüre deeselben
jene an Aidumedes anknIlpliBindffli Ideen aufgegangen aein worden.
Der Diehter der *BinbOT' mtereieierfce wst in späteren Jahren lebhaft für
da8 Lcbm auf dem Meer und speziell für die Schicksale und Abenteuer der
Seeräuber. Er las ÄrcheDhoiz' Geschichte der Flibustier und wollte diese sogar
dramatisch verwerten, wie ein Fragment bezeugt.') Diibo? mag ibm anob die
eingehende Schildening des Sferäiiborkric«:^ ^legenwärtig gewe!*en sein, bc'-
sonders die genaue Besehreibung dir Orpmisation, der Mtthode und der Gräuel-
thaten jener Piraten, die in der von Schiller mit Begeisterung gelesenen Pompejus-
biographie gegeben wird (VI 66—70 Schir.). In diesen Gedankenkreis gehfiii
auch der Entwurf *Seine GfÖttor ruft der Meerkönig zaeammen' n. s. w. (Hoff-
meister m 274) sowie die Strophenfragmente:
Nach dem femm Westen woUt^ er steoem.
Auf dnr Btrabe, die Colnmbns ftnd n. s. w.
(Goedeke XV 1, 421.)
Hoffineister erinnert an das Gedicht 'Der Antritt des nenen Jahrhimderts* auch
Spur^ jenes Inseldramas finden sich dort:
Narli des Südpols nie entdeckten Sternen
Dringt sein ra.stlos, nngehenunter Laaf|
Alle Inseln ??pürt pr, all»» fV'mon
Küsteu, nur diib rarudit"? Dicht auf.
Das Ideal der Freiheit schwebt dem Dichter überall vor, und er sucht sie auf
einer verborgeneu atlantischen Insel:
Liegt sie jenseits dem Atlauternieere,
Die Oolnmb mit wandernder Galen« .
Übersehen hat man die Ähnlichkeit mit einer weit ii-aher entstandenen Stelle,
dem Schlafe des Gedichts *Der Vennswagen* (1781):
Wo noch kein Europersegel brauste,
K«n Oolnmb noch stenertef noch kern
Corte?, siegte, kein Pizarro hauste,
Wohnt aof einem Eilaod — fir allein (d. L der Veniurichter).
Dichter forschten lange nach dem Namen,
Vorgcbirg* des Wunsches nannten sie's;
Die r!ed;inkpn, die bis dahin schwammen,
Nannleuö daü verlorne Paradies.
Als vom ersten Weibe «irh bdrücfn
Liefs der Männer erster, kam ein Wasaerstoü,
KÜs, wenn Sagen Helikons nicht liegen,
Von vier Welten jene Insel loe.
*) Vgl. meiue Arbeit: .Schillers Fraj^iiicnt 'Die ^'libu8tie^s', Vierteljahrs-tchr. f. Litte-
raturgeaehiebte V lU C
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K. Fries: Sohfllw iiiid Flntaidi.
427
Einsam schwimuit sie im Atlaait'scheu .Meei"e,
Manches Schiff begrOfste schon das Land,
Aber aoh — die Boheitenide Oaleera
Lieb den Schiffer todt am Stnad.
Die Ähnlichkeit dieser drei Gedichte erstreckt eioh nidit nur «if den Inhalt^
flondmi auf wörtliche AnUSnge und auf das VemnallL Üherall ondieiBt eine
Ineel des Olficke und der Freiheit im Atlantiflchen Meer. Man denkt an
Amerika, und doch awingt das AUgemeine der Beechreibiuigy iidbi «n ntopi-
sehes Gebilde vorzustelleii. Auch die Heineren Gedichte Tolumbus*, 'Der Kauf-
mann', 'Odyasetts' führen auf den ozeanischen Schauplatz. Eine I'tnjiie im
atlantiachoti Ozenn war nun nicht« Neues, bekanntlich hat Plato schon mit
leuchtenden Farben seine 'Atlantis' ans£;eraalt, nach Solnns Vorgang, wie er
selbst sagt. Bolon hatte njiniltVh auf seinen Heisen die 'Erzehlung von der
Atlantischen Insel' von ä<;Yptis4clien Weisen f^ehort, 'die er »einem Vaterlande
in griechischen Versen bekannt machen wollte', wie i'iuturch erzahlt (I 360
Sdiir.). Schirach merkt dazu an: 'Die AtLmtiBche Insel war, wie erzebit wird,
eine Liael auf dem Ocean, gröber als Asien und Afrika, und sie ging in einem
Tage and einer Nacht unter. Wenn man versdiiedne andere Ersehlungra,
s. E. aus dem Diodor von Sicilien, damit ver^eidity so bleibt wohl wenig
Zweifel, dals diese grofse Atlantisdie Insel America sey.' Femer berichtet
Plutarch (S. 873 f.): 'Solon hatte ein grofses Werk ange&ngen, welche« die
Qeechichte der Atlantischen Insel enthalten sollte, ro wie er sie von den
Weisen zu SaYs gehört hatte, und die sich sehr gut auf die Athenienser
»chiekte* — 'Die unvollendete Atlantische Gescliieht« des Soions ist gleichsam
ein verlalsuer angeli _trr Grnnd in einer schönen Gegend irewesen, welchen
Plato, dem er ruh einer Art von Verwandtschaft gehörte, weiter aufzubauen
and auszuzieren sieh bestrebte. Er setzte grofse Eingiinge, Mauern and Vor-
hSfe zum An&nge des Getöndes, dergleichen KostiMukdjten noch keine Rede;,
nodi Fabel, noch Gedieht gehabt hatte. Aber er fieng an s^mt an, und endigte
daher eher sein Lehen, als das Werk. Je mehr nns aber das, was nodi davon
vorhanden ist, ergStsle, desto mehr mub man das, was aurfick geblieben isi^
mit bedauern. Plato's Weisheit lieb unter so vielen schönen Werken die
einsige Atlantische Geschichte unvollkoniinen. sowie die Stadt Athen den
Tempel d^ Olympischen Jupiters.' In dem Aufsatz üh< r ilie Gesetzgebung
Solons finden sich Stellen, die an jene Worte erinnern, / B.: 'Durch Keiften,
welche ihm diese Lebensart notwendiij machte, und tUirch den Verkelu- mit
auswärtigen Völkern berpieherte sich sein Geist, und nein Genie entwickelt*}
»ich im Umgang mit fremden Weisen. Frühe schon legte er sich auf die
Dichtkunst, und die Fertigkeit, die er durin erlangte, kam ihm in der Folge
sdion au statten, morslisdie Wahrheiten und politische Regeln in dieses ge-
fällige Gewand zu kleiden', womit deutlich auf die Atlantis angespielt wird.
Am Schlnls heilst es wieder, er machte 'eine Reise durch Kleinasien, nach den
Iiisehl und nach Ägypten, wo er sich mit den Weisesten seiner Zeit besprach,
den königlichen Hof des Grösus in Lydien, und den an Sais in iigypten be-
n*
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428
E. Friw: Schiller und Plniardi.
suehie'. Wir kommen zu dem Schlufs, dafk auch all jene ailantischeu V^or-
itaUungen, die den Dichter zu Teraehiedeiuteii Zeiten beachiftigtcn, im Gninde
auf Piutan^ zorQolEsnfttturen sind.
Wenn Bwisehen den Oestelten des Wallengtein und denen dee Garlos eine
Kluft vorhanden ist, »o liegt das an Schillers geschichtlichen Studien. Im
Wallenstein sehwinden die Kontraste^ die in den Charakteren der Jugenddramen
so grell hcrvoi-treten nnd ihnen eine unruhig flackernde Beleuchtung geben.
Wurde hier das Kousseausche Schlagwort, von dm grolsen Very)rochrrn dahin
miis verstau den, dafs nur das Grasse, Schreckliche für profs ^alt, so ist Wallen-
stein eigentlich der erste grofse Verbrechi;r, dar im wirklich Kousseauschen
Sinne geschildert wird. Die makellosen Tugendhelden verschwinden, Max
Pieeolomini nimmt in der Trfl<^e eine sekundäre Stellung ein, und der
Dichter lief nidit mehr Ge&hr, dem idealen SchwSmer sulieb den Bau des
Dramas nachtriglich xn modifixier^. Was der Wallenstein so vieUeicht an
Kidorit eingebüfst hat, wird reichlich durch die wohlthuende Harmonie der
Farben ersetst. Der dem Schulzwang entronnene Regimentsmedikus stand
nicht auf dem gesoll.scliaftlichen Niveau der Gesamtheit, deren Gunst seine
Zukunft bedingte. Er rani^ erst um eine Existenz. Naturgemäfs schien ihm
alles grofs, farliij^^ krals, wechselreich, der Begriff des Menschlichen schillerte
ihm in soviel Karben, als Erscheinungen desselben vor seine Sinne traten.
Dem *dunkeln Drange' folgend und von diesem auf den Standpunkt des Ge-
Idurien erhoben, nimmt er freudig die Terinderie Pers^tektive wahr. Seinem
auf Tor- und Hitwelt gmditeten Bliek triU^ die Zshl der Erscheinongen ina
ünomeMcfae und lilst ihn das Dauernde» gesetsmalsig Wiederkehrende *in
der Erscheinungen Flucht' erkennen. Die Individuen erblassen und tauchen
untrr i i den Summen, in diesen erkennt er die Funktionen weniger g^meifi'
gültiger Normen. Er lernt mit den Augen derer sehen, die mit Massen rechnen
und auf den Gipfeln irdischer Macht lieimiscli sind. Der Druck, der seit dorn
dreirsigjährigeu Krieg auf dem Kleinlnirgerium lastete und seiiu n (Tesicbtskreis
verengte und der auch auf seiner Familie ruhte, schwindet, die Gtschichte
erdffiaet dem Jüngling Herz und Auge fEb* die grofse Welt, das Geheimnis
ihrer Denkweise entschleiert sich ihm. Seine Einsicht steht den Gewaltigen
der Erde an nah, um sw mit subalterner Eurssichtigkeit als grundsitalidie
Bedrfickar und teuflische Tynmnen anausehen; ^ steht ihnen nahe genug,
er besitst Kunde genug von den sie beengenden Faktoren der realen Welt imd
von den Gefühlen und Konflikten in ihrer Brust, nm ihnen die Erlösung der
Volker durch einen kurzen Foderzug zu erlassen. Das Drania der Luise Millerin
wiederliolt sieh in dem der Thekla. Dort tritt der Dichter ohne Bedenken auf
die Seite der Liebenden. Der Präsident wie Wallenstein scheuen eine nach-
teüige Verbindung ihies Sulines, Der Dichter glaubt dem Piiisidenten keint».«*
seiner wohlgesetzten Wort^;, fast fürchtet er die Konsequenz seiner Logik, und
er mufste sie fttrditen. Daher das Übenna& von Kllte, das dieser Figur an-
erteilt wird. Die leiste Wendung zum Guten, die diesem Charakter gans am
Schlafs eingeiftumt wird, gleicht einer Entschuldigang des Verfiuisers dem Pift-
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JL frmt SehiUer und Flntareh.
489
sulenten gegenüber, dessen berechtigt» Rinwünd« '^nt^tri Ferdinands Wege er
durch gehäufte Laster gleichsam verleumderisch zu entkräften versucht hatte. *
WaUeustein empfindet für Maxens Hofinungen nicht mehr als der Präsident für
die Pläne des Uajon. Aber wie jovial, »jmpathiBch, natOrlieh gebadet er
licsh dabei:
Die Friedliindi'nn
Denkt er davonzutragen? Nun! Dtr Einfall
Gefällt mir! Die Gedanken stthrn ihm nicht niedrig.
Nun ja, ich lieb' ihn, halt' ihn wertb; was aber
Hat dies mit meiiiw Toohter Hand za sdiaffen? . . .
Die Eventualität wird von allen Seiten hetrachtet, aber der Entschlurs steht
darum von vornherein nicht weniger fest, als ol» er 'gleich mit verletzender
Harte' aTi5»»respr()chen würde. Die Kränkung wird durch die Form lithtus-
würdigen iiamors gemildert. Wir hören die Sprache des Weltniaims. Des
Priudenten kaUhen&ige Bosheit erscheint uji|^«ibwfirdig oder verabscheuens-
wert Dem Gewaltigen, der mit Anneen wQrfelt nnd die FUreten Europas in
Atem erhfil^ rerdenken wir es weniger, wenn er sicli nicht in das Fttblen des
Individnoms hineinfindet Dem nach dem ATancement und der Gunst des
Duodezfürsten schielenden Prosidenten der kleinen Residenz steht die h&nsliobe
Tyrannei übel zu Gesicht, Wallenstein ist als Übermensch entschuldigt. Es
geschieht glelehsam hinter dem Uöcken seine?! Helden, wenn der Dichter zu-
wilen ffir die Licheiulen Partei nimmt und mit ihnen die gesamte Staatskunst
nwt ilirer Unerbittlichkeit verwUn?<cht. Freilich war Schiller kein Staatsmann
geworden, wenn er auch als solcher zu denken und zu reden gelernt hatte.
Jeder Blick von seinen Büchern auf mufste ihm in der Hinsicht eine Ent-
täuschung sein. Kein Wunder, dafs er oft Tage lang an die Bücher gebannt
nb, ohne au&asehen in die nodi Irendlose WixUichkeii Man kann nicht
wOnschen, dab dem andos gewesen wäre, die Staateraison war seines Geistes
nicht würdig. Das Gute und Bleibende^ was er von jenen GeschiditsforBchungen
davonfaxig, .war der freie Blick, der erhöhte Standpunkt, das gemä&igte Tem-
peiKment, vermöge deren er aus dem Überfluls der Analogien die Regeln, die
Gesetze dc^^ grofsen (retriebes zu entnehmen lernte. Das führte ihn dann in
die Arme der Philosophie, die ganz und gar vom Individuum absieht nnd nur
mit unbenannten Grölsen operiert Der Typuf. die Idee des ästhetischen
Menschen geht ibm auf. Auch die Basis staatHmäriniseher Weltanschauung
versinkt unter ihm, der zu den verklärten Höhen künstlerischer Objektivität
und Freiheit eingeht.
Damit mulste jedes Band, das den Dichter so lange mit dem Plutarch
verbunden faattey zemssen sein. Das rSmische Bürgerideal hatte einem hdheren
weichen mflssen, dem Ideal des Schön«&. Wenn sich dennoch auch Sparen
Plutarehs noch aufvreisen lassen, so beweist das nur, wie stark die Freund-
schaft einst gewesen war, die in der Erinnerung noch so lebendig fortlebte. Im
WaUenstein finden sich deutliehe Einwirkungen jener I^ompcjusbiographie, z. B.
jener Absdüedsrede des Pompejus an seine Gemahlin. Besonders Caesars Person
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430
K. Friw: Behiltor nnd Plutuoti.
wird gern zitiert.') Eine Spm derselben Biojjraphie findet sich sogar noch
iu der 'Jungfrau von Orleans'. Karl de« Öiebeuteu Wort: 'Kann ich Aiiueeii
ans der Erde Btnmpfen?* kUngt fast wie eine Nachahmniig des Anflspnidu^ den
der verbkndete Pompejue vor der Scldedit bei Phaaraaliu getiiati haben «dl
(VI 131 Schir.): ich nur in Italien mit dnem Folse auf die Erde stoteo
werde^ da werden Heere »i Pferde und su FciJb herTorspringen.' Die Änfeemng
wird noch zweimal bei Plntareh erwähnt (VI 137 und 42.')).-)
Das Themistoklesfra^^ent setst Hoffmeister in die WaUen8tein|>eriode, d&»
UaeeizisÜsche Gepräge des Ganzen empfiehlt aber, es für ein Produkt der letzten
Jahre zu lialt<»n.*) Eh bornbt stofflich ganz auf den letzten Kapiteln der
Plutarchischen Thenust()kl('Hl)i()graphie, in denen siih fast alle in dem Plan
notierten Einzelheiten büiBauiiuen finden. Unter a üuden wir im Fragment
(Uoedeke XV 1, 28j folgende Bemerkung: 'Griechische und persische Sitten im
Kontrast', womit wohl auf die BegrüGsungszercmouicn beim Erscheinen vor
dem Qfollikdnig angespielt wird, die Artabaoae dem Themiatokke in eiBem
Brief beechreibt (I 480 ff. Schir.).
*h. Thenüstoklea hohea Anaehen bei den Persern, nnd die Ehrenbeaengniq^eD,
die ihm von den Barbaren erwieaen werden.' — % Der Neid der Perser gagm
den Themistokles.' Entsprechend Plutaroh (486): 'Themistokles genofs Qber-
haopt soviel Onade am Persischen Hofe, daSa die nachfolgenden Kön^, ab
sie mit den griechischen Angelegenheiten in mehrere Verbindung kamen, wenn
sie einen Griechen »j^ern in ihre Dienste haben wollten, ihm versprachen, er
solle noch mehr als Thenustokles von iliutu erhalten.' Auch für den Neid
der Perser finden sich Belege, die Worte des Rhoxanes (483), das Gerede der
Höflinge (485), der Mordauscixlag des phrygischen Satrapen (487) und das
Verhalten des Statthalters von Lydien (489). 'Er wurde nun in allem vor-
sichtiger, nnd hütete aieh für den Neid der Barbaren' (489).
*c. Die Gnade des grofaen KSnigs, dessen groikes nnd nnexBchfitterlidu«
Vertrauen zu ThemistoUea.' *p. Er wird in dem StQcke selbst von dem pe^
atschen EJkiige beschenkt' Vgl tiaL 484: *Er lernte innerhalb dieses Zeit-
raumes die Persische Sprache, und hatte bey dem König Zutritt ohne Mittehp
personen.' 485: ^Denn er genofs so viele Ehre, wie noch keinem Frandea war
gezeigt worden. Er wurde zu den königlichen Jagden gezogen, er nahm an
den innern Hoferjrötzunge» Antheil, er hatt^* sogar fVeyen Zutritt zu des Königs
Mutter, und wurde auch, auf Befehl des Königs, in den magiachen Wisaeo-
*) 'Was thu' ich mehr als jener Cäsar thatv Kr führte gegen Rom die Legionen*
'Ich Bpüro wa« in mir von Hcinem fSfisst, (Heb mir sein Glück, das andre will ich tragäa'
Vgl. 'Da trägst den Casar und sein Glück' (VI 4^2 Schür.). Auch Plutarchs Erörterungen
fiber Feldhemglück (IV 275) gehören vieUdchi hierher.
*) JiAaantis Worte: 'Kinen Donnerkeil führ' ich im Mnnde' klingen dentlidl ao jenen
KoDiikLTver=^ HUlt PiTiklijs ;m, den Scliirarli mi wicderffioVif IT 106): 'Sie sagen, er habe in
seinen Iteden an das Volk gedonnert und geblitzt, er trage einen schrecklichen Donnerkeil
auf der Zange.*
^ Herr Frofeasor Etidi Sdimidt hatte die Liebeaawflrdigkeit, den Terf. daiaof hia^
auwciaen.
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£. Fries; Schüler und Plutsurch.
431
achaftftn imtenrichtei* 486: 'Es wnrden flun, nadi dem Berichte der mdBten
Schriftsteller, drey SÜdte gegeben, welche ihm Brodi^ Wein, mid Lebensmittel
liefern mufsten.'
*eL Jonische Griechen, zwischen den enropSischen Griechen imd den Bar-
baren in der Mitte gteliend.* Plutarch erzählt, wie Thcmistoklcs in griechiflcben
Angelejxenhciten an du- KQste reist (487), dafs er zu MH^ncsia Ichto (489),
wo er starb und noch lange verehrt wiurde (492 f.), also steto Beziehungen
Bu lonien.
y. Themistokles Tochter Nesiptoleme, die i'riesteriu der iMutter der Götter.'
Plntorch berichtet (487 f.), ein Satrap habe dem Themistokles nach dem Leben
gestellt, die Matter der G9ttw aber sei ihm im Tranme erschieoen ond habe
ihm Betfamg Tersprocben. 'Ich aber Terlai^ dafttr Deine Tochter Mneei-
ptoleme anr Priesterin.* Themistokles entgeht der Ge&hr, er 'erbaute der
ihm erachienenen Göttin Dindymene einen Tempel zu Mi^esia, und machte
seine Tochter Mnesiptoleme zur Priestcrin darinnen.' Schiller hat den Namen
der Tochter wohl aus euphonischen Gründen vereinfacht.
Griechenlands Blutlu- und waehsondfi- Ruhm, seitdem er unter den
Persem ist. ("imons Frühlitig.' Hi'i l'lutarch wird entsprechend enählt, wie
die athenischt' Maeht sich weiter entfaltete, wie 'die griechischen Schiffe bis
Cyperu und Cihticu hin segelten, und f^iiiioiv die Herrschaft 7,ur See an sich
rifs*. Themistokles soll den Griechen entgegenzieheu, um 'ihre wachsende Macht
zu schwächen' (489).
% ThemiatokleB erinnert sieh mit Begeisterung der frfiheren Zeit. Die
Schlacht bei Salamis. Olympische Spiele.' Damit I&lat nßk in Zusammen-
hang bringen, was von einem Erscheinen des athenischen Helden bei den
Olympisdien Spielen enahlt wird, wo er allgemeine Bewnndemng und Freude
erregte und voller Rühmng zu seinen Freunden gesagt haben soll, er genösse
jetzt die i*Vachte seiner fiemflhongen fQr Griechenland (462).
Unter n wird von einem Kind oder Enkel tles Themistokles gerodet.
Plutarch zählt die Kinder des Themistokles auf und berichtet über die Ehe-
bundnisse, die sie apüter eingingen (491 \
V Themistokles hat Sklaven und Sklavinnen. Eine hochgesinnte Jonierin
ist darunter.' Da luerfür sonst keine Anhaltspunkte zu finden sind, darf man
vielleicht an folgende Stelle erinnern. Themistokles wurde Terkleidet in einem
Wagen nach Persien gebraehl 'Auf einem so eingeriditeten Wagen wurde
Themistokles forlgebraeht: die ihn begleiteten, sagten an jedermann, sie fOhrten
ein griediisehes Mädchen ans Jonien za einem Manne am kdniglidien Hofe' (479).
*q. Er stellt ein Opfer an, unter dem Vorwand seiner Abreise in den Krieg,
es iat aber sein Todtenopfer.' 490: 'Er hielt ein Opfer, wozu er seine Freunde
▼ersammclt hatte, und trank entweder, wie die mehrsten Nachrichten sagen,
das Blut des ger)pferten Ochsen, oder nahm schnellwirkendes Gift, wie einige
Scribenten erzehlen.'
[Zu S. 354, A 1: Sc hillerR PliTtEirchexemphuT im Goethe-Sdiiller-Archiv su Weimar eai-
liiUt keine Boadbemerkimgoa. Ilb.\
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NEUE DEUTSCHE LlTTERATÜßGESCHICHTEN.
Von Gotthold Boetticuer.
Das löbliche Bestreben, die Ergebnisse der wissenschafllichen Forschung
den weiteren Kreisen der Gebildeten in Werken von gemeinfafslicher Darstel-
lung zugänglich zu machen, beherrscht unsere Zeit, aber auf keinem Gebiete
hat diese Littcratur so gewuchert als auf dem der deutschen Litteratur-
geschichte. Was die letzten beiden Jahrzehnte an kleineren Werken gebracht
haben, ist schier zahllos und freilich zum grofsen Teil auch wertlos, aber in
den grofsen Unternehmungen ist eine erfreuliche Entwickelung zum Guten ein-
getreten. Auch die hervorragendsten Fachgelehrten halten es jetzt für eine
grofse und würdige Aufgabe, der Gesamtheit zu dienen, und es ist ja klar,
dafs zu populärwissenschaftlicher Darstellung gerade die vollkommenste wissen-
schaftliche Beherrschung des Stoffes nötig ist. Das Jahr 1897 ist ganz be-
sonders fruchtbar gewesen. Es hat nicht nur eine neue grofse 'illustrierte'
Litteraturgeschichte und die Fortsetzung des grofsen Kögeischen Werkes ge-
bracht, sondern zeigt auch in zwei Sonderwerken, einer österreichischen und
einer schwäbischen Litteraturgeschichte, dafs die zuerst in Wölkaus böhmischer
Litteraturgeschichte hervorgetretene Neigung, landschaftliche Einzeldarstellungen
zur Sammlung der geistigen Kräfte innerhalb der Stammesgemeinschafb zu
schaffen, grofse Fortschritte macht. Damit stellt sich die Litteraturgeschichte
noch entschiedener als bisher in den Dienst der nationalen Arbeit. Diese vier
neuen Erscheinungen sollen im folgenden besprochen werden.
Den weitesten Interessenkreis nimmt die grofse bis auf die unmittelbare
Gegenwart reichende Litteraturgeschichte von Fr. Vogt und M. Koch in
Anspruch. ')
Die Namen dieser beiden Gelehrten, Professoren an der Universität Breslau,
bürgen dafür, dafs sie ihren Stoff in ausgezeichneter Weise beherrschen, dafs
also von sachlichen Fehlem, von oberflächlichen Urteilen, von kompilatorischer
Auffrischungsarbeit imd von sonstigen wissenschaftlichen Mängeln, die gerade
die populären Litteraturgeschichten so oft auszeichnen, hier nicht die Rede
sein kann. Eine Beurteilung des Werkes mufs sich also naturgemäfs auf eine
Charakterisierung des Ganzen nach Form und Inhalt und eventuell auf Be-
gründung dieser oder jener abweichenden Auffassung beschränken.
Das Buch stellt sich in der ganzen Art seiner Anlage und vor allem
') Geschichte der deutschen Litteratur von den UlteHten Zeiten bis zur Gegenwart
Von Prof. Ür. Friedrich Vogt und Prof. Dr. Mux Koch. Mit 126 Abbildungen im
Text, 26 Tafeln in Farbendruck, Kupferstich und Holzschnitt, 2 Buchdruck- und 32 Faksi-
milebeilagen. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut 1897. X, 760 S. Lex.-S'*.
Google
ti. fioetücher: N«ie deotache Litteratozgawhiobtem.
433
semer AtMatattong in eiiie Beflie mit d«n bekmuiteii Werk«ii von B. König
und 0. Leixner. Es ist die dritte derartige^ nach hentigen BedOffniflsen
hiitoriMh * illustrierte' Litteratnrgeschiehte, und auf diesem Gebiete imtürlidi,
wie auch die 2. Aufl. der Leiznerschen latteraturgeschicbte (Leipzig, Spanier),
nur Nachahmung des zuerst von Velhagen und Klasing Tenrirklichten, aus<
jjey.ctthneten buchhändlerisfluii Gedankens der Ausstattung von Gesehichts
werken durch Nachbildungen von urkundlich wertvollem Material, Am um-
fassendsten i.st dieser Gedanke ausgestaltet in Könneckea Büderatlas zur
deutschen Litteraturgeschichte. In der Auswahl des Bildwerkes sind diese ver-
schiedenen Werke natürlich verschieden, uud es läfst sich wohl auch ein Fort-
sehriti in der imjuer bestimmteren und reichlialtigeren HeranaieliQi^ des
koltorlÜBtoriBcb Wertvollen erkennen. So hat diese neue lUuetration ihre eig^n-
tOmlidien Vorstlge und bringt manchee, waa sieh audi bei KSnneeke nicht
findet, besonders &rbige Nachbildungen alter Buchillnstrationen, dam vieles
«of die Theatergeschkhte im XVI. — XVHI. Jahrb. BeaftgUche, aber ein wesent-
licher Vorzug ist hier naturgemafil nicht mehr au erreichen. Dies kann miÜiin
auch nicht die Veranlassung zu einem dritten derurtigen Werke gewesen
«em, diese liegt vielmehr ausschliefslioli im Texte.
Königs und v, Leisners Werke litten an einem emptindlichen Mangel, das
war die unzureichende Kenntnis der altdeutschen Litteratur. Bei König ist
allerdings in den letzten Auflagen die ältere Zeit von K. Kinzel durch-
gearbeitet und we^ieuilich verbessert wurden, aber das konnte sich eben nur
auf die Einzelheiten innerhalb der Geeamtanlage beziehen. Hier will das neue
Werk vor allem sinseteeni und in Fr. Vogt wurde der Gelehrte gefunden, der
mit gründlichster Sachkenntnis geschmackvolle, gemein&lBliohe^ im bestoi Sinne
{Nipufirwissenschaftliche Darstellung verband.
£r hat die deutsche Litteraturgeschiclite von den Anfangen bis zum
XVn. Jahrb. in ganz hervonn^^nder Weise bearbeitet. In fiinf lichtvoll sich
abhebenden Entwickclungsstufen behandelt er zuerst die Zeit des nationalen
Heidentums, dann die Einwirkungen des Christentums unter den fränkischen
und sächsischen Kaiser?) Ins zu der christlich lateinischen Dichtung der Klöster
und Höfe, ferner geistliche Dichtung unter der herrschenden Kirche und den
Übergang zur weltlichen Dichtung unter den Saliern uud Hohenstaufen, darauf
die Blüte der ritterlichen Dichtung und endlich den Übergang vom Mittelalter
rar Neuzeit^ die allmähliche ümbildnng aller drei Dichtungsgattungen, die Ein-
wirkung der neuen Strömungen, der Mystik, des Humaniamui^ der Reformation,
•düielslieh die volle Entwickelung der bfli^erlich-volkstfiniliclien Diditung und
ihren Bflckgsi^ durch ansISndische Einflflsse. Hier, mit Opits, setst dann
U. Euch ein.
Die ersten vier Abschnitte ergeben sich aus der Natur der Sache
und finden sich im wesentlichen in allen gröfseren litteraturgoschichtlichen
Werken. Uber d<'n letzten lafst sich streiten. Das XVI. Jahrh. erscheint
hier als Übergang zur Neuzeit; das ist es auch insofern, als die be-
zeichneten neuen iStrömungeu, ja auch die Herrschaft der ueuhochdeutocheu
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434
0. Boetticher: Neue deutsche Litteraturgescbicht'en.
Schriftsprache, erst im XVII. Jahrh. durchj^eifen , allein sachgemäfser ist
es doch, wenn die Hoformation als der Ausgangspunkt der Litteratur der
Neuzeit auftritt und derngemäfs auch nachdrücklich an den Beginn der zweiten
grofsen Hälfte unserer Litteraturgeschichte gestellt wird. Das Jahr 1500 ist
die Scheide der alten und neuen Zeit, und nicht der vollendete Durchbnich
des Neuen, sondern die mächtig hereinbrechende Umgestaltung des geistigen
Lebens inufs als Beginn der neuen Periode dastehen. So gewifs ohne die
Reformation kein Lessing, kein Schiller und kein Goethe zu denken ist, so
gewifs ist sie Ausgangspunkt und Lebensnerv des ganzen geistigen Besitz-
standes der Neuzeit, und darum gebührt ihr nicht ein untergeordnetes Kapitel
im Sinne einer Ubergangszeit, sondern die Eröffnung einer neuen, in gewissem
Sinne von vom anfangenden Epoche. Scherers Parallelen zwischen dem XVI.
und IX., dem XVII. und X. Jahrh. u. s. w. sind doch sehr hübsch; er, der
Katholik, hat diese Bedeutung der Reformation auch äufserlich in seiner Dis-
position gekennzeichnet; sie sollte daher erst recht bei keinem evaugehschen
Geschichtschreiber fehlen.
Auf den ausgezeichneten Inhalt der angegebenen Abschnitte können wir
naturgemäfs im einzelnen nicht eingehen; nur auf einige besondere Vorzüge
und strittige Punkte sei hingewiesen.
Ganz vorzüglich hat der Verf. die Entwickelung der deutschen Heldensage
gezeichnet. Gleich im ersten Abschnitt, wo knapp zusammenfassend vom arischen
Urvolk und den Taciteischen Germanen gehandelt wird unter Bezugnahme auf
die aus heidnischer Zeit überlieferten Zaubersprüche, werden die mythischen
Elemente der Nibelungensage kure und klar gezeichnet. Der personifizierte
Naturmythus hat von vornherein zwei Gestaltungen: der Lichtheros weckt die
weltentrückte Jungfrau aus dem Todesschlumraer wieder zum Leben, oder er
gewinnt den Söhnen der Finsternis, den 'Nibelungen' den lichten Goldschatz
ab. Beides wird aber von den finstern Mäch ton wiedergewonnen, der Held er-
mordet, der Schatz wieder in die Tiefe versenkt. Im Rheinsande entdeckte
man hier und da Goldkömer: dort ruht der uuermofsliche Nibelungenhort. —
In der Völkerwan<lerung wird die Heldensage geboren, die sich mit die.sen
Mythen verbindet. Die Burgunden werden Besitzer des Rheingaues und damit
des mythischen Nibelungenhortes; so wird in der Phantasie der Volksdichter
bald der ganze Mythus mit ihnen in Verbindung gesetzt, der Lichtheros Sieg-
fried und dessen Mörder, der Niflung Hagen. Letzterer wird ihr Verwandter,
sie selbst damit 'Nibelungen'. Durch Attila werden sie vernichtet. Dessen
plötzlicher Tod in der Nacht der Hochzeit mit Hildiko giebt die weitere Aus
bildung. Hildiko wird mit Chriemhild verbunden, und das Motivierungs-
bedürfnis findet bald den Zusammenhang zwischen Schuld und Sühne. Dieser
Bestand entwickelte sich nun in zwei verschiedenen Gestalten, in der skandi-
navischen und in der deutschen. In der skandinavischen fliefsen wiedenun
zwei Fassungen zusammen, der Sigrdrifa- und der Brunhildmythus, die Ge-
winnung der Jungfrau und ihre Abtn tung an den Niblungen, daraiif die Rache
Brunhildens, die Heirat der Witwe Gudrun (^Chriemhild) mit Attila, dessen
Boetlioher: K«ae dmitsclie latterAtnigeMliiditaD.
486
Tnieliteii nach dem Horte und Untergang durch dm ihre BriuUr riichpnde
(.iuiliun. Iii Deutschland dagegen wirkte eine veränderte Auffassimtr von »K'ia
Verhältuiä von Ehe und Blutsverwaudtächait einj es ist die auf einer höheren
Stufe geseOadufUiditf Ordjumg anBgabQdeto ADMiuliimg TOn dem BÜrknen.
Recht der Ebe; Gndron ToUaeht Gsttenndie an Düren Brfidern, und Our eigener
Tod bildet die abieliliefi»nde Stime. Der mit einer gewisaen Liebe geoeichnete
Charakter EtMÜs in Verbindnng mit der Stellnng Dietriobs in der grofsen
Tragödie sind die untrüglichen Zeichen, dafs die Sage diese Ausbildung unter
den Goten erhalten hat. In Österreich ist sie in Einzelliedern so gestaltet
worden, und hier ist dann auch nnser Nibelungenlied in der überlieferten
Qestalt entstanden.
Den drei jjrofsen Entwickelungsst'ifVr! entsprechend kommt der Verf.
dreimal, im ersten, zweiten und fünften Ab?»chnitt selbständig auf die Sasfc? zu
sprechen. Wir erhalten auf jeder Stufe ein abgeschlossenes Bild und zuletzt
eine ausführliche, treffliche Auuiyäe unsere» Nibelungenliedes. In den das
lehitere betreffenden tatkritischen Fragen vertritt Yort einen besonnenen und
garecht abnagend«! EUekticismus, ohne sich — und xmur mit Eedht — auf
geehrte EinaeDiMten eimnilassen. Ich kenne keine gemein&lUiche DarsteUung,
die mich so befriedigte wie diese.
Aber auch für das allgemeine Verstindnis der Heldensage mit ihren viel-
fachen Widersprüchen und Umkehrungen gesdiichtitcher Thatsachen giebt der
Verf. klare und einleuchtende Fingerzeige, vor allem in der nachdrücklichen
Betonung dof Persönlichen in dpr Sage. Personen, (Joschlechter und deren
persönliche Schicksale sind Gegenstand ihres Interesses, niemals Völker, Staaten
und nationale Beziehungen, und ein vorübergehender Mifserfolg der gröfsten
und am reichsten ausgebildeten Heldengestalt Dietrichs genügte, um der Aulal's
für die Qeschichteu von seiner Zuflucht bei dem befreundeten, mächt^en Etzel
und deren Fdgen su werden.
HervoTgehoben sei auch die vorzügliche Zeidinung Karls d. Gr. und seiner
Bedeutung tOx das deutsche Schrifttum, ferner die Charakterisiwung der
gaistigen Verfiiasung im XI. und XU Jahrb. und gar mancher neue Gesichts-
punkt. So erscheint das Alcxanderlied als ein Wendepunkt: 'das erste welt-
liche £pos in deutscher Sprache, das einer fremden Quelle folgte.' 'Mit ihm
beginnt einerseits die französische Litteratur, andererseits das nichtchristliche
Altertum jenen EinfluTs auf die deutsche Dichtung 7m üben, der bis auf die
G^enwart fortdauert.' Ihm zur Seite steht das Kolandslied, die Verherrlichung
des cbristlicheu Glaubensstreit^r««.
Nicht minder klar und fesstdud ist endlich auch die Schilderung der rittir-
liehen Zeit. Qmz dem Zwecke des Werkes entsprechend werden überall die
Diditnngen audi inhaltlich behuidelt, und hier mfissen gans besonders die
vortrefflichen Übersetsungen von einzelnen Liedern und von Spellen aus den
Epen her T oi^^ehoben werden.
Nur wenige Bemokongen zu Binaelnem habe idi schltelslich hinzuaufUgen.
Befietent hat die Frend^ hier von einem hervorragenden Fachmann im weeent-
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436
O. Boeiticb«r: Neue deutsche LitteraturgeMhicIiteii.
lieben dieselbe AufEuBung des Panit^ vorgetragen su Beben, die er in seiner
mit anafttbrlieben Erläntemngeli Tersehenen Überaetaung des Oedicbts (Berlin,
Friedberg n. Hode^ 2. Aufl. 1893) dargelegt und in der besonderen SefarÜt ^Dm
Hobelied Tom Rittertam' (Berlin, Mayer n. Malier 1886) dargel^ bat. Die Lach-
mannsebe Erklärung des Eingangs und die christlich-mystische Auffassung des
Gedichts von San Marte dürfen jetzt wohl als uberwunden gelten, obwohl der
neueste vortreffliche Übersetzer, W. Hertz, wenifjstens den Einjyanfr wieder
ähnlich erkliirt wie Larhmann. Eine andere Frage dagegen, nümlich die nach
den Quellen des l'arzival, ist noch in vollem Flusse, oder eigentlich gerade
jetzt wieder in Fluls gebracht. Sie gehört mit zu den interessantesten litterar-
gesdiidillieihai Problemen der Sltnen Zeilv dmn es bandelt sidi dabu mn die
Feststellung des Grades von Selbsündi^eit, mit dem der gröfste Epiker des
Mittelalters seinen Stoff gestaltet bai Sie ist anfserordoitlteh schwer su lösen,
da TOB dem *Kjof, auf den sich Wolfram als seine Hauptquelle beruft^ nichts
erhalten geblieben uL Hier stehen sich mw zwei Ansichten gegenüher: die
eine, in den oben angeführten Schriften dets Referenten vertreten, glaubt
Wolfraxns eipijener Angabe und hält daran fest, dafs Wolfram in allem That-
saelihelieii einer (^nello «jofolgt sei, es jedoeh mit seiner eigenen Ideü durch-
drungen habe; die andere, gegenwärtig von Sievers' Schülern in Leipzig von
neuem aufgenommen, hält WoUiams Angabe für mjstificierende Erfindung
und UUst anch das Tfaatsicblicbe frei erfinden, aUordings untw Bennteung
mannig&dier Sagenkreise. Letstore Tertritt auch Vogt, und seine ebenso
knappe als klare Darstellung mit Herannehnng aller wesentlidben Stütsen
dieser Ansiebt hat in der That etwas Bestechendes. Damm sei bemerkt, dab
die Frage doch noch keineswegs hinlänglich geklärt ist, denn die wichtigsten
Bedenken der Gegner, die auf der Zwecklosigkeit und den unbegreiflichen
Widersprüchen und Ungereimtheiten sehr violer der hierhergehörigen angeb-
lichen Erfindunjjen Wolframs beruhen, sind durchaus noch nicht beseitigt.
Nicht ganz auf gleicher Höhe steht der zweite, von M. Koch bearbeitete
Teil. Für die neuere Litteraturgeschichte ist die Einteilung besonders schwierig.
Der ganzen Anlage des Werkes nach mulbte äex Verf. die saehliehe, mfhi die bio-
graphisdie ^hlen, so dafs also x. B. nidit nur Lessin^ Schiller, Goethe^ sondern
anch einfiichere Erscheinongen wie Geliert, Gleim, Kleist n. a. in ihren ver^
sehiedenen Entwickelungsabschnitten an verschiedenen Stellen, im Zusammen-
hange mit den entsprechenden litterariscben Beziehungen, behandelt werden.
Dadurch wendet sich Koch von vornherein an ein Publikum, das höhere wissen-
schaftliche Ansprüche macht, als das Könitrs nnd v. Leixners, etwa an das-
jenige, für das W. Scherer geschrieben hat, und wahrt sich eben dadurch eine
besondere Stellung neben jenen.
Aber gegen die Disposition des Verf. kann ich Bedenken nicht unter-
drflcken. Entsprechend der Anlage müssen offenbar die Gesicbtsponkte ein-
heitlich aus der geistigen Entwickelung genommen werden, und das ist nicht
der FalL Er teilt: VI. Von Opits' Reform bis Elopstoek. VII. Von Elopstocks
Herrortreten bis zu Herders Fragmenten. VIU. Sturm und Drang. DL Die
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O. BoettidMr: Neue deataohe latteratnigeBcltiditeii.
437
Weüuarische Blütezeit und die romantische Scliule. X. Vom £ndc der Be-
freiungskrieg» bb nur Gegenwart Der lelafte Abschnitt Tom Ende der Ba-
freiiingskriege bis mi Gegenwart', ist ganz änlserlich abgegroizt» Die Be-
fiwiiingskriegie haben flberhaupt keinen tieferen Sinflnl« anf die Entwiclralung
der Litteraior gehabt, ebensowmig wie d«r Krieg von 1870/71 und eigentUeh
auch der siebenjährige Krieg. Litterarisdie Umwälzungen werden &st immer nur
durch philosophische, religiöst- und innerpoli tische Strömungen, die mit diesen
zusammenhängen, herbeigeführt, selten durch aufsere Kriege. Das einleitende
Kapitel zu diesem Abschnitt enthält denn nnch oisj^MitlM h nur den elTion Ge-
danken, dafs durch die Reaktion nach den Bi freiuugakriegcn das jniiL"- n^ ntsch-
land grofs gezogen sei. Das aber reicht doch bei weitem nicht aus, reicht
nicht einmal bis 1848 aus, vvu minde»teu.s nuch ein Hauptabschnitt zu machen
gewesen wire. Unsere im eigentlichen Sinne moderne Litteratur datiert seit
1848. Auch innerhalb der Torangehenden Periode werdra die kriegerischen
Ereignisse, die Sefalaeht bei Jena^ die Fremdhenrschafl und die Befreiungskriege
XU Graizlinien gemaehi Und selbst da, wo litterarische Erscheinungen als
Scheide Kwisohen vwü Epodien auftreten, wie in YU. 'Von Elopetocks Her-
vortreten bis zu Herders Frsgmenten*, bedeuten üerders Fragmente nur ein
Datrim, denn Ton einer epochemachenden Bedeutung derselben ist weder am
Schlufs des vorangehenden, noch am Anfang dieses Abschnittes die Rede. Auch
darüber, ob 'StnnTi und Drang' (Vlll) als eine Hniiptcpoche gelten kann, läfst
sich mindestens streitcji , und 'Die Weimarische Blütezeit \uu\ die romantische
Schule' (IX) zusainiueiiziuiehmen, entspricht kaum einem planniiifsi^ durch
gei'ührieu sachlichen Einteilungsprinzip. Gewils Muh]ieie>t sich die Kouianttk
eng an gewisse Seiten Goethes und Herders an, aber sie ist doch auch etwas
so wesentlich Neues, dafo sie heute, nach einem ToUen Jahrhundert, unseren
neuesten Erscheinungen sweifellos viel lüUier stellt als Goethe. Dennodi be>
handelt Koch nur die einzelnen Romantiker; eine Kennseichnung des ganzen
Wesens der Richtung mit ihren Verzweigungen sucht man vergeblich.
Die Behandlung der einzelnen Werke entspricht der grofsen Anlage des
Ganzen. Der Verf. spricht nur über sie und zwar überall mit gehaltvollen,
sehr ilankeiiswcrtein Durch- und Ausl)licken auf iilmliche Erscheinungen, anf Vor-
Iniifer und Nachfolger, vor allem auch auf die Eintlüsse der von ihm in seltonem
Maise beherrschten ausliimlischen Litteraturen. Nicht minder vt rraten die
Ahsclinitte über die Entwickeluiig der Sehauspitdkunst besondere \'<»rliel)e und
eingehende Studien des Verf. Neben den verschiedenen Al*büdungen von
Bihneneinriditungen, Kostfimen und &eaen aus dem SohauspielerldiMi steht
ein Stammbaum der YeltensdiMi Schauspielertruppe und schlielklieh das Fest-
sinelhauB in Bayreuth und die Schlnfsszene des ParsüaL Bei B. Wagner
verweilt er ganz besonders. Dieser erscheint, ganz sbgeseh»! von seiner
musiloJischen Orofse, eigentlich als die BlQte unserer gesamten modernen
Dichtung, seine Dramen, besonders Nibelungen und Parsifal, als die höchsten
nationalen Kunstleistungen nach ! il i!t und Form. Hierüber werden ja sehr
viele mit dem Referenten anders denken, aber das abweichende Urteil hier zu
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438
0. Boettidwr: Nene dentoehe tattemtiirgeBcliieliteD.
begründeu, ist hei der so zahlreich vorlinndenen Litierafcur überflüssig. Weniger
Gnade haben vor Kochs Augen die JinigHten gefunden. Sie erhalten aber eine
auch den Ansichten des Referenten entsprechende, gerechte Würdigung. Dafs
der Uberschätzung Hauptmanns, besonders nach Schlenthers jungst erschienenem
Bufibe, entgegengetrelen wird, kHBn nur von Niitafin aein. Ein naliAres Bia-
gehen auf die unklare Ideenwelt der Vemimkenen Glodce irfbee Tielldeht an*
gebracht gewesen.
Dae alles aber sind mehr oder weniger Oeeohmaekssaehfiiiy wiiUich la
bedanem ist nur die etwas vernachlaeeigte formale Durcharbeitung. Auf den
Seiten B40 — 400 z. B. nahm ich schon bei schnellem Lesen an 8 — 10 Stellen
erheblichen stilistischen Anstofs, von denen etwa folgende Stelle (S. 342) noch
nicht die bedenklichste ist: Dachs stillem Lehen nnd engbegrenztem melan-
cholischen Sinne s<i recht im (legensatze durch Kastlosigkeit und auf weite
Führten gerichteten frischen Wagemut, aber durch lyrische Begabung neben
und über den Küuigsbergcr Dichter gestellt, erhebt sich vor uns Paul Flemings
jugendliche Gestalt'. Auf demselben Räume finden sich Ausdrücke wie 'trans-
ferieren' für übeveetsen (8. 339), *siir ine Lidiisetsung' (S. 330), die Bflhne . . .
HUr die sieh die Schan^ieler ihren Bedarf selbst Tersorgten' (8. 410) n. a.
Unter diesen Umstanden gewinnen anch Dmdkfehla', wie S. 392 'dem na-
gesflgeit fltadentischean Benehmen* und Lessii^ Geburtsjahr 1727 statt 1729
Bedeutung. Es ist dringend zu wünschen, dafs bei einer sicher bald nötigen
Neuauflage dieser ganze zweite Teil des Werkes nach der formalen Seite hin
gründlich durchgearbeitet wird. Dann fällt auch gewifs inhaltlich für manches
andere ans der Zeit vor Klopstock noch etwas nb, z. B, für die Darstellung
des Inhalts des Simplicissimus, für ilie Königsberger Dichter, deren 'Kürhs-
hütte' wohl hätte erklärt werden können, für die Robinsonaden, deren ^Vesen
und Bedeutung /Jemlich verschwommen bleibt, u. a. Endlich ist auch ein aus-
führlicheres Register dringend zu wünschen. Mindeetens bei den hervor-
ragenderak Dichtem müssen die Werke mit r^istriert werden. Jetzt stdieo
hinter dem Namen nnr sSmtiiche Seitenzahlen, auf dmen von ihm die Bede
isi Das ist sehr unbeqnon.
Bei einem so grofsen Werke hat man sehliefslidi das Ganse ms Auge
zu fassen, und darüber kann das Urteil nicht anders als anerkennend lauten.
Auch diese dritte grofse illustrierte Litteraturgeschichte wird sich neben
m König und 0. t. Leixner den Weg ins deutsche Haus bahnen.
Ganz andersartig ist das im gröfsten MalMabe angelegte Werk Rudolf
Kögels.') Eine Litteraturgesdiichte^ deren erster Band die deutsdie Litteratur
') Gesehiebte der deatichen Litteratur bis biub AuBgange dei Hittelalten tmi Rudolf
Kogel, ordentl. Prof. an der Univenitat Basel. I. Band, bis zur Mitt« den XI. Jahrhunderti.
1. Teil: Die Btabreimende DichtiiDg und die tische Prosa, XXIII, 343 S., Strafsburg,
Trübiior 1H'j4. Dazu ein Krgauzimgsheft: Die altsäclwitfobe Goueüi«, X, 70 S , ebd. 18»5
2. Teil : Die endreimeDdo Dicblung und die Vvon der altiiocbdettt8clien 2eit, XIX, 6ü2 S.,
ebd. Ig97.
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Q. Boettichert Nene deutsche littemturgasduelitoi.
4S9
bis zur Mitte des XI. Jahrhunderts auf rund 1000 Seiten grofsen Formats be-
handelt, ist jedenfalls eine ganz h<'>ir.Ti<l*'v»- Erscheinung. Ein aluiliehcs Werk ist
für ihis Mittelaltt-r noch nicht vdiiiuiulon. Der Verf. macht sicli zur Auflebe,
nicht nur HÜmtiiche thatsiu hlich vorhandene Denkmäler, Porsie wie Prosa, nacli
alleu Seiten hin, nach itihult und Form, nach Sprache uud Metrik, nach ihrem
litteratur- und kultiirlustorischen Werte, nach ihrer äufseren und umeren
(wisseiiscliftflliolieii) Geadiiehte eingehend »i behaiideLi; Bomdeni auch die ver-
krengegangenen oder nur in Braduitaeken vorhttndenai DenkiniU«r naeh deren
innren zu lekonBimiereiiy und so ein mS^chat ToUstindigee Bild von dem
gewarnten geietigm BeeiiMtend der ■ttdentadien Zeit an geben. Dazu zieht er
auch die gotische, langobardische, altfriesische und einen Teil der angel-
sächsii^cljeTi und altnordischen Poesie mit hinein. So ist das Werk mehr ein
Handbuch für das Studium der altgermanischon Littcratur als eine Littoratur-
geschklite im gewöhnlichen Sinne; es maclit etwa den Eindruck einer Zu-
sauimcnstellung von sorgfältig ausgearbeiteten Universitätsvorlesungon, die
stematisch das <2;anze Gebiet altgermanischen Schrifttums zu ihrem Gegen-
stande gewählt haben. Dadurch ist ein Eingehen in aUe wissenschaftlichen
Einzelheiten bedingt, aber gleich hier aei bemerkt, dafs der trockene Unter-
lidiiaton, den man Ilirehlen könnte, in der DaiateUung glücklich vermieden
und dab die Darstdlong auch allgemeineres Intereese an der Sadie an erregen
wohl geeignet ist Es iet ein Werk, recht eigentlich für Studenten gemacht,
vnd diesen ohne Zweifel ein sehr willkommener und brauchbarer Führer trota
vieler, zum Teil berechtigter Ausstellungen, die sogar au völlig ablehnenden
Urteilen geführt haben. £s ist richtig, die Ausfuhrungen des Verf. entbehren
mitunter eines einigermafsen gesicherten Anhaltes und haben oft nicht mehr
Wert als rein subjektive Annahmen, denen ein anderer mit demselben Rechte
^.uv/. anderes entgegenstellen kann-, es ist auch richtig, dals der Verf. wohl
nicht alle Gebiete in gleicher Weise beherrscht, daJs besonders das Angel-
sächsische zu uianciien Angriffen Anhalt bietet, und dais miun metrischen Ent-
wickelungen, auf die er ganz besonderes Gewicht legt, bei ihrem Bestreben, die
Torhandenen GegenMitae in einem aum Teil neuen System auaangleichen, Wider-
Bpmch herausfordern: eins aber wird man dem Werke nicht versagen kSnnoi,
dafo M aSmlich mit ebentogrofser Sorgfidt ahi Liebe anr Sache allen FVagen
gründlich nachgeht und den denseitigen wissenschaftlichen Standpunkt so dar-
legl^ dals man für die Bildung des eigenen Urteils alles findet, was in Betracht
kommt. Dem bescnmeoen, stets wissenschaftlich gestützten Eklekticismus des
Vert wird man aber auch in den meisten Italien ohne Gefahr folgen können.
Vorf. tf'ilt den pnnzon Stoff in zwei ungleiche ITanptteile, deren Scheide
Karl d. (xr. bildet. Die älteste Zeit und die stabreimeude Dichtuug als erste
Hälfte enthält der erste lialbband, der bereits 1H94 erschien Das erste
Kapitel behandelt die 'älteste Dichtung', d. h. das, was von Andeutungen
solcher Dichtungen bis zum Ende der Mcrowingerzeit vorhanden ist, im Wort-
bestand wie in den Beseichnungen Lied, Leich, Reim, in den Enahlnngen des
Tacitns und den Nachrichten von Langobarden, Friesen, Goten und der indo-
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440
Q. Boetüeher: Neue dmtMhe üttentm^gMcliiditen.
gexmauisciien Ihzeit. Kr nntorschoidet hymnische Gesän<Te, Hochzeitslieder,
Totenlieder, Lyrik iiml Spnuhdiclitun^, Zauhprsprüche. Zu den erstt-n gehört
*da8 gotische Weihuuchtsspier, du« er aus den ^nz dürftigen tHjerl) leihsein
einiger Worte sehr kühn rekonstruiert, zu den letzten die Mersehurger Zauber-
Bprüehe und ein angebSeli«8dier Spruch gegen HwcenBÜch and HexenflchiÜA.
Sonst sind keine DenkmlUer vorhanden. Beim zweiten Mersehurger Sprache
yerwiift er die neneren Auslegungm und hleiht bei Phol = Beider stehen. In
^eidber Weroe Terhrettefc sicih das 2. Kapitel Uber *da8 epische Lied', (S. 96
—175). Hier untwidlieidct Verf. das episch-mythische und das episch-historiflche
Lied, d. h. Mythen- und Si^nstoffe in Liedform, ])ei festlichen Anlässen ge-
sungen. Das letztere ist verhältnismäfsig spät entwickelt und nur hei dot
Deutschen seit dem Siege des Arminins vorhanden. Es geht in den Hclden-
gesang über, für den in erster Linie die imgelsrielisiflclie Dichtung, besonders
der Beowulf, herangezogen wird. Es ergeben sn ii gotist iie, hnrurundische und
anglofriesische Sageustoffe, aber wir haben nur die Zeugniuse davon oder Be-
arbeitungen.
Das dritte Kapitel behandelt die gotische Prosa (S. 176—209), WnUUs
und seine Bibelflbwaetsnng nebst der Urgeadudite der Ootm, was ja streng
geiuniimen nieht anr deutschen Litteraiur gehOrft^ aber doch dankbar an dieser
Stelle begrQ&t werden wird^ um so mehr, lüs wir es hier smn evstennud
mit einem grSiseren wirklich originaliter vorhandenen Denkmal iUtester Zeit
zu thun haben. Den neueren Nachweis E. Sievers', dals Wulfila erst 383 ge-
storben sei, erkennt Verf. nicht an, doch dürfte diese Thataache jetat als ge-
sichert gelten.
Mit der Karoiinger2,eit treten wir in das Gebiet der litteratnrgeschicht-
liehen Urkunden. Eine treffliche Einleitung (S. 199 — 209) giebt einen Über-
blick über die Entwickelung bis zur Mitte des XI. Jahrh. mit Hervorhebung
aller wichtigen Fragen. Darauf folgt Kap. 4, den Schluls des ersten Halb-
bandes bildend, fiher die Stabreimdiohtnng (S. 210 — 339), TOn der wir iwei
Gruppen von Denkmälern haben: 'die alten (nationalen) Gattungen*, nandidi
Hcddengesangy Bechtspoesie und Zaubersprfichey und 'geistliohe Dichtoog':
das WesBobmnner Gebel^ die altAdiaisehe Bibeldichtang und das Huspilli.
Zu der ersten gehört das TTildebrandslied, das der Verf. vollständig (in
Prosa) übersetzt und gana ausführlich kritisch-exegetisch behandelt. Die Litt«-
ratur ist, wie überall, vorangestellt, doch fehlen dii})ei die Übersetzungen, die
der Verf. bei anderen Denkmälern herücksichtiirt liiit. ' ) im Texte folgt Kogel
mit Rwht der neuesten Ausgnhe von Steinnieyer in der 3. Aufl. von Müllen-
hotts Denkmälern, in der Erklärung aber liringt er eine Reihe von Besonder-
heiten, die sehr gezwungen und schwerlich haltbar sind. In d«?r 'geisthchen
Dichtung' nimmt *die alüAchsisdie Bibeldichtuug', die durch die neuen, von
Braune herausgegebenen Funde Zangemeisters eine erhöhte Bedeutung
*) Eine aolclie ladet dch in den 'OenkmUera der iltttren dentselieii lattenter*, Ar
die Schule henraageg. von BoetUeher und IQasel. Halle, Waisenhaua. I i. 4. Aufl. IWA.
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0. BoetÜeh«r: TSm» dentMlie lAVbutaJtmgemüiAUia.
441
Wonnen hat, natürlich den grölisten llaum ein. Verf. hat nach «lern Erschfincn
des ersten Halbbaudes, in welchem die Funde nur vorläufig noch berück-
sichtigt werden konnten, noch ein besonderes Heft über die altsachsische
Genesis als Ergänzung herausgegeben (s. o. den Titel). Hierin verbreitet er
uch Alliier den litftintiirgeacihiehiliehen Fragen ganz besonders über die Metrik
Die Frage, ob der Heliuiddiditer mit dem Dichter der Bmchstttdce identieeh
sei, beantwortet er mit Braone bqahend, doch ist diese Bebauptong, soridl sie
für sich bat^ noch keineswegs über allen Zweifel erhaben, anch wenn man sa-
giebt, dafs der Schreiber ein IVanke gewesen sei. Ein beeonderer Exkurs be-
handelt den epischen Langvers^ die Hanptregeln der altgermanischen Rhythmik
imd die rhythmischen Formen auf Seiten. Die QrundzQge der Sieversschen
Tvpf'T! werden anerkannt, aber Verf. hält z. B. an den Kronzrcimon fest, sucht
ai;( ii l icht grundsätzlich den Hanptstab im ersten Nomen des zweiten Hemi-
ötichs. Deu Schlulk des Halbbandes bildet die Erklärung des Musjiilli und ein
besonderer, sehr dankenswerter Abschnitt über den altdeutschen epischen Stü
(S. 333 — 340), dessen Eigentilmlichkeiten dem griechiaefaen gegenüber hieraus
leicht fBstBiistelkii sind.
Hit der endrrimenden Dichtung aetst der zweite doppelt so starke Halb-
band ein. Hier steht snnachst Otfried im Mittf^pnnkte, dem allein 80 Seiten
gewidmet werden, daron die Haifle dem Yan» Otfrieds, eine wieder in aUe
Einzelheiten gehende Monographie. Wir erhalteTi ausführliche Gruppierung der
Verse nach den von Sievers n. a. nnfgestellten Typen, sogar ein Verzeichnis
der dem Dichter noch entschlüpften Allitterationsverse. Gut und klar aber
werden die Nenemncren Otfrieds von dem überkommenen metrischen Erbe ge-
schieden, im übrigen wird (Jtfried trefflich charakterisiert und durch eine
Vergleichung mit dem Ueliand in zum Teil neue Beleuchtung gerückt. I^ehr-
reich ist auch der Nachweis der Abhängigkeit der kleineren geistlichen Ge-
dichte, die auf S. 79 — 152 behanddt werden, von Otfiied. Der Georgsieich
erföhrt eine ganz nene Konstmklion und Auslegung, *Kleriker und Nonne'
eine aosflührlidie Rekonstmklion. 12 Seiten werden andb bei diesen Denk-
mSlem wieder der Metrik gewidmet
Bin zweiter grolser Abschnitt fOhrt *die alten Oattongen' dieser Zeit auf:
Zaubersprüche, Spottversc, Rätsel und Ratselmürchen, Sprichwört« und ser-
atreute Verse, z. B. in der St. Gallischen Rhetorik. Hier bewegen wir uns
meist wieder auf sehr unsicherem Boden. So nimmt der Verf. einige MSrchen
ninl !?iitsel, die wir bei (iriinni, Thland u. a. finden, für diese alte Zeit in An-
tijjrucli, nur weil sie iiurdinche Ankliiii£re haben oder ihm so altertümlieli er
scheinen, und S. 171 ff. stellt er eine lange Reihe von Sj)rie]iwörtern in wohl
geordneten Gruppen zusammen, die meist nur lateinisch vorhanden »md, weuii
sie zum Teil auch später in mhd. oder nhd. Form wieder auftauchen. Immer-
hin ist audi das nidit überflfisstg; d«m wer sollte nicht einmal auf diesem
Gebiete etwas nachschlagen wollen? Und ein solches Handbudi will ja Kögel
eben lieliBm. Als letzte Ghnppe werden die drei Strophen in der St. GaUer
Shetoril^ sowie *Hir8ch und Hinde* nach Form und Inhalt anf 7 Seiten erOrtert.
K«M J«kfMahM. tm. L t»
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442
G. Boetticber: Neue deutsche LitteraturgCBchichicn.
Sehr charakteristisch nach dieser Seite hin ist der dritte Abschnitt 'Die
von den Fahrenden gepflegten Gattungen' (S. IUI — 273). Aus den einzehi vor-
kommenden Ileldennamen nimmt Kögel Anlafs, die ganze nordische Weisungen-
und Siegfriedsage zu erzählen, und die in den Chroniken und sonstigen latei-
nischen Aufzeichnungen, z. B. besonders des Mönchs von St. Gallen, überlieferten
Stoffe giebt er ausführlich wieder, da er ihr einstiges Vorhandensein in Lied-
form voraussetzt. Hier verliert sich der Verl', mitunter auch in rein sagen-
geschichtliche Erörterungen.
Kap. G behandelt die beiden wichtigsten Denkmaler des X. Jahrb., den
Waltharius (S. 274—342) und Uuodlieb (S. 343—412). Zur Walther-Litteratur
sei bemerkt, dafs sich auch von diesem Gedicht eine Übersetzung in Hexa-
metern, wenn auch gekürzt, in dem obengenannten ersten Hefte unserer Denk-
mäler findet. Die Behandlung des Gedichts läfst au Ausführlichkeit und Gründ-
lichkeit nichts zu wünschen übrig. Anfechtbare Behauptungen finden sich, z. B.
dafs Walthers Weigerung, eine Hunniu zu heiraten, in jedem Worte den Geist
des Heldenzeitalters atme, dafs das Beiwort Franci nebulones etwa das ahd.
lotar gewesen sei, wozu K. sogleich eine Allitteration in lantpuant findet, dafs
Walther auf der einen, Hiltgund auf der andern Seite des Bosses geschritten
sei (Walther ging voran); aber Kögel giebt auch viel Neues und Interessantes,
z. B. von der doppelten Schwertumgürtung als deutschem Brauch, von dem
'Kauderwelsch' Ekfrids, das für den gotischen Ursprung Walthers geltend ge-
macht wird, von Versuchen, deutsche Allitterationen zu finden, von der Kritik
der Sage und deren Zusammensetzung und Quellenscheidung, von der eigenen
dichterischen Thätigkeit Ekkehards u. a. Bemerkt sei, dafs Kögel als unmittel-
bare Quelle Ekkehards eine lateinische Prosabearbeitung eines verlorenen stab-
reimenden deutschon Gedichts annimmt, welches in dieser lateinischen Be-
arbeitung deutliche Spuren seiner Phraseologie hinterlassen hat und natürlich
auch in seiner Komposition wiedergegeben war.
Eine vortreffliche Analyse erfährt der Ruodüeb, die um so dankenswerter
ist, als gerade dieses Gedicht trotz seines hervorragenden litteraturgeschicht-
liehen Interesses als erster mittelalterlicher Roman auf der Universität stief-
mütterlich behandelt zu werden pflegt und von verhältnismäfsig wenigen Ger-
manisten gelesen wird.
Den Rest des Buches (S. 413 — G30) nimmt die althochdeutsche Prosa ein.
Verf. fühlt sehr gut, dafs diese in ihrem ganzen Umfange nicht in eine Litteratur-
geschichte gehört. Aber er sieht auch, dafs eine Beschriinkung auf diejenigen
Denkmäler, die eine gewisse künstlerische Bedeutung haben, 'der bisherigen Pra3us
doch zu sehr widerstreben würde' und 'dafs er fürchten müfste, manchem Leser
damit eine Enttäuschung zu bereiten*. Das ist ganz richtig, und ebensorichtig
auch, dals es kein Buch giebt, auf das er 'diejenigen, die sich über dieses sehr
vorwickelte und in den letzten zwanzig Jahren vielbearbeitetc Wissensgebiet
orientieren wollen, verweisen könnte'. So behandelt er denn kurzweg alle Prosa-
deukmäler, natürlich hauptsächlich nach ihrer sprachlichen und teitkritischeu
Seite. Für die Geschichte der Übersetzungskunst fällt immerhin etwas dabei ab.
j
Google
Gt. BoettidMr: Nene dmtodie IdtteratargeMdaditoii.
443
Den Schluls macht Notkor Laljeo. Sehr dankonswfrt ist n'nc ungohängte chrono-
loirische Übersicht i S. iVJC) ) und ein sorgüUti^t's liegiHter (Ö. 631 — 649).
Endlich berflcksicbtigt Verf. in einem Nachtrüge auch noch die wahrend des
Druckes erschieneueu ueueu Arbeitten, ganz bettonders den Aufsatz E. Bcbröders
aber 'die Tanser Ton Kolbigk*.
Nach der Ankfindigung des Verlags soll das ganze Werk im swetten Bande
TollMidet werden. DaÜi das nadi d«r hier sUasierten Anlage m^ljUeh aein eoU,
ist adiww sn gruben, und es iriüre andi nieht wQnBchenswwt^ wenn der Verf.
nim andere Bahnen einsdblQge. Er mttfete sich nur mtschliefsen, den Titel
zu ändern und es nicht eine litteraturgeschichte, sondern ein Handbuch zur
altdeutschen Litteratur nennen, dann brauchte er keine Oebietsüberschrei-
tungen zu f&rchten und zu rechtfertigen und hatte nngemessene Freiheit der
Bewegung.
Von dieeen g^eindenisefaen Litteraturgeschichten wenden wir unseren
Bück auf die obengenannten Sondergeechichten.
Die dentseh-nationalen Bed»»bnng6n in Österreich, auf die wir kfirslidi in der
Anzeige der von Wackemell herauHgegebenen Passionsspiele hinweisen konnten (s.o.
8.221), haben eine neue Frucht gezciti^rt. <-ine deuisch-österreichische Litterator-
geschichte. ^) Zur allgemeinen Charakteristik des Werkes lassen wir die Heraus-
geber selbst sprechen: *Zum erstenmale wird hier der Verbuch unternommen, narh
einheitlichem I'lune die deutsche Litteratur der iisterrpichisch- ungarischen
Monarchie iils ein (Janzes zu betrachten und diese deutstdi (»sterreichiscbe Lit-
teratur in ihrem Verhältnis zur gemeindeutbcheii Litteratur in (h^ii verschiedenen
Perioden ihrer Entwiekelung danustellen. Berechtigung und Wert einer
derartigen Darstellung liegen in der Iltatsache, d&fo sich infolge einer langen
Kette Ton historischen Ereignissen die Länder, welche sich um das alte Ostar-
richi im Lanle der Jahrhunderte gruppiert hatten, au dem selbständigen Staats-
wesen der österreichisch -nngarisehen Monarchie herausgebildet haben. Die
wechselnden Erscheinungen, unter denen sich jene historische Entwiekelung
vollzog, prägten der Volksseele der Deutschen in Osterreich ganz eigentüm-
liche Charakterzii^je auf, welche auch in ihren Litteraturprodukten Ausdruck
fanden . . . Erst wenn es gelungen ist, die deutsche Dichtung Österreichs aus
den Bedingungen heraus, unter denen sie entstanden iftt, zu verstehen, wird
ihre gerechte Beurteilung unti ilire Eiul'üguug in den Bau der gemeindeutschen
Litteratur möglich. Der Erkenntnis des Bodenständigen muTs hier ein Haupt
angenmerk sugewendei w^den.' Dnaentsprei^äid luben die Heransgeber aller-
orten bodenständige Mitarbeiter geworben und hoffen so einerseits eine Er^naang
SU jeder gemeindeutschen Litteraturgeschichte zu sdiaffen, und andererseits jedem
gebildeten Österreicher und vor allem der heranwachsenden Oenwation die M^-
lidikett sn geben, die Entwiekelung des eigenen Stammes in seiner Litteratur
*j Deutsch -Oaterretchijiclie Liite»turgeM:hichte. Ein Uandbacb zur Geschiebte der
dflateehen Dichtniig in Ostemldi-Uagani. HerauBgegebeo von J. W. Nagl und Zeidler.
Wien« C. Fromme. 1. Halbband. m S.
89*
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444
0. Boetticber: N«ad dentsdi« IdttarntaiBeMhickteD.
zu verfolgen. Dem popolüren Z>vcck eutaprechend ist das Werk mit dem be-
kaonten hiftorwdien BiUvwk aasgestattei
Der Torliegende erste SUbband, bis zar Refomatioii Aihrend, ist ein im
gansMi sehr ^natigea Zengnia tob der aweckimUaigen und gelungenen Ana-
fiibrun;; des Untcmehmens. £r rückt den knltnigeschichtlichen Geeiehtspunkt
»tark in den Vordergrund und bringt in der That dadurch sehr wertvolle Er-
gänzungen zu den ^oiin indeutschen Litteraturgeachichten, vor allem gleich im
ersten Abschnitt (S. 1 — 50) durch die cin^jchonde Darstellung der deutschen
Kolonisation in Osterreich and Ungarn und ihrer Beziehung zur Üestaltung
der Heldensage.
Baiern und Goten machen den Kern der deutächen Bevölkerung aus, uud
nnter ihnen ervtebt die Ideolgeatalt Dietrieha TOn Bern, die ala daa Ter-
kSrperte Wesen daterreichiacher Eigenart in Anspruch genommen wird: *Der
Qeiat des österreichischen Volkes hat so in Dietrich ein Ideal gesdiafiSen, und
noch heute — wo die firflheren Besorgnisse der geistigen Ffihrer des Volkes wegen
BOckfiiUea in Roheit und Heiilt tihim nicht mehr obwalten können — freuen
wir uns dieses Ideals. Wir Österreicher sind allerdings, wie Dietrich, von
Mifstrauen rjet;en uns erfüllt; das Fremde imponioH: nns daher sogleich. Wir
lH'kennf»ji nimufgefordfrt iiiism' Scliwachfn. wiihiciul andere die ihren verheim-
lichen, W ir sncheu uud gestehen von vorn herein die IJeelitstitel dvr anderen
freiwillig zu, während die anderen zuwart«n, bi« wir ihnen die unseren mit
Mflhe abringen. Wir geben gern nach, erwarten aber ^tflir ton der Einsteht
des anderen ein gleiches. Darin iftuschen wir uns meistens; aber geradezu
cynisch erscheint es uns, wenn der andere diese Kaehgieb^eit ala seibat-
▼emtandlicbc Schwäche des Österreichers fafst, mit dem man machen kdnne,
was man wolle. Wer aber unsere Geduld erschöpft hat und uns die Schmach
anthun will, dafs wir mit besseren Grundsätzen das Opfer anderer werden
sollen, entfesselt gegen sieh die tjjin/.e Wnrht der Abwehr' (S. 90). Das lieil^t
gewifs national tfesprochni . wenn auch der criTirtc Ton ctwafi bcfrenidt't und
diese Charakt«Tistik anfseriieni so /ienilich auf die Deutsclifii iil»erliaii|it jiaist.
Diese Entwickelung der Uietrichsage in der volkstümlichen Lttterutur^ be-
sonders audi im Verhalfaiis anm frankischen Siegfried, wird durchaus an der
Hand der Kolonisationsgesdiichte gegeben, und der ganze Abschnitt, der diese
Dinge behandelt^ 'Das nationale Erbe' (S. 50 — 126), ist in erster Linie Sag^
geschichte. Aber auch die Sprache, zum Teil die heutigen IKaldEte werden
anr Urklamng der Bcvolkeningsmischung herangezogen, ^'i viel Gutes nun
auch hier geboten wird, eins müssen wir bedauern: die ästhetische und
eigentlich litteratunjesoliielifliehe Würdi^nnj^ der Dichtungen, z. R. aneli dos
Nibebinwnliedes, kommt <labei ent^<chieden zu kurz. Was die Verl', über den
Dichter des Nibelungenliedes, über die tJberlieferung und den ganzen Charakter
sagen, ist so dürftig, vag und unvcrstUndlicii, dafs es besser ganz weggeblieben
wSre. Diese Dflrftigkeit und zum Teil Flüchtigkeit der Charakterisierung tritt
uns auch sonst entgegen, z. B. beim Meier Helmbrecht^ in dem die Verf. nichts
weiter sehen, als Mie Überhebung des Bauern Ober seinen Stand hinaus und
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Btralticher: Nene deuiidie Litientaigeachiebten.
445
die Folgen solchen Übermutes', wühreiiii doch der Dichter Wernlier selbst daa
Haaptgewkbt auf den niiger»teneii Soliii legt. Ähnlich bei Uhrich von
Liehteiuiteiii, deaaen Fnuendiemift ttbrigena merkwflrdig genug ^niicb SchSnbAch'
dargestellt irird. Bm bringt die Yert beinahe in den fidechen Verdacht, dala
sie das Original nicht kmnen.
Im Gegensatz dazu wird die geistliche Dichtung (Abschnitt 3; S. 125 — 186)
sehr eingehend behandelt, z. B. die Ocne^ia Terhaltnisiiiäfsig viel ausführlicher
als das Nibelungenlied, während wiederum die Itinneiyrik in dem grofsen
4. Abschnitt 'Das Rittertum' (S. l^^G --'2^4) nur eben berührt wird. Nur
Walther von der Vogelweide tritt nachdrücklich hervor, doch in etwas
Di<»rkwiir(li«^er Auffassnn«;. Die l)ekttnnte Aufserung Walthers: Idt wa^i aö
voUt' srJiiitens, da£ mm dkm sUmc deute» die Verf. auf seine Streitgedicht^j
gegen den Papst, worauf er dann seinen öinu auf 'Höheres' gerichtet habe,
nämlich anf die Krenalieder und anderes Keligioees. Walthers Kampf gegen
den Papst ersdieint somit als eine Yeriirnng, nnd hier scheidet sich allei^
dings unsere nationale Wertsch&tsong Wdthers sehr besümmt yon der Sster-
reichischen. Eine Beihe von lyrisdien Diehtongen wird in leider xiemlich
schwachen Übersetzungen in den Text eingef> andere werden im Urtext
abgedruckt, ohne dafs man sieht, warum diese Unterschiede gemachi werden.
Willkommen sind einige Abschnitte, die die Musik, die Komposition der Lieder
und auch vorher der epischen Dichtungen behandeln, ausgestattet mit Noten-
beispielen. Die Neidhartschen Tanzlieder erscheinen als die Vorläufer der
späteren Wiener Walzer.
Dies führt auf die gemütliche Heiterkeit de» österreiehiselien Volks-
charakters, die besoudern in der komisch-draniatiischea Littcrütur des aun-
gdumden Hittelalters hwrortritt. Dieses stellt der fünfte Abschnitt dar
(S. S84— 386). Eingehend wird xunachst der *Hanch von Salzburg' be-
handelt, wiederum mit besonderer Berficksicht^ng der Musik, darauf die
Jitterarischen Erscheinnngra in Poesie nnd Prosa, nach den Landschaften
geordnet, endlich als ^uptstflck die dramatische Litteratnr, die geistUdien
Spiele, wobei Wackernells Ausgabe der Pussionsspiele ausgiebig benutzt ist^
und die Komödien, die in ihrer österreichischen Eigenart (als 'Sjuils') vortreff-
lich eharakterisiert werden. Sie beruhen auf dem Humor, nicht auf dem Witz,
auf der Fälii|jkeit, die komische Seitf» auch der ernstesten Sache 7Ai erfassen.
Schon die Dortpoesit; Neidharts zeigt die Elemente, ebejiso die Volksepen imd
das ältestr Xeidhartspiel, sie sind derb, aber nicht lüstern und frivol. Eine
Entartung trat unter der Einwirkung der älteren Nürnberger Fastnachtsspiele
ein, die aber zum Teil wieder aus dem gesunden Sinn des Volkes selbst heraus
abennrnden wurde, und *es ist ein anziehender Gedanke, dafia zur moralischen
Bebung des Fastnachtsspieles durch Hans Sachs auch die Kenntnis des alt-
Ssterreichischen Lustspiels beigetragen habe', denn Hans Sachs hatte auf seiner
Wandersdbaft in Salzburg, Hall, Braunau, Wels und Innsbruck gerade die Weihe
der Musen empfangen. 'Wenn wir unsere Geschichte der mittelalterlichen Litte-
ratnr Deutsch-Österreichs mit der Darstellung der dramatischen Gattung ab-
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446
Q, Boetliicher: Nene deatacke litteratingwcbichteii.
sehlielken, bo bleiben wir streng im Rahmen unserer von knltoriiistorieehen
Gesichtspunkten geboten«! Disposition. Im geistlieben Bfirgerspiel der Blllte-
seit sahen wir alles assimiliert^ was dem heimischen Wesen nrsprQnglich fremd-
artig am ChrttteitQm war: das Lustspiel greift mit seinen Wuseln tief in den
Boden der heidnischen Vorzeit und bewahrt in Stoffen und Formen bis in
a^te Zeiten Üherhieibsel des nationalen £rbes, während es seine wste
litterarische Festsetzung unter der Einwirkung der höfischen Dichtung und
seine dramatische Ausgestaltung unter dorn Einflüsse 'U-vj i;»^!stlichen Bürger-
spiels erhielt Wie bei den anderen Gattungen der Dichtung, fand auch hier
die lebendigste Wechselwirkung zwischen den Ländern Österreichs und Deutsch-
lands statt.'
Wir wünschen dem Werke von Herzen guten Fortgang und hoffen, da£s
es den Herausgebern trdiz der groften Zahl der Milairlieiter gelingen werde,
ein Mnheitlidies Ganses su achaffoij das das im Begleitwort angegebem Ziel
wirUich erreicht Dasn wird aber nötig sein, vor allem auch den Inhalt der
national«! Dichtungen an sich au würdigen, die Ideenbreise und Ideale^ die sie
darstellen, zu entwickeln und so das deutsche nationale Leben in Österreidi xu
sförkcn. Die kulturgeschiclitliclu' Bflumdlung allein thuts nicht.
Gleichzeitig mit der Somler Litteraturgeschichte für Österrcieli ist auch eine
solche für Schwaben erschienen, hervorgegangen aus dem nämlichen Interesse,
'dais die einzelnen Stämme über ihre g(i^!tigen Leistuntren Musterung abhalten
und sieh dadurch gowisserraalHen auf hiieli si'lbst ix'sinnen'.^) Verf. hält dies
geradi auch inuerhalb des geeinten deutschen Reiches für notwendig, um der
Gefahr der geistigen Konzentration und Nivellierung entgegenzuwirken, die in
den letsten drei Jahraehnten in Sicht getreten sei 'Gerade darum ist es not-
wendig, dafs man in Deutschland die Tidheit der individudlen Lebenefonnen
mit Bewnlstsnn betone, dafs sich jeder Stamm die Besonderheit seiner Geistes-
bildung mit Sorgfalt und Treoe su wahren sudie/ Das ist sweifeUos richtig
und gut, übrigens auch ein bodenständiges Stttck deutsdier Eigenart, und was
geschehen kann, dies zu erreicben, verdient Förderung und Unterstützung.
MögUch, dafs auch eine 'Schwäbische Litteraturgeschichte' für Württemberg
dazu beiträgt, wenn sie nämlich die Eigentümlichkeiten des schwäbischen
Stammes in seinen litterarischci Erzeugnissen scharf zu erfassen und dar-
zustellen weifs, so dafs man wirklich das Individuelle erkennt. Gerade dies
aber ist dieser Schwäbischen Litteraturgeschichte noch viel weniger gelungen
als der Osterreichischen. Ist es auch richtig, dafs der Verf. seinem Zwecke
gemälk auf die alte Zeit wenig, auf die neue dagegen um so mehr Gewicht
legl^ so hatte doch der gröfste sohwnbisehe Dichter des Mittdalters^ Hartmann
Ton Aue^ nicht so Ikrblos und knn abgethan werden sollen, wie es hier aof
drei Seiten geachiebi Auch 4^ Hinnepoesie weife der Verf. hnine charakte-
ristisehen Seiten abangewinnen, und der ganie weitere Verlauf kommt fiber
Schwäl'ischf LittcraturgeBchichte in zwei Bünden. Von Rudolf Kr auas. 1, BMid.
Von d«ii Aüftkig«!! bis in das 19. Jahrhundcot. Fraiburg, Mohr. XU, 4S0 S.
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G. BoeUacher: Neue deutsclie LitteratnigeicliiditeD.
447
eine allerdings auf gater Sadikenntnis fnüsende und dem littentargeBcfaidit'
liehen Intereeae durchaus genflgende DarsteUnng dw liiterarischen Entwieke-
lung nidit hinans. Nur ein Drittel des Bandes wird der gesamten Zeit von
den Anfruigcu bis 1750 gewidmet, iiiul der ganze Band führt uns bereits bis
ina XIX. Jahrh., snr Romantik. Er hat seinen Wert durch die genaueren
Nachrichten Aber sonst weniger bekannte und behandelte ach will)! sehe Dichter
und Schriftsteller, durch manche treffliche Charakteristik, z. B. W' tckherlins,
Schubarts, Hölderlins und selbstverstÄndlich luich in der Ijeahsichtitrten nr\d
wohlgelungenen Zusammenfassung der öchwä bischen Üesamtarbeit, aber den
Wert dieser Besitzumgrenzung darf man nicht überschätzen. Wer denkt z. B.
bei Schiller noch an den Schwaben? Selbst Scheliing und Hegel sind gemein-
deutsche PersSnlieUnnten geworden nnd geblieben. FQr den Zweck des Ver£
sollten in allererster Linie unseres Eraehtens die Tolkstfimliehen Diditungen
stehen nnd alles, was sonst aar Yolkskonde gehSri Und was sich da nadi
Fenn und Inhalt offienlNui, kSnnte vielleiehi in den SohSf^ungen der sdhwabi-
sehen GeisiesgrSlken in Anklängen wiedergefunden werden.
Der geographische und der politisdie Begriff 'Schwaben* fallt nicht zu-
sammen. Verf. hat sich in der Abgrenzung seines Stoffes für den pobtischen
Begriff 'Würffornberg' entschieden, aber mit Heranzieh niitr des gesamten achw»-
bischen Rtamnit^s, besonders der bayrinehen Provinz Sehwaben.
Kin Anhang i^icid auf S. 305 — llH litterarisehe Nachweise in der Art der
l>iit« raturgeschichte Scherers. im Text ist nicht darauf verwiesen, aber in den
Anmerkungen selbst ist der jedesmalige Abschnitt, auf den sie sich beziehen,
klar beseichnei Verf. scheint hier die e^entlich gelehrte Liiteratur absichlr
lieh Qbergangen zu haben, s. B. alle winenschaftlichen Aasgaben der Siteren
Litterator, und das Hai^tgewichi anf die PersSnliehkeiten nnd monographische
Arbeiten ttber sie gelegt su haben. Welche Sonder-Litteratorgesduchte wird
nun folgen?
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4
FSETTAG, BUBGEHABDT» RIEHL
UND IHRE AUFFASSUNG DER KULTURGESCHICHTE.
Von Georg Steinhaufen.
Kurz hintereinuidar Bind die drei grörsten deutschen KulturhiBionker uns
durch den Tod cnirisspn worden, sie alle ntieh Vollendung eines grofsen und
reichen Lebenswerkes. Sie alle :il)er auch in unirefähr gleichem Alter: Freytag,
der Schlesier, wurde 181ü gel)oren, Burckhardt, der Schweizer, Riehl,
der Rheinländer, 1823. Nock bemerkenswerter ist jedoch dm fast gleichzeitig
Eracheiuen ihrer kulturgeadiiehtliehen Hauptwerke. Frejtags ^Bilder aus Uer
deatschen Vergangenheit' binnen Mit 1859 su «Mihemeii} BareldiBrdt Ter-
dffonflidite eeme *Zeit Gonffcultiiw des GrofiMQ* 18fö, aeine ^vltnr der Remais-
aance' 1860; Biehb 'Naturgeeehtthfee de« Yolkes' endhien seit 1853, adne
•Kulturstudien' 1859, 'Die deutsche Arbeit' 1861. Das ist kein Zufall. In
meiner Arbeit über Gustav Freytags Bedeutung iQr die Qeschichtswieaenschaft
(Zeitsohr. für Kulturgesell. III S. 1 flF.i habe ich bereits eingehender dargelegt,
wie um diese Zeit, in der Mitte des Jahrhunderts, nueh kurzer Vorentwickehirsg
die Kulturgeschichte eine ülierraschend groüse Anziehungskraft ausübte. Es ist
die Zeit, in der das Genuauische Nationabnuseiun begründet wurde, in der die
erste 'Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte' erstand. Es ist die Zeit, in
der HeinricK von Sybel, in seiner 1856 gehaltenen Rede *Über den Stand der
neueren detttedien Geaehichtaaehretbnng', daa Henrortreten der Knlturgeachichte
als das wesentliehate Gharakteriatikum der neuen Geaohichtawiaaenachaft be-
liehnen mufste. 'Sonst', heifst es bei ihm, 'beschränkte sich der Inhalt der
historischen Werke auf die grofsen Hof- und Staats- und Kriegsaktiouen, wobei
überall die herrschenden Persönlichkeiten in) Vordergründe der Auffassung
standen. Daneben hatte man Reehtsaltertiimer und Kirchengeschichte nicht zum
Crebraudie der Nation für dtiren Bildung, .sondern zum Dienste der Fach-
gelehrten bei praktischen Zwecken. .letzt ting man an, die Beschaffenheit des
gesamttm Kulturzustandes eines Volkes zum Ausgang» und Zielpunkt der Be-
trachtung zu nehmen; die Qeachiehte der öktttomiaeheii Yerhlltniaae wurde
ebenao widttig wie jene der diplomattaehen Verhandlungen; die Entwicklung
der Sprache und der Littoratnr erhielt gleiche» Intereaae mit den Bewegungen
der Höfe und Heere; Kirchen- und Rechtageachichte wurden ala Anaflflaae dee-
aelben nationalen Lebens in den grofsen Rahmen mit hineingezogen.' Wie
dieser Wandel mögUcli geworden war, habe ich an der nngeführten Stelle
meiner Zeitschrift dea weiteren ausgefährt: ich kann das hier nur kurz su-
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G. StMuImiMn: Frejtag, Bnrddmrdt, Riehl und ihre AttlÜMsuiig der Knltargeuhichte. 449
sammeufatiiien, will aber dabei zuglcieh eini^ Aur-< rntisr<'n Miihls uinllciliteu,
der mehrfach diese Vorgeschirht«- der neuen \V i^senseliaft berülirt luit,
Ihre Anfange liegen in dem Juliriiundeit der liumauität und der Aufklärung.
In Voltaire, meiui Wegele, hat sie 'ihren eigentlichen Urheber anzuerkennen';
Auf Herder aber, der um HnmaiutittBideal glwchMun historiadi su begründen
enehte, xnfiMen wir die AnlMdinimg einer neuen weiten Anffiwwing nidit minder
BnrOcÜUiren. Riehl urteilt Aber die AnfSnge trefiland eo: 'in der zweiten
HSlfte dee vorigen Jalnlinndertis kam bei nn» ein nenee Modewort in Schwang
des Wort «Knltv». Modewörter Betsen Mod^een voraus, und mir däueht, vor
AUem hat Roneseaus Streitfrage über den Vorzug dee anerarbeiteten Natur-
lebens vor der in Arbeit durchgeistigten Gesittung uns damals das Wort so
notwendig nnd folglich auch gelaufig gemacht. Unter Kultur verstehen wir
die Summe der Arbeitsresultate, wie sie zur Signatur der Persönlichkeit des
Einzelnen oder eines Volkes werden. Ursprünglich galt das Wort dem Boilenbau,
in den deutschen Bücheru des achtzehnten Jahrhunderts dagegen wird es fast
nur von der Geisteaarbeit gebraucht. Ja, man verstand damals unter Kultur
oft geredera die Beeoltate des geistigen Sefaaffms und eittlidien Bingen» im
aneehlieJeenden Gegeneats m dem erarbuteten Sehatge der wirteehaftlicben
Guter. Der nene Sinn dee Worte» wnr aleo sum Antipoden »eine» alten
Stamnuinne» geworden. «Knltar^ nnd «AnfUirong» gelten ÜBr Gleiehnamen,
und die mit der neuen Idee aufwachsende neue Wissenschaft Kulturgeschichte
wurde von mehreren ihrer frühesten Huarbeiter lediglich als eine l'hilosophie
der Geschichte der Aufklärung behandelt.' Aber im vorigen Jahrhundert liegen
auch die Anfinge einer exakten Kulturgeschichte. Das unkritische Zusammen
tragen 'knrieuser' Notizen frülierer Zeit wurile üi)erw'!ndt'n. Vor allem nach
der wirtöciiatthchen Seite wunh« eine wissenscluiftlichere Urundlage gelegt: die
Disziplin der 'Statistik' ist da vuu be^underer Bedeutung; Männer wie Gatterer
und Schlözer zeigen die Einwirkung dieser Gedanken auf die Geschichtschrei-
bung. Wieder ein »nderes Elonent repiieentiert Möser: das Yolksstttdinm.
Für dieses hSehst folgenreiche Gebiel^ fBr die Ausbildung d^ Begriffes *Volk»-
tnm' wurde dann eine StrSmnng vnsere» Jahrhundfirt» von ausschlaggebender
Wichtigkeit, die das Mittelalter in Terklärtem Lichte sehende Romantik, auf
die die Anftnge der deutschen Philologie snrückfiihren, welche ron Anfimg
an — ich nenne nur die Gebrüder (irimus — zugleich deutsche Altertums- und
Volkskunde war. Ein mächtig anschwellender historischer Sinn verdrängte die
philosophische Konstruktion; auf allen Gebieten begann em*5ige hiftori?!che
Arbeit. Man darf weiter u( l)en dieser konservativen Strömung <lie entgegen-
gesetzte politische Tlauptstrchnung jener Tage, den deraokratitichen Zug, als
wichtiges Agens nicht übersehen. 'Hier war es die Abneigung gegen Fürsten
und Regierende, gegen Diplomatie und Bureaukratie und der Kampf für das
Recht des Volkes, welche die bisher einseitig betriebene Krieg»- und Kabinetts-
gesehiehte dem allgemeinen Bewnfstsein ungen&gend erscheinen lielbeo.'^) Dazu
*) ZeitMhrift für Knllmgetohichte lU 8. S.
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450 O. SteinhraMn: VrejttLg, Barckhardi, Ri«1il tud ihre Atiffamtuig der Knlturgeschiebte.
kam die beginnendo starke sozialpolitische Strömun«^: die sozialo Frntre drinif^e
schon vor 1848 das Volk als StiidiVnobjoct in den Vordergrund. Und endlich
der Einflufs der Naturwissenschaft. 'Die unerhörten Triumphe*, sagt Riehl,
'welche die Naturwissenschaft auf dem Wege der Amdyse gewann, haben alle
anderen Disciplinen auf denielben Weg for^^maaNi. Da mufste die Zeit aneb
wieder gOnetig werden fOr die nataigeBdiiclitliehe Untenaduing des Volkee.* —
Aua dar FOlle dieser Elemente ging nnn die al]m9]iliclie Anabildnng einer selb-
ständigen Wissenschaft der Kulturgeschichte hervor. Riehl meinl^ dafe *nament-
lieh Heeren mit seinen Verdiensten luu die Verbindung; von Geographie, Etlmo-
graphie und Geschichte bahnbrechend voranstehe*. 1831 bereits begann Wilhelm
Wachsmuth seine 'Europäische Sittengeschichte vom Ursprung vollst ihn lieber
Gestaltungen bis auf unsere Zeit' zn veröffentlichen. Daneben begann eine
aulserordentlichc Sammclarbeit auf dom Gebiete der Sitten und Brauche, der
Sagen, der Volkskunde überhaupt und ebenso auf dem Gebiete historischer
Quellen. Historisclie Vereine entstanden und gaben in ihren Zeitschriften
wesentlieh knlturgeachiehtlidies Material heraus; grSIsere Qneilensammlnngen
wurden begründet, wie sdion 1843 die Bibliotiiek des litterarisehen Vereina;
die Archive aeigten sich plStslich von dner gans neuen Seite als unerschSpf-
lieh f&r die Lebem^esdiichte der Vergangenheit — an die Erriehtnng des
Germanischen Museums erinnerte ich sdion.
Dies war die 7 'if . in der jene drei Männer ihre historischen Studien be-
gannen. Die Richtung, die sie einschlu<;en, war zeitgemäfs. Sie aber haben —
und darin liegt ihre bleibende Bedeutuni; — 7.nt'r«»t <je7.eii;t, wie man kultur-
geschichtliche Werke schreiben soll. Ihre AufCaasung von dem, was behandelt
und wie es bdiandelt werden aoll, ist Ton allergro&ler WuSitigkeit geworden,
und das rechtfertigt wohl eine nSliere Darlegung ihrer Auffiissnng der Knltnr^
gesehichte. Manehe Fachgenossen pflegen freilich Uber sie, wenigstens Ober
Frejtag und Riehl, als pepulire Sehriflateller die Achseln zu zacken: hat doch
Freytag in seinen 'Bildern* nur 'ein bequemee Rausbuch gebildeter Familien'
schaffen wollen, hat doch Riehl aus^eHprncben, dafs 'seine Bürlier allewege
lustig '/n lesen sein wollen', und liabfii l)eide drK'h noch in die Belletristik
hineingepfuscht. Von der wissonseliaftlichen Grundlatie der Freyta^hen Bilder
haben solche Beurteiler freilich keine Almun^. Verachtenswert sind aber die-
jenigen Gelehrten, die, ohne Frejtag jemals zu erwähnen, ihn munter aus-
schreiben — nomina sunt odiosa. Gerade als Forderer wahrer Wissensehaft
werden diese Mlnner nodi genannt sein, wenn Legionen der Znnfthistortker die
Tergessoiheit deokt
Der groDse Fortschritt, der von ihnen gemaeht wurde, ist der bewufst
unternommene und TOrtn fflieh durchgeführte Versuch, den Menschen ala
Gattungswesen zum Objekt der historischen Forschung zu machen,
den Menschen der Verj:^njTrnheit nicht als Individunm, als Helden, sondern als
Typus, als Vertreter seiner Zeit, seiner Generation anfeufassen. 'Die Töpfe*,
meint Riehl einmal, 'führten jnim Töpfer'; 'der l{oek führte zum Mann'. Und
Frejtag sagt: 'Alle kulturgeächichtlichen Werke, welche die ungeheuere Masse
Digitized bßttttlf^
G Steinhausen: Vteytap, Burckhardt, Riehl und ihre AufTaHsun^ der Kulturgonchichtc. 451
des StofiFes in systematischer Einteilung zu bewältigen versuchen, entgehen
schwer dem Übelstand, langweilig zu werden, und gleichen in ihrer Schilde-
rung alter Sitten, Gebrauche und Lebensgewohnheiten zuweilen grofsen Trödel-
läden mit alten Kleidern, zu denen die Menschen fehlen, die einst damit bekleidet
waren.' Dieses Fehlende war die Hauptsache, und aus dieser Erkenntnis und
Empfindung heraus entstanden Frey tags Bilder. Und genau so bei Burckhardt:
der Held seiner Kulturgeschichte der Renaissance ist der Renaissancemensch
als solcher, als Typus. Die politisch-geschichtlichen, die kunst-, religiona-
und gelehrtengeschichtlichen Partien seines Buches sind nicht um ihrer selbst
willen geschrieben, sie sollen uns den Menschen der Renaissance erkennen
helfen, den Italiener der Renaissance. Ich betone den Italiener. Ich betone den
Begriff deshalb, weil er uns zeigt, dafa der zu erkennende typische Mensch zu-
nächst doch nur als Typus nicht der allgemeinen Menschheit, sondern als der
einer engeren Gemeinschaft aufgefafst werden konnte. Wenn Riehl meinte
'der Rock führte zum Mann*, so fuhr er fort *und der Mann zum Volke*.
Und höchst scharf betont er ein andermal 'die lebensvolle Gesammtidee der
Nation*. 'Diese Studien', schreibt er, 'über oft höchst kindische und wider-
sinnige Sitten und Brauche, über Haus und Hof, Rock und Kamisol und Küche
und Keller sind in der That für sich allein eitler Plunder, sie erhalten erst
ihre wissenschaftliche wie ihre poetische Weihe durch ihre Beziehung auf den
wunderbaren Organismus einer ganzen Volkspersönlichkeit, und von diesem
Begriff der Nation gilt dann allerdings im vollsten Umfange der Satz, dafs xmter
allen Dingen dieser Welt der Mensch des Menschen würdigstes Studium sey.*
So gewinnen wir den Begriff der 'Volkspersönlichkeit', des 'Volks-
geistes', der 'Volksseele* als Objekt des historischen Erkennens. Man hat
diese Begriffe wiederholt 'mystische'*) genannt: ich will mich auf eine Erörte-
rung darüber hier nicht einlassen» sondern nur feststellen, welche Rolle sie in
der Auffassung unserer drei grolsen Kulturhistoriker spielen. Jene drei Be-
zeichnungen kehren bei Riehl sehr häufig wieder, ohne dafs ihm ihre schwere
Fafsbarkeit verborgen ist. Er spricht gelegentlich von der 'unergründlichen
Tiefe des Seelenlebens der Nationen*. Und ganz Ahnliches finden wir bei
Freytag. Gothein hat kürzlich*) in einem Aufsatze über Riehl ganz richtig
einen Gegensatz zwischen ihm und Riehl behauptet. Aber dieser Gegensatz
ist wesentlich ein solcher der Methode, nicht der Auffassung. Es ist zum
minderten mifsverstandlich, wenn Gothein über Freytag schreibt: 'In den Bildern
aus der deutschen Vergangenheit wie in den Ahnen verfolgt er im Grunde
immer die eine grofse Idee: zu zeigen, wie das Individuum im Laufe der Zeiten
sich wandelt und doch im Keni sich gleich bleibt. Ihm ist immer die Er-
kenntnis des Einzelmenschen die Hauptaufgabe, als Dichter wie als Historiker.'
Da mufs man doch auf Freytags eigene Worte hinweisen, der ausdrücklich als
•> Da« iflt keine neue Bezeichnunff. Schon Freylafj selber hat es beffnlndet, warum
man 'ohne etwas Mystisches zu meinen, von einer Volksseele sprechen' darf.
') Preufsische Jahrbücher Xt'U S. 2».
452 6- Steinhauaen: Fr^Ug, Bnrekhftrdi, BJehl und ihre Aoffiuraiig dmr KnltnigeMliidite.
seine HauptaufjEfabe bezeichnet hat, 'ein Bild zu geben von fast zweitausend-
jähriger Entwicklung unserer Volksseele*. Gewifs unterscheidet er sich
TOn Bidil und zwar durchaus zu Gunsten der kulturhistorischen Wahrheit
dadnreh, dafo er immer mit geschiditliclien EinxeliäUen*) operieri Über
die 'Bilder' urteilt er ao; *Wm im folgenden nach alten Anfreichnnagen «b-
gednidldr wird, ist meist Bericht ver^gener Ifensdien fiber ihr eigenem
Schicksal. Es sind saweilen unbedentende Monumente ana dem Leben der
Kleinen. Aber wie uns jode LebensUufserung eines fremden Mannes, der tot
unser Auge tritt, sein GbuTa, seine ersten Worte das Bild einer geschlossenen
Persönlichkeit geben, ein unvollkommenes und unfertiges Bild, aber doch ein
Gauites; so hat, wenn wir nicht irren, auch jede Aufeeichnunf?, in vv<'le]i( r da«?
Treiben des Einzelnen geschildert wird, die eigentümliche Wirkung, uns mit
plötzlicher Dentlichieit ein farbiges Bild von dem Leben des Volkes zu geben,
ein sehr uuvülikommenes und unfertiges Biid, aber doch auch ein üau^s, an
welches eine Henge von Anschauungen mid Kenntnissen, welche wir in uns
tragen, hlitssdmell anschielaen, wie die Strahlen um den Mittelpunkt eines
Krystalles.* In seinen ^Erinnerungen' sagt er fibor setn^ Bilder, die nach *Aiif-
seiehnungen Tergangener Menschen von dem Oemfltaleben und den TerhBIt'
nissen alter Zeit en^hlen' sollten, das Folgende: *W«Dn man bei den Sdiick-
salen des Einzelnen das fÜr ihre Zeit gemeingültige heranphob, so komite eine
Folge solcher Schilderungen auch von geschichtlichen Wandlungen in Sitte und
Brauch, Lehens Verhältnissen der Nation eine Vorstellung geben.' Auf da«
Freytag stark interessierende Verhältnis des Einzelnen zimi Ganzen komme ich
noch zurück, hier sei nur die Auffassung von der Volksseele als historischem
()l)jekt dentlich festgestellt. — Bei Burckhardt kömien wir eine entspn'chpTulv
Auffassung weitiger aus von ihm ausgesprochenen generellen Urteilen, nU mxn
der Anlage und Durchführung seiner hierhergehörigen Werke und aus der
Fassung gelcgenÜidier Anlsttimgen ersehlieJsen, So wenn er seine Forsehung
anf *die frühaeitige Ausbildung des Italieners zum modernen Menschen', tad
die Grflndsy 'warum er der Ers^eborene unter den Söhnen des jetaigni EmqMS
werden muüste*, ri<^tet. Bei der Erörterung des Anteils der Italiener an der
Kosmographie unterscheidet er, Vievid dein Studium der Alten, wieviel dem
eigentümliclien Genius der Italiener auf die Rechnung zu schreiben sei*. Und
deutlich spricht er einmal auch von der 'Volksseele'. Bei dem grofsen Fort
scluitt, den die llenaissanc«; machte, bei der 'Entdeckung des Menschen' kninmt
er darauf. 'Die Kraft des Erkennens lag in der Zeit und in der Nation. Die
beweisenchn Thänomene, auf welche wir uns berufen , werden wenige sein.
Wenn irgendwo im Verlauf dieser DHrsteUung, so hat der Verfasser luer das
Gefthl, daHs er das bedenldiehe Qebtet der Ahnung hetretoi hat und dab^ was
ihm ds zurter, doch deutlicher Farbenflbergang in der geistigen Geachidite des
*) Ganz riphti^j mnint Gothein, dapH Freytaff die Hedcutung der Autobiojrraphien und
der Briefe für uoBere Kulturgesdiichtc cigeutUcb ertit entdeckt habe. Ich wenigstens bin
sicherUdi anter Frajtsg»c1ian Einflvb sa der Idee mmaer 'Oeiebiehie des dMlMhea
Briefes* gekonunen.
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0. SteinharUMn: IV^jrtag; Bnrdcbudi, Riehl nad ihre AufCMsaiig der Knltnigetebichfee. 453
14. und 15. Jahrhunderte vor Augen sihwebt. tou Andern doch schwerh'ch
mag als Thatsa^^he anerkannt werden. Dicseh aibnälige Dnrehsiehtigwerden
einer Volksseele ist eine Erscheinung, welche jedem Beschauer anders vor-
kontmm mAg. Die Zeit wird sieliten und riehieii.*
BnrdUiardt dentet hier offen die möglichen Schwächen seiner wie der
entspredienden kultorgeeehiditlichen Aal&esimg too der VolkaperBSnlichkeit
Sbeihftnpt an. Auch Freytag nnd Riehl haben die Schwierigkeitai, die in der
individuellen Aoffiweiing dee VerfiMsers einerseits liegen, andrerseits in der H8g-
lichkeit, falsch zu generalisieren oder zu rasch den Einzelfall typisch zu nehmen,
erkannt. Aber keinen der drei hat diese Erkenntnis von der Aufgabe, die sie
als (iif i^röfsto erkannten, zurückgeschreckt: als historisches Forschungsobjekt
{plt der Mi-nsch ;<!s Koili-ktivuiTi , zunächst unter dpni KoUektivbegrifl' «ler
Nation, also dur deutsclu', der italienische, der hellenische Mensch und so fort.
Burckhardts Blick hat sich trelej^entlich — zunächst durch den Zusammen-
bang seines Stofles mit der Antike und sodann durch die eigenen Forschungen
auf dieeem Oebiete — llher den Begriff dee EinselTolkes hinaus auf den grofeen
ZuBanunenhang der menechUehen Entwickeliing gerichtet. Er wendet gern die
BegrifiiB des antiken, des mittelalterlichen und dee modernen Henaehen an, die
seitdem uns Tiel geläufiger geworden sind. *ErBt der moderne Mensch ist',
8^ er einmal, 'wie der antike ein Mikrokosmus, was der mittelalterliche nicht
war und nicht sein konnte.' Aber den ganzen Inhalt der menschlichen Ent-
wickelang gewissermalaen durch das Abwie<xen der einzelnen Völkerpersönlich-
keiten zu umfassen, das srbeint ihm doch aufserhnlb imsoror Kraft zu liegen.
Hitte niid Keli<_n'( '1 t\rv einzelnen Völker Insson sieh naeh ihm nienmif in
strenirer Pai-allcie darstellen. *Vor allem i^ilt di<'s von dem Urt^-il ül)er die
Sittlichkeit. Man wird viele einzelne Kontraste und Nuancen zwischen den
Völkern nachweisen können, die absolute Summe des Ganzen aber zu ziehen,
ist menaehliche Einaidtt za sdiwacL Die grofse Verrechnung von Kational-
chaxakter, Schuld und Gewissen bleibt eine geheime, schon weil die Müngel
eine xweite Seite haben, wo sie dann als nationale Eigenschaften, ja als
Tugenden erscheinen. Solefaen Autoren, welche dm Völkern gerne allgemeine
Censuren and zwar bisweilen im heftigsten Tone schreiben, mufs man ihr Ver-
gnügen lassen.' Man sieht, als acccptabler Kollektivbegriff erscheint auch ihm
wie Uiehl nnd Frejtag zunächst nur die Nation, das Volk.
Aber immer windor betont er die- Schwierigkeit. 'Wessen .^n<re dringt in
die Tiefen, wo sich Charaktere und Schicksale der ATdker bildenV wo An-
gebnmeia n)id Erlehte,»* y.u einem neuen Ganzen gerinnt und zu einem zweiten,
dritten Naturell wird? wo hclb.st geistige Begabungen, die man auf den ersten
BUck für ursprünglich halten würde, sich erst relativ spät und neu bilden?'
Aber er hat doch ebenso wie Freytag und Riehl in diese Tiefe m dringen Ter-
Bttchi Er hat es Tersuchen dfirfen, weil er jene Haupteigenschaft des
Kalturhistorikers besab, die ich an Freytag gerühmt habe^), *jene fein-
*) Zeitichrift für Kultar|$e«cUchte III S. 13.
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404 0. SteinliaaMii: Frey tag, Burekbardt, Riehl und ilin AnffaMung der Knltiiigeeduchte.
fühlige Beoboiclitiiiigsgabe des eohten KnlturluBtorikeTs, die in dem scheinbar
BedeutungsloMn ein wichtiges Moment erkennt und ea im grofiwo Zusammen^
hang richtig zn verwerten yerateht*. Er spricht einmal gelegentlieh von dem,
'dor swiadi«! dm Zeilen leeen kann**), an andermal von dem 'kaltargeediiclit-
Kehen Blick'.*) Dieser ist es, auf dvn t's ankommt.
Nach alledem können wir als Aufgabe, wie sie jene drei Männer der
Kulturgeschichte stellen, die Erforschung dt r Uieachichte der Volks-
seele' foHtstellen, also die Erforschung eines psjchischeu Gesamtlehens in
nationalem Rahmen.
Von Wichtigkeit ist dabei zunäckät die wesentliche oder ausschliefsliche
Betonung des inneren Lebens; am entschiedensten bei Frejt^g und Burck-
hardt, aber anch bei Biehl. Bei Frejtag bilden die Snlaereii Lebenereriialt'
niese nur Staffage; das was man heute WirtBehaftageadiichte nennt, faritt &8t
yOUig zurflck, wemn man aneh z. R an seine Sdiildemng der germanischen
Agrarwirtschaft, des niittelalterliGhen Handwerks, des hansischen Handels
erinnern darf: aber auch ans solchen Partien tritt uns in der Hauptsache
doch immer der Mensch selbst eut^gen. Das gemütliche Leben ist es, das
Frovtuj::^ besonder!? anzieht, dieses sucht er ans seinen Quellen, den Briefen,
Tagebüchern, Erzählungen und Berichten in erster Linie zu verstehen. Wie sehr
ferner bei Burckiiardt die Entwickeiung der Psyche im Vordergruml steht, ist
bekannt. Der Schwerpunkt seiner Kultur der Renaissance liegt in der Dar-
legung des Durchringens des Menschen zum IndiTiduum. DsSä der Indiri*
dnalismus^ den dieses Zeitalter entwickelt^ es isl^ der den modernen Menschen
▼on d<»n Mittelalter trennt^ diese Erkenntnis verdanken wir namentlieh Burek-
hardi Aber auch bei Biehl, dem *Staat»- und Volkswirt', wird man niemal*
die üufscre, die wirtschaftliche Entwickeiung als leitenden Gedanken finden.
Sehr charakteristisch für seine Stellung ist eine Aulsemng in seinem Buche
über 'die deutsche Arbeit'. Auf der einen Seite weist er allerdings darauf hin,
dafn 'alle noch no scharfsinnigen Beobachtungen über Sitte und Charakter, über
die Psyche einer Nation in ihr Luft stehen ohne den festen, thatsiichüchen
Boden einer jfenanen Kuudo von ihrer Arbeit und ohne die Erkenntnis der
Gesetze, darnach sich die nationale Arbeit entwickelt'. Auf der anderen Seite
aber stellt er sich dodi nieht auf den Standpunkt der NatioiialBkooomen.
Wenn er von nationaler Arbeit redet, so mdint er 'den Einflnfii des Oesammt-
Schaffens eines Volkes auf das Herausbilden seiner Volkspersdnliehkeit*. So
bemerkt denn auch Gothein Über jenes Buch zutreffend, dab in ihm wea^ von
dem, was man sich bei dem Wesen der Arbeit als *d6ni zentralen Problem der
Volkswirtschaft' denkt, stehe, wohl aber vieles andere, was für die Psychologie
des deutschen Volkes von Helanfr ist. Diese ist immer sein Ziel, anch zum
Beispiel in seinen ninsikgeschichtlicheii .Studien. —
Haben wir in dem Begriff' der 'Volkuseele' bei unseren Autoren die Überein-
') Kultur der lleuaisgiuice II* 8. IUI.
Ebenda S. 108.
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0. SteinhanaeB: Fnijtag, fiureUittdt) Bielil und ihre AnfSMflUig d«r EttltUBeMiliichte. 4&5
Stimmung iti Bezug auf den zweiten Teil des Wortes konstatieren können, so
mfinm wir aim weiterlun aber «of gewisse Untersoliiede in Bezug auf
den ersten Teil deeselben hinweisen. Volk and Volk ist nicht dasselbe. Und
so finden wir anch in der That ein anderes Volk als Objekt der Fonehong
bei Burckhardt und Frejta^ ein anderes bei RiehL Die Gesamtheit, die Nation
hat Bnrckhardt immer im Auge, aber im Vordergmnd seiner Darstellung stehen
weitaus die fuhrenden Schichten, die Gebildeten, um so natürlicher, als es sich
bei seinem Hauptwerk wesentlich um eine groCsc geistige Ümbikhing, um einen
liiidungsprc)''»'!^^ vou weittmgeiuler Bedeutimg handelte. Dem entsprechen seine
Quellen: es i.st die dichterische, die Kunst , die gelehrte Litt^ratur, luich der
er urteilt. Umfassender ist Freytags Vulk: vom Fürsten bis zum Bauern, den
G«lelirten, den Kaufmann, den Tahrenden*, alle Schichten sucht er uns näher
an bringen. Aber der Sdiweipnnkt seiner Sh^derong liegt in den mittleren
Schichten; ihrer Hasse ist sein Werk doch Tor allem gewidmet Das Leben
in den kleinen Kreisen sieht ihn besonders an. Bei Freytsg tritt der Tjpns
des Diurchschnittsmenscben zuerst in ToUkonunener Erfassung auf. Und seine
Quellen sind daher die unmittelbaren, die spezifisch kulturhistorischen, Brief
und Tagebuch vor allem. Litteratur und Kunst gelten ihm mit Recht als be-
einüufste, höchst unsichere und vorsichtig zu verwertende Quellen. Indes man
merkt Freytag doch amh den Gelehrten »n, den germanistischen Gelehrt^^n.
Däh niedere ^'olk, insDesondere den liauern, kennt er nur aus der Littenitur.
Er benutzt freilich gerade die abseits vom Wege blühende, diu Kaieuder, die
Volkslitteratiir, aber seine Quellen bleiben doch littmuische. Ans dem lebendigen
Volk schöpft er nidii Hier setzt nnn Riehl ein. Andi ihm bot zwar die
Litteratur abseits von der grofiien Heerstralse riele an verwertende Zflge —
ich erinnere an seine Stadien Uber den Homaanischen Atlas, Uber alte Brief-
steller, die freilich durchaus nicht das Studium der wirklichen Privatbriefe
ersetzen, alte Volkskalender, alte Malerb&cher u. s. w. — , aber die Ffille seiner
Beobachtungen schöpft er aus dem wirklichen Volksleben, mit dem er, der be
geisterte Fufswanderer, in steter Berührung ])lieb, vor iillem aus dem länd-
lichen Volksleben.') Diesen *unmitt4>lbarpn Verkehr mit dem \ Olke' hielt
er vor allen Dingen als Sozialjiolitiker für notwendig, und alH Sozialpolitiker
hat er uns auch in erstt^r Liuie das deutsche Volksleben zu zeichnen vcr-
*) Cbanktemtudi üt eine Stelle mm daii Kultnntndien, in der «r gSReo die 'ab-
geleiteten Quellen' rnancherlwi dnwenflet Wer i ine Volkuiudivithmfität tilfif?; nach ilen
Materialien darHt«lien woll«, wie sie ihm diu tiibliolbekvn, Arcliivu und statiHtischeu
Boreanx bieten kdonoa (die Archive bat liiulU freilich am wcuigtiteu benfltEt), der wOrde
bAohateiifl ein Uappenidei Skelett xu Stande bringen, kein Bild, das Leben atmet. Dean
t'CrJarf er der iiiuuitti lharen Quellen, zu dereu Aufsuchuni^ man auf den eifrenen Reim n
durch« Laind geheu muTi«. 'Doch meinen noch immer manche (gelehrte Leute, wenn Eiuer
etwa auf einem alten Schweinsleder eine neue Notiz über das Voliulebeu unserer Urahnen
Mtliipfizt, «o ioj das »HewUng» Qnelleoforechiingf wenn aber Einer ein« gleidi wiciitige
und neue Notiz über das Volksleben unserer Zeit^jenosaeu au« der »nmitt^ nfiiren An
icbauun)^ des Leben« mit nach Hause bringt , so kOnno man dies doch nie und nimmer
i^ellenforüchung heifsen.' Uiehl Ündet den Unteracbied nur im Schweinaleder; mit Unrecht.
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456 Q. 8taiiüiaiueii: Fraytog, Barekburdi, Sidil und Om Auffiumng d«r Kultiurgeidiidit«.
tneht In MSser ▼«rehtte er *den grofaen Almherm muerer soBÜlpolitiniliaii
Litteratnr', *den Propheten der sogEialen Wüneneciiaft', weil er zoent *die
nngehenre Bedeutung der geedbichtiieh fiberlieiaten Sitte* erkannte, mil
er zuerst das Volk ah *ein Kunstobjekt m behandeln* Tvrelindy weil er euMD
'wunderbaren Blick für die Beobachtung und Erfassung jeder lebendig-n
Realität, für die Enthüllung der natürlichen und frei wüchsigen Gh-undstoffe
im Volksleben' besafs. \h Aufgabe der Sozialpolitik aber fafste Riehl
eben auf, 'die Rücksichtnulime auf die Volkspersonlichke it üii zu bahnen
und zu regeln'. So kommt es denn, dals auch für seine kulturge^bieht-
liche Auffassung die 'Volkskunde' die wesentlichste Grundlage bildet. Und
nun «rgiebt wAi für Riehl, geradeso wie für Moser, dem der Bauer der
eigentliche Kern dea Volkes war, ah wtehtigete Tolksgruf^e das Lud-
Tolk, 'der gemeine Mann*. *Die naiv gesittete Schicht dee Volkes, der Bauer
nnd Kleinbürger, bildet den Untexgmnd unserer Kultur, ans welcher wakM
doch alle höhere nationale Bildung cntspriefst.' Für ilin ist der Bauer die
historische Hauptquelle, wie sich ja aiuli 'dem Auge des Naturforschers der
echte dfutsclie Baufei' als der historische Tjrpus des deutschen Menschenschlages
darstellt.' Er zoif^t uns die Grundzüge der VolkspprsonlicbVtMf ruhend, ge-
bunden, im naiTeii Instinkte waltcml ' 'Bauernarbeit und Bauerusitte sind dm
Knochen ircrüöte der V'olksjicrsuiilu likt-it.' —
Man sieht, wie sehr die Auftaäüung vom 'Volk' bei unseren grofseu Kultur-
historikem diffmert Und diese Diffsvens hat eine weitere Folge, sie beeia-
flnfst ein Moment, das für die Anfibssong von einer Volksseele, von eiosr
VoDopersSnliehkeit von fgMbar Wichtigkeit ist, nimlich die Art, wie jene
sieh das Verhältnis des Einaelnen aum Ganaen denken. Wir streifeii
damit jenen gerade in der jüngsten Gegenwart besonders lebhaft geführten Streit
über individualistische oder kollektivistische Geschichtsa ii flas^nng.
In dem Referat, das v. Srala über diese Frage auf deui Innsbrueker Historiker-
tag liit'lt, worden freilich unsere drei i^rofsen Historiker so vollkommen ignoriert,
als ob sie niemals uxistiert hätten, während gerade sie es sind, die wegen ihrer
Auffassung von der Volksseele in allererster Linie zu betiachteu gewesen wären.
Der individnalistischen Auffassung steht Burckhardt verhältnismäisig am nächsteo.
Man weifs, wie sehr a. B. Dante im Vordergrund seiner Darstelinng stebi Aber
er sagt auch einmal folgoides: ^Dantes groOie Dichtung wSre in jedem andern
Lande schon deshalb unmoglidi gewesen, weil das &brige ESuropa noch unter
dem Banne der Race lag; für Italien ist der hehre Dichter schon durch die
Ffille des Individuellen der nationalste Herold seiner Zeit geworden.' Das ist
es, such ein Dante soll bei Burckhardt im Grunde nur seine Zeit, sein Volk
repräsentieren. So wollte er in seiner Zeit fnnstaiitins 'die b»'7eichneuden.
wtsentlieb charakteristischen Umrisse der diimalig<Mi W'i'lt zu einem unschau-
li( lu n Bilde sammeln'. Eine Oesehiehte nur der Pers<">nlichkeiten ist ihm dif
Geschichte schon deshalb nicht, weil sie ihm ein grolses geistiges Continumn*
ist. Das Typische festzuhalten, ist die Aufgabe. Wie fein weifs er s. B. in
der *Zeit Constsntins des Grolsen' aus der Erörterung aahlreidifir Portiit-
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0. BtafnlitiiKni Vnjimgt BoreUuwdt, Biehl imd ihr» AnlRwnuig 4«r KnltmgMdiidite. 467
darst^llungen djis Merkmal der Degeneration festznstpllen. Es ist charakte-
ristisch, wenn er zur Darstellung der Lästersuchi im Italien der Renaissance
den grSlUen liteterer schildert, den Pietro Aretino, und hümiftlgt: *£tD Blick
auf wem Wesen erspart mui die BeaeUlftigung mit menftheii Geringem eeiner
Gftttaag/ Den Tjfm wa eduldern, den Einael&ll i>jpi8ck sn verwerten, dta
ist am beaten aber Freyiag gelungen. Praktisch Üet er &at spielend das
Problem^ das ihm theoretisch manchmal Kopfschmerzen machte, das Verhältnis
zwischen dem Einzelnen und dem Volke. 'Aus Millionen Einzelnen', sagt er
einmal, 'he«teht das Volk, in Millionen Seelen flutet das Leben eines Volkes
dahin, aber das unbewiifste und ijcwufste Zusammenwirken der Millionen schafft
einen geistigen Inhalt, bei wekhpm der Antheil dos Einzelneu oft för unser
Auge verschwindet, bei welchem uur zuweilen die Seele des ganzen Volkes zur
eeUMtschopferischen, labendigen Einheit wird.' So eielit er naturgemüe in aUen
grolaen SchSpfongen der Volkakrafty in aogeatammter Beiigioii, Sitte, Redit^
Staatabildnng nicht mehr die Beenltate einielner MSnnw, sondern *otganiecha
Schöpfungen eines höheren Lebens'; im übrigen aber verläuft ihm 'das Leben
einer Nation in einer nnaufhdrlichon Wechselwirkung des (iun/xn auf den Ein-
zelnen und des Mannes anf das Ganze'. Er ist also, imd das ist der allein an-
nehmbare Standpvmkt, weder einseitiger Sozialist noch einseitiger Individualist.
Was aber Heine Kunst der typischen Menschenschilderung anlangt, so verhehlt
er sich nicht, 'daCa die Au&eichnungen des Einzelnen, je niiher wir der Gegen-
wart kommen, desto weniger den Eindruck des Gemeingiitigt u machen'. Der
historische Einaelfldl tritt nun bei Biehl am allenneisten snrttck. Das er-
giebt sieh aber einerseitB ans Miner GeringBcUUsnng nrknndlidier Quell»!,
weiter ans seinem innigen Verhftltnis snr niederen YdksmaMe, endü^ ans
seinen nationaldkonomisch- sozialpolitischen Studien. Nicht als ob er jeden
stärkeren EinfluTs des Einaelnen leugnete. Er {)rei8t z. B. einmal die 'persön-
liche Arbeit'. *Sie ist eine persönliche That, die, fort und fort geübt, uns selber
immer persönlicher macht.' Aber, sagt er weiter, ^der Mensch ist nicht blofs
personlich als Einzelwesen; auch sein Oemeinlehen in Familien, Stander, Stammen
und Völkern gestaltet sich persönlich. Wir sind iu Gruppe und Gattuug doch
wieder eine moralische Person, denn unsoe freie That webt mit an der Ent-
wickelnng unseres Gemeinlebens.' In den Enlturstndien meint er wieder: *Wer
die QeseUschaft natorgesehiditlieh studiert, der will sie nicht bloiB in ihren
Omppen und Gattnagen, in ihren Stinden und Berufen untersuchen: er will
anch wissen, wie diese sozialen Sphären anf die Persönlichkeit des Einzelnen
zurückwirken.' Er hält es nun ftir sehr schwierig, in der Vergangenheit
Einzelleben wahrzunehmen, aber doch für notwendig. 'Die zartesten Lasuren
würden einem historischen Bild des so/.ialen Lebens fehlen, in welchem von
solch persönlicher Charakteristik keine Spur zu finden wäre.' In Wahrheit jedoch
steht bei Kiehl doch das Gattuugsleben durchaus im Vordergrund, der Einzel-
ftli wird tdir seltm Terwertei Es handelt sich imm« um die GeseUseksit
Hier ificht sieh nun aber die geringere K»mtnis jener von Frejtag so gut
verwertetem Quellen. So kommt es, dab Biehl ungeheuer viel Anregungen
irtuJaMtdNr. UN. X 90
468 C^. SteiiduuMen: Fnjtag, Butelduurdt« Bi«M und ilin AnflhMiiiig der EultiiiyMehidil«.
gicbt, zahlreiche, tretiVndc allgemeine Beohachtungen uificht, iibtr der wenigst
historiach fundierte Kuituihistoriker geworden ist. Das ergiebt denn auch
sofort ein Überwiegen des Urteils, der MeinungsäulBenmg, des Eintretens fUr
bestimmte Ansdiftaungen.
Wm mt \m Freytag and BnreUiardt i^flcUidierweiBe nielit haben , das
baben wir bei Biebl, ein Syetem, nnd daher aneh allmoft hiatoriMhe Kon>
struktion. Was er einmal TOD der Volkskunde sagt: *Die blolae Kenntnis
der Thatsachen des Volkslebens giebt niemals eine Wissenschaft vom Volke^
es mufs die Kenntnis der Gesetze des Volkslebens hinzukommen und m
einom Orj^anifmiis geordnet werden', das mag auf st ine historische Auffassung
liiickseblüssu erlauben. In der That erwuchs ihm die Kulturgesphicht<» nicht
nur *zur Darstellung der gesauimten Gesittungszustande der V ölker von Periode
zu Periode', sondern auch *zur Ergrttndung der Gesetze, nach denen die öe-
flittong keim^ blObl^ ruft und abstirbt. Er edbat hat nnr darauf hingedeutet^
diese Kultoi^sebidite erschien ihm ak die Zukanftswissensohaft.
So kommt es auch, dafs Ottokar Lorena sich gerade Riehl als Vertreter
der Kulturgeschichte ausgesucht hat, um nicht an Riehls eigenen Leistungen,
sondern an jener Zukunftswissenschaft seine Kritik zu fiben. Aber die Kultur-
geschichte, die jetzt mehr und mehr die Forderung, sich als selbständige
WissenHchaft zu legitimieren, auch in den Augen der Gegner erfüllt, ^rird
diese Zukunftswege hoflfentlich nicht wandeln. Sie bleibt 'Geschichte*, so gut
■wie die politische Geschichte; sio wird aui" dem empirischen Boden in dem
Sinne der trefiflichen Arbeiten Burckhardts, Freytags und Riehls weiterarbeiten.
Nur in diesw Richtung liegt ihre Zukunft als selbtri&idige Wissensdtaft. Wenn
Bnrckhardt 1869 in der Vorrede aur sweiten Auflage seiner *Kultar der Renais-
sance' von *der gegen^rtig in w> sdivun^bttftem Fortsehritt begrifiinien Kultur*
geschichte' sprechen konnte, so wird man dies Wort erst recht auf die jetzigen
Studien anwenden können. Es ist durchaus wünschenswert, dafs die politische
und die Kulturgeschichte sich mehr und mehr als selbständige Arbeitsgebiete
trennen. Wenn Lamprecht kürzlich mcint«\ da Cm der Streit zwischen dieser
und jener jetzt mehr und mehr vor tiefer i itt ult ii metli odologischen Erörte-
rungen zurücktrete, so halte ich dies© Enlwickehinp. vorausgesetzt, dals sie
wirklich erfolj^t, nicht für eine dem Fortschritte auf kulturgeschichtlichem Ge-
biete günstige. Die yon mir geleitete Zeitschrift für Kulturgeechiehte wird
jedenfiUls jener Angabe, der Kulturgeschidite mehr und mehr ein selbständiges
Arbeitsgebiet zu sidimrn, dienen nnd die ^Traditionen pflegen, die sieh an die
drei groben Männer anlmfipfen. Mir «seheint als die nächstliegende Au%abe
jetzt die, mehr als bisher die spezifisch kulturgeschichtlichen Quellen zu er-
schliefsen und der Kulturgeschichte das umfangreiche Quellcnmaterial zu sichern,
dag der politischen Geschichte m* 1 mehr zu (Tcbote steht. Dieser Aufgabe
sollen die *Denkmäler deutscher Kulturgeschichte' dienen, deren Plan in diesem
Frühjahr auf dem Nürnberger Historikertag von mir vorgelegt wurde, und die
hoffentlich zu einem folgenreichen Unternehmen sich herausbilden werden.
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HElNßlCH VON TBEiTÖüHKE UND SEmE YOIILESUNÖEN
ÜBEB POLITIK.
Von HUMAM TO« PkimSDOBW.
Ais dem deutsehen Volke am 28. April 189$ H«i]irich t. Treitsclike ge-
nommen wurde, da fühlte die Nation nehtlieh, dafe eine Kraft von ihr gegangen
war. Die Worte^ die man allerorte dem Totm ins Grab naehrie^ waren, edbat
w«m sie Ton leidenechaftliehen Oegnein kamen, onig in der nneingeMhiinklen
Bewnndemng der fiberreichen Oaben, mit denen der EntschlaCme ausgestattet
geweaen war. Man sammelte sofort für ein Denkmal, das ihm an der Haupt-
stätte seines Wirkens, im Oartt'Ti (kr Universität zu Bt^rlin, erritlitet werden
soll, und erwies ilmi damit eine Ehre, wie sie so sehnell wohl selten einem
Gelehrten zu teil geworden ist. Sehr bald erschienen auch die Anfänge einer
grolseren Biographie, indem Theodor iSchiemanu sein schönes Buch: 'Heinrich
T. Treitechkes Lehr- and Wanderjahre'*) schrieb, und Paul BaiJlen lieferte dunb
die TerOffenUiclrang kötilicher Briefe TreitaGÜkee in der ^Dentaehen Bund-
achan' wertvolle Banateine an dem weiteren Anaban jener Bi(^prtphie. Erich
loisegang Teraaataltete mflkerolk Sanmdnngen veratrenter AnWae^ Anaprachen
und Rezensionen des Verewigten, und Otto Mittelstadt gab Trdtachkes Reichs-
tagareden heraus. So bot sich mannigfache Gelegenheit für die gebildete Welt^
anfs nene Geist und GeniHt an dem Lebenshome zu erquicken, der aus
Treitschkes hoheitsvoller und wurmfiihlender Persönlichkeit hervorstrcinite. Zu-
letzt ist einer der Schüler des Meisters auch an die schwierige Arbeit ge-
g-angen, die bedeuteudsten von Treitschkes Vorlesungen, die er in Berlin allein
Ober zwanzig Jahre regelmafsig im Wintersemester gehalten und die auf
Tanaendfi in hohem Mafiw befinehtmd, ja die geradezu epochemachend für die
politiadie Bildung der jOngeren Generation gewirkt haben, die über Tolitik'
heraosBugeben. Der erate, Ueunrare Band denelben aeit emiger Zeit
mr.*) Ei8 la&t aidi annehmen, dafa die hier der grofsen öffimtlichkeit an-
gjftnglich gemachten Gedanken eine ähnliche Wirkung haben werden wie zu
jener Zeit, da sie im Berliner Ihirsaal ausgPsprnoheTi wurden. Fehlt zwar die
Ff'ile, die der grofse Stilist an dem Ganzen zweifellos noch sehr vielfach an-
gelegt haben würde, falls er selbst die Veröffentlichong hätte besorgen können,
*) Mflnehen u. Leipzig 18<J6, Oldenbomg, t70 8.
'j Politik. VorleniBgen gehalteu au der Univcrsitllt zu Berlin von Heinrich
V Treitsclike. Henraagegebea Toa Max. Conioeliui. Erster Baad. Leipaig 1887, 8. JHirzel,
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460 H. V. Peiendotff i Hekurich t. Tmt««shk6 und »tSne VorlMrangto über Politik.
fehJt auch die lebendige Wirkunfr des aus der Tiefe eines herrlich reichen
Herzens stromenden Worts, so ist doch, üowuit wir es ermessen können, die
Wiedergabe dieser Reden an die deutsche akademische Jugend im allgemeinea
mit der grdfstmögUchen Treue geschehen, und der Leser ist insofern im Vor-
teil TOT dam HSrer, als doch nnr die wemggton Besucher des KoU^ den
ohnehm nicht ganz laiclit so Terstehenden Vortrag Tteitsdbkes in diesor Voll-
standi^eit und Geschlossenheit in sich hahon anlhdimeD können.
Treitschkes Hauptwerk ist ohne Frage seine fdnfbändige Deutsche Ge-
schichte. Aus Bemhardis Tagebucbblattem (VI 265) und mm den ▼(m Baülen
mitgeteilten Briefen haben wir neuerdings erfahren, dals die Anßnfrp seiner
archivali sehen Studien im Berh'ner Archiv zu diesem Werke bereits iu die
Ostertage des Jalires 18ü(3 hineinreichen. Aber erst im Frübjnhr 1870 er-
schien der erste Band. Bis zimi Jaiire 1894, in anderthalb Jahrzehnten, sind
dann vier weitere gefolgt. Das Erscheinen eines jeden dieser wuchtigen Bände
war in gewissen Sinne ein politisches Ereignis. Die stattliehen Auflagen der-
selben wurden immer an& neue Tergriffan. Moditen auch hn Ausübe des
ersten Bandes Tide kritisch angelegte ESpfe, die Trdtsclike nidit luher
kannten, Aber den Schönredner gespottet haben: als die fblgendea heraus-
kamen, mufsten die Spottreden angesichts der Fülle neu gehobener archiva-
lischer Schatze, des reichen Wissen« und der Sicherheit des Urteib, mit dem
der VerfrtH-ü'r tiuftrat, verstummen. Das Werk kann mit Fug ujul Recht als
das Lebenswerk Treitschkes angesehen werden. In ihm hat er sein gau^u^s ge-
waltiges Konneu zusammengefalst. Un(i doch, wie viel fehlt noch, um den
Wert dieses Mannes zu ermessen, wenn man üm nur aus diesem reifen und
abgeUSrieo Werke kennt! Ja selbsl^ wenn man mit seinen Nehenwerken Tar-
iraut ist, den vier starken Binden historischer und politischer Aufintee, von
denen Band I — III in fftniler Auflage ▼<»rliegen, der sweibindigen AnfiMti-
Sammlung Deutsche ifämpfe und dem Bandchen Rcichstagsreden, so kennt man
Treitschke doch nicht genügend. An ihm »elber hat sich nur zu sehr bewahr^
heitet, was Treitschke öfter ausgesprochen hat: *Man darf dreist sagen: alle
grofsen Miirner der G<'S(hichte waren grölser als ihre Werke, keiner konnte
jede Gabe seines W esens ganz entfalten.'
Sein Wesen ist vornehmlich zweigestaltig gewesen. Lebt^ in ihm auch
ein stark dichterisches Gemüt, so war er doch vorzugsweise Historiker und
Politiker sogleidh. An der Hand seiner Nebenwerke verfolgt man, wie seine
Geechiehtswerke emporwachsen, und zn|^eicih wie seine polittsdieii Ideen sich
entwickehu Das Ton ihm geplante Wak Uber Politik bitte diese polittsdien
Ideen zusammengefafst, wie die fünf Bande deutscher Geschichte seine ge-
schichtlichen Forschungen vereinigen. Es würde sicherlich gleichwertig neben
der Deutschen Geschichte dastehen. Die auTserordentliche philologische Arbeil^
die Max Comicelius ilurcli die TTerausgabe der Vorlesungen über Politik ge-
leistet liat, um annähernd das festzuhalten, was Treitschke in seiner reifrten
Zeit iU)er Politik dachte, ist darum gar nicht genug anzuerkennen.
Man kann sagen, daTs in Treitschke immer der Historiker mit dem Poii-
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H. V. Petendorff: fieiarioh v. Treitachke and seiue Vorlemogen Aber Politik. 461
tiker nm den Vorrang kämpfte. In diesem Kampfe liegi vielleieht eine Sohiroehe
Treiiaclikiee begrOndei Er bat aber auch die ganae Bigeoarfc des Abimes sur
gdiSnalan EntUtong gebneihi Cfliaiaklerislisdierweifle sollte TreilacUce schon
sehr früh dem Lessingsclien Worte Bei&Il: *Im Grunde könne ein jeder nur
der Geecbicbtsschreiher seiner eigenen Zeit sein.'^) £r erklärt diesen Aus-
spmcli seines grol'sen Landsmannes damit, dafs diesem die Vorzüge des zeit-
genössischen Geschichtachreihers, seinen Menschen bis in Herz und Nieren zu
blicken und \'ino Macht' zu werden unter den Lebenden, ßcUwerer zu wiegen
aciuenen als alle Vorteile archivalischer Forschimg. Treitschke ist allerdings
*eine Macht' unter den Lebenden gewesen, er war aber aach zugleich ein
Foraciber, der wie wenige in die Tiefen der Ärduve gestiegen ist Sr bat an
sieh aelbst die grolee Wahrheit ^robt, die in seinem Worte*) U^: *£in
grofser Schriftsteller ist nor, wer so schreib^ daJb alle Volksgenossen empfinden:
BO mufs es sein, so fühlen wir alle; wenn er im Stande ist, ein Mikrokosmus
seines Volks zn sein/ Das hat er gefühlt, wenn er einen seiner fünf Bande
deutscher Geschiehte der Öffentlichkeit übergehen hatte, das hat er gelesen in
den Augen foiner Zuhörer in der 4'oiitik'. Er war diinn von jenem freudigen
Stolzgefühl beseelt, das er in die Worte kleidet: 'Wenn ich etwas thue, dafs
alle meine Freunde s^en: das war Er, nur Er konnte und mulate ao handeln!
dami habe ich etwas gethan, was zugleich die freieste und innerlich not-
wendigste Thftt war.*^
Er fant mmbttssig an seinem stllnnischen NatoreU gearbeitet nm an eniem
gerediten Urteil m gelangen, nnd nnmrmfidlich geforseb^ nm seiner Wahrbeits»
liebe TO genügen. Deshalb bat er öfter sein lilstorisches, noch mehr aber sein
politisches Urteil in einzdnen nicht unwichtigen Punkten genr Ii i t Er vollzog
diesen Wechsel der Meinung mit einer rücksichtslosen OflFenheit. Denn für ihn
galt der Satz^j: Meder, der innerlich an sich weiter arbeitet, wird in die Lage
kommen sich selbst zu widersprechen, etwas zurückzunehmen, was er früher
geglaubt und behauptet hat. Bedeutende Naturen thun das ganz unbefangen,
mittelmäfsige fürchten sich davor.' £iu andermal macht er die treffende und
ihn nickt minder beeelctoiende Bemerkung: *Die Politik des Bekenntussea
schwelgt im Geonb der eigenen Ghrdliie, indem sie ihre Glanbenssätse mit der
Seeleumbe des kiichlidien Sßrtyrers unabänderlich vom Blatt abliest; die
Politik der That besebeidet sidi, dem Vaterluide ein wenig zn ntttzen.'*)
Von Treitschke stammt ancb das schone Wort: ^Heil jenen starken ein-
seitigen Naturen, welche willig an der Breite ihrer Bildung opfern, was sie an
Kraft und Tiefe tausendfältig wiedergewiinn ri!'^! Wollte man es auf seinen
Urheber anwenden, so würde das doch nur sehr zum Teil richtig «ein. Ein-
seitig war er vielleicht nur in seiner Geltendmachung des deutschen Stand-
punktes. Er hat aber Breite der Bildung, Kruft und Tiefe in einem ungewöhn-
lichen Ma£se in sich vereinigt Wenige Menschen wird es gsbettj die nicht die
*) Bist o. pol. Aufsfttze I 71. •) PoUtik S8. ' ■) Fol. 9. *) WL 19».
^ Hittw ti. pol. Aiift. n m ■) Hirt. n. pol. Aub.ll SM. *) Bist u. poL Anft. m 81k
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462 H. V. Petondorff: Hdnricb v. TreitMUc« und «eine ycdmmgm Über PoUtik.
gewaltige Fülle seines historiscben, politischen, juristischen, nationalökono-
mischen, litterarischen Wissens anstauneu. Er hat sich nicht nur in die
Schätae der Idtteratnr seines eigenen YoUces tief hineinTersenkt, sondern auch
in die der Franaoeen, der Italiener^ der Eng^faider. Er war ein gleich
▼ollendeter Erklirer des Qoethe wie des Shakespeare, er wufste die poli-
tisclieii Schriften eines Tocqueville, eines Grotias, eines MaduaTcUi, eines
Pufeodorf, eines Miiton, ja selbst einzelner Jesuiten mit gleich groAwr, doreh
genmicst/"^ Studium gewonnen(»r Klarheit zu würdigen. Er wufstt! sozusagen in
jedem Winkel des grofsen deutschen Ileicliö Bescheid. Die wesnr türhste Grund-
lage seiner Bildung hat dieser Herold des Deutschtums sich aber durch das
Studiani der Alten gegeben. Er hat gefunden, daik dasselbe die Wirkung eines
Stahlbades für den Geist hatte und ist nicht müde geworden, seinem materiellen
Ztttalter den Wert der Uaesisdien Bildung su predigen. Einer seiner Haupi-
lieblinge ist Aristoteles gewesen, in dem er wie nur einer zu Hanse war.
So bildet denn auidi die Tolitik' des Aristoteles geradesn die Grundlage^
auf der Treitsehke sein politisches System aufgebaut hat. Vieles verdankt er
aweifellos seinem verehrten Lehrer Dahlmann, femer Hwder, Kant, W. v. Hum-
boldt, Hegel, Goethe, zu dessen besten Dolmetschern er ohne Frage gehört hat^
und mancher guten Einzelschrift. Eine wichtige Quelle, die seine Gedanken
über die Politik beeinflufst hat. ist aufserdem die Bibel. Während er in den
ersten Abbchnitten der Politik, die über den St^atsbegriff und den Zweck des
Staates handeln, wesentlich auf Aristoteles zurückgeht, kommt er im dritten
Paragraphen (Das .YttMItnis des Staates aum SittMigeaets) au emeit tiefdnrch-
dachten Ameinanderselniog mit der christliclieii HoraL Der Staat ist Sun das
reohilieh ab unabhSngige Hacht geeinte Volk. H6rt der Staat tat, eine un-
abhängige Macht darsnstellen, so ist er ftlr Qm nur nodi ein Sdieinstaai Die
Treitschkcsche Auffassung, die er von Machiavelli übernommen hat, dafs der
Staat Macht ist, wird, wie man wohl annehmen kann, den Taut^enden seiner
Zuhörer in Fleisch und Blut übergpL^aniren sein. Ein Spiel mit Worten ist es
für Treitsehke, wenn man von einem Bienenstasite spricht. Denn als Haupt-
merkmal des Staates findet er den bewufsten Zusammenhang der Gegenwart mit
der Vergangenheit, das Gefühl der nationalen Ehre heraus. *Das Tier wiederholt
nur bewuTstloe was immer war.' Eine l^rage wie die: *Wer würde Ehrfurcht
haben vor den Fahnen eines Staates» wenn die Hadit der ErinneruDg nicht lebendig
fortlebte?") begründet schlagend Treitaehkes Ansidit. Die nationale Ehre ist ein
Qut, das Ober allem IVeia steht^ und was fiber aUem Preis eibaben steint das
hat, nach Kant, *eine Würde^ Die Strahlen des göttlichen Lichta zeigen sich
nnendlich gebrochen in den einzelnen Völkern. Darum hat jedes Volk das
Recht zu glauben, dafs gewisse Kräfte der göttlichen Vernnnft gerade in ihm am
schönsten sich darstellen. Diese Kräfte möglichHt zur Entfaltung zu bringen,
ist die Aufgal)e des einzelnen Staats, der die allerrealste juristische Personbch-
keit darstellt, wie es der Beruf des einzelnen Menschen is^ seine Individualität
1) Fditik 14.
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B. V. f etendoiff: Heiiiridi v. Treitscbke und aeine Voil«MmgeB üb«r Politik. 463
moglichsi annabUden. üm aeineii Aufgaben m genügen, hat der Siwit ni-
nichst das Recht za pflegMi nad Krieg sn fDlireit. Die Darlegimgeii Aber
dieaa sweite Fünktion gebfiren %a dem KfÜuuteo, aber auch sa dem Wahnleii^
was zur Rechtfertigung des Krieges gesagt worden laL Ffir gewiwe schlaffe
Zeitrichtungen sind »ie eine kräftige Arznei. Kllblkf aber cbei^fellB Vahr, ist
die Apologie der MachiävelliHchtii Ltlirt', dio er auch in einem besonderen Vor-
trajje^') unternommen hat: *^Der Staat int Macht. Denn dn^ ist die Wahrheit;
und wer nicht männlich genug ist dieser Wahrheit ins (jisiclit zu scheu, der
BoU seine Hände lassen von der Politik.' Augesichta der Konsequenzen dieses
Satzes hat sich Treitschke zweifiallos unter schweren inneren Kämpfen zu
seiner Erkenntnis bindarchgerungen. Als er in jungen Jabrm seinen Anftats
über die Freiheit niederschrieb, da oiSanbarte er sidi ab dnen stflrmiscben
IVeigeisi Spater ist er anders gewordnu Br mft gelegentlich ans: *So dend
ist keineri dab er im engen Kämmerlein die Stimme seines Gottes nicht Y«r*-
nehmen konnte"), und er gesteht: *Ieb habe das Walten der Vorsehung in den
groJsen Geschicken meines Volk« wie in den kleinen Erlebnissen des Hauses
dankbar empfunden und fühle stärker als sonst das Bedürfnis mich demütig
vor Gott zu beugen.") Darum crgriumite er aber über das *Tugeudkosiiken-
tuiu', das so unendlich moralisch in Worten ist. ^Wer sich tief unglücklich
gefühlt hat^ wer einmal geglaubt hat, aus dem inneren Jauuner garnicht hcraus-
inkomnum, kann enm Mensehenfeind werden, wenn er seine TrSetor hört.'*)
Folgerichtig stellt er den Sats auf, dab der Staatsmann sieb nicht immer an
das Sittengesets binden kann. *DaB eben ist das Schwere nnd Tiebinnige im
menschlichen Leben, dafs es in der FQUe von Verpflichtungen, die jedem
Menschen, weil er verschiedenen Genossenschaften angehört, obliegen, ohne
KoUisionen dieser Pflichten garnicht abgehen kann.") Wiederholt hat er ge-
sagt: 'An den rauchenden Trümmern des Vaterlandes sich die Hände warmen
mit dem behaglichen Sellt tl b: ich habe nie gelogen — das ist des Mönches
Tugend, nicht des ht^iatsuiaiines.'') Richtig bemerkt er aber auch, dal'a sich
unzahlige Konflikte zwischeu Politik und Moral bei näherer Betrachtung als
Konflikte zwischen Politik und positivem Bedit erweuen. *Da8 ^Mitive Beeht
eher ist Hensobenwerk, es kann Ton Tomherein nnTcmflnllig sein*^, and «war
mnb sieh, da alles in stetem Flnb isi^ das sommum ins summa iniuria immer
▼on neuem wiedeibolen.
Indem er auf Entstehung und Untergang der Staaten zu sprechen kommt^
greift er wieder auf Aristoteles zurück, der mit seinem naiven Ausspruche, der
Staat sei eine Kolonie dos Hauses, das Rechte getroffen habe. Über diesem,
hauptsächiich der Kolonialpolitik gewidmeten, besontk'rs beredten Abschnitt
hegt etwas von stiller, tiefer Besort^nis um die Zukunft des deutschen Volkes,
*£ä ist sehr gut denkbar, dafs einmal cm Land, das keine Kolonien hat, gar-
') Das poUtUcho Königtum des AntimacchiavelL Hiat. u. pol. Aufa. IV 424—438.
^ Dentaefae Klmpfe I 496. ^ DeotMhe XIaiiife I SU. *) Politik 9S.
*) PofitOc 100. •) Hbi a. pol. Acb. n S66. Politik 110. *} Politik 98.
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464 U. V. Petendoxff: Heiiirich t. TrdtMlike nnd Mine Vorlamuigm Aber Politik.
nioht mehr m dffii enropSiaciieii Chrofinn&eliteB dUen wird, lo michtig es aomi
sein mag. Daram dürfen wir nicht in jeaea Ziutand der Erstammg kommen,
der die Foige einer rein festländisohen Politik ist' Wenn die geennde Ent*
Wickelung des Staates stockt, so lehrt Treitschke weiter, stellt sich nnraOen
die NotwMidigkeit von Revolutionen heraus. Die legitimsten Staaten wnneln
irgendwie in einer Revohition. Man kann kaum ein treuer Preufsc sein,
will man sich zum hedinguiigalosen Anwalt des Legitimitätsgedankens aof-
werfeii. Der BegrilF der Legitimität ist übrigens erst von einem Manne auf-
gübraclit, in dessen Munde er gar nicht ernst genommen werden kann, von
Talleyrand. Treitflchke verweist auf den Ausspruch des alten Yenetianers
Sanoto: ^Wie es kein Gold giebt in Toller Reinheit, so giebt es «och keine
Regierung, der nicht irgend eine XJsarpatLoB anhaftet' l^e Rerolntion ist
immer ein Unrecht, aber ohne tragische Schuld kann auch hiatoriachea Leben
gHr nicht gedacht werden. Im letzten Abschnitte des ersten Buches', der
^Regierung und Regiert<:' überachneben ist, verwirft Treitschke die Lehre TOn
der Volkssonveninität. AJs souverän gilt ihm nur der Staat. Wenn man ewig
dauernde T^irteien zu konstruieren sucht, so bezeichnet er das als Schrulle.
Abermals stützt er sich auf seinen Aristoteles, indem er den Begntt der *Frei-
heit' feststellt. Wie er aus dem Recht der PersÖuliclikeit heraus die Not-
wendigkeit d«r Abschaffung von Sklaverei und Leibeigenschaft folgert, so folgert
er daraus auch, dafii geistliche Orden nur gams aunudmiBweiae gestattet werden
dOrften, weil Hdnche und Nonnen *sich ihrer Persdnlicbkeit b^ben*. Hdohat
fruchtbar können die im Ansehliifa hieran entwickelten Gedanken über das
Preffwesen wirken. Das positive Recht des Widerstandes leugnet er direkt
nnd eifert gegen die Halbdenker, die es konstruieren. Sogar die von ibm selbst
80 gefeierte, weil tistorisch gerechtfertigte Tliat der Göfctinger Sieben bezeichnet
er unverhohlen als im formalen Hecht nicht begründet. Damit schlie&t daa
erste Buch der Politik vom 'Wesen des Staates'.
Im zweiten Buche erörtert Treitschke die sozialen Grundlagen des Staates,
indem er Land und Leute, Familie, Rassen, Stämme und Nationen, Kasteo^
Stande und Blassen, die Religion, die Yolkabildung und die Volkawirlsdiall
in geaonderten Absdmitten betrachtet HScbst glflddich legt er gegen BncU«
dar, da& dieser illschlidi Knltorbedinglheit gleichstelle einer ▼dlligen iJb-
Uingigkeit der Kultur von der Bodcnbeschaffenheit. ') Themistokles hätte mehr
Recht gehabt, als er sagte: 'Nicht das Land hat den Menschen, der Mensch,
hat das Land.' Er weist auf die Dänen in Island, die Balkanhalbinsel zur
TTellenen und zur Türkenzeit, die Wald Verwüstung der Frap/osen, die Feuchtig-
keit des alten, waldbedeekten Deutschland, den handelsarmen Mississippi zur
Zeit der liothäute, überhaupt auf den Beruf der europäischen Kasse, sich lUa
Land dienstbar zu machen, hin. Grimmig wendet er sich gegen die Lehre von
der Grappenehe und vom Hvtterredit*) sowie gegen die Franenemanzipation.
HScbst fein irt die GharakterisierDng der RoU» der Weiblichkeit in den ter-
>) Poutik wi. >) nditik m
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H. V. P«tendorff: Heinndi v. Treiisebke und Mine Vorlflsang«!! Aber Politik. 465
flduAdenMi Ländern und zn den verschiedenen Zeitmi. TreitHebke findet in der
Thatsachfl^ dab ea Tiele bedenkende Herxedierumen gegeben bat^ dnidbauB keinen
Beweis flür die Tan^ßicbkeii der Fran eu obri^itlicben Imtero. Manohnial
wird er vielleicht nicht ganz geredii in der Würdigung der geistigen FSbi^
keitNi der Frau sein. Aber es liegt etwas Erfrischendes darin, wenn et in
seiner Originalität sagt: *Hier luufs man den Mut haben grob v.n sein. Wenn
die ganze Rlanjjfrinnpflifteratur mit eins verschwände, so wäre die Welt um
nicht» ärmer geworden.' Auch der Gegner wird reiche Anregung aus den
hierher gehörigen Ansfllhruugeu entnehmen können. Trcitachke findet, dafs
die Stärke der Frauen lediglich im Empfiangen und Verstehen der Männerarbeit
liege, und dab aueb in der Littexatnr die liebenewllrdigen, edit weiblidien
Nafauen wie s. B. Bettina diejenigen sind, welche wirUidi Terstehen k5nnea
Über die Ehe sieh verbreitend, spricht er sidi ffir die &kii)iative Zivilelie ans,
die er in lr(lb«mi Jahren scharf abgelehnt hat')
Interessant ist es, was er über die Fähigkeit der einzelnen Völker aiir
Staatsbildung sagt. Er meint, dafs die in dieser Beziehung begabtesten gerade
stark gemischt gewesen wären, wio die Römer und Engländer im Gegensatz zu
Arabern und Juden. Auch die remgermauische Bevölkerung in Hessen, Hanno-
versch-Niedersachsen, Friortland, Westfalen, dem nördlichen Thflringen hätte
weniger staatsbildeude Kraft bewiesen. Diese hätte mehr in dem keltisch
gemischten sfldlichen Deatsohland nnd in dem slawisch gemisehtm Nord-
deatschUmd bemhi T^Uurend er die Bekämpfting der pobuschen Sprache in
Posen fOi gersdit£Bri%l hili, tsdelt er bei der russischen Begierong die ge-
waltsame Uaterdrllckimg des treoMi mid nm den nusischen Staat hochTMdienten
Baltentums. Langer verweilt er bei Besprednmg der österreichischen und der
Judenfrage, die ihn auch sonst viel beschäftigt haben. Er sieht schwarz in die
österreichische Zukunft und beurteilt das dortige Deutschtum sehr hart. *E8
giebt nur zwei Striche dort (in Ungarn), wo sich das Deutschtum edel und
tapfer gehalten hat: Siebenljürgens Hchönen Sachsenhmd^ beseelt von einer
geradezu rührenden Liebe zu uns, dafs man immer traurig wird in dem Be-
wnTstsein, dem armen Völkchen nicht helfen m können. Hier ist aber die
deotsdie Knltnr so stsrk, dals man hxsßun kann, sie wird sich behanpten.
Dss Gleiche gilt von den protestsntisdien DeotBchen im Bsmstew Die fibrigen
Oeatschen, ftst dnrdiweg katholiach| sind die tnoiigsten Bxemplare genna-
nischcr Rasse, die es giebt . , . Dam die traurige Wahrheit, dafs auch in Cis-
leithanien das Deutschtum nur noch mit gebrochener Schwinge lebt. Die
schöne deutsche Kultur des mittelalterlichen Wien ist längst wieder verschüttet.*
Von den Juden bemerkt er: *Die Mehrzahl von ihnen behiilt die angeborene
Eigenart unerschütterlich an sich nnd trägt die fremde Nationalität tnir wie
einen Mantel. Daher denn die bekannte Thatsuche, dafu die moderueii .huien
nur in einer einzigen Kunst eine wirkliche Genialität zeigen, in der Schauspiel-
kmtsi Das Anempfindeu dbne eigene innere SelbstimUgkeit ist immer eine
*) Dentaebe EKmpfe I US.
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466 U. V. Petendorff: Heinrich v. TreiUchke und seine Vorlemingen über Politik.
Stftrke der jfldiBduni Litteratur gewesen.* Ee folgt ein grdeertiger ÜberbUek
fiber die weligescliichtliche Rolle des Judentums zu den verBchiedenen Zeiten
und zum Sehluis die eindringliche Mahnung, sich zu wirklicher Energie nationalen
Stolzes auizuraffen, Tennöge der der Deutoche am besten des Judentams Herr
werden kann.
Wenige Menschen werden so viel wie Treitschke über das Stände- und
Klaasenwesen nnrhgedacht luiljen. Dflrum ist es besonder» lehrreich, |?erade
ihn über diese Fragen /.xi hören. Er hat einst den preulkischeu Adel mit
sehonungsloaer SdiSrib angegriffen^) and war ein begeistert«' Wodf&hrer des
BUrgertoms. Allm&htich hat sich sein Urteil gewandelt und er wurde ein
warmer Verteidiger des preofsischen Ädds, ohne im geringsten dk Sdiwachen
deBselbm lu bananteln, und auf der andern Seite fthlte er sich stark genn|^
am auch dem gefiuerten Bürgertum einen klaren Spiegel vorzuhalten, in dem
es viele Fehler an sich entdecken konnte. Es gelingt ihm meisterhaft, die
richtigen Gesichtspunkte znr Würdignng beider Teile aiifzn'^t' llen. *Zii der
t'^erzeugung, dafs das Waö< ntr;tp n ein edles Vomu ht sei, dazu sind wir erst
wieder durch Schamhorst gekomnitsn.' Er bespricht den Adel Roms, Eng-
lands, Frankreichs und bemerkt über diesen: 'Wenn ein Adel auswandert, um
g^gen sein Vaterland zu kämpfen > so ist er verloren.' Dann geht er auf den
dentsdien Adel ein: 'Der niedere Adel ist monardusch, so weit er etwas tangt
Darum steht der prenfsisehe Add sittlieh so hodht; gerade die verrufenen
prenfrtschen Jnnker sind die besten Elemente des dentsehm Adeb. Das weib
jeder, der in den kleinen deutschen Staaten heimisch ist.' Er erinnert an
Bismarcks Wort, daia alle Fremden uns um dir^en Adel, dessen Starke weniger
im Wissen als in fieiner guten Erziehnng beruht, beneiden, und schaltet die
Frage ein: *Könneu sich die Schweizer im Frnst darüber freuen, dal's ihre alten
ruhmvollen Geschlechter mehr und mehr verschwunden und an ihre Stelle die
Eisenbahndirektoren getreten sind?' Zum Schlufs widmet er noch dem italieni-
bchen, polnischen und russischen Adel eine kurze Betrachtung. Dem deutschen
Bflrgortum wirft er vor, dals es zn sehr daan neige, sich allein fttr die Nation
an halten, Dorehans nnb^ngen betrachtet er andi den vierten Stand. Er
siebt dabei Ooetibe mit den Worten heran: *Wie wahr bat er gesagt: Die wir
die niederste Klasse nennen, sind für Qiott gewifs die höchste Menschcnklasse!
In diesen einüben Lebensverhältnissen erhalt sich bei guten Menschen eine
naive Kraft und Reinheit der £mpfindang^ welche dem Feingebildeten so leicht
verloren geht.'
Zu den tiefsten Al)sclinitten gehört der über die 'ßeligion'. Er wendet
sich gegen Kants Definition derselben. *Un8 Söhnen einer Zeit, die doch wieder
etwas religiöser emptiudet, icaun die dürre Verstandesaufklärung des lö. Jahr-
hnnderts nicht mdir genügen . . . Wie viel tie&r als Kunt hat Sdileiennadier
gegraben, wenn er das Wesen der Religion suchte im QefOhl vmserer Abhfingig-
keit von Oott. ErsefaSplend ist ihr Wesen aber aoeh hieimit nodi m'eht be-
*) Tgl. 1. B. Hut V. pol Aufs. IT 7S. 74. 91t.
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H. Pstendotff: Heinrich t. Txeiteelike and aebe Torlwaagen flb«r Politik. 467
teiehnei Es muft liinm kommen du ebenao wasexitliehe BewofstMiii iinawdr
Zugehörigkeii zum Weltgansen, die Idee der GotteekindsdiBft: dab wir ab-
liingig siiid toh Gotl^ dalb aber audi kein £har auf unBerem Haupte verloren
geht ebne Oottee Willen.") Im weiteren erSrteri er, Tielleicht nicht onbeeinflo&t
Ton eeinem grofeen Geiatesverwandtoti Pufendorf, eingehender den öfter TOn
flun vertretenen Gedanken, dafs ein Aufhören der Konflikte zwischen Staat
und Kirche gar nicht wüt-'j« •bona wert wiirc, woil das ein Zeichen für die Er-
starrung eines der beiden sittlich gleichberechtigten Teile sein würde, und
unterzieht die sechs Hauptformen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche
(Unterwerfung der Kirche unter den blaat ~ Cätiaropupismu», Rufsland- Unter-
werfimg dea Staate imiu die Kirohe, Papismos im Mittelalter; Staatakirdien'
tum, Frankreich; FreiwiUigkeitesystem, Amerika; DnaUarnns, Belgien; System
der Eirdienhoheit) einer UditvoUen Kritik, aieh für das tu Deatsehland be-
stehende System der EirDheiiboheit entscheidend.
In einem neuen Abschnitt wendet er sich mit Nachdruck gegen die Hhorichte
Selbstgefälligkeit' unseres Jahrhunderts, das sich so viel auf sein Schulwesen
eiuhildet und gar nicht bemerkt, wie viel gerade auf diesem Gebiete gesündigt
wird. Einst ein Verteidiger der SimultaTi«chiiIe, giebt er doch jetzt ihre Schäd-
hchkeit zum Teil zu. Mit Verachtung sprüht er von der Idee der Einheits-
schule. *£in grofeer Meyer zu werden ist das Ideal unserer groCsen Genies
von heate.' Es kommt ihm lediglich auf methodisch sicheres Denken und
nicht anf Konyeraationsleiikcnwissett an, nnd bei einem Vergleiche dar ilteren
mit der jüngeren Gkmeration gelangt er in dem Ergebnis, dab die SItwe mit
antikUassischem Geiste getninkt» nnendlich Tielseitig^ im wiasensdiafklichen
Denken wäre.*) Schon ist dann, was er aber Forseher nnd Lehrer sagt. Er
findet, dafs sich in Deutschland das üniversitätswesen darum noch am glQok-
üchsten entwickelt habe, weil hier immer der Grundsatz galt, dafs der gröfeere
Gelehrte dem gröfseren Lehrer vorzuziehen sei. Den Abschlufs bildet <\hh
Kapiti'l über die Volkswirtschaft. Wer in dem aristokratisch angelegten
Treitsciike, vielleicht irregeführt durch den berühmten Streit Treitschkes mit
Schiuoller in den Jahren 1874 und 1875, einen herzlosen Beurteiler der Nöte
des vierten Standes Tnmntet ha^ der kann m.ch ans der Tolitik' einee Besserw
belehren. Treitschke schreckt Mlbst vor recht radikalen Fordenuigen znr Be>
settignng der vom GroDdupitslinnns nnd dem Latifandienwesen drohenden
somalen GefShhren nicht zurück.')
Der zweite Band der Politik wird sich mit den Fonnen des Staats und
seiner Verfassung, mit der Staatsrerwaltung und mit dem Staat im Verkehr
der Völker beschäftigen.
') Poütik
*i Zu dieten AniflÜiniiigeD nnd iwei neh damit berOhnnde AofitlM Treitselilcei in
dea 'DeutMibeti Kämpfen, Neue Folge' heranzuziehen: 'Einige Bemerkungen ü1>er unser
öymnaflialwesen' 8. 219—270 und 'Die Zukunft des doutflcben Gymnaaiuma' S 386—897.
*) Vgl übrigens auch Schmollers Mitteilungen in seiner Qedäditoiarede auf Treitschke,
Bnadeabatgifdie n. |ireiib. Ponohnagen TL 881.
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468 H. T. Petondotff: fieiithch v. Treitoclike und Mine Vorlwniigw Aber Politik.
Jede Sidste dM Inhalte dieeer Yorleeimgim kaon nur einea gras kflnuner-
Edieii Begriff Ton der GedankoilGÜle, von der apncihlicben 8ohöiih«[t und toq
der Er^ der Empfindung, die darin pdnert, geben. Die gewaltige Geistea-
gymnastik, die Treitschke unablässig getrieben bat, setzt ihn in den Stand,
Aber alle Fragen des gdstigen Lebens mit einer olympischen Soaveranitit za
nrteilen und überall aus der Tieft' -m sclio])fi!n. In den Yorlosnngon, die er
mehr als eine vertrauliche Aussprache bctrachtctf-, Tiimnit Reine Art zu reden
zuweilen noch eine besondere Nuance an. Treitschke in seiner ganzen genialen
Urwüchsigkeit liegt in solchen Wendungen wie: *Wenu also ein Gelehrter
koimint wie Jhering und redet vom Zweck, den die Gesellschaft sich gesetzt
baben eoU im Beöht, so begeht er einm Denkfehler.' ^Die Lehre Ton dem
ganisofaten Staat> in dem die Sonverinitilt eidi Terbeflen soll auf Vereehiedeiic^
ist nnhaUbar. Dergleichen eUektieehe Thorbeiten pflegen nnr politiaeibe Leise-
treter wie Cicero zu b^^en.* 'Es wird Künstlern und wirklich fein empfinden-
den Seelen immer f^chwer werden, danemd in Berlin zu leben.' ^Es ist eine
Konfnaion des Denkens, wenn man behaupten will, dafs diese fjjofsen Manner
(St liiller und Goethe) von Sachsen- Weimar gehoben und getragen worden sind.
Sie haben dort Schutz und materielle Sicherheit gefunden, aber för ihr eigent-
liches Wesen ganz gewUs gar nichts.'
Zwei Dinge hat Treitschke im innersten Busen getragen: die Iloiüiuug
auf eine herrliche Znknnfl seines geliebten dentsehen Volkes und den leid«i-
aehafUioben Heng^ das Geheimnb der groüwn Einaelpersönliehkeiten m erftsseo.
Die Glut seiner nationalen Gesinnung bricht in seinen Schriften nur m oft
nnd «tMAlwwal warn Beweise ihrer Starke geradezu jihlinge hervor. *Whr
wollen nnd sollen unseren Anteil nehmen an der Beherrschung dee Erdkreises
durch die weifse Rasse; und eine Presse, die diese ernsten Dinge mit einigen
schlechten Witzen aH/nthun sucht, zeigt, dafs sie keine Ahnung hat von der
Heiligkeit unserer Kulturaufgaben.' ^Dieses Deutachhind mit seiner wider-
wärtigen Küste ist einst doch die erste Seemacht gewesen und soll e«, so Gott
will, wieder werden', heilst es in der Politik.*) Und schon 1801 hat er ge-
echrieben: 'Schon ist kein leerer IVaum, daCi ans diesem Wsllverkdize (dar
Deutschen) dereinst eine Staatsknnst entsleheii wird, vor deren weltumspamieii-
dem Bficftse alles Schaffen da- hentigen GroIssAehte wie annsdige Kleinstaaterei
erschemen wird.") Wohl möchte er die Znknnft entbOllen, die Gesefae an-
geben, mit deren Hilfe seine Nation die erträumte weltgeschichtliche Bahn er-
reichen konnte. Er hat aber gefunden, dafs die GeschichtswisBenschaft überall
auf das RStsel der Persönlichkeit stöfst. 'Manner sind es, welche die Geschichte
machi'n, Männer wie Luther, v.ie Friedrich der Grol'se und Bismarck. Diese
groJse heldenhafte Wahrheit wird immer wahr l)leil>en und wie es zugeht, dafs
diese Männer erscheinen, zur rechten Zeit der rechte Maua, das wird uns Sterb-
lichen immer ein Rätsel sein. Die Zeit bildet das Genie, aber sie schafft es
niehi'*) Wdl sie mit diesem Bfttsd der PersSnlichkeit au rechnen hal^ darum
<) PeUtik sie. <) BUL u poL Anik HI IS. «) PoUtik 6.
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H. V. Petendmff; Hainrich t. Tnitaelike lud Mine Torloraiigea Aber Politik. 469
kann die Geschielite niemala eine ozaUe WuMensehaft sein. Und was Ar die
Geachiehie gilt, das gilt aneh in gewiasem Sinne fllr die Politik. Auch f&r
die Politik laeeen aidi nur wenige aUgemeine Qesefae aufteilen, woi iie an-
gewandte Qeeehichte ist. Darüber ist sidi Treitschkc vollkommen Uar ge-
wesen, und er spricht es offen ans, dafs seine politische Theorie nur mangelhaft
■ein könne. Dafs sie aber das Reifste ist, was bisher über dies Gebiet <lts
Denken^ vorlie<rt, wird anstandslos zugegeben werden. Sie fufst das zusanirnen,
was ein genialer Denker in einer grofsen Zeit /Ailetzt für wahr erkannte. Wie
sich aber die politische Kraft Deutschlands einstweilen in dem Genius Bismarcks
erschöpft hat, ho steht zu befürchten, daTs auf lange Zeit hinaus uns nicht
wieder ein eoddk eineun ragmder historisch-poIitiBcher JknkEot wie Troitadike
entdien wixd.
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ANZEIGEN UND MITTEILUNGEN.
▲US LYDIEN:
'KleinaBien ist im eigentlichen Sinn« aocli
ein unhekiinntoB LanH Dufs LyJi»^n, ol)
gleich uns am nächsten gelegen, zu seinen
«nbekanntesien Teik» gdhOit, war mir Mit
Jahren r>in pcläufipcr Satz; ilufs et» aber so
unbekiuint sein könne, wie die Ergebnisse
beMmders der oben kon berckriebeBen Reise
beweison , habe ich beim Antritt derselbon
selbst nicht erwartet.' So schrieb Karl
Bureeeh am SdünA des Beriehte Aber seine
1894 in TiVdirn ^.'i-iiiarhtt' Reifif; die Erg'i'b-
nisse seiner letzten, der von IbSfö, die ihn
bis in die Oransgebiete von PhrTgien and
Karion geführt hat, liestätigen diesen Satz
auÜB neue. Und doch ist er bei weitem
aidit der erste wissensehaftKehe Reisende,
der gerade diesen Teil Kleinaj^iens besucht
hai. Aber er liat sich nicht an die grofsen,
riet begangen«! Straften gehaMen, aoodera
hat von ihnen aus die zwischenlieigenden
Gebiete erforscht Die weitaus meisten
Reisen früherer Zeit gingen durch die
breiten, nacli Osten den Zugang ins Innere
öfinendeu FlursthiUer des Hermos and
Mäander, zwischen denen der Kogamo« die
Verbindung herstellte. Weniger begangen
waren die nOrdlirlien Routen nach Uncbak
durch tlie Katukekuuniene und über Menuere
nach Akhissar (Thjateirai sowie du^Kaystros-
thal. In diesen Bahnen bewef^teu sich in
der Hauptsache die Ueiscn von Pucocke,
0. V. Richter, Arundell, Prokesch v Ogtea,
de Laborde, Fellows, Hamilton, Ti xicr, van
Lennep; viel weiter hatte zwar v.'i'cliihutcüett
ansgegriffen, aber seine Berichte sind, be-
sonders für die Kenntnis des alten Landes,
SU wenig ergiebig. Die genauere Erforschung
hat Rädel begoimeB, aber leider hat er nir-
gend-( die karto<,'rai)hisch - geographischen
Keaultate seiner Keisen veröffentlicht; für
eanige Teile haben die Forsdrangen SmynAer
Gelehrter viel geViracht; aber eine plan-
milTsige, sozusagen intensive Durchforschung
des ganzen Gebietes fdüte noeh. Was die
Österreicher für Lykien geleistet haben,
Ramsay für Thrygien, das nahm sich Burosch
für Lydien vor und s\ichte e-^ in vier Reisen
im», 1891, 1894, Ib^b uuszulühren. Da
Tod bat ihn mitten aus seiner Thätigkeit ab-
genifen : seine hauptsächlichsten Arbeiten
zur ikuographie und Epigraphik Kleinasiem
liegen jahit ▼ereinigt vor in den von
Otto Ribbeck herauspe^'ebenen Buch: 'Ans
Lydien. Epigraphisch -geographische
ReisefrVehte. Hinterlassen von Karl
Ruresch' (Leipzig 1H98, B f? Tenbner V.-.i
Buch entiiält 64 ausfüiirUch konwaentierte
Ijdisdie Lisehriften, den Berieht Uber die
letzte, 1895 mit Unterstützung der preufrf-
schen Akademie unternommene Reise and
einen Wiederabdruck der sehen in den Ab-
handlunf^en der sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften ersdiienenen Berichte über
die Reisen von 1891 nnd 1894. Heinrieh
Kiepert hat die geographischen Ergebnisse
auf der beigi^benen iüurte verarbeitet ond
damit wieder «nea anfterordentlieh wert-
vollen Beitrag zur Geographie Klcinasien«
geliefert. Am meisten wird dadurch Blatt VIU
der grofsen SpezialbttladCBWiStliehan Klein-
asiens ergänzt, von d«o BUttcm V— VII,
IX, XI kommen nur die Qrenzgebieie in
Frage. Leider sind auf ihr die nach Lydien
fikUenden Routen von 1888 nicht mit an-
gegeben — auf dem Kärtchen in der linken
oberen Ecke sind nur die von Buresch za-
sanunen mit Cichorius gemachten Touren
zwischen Isniid und Brussa verzeichnet , die
flbriffeus auch recht wichtig sind ; wir ver-
danken ihnen z. B. die erste genaue Aof-
nähme des Sees von Isnik lÄHcaniii Limne»
Die Bezeichnung der anderen Itinurare stimmt
nicht immer mit dem begleitenden Teit;
manche Route wird durch da« verwendet.'
Signum in ein falsches Jahr verlegt. Dann
sind auch lange nicht alle von Bnreseh ent-
deckten Ruiuenstätten bezeichnet. Das ist
zu bedauern, da auch das auf S. SM stehende
Vevaeicluiis der nieht sn benennenden antünn
Ortsanlagen bei weitem nicht lückenlos ist
Vielleieht hat iüepert abüchtlich von VoU-
stindigkeit abgesehen, weO der Maftalah
1 : 600000 möplicher Weise nicht inuBSr
volle Genauigkeit erlaubt haben würde.
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Anseigfin and lEitteiliiBgai.
ich will QUO die Hauptrcfloltate von B.s
FatMhnngen xaaaiimienfa«sea, werde mich
dabei alior nicbt an den Verlauf seiner
fietsen halten, die dieselben Gegenden mehr-
fiMli b«rflliit halMii, MUideiEii, um Wieder'
boiiin^r zu venneideii, an «nunwnengeirilrige
Gebiete.
Die Bereimtiir <lMr byrkaiiiselieii Ebene
iionlöstliili voTi Muj^ncsia a. S. liiil vor allem
die FestateUung mannigfaltiger Eeete alter
Niedertaamnagea im Gebiet dee Kaim Dagb
gebracht. Dif I<l»Mitifikation dor srlmn früher
bekannten Ruinen bei Saritacham mit Hiera-
lopliM i«t Tön B. lelbflt nnr zweifelitd tot-
geacblii^^'cn worden und ist zu unsicher, als
datb mjMt sie sugebea könnte. Im Gegenteil
adieiaeii die Beete der dort gefvnd«ien In-
schrift (S. 27) diesen Namen f^radezo atu-
xuachlicfsen; denn um die Lesung oi lurroiiuM
Ir 'Itfol6<pa henmt teilen , sind q und l ge-
ändert worden, i in iv fehlt, und zwischen
7c und dem folgenden Buchstabon ist auf
der Inschrift eine verriebene Stelle, die nicht
XU erklären ist. Die Hypothese Seid-obussy
ir^- Miwuya ist wo^t'n tti-r fnschrif! mit Ju
MiörvT^vio sicherer. Die liuineu westlich von
Arpaly r<iu<i ul.s Tvunollos erkannt worden;
die Art, wie B. zu diesem Resultat gekommen
ist, erscheint mir methodisch interessant
g'enug, um etwas näher l<e^|>r(M;ben zu werden,
lier Ort war <«cbon durch zwei von Fontrier
aus Kuldere publizierte Inschriften bekannt,
Bw hat nun festgestellt, dnlb dieselben nicht
aus Koldere selbst stammen, sondern dnrt-
hin aus der westlich von Arpalj gelegenen
Bainenstfttte Tenchleppt worden lind. Es
ift flas üicht der einzige Fall, wo er In-
schriften Verschleppung feiitgestcllt bat, auf
Bebritt nnd Tritt finden wir in seinem Bache
derartige Memcrkungen, dafs er 'iui län^^eren
Gespräch mit den älteren Honoratioren des
Doffiw* oder mit einem Banem n. s. w. die
Provenienz eines Steiner; feslt^'e^tellt hat, Zu
solchen l^kundigungen war er allerdings
sneh viel dier im stände eis die meisten
anderen Reisenden; denn Neugriechisch be-
hemehte er wie seine Muttenprüche, und
Tflzhiseb war ihm «UmUdich sneh geläufig
geworden. Nun könnte man trotz seiner
ausdrücklichen Versicherungen, dafs seine
Oewährsmänner zuverlässig wären, doch
einen leichten Zweifel hegen. Deshalb mag
hier ein Beispiel aus neuester Zeit angeführt
werden, wo eine auf dieselbe Art gewonnene
Nachricht sicli in der That als zutreffend er-
wiesen hat An«! : n (and l^y? in Elmaly,
südöstlich von hijtüljia Kotyaeion eine In-
schrift mit Ti Mitfmvüp xorotxia, die, wje
Sattem von ihren Vätern gehört su haben
471
angaben, von der nordöstlich gelegenen
Bttinenstelle IfaloUa stammte. Und sieben
bei der rntersnchim^' Platzes wurde
eine Inschrift der Mti^räv ii6h$ gefunden
(Joom. cf Hellen. Stnd. 1897 B. 4tS). Die
Gleichset znn^' von Hierakome und Hiero-
kaisareia am Ustrande der hyrkamscheii
Ebene, die B. mebrflwdi ausgesprodien hat,
allerdinf^s /uruichst ohne Bejjnindun^j (S. 28
lä4) ist jetat von Imhoof- Blumer (Ljdiscbe
StadtmOnsen 8. 7 ff.), der die kumn Be-
merkungen von B. wohl übersehen hat, ans
fübrlich begründet worden. Derselbe erklärt
sieh 8. 78 mit JB. fHr die Verweisung von
HermokapcleiaAach der nördlichen byrkani-
schen Kbene, nach Cyokdschelgöi; den Ein-
wand KiepertH, der Name deute mehr auf
eine Lage in der Nähe des Hcrmos bin, ent-
kräftet er dadurch, dafs er ihn nicht mit
HermoB in Verbindung bringt, sondern mit
Hermes, dessen Bild wiederholt «uf den
Stadtmünzen vorkommt
Besonders reiche topographische Aasbeate
haben die Bereisung der Flufsgebietc des
Kum Tschai, Demirdschi Tscbai und Rge
Tschai nördlich des mittleren Henuos ge-
liefert. Die Strafse zwischen Ak-hissar
(Thyaf<'ira' und Gördiz (Julia Gordus) war
vor ihm nur von TchihatchefF und von
Radet begangen worden; aus des letzteren
karti Tiln t-Tu Bericht stammen die bei Kiepert
unsii lK T liiugs des Weges angegebenen Dörfer.
B. bat dann auch noch südwärts durch ganz
unbekanntes (Jebiet die Verhindung mit
der Strafse Adala-Mermere hergestellt. Auf
der Schahan K^a wurde die schon von
Radet bemerkte antike Ort^^laefe fe<=tffeste!lt,
ebenso eine in Ugulduruk, nördlich von
Ottnlix. Die Ruinen im Sfiden bei Narly
erklart 13 THr die \on I1aIdi^l. weil unt*ir
30 dort gefundenen Münzen lU nach Julia
Gerdas and 90 nadi D^dis gehörten. Trotx
der Zn'^timujun",' vini Imhuof Mlumer (^S, 60)
möchte ich doch aber den AnsaU nicht als
sieber annehmen; denn Ptolemaios and die
Bi,>;chufsli-^ten . auf <li>' man sich allerdings
nicht zu sehr verlassen darf, verweisen die
Stadt mehr nach dem Norden von Lydien;
und Münzen sind doch ein in leicht bewqg*
liches fieweisnmterial.
1896 ist B. nördlich Über den Tenmos
vorgedrungen, den er auf einem neuen Wc|g
nordöstlich von Gördiz überschritten bat.
Die Beobachtung, dafs in der Gegend von
JemiiehlA, nördlich vom Simaw-gjöl, \id
Ei.-ienerr <refundcn wird, verunlafst ihn die
Frage uuizuwerfen, ob das phrygische Ankyra
nicht ▼ielleicht bei der Ruineastätte dieses
Ortes ansosetaea ist; denn so wdrde du
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472
AsMieigen und IGttaQnngett.
Beiwort ^ tft3i)<^, das die Byzantioer der
Stadt maDchmal gebfln« tdur gvA pMwen. Er
gicbt aber selbst zu, daTs diespm Ansatz
Bchwerwiegeude Bedenken entgegenstehen.
Idi ^abe, die Wwte Bbmbona (S7« C)
ngixilaßmv (sc. 6 'WvÄaxos) x«! rfjs
UjSfffcqt^S Mvcüis iilovs t§ nal Mintnov
iai jlr«^««» n. w. verlangen unbedingt,
tlüf» uian die Stadt an das Wentondo de«
SünaW'gjOl setzt, also am besten mit Hamilton
dm3i Kilisse Kjöi. Allerdings feblt noch der
inHchrifllichi! Bewein Der Heinunn^ ciifijQÜ
lieüe sich doch ganz gut durch die Annahme
erUftren, dnb dne Eieenens eben dort
arbeitet wurde. Die Gh-icliun^ Riaudos
(das B. übrigefis sehr mit £echt gegen
Bamsay von Bftnato «drtidat) «« B^tyly
am Westufer dei SiniAw-gjdl iit Mihr ein»
leuchtend.
Das Qebiet der Flüsse von Jemischlfl und
Assardjyk hat H nur in den südlichsten
Teilen biü EgrigjOz selbst erforschen können;
seine Erkundigungen sind aber gegen die
von Ramsay jetzt durch Munro bestätigt
worden, der 1S94 tlieselbe Gegend, von Norden
kouinieiui, besucht bat. Beide Flimau ver-
aißigen sich wirklich östlicb von Balat. Auch
in untierer Beziehung stimmt R h Ttinprar mit
dau Angaben Munros, w wind der ^]grigjöz-
Dagh und Emed böher nach Norden gerückt.
Allerdings kann man nicht wissen, ob Kit?i)crt^
Kartenentwurf nicht auch mit durch Hunros
Bieiee beeinflnAt worden iat.
Der Weg nach Aizanoi war so gut wie
unbekannt; Ii. bat zuerst auf einem Umweg
nach Baden die Bninenslltte fSeetgeetellt, wo
nuch einer schon früher durch Callier he-
kannt gewordenen Inschriit Aiia gelegen
baben molb, und ist datm auf der Tebibat-
chefTschen Uonte nach .\izanoi j^ekommen
Sein Itinerar hat offenbar ergeben, dafs die
HamUtonedie Breitenbeetiihmnng flbr diesen
Ort von .-iO" 14",' resp. 13',', die Kiepert
nach RamsajB Angaben in Si* "12' geändert
hatte, doch xiemlidli ricbtig ist. Wenigstens
crgiebt die Karte cu 30° 1.3%' Auf der
Weiterreise hat B. Ostlich von Gediz, das
bisher nur der Namensgldchheit vegen fBr
Kadoi angesehen wurde, die Stelle der alten
Stadt gefunden. Von den dort gefundenen
Inschriften fflbrt er nur eine an, eine Weihung
Jd xal Mr^TQl &f&v SrtvvT^rg. Sie ist des-
halb wichtig, weil Pausonias für diese Gegend
eine Höiile Zttüpoe erwähnt. Für die Ver-
matung, dafs diese Höhle in der von KeMlk
Magham. südwestlich von Aizanoi, m er-
kennen int, küunle man ula Bestätigung nach
der negativen Seite daran erinnern, dab
Sperling 1868 in Norden und Osten von
Aizanoi vergeblich nach einer Höhle ge-
Boeht bat.
Da« (Jebiel zwischen oberem ITennoH und
Mäander ist schon oft bereist worden, von
HMnatott, ArnndeU, v. TeUhatehei; ▼. Diest,
Ramitay, M<">1Ibausen; trotzdem hat B. auch
hier eine Keihe von Üninenstttten entdeckt,
s. B. nSrdlieh von laai bei BadaAet IDdesai.
Er erkennt darin Clanudda, aber gerade die
Angabe der Tabula Peuttngetiana, die er
allein sor Begründung dafBr anfuhrt, spricht
dagegen. Denn wenn die Entfernung von
Alaschehir in Luftlinie 66 km beträgt, die
Tabula aber nur 86 MaOen mm u% km
(genauer 61,75 km) dafür ansetzt, so bleiben
nur swä. Mö^ehkeiten: entweder ist die
Zabl riditig, «an ist die SoineosUUte nicht
Clanudda, oder sie ist falsch, und dann kann
man sie nicht zum Beweis verwenden. AJso
mols ich Bji Vorschlag trotz der Znstinunnng
ÜBthoof'Blumers ablehnen.
Die genaue Lage des alten Sebaste stellte
B. östlich von Se^jükler fest; das wird die-
selbe Ortslage sein, die Arundell auf seinem
Weg von Bunarbaschi nach Usch ah bei
Segiclar oder Segicley erwähnt Hier be-
rührt sich B.s Korschungagebiet mit dem des
oben Hchon erwähnten Anderson, Dieser b:st
die Ruiiienstätte, von der Ii. in Tatarkjüi
hörte und die zwiHchtin diesem Dorf und
Burgaz liegen soll, v^irklich gefundt'n und
verlegt die Stadt Bria dahin, die B., aller-
dings nieht bestinunt, nOrdlidi von Siwanlj
in Payanalan finden zu können geglaubt
hatte. Entscheiden läist sich die Frage jetst
Boeh nicht Wir baben über dio Lage der
Stadt keine genauen Angaben, und die
Inschrift mit B^tjavofi, die Anderson in
TatarljOi abgesebrieban bat, kann, wie er
selbst sagt, ebensogut anders ergänzt werden.
In Gönei, östlich vom obersten Kogamos-
thal, eifbbr B. von oHaknndigen Leutm, daTs
der von Hamilton 1837 bemerkte« Ruinenort
Kepe^jik nicht mehr existiert Man könnte
das Versdivrinden der Binnen ▼ieUeieht noeh
weiter /.urück'verfolgen ; denn Tchihatcheff
erwähnt 1847 nichts davon. Aber es iat
nicht iuuner sicher, aas seinen Angaben ein
argumentum a silentio zu entnehmen.
Im alten Mäonien swiscken Uenaoe
nnd EogamoB sind vor aUem die Wege
Adala-Kula-Takmak, Eula-Sardes und Ala*
schdiir bekannt; B. hat auch hier die ver-
schiedensten StreifEüge querdurch gemacht
und hat dabei viel neues Material, geo>
)Tr!i))hiHcher und antiquarischer Art, ge*
wuunen. Besonders wichtig ist die Be-
itfttigang, dafa die KmftT} ^iladil^iuv
JCvsvsiLltff, die auf einer schon bekanntest
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AvMtägmk mtd MlttaaiiiigeB.
473
tiuciurift endieiiit, in dem Tbal des Sö-
iittditsdisi. ifidditlicili TOB
ist. Damit ist die Lage von XtnopllOiU
Kmumlot Mt6lo9 gesichert.
Aw^ di« liogs der Bahnlinie im Hermos
Tmd Kogaanosihal g«iiiachtcu Tonren liefertea
manches Neue; denn über die pif?entlichp
Bahntrace pflegt das Gebiet de« bekaunteu
UodM nicht hlBBttsziireichen. In Baharlar
war vor allem die '"KallatebosinBchrift'
sn revidieren. Wohl wenige Inschriften
rind in der letaten Zeit so genau von dMi
»erschiedenstcn Reisenden verglichen wor-
den wie diese. Denn anfser B. hat ganz
anurdings auch noch Anderson den Stein
nachgesehen Der Stand der Frage ist fol-
gender. Kadet hatte ergänst oi Md[rotx4u ol
§9] ]^aUtit}ißwB vai hatte den bei Herodot
erwähnten Ort Kulldrrißos erkrni cn -.r-llpn
I>ar(iber war er in eine hitzige Kuatroverue
mit Bttoufty gekommeB, der, dlerdiage ohne
dm S'tein ge.'fehpri liali.'n, l'i^hauptet hatte,
die Abschrift wäre offenbar mangelhaft. B.
Bim mdi fenMer Bemion in der Lage,
Redet gepen RamKay zu .ncliützen; allerdinge
eigiebi flieh aus einer genauen Beobachtung
der CMtrienTerhlltnine der Iniehrift, daft
etßois nicht zu KaXXitT]äßote ergänzt werden
kann. Den thateächlichen Befund hat auch
Andereon beeütlgt, der nun «noh die neueste
Lesung Ramsays (Phrygia 8. 673 Anm h) oi
]Ht(TO>ii[et et i9 'A9d]ttßots billigt. B. hat
noch eine andere Erklärung, und zwar, wie
mir scheint, die natürlichste. Kr liert ei
im({to]i.x[o( oI itj'Aßoig, er fafRt also die er-
haltenen Buchstaben als vuUständigen Orte-
namen. Und in einem wichtigen Punkt hat
er die Angaben von Radet sowohl wie von
Anderson ergänzt; der Stein stammt gar
nicht aus Baharlar selbst, sondern von dem
jenseits de« Fluseea Hegenden Ruinenfeld bei
Bahardyr. Dort also liegt der Ort, w mag
nun Ab» oder enden heUben.
Von Babarlnr aus ist B. westlich nach
der üsüui-owiwsy gegangen, unter anderem
lui dedielb, um die von Deport veraeidi-
neten Reste einer alten Strafse zu sehen.
Leider sagt er dann in seinem weiteren Be-
ri^ gttr niehte dardber, ob er die geftiaden
hat. Da« ist vor allem deshalb zu bedauern,
weil ea wichtig gewesen wäre zu erfahren,
ob dieae StraAenreete in Verbindung ge-
bracht werden könnten mit den von Arun-
dell (S. 820) dicht OeUich von Devrent er-
wihatett 'reaMdm of a paved road, perhaps
of Bo great antiquity'. Überhaupt ist es
merkwürdig, dafs B. nirgends alte Strafe«!
gefanden hat, an denen z. B. Ktbynien eo
nieh lat
KfW fatoMMher. t»M. I»
B. hatte vor seiner Reiee von 1804 be<
hanptet, dafli der aof einer Inadirift and
auf einer Reihe bisher nicht sicher unter-
gebrachter Münzen vorkommende dQfiec
Ntonautapfmv Philadelpheia wäre, üm
einen bündigen Beweis dafür zu finden, hat
er in Alasrheliir, dem alten Philadelpheia,
nach Mflnzeu ciit der Aufschrift Neomteiea^iw*
gesucht und auch wirklich eine gefunden.
Einen noch besseren Beweis bietet allerdings
die Münze Nr. 'iä bei Imboof- Blumer, Lydische
StadtnOnien 8. ISl, aof der Muiti^üt» nad
NioxreieaQ^tov 7Tisammen steht.
Aus Aiaachebir stammt auch die wichtige
Inschrift Nr. 19, ein Brief des Kaisers Cara-
calla an einen vertrauten Freund in Phila-
delpheia. Sie ist wichtig wegen der Datie-
mmg nach der Aktiachen Ära, etaer Datieraag,
«lie bisher nur ans der n^rn ^f'^prnrlipnen
inschrÜt von Baharlar bekannt war, deren An-
fug lantet fr]«e» tt^KaUavos [v]U[tis]-
Ii zeigt S '20 ff \ dafs im ganzen virr ^^i -here
Fälle der Aktischen Ära in Lydien nach-
weiflbar snid. Dae lit ohne ZwdfU riehtig
iinl -i hr interesHant; denn ehe die Baharlar-
inschrift bekannt wurde, galt tOi Aaia nur
die Sallaniedie Ära. Abw die Uniteehmmg
der Datierung möchte ich etwas geändert
wissen. B. nimmt da« Jahr 846 — S16p.
Vm iit die Epoehe der Aktisehea Ira der
•i Se[)tember Sl a. Der Jahresanfang fällt in
dra Herbst; fällt er vor den 2. September,
so iflt das 1 . Jahr der Aktischen Ära das vom
Herbst 81 bis Herbst 30 a. und das 246. «e
214/16 p. Fällt er nach den 2. September,
so ist das 1. Jahr der Ära Herbst 82/Sl und
damit das '24ö Jahr Herbst 218/14. Nun
ist die Inschrift vom 16. Apellaios (ca. No-
vember datiert, gehOrt mithin ganz an den
Anfang des im Herbst beginnenden Jahres,
also in den llcrljst '21." - Iit 214. Das erste
ist unmöglich, weil Oarucalla da noch nicht
in Aeien war, aneh «tammt sein Beiname
er!»t ans dem Oktober 218.
Mithin bleibt nur 214 p,, nicht 210, wie B.
reehnet. Wir lernen daiaas zweierlei: ein-
mal, dar« das philadelphische Jahr vor dem
2. September begann, und femer, dafs Cara-
calla den Brief iddit auf den Mandl dee
Jahren 210 ; hrieben haben kann, sondern
vorher, vielleicht von Fergamoa ans. £s
liegt denmadb aneh kein Grand mehr tot
anzunehmen, dafs er von Nikomedien aus
über Sardeis und Philadelpheia nach Syrien
gezogen ist; er wird im GegfenteU die grofi»
nördliche Strafse benutzt liaben
Das Gebixgeland zwischen Hermos und
Kaystroi hat B. aof Awi scibon begangenen
nad bekennten Braten (Iberschritten, trota-
»1
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474
Ani«jg«n und lOttailinigem.
dem hat er unsere Kenntnis m muniiigfucber
Besiebung enroitert. So verdankou wir Uun
di> er<<t6n genaueren Angaben über das Öst-
liche Vorland des Sipjloe bis zum Niftscbai,
m er bei Köscheler auch die Spuren einer
alton Stadt gefunden hat, die allerdings
völlig unbenennbar ist. Auf der Stelle von
Lcitbey Jail», hoch im Oebitg«, fuid«B rfdi
wenige, aber deutliche Spuren antiker An-
siedelung. Vom KogamOB ist B. durch das
Thal dm Deibendtidiai mhrM» und Ubar
den Pafs ins Quellgebiet des Kaystros nach
Keiles auf einem Weg gegangen, der seit
Anmdel] 16S0 iäidit -idedw b«iutei worden
war. Bei dem Kay adjvk-Assar wurde Diginda
festgestellt, und die Buinen von Gewele wieder-
von denen Arundell (8. 914) die erst«
Kunde pi'ge1)en hat. Wie dieser Tl;orj^aüg,
M> ist auch das ganze Kaystrostbai noch wenig
gemm untenaebt worden; B. bat bewmden
die Gegend von Baliamboli. Odemisch, Baindyr
und Tire erforBcbt, twiacheu den beiden in»
letet genaimteii Orten wurde das epheriicbe
Larisa bei dem Tchifllik Hadschi Scherif
Oglu Effendi inschriftlich festgestellt. Für
die Topographie des unteren Kaystrontbal ist
von Wichtigkeit die Erklärung eines Stücke«
der Tabula Peutingeriana, die auf der Strafse
Smyrua-Kphesos die Station Aniigomc als
Ausgangspunkt einer nach Sardeis führenden
Strafse augiebt B. setzt, ähnlich wie Le Bas
und Kamsay, Anagouie in diu Xilht' vun
Kosbnnar an und führt die Erklärung seiner
VorgänpTPr mit fritem Erfolg insofern weiter,
als er die Namen der Station als verderbt
aoB Auliukome ansieht. Allerdings stimmt
Hie Zahl :<4 ^Hlien 7.wi8chen Ephesos und
Anagome gar nicht. Bemerkenswert ist
ttbrigese anch hier wieder, daJb da« Straben-
netz der Tabula nidit mit dem Floftnefea in-
Tom Kayetroe- benr. Kogamotgebiet ist
B. nach dem Mäander anf vier verschiedenen
Wegen gelangt, von denen die beiden west-
Beheten, efldlicb ▼on Odemiaeb nnd von Tii«,
znm Teil noch unljekannt Avaren. Hier wur-
den auch eine fieihe antiker Ort«lagen fest-
geatellt Zwitcben Baliamboli nnd BnUadan
ist das Gebirge noch völlig unbekannt; auch
B.a Versuche, «a bier zu dorcbqaeren, sind
nicht gelungen. Ibnmeibin bat er Ton Baliam-
boli auf einem VorstoÜB oetwftrte l&ng« eines
alten, jetzt fast vergefl«flnen Gebirgspfades
die Ruinen einer Burg früh -hellenistischer
Zeit gefunden und erfahren, dafs weiter i
wilrts noch eine von genau derselben Art
gestanden liat. Seine Venuutuug, dafs hier
die Mysomakedones anziiHet^en sind, ist daher
viel wahnobeinlicher als die von Badet, der
Dulludan als Mittelpunkt dieses Gebietes an-
sieht. Dean BnUadan ist eine vlHlig neoe
Gn'indimg.
Nördlich dieser Stadt, bei dem ansehn-
lichen Dorfe Kyrktschinar- Derbend, finden
sich auf einer Bergkuj)pe, die die wichtig.?
Strafse nach Alascbehir beherrscht, Reste
einer sptt antiken dmnianeinuig. Die Ter^
mutung, dafs »an hier das in dem Krenz-
suge Barbarossas erwähnte Aetos suchen
mtlase. ist sehr einleocbtend; kOnnte man
nicht in d."m modernen Namen des Gstb'ch
sieb i'ortäetiienden FluTsthales Aidoz (oder
Aidaa) -Dwe mit dem Aidoi tsebiftlik eine
BPBtatigimg dafür flnilen?
im M&aadertbal bat B. bei Bucyalgdi eine
RninensUitto geftmden, die wob! ranldist
noch unbenannt bleiben mufs; denn weder
sein Vorscbla|( Itoana ist sieber zu begründaa
— die Angabe des Ptolemaioe, nadi der man
es zwischen Antiochia a. M. und Trapeso-
polis zu suchen hat, ist nicht genau genug — ,
noeb imd seine Einwände gegen Kidramoa
durchschlagend, an das jetzt auch Anderson,
der 1897 die Stelle ebenfalls gefunden bat,
in Übereinstimmung mit Ramsay denkt.
Den erythräischen Chersonnes westlich
von Smyma hat B 1891 auf einer Route
durchzogen, die sich zum Teil mit meiner
vom Jahre 1890 berührt. Unsere beider-
seitigen Aufnahmen stimnifn n1ierding*i nicht
ganz, die Liim' Etuntscbukur-iijöldjilk muDs
etwas nacli Südosten verrückt werden. Viel-
leicht liabe ich infolge der starken Steigung
von Aktüchekjöi aus (B, ist von Derelgöi ge-
kommen) den Weg etwas m lang gerecfanei
und daher Efentschnkur zu weit nach Westen
verschoben. Die HOhenmessungen stimmen
aber gut, natOrlieb mvfs es anf der Kiepert-
srhen Karte bei dem Dorfe 620 anptutt 62
heil'sen. Die von B. erwähnte Kuinenstätte
bei Demirdsebili habe tob geftmden; ich
kann mich aber trotz Kiepert durchaus nicht
SU seiner Ansicht bekehren, dafs dort Airai
gelegen baben soU. Der Wortlant SMboo
ist zu klar, und der Begriff der zwqu A'«ixttf
bei Pausanias zu unbestimmt, als dais man
einen anderen Ort als Cbalkideis oder ChalUa
dorthin legen kann. Der Stein mit dem
Namen Al^al, den ich in Demirdschi ab-
gesdirieben habe, ist so klein, dals er gans
gut aus dem wenig westlicbi gelegenen
Ddverlü stammen kann.
Das sind die Hauptergebnisse von B s
l'eisen in Lydien und den angrenzendem
Gebietf'ij I^ic Lei.^tuug ist für einen ein-
zelnen guuz aufäcrurdentlich, sie ist heroisch,
da B. schon wäbrend der beiden letst«u
Reiten U94 nnd 18M vwi der beimtaddaeben
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Anzeigen und Mitteilungen.
475
Krankheit ergriffen war, die ihn, den noch
nicht 34 jährigen, am 2. März 18U6 dahin-
gerafft hat. Von seiner liebenswürdigen,
frischen Persönlichkeit, von seiner wissen-
achafllichen Eigenart hat Otto Ribbeck
in der dem Buch vorausgeschickten Bio-
graphie eine liebevolle Schilderung ent-
worfen, die jeden, der sie liest, tief ergreifen
mufs. Durch sie wird B. denen, die ihn ge-
kannt -haben, in lebendiger Erinnerung
bleiben; in der Wissenschaft wird ihm ein
ebrenvoUea Andenken nicht zum wenigsten
durch sein letztes Werk gesichert werden.
Walthxb Euok.
GOETHE UND ANTIGONE.
Wieder zwei Voten gegen Goethe in
Sachen der Antigonc ! Ich meine Kaibels neue
Auffassung der Antigene in der Göttinger
Universitätsschrift 1897 und Bruhns in diesen
Blättern gegen Kaibel gerichteten Auf-
satz (S. 248 ff.): beide Kritiker nehmen die
Echtheit jener Antigoneworte an, die von
Goethe, wie von anderen vor ihm und nach
ihm, als unecht empfiuden worden sind
(Antig. 904 ff.). Aber freilich, beide müfsten
eigentlich mit Henri Weil ausrufen: 'Die
Verse sind echt, aber ich wollte, sie wären
unecht!'') Kaibel hat die Unklarheit der
Worte nicht gehoben, dazu, wie Bruhn
darlegt, anderen Stellen Gewalt anthun
müssen, und für Bruhn bleibt im Grunde
die Art, wie Antigone ihr Verhalten recht-
fertigt, gegenüber modernem Gefühl und
Geschmack ebenso anstöfsig, wie sie es für
Goethe war. Ob aber nicht derselbe Goethe
uns helfen könnte, das, was Antigone mit
ihrer Sophisterei will, anders zu verstehen?
Man erinnert sich an das Gespräch, das
Goethe — drei Jahre nach dem Antigone-
gespräch — mit Eckermann und Riemer über
englischen Radikalismus und Konservativis-
mus hält (Eckermann III S. 222 ff. Dflntzerl
Zunächst erklärt sich Goethe für das Er-
halten und Aufbauen; dann, auf eine Be-
merkung Eckermanns, verwahrt er sich mit
allem Nachdruck dagegen, als ob er, wenn
er in England geboren worden wäre, dem
Radikalismus wenigstens in dessen mafs-
voller Gestalt würde gehuldigt haben: nein,
in England würde er von den bestehenden
Mifsbräuchen geradezu gelebt haben; eine
Bischofsmütze samt dreifsigtausond Pfund
Jahreseinkommen hätte er sich erlogen und
erheuchelt, und einmal oben, hätte er sich
') H. Weil, Revne des etudes grecques
Vn (1894) S. 261—266.
durch Verdummung des einfältigen Volkes
mit unendlichem >Spafs auch oben erhalten;
freilich jetzt, in Deutschland, könne er sich
nicht dazu verstehen, so zu lügen, eben weil
er keine Aussicht auf so gute Bezahlung
habe. — Was thut hier Goethe? Er legt
sich im besonderen Moment selbst eine
Denkweise bei, welche seiner sonnt bekannten
und bisher bethätigten schroff entgegen-
gesetzt ist, die Denkweise gemeinster Selbst-
sucht und raffinierter Nichtswürdigkeit; er
behauptet, wenn es der Mühe wert wäre,
würde er so und so gemein handeln, und
jetzt und bisher handle er anders, eben
weil es die Mühe der Gemeinheit nicht lohne.
Thut Antigone im Grunde nicht dasselbe
wie Goethe? Sie hat bisher 'den Edelmut
der reinsten Seele entwickelt', und jetzt, im
besonderen Moment, legt sie sich selber als
Motiv ein 'dialektisches Kalkül' unter, legt
sich selber die Denkweise sophistisch kal-
kulierender Verständigkeit bei; Antigonc be-
hauptet auch, ähnlich wie Goethe, sie würde
unter den und den Umständen anders ge-
handelt haben als jetzt, weil es dann die
schwere Mühe ihrer That nicht gelohnt
hätte, und jetzt habe sie ihre That gethan
eben aus der verst'ändigen Berechnung, dafs
es jetzt der Mühe wert sei. Und beide,
Goethe und Antigone, stellen sich an, als
sei es eine allgemein gültige Ordnung der
Dinge oder Regel des Handelns, nach welcher
sie handeln, raffiniert niederträchtig der
eine, sophistisch kalkulierend die andere.
Wenn die Sache bei Goethe Sinn und Zweck
bat, hat sie das auch bei Antigone?
Für Goethe bezeugt uns Eckermann, es
sei eine Unterhaltung voll Übermut«, Ironie,
Malice und mephistophelischer Laune ge-
wesen. Ein Gluck für Goethe! Giebt es doch
nachgerade Philologen von so furchtbarer
Objektivität, dafs sie keinen Spafs verstehen,
wenn nicht überliefert ist, es sei Spafs.
Also Goethe sprach mit maliziöser Ironie —
zu welchem Zweck? Ich denke, Ironie und
SarkasmuB seien im Leben unter anderem
ein natürliches, zwcckmäfsiges, ja unent-
behrliches Kampfmittel, eine Waffe, die
insbesondere der vornehmere Mensch statt
grober direkter Schmähung und wütiger Be-
schimpfung führt im Kampf gegen die un-
überwindlichen Mächte, z. B. Gemeinheit,
Roheit, Dünkelhaftigkeit, Dummheit, Grob-
heit. Bei (roethe war es also dort der
energische und doch noble Ausdruck alten
Ingrinmis gegen gewisse unverbesserliche
Mifsbräuche im englischen Leben; die Äufse-
rung Eckermanns, Goethe sei hinterher 'mit
derselbigen Malice' nochmals auf die enorme
31»
476
Anzeigen und MitteüungeQ.
Besoldung der eDglischcn hohen Gcbtlichkeit
zurückgekommen (8. 285), und ein etwas
frühere« Oeeprieh über denselben Oegen-
stand 'TT 12'2i kßnnrn zpi'pr-n , wie sich der
Unmut angesammelt hatte. — Aber nun
Antigone? Wenn Goethe aieh eine gemeine
Gesinnung hcilc^rt, um gegen ehen dieselbe
Gemeinheit an anderen inghmmige Hiebe zu
fKhren, soll denn etwa Antigone eidt lelbit
eine klügelnde Ver&tündigkeit, ein Handeln
nach dialektisch begründeten, kasuistiachen
Friuiinen znidbreiben, nm gegen lolchea
Handeln und solche kluge Kasuistik aaderar
lieh rm wehren, zu kämpfen?
*lMauche Anffiuwmig' üt fllv dit Diehtar«
erUftrung in Yermf geratcm. ICt Recht,
waim es noh um die Sucht handelt, bonieo
im Binne mflfsiger Fonuspiele des Dichten
lu entdecken; dagegen sehr mit Unrecht,
wenn Ironie und Sarkasmus, wie im kämpfen-
den Leben, »o iu der Fueeie des Kampfes als
natürliche und scharfe Waffe leidenschaft-
lichen Emj)fiudens dienen können. Insbeson-
dere in der Tragödie, wo voruehme Menschen
durch Menschen und Schicksal Gewalt leiden,
ist sarkastische Ironie als Kampfmittel etwas
vollkommen Katürliches und ist überall und
jedMvdt mit Torliebe angewandt worden.
Leider ist unsere wissenschaftliche Poetik
und Rhetorik und unsere ästhetiache Bildung
xn einseitig fovmaUstiMili oder hietoriidi, um
Naturnotwendigkeit und lebensvolle Kraft
so mancher 'schönen Kunsifigur* zu wür-
digen.') Jedenfidls, 8o|^Uee kennt die
Ironie als Kampfmittel. Da wo im 'Aias'
der Held in imvemöhnlichem Hafs gegen
seine Ptinde nun Tode gehen will, redet er
von Sinnesänderung und Versöhnung, um
den äeinigen alles weitere Fragen und Be-
mllhen nm seine Rettung nbensehneiden; nber
nun rechtfertigt er seine YerHölinlichkeit in
einer Weise, welche mit ihrer Umständlich-
keit, ihrer Hftnfbng thetorisdier und dialek-
tischer Beweismittel, ihrer Her^'orkehrung
gerade der Jänunerlichkeit der Versöhnungs-
motive dorchavs nicht dem nächsten, prak-
tiidien Zweck dienen kann. 2L B. *1Ä habe
eben erst die Erkenntnis gewonnen, einen
Feiud dürfe man nur soweit hassen, d&h
man bedenkt, der Mann könne ja auch
wieder ein Freund werden, und so werd' ich
kflnfltg auch meinen Freunden gegenüber
SU Freundesdiensten nur mit Vorsicht bereit
sein, da der Freund voranasiehllieli nicht
*) Einaeitiff ist, was über die Tronic z. B.
Gerber, Sprache als Kunst FI 04 31» ff. u a
und Baumgari, Handbuch der Poetik 693 ff.
Iduea.
immer Freund bleibt .!* Mit welchem
innerlichen Hohne muTs der grofse Hassor,
der ranliiiertige Held diese erblnnlich ÜBig«
Weisheit entwickeln! Sich selbst wehrt, und
verwahrt er gerade damit gegen jede Mäg-
Uddceit einer Versöhnung. Anden, wie es
scheint, für «Iuh Verständnis Tekmessas und
der Salaminier: ist doch nach dem Aus-
spruch eines geiilreiduni Vnmotm beni»
nichts fiBr Kilider, llir nEauen und fttr daa
Volk.
Zu IlmUsher TwachtungsroUer Terwali-
rung wie Aias hätte auch Antigone reichlich
Veranlassung. Ihr hat ja alle Welt bishor
die Verständigkeit abgesprochen, Iimeaa
Kreon, die Alten von Theben. ') Und gerade
auf dialektisch motivierbare und kasuistische
kluge Sätze der Staatsmaral stützt Kreon
sein Handeln, und er pflegt, scheint es, für
die regelrechte, ordnuugumiifsige .\rt, nach
der er handelt , gerade den Ausdruck v6(io^
tu brauchen, den Antigone an unserer Stelle
zweimal anwendet (V. 191; OOB 914 ; so hat
auch Ismene Rücksichten auf allerlei Ver-
hältnisse und Unterscheidungen von allerlei
Rechten mit verständiger Kasuistik c^'M« nd
gemacht und gerade das Wort ßif ^hfmw
oder »^fwo ßl^ verwendet, wie ea Idar
Wiederum Antigone braucht (V. 79 59; 907);
Vernunft, Besonnenheit femer ist das Cetenun
oenseo der Ältesten, und noch zuletzt haben
sie kasuistisi^li flip Pflichten gegen GfJtter
und Tote und gegen Staat und B^erung
gegen einander abgewogen <T. 879 ff.). Wlw
da nicht Anlafs für Antigone. zu derjenigen
Welt, der sie unterliegt, mit Ironie zu sagen:
Sieh, gerade ndt HilfSs Deiner klugen DialAtik
beweise ich, dafa ich ja genau nach Regel
und Ordnung Deiner kasuistisch-utilitarischen
Hrnnl gehandelt habe, und dafür muls ich
starben t folglich sol — d do%& v^v ftAfst
ifAta tvf%ävti9f { egtdi» tt ftigft jiäffa»
dfpUendim — wie das Antigone schon zu
Kreon gesagt hat (469 f.). Daniin würde sie
sich dann für die Richtigkeit ihres 'Kalküls'
auf das Urteil eben der Verständigen und
Besonnenen berufen ('J04 und den Wider-
spruch konstatieren, dai's ihr kluges Prinzip
bei dem Maoue kluger Prinzipien, Kreon, so
wenig Verständnis gefunden hat; maa ba-
achtp. wie sie voiup K^letv« hart suamman-
atol'sen iäfst (9U).
Freilieh, sie richtet ihre Rechtfertigung
direkt weder an Kreon noch sonst an die
kluge Welt hier oben, sondern an ihren
total Bruder, sie redet ja hier tbarhaapt
>) V. 49 68 95 99 388 469 472 &10 Ö6ä
6«S f. 86S 872 ff.
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AasdgMi md MitieiUmgai.
477
nur noch mit der Unterwelt und den toten
AagMSngßa (891 ff ' Nun milfste gerade
vor diesen Au^chdrii^en und insbesondere
vor Polyueike» die Klügelei Anttgones erst
recht hsrslM und lieblos klingen; f^nat uw
dorh genau genommen dem Joten Br i li^r. sie
wurde auch ihn nicht bestattet hab<;ii, wenn
sie «on lebeoden EHarn noeb etnen anderen
Bruder erwarten Wflrrtr Aber die Toten
kennen Antigone und werden sie besser ver-
•taliein als M, wie die Lebenden und daninter
sogar di'p Alt'^^'en Bio zuletzt noch verstanden
haben. Also dem Bruder, für welchen sie in
den Toi geht, kOnnle Sbr '«Miiebtw diatek-
tisches Kalkül' vielleicht ein A\isbriich Hber-
qoaUender Bittarkeifc sein aus einem Herzen
«OB Pfliehtn^fal tittd Tenrandtenllebe. *)
Richtet doch auch Goethe feine Apologie
•oxialer Niedertracht an Männer, welche ihn
fceBDen nnd verebfen : je cyniieher er spriditt
je Bchwilrzer er seine Nicht^wfirdigkeit auf-
tiigt, dMto beller leuchtet ihnen seine wirk-
lidie Oesinnnnip hervor.
Auch Antigone trägt stark auf, die leeh-
nende. kasnistischo Lebensklugkeit der ver-
ständigen Welt wird in ihrem Hunde zur
spitzfindig spielenden Klügelei nnd fast zur
Unverstandlichlcoit. *1 f?o sclilhnm v.'^ro das
nicht: die Sprache schwerzvoller und hobn-
voller BuipOrung gegen eine Übermacht wird
gerne spitzfindig und leicht dunkel. In der
Tragödie des zornigen Schmerzes, dem König
Laar, blüht es förmlich von Wort- und Ge>
dankenapielereion , di(» oft zn VerierrJltseln
werden. In Zorn und Verzweiflung witzelt
') DaTs sie eich snletst auch an die QOtter
wende, wie Bnihn sagt (8. S48), ist mmdaäbeni
nni^eiiau ansgedrückf: sich an sie zuwenden,
lehnt sie vielmehr ab, V. 921 ff.
*) Es int immer meine Meinung gewesen,
dab wie bei der filektn des Sophokles so
bei Ant%one die inr Tbat treibenden, den
Kampf führenden Kräfte nicht sowohl eine
persönliche Schwesterliebe und ein« all-
Semeine Frömmigkeit seien, als vielmehr
ie altgrieehiscbett und heroischen Gefähle
der nefltt nnÜ Ffficht gegcnfiber dem bhits-
verwandten Geschlecht, insonderheit
den toten Blutsverwandten: soweit würde
ich Kaibel gegen Bruhn recht geben;
meine Elektra 8. 117 f
•) Um Wer die Frape nicht anch wieder
vf»n die'ieni Ende aus aufzurollen, bemerke
ich nur, dafs ich über die logischen und
sprachlichen AnatOfso durcbaus nicht so
leicht wegkomme wie Bruhn S. 250; vgl. be-
sonders Kviiala (Beitnlge III 40 ff.), Weck-
lein (Ar6 Sofih emrii l i r, ' ff ). Otte /De fab.
Oedipodea 26 ff ), F. Kern (Z. f. d. G.-W.
18M S. 4 ff ); zuletrt P. Oovssen, Die Aiiti-
gwe S. Ii— 76.
Macbeth über Rhabarber and Senna, und
beim Tode seines WeibeR reflektiert und
spintisiert er (Ifrnrt, dafs Hodonstedt ihn
ji-denfalls mifsv* i ^i.4tirlen hat, wenn er ihn
%'ßlHg^er rier/.loni[rkeit anklagt (Mach. V 8,
V b). Ein Vater hat unwissentlich seinen
8ohn getötet, und womit protestiert schliefs-
lieii seb bitterer Schmers gegen diese Un-
natur? Mit einem Paradoxon . Aber dessen
Sinn die Erklärer noch jetzt nicht im klaren
sind (Heinrich d. Sechste, m. Ttil, A. n ft).
T'^nd an dem allem ist nicht etwa tdofn eine
besondere Neigung Shakespeares und seiner
Zeit sdrald. Schon hei Aeseh^los ist an so
mancher Stelle, zu der die FrklTirer an-
merken 'gesucht', 'überladen', 'dunkel', also
wonllglieh 'verdorhea*, Überladung nnd
Dunkelheit nur die charakteristisrhe Wirkunp;
hohnvoller oder verzweifelt bitterer Stim-
ainng. *) Die arme Tekmessa bei Sophokles
wird im Schmerz über Aias' Selbstmord
und in ohnmächtiger Empörung gegen den
Trtnmph der Feinde so spitsfindig und —
ohne den Vortrag des Schanspiders — eo
schwer verständlich, dafs man schon min-
destens drei Verse für unecht erklilrt hat
(Aiap !t(;i ff Dfiß— 968). Und gleich nachher
die 'gesucht i)oiiitierte', 'platte', 'Oemein-
plätzc' brauchende, 'wunderliche', ja 'wider-
liche' Art des Teukros. da wo er mit dem
Gürtel des Aia« und dem Schwerte Hektors
argumentiert — sie ist eben eiue iugrimmige
Sophisterei, mit welcher die Ohnmacht des
H<'lden gegen die Übermacht der Schicksals-
mäcbte und gegen etwaige fromme Gut-
matigkdt der Mensdien protestiert; seine
Unklarheit hat auch Teukroa schwer bflfRen
müssen, mit zwölf Versen und neuerdings
noch mit dem MilWerstindnis eines unserer
enten Interpreten *'i
Dafii gerade Ironien leicht von späteren
Anslegern Terkannt werden nnd ünUaiheit
verursachen, ist natürlich; die Ironie sjtricht ja
von dem, was der klare Sinn wäre, ungefilhr
das Gegenteil ans. ht nnserem Falle kOnnte
nun aVier ein hischen Unver^^tilndlichkeit
geradezu den Zweck haben, eine gewisse
Art Terstlndigkeit ad absordmn sn l&hren.
So spricht im König Johann (III 1) der päpst-
liche Legat Pandulfo der Form nach reine
Logik und Dialektik, aber Sinn entdeckt
fn der 3. Aufl. von Engere Agamemnon
habe ich midi des Dichters in diesem Sinn
mehrfach angenommen; vgl. anch das Basler
Gymnasialprogramm 'Die Tragödie Aga-
memnon' S, 81, 4.
*) Ai. 1028 ff. — %ä%f[vop 1086 hat Kaibel
(Elekim 8. 80) auf Aiaa statt anf {Miifo
bengen.
478
AnseigeD und IKtteUungim.
man in frawimen SAtsen nscli (Jildemehton
Urtt'il nur mit Müh" und Not: os wird an-
genommen, der Dichter wolle auf diese Weise
die spiteflndige rOmiselte l^uistflc peniflieren.
Angenommen, Shakespeare in der Pan-
dnlfoBzene oder auch Goethe dort mit seinem
Lobe englischer lüfebrftucho hätte ein be-
stimmtes einzelnes, zu seiner Zeit besonders
bekannt gewordenes Beispiel der persiflierton
Denk- und Redeweise nachgeahmt, so würde
man von Parodie reden. Bei der flöphoklos
stelle nimmt man wirklich an, es sei darin
ein bestimmtes Original nachgeahmt, näm-
lich die Antwort, welche nach Herodot
(ITT 119) dtP Oiittin des Intaphrenpn dem
König Dareioa gab auf die Frage, warum sie
gerade ihren Bruder und nicht ihren Gatten
oder einen Sohn vom Tode losbittf-. Nach-
geahmt — ich würde sagen parodiert; denn
das Original ist inhallUdk und logiedi tmd
sprachlich wie geflissentlich, w-.'^ 7■.:■n^ Zwecke
der Persiflage entstellt, und kein Erklärer
ist übler beraten ab dar, <l«r xau sagt, der
Dichter habe die hübsche Geschichte seines
Freundes Herodot aus purem Wohlgefallen
Uer*mit angebradiL Oewifb hat er aber
auch nicht den Freund persiflieren wollen:
es ist das eine Aa£Eassung von Parodie, gegen
die Bu protestieren leider mcht unnOtig ist *);
nicht einmal der klugen Frau des Intaphrenes
würde der Spott gelten — was geht die den
Tragiker oder gar Antigene an? Aber die
Intaphrenesgeschichte enthielt einen be-
stimmten, im Morgenland altbekannten, in
Athen vielleicht durch Herodot sogar be-
rühmt gewordenen 'Kalkül' barbarischer,
nir)ttgriechiBcher Frauenklugkeit: durch die
Karikatur von etwas Wohlbekanntem konnte
der Dichter den bitteren Hohn seiner hoch-
herzigen Heldin noch wirk.qamer mm Au.s-
druck bringen.*) Man mag im Aias sehen,
wie Teokroe die regelrechte Parabel des
Menelans parodiert lY 1142— lirig): er ahmt
die Parabel foiTii weiser Belehrung nach, aber
Vgl. meine Bemerkung gegen Kiefsling,
fledteisens Jahrb. 1897 S. 79, and die Be-
merkung Kaibelfl, Elektra 8. 68, 1.
*) Über ältere indische und persische
Analoj^ien zur Intaphrenesgeschichte vgl.
Pischel, Hermes XXVUl (1898) 8.466, und
Iffffldeke, ebd. XXIX (1894) 8. 16S f. Ähn-
liches aus China, nach dem Baseler Mis«ions
magaziu 1Ö74, Neue Jahrb. CXXXU tl874»
S. 301; Z. f. G.-W. 1880 S. 6. Parodiert und
karikiert hat berähmte kluge Entsoheidongen
aoch die büdende Kunst; vgl. die YorSdl.
ä Herliner archHoloff Oesellschaft, Februar-
Sitzung { Wochenachr. f. kl. Phil. 1898 Sp.44att.)
über das ebenfalls im ganaeo Orient helounte
'Urteil Salomons*.
sofort fUlt er gldehsam ans Fonn nnd Begd,
und zwar mit bewufster Lässigkeit, gewollter
Formlosigkeit, und fertigt so die weise Be>
lehmng de« Gegners mit httaender Ironie
ab, nicht weil ^e Parabel des Menelaos an
sich und an anderem Platze falsch, wäre,
wohl aber weil die Weisheit an falschon
Ort an falsche Adresse gerichtet worden iA.
Man wendet in solchen Fällen gerne ein,
was Bruhn gegen Kaibel einwendet (S. 254):
nicht die Worte konnten dergleichen «ut-
Hcheiden, sondern nur der Ton, und vom
Tone wVifsten wir nichts. Nichts? Das ist
doch wohl zu bescheiden; auch Bruhn hOti
aus Worten die Tone der Ironie, der bitteren
Verachtung u. s. w. mit wissenschaftlicher
Oewifsheit heraus (8. MO 261 n. a.). Wenn
es denn aber wissenschaftliche Kriterien föt
die Töne des menschlichen Empfindens im
Drama giebt, so ttgen doch wohl in wisereii
Antiprnrv, nrten deutliche Merkmale eines
ironischen, sarkastischen Tones vor: 'ein
Motive, das gans sehleeht ist, tmt ans
Komische gtreifl, sehr ff es u cht und gar
SU sehr als ein dialektisches Kalkül er-
seheint', wie Ooetiie sagt, nnd etne flpneh«,
welche nach dem Urteil tüchtiger Philologen
mindesteas als sehr l&ssig erscheinen muTs.
ünd der Zweek des Sarkasmva wlre ein
letzter, moralisch vernichtender Protest der
unterliegenden Heldin gegen die siegende
Ywständigkeit der Menschenwelt.
Vielleicht hat so derselbe Goethe mit
seinem anderen GesprFich voll Ironie, Malire
und Mephistüpbeleslauue uns gezeigt, wie
wir den verkannten Willen einer zum Tode
gebenden Antigene aus ihrer käui{ifenden,
leidenschaftlichen Seele heraus verstehen
konnten. t> tfAtag «ed Idanai.
Tnaoooa Piöss.
PsviB Coassna, Dm Am»o»i ms flerao-
KI.ES , raitE Tn>: ATRALI8CHE Um SITTLICBB
WuKCMo. Berlin, Weidmann 1898. 76 S. 8.
Nicht Znfiül, sondeni Anseichen einer
Krisis ist eine gcwisfle dringende Unruhe in
der gegenwärtigen Kritik des Sophokles und
insbesondere der Antigone. Oh die Knda an
glücklicher Genesung fiihren wird?
Corssens 'Antigone des Sophokles' geht
ans ten derselben Abhandhmg Kaibels, von
der in meiner obigen Miscellc die Rede
gewesen ist. Den Versaoh, die Antigone-
▼erse MS ff. als echt tmd als Auidrack
stolzer Verachtung der LabdakidentDclitor
gegenüber dem Blut und Geschlechte Kreons
und Himons an erkUren und von hier am
ein neues Licht auf Charakter und Kouflikt
Antigenes xu werfen, bekimpft Corsiea mit
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AoMigen vaA IGtteihnigMi.
479
(icüaden de« Geschmacks und der Methode,
der Saefae und der Logik. Er ■elbtt erklärt
die Verse wieder für unecht und für un-
brAochbar zum Verstäadui« von Stück und
Heldin (ß. 7—16). Wesentlich dagegen flir
dieses yerst&ndnis iet ihm die nturk hervor-
ttetende VoraoMetanog, dals Antigene unter
dem FIndie iliree OiwelileohlM ftehe wid
sdbflt mos blutschänderischer Ehe stamme —
letsteree wohl die grandiose Konzeption des
Aeschjlos, dessen 'Sieben' dem athenischen
Zuschauer einen bedeutsamen Hintergrund
fQr die Sophokleischen Gestalten geben
(S. 15 — 28). Entscheidend sodann für Wirkung
des Stücks und Würdigung des Dichters ist
es. dafs erst Sophokles aua dem Lalidakiden
Üuch di« Konsequenz gezogen hat, nicht nur
die Brüder, sondern auch die Schwester dem
Fluch verfallen zu la;j^('n, i:r:fi! d^!'« tlio
i'hat der Antigoue und damit du- eigent-
liche Fabel des Stücks selber gescliatlVa hat;
•chUefsen doch die thebanischen Heldenlieder
nach Welcker, trota Bethe, mit friedlichen
oder w^Wnilicihen Loiclieiifeieni, tmd dar
letzte SchlufB der 'Sieben', wo Antigene dem
Staatagebot opponiert, muls sp&ier angefügt
Mb <8. 90— 9t).
Wirksamkeit und sittliche Bedeutung
giebt dem Stück, dafs Antigone jenes Fluch-
gewiliiek mit v0l% freier EntaeUiefcoii^ voll«
zieht Antigone ist unschuldig, trotz Hegel
und Böckh, und für Becht und Unschuld
Antigene« eoll ancih das slheiuflche Volk im
Theater bestimmt sich entscheiden Nach
■ttitchem Beoht hätte Kreon den toten Polj-
aeikea Aber die Landeegreose werfen, weiter
aber die Bestattung durch die Anverwandten
nicht hindern dürfen; aber Kreon ist für die
Athener ein Tyrann, ohne Sittlichkeit im
Sinne Antigenes, ein Staataverbrecher, wie
Gopthe sagt; er treibt tein ganzes Land zum
Aufruhr (V. lUhü S.j und lästert schlielülich
die GMttler, zum Entsetzen des gamen
Theaters, um dann jählings in Schwikhe um-
xubchlti^en. Gegen willkürlichen Tjraunen-
willen, für ihre persönliche Pflicht und
mittelbar für das wahre Staatswohl kilmpfl
Antigone; daCs ein solcher Kampf ein ewig
ndunvoller eel, dnvoB aollte daeSMck dieZv-
hrirer flurrh die stärkste fiemiltsersrhütterung
fiberseugeu; Antigones Tod nach freiem £nt-
■eUnfii sollte das Schicksal versöhnen und
«ie verherrlichen Im Grauen vor dem Tode
ist sie menschlich und natürlich; ihre Schroff-
heiten entspringen nns dem sehftrfMen Bm-
pfinden für Hechtsverletzung: sonst leitet
Liebe ihr Bechtegef&hl; in der Äufserung
der Uebe m BImen iet aie vom «tttieber
Bitte gelMMidett (8. 86—67» «1— «7).
Allerdings hält der Chor mit der An-
erkennwig AnÜgonee snrflek, aber er tat
eben eine dramatische, nach Ht-durfnis der
Handlung charakterisierte Person; in der
KlageA?.ene Y. 806 C soll zudem «eine kalte
Gelatsseuheit das Mitleid der Zuschauer zu-
gleich steigern und mAltigen. Auch in den
Chovliedem apridit er niät dea movnKidie
Werturteil des Dichters aus: er reAekÜeri
die Wirkong der Handlung, daneben regu-
liert er die Empfindungen der Zuschauer und
fHllt, wie im engten Stasimon, Zwiieihen-
Zeiten aus (S. 67—61, 67—73).
Aus der theatralischen Handlung empfängt
durch erschütternde GeiiuitsV)ewegungen der
Zuschauer die sittliche Wirkung, jene leben-
dige Überzeugung, daiu tVevelhafler t^ermut
aach des Mächtigsten der Strafe ewiger Ge-
setze verfalle. Es ist eine hohe Dichterseele,
die sich in der Antigone spiegelt; die Verse
905 ff. «inegeln nicht denielben Oeiat wieder
iS. 73—76).
Corssens Schrill ist anregend, wenn auch
nicht iBuner gtuts korrekt geeebrieben, der
Ton der Polemik e\wm hoch Sachlich hat
er gegenüber Kaibel recht, vielleicht nicht
mit der Atheteae der Tetee 906 ff.; vgl.
meine obige Miscelle. Unsicher wie anderswo
auf poetischem Gebiet scheinen mir auch
hier die Ei^ebmaae der Qoellenmitemtebimg,
und wenn si«' sicherer wären, würde für «laa
Verständnis des Kunstwerks wenig ge-
wonnen Bein: dn entaeheidet daa Wie viel
mehr als das Was oder gar das Woher.
Dagegm verliert da« Kunstwerk sehr viel,
wenn seine Teile nicht organisch nnd inte-
grierend sind; das zieht auch Corssen bei
seiner Auffassung der Cborlieder noch an
wenig in Betracht, obwohl er den Chor richtig
als dramatische Person zu verstehen eaeht
(vgl Flcckeiscns .Tahrb 1807 S. 72r>ffv Inder
Würdigung der Heldin ist mir besonders er-
freulich, dafs wieder jemand den Mut hat
für trag^ische Unschuld einzutreten vgl.
Valentin in diesen Jahrb. S. 2i>a Hagegen
•ehdnt ee mir nach den rechtlichen Voraua-
setzungen des Stückes selber uuaOtig und
für die Tragik herabwürdigend, daCs Kreon
daflbr nm so eohleohter gemacht wirdi ioh
bekenne mich zu der Ansicht Hettners, das
Drama sei dann am bedeutendsten, wenn
swei «ieh bekimpfieade Leidenichaften
im Grunde beide gleich berechtigt seien.
Unrecht, von berechtigtem Willen im leiden-
sehaftlicben Eempfe um «ein Reeht be-
gangen, erregt Mitleid: dieses haben die
Athener, hoffe ich, im Theater auch Kreon
gezollt, nnd eie hnbeo eich vidleieht noch
«m Sefalnaee aieht aowobl fon der Bestrafbug
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480
Aanign and lOttaafauigini.
eine« übermütigen Tjmnncii moralisch er-
hoben, als mit einem Menschen ihreiigleicben
mit zerschmettert uud von 'theatralischer'
Sympathie beglückt gefühlt. Jeduufaila irrt
CorsECD, wenn er in betreff theatralischer und
moralischer Wirkung mit Gopthe überein-
zustimmen meint und dabei doch eigestlioh
das Theater zum lütial nad die Moni nun
Zvoek mtrhfc,
Theodok Plcss.
Die KÖNIGSSTANDARTB BEI DEN
FBBSEBN.
Zn der Stelle Xen. Anab I 10, 12: xal
ffvrato hA nß*ii9 AvuttntfUiop bemoikoB
die meisten Herausgober, tlafs nikrTj hier
soviel heüfle wie Speer, und berufen sich
diOiei ftar ISm. Cyrop. YU 1, 4: i^ r
DiMO Erklärung ist den Lexikographen
▼on Stephanus' Thesaurus an bis auf die
Gegenwart so einleuchtend gewesen, daTs
die Wörterbücher im hintersten Winkel des
AstikelB itHtn unter AnfUhrung unserer
Stelle die BcdeutuDg -xHx^ aot d6f9 ob
cnfa| tlifiytirov angcbeu.
Sollte nun Xenopbon, der erfahrene Kriegs-
8chrift«teller, einen ähnlichen Irrtum be-
gangen haben, wie wenn heute in einem
Sehlachtenberiehie elw« Kürafs mit Laase
verwechselt würde, namentlich da sonRt
nirgends in dex griechischen Litteratur ein
BekgfOr jene eenderbeioBegriflBwertatMdhoMg
■eehweishar sein dürfte?
Dies anzunehmen ist schon anderen be-
denktieh eiteUenea, wie die HeUungever^
Bucbe beweisen , die K W Krüger in seiner
Ausgabe anführt: »oAroO statt «Anjs (lieoo-
timrim), M |«b«o« itatt dee GUofNBM hA
^Hov (Hutchinson). Er BelLst Uli an der
Bedeutung itHtq döfiv fest
BcBdet, Annehme eines einrig daetehen-
den Worljjebrauclis, wie eines Yerderbnisses
ist unnötig. Die Erklärong wa unserer Stelle
bietet des beieeante Moeuk 'Alexander-
Schlacht' aus der Casa del Faoao in Pom-
p^i. Obwohl gerade dus KOnigszeichen nicht
nnveitehrt erhalten ist, so bleibt doch seine
Vom deKäUdi genug erkennbar Ein Adler
mit aiisgewpannten Flügeln lieündet sich auf
einem »cliildartig umrandeten, viereckigen
Brett, das an einem Speere unmittelbar unter
der Spitze befestigt ist Ein KrOncben auf
dem Haupte des Vogek bezeichnet ihn als
Abceidhen der KOnigswürde. Demnach be>
deutet hier »Onj mehte «ödere» nie dM
Brett, auf dem der Adler angebracht ist. und
da» Xenophon mit dem kleinen Schilde der
griechischen Leichtbewaffneten vergleicht
Wenn in der angeführten Steile aus der
Kjropädie der Speer ab Fehaenetange für
die Königsstandarte geTiannt ifft, pn g'eschieht
es, wie der Zusammenhang ergiebt {nufijf-
ydiftt Si «a^ßv ayi« ii «r^furovX trdl ba-
tont wird, dafs der Standpunkt de« TTtlniga
im Kampfe weithin sichtbar sein sollte.
Aadi dai OhMeeai in der SteUe: M
li'rlov, das wohl schwerlich gleichbedeutend
sein dürfte mit iitl dÖQutos, beweist, dafs
dem antiken ErkUbtar daseelbe BSld tot-
i^chwebte, dne wir noeb anf jenen Hceaik
besitien.
Ob der hier bektmpfte Irrtum (nüxji mm
86qv} bereits von anderer Seite berichtigt
worden ist, kann ich bei der Uaaulftnglieh-
keit mdaer flüftniiMiel aiiM entedbddfln.
Sollte es der Fall sein, so würde das er-
neute Vorkommen jener Anffaeeong in Lexids
und Schulausgaben nur beweisen, dafs ea
nicht überflüssig 84gan langjährige Mifa-
verätandnisae anoh ein aweitea Mal an Feld«
zu ziehen.
UäMfa FwMMeBaaaa.
DIR ERSTE EKLUüE DES VEBGIL
Der Aufsatz von Paul Jahn: 'Die Art der
Abhängigkeit Vergtb tob Theobtt* (Pvogr. d«o
Kölhiischen Gymn., Berlin 1897, R Gärtner)
hat den Verfaesw veranlalst den Versuch zu
ma^en, ob man nieht eiaea Weg eiaschlageti
kann, auf dem die dicht<>rieche Eigenart
Vergils besser erkannt wird als auf d^ von
Jahn gewählten. Damit aolt kein Vorwarf
gef»eu die Gründlichkeit dic^i r Arl » it er-
hoben werden. Während aber Jahn mehr
dae den beiden Diehtem OemeiBHm« iae
Auge fafst, möchte ich den Blick auf di«
Art und Weis« ricbtoi, wie der Dichter sieh
ton eeiaem Yorbfld befMt Han gewinnt
dann vielleicht den Eindruck, dafs die An-
klänge an Theokrit nicht etwa Armut de«
Dichters an poetischer Gestaltungsfähigkeit
bekunden, sondern die Gabe, B|)ieleBd im
Geiste des Theokrit einen bunten Wechsel
von neuen Bildern zu scbaÜ'en, die den sach-
kundigen Leser stets an das Vorbild ge-
mahnen, aber 7iirrl*^jch zur Ermitteinn? i^r
Verschiedenheit unregen. Denn um etn müh-
sames Zusammentragen der oimietoen ZOgo
aad ihre moeaikartiga ZnaaBuaeaafltMVif
') Vgl. meia Beferait Gyuuwnam, 18M
ITr. 11 8. SM.
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Ausdgai und MittMinngeii.
481
katm 66 sich nicht gut haQde]n. du die
IndividualitSt Vfr^Mls, ilie doch auch in di-n
Eklogen eich offenbart, wesentlich ver-
•düeden ist von der seinet Vorbildes ; Theokrit
erscheint ührigens schon dvirr^ -^firif Eip<^n-
scbaft als Vorbild iu der vortcnhattfreu Be-
leuchtung. Diese IndividualitAt Vergils zu
verstehen int wohl bis zu einem ^'ewiasen
trntd möglich: muo muT» Paul Cauur un-
bedingt znitimnien, wenn er sagt, daTs wir
selten so wie bei Vergil die Gelegenheit
haben, einen Blick in die poetische Werk-
•tttto sn Vtmn. Die folgende Beepredmng
der engten Eklope will natürlich nicht fÖr
eine alle Aufgaben der Interpretation er-
■didpfende Leätnng gelten.
In V. 1 findet sich ein AnVlanp an Theo-
krit XII 8, aber dort handelt es sich um
einen yetgleteh, liier nm eine wiiUiehe
Situation, dort um das f^ehnende Eilen des
Wanderers aus der aeogeuden Olut der
Sonnenstrahlen in den Sdintten, Ider nm
das behagliche, sorglose Avisruhen unter der
Buche. Dabei wird das Adjektivum o%uqi^
stinunnngivoll zn einem trgmen fagi, hinsn
tritt noch das malerische jxittilac ivgl.
Tbeokr. VH 9)« womit der Dichter sein
ftsthetieehes WohlgefaHen an einem schönen
Baume offenbart. Diese Szenerie und der
£riedlich auf Weisen sinnende Hirt geben
ein Bild, da« in wirkungiTollem Kontmat xn
don folgenden .steht Zu beachten ist der
gewfthlte Ausdruck meditaris, der mehr auf
die lilttiere kfinstlcrische Thätigkeit pafst.
Von diewni persönlichen Standpunkt de«
Dichter« aus ist auch gilcestrem Musam für
die niedere Gattung zu verstehen, vielleicht
auch U'}ii*i, wenn ea nicht wie gracili in den
Einleitungfversen Tnr Aeneis sich auf das
Äufserlicbe bezieht. l>ie l'nedücheu Ver-
hältnisse dei Tityrus lassen den Meliboeus
seine Ijage um so schmerzlicher empfinden;
die« ^eigt diu Anapher, das Beiwort dulcta,
das eine Reihe gemütlicher Voratellongen
weckende patriae finfs. wobei fitws den
(regensatz zur Fremde noch s>chü.rft;r hervor-
treten lilkt. Dann tritt der Gegensatz aach
noch metrisch Tage durch die Penthc-
mimeres, das rtcubam mö tegmine erhält
eine AniAlhrnng in Untu» in »mim, Ter* I
in 5, der uns den individuelleren Zug der
Liebe zu AmaiyUis bietet, und zwar in der
gewihliett AnwiradaiweiM des rwoww dioes»
silnts, wodurch gleichzeitig da« l.andschafls-
bild erweitert, abgegrenzt (silvas/ und be-
lebt wird; /bnmiM l&bt daa Ittdeben nicht
nur als schPn. sondeni auch dem Pjirechenden
bekannt erscheinen. — Die Autwort des
Ti^raa bringt nut dem anr Eigenart dei
Ktns «uhiMslMr. t«M. X
röm Dichten gehörigen Pathos') das GefQhl
des Dankes gegen den Wohlthuter zum Aus-
druck, wobei das Beiwort teti^r der stilisti-
■ehen Liebliaberei des l)icht«rB entspricht
und die für ihn liezeichnende gemütliche
Teilnakme an den Dingen bekundet. In den
beiden nächsten Versen schwelgt Tityrus in
dem ßewufstsein des sorglosen Lebens, das
ihm nun gesichert ist. Die Sorglosigkeit
empfinden gewissermaAcn auch die Binder
des Hirten, wie das errare zeigt, welches zu-
gleich einen Zuwach» des Landschafts bilde»
bedeutet, die auf der Wiese dn nnd dort
zerstreuten Tiere Während der Worte
de« Tityrus war Meliboeus in Gedanken mit
der Tergleidinng ihrer beiderseitigBa Lage
beschrtftiij' Das Ergebnis liegt iu dem tum
eguidem tnmdeo, dann geht er zu dem für
eloe nngemrangene WeiterfBhrang dee Ge-
sprächs fruchtbaren miror magis Über, läfst
durch undique totis eqs. die glückliche Lage
des Tl^froa als etwas Yeminadtes ersdienien,
weist auf seine Ziegenherde hin, wodurch
die Szenerie abermals einen Zuwachs erhält.
Dem Streben, durch bdiTidnalirieren die
Situation zu beleben, entsprechen die niichsf en
Verse; sie bewirken, dafs sich unser Mit-
gelBhl mit IfeUboena anch auf £e Tiere
seiner Herde erstreckt, dazu hilft silice in
mda and das Zurücklassen .der Jungen. Ans
dem Vollaleben g^riffen ist der ielbstvor-
wurf wegen des nichtbeachteten Omens. Mit
V. 18 kehrt der Sprechende zu den Worten
des Tityrus zurück und zu seinen eigenen
Gedanken in V. 11. — Bei der Antwort des
Tityrus ist charakteristisch das weite Aus-
holen ; bei dem Gedanken an Auguatus taucht
die Grofsstadt Rom in seiner Erinnerung av^
er gedenkt der Korrektur, die seine Vorstellung
von Rom, die er sich nach Analogie der kleinen
Landstadt gemacht hatte, durch die Wtrit-
lichkeit erfahren hat, wobei V. 20 f. einen
weiteren Zug aus dem Hirtenleben bieten
und die ursprüngliche Ansicht des Tityrus
von Hein durch Vergleiche an« seinem
Wirkungskreis und dem Lüben iu der Natur
illustrieren. Nun wirft Meliboeus die den
Gang der Unterhaltung Rrderndi- Frage auf:
Et quae tanta juit liomam tibi causa vitiendi?
Der Dichter läfst seinen Tityrus ebensowenig
diese FVage direkt beantworten, wie er ihn
oben V. VJ sofort auf die Sache eingeben läfst.
ffierdorch wird das Gespräch natürlicher, in-
dividueller, Tityrus erscheint schärfer charak-
terisiert. Er ist ein Mann, der nach langem
vergebliehen Bemfihen ein Ziel «cteidkt hat.
Vgl. die epische Färbung des Aus-
dmdm araiii wmM< aynnt,
81
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4S2
Aouig&i und Mitteünagen.
wo er fMt schon die HofüiaDg aufgegeben
hatte, and der in seiner Fronde eine fieihe
von Stinunungen, GMOUen und ESndrfleken
kaum bewältigen und ordnen kann. Der
Dichter schafit sich dadurch die Gelegenheit,
eine gröfnere Auswahl intimer Züge aus den
Jftndlichen Leben in sein Gedicht einzufügen :
so das Verhältnis des Tityrus zu der Ge-
liebten, zu der anftpruchsTollen Galatea, für
die vielleicht auch das reliquit charak-
tfiriHtisch ist. vmd n ■■•■r haushälterischen
Ajaiaryllis (vgl. das iiiuij^f noit fuibet), femer
die Sorge für da» jtecuUum , duf. Enrerbeii
der Freiheit als dm dem Unfreien vor-
schwebende Ideal ivou der Nähe oder Feme
dieses Ideals hängt seine Zufriedenheit mit
sich und seiner kleinen Welt ab), schlierslich
der Jubel über die erworbene Freiheit, die
paiheliieh |Mrw>iiiliii«ri wird. Sinnig iet noeh
candidior poFtqitnm tondmti hnrba cadehnt%
man stellt sich unwillkürlich vor, wie sich dem
Ti^rRwl>«i diesem Öfter wiederkelurendeii Vor»
gang HoffnTingslosi)>keif r.vjl Retrarbtunpen
aber seine rasch daidneilead<$n Jalue und ihre
nngenflgeade Benfttning anfdriagten. Aneh
in V. 88 — 86 haben wir • inr |,f>p*t=;rhe indi-
vidualisierende Ausprägung des Gedunkens.
M mi sieht den TH^s, wie er mwigens das
für den V- ; kauf bestinnnte Tier, in der Hoff-
nung auf eine Besserung seiner Lage, aus
dem OehOfke we^rflOnrt, wie ihm der Gedanke
an den Gewinn die Bereitung treiflirhen
Käses für die Bewohner der nächsten Stadt
erieiehtert, obwohl «dne Erwnrlung so oft
schon petäuscht worden war ingrntne]
Man beachte gravi» aert (vgl. Moretum BSX
dns Gewicht nnd die Zahl der geringeren
Münzen entsprechen dem Mafsstab dieses
Handels nnd haben ragleieh fOr den kleinen
Mann etwas imponierendee. Diese 8 Terse
aalen endlich auch das V. 20 f. Angedeutete
weiter aus. — An diese hausbackenen Er-
wägxingen des TitjTus fügt Meliboens ein
sart empfnndcne« Bild aus dem LielieBlelien.
Wie er dazu kommt, ist klar. Der Gedanke
an die Abwesenheit des Tityras und sein
Verhältnis lar AmarjUis erklären ihm das
bis dahin nnverständlichp Gebaren dieser;
er versetzt sich lebhaft in ihre Niihe, erlebt
Im Geiste nochmale ihr Thun unci Treiben
und sagt scherzhaft vor sirh hin: Fi, ei,
Amarylli«, ietxt wird mir manchcB klar.
Dabei Iii Ist ihn der Dichter Aufsetimgen
der die Heimkehr des feraeweilend(>n Ge-
liebten erwartenden Sehnsucht zu einem an-
nrattgen Bild tossBunenfOgen. So stim*
munpsviill dieses an und für sich ist, so
pai'st es doch weniger zur Situation, wenn
man rieh den gealtetten Ti^nu und die
haushälterische Geliebte vergegenwärtigt und
dabei berücksichtigt, dafs es sich nur um
eine knne Trennung nnd keinerlei Liebes-
leid handelt. Vergil hat also über die
durch die Situation gegebenen Grenzen
hin an 8 idealisiert. Übrigens tragen diese
Verse auch dazu bei, die Verwertung der
griechischen Vorbilder durch VerRil 7U be-
leuchten. Als Parallelen erscheinen bei
iiibbeck Theokr IV 12, wo die Herde nach
dem abwesenden Hirten vor Sehnsucht brüllt,
femer Rion I 3"2 und Mosch. III '23, wo die
Natur über den Tod des Adonis und des
Biou klagt; auch an Theokr. m 10 könnte
angeknüpft sein, wo vom Pflücken von
Äpfeln die Rede ist. Dafs Vergil, wenn
diese Stellen ihm rorgeBchweht haben, die
einzelnen Züge umgebildet und zu einem
durchaus «genartigen und selbatändigeD
^ituationsbild vereinigt hat, dürft« ein-
leuchten. Gekünstelt allerdings ist es, wenn
die ganse lüaitiir dte Sehnraeht der Anaiyltis
teilen soll, denn TityruR ist kein Adonis
und AmarylÜB nicht die alles in ihren Bann-
fcMis sieheode Aphrodite. Wir haben also
hier eine von den für Vergil charakterigtischen
ungeschickten Verwertungen griedüscher
Motive, wie sie Paul Caner ('Zan Ver^
HtUndnin der nachahmenden Kunst des
Vergil', £iel 1885) zuaammengestellt hat —
Die Verse des Meliboens knüpfen nur sehem-
bar. rein aufserlich an V Hf) an, g-ehen that-
sächUch auf V. 19 zurück und leiten den
TUttus awangloB cor Beanlwuiiung der
V. 26 gestellten Frage über Die»^ erscheint
als eine Entschuldigung auf den Vorwurf
den er ans den Worten des Meliboens heraus-
hört. Dem römischen Dichter entspricht
dabei der Ausdruck frwmtie» diro»; die
stilistischen Liebhabereien Tergils verraten
sich in bit sems; zum ländlichen Kolorit ge-
hören V. 4ö und 46. Der letzte Vers hat
mit der Erwerbung der Freiheit, die des
Tityrua nach Rom geführt haben soll, nichts
zu thun, er leitet zum Folgenden über, wo
deutlicher auf Vergils Verhältnisse Bezug
genommen wird Der Dichter fülilte otfen-
bar, dafs die Identifizierung Vergil und
TityTOB nicht recht stimmt, daiitjr das
Springende der ganzen I uterhaltung der
beiden Hirten und die Mannigfaltigkeit der
an äich netten Bilder; <sie nolleu den Leser
von der Prüfung des Ganzen ablenken. Gleich-
wohl tiil'Ht sich zwischen V. 40 und 4.^ keim»
feste Brücke schlagen, man würde Titynu
und «Tfo tM mra manehunt V. 46 nicht ver-
stehen, wenn man nicht« von den Beziehungen
de« Gedichtes zu Vergils Lebra wüIste. —
Ott nlelHten Yerw dunkterinerai dnreh
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AiuMi««B und HtttaamigCB.
468
den Mond des Meliboeus daa Landgütchen
dei Titjnw, dtf erkennbare Zfige mit d«m
de« Pichters gemein haben muTs; ob diese
Zäge in die im gaoun Gedicht voraus-
g«Mlito SMBttte lümittpMMo, mag d»hin-
ge^tellt bloibcn. Verpril scheint weniger auf
da« abgerondete Ganze Gewicht gelegt m
haben, alt auf den Wechsel der ^ncelnen
aDniotigen Bilder, die hier wie auch ander-
wärts in den Eklogen nur loee verbanden
nnd. Die BinMlheiten hier berflhren deh
teilwoise mit dem Anschauungskreis der
Geotgica, teils atmen ne ländlichen Flieden
naä Ftoluimi. In V. 61 wftdut mala an* der
Stimmung de» einer ungewiiMB Zukunft ent-
gegengehenden Meliboeus heMu. In Y. M
->56 iafc m beaehten, wie Ttelfeilig der
Dichter die PhantaHie des Lesers iu Anspruch
nimmt: eanet, raucatf gemert beacbftflUgea
dai GehOr, zugleidi wM aber audi dem
Gesichtflsinn etwas geboten, der frondator
nngi oUa tub rtipe {ad amra» kennzeichnet
M reehi seine fröhliche Stimmung), die
Tauben lassen airia ab ulmo ihre Stimme er-
schallen. Ihre Stimme wird zweifach charak-
terinert durch raucae und durch das die
Saiten de« GemSUinSeliwiiignng versetzenda,
bezeichnende» femfr bringt noch nec
ceasabit einen wuiteren Zug iii die Darstel-
lung; vielleic}it soll auch der Singular turfwr
eino Hfdt i;!iii)g für nee gemrrr rf^ttohit haben,-
Tgl. i'salm IUI, 7 1°. Was bedeutet endlich
die wiederholte fortmatB «nec, das wohl
etwa zu V. 28, aber so wenig ni H9
passen ddrfte? Der Dichter hät otieubar
an den Stellen, wo die Bezugnahme auf seine
Verhältuisse deutlicher zu Tage tritt, seine
Persoö um so tiefer in der Maskenhülle
versteckt. Die eine Tbatsache aus dem
Leben (ies Vergil ist die Reise nach Rom
zu Oktavian aus dem bekannten Anlafs. Da
wird der AnlaA verrtecU, und die Persoo
unkenntlich gmiarbt , ein Sklave reist narh
Horn, um die Freiheit zu erlangen, was da-
bei OUanan m thnn bat. bleibt in Duikel
^'"hüllt. Die zweite Thatsache ist die Er-
haltung des Landgutes; wo sie deutlicher zu
Tage tritt, lenkt der jvgendliebe Diebter
von seiner Person ab, dadurch dafs er den
Greis naehdracklich in den Vordergrund
rildrt. Dafs bierin ein ITennig der Kompo*
Hition läfjL', wird iiieniaiul behaujitcn, aVicr
es handelt sich darum, die Unebenheiten zu
verstehen. — Im Gegensatz zu dieeer Partie
tritt in den nun folgenden Worten des
Ti^fras V. QS der politische Interessekrets
des damaligen ROmen xu Tage, und Y. 68
bekundet eine gewisse Verwandtschaft der
Auffassung mit Aen. I 720: pmUatim abokre
Sychaeum incipit. — Iu der nächsten Gruppe
von Yersen verrät sich die Vorliebe dee
Dichters für Hyperbolin lic> und seine De
lehrsamkeit; vgl. V. 6& ru/miiMw creta«. Dana
reieben rieb in der troeUoien Gegenwart dee
Meliboeus Zukunft und Vergangenheit die
Hand. Denn der Gedanke an seine bevor-
atebenden Irrfdirten dringt ibm die Frage
auf: Werde ich mein altes Heim so wieder
sehen? Dabei veranschaulicht Umgo post
Umftire da« Sdmen, da« ibn in der Feme
nicht verlassen wird, ferner mineht sich ein,
man möchte sagen selbstloses Interesse dee
Xdäxieai an seiner Heimat ein, wenn er
an die Folgen der neuen Vcrhältniase denkt,
wobei gewissexmalsen der Freund der itali-
idienldlndwirlflefaaA das gegenw&rtige System
verurteilt uud auf die Ursache, die (ii.icordia
ci'riwm, hinweist. V. 74 ff, sind der schönen
Vergangenheit gewidmet quottdam
peeu$, tum ego pogfhae). Eine Vergleichung
von V 75—77 mitTheokr 1 116, III 1, Vm65
£<>igOQ, wie Vergil Züge aus drei verschie-
den«A SitaationeB an einer aenea Situation
mit eigener Stimmung zusammengeschlnngen
hat, wobei nodi viridi, damnosa, pendere und
froiaU indiridnelle Flibnag bieten und car-
mina nuUa canam sogar g^ensützlich zu
Theokr. VIII 66 erscheint. UbrigeuB bietet
die ganze Versgruppe zugleich ein in den
verschiedenen Einzelheiten hervortretendes
besonderes Naturbild. — Im Gegeusutz zur
venweiftlten Stimmung des Meliboeus atmen
— ein passender Abüchlnfs der Ekloge —
die letzten Verse den idjilischen Frieden
zufriedenstellender VerbUtniase and abend-
licher Nfitiir S'ionma procul villarum cul-
iNsaa f'umatU bringt eine Art Perspektive in
daa Landscbaflabild, und die Worte awsertegife
cnduyit (litis de froniibut umhrne fSgen den
letzten Strich zur Szenerie, die während des
Geepirftdw der ffirten dnrob da« Forlaebreiten
der Zeit eine veränderte Beleuchtung auf-
weist. Die ikxuguahme auf d«i Schatten
aebeint aneih eine Liebbabarei de« Diditeie
gewesen zu tieiu, vt;l : nox umhr " tfi'iijna
inoolvens taram Aen. II 261, umbra cara
dremimcial neee Aen. n 860, wn^ irüH
cireuiHvalnt fio.r .Aen VI 867, umhru ohkxitur
eodim Aen. XI 6ll, umbris orbem dividit
Georg. T 909. Am meisten berfibren rieh mit
iin<<t'rer Rtellc Ekl II 67: crrxcfntes umhras
dupUcat $oI {Vgl Culex 203) und Aen. I 607 :
umbrae nwmtibut eonvexa hutrabwmt.
Diese Zeilen sollen nicht zur fTierschätzung
Vergils fahren, aber doch zu liebevollem
Prfifen eeiner diditeriicben Eigenart.
GsoBO lau.
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4
484 Anseigeo und Mitteiloiigm.
(iuK'IHK.S FANIJUKA.
Die die^ährige ^13.), am 4. Juni in Weimar
•bf^attene G«Mn)f«i«uainliiag der GKietlM-
OpsellHchiifk empfiog ihren Hcbönsten Inhalt
dorcb einen Festvorirag, den ü. v. Wila-
mowita-llAllQiidorff Uber Goethes Pan-
dora hielt. Dr-r Redner pab im Zoitraiim
einer kurzen Stunde ein Meisterstück philo-
logiadier Interpratatioii and DtTination, in^
dem er das schwieri^^c Bnichstuck nym-
boliachea Gedichtes unter Zuhilfenahme de«
nur aadentend «künnerten Schema« der Port»
Hetzung mit aiischaulirhi'r Schürfe anuly-
aiette und die tiefen Grundgedanken de«
Oaiuen an enirttieln unternahm. Er lehnte
e« ab, auf Motive iiml EitiflüsHi' ])or»önlicb<'r
Art einzogehen, denen nachzuforschen auch
diese Diditang Goethes Yeranlassung ge>
geben hat, in der Überzeugung, dafs solche
Fragen 'überhaupt zwar für die psycho-
logische Analyse, wie der Dichter «ur Kon-
zeption seiner Gestalten kommt, äufserst
wichtig, für die Erklärung des Kunstwerks
fast ganz ohne Belang sind'. Dagegen be-
gann er mit einer Übersicht des Dramas, die
die Absicht«!! di s Dichfor« darlegte und die
kargen KotiMu des .Schern)«» in überraschen-
der Weise vor den Hörem zum Leben er-
wrrlitc Dil' v<ir^('frii;jt»ne AuffasBunj^ beruht,
wie t;«j lüe Philologie fordert, auf genauer
Einzelerkläniti^' üiit umfassender Bcnlck-
sichlij/üiit,' des dem Dichter vorliegenden
Stoffes und der Verhilltnisse, aus denen und
fttr die er geschaffen hat. 'Man erkennt
wohl', sagt« der Redner, 'dafs Goethe nach
dem ersten Schritte zur menschlichen Kultur,
den der Feaemnb des Prometheus bezeichnet,
einen zweiten vorführt, der Kunst nnd Wifsrn-
schaft auf die Erde bringt. Man begreift,
dafr «r neben die Titanen (Promethens vnd
Ejiimefheusi eine 7w<^ito. cnipflln>rliehcre
Generation stellen mulste, für die er sich
da« Paar der Kinder (FhQeros und Epimeleia)
erfaDclV \hn- waa lu-ileutt.' des nühtMvn die
vom Himmel herab sich senkende heilige
Lade (Kypsele) mit den Dftmonen von Kunst
und WissciiHihaft, was die Wiedcrlciinft Pan-
doras mit dem Ölbaum, der 'Moria' de«
Schemas f Wie hSmie den Hensolien Wissen
und KuüHt . als deren priesterliche flüter
das vereinigte Paar Phileros und Epimeleia
eingesetzt werden, plOtaHeh vom EBnunel
fallen?
Zur Aufhellung dieser Fragen sog Wik-
tnowtta die von Goethe ftos d«i Attertan
übemomrapneii M- ti-.e heran: anfser J<'r
Pandorasage bei Hesiod und dem Prometheu«-
mythos im Platooisdieii Ptotagoras vor allem
die Tliatsaclii'n , dafs anf dem GnmdBtücke
der Akademie in Athen Altäre des Prome-
theus und des Bros standen, ebenso der eitle
Ableger des heiligen ÖIbaum.< von iler Biir>:
'Die CUitierdienste auf der Akademie lieieneB
Goethen in dem Ölbaum, den Pandoi« bringt,
ein wiinilerbares, hinimli.-^cheH Symbol und
zugleich den Ausdruck für die Yersfihnung
des Prometheus. Die Akademie Flstons so
der Stätte des Prometheus und des Ero«
lieferte ihm den fOi seine ganze Erfindnog
entscheidenden CMankan, daTs die Wieder
kunfl Pandoras den Menschen zur sorgenden
und liebenden Arbeit an den idealen Guten
Wissenschaft und Kunst erhoben habe.' Die
Dichtang Ulk bald nach dem Tilsiter Friodea
begonnen worden. 'In einem zerträmmert«ii
Staate, von dem er sich mit bewufstem
Widerwillen abwandte, hat einst Piaton seine
.\kaileiuie ^'Pirrnndet, auch ein Reich, da«
nielit von dieser Welt war In die Trümmer
dm deutschen Reiches führt Goethe die Lad«
Pandoras herab' 'Er bewies sich auch
hier der Lehrer seines Volkes, indeui er
den Verlust menschlich und männlich flbei^
nahm und den Weg in Regionen wies, wo
das Gegenwärtige, Momentane, Räumlich-
beschi^nkte vcrblafst und verschwindet vor
dem Ewig-en ' Was ist also Pandora. uini
wodurch sind die Menschen befähigt, tidJ>
PrtestertnmderLade su fibemdmienT fchillen
Ideal vergleichbar — «o nnj^efilbr lantete die
Antwort — ist sie 'die Form in unscnu Geist',
und vrenn die I^be lor evrigen SchSnlieH
und die hin^jebende Kraft, Ver^ant!;eno* in ein
Bild zu wandeln, wenn Phileros und Epimeleia
sich finden, dann ist die H eoaehheit teif fltr
den Dienst der Idee, die sich am reinst«
in Kunst und Wissenschaft offenbart —
Wie der auch formell voUendete VortMg
siehtlich einen tiefen Eindruck in der 'ab!
reicheil Versammlung hinterliefSf so mufs er
mal jeden eiihftuli<£ wirken, der ihn im
XDC. Band« des GoetheJahrbudit leMn wild.
Berichtigungen.
8. 806 Z. 12 V. u. 1. Tyrwhitt statt Tyrrwhitt.
S. 860 Z. 8 1. Virginiua statt Appius Claudius.
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Stl'dkiczka Dio Siegesgöttin.
Tufci n
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Studniczka, Die Siegesgöttin.
Fig. l.s \ Oll ciiit-iii klu/.<'iiit'Uisclit'ii Sarkojiliag iiu lintibh Miif^eum.
Tttlel III
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Stuumiczka, Die Siegesgöttin.
L
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Tafel IV
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Stl'oxiczka, Die Siogesgüttin.
Marmorstatue «Iw
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Stvdxiczka, Die Siegespfttttin.
'I'afel VII
Stl'omiczka, Die Sit^gesgöttin
Tafel Vm
Stiuxivzka, Die SiegeHgöttin.
Tafel IX
flg. 39 Vom PaHbenoofirieB. FIl' ii Fi^r 4-j
Mün/.o vuii l'uriiiu. Müuze vuii Klis.
Fig. 48 Vasenbild in Oxford.
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STunxlf'ZKA. Die Siefjesgöttin.
V'm. 44 Vaseiibild im HritiHh MiiHeuni
Fij^. J7 i hi-iiien Vilsen i>i Iii in Uxlnril
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T»fel X
Fig. 6S Mamorrelief in Mdnehen.
osiczKA, Die SiegCHgöttin.
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Tafel XI
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Stcdmicika, Die Siepe»göttin.
Tafel XII
JAHRGANG 1898. ERSTK ABTKILUNO ACHTES HEFT.
SPRACHWISSENSCHAFT UND GESCHICHTE.
Akadomische Antrittsvorlesung.
Von Hermann Hirt.
So sehr sich auch im Laufe unseres Jahrhunderts der Betrieb aller Wissen-
schaften spezialisiert hat, wie viele neue Stämme gepflanzt und emporgeblüht
sind, HO bleibt doch die Wissenschaft ein Ganzes, und ihre Teile hängen mehr
oder minder unter einander zusammen. Jede Wissenschaft hat zunächst Nachbar-
gebiete, mit denen sie in engeren Beziehungen steht und auf die sie manch-
mal hinübergreifen mufs. Es ist für jeden verlockend, der den Blick nicht
starr auf einzelne Punkte gerichtet hat, sondern bei allen Einzelheiten des
Studiums den Blick in das Weitere nicht verlieren möchte, es ist für einen
Sprachforscher, dessen Arbeit zum Teil enge Beschränkung fordert und dessen
Wissenschaft verhältnismäfsig fest in sich geschlossen ist, besonders verlockend,
bei einer Gelegenheit, wie sie diese Stunde bietet, die Gedanken hinausschweifen
zu lassen zu dem, was uns mit anderen Wissenschaften verbindet. Üie indo-
germanische Sprachwissenschaft steht noch im Anfang ihrer Thätigkeit. Sie
ist, wie 80 viele andere Disziplinen, ein Kind dieses Jahrhunderts und daher
noch auf mühevollste Detailarbeit angewiesen. Sie ist eine Tochter der Philo-
logie, und aus den Philologen gehen naturnotwendig ihre Vertreter hervor.
Der Philologie kommt, indem sie den grammatischen Bau der alten und neuen
Sprachen untersucht und ihre Herkunft erschlossen hat, ihre Hauptthätigkeit
zu gute, und wenn auch die Mutter das manchmal etwas wilde, ungebärdige
Kind oft nicht gern sieht, ganz verleugnen kann sie es doch nicht. Das Ver-
hältnis der Sprachwissenschaft zur Philologie hat vor vielen Jahren Brugmann
behandelt*), und da ich mit seinen Anschauungen im wesentlichen überein
stimme, lassen wir diese Krage hier unberührt.
Der älteren Sprachwissenschaft, namentlich ihrem Begründer, Franz Bopp,
lag indessen das rein Philologische ferner. Sein Hauptgedanke, sein eigent-
liches Ziel war es, dem Interessenkreis seiner Zeit entsprechend, mit Hilfe der
Sprache in die Anfänge des menschlichen Geistes und der menschlichen Sprach-
bildung einzudringen. Wenn auch diese Versuche vorläufig aus begreiflichen
Gründen gescheitert sind, so kann doch zweifellos die Sprachwissenschaft der
Psychologie mehr Hilfe leisten, als sie bisher thut. Denn die Sprache ist ein
Produkt des menschlichen Geistes und gerade nach der psychologischen Seite
') Zum heuti(^n Stand der SpracbwisflenHchaft. Sprach wisaenacbafl und Philologie.
Eine akademische Antrittsvorlesung.
2(«ae JahrbOolier. IH'JB. I. 32
486
H. Hirt: SpnwInrisMawhaA «ad Q«achidite.
Tou bedeutendem Wert. Ohne Uie Sprache, so ist schon oft gesagt, könnte
der Mmaeh nicht di« Steihmg in ifer Natur einnehmen, die et heute besitzt,
und das Spradileben giebt uns über eine Reihe peycholc^iacher Fregen nchere
und eigentflmliche AuBkonfit leh erinnere nur an die eigentSmlichen Spradi-
etSrongen, Aphasie u. s. w., und die cahlreichen pe^chologischen Yorgange, die
sieb beim Sprechen abspielen.
Aufser zur Philologie und Psychologie steht indessen die indogermanisclie
Sprachwissenschaft noch zur Gescbithtf» in (^Ti^at*»r und in mehr als einer Be-
zuhung. Dieses Thema zu erörtern drängt es mich um ho mehr, als sich
meine Arbeit*?n in der letzten Zeit auf diesem Orenz^ehi» t bewejjfen und ich
einst von der Geschichte ausging, aber alsbald von der Sprachwissenscliült ge-
fiagen genonunen wurde.
Wir dUifen sagen, dab den Historiker bei dem lebhaften Kampf, der uia
die Prinaipira der Geeehichte entbrannt ist, in erster Linie die Metbode der
Spradhwiasenschaft interessieren mufs. Eines der ersten Worte, die dem Jfii^
der Sprachwissenschaft in den Hörsälen entgegenscballen, ist das Wort 'Laut-
gesetz'. 'Verändenmgen der Sprache gesohehen nach ansnahmalosen GeHitzt-n'
war das Prinzip, mit dem die 'Junggrammatiker'*) vor einigen 2(1 Jahren
die Methode und Ergebnisse unserer TliiitiiAeit von Grund aus umgestaltet
haben. Man hat seitdem viel über den Begriti des Lautgesetzes gestntteu, und
es ist zweifellos darunter kein juristisches Gesetz, keine Norm und ebenso-
wenig ein Gesetz, wie es die Naturwissenschaften feststellen, zu verstehen. Es
will vielmehr weiter nidits besagen als dieses: Wenn sieb ein lAat in einem
Worte inneihalb dner Gemeinschaft von Menschen Terwandelt, so gescbidit
dies in allen Übrigen Worten gleichfalls, bUs nicht besondere Umstände, be-
sondere Ursachen es verhindern. Die Lantyerandenmgen gehen mit Regel-
mäfsigkeit vor sich. So sehr nun anch das Wort 'Lautgesetz* des Nimbus
entkleidet ist, der es früher umgab, ein wesentlicher Punkt bleibt bestehen. Es
will besagen, dafs in der Spracheutwickelung das Geset7 der Kausalität un-
bedingte (ieltunir hat. Und dieser Gedanke, der sich in den sieben/it^er .Tahren
durchraii^r^ ist um benu-rkenswerter, als es sieh bei der SpraiiiWiriSinsi:haft
nicht um eine Natur-, sondern um eine Geisteswissenschaft handelt.-; Die
Sprache ist dne Funktion des Hensdien, sie ist an ihn gebunden und kann
sich nur mit ihm, in der Ocmeinschaft der Mensehen erhalten. Sie steht mit
den Ssthetisdiett, religiösen, socialen Eigenschaften des Menadien gana auf
einer Linie, und wir sind stola darauf, in unserer Wissenschaft auwst erksont
zu haben, d^S die Entwickelung der Sprache, die wir anscheinend so frei hand-
haben, Ton dem bewulsten £inflnis des Menschen nnabhangig is^ dals hier die
') mt venia verbo. Die Uezeichuung bat ihre itedeuUamkeit beute verloreo, da die
Hetbode in nnaerer WiMenschaft QbeiuU ein und dieselbe ist. Hente wird daher anch
der Name auf Hehr verschiedene Leute angewandt. Aber für die damalige Zeit war er tut
eine gt'wiPrit' .\ii7ahl von For^chprn tirfrliränkl
*) Die Versuche Scbleichcrs, die Sprachwisseaschafl zu den NafcorwisseoscliaAea
rechnen, und ab geielieitrai anmMehen.
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H, Hirt; SpnchwiiMiiichaft tmd Geachichto.
487
GemeinBohaft aUee und die eüuselne Penönlidikeit nichts ist Alle Versuche^
die Sprache su reglnneiitieren, sind im weoentlichffli milalniigeii, und nnr da^
wo mit der Schrift ein neues, eigent&mlieheB Moment in die Sprache ein-
gelbhrt ist, zeigt sich der EinfluTs hervorragender Geister. Aber unsere Schrift
Sprache ist kein natürliches Gewächs. Sie tragt ihren Namen mit Hecht. Sie
ist eine Sprache, die sieh im wesentlichen auf der Schrift aufhaut, div von der
grofson Mohrzahl nnsert-s Volkes erst mühevoll p;pleint wird; und darum kann
sie uns die üruiidgeseta« der Sprachentwic-keluag nicht lehren. Aber seihst
die bedeutendsten Geister, die grölsten Meister unserer Sprache sind wieder
nnr Produkte der Sprachgemeinschaft and arbeiten mit dem Stoff, den
Generationett tot ihnen geprägt and ihnen ftberliefert haben. Es wäre Ter-
lochend, heute, wo der Streit um die Pnnsipien der OeschiehtswissenBChaft
weite Kreise berOhrt, auasuf&hran, was die Geschidite in ihm- Methode roa
der Sprachwissenschaft lernen könnte. Doch habe ich mir heute dies nicht
als Aufgabe gesetzt, sondern ich moclite das Gebiet behandeln, auf dem wir
anaererseits etwas für die Geschichte leisten können.
Jacob Grimm (Geschichte der deutsehen Sprache XIII) hat die Sinache
znr Hilfe fiir die Geschichte herangerufen mit den schönen Worten, die auch
mir aus der Set le tresprochen sind: 'Sprachforschung, der ieli anhänge und von
der ich ausgehe, hat mich doch nie in der Weise befriedigen köiaiea, dal» ich
nifsht immer gern Ton den Wörtern an den Sachen gelangt wäre; ich wollte
nicht blols Bftoaer haaeo, sondern auch darin wohnen. Mir kam es ▼»rsnchenB-
wert Tor, ob nicht der Geechichte nnseres Volhea das Bett von der Spradie
her süiher anfgeeehfittelt werden kdnntey und, wie bei Etymologien inaii<Jwnftl
Laienkenntnis fruchtet, umgekehrt auch die Geschichte aus dem unschuldigeren
Standpunkt der Sprache Gewinn entnehmen sollte.' Aber wenn Jacob Grimm
neben Adalbert Kuhn als der eigentliche Rigrüiuler der 'linguistischen Paläon-
tologie' betnichtet werden mufs, so geht doch der Grundgedanke, die Ver
Wendung der Spniche zu hi.storischen Zwecken, viel weiter zurück. Audi hier
hat LeibnizeuH grofser Genius, weit vorausschauend, Hichtiges erstrebt und
manches geahnt, was spätere Zeiten erfQUt haben. In seiner 'Brevis designatio
meditationum de originibus gentium ductis potissimum ex indicio lingoarum'
hat er in der Etymologie und Spradiveri^eichung ein Hilfsmittel ftr die
gasebiehtliche Forsdinng erkannt, das weiter zarOckftthrt als irgmd ein anderes.
Ich kann Ihnen hier nicht — mit Rflcksiqht auf die beschrankte Zeit —
die Entwicklung dieses Zweiges der Sprachwissenschaft vorführen, eine Ent-
wickelung, die reich ist an Irrtümern und Fehlem, reich ulier auch an Erfolgen,
ich nuifs mich vielmehr darauf beschränken, das bis jet/.t Erreichte \ind noch
Erreichbare nebst den W egen, die zu unserem Ziel führen, kurz zu skizzieren.
Die Entdeckung <le8 Zusammenhanges der indogermanischen Spraelieu. die
iiekcjustruktion einer Ursprache, war allein schon eine That von einschneidender
geschichtlicher Bedeutung. Die Vorstellungen, die das Altertum, die noch daa
vorige Jahrhundert Ton der Herkunft der europaisohen Völker hatte, waren
damit teils Tdllig Temichtet, teils auf eine sichm, solide Bunn gesteUi Die
SS*
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488
H. Uiri: Sprachwissenncbatlt uad Geeehichte.
Spnwhe Terkündet uns volkergeacliiditlidie Zufiammenhilnge, WO sie sonst
kein menachlj« h« s Au^ü erkennen würde, und sie richtet Trennangsscbnuiken
auf, wo alles gkitlifiirmig erscheint. Sie ist auf diesem Gebiet neben den
Nachriclitiii der Alt^n die Führeriu gewesen und geblieben, obwohl andere
Wissensc'hal'reii vprsiicht haben, ihr den Rang streitig tu machen. Auch die
Anthropologie liat i s v« rsticht, die H<^rknnft der eur()])iiiselien Volker zu be-
stiranien und int dabei zu wesentlich uudereu Ergebnissen gekommen als die
Sprachwiweiuduift. Wir haben längst eingeselien, daüs man anf unserer Seite
oft in jugendlicher Kfihnheit viel an weit gegangen ist, dafs Sprachgcmein-
sehaft nicht Bassengemeinschaft beding!^ dafs wir awar von einer indogennani-
sehen Sprache und einem arischen Volke, aber nie und nimmermehr von einer
indogermanischen Hnsse reden dürfen. Sprachen werden von Volk zu Volk
Obertragen, die Kelten haben Lateinisch, slavische Stamme haben Deutsch ge-
lernt luul sind dadurch zu Romanen und Deutschen geworden; Spraehen bilden
daher kein niitrihjlicbes Merkmal von der Herkunft der \'ölker. Aber gemein-
same und gleiche ►Sprache ist noch heute die notwendige Vurbi dingung für die
Entstehung gröfserer stiüitlicher Gebilde, ganz abgesehen davon, dafs eine
SprachUbertragung, mit der wir es, wo wir verwandte Sprachen antreffen, zum
mindesten su tfaun haben, immer ein geschichtliches Ereignis ist^ das notwendig
unsere Aufmerksamkeit auf sich zidien mnlis. Die Anthropologie sndit gegen-
über unseren Aufgaben die Herkunft und die Verbreitung der Rassen fest-
zustellen. Ihr Ziel kann sie im bescheidensten Um&ng nur erreidien, wenn
es ihr gelingt, verh'altnismüfsig reine Rassen naehauWeisen. Aber ob es solche
je gegeben hat, je in historischen Zeiten gegeben, das dürfte einigerniafsen
zweifelhaft sein. Mehr noeli als in hi?itorisehen «ind die Völker in prä-
historischen Zeiten <^< \viin(lert. Je leichter die Habe war, die der primitive
Mensch in Europa hatt<", um so eher war auch die Möglichkeit der Auswaude-
r\mg gegeben, und wir können gerade au der Hand der Sprache verfolgen,
welche ungeheure VolkerrerBchiebungen im Laufe der Zeiten in Europa statt-
gefiinden haben. Von Tielen giebt ja die Geschichte selbst Kunde, aber Ton
der grofsen indogermanischen Wanderung schweigt sie, und hier tritt die
Sprache als hilfsbereite Dienmn ein, die sichre Auskunft giebt
Auch die prähistorischen Funde, uralte Zeugen der menschlichen Tbätig-
kett, sagen so gnt wie nichts über die Wanderungen der Völker in jenen Zeiten
aus. Da, wo zweifellos ein Wechsel der Bevölkerung stattgefunden hat, bleiben
sich die Funde gh iih. und wo die Bevölkerung stabil geblieben, tritt oft eine
Umwandelung der Ivultur rin. Mit den gröfsten Schwieriiikeiten ist es daher
verhunden, ein bestimmtes (lehiet prähistorischer Kunde einem historischen
Volke z,uzuschreiben. Selbst ein so eingehender Versuch, wie der Wolfgang
Uelbigs ^) war, die Bewohner der oberitaliscben Terramare fQr Italiker, d, h.
für die Vorfikhren der Umbrer-Samniten und Latiner au erklären, wird von
Eduard Meyer*) abgelehnt und dttrfte in der Tbat sehr unsicher sein. Ebenso-
'} Di« Italiker b der Poebene. Beiträge zur altitaÜKhen Kultur- und Konaitgeicluckte.
*} GeBckicfate dei Altettnma n A06.
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H. Hirt: 8prar]iwiMi«nf!c1iftft ond OMctiichte.
489
wenig finden wir in den Üborresh'n tln Schweizer Pfahlbaut<?n den geringsten
Anhalt, um die ethnologische Stellung ihrer Rpwohncr zti ermitteln. M Sobald
wir aber deutbare sprachliche Urkunden besitzen, kommen wir meist zu gröljserer
Klarheit über die Stellung und die Herkunft der Völker. •
Sprachliche Urkunden können »ehr verachiedener Art sein, und die Wichtig-
keit des GegenstMidm bedingt es, dab wir auch an den kleinsten nidit vorQber-
gehen dfirfen. Sehr günstig liegt es für unsere Aufgabe, wenn wir es mit
Sprachdenkmälern insehriftlidier oder litterarischer Überlieferung sn tfann haben,
oder wenn die betreffenden Sprachen noch leben. So gering andi die urkund-
lichen Reste des Phijgischen, Thrakisehen, Venetiscben, Hessapischen sind, so
genügten sie doch, um den indogermanischen Ursprung dieser Dialekte zu
sichern. Ain r oft ^enu<; fehlt uns dies !illt»s, und wir müssen uns an Mofse
Namen halten. Namen von l'i rsoiuMi. Orten. l''liisscn, Viilkrrn. die bei den alten
Schriftstellern iUierliefert sind uder l)is heute den VVechf^el der Zeiten über-
dauert haben. So t>eschränkt und unsicher dieses Mat^^rial zu nein scheint, so
verdanken wir ihm doch schon glanaende Ergebnisse. Ich erinnere z. B. an
MQllenhoffs Feststellung der alten Keltengrense in Dentschlaad. Vornehmlich
ans den Flnfsnamen hat dieser Forscher den Nachweis gefllhrt^ dals der gröfste
TmI des heutigen DeutsoUanda, mit Ausnahme der norddeutschen Tiefebene
TOD der Weser an nach Osten, einst von Kelten besiedelt war. Fast alle
unsere gröfserm Flüsse, die zum Rhein und zur Donau strömen, tragen nebst
diesen Strömen selbst keltische Namen und zeugen dafür, dafs die deutsche
Sprache sich zum guten Teil atif stammfrerndeTn Boden entwickelt hat. Und
welche Spuren hat die slaviselie Siedeluiif; hier in unserer nächsten Leipziger
Umgebunp; in Ort^««- und Flnlsnamen hiat^rlussen. Die ursprüngliche Ver-
breitung der Ligurer, lljerer und anderer Völker läfst sieh nur an der Hand
der Namen feststellen.
So Tiel auch auf diesem Gebiete und in diesen Fragen sdion gearbeitet
ist, so stehen wir dodi im wesentlichen noch im Anfimg einer ^tematischen
Tfaitigkeii Hüllenhoff hat sein Werk nur begonnen, nicht su Ende geführt^
und wenig Nachfolger ^'efnnden.
Das Namenmaterial, imf das wir uns oft genug stützen müssen, hat nidit
in allen seinen Arten den «^deiehen Wert. Fhefsen die IVrsnpennamen zumeist
am reichhaltigsten, sn darf man doch bei ihrer Bewertung nicht verpesten, dafs
sie keine puiz lantere (^u« lle smd. Die uns Oberlieferten gehören nuturgemäis
den otjereü, hcrrüchendeu Stiiichteu an, und es kann neben ihnen noch ein
ganz anderes Volkselement bestanden haben, von dem wir keine Kunde be-
■itaen. Die Namen der Russen in den Vertrügen, die sie mit Bysanz ab-
gesehloMon haben, sind durchweg skandinavischen Ursprungs; trotsdem bestand
neben dieser Herrscherklasse das einheimische Slaventum fort und gelangte
nach wenigen Generationen zur Herraehaft. Heute sengen noch Namm wie
Vi Auch den Ausfflbninf^n Kret«c-hmcra, Einleitang in die Geschicliie der giisdaitobeD
Sprache 8. 174 ff., ist «teraelbe Zweifel entgogenzosetMa.
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490
H. Hirt: 8pTaehwi«8eii«chaft und Qeicbiclilie.
Olga (aus skarul TTolgH^ Oleg (aus Hp1fri\ Igor fan« Tngvarr), Vladimir
von der fkandinavischen Invasion, die an Zahl der Köpfe jedenfalls nicht nn
bedfiitfiid gewesen ist. Gleiches für die Skythen vorauszusetzen geht sthr
wüW aji. Ortsnamen weisen dagegen eher auf die ältere Bevölkerung, und am
meisten thun dies die Namen der grölseren Flfisse, die z. B. auch in Amerika
von den etiihdmiaclim Induuiern Abemomineii und und nodi Ton deren
Spraebe zeogen werden, wenn die lotste Boihant ins Grab gesnnlnn iet.
Wran wir heute aneere Krantnis auf Grund der TereeUedeoen Kriterien
ttbnrblicken, so können wir bis jetzt schon sechs grofse, von Grund aus ver-
schiedene Spriichstömine in Europa nachweisen. Denkbar wäre es, dafs neae^
reichlichere Quellen an Stelle der bisherigen dürftigen es uns ermöglichten,
den engeren ZnsammcTihang von einigen von diesen noch nachzuweisen. Sehr
wahrscheinlich will mir dies nicht erfclieiiu n, sondern ch ist viel eher zu er-
warU^n, dafs wir uoeh weitere Sf^nielifaniilien eiitdeeken. Die Zeit^tn, in denen
man jede Sprache Europan für indogermanisch zu erklären sich bemüht hat,
sind hoffentlich vorüber. Europa zeigt auf engstem Räume die meisten Völker-
individuen, es wird auch seit alten Zeiten sehr TetBcfaiedene Sprachen be-
herbergt haben.
In der Pyreid&enhaibinflel, um mit dem äufiaerstM Westen au beginnen,
finden wir die iberische Spradbe, von der sich wahrscheinlich Rest-e im heutigen
Baskischen erhalten haben. Natürlich können auch in Spanien einst noeh mehr
grundverschiedene Sprachen bestan<len Imbon, wie dies in Hinbliek auf die Ver-
hältnisse anderer (regenden eigentlich nur zu erwarten ist. Man hedenke, dafs
in Italien Liguriseh, (Jallisch, Venetisch, Messaj)iscb und Italisi-h. viidleicht
auch noch mehr Sprachen vorhanden wnren. \'urliiufig fehlt uns aber zu dieser
Annahme jeglicher Anhalt. Das Baskiscbc zeigt einen von allen übrigen
Sprachen eigentümlich abweichenden Bau, der es völlig isoliert »scheinen
lÜsi Alle Versuchs^ das Baskiseh-Iberiscfae mit den nordafrikanischen Sprachen
SU Termittebi, sind bisher gescheitert Doch sind diese Versndie mit so un-
Huschenden Mitteln unternommen, dafs in dieser Frage noch nichts eni-
schieden ist» Eine Anzahl ähnlicher topographischer Namen, die sich in
Spanien finden und in Nordafrika wiederkehren, macht es wenigstens wahr-
scheinlich, dals auch an dieser Stolle das Meer keine Trennung^fcheide ge-
wesen ist und keinen Stiilstand in den Wanderungen zu bewirken vermocht
hat Von einer Verwandtschaft dieser Gruppe mit den übrigen europäischen
Sprachen ist keine Spur zu entdecken.
An den iberischen schliefst sich der grolse ligurische Spracbstamm. Er
ist in den historisdien Zeiten auf ein kleines Gebiet am sinns Lignstieua be-
schränkt, aber seine Ausdehnung scheint gröfiwr gewesen an sein, als wir auch
nur ahnen können. Die Westkflste Italiens hatte er sichw inne, und wahr-
scheinlich den grofsten Teil Galliens. Die Grenzen seiner einstigen Verhreitung
sind ebensowenig zu bestimmen, wie die Stellung der Sprache, die uns nur
BUS Orts- und Personennamen und wenigen Glossen bekannt ist Man hat sie
für indogermanisch erklärt, wofür indessen kein ausreichender Grund vorliegt.
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H. üiii: Sprachwissenschaft uod Geschichte.
491
Ich adiUefie mich denen an, die darin einen Belbetandigen Spndistunm eelisii,
der auch mit dem iberischen oder etruskiechen aehwerlidi irgendwie zusammen-
faSngt. Hoffentlich bringt weitere Untersuchung gröfscro Sichprhfiit in dieser
Frage als zur Zeit zu haben möglich ist. Auch das rätselhaft«^ Etruskische,
das nunmehr in Italien folgt, hat man dem Indogermanischen zuzurechnrii ver-
micbt. Seit Corsscn ist es ja in diewr Frage ni*' still geworden. Aber wir
besitzen völlig ausreichenden Gruud, um jener Ansicht entgegenzutreten. Die
Zahlen auf den beiden etruskischen Würfeln sind das sicherste Denkmal dieses
Spraehzweiges. Wie man «e auch anordnen mi^^ niMnals lauen eie rieh mit
denen unseres Sprachkxeises Terainigen, und dunit ist dieses Ph>blem erledigt
Denn es giebt keine indogermamsche ^radie, die alle ihre Zahlworte entlehnt
hftffte. Zahlen gehdrm rielmehr an den Worten, die die Sprachen am treuesten
festhalten. Aufserdem sind ja die etruskischen Inschriften durchaus nicht un-
rerstSadlich. Wiihrend aber bei Funden anderer Gebiete nirgends längere Zeit
rin Zweifel über ihren indogermanischen Chanikt^^r goherrsoht hat, stehen wir
hier noch vor einem ungelösten liiitsel. Wenn dvr grols«; Fleifs und Scharf-
sinn verschiedener Forscher in so lauger Zeit den Nachweis für die alte An-
nahme nicht zu erbringen vermochte, so ist die Hoffnung aufzugeben, dafs es
auf dem eingeschlagenen Wege jemals uioglich sein wird, dies Ziel za erreichen.
Woher das Etraskische stammt, vermögen wir freilieh meht zu sagen. Aber
immerhin hat ein neaer spraehlieher Fund, swei vcHrgriediische Inschriften auf
Launosy awar noch kein Uaree Licht gebracht^ aber der Forschung doeh neue
Wege gewiesen (vgl. Pauli, Altitalische Forschungm D).
Wie che Pyrenäen- und die Appeninhalbinsel in ältester Zeit von nicht
indogermanischen Stämmen besiedelt waren, so auch Hellas. Die Alten be-
riohten selbst von 'lein Stamm der Pelasger. nm dessen Bedeutung viel ge-
stritten ist. Die Sprachwissenschaft kann diese Frage nicht entscheiden, doch
kann sie soviel ^»ugon, dafs in Griechenland einst eine nicht indogermanisch
sprechende Bevölkerung gesessen hat, die mit der in Klcinasien wohnenden
snsammenbing, wie auletet Kretsduner in «einer Einleitung in die Qeechichte
dv griedusehen Sprache 8. 401 ff. nach dem Vorgang Paulis gezeigt hat. Es
sind Tor allem die Ortsnamrai auf -v^ wie £6ifiv&os, jk^6ffvvfh>£y Ttqw^
K6ifaf9os^ *EfföpMf9os und auf tftf , -vr-, Kva6t6$i, 'TtuttTÖg, I^Aqvrdg, 'jEtMAff,
Krjipiaög., rittQvaööög, die ein durchaus un indogermanisches Gepräge tragen und
mit denen auf kleinasiatischem Boden übereinstimmen.
Wie weit sich die urgriechischen Ahnrigines einst ausgedehnt liahen,
wia«en wir bis heute, da man erst beginnt, dieser Frage seine Aufmerksamkeit
zuzuwenden, noch nicht. Man kann auch hier auf allerlei Überraschungen
gefafst sein.
Kleinarien gehört im geographischen Knne aweifellos au Europa, und wir
sind daher berechtigt rinen BIkik auf sriiM VdDcerTerliSltnisse au werfen, vor
allem, da hier der Sprachwissenschaft nodi reiche Aufgaben warten. Sinerseits
liegt an Terschiedenen Orten ein reidies Lisdiriftenmaterial ror, und anderer-
srits iat man rieh Ober die Stellung dieser Spradien nicht rinig. Im all-
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H. Hirt: SpracbwiBseoBchafl und Geschichte.
gemeinen wird man jetzt die beste Belehrung in Kretschniers 'Einleitung in
die Geschichte der griechischen Sprache' finden, mit dessen Anschauungen ich im
wesentlichen übereinstimme. Auch durch Bugges neuesten Versuch (Lykische
Studien I. Videnskabsselsskabets Skrifter. II. Historisk-filosofisk Klasse 1897
Nr. 7. Christiania) sind die Momente für den indogermanischen Charakter des
Lykischen nicht verstärkt, vielmehr lassen sich gerade aus ihr schwerwiegende
Punkte gegen seine Aufstellungen entnehmen. Wenn P. Jensen in seiner Schrift
'Hittiter und Armenier' (Strafsburg 1898) jenes rätselhafte Volk zu Armenieni
und damit zu Indogermanen machen will, so mufs ich gestehen, dafs mich
seine Ausführungen in keiner Weise überzeugt haben. Selbst vorauagosetzt,
dafs alle seine Lesungen und Deutungen richtig sind, so sind diese Sprachreste
nicht der Art, dafs die Verwandtschaft mit dem Indogermanischen irgendwie
in die Augen spränge, und als Indogermanist mufs ich erklären, dafs man
ganz andere Moment« als Jensen beibringen mufs, um die Verwandtschaft
zweier Sprachen zu behaupten. Was bis jetzt angeführt ist, bleibt teils sehr
unbedeutend, teils läfst es auch andere Arten der Erklärung zu.
Im Norden und Nordosten unseres Erdteils, an der Grenze nach Asien
hin, finden wir schüefslich den finnischen Sprachstamm, der auf unsere Ge-
schicke keinen wesentlichen Einflufs gehabt hat, dessen Herkunft und einstige
Ausbreitung indessen noch unbekannt ist.
In der Mitte Europas aber und nach Osten hin in einem schmalen Streif
bis nach Indien sitzen die indogermanischen Völker, deren Geschichte, wie man
sagen kann, die Geschichte unseres Erdteils bildet.
Sicher ist es keine müfsige Arbeit, wenn man vor allem die Herkunft
dieses hochbegabten Sprachstammos und Volkes zu ermitteln versucht hat
Denn es ist für viele Fragen der europäischen Geschichte zu wissen geradezu
notwendig, wo er sich einst gebildet, auf welchen Wegen und in welcher Art
er in die entferntesten Sitzt* gelangt ist. Zweifellos ist unsere Erkenntnis in
diesem Punkte während der letzten Jahre fortgeschritten. Während man früher
die Indogermanen mit entwickelter Kultur als Bringer des Lichts aus Asien
einwandern liefs, ist man heute ziemlich allgemein der Ansicht, dafs die Indo-
germanen ein europäischer Sprachstamm waren, der in den mittleren oder öst-
lichen Teilen Europas seinen Sitz hatte. Und selbst wenn dies unrichtig sein
sollte, so können wir doch die Wanderungen der indogermanischen Völker nur
verstehen, wenn wir als ihr Ausstrahlungsgebiet das östliche Deutschland,
Böhmen, Ungarn und die östlicheren Länder annehmen. Zu diesem Ergebnis')
führt eine Vergleichung der zu erschliefsenden Ursitze der einzelnen V^ölker
und weiter die engere Verwandtschaft, in der einzelne Sprachen des grofsen
Sprachstammes unter einander stehen.
Schon frühzeitig hat man sich das Verhältnis der 8 oder 9 grofsen Sprach-
gruppen der indogermanischen Sprachfamilie unter dem Bilde eines Stamm-
baumes vorzustellen versucht, wobei indessen die Anschauungen über die
*) Vgl. hierzu meinen AufHatz in der (»eographiRchcn Zcilschrifl I.
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H. Hirt: Spnidiwmeiiisehift und Qeichiehte.
4d3
ZosammengehSrigkeit dor einzelnen Sprachen mannigfach gewediselt haheiL
Erst neaerdingB ist aach in dieser Frage ein wesentlicher und, wie wir hoffen
dOrfni, dauernder Fortschritt 'endeli Wir k&inen eine uralte Dialektspaltung
in dar indogarmanisehen Omndsprache nachweisen und danach eine Sstlidie
und eine westliche Gruppe unterscheiden. Zu jener gehören das IndiBch lranische,
an das sich das Slavisch-Litauische zunächst anscblicfst. Ferner Albanesiscb,
Thrakisch Pln v^isdi und Armenisch. Die Armenier stammten nach Herodot
von den Phngoin ah, und diese Nachricht wird dadurch bestntifft, dafs die
armenische Sprache in wesenthchen Punkten mit dem Plirygischen übereinstinimt,
und dieses gehört wiederuui mit dem Tbrakischeu eng zusammen. Alle klein
asiatischen Indogennaueu sind zweifeiioti uu8 Europa, zunächst aus dem alten
Thrakien eingewandert, und es berfihrten sieh also, wie man siehl^ die YdUcer
dieser Sprachgruppe an TerschiedMieii Funkten, indem die SlaTen niehi aUsuweit
▼on den Thrakern safsen.
Auf der anderen Seite gehören Griechisch, Italisch, Keltiseh und Genaanisdi
enger zusammen, )uul zwar so, dals das Griechische dem Italischen näher steht
als otwa dem Keltischen und Germanischen. Freilich haben wir kein Recht,
von einer grako- italischen Periode zu reden, wie die iilteie Sprachwissenschaft
that. aK( r gewisse Beziehungen, die auf einstige NachbartK:haft deuten, lassen
sich schwerlich in Abrede stellen.
Griechen und Itahker sitzen in historischen Zeiten getrennt auf den beiden
südlichen Halbinsehi. Im Norden der Hellenen finden wir aufaerdem Völker-
slwmne, die von den AHen unter dem Sammelnamen Illjrier zusammengefaßt
werden. Üher die spradiliche Stellung dieses iudogermanisdien Sprachzweiges
war es sdiwer mangels ausreichender Urkunden, ms Uare zu kommen. Erst
Tor wenigen Jahren sind die Tenetnclien Inschriften in Norditalien gedeutet,
und es hat sich dabei ergaben, daCl das Venetische ebenfalls zu der westlichen
Gruppe gehört. Wenn man nach diesem eigentlich nicht überraschenden Er
gehnis die übrigen illyrischen t^prachreste mustert, ?n kommt inan zu der Er-
kenntnis, (hiis auch sie uchst dvm süditalisclirn >f»'^'^;ipischen und dem Mace-
donischen zu derselben Sprache gerechnet werden müssen, und dals wir in ihr
höchst wahrscheinlich das Verbindungsglied zwischen Griechisch und Italisch
zu sehen haben. Diese Sprache zeigt thatsadilich eine Reihe von BerOhrunga-
punkten mit beiden. Es ist hier nicht der Ort, den Nachweis für diese An-
nahme zu führen, was ein genaueres Eingehen auf die Sprachreste dieser Gruppe
erforderte. [Tgl. jetzt Kieperf^Festschrift 181 ff.]
Der oft angenommene nähere Zusammenhang zwischen Italisch und Keltisch
läfet sich auf Grund der Voraussetzungan, die wir notwendig für die Wanderung
dieser Sprachstämme machen müssen, sehr wohl verstehen, und ebenso Üifst es
sich begründen, dafs zwischen Kelten und Germanen, Germanen und Italikern
(vgl. hier7n Verf., Zeitschritt für deutsche Philologie XXIX 180 ff.) nähere Be-
ziehungen gewaltet halx ii. worauf die Sprachen hinweisen. Wenn sich auch
hier im Westen ein Glied un das andere schliefst und Griechisch, lllyrisch.
Italisch, EeUaseh und Oemunisch eine Reihe sidi herfihrender oder achneideoder
, . ... •••
/ ••• : • • •
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494
H. Hirt: äprachwiflseuscbail und Gesdüchte.
Spraclikreifld bilden, so kann der MitlelpiulU dmer ganseii Grnpp« nur in
einem Gebiet weBtlich der Karpathen gesucht werden, nnd es sind dann die beiden
groften indogermanischen Dialekte auch frühzeitig geograpbiseh getrennt gewesen.
Weiter auf die Fr^e nach der Urheimat einzugehen, wBrde hier m weit
führen, da uns noch ander»' ProKltmo bfaehaftigon mttesen.
Jede der indogermaiuaclun Sprachen tritt uns heim Btginn ihrer Ö>«r-
lietVrung als vollständig selbständig charakterisiert entgegen. Auch uicht der
kleinste griechische Satz läfst sich irgendwie in Lateinisch, Keltisch oder
Germanisdi tunsetsen, — und ebenso hat jedes Volk, das diese Sprache spridit,
seine besondere Eigenheit, seinen besonderen Charakter, insolem nuuk einen
solchen einem Volke aosehreiben darf. Hit der Frage nach den Grfinden f&r
die Verschiedenheit der indogermamaehen Spraehen betreten wir eins der
schwierigsten und vielleicht Uberhaupt nicht recht gangbaren Gebiete unserer
Wissenschaft, dem auch die Qesdiichte stets ihre Aufmerksamkeit zuwenden
wird. Wie sind die Sprachen, wie sind die Völker so geworden, wie sie sind?
Früher hat es kaum rino Antwort nvA' fliese Fr!it,'e fre{^el>e!i Da man sich die
Indogermanea fast als die ersten Besiedler europaisciier Landerstrecken vor-
stellte, so hatte man höchstens die versehieriene Natur ihrer Wohnsitze für die
starken Unterschiede verantwortlich machen können. Aber es i^t schwer glaublich,
dals im Laufe weniger Jahrhunderte am IndogennaiMsi so sdhr Ton einander
abweichende Völker wie Qriedioa, Römer, Kelten, Qennanen, Skren, Inder
Uitten werden können. Wir wissen jetsl^ dafs auf dem grölhten Teil des indo-
germanischen Gebietes andere Völker gesessen haben, Völker, die in ihren
koltorellen Leistungen und in ihrer kulturellen Sntwiekelung nicht immer hinter
den Eindringenden brauchen zurückgestanden zu haben. Dafs diese Völkw
durchweg au«»gownndert odf^r fin«mTottet war^n, ist schwerlich Hnünnehnv-n
Man denke an das Beispiel der naeh Güllien eindringen<len Germauen unter
Ariovist, die einen Staat im Staate bildeten, man denke an die zahlreichen
anderen vor unseren Augen liegenden Wanderungeu. ') Wir können ja auch
thatHacblidL aus d«i Flu£i- und Ortsnamen entnehmen, dafs die Urbevölkerung
beharrt hai Und da mnfsten dann im Laufe der Zeiten Hischbüdungcn ein-
treten, Aber deren Art wir leider noch allanwenig untoriditet sind, weil wir
albngerii^ Unterlagen besitzen. Doch ist schon Tersdbiedenflieh bemerlri^
dafs die starken Vemnderungen, denen die Sprachen ausgesetzt sind, im wesent*
liehen auf derartige Mischungen surttckaufBhren sind. Die Unterworfenen
leniten die Sprache der Eroberer, sie nahmen zwar den Wortschatz der neuen
Spraehe zum guten Teil an, aber in Aussprache und Syntax folgten sie zumeist
den ihnen geläufigen Bahnen. Und wenn dann die Unterworfenen, die gewöhnlich
zalilreicher als die Sieger waren, wieder mehr erstarkten, oder wenn sie, al»
Sklaven oder Diener im Hause der Fremden lebend, notwendig die Sprache
') Mau vergleiche hierzu Fr. Katzei, Der Urqtrong und das Waadem der Völker geo-
graphisch betrachtet 8it>.*Bflr. der phil. hiiL KlflSie d. lichi. Gm. d. Wies, s« Leipng.
flitnuig vom 6. Febnar ISSS.
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H. Rift: Bp?aehvitMiiuebaft tiad OMcUchte.
495
der Kinder bpeinflnssen innfsten, so ircriot alliiiiUilich das r^anre Volk nach
wenigen Gencnitionen in dw w\w Fialin, war «'ine nauv Spraihe entstanden.')
Um dies zu erliiuteru, darf man auf da« Beinpiel der rumänischen Sprachen
▼erweisen, wo sich unter etwu anders gearteten historischen Verhälhiissen doch
im weseDtliehen das Gleiche loJIstogsii bat, was ich fUr das Indt^muuuache
▼otanssetae. Daher isi denn aach der Gedanke gar nicht ahzuweieen, dab die
scharfen . Dialektgrenaen innerhalb eines grSlseren Spradigebietes auf ethno-
logischen Versdliedenheiten beruhen. Solche Annahme hat merkwOrdi^n rw^ise
bei Historikern und Geographen*) viel mehr Anklang jt^cfumlen als in der
Sprachwisgpnsthaft. Diese verhalt sich vielmehr ziemlich skeptisch dagegen,
aber sio schafft sie damit nicht aus der Wolt, vor allem du fie ans sich selbst
keine Krkliirung der Entsteh luij^ scharfer f )ial»'kt|rn'!izf'H «fi-biMi kann. Zeichnft
mau aber eine Knrt<» mit den liltiii \ oiks und den lu utigeu Dialektgrenzen,
80 itit ea auffällig, auf welch engem Kaume äoluhe oft verlaufen.
Wae TOB den Spraehen gilt, das gilt mxA von den VSIkAn. Wie die
heutigen Franzosen z. T. die alten Kelten geblieben sind, obgleich sie romaniseh
sprechen, so wird andi an der Bildung des griechisdien und r6inifdi«n Geistes
das alteinheimisdie Element einen gröberen Anteil gehabt haben, wAb wir bisher
ahnen können.
Das bi^ihtr Erörterte biliiet nur die eine Seite der, wie man sagen könnte,
angewandten Sprachwissenächaft, die andere wird gebildet von den Forschungen
ttber die Koltor der Indogennanen und der historiaehen Völker, soweit sie
dnrdi sprachlidie Grftnde ermittelt werden kann. Wenn man von der Bedeatnng
der Sprachwissenschaft fllr die Gesehidite spricht, so scheint dieses Gebiet in
enter Linie erörtert werden m müssen.
£s ist das, was den Ferner stehenden am meisten bekannt ist, und in dem
die Sprachwissenschaft den höchsten Gipfel erklommen zu haben schien, um
um so tiefer in den Abgrund m stfinron. Wahn iul auf etl'r">'.n;<|>)iischem
Gebiet eine Erkenntnis nach der anderen erzit It wird, kommt mau iiier nicht
zu regelreelitetn I "ortsehreiten, sondern schwankt zwiselien Tiber- und Uiitcr-
schätzung, zwiscliyu anscheinend neuen Fortschritten und erneuter Widerlegung.
Der Znaammenhang der indogermanischen Sprachen wurde durch den
Nachweis gdiefer^ dafs die Flexionsendungen im wesentlichen flbereinstimmten.
Daneben stellte sidi die Erkenntnis, dafs auch die Worte in weitem Um&ng
die i^Mchen waren. Wenn aber gewisse Worte in allen oder den meisten
Sprachen in glei( }ier oder nach den Lantgesetaen veränderter Gestalt vorhanden
sind, so haben wir ein Recht, dieses Wort und den entsprechenden BegriflF der
Ursprache 2U2uschreiben. Bo leicht diese Sache an und für sich erschein^ and
') Ich habe meine AnHchauungen über dieMn Pimkt, vorläufig allcrdiogB nur andeutend,
Idg. Forsch. lY 36 ff. medergelcgt.
*) So stoheii EiepMt, Alte Geographie, und Kiswa, Itetische Lsadeskiuide, ganx auf
dem Boden dieier Anediaiiaiig, die audi voa WindiMb, Grd. f. nun. Plnlologie 1* ver-
breten wird.
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H. Hirt: SpirttdiwiiMiiaichKft uod QMchictite.
so kühn sie auch im Anfuug angewandt ist, so s^igten sich doch bald die
grofsfcen Schwierigkeiten tuif diesem Wege. Alle G^nrechen ▼ef&ndeni ihrm
WoitBchats mehr oder minder schnell. Teils kommen neue Worte f&r alte
und neue B^prifib auf, teils renndem alte Worte ihren Sinn. So können irir
/.war anf Grund von gr.'* ärrf/wj,*, lit. pilis, ai. pur *Burg* ein idg, pelfs er^
schiiefsen, aber der Sinn, den die Ur/cit mit diesem Wort verband, war gewib
ein ganz anderer als der, den die Griechen in ihrem croAtg besafsen. Ihn zu
ermitteln bietet dto gröfstc Schwierigkeit, und ebensogrofs ist die andere:
weiche Wort*' tlürfcii wir der Urzeit ziiHcbreibcn V Nur in sflteinü Fällen ist
ein Wort in nlk'ii iiitln^tTuiiiiiisclRii Sprailn ii crlialtoii. Häutig fehlt es in einer,
zwei, drei und juehr Sprüchen, und die »Sicherheit, mit der wir ein Wort für
die üiaeit in Ansprach nehmen dürfen, wird immer geringer, in je weniger
Sprachen es erhalten isi Aber andererseits ist es sicher^ dab Worte, die nnr
in zwei oder drei Sprachen Torhanden sind, schon indogermanisch waren. Ja,
eine einzige Sprache kann uns altes Erbgut bewahrt hahwL Das ei^ebt sieh
mit Notwendigkeit aus der Betrachtung einer historis( lien Sprachgruppe. Wie
wir den indogermanischen Worteehats durch Vergleichung der einzelnen indo-
germanischen Sprachen erschliefsen, so gewinnen wir z. R. den nrjjermanischen
durch VergkicLuiitr der germanischen Dialekte. Und hier zeigt es sicli, dafs
oft ein Wort nur noch m einem Dialekt erhalten ist, das durch seine Ver-
wandten in den übrigen indogermanischen Sprachen als urgermanisch, ja als
indogermanisch erwiesen wird.
Ganz sichere Kritmen, um das Alter eines Wortes festonstellen, giebt es
bis heute noch nicfai Und darin liegt eine Hauptschif^he unserer Wissensdiaf^
die indessen einmal gehoben werden wird, sobald wir den Wortwitz systematisch
durchforschen. Vorlaufig ist jede Einzelsprache imendlich viel reicher in ihrem
Wortyorrat als die erschlossene Grundsprache. Neben der Verbreitung besitzen
wir ein wesentliches Kriterium, um das Alter der Worte zu bestimmen, in der
Form. Wir können in der Si)ni.che zwei Arten von W»)rten nnterscheiden^
solche, die auf Grund vorhandener Katej^orien jederzeit neu gebildet werden
können, und solche, die nur ^'edäehtnisuiärsig überliefert werden, üir die die
Möglichkeit der Neubildung aufgehört hat. UnterHuchungen nach dieser Kichtung
sind freilich noch nicht systematisch unternommen, vielmehr ist die Etymologie
noch immer eine mehr sekktisch ab methodisch konsequent verfahrende Wissen-
schaffe geblieben. Dodi zeigen sich hier Spuren der Besserung, und es ist zu
hoffen, dafs die Anregungen, die vor aUem Bmgmann ^) gegeben hat, auf frucht-
baren Boden ge&Uen sind und reiche Früchte tragen. Wir werden dann auch
den Fragen nach den Ursachen und Arten des Bedeutungswandels und des
Verlustes von Worten, die kulturhistoriach auiserordentlich wertvoll sind, viel
*) Die Auädrilcke filr dcu Begriff der Totalität in den indogermanischen Spr«cbeD
(Leipsig). Weitere Arbeiten dieser Art sind dorchani notwendig und nickt aUsusehwer.
Man LrauL'ht dabei nii ht einmal alle inflnffermani8cli*'ii S]irarlieii hentiiziiziolien , si>ndern
kaun eich je nach üeiuen Koontnisseu auf einig« beiichriUikeo und wird doch immer wert-
volle Ergebnitjse erhalten.
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H. Hirt: SpnkrbwiBMoiduift und Oewliichie.
497
nniior kommen, und es ist nicht zu bezweifeln, dafs wir für die geschichtlichen
Kragt'ti soweit sie aus der Sprache eine Antwort heischen, ein viel besseres
Fundament hesit7-en werden, wenn erst alle diese Seiten der Spracheutwickeluug
äjätcmatisch untersucht sind.
Aber man bat gegen den Wert der Sprachwissenschaft auf diesem Gebiete
flberhanpl Eiiwpnicli erhoben, und in der Thafc mnasen die AnsprQdM iinBerer
Wisaenachaft sehr herabgesetet werdenj wenn auch nnaere Arbeit trotz mannig
fiMsher Fehler und Übereilangen nicht natdos gewesen ist. Wenn sich die
SpraebwisseiiBchaft Termi&t, hier allein etwas zu leisten, so befindet sie sich
in einem Irrtum. Keiner der ältere Forscher, weder Grimm noch Kuhn, haben
die Sprache in erster Linie herangezogen. Das ist erst geschehen, als man die
Tnulitioncn Jacob Grimmn verlicff, als mnn in der S])riichwis««ens(liaft, mit
rf jflu'f anderweitiger Arbeit beschäftigt, recht einseitig wurtK'. ;i!s nian eben
kiine Zeit mehr hatte, den Blick in die Weite schweifen zu ia.sHuu. Ihm ist
jetzt anders geworden. Der wesentliche Grund der neuen grammatischen Auf
fiisaung ist gelegt. Man findet wieder Zeit, sich nach anderen Seiten umKusehen,
und es gewinnt daher ein Geist wie Jacob Qrinmi wieder grSreeren Einflufs.
Er wird mit seiner umfiissenden Odehrsamkeil^ die das Gröftte wie das Kleinste,
TOT allem amch das Volkstflnülcfae lieberoll um&bte, wieder ein Ffibrer, dessen
Geisiesart wir vertraiiensvoll folgen dürfen.
Znr Erschliefsung der europüischen Urgeschichte, zu der die Sprach-
wissenschaft ein Scherflein beitragen will, müssen auch andere Wissenschaften
helfen. Zunächst kommt die prähistorische Archänlo<fie hiny.n. Dir- Fniide.
die im Laufe dieses .lahrhnnflerts aus dem Schofs der Erde i^« hüben sind,
geben uns oin anschauiiehes \V\\d des Lebens früherer Epochen. Mit dicfscm
Gebiet kann sich jeder befa»sen, der ein oifeues Auge besitzt, man braucht
nicht Sprachf<»acher va sein, um es au bearbeiten. Aber dieses Bild ist ein-
seitig. Von den wichtigsten Faktoren des menscUidien Lebens, von sozialer
Ordnung, Religion, Kunst und dem ganzen Denken der dahingesunkenen Menschen
berichtet es nichts. Fttr dieses Gebiet tritt dann nngesudit die verg^ldchende
Altertumskunde ein. In den littemrischm DenkmSlem der verwandten Sprachen
liegt eine Fülle von Erscheinungen vor, die man nnr zusammenzustellen Itrancht,
um ihre Ähnliclikcif, ja Gleichheit zu erkennen. Di r Hprachforscher ist jcdcn-
falis am besten «la/u ift i'ijfnet, die«<e vertileidiende Altertumskunde zu betreiben.
Denn wenn es auch wohl keinem vi i^fünnt ist, alle indogermanischen Sprachen
m gleicher Weise zu beherrschtn«, wenn er auch auf manchen Gebieten nur
mit Grammatik und Wörterbuch arbeiten muls, so gehört doch das genauere
VerBt&ndnis von 4^ 5 und 6 der groben Sprachgruppen, ein Verständnis^ das ea
ermöglicht, direkt ans den Quellen zu sdidpfen, zu den notwendigem Kennte
niasen des Sprachforschers. Er wird, da er immer Philologe bleibt und immer
wieder an die geschriebenen Urkunden herantreten matk, von selbst dazu
gefuhrt, sich der vei^leichenden Altertumskunde zuzuwenden, die TOU den
Worten zu den Dingen emporsteigt, die nicht nur Hauser bauen, sondern auch
darin wohnen wilL Und hier liegt die reichste Quelle für unsere Forschung^
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498
R. Hirt: S|)t«eh-wis8aMeh*ft und OMdiiehte.
der Bieh d\p Ergebnisae auB der Sprache alleiu ia vielen Füllen helfend und
fördernd anschliefsen.
Daa Bild, das wir auf (liest' Weise von <lor prähistorischen Kultur Europas
gewinnen, ist heute ein weHentlich anderes, als das, das mau früher entwarf.
Die frflh^nm Aufbssungen und Ansiditon iMben zwdfdloa unter dem Beane
allgemeiner philoeopluBdier Ideen gestanden. Wie man die Indogennanen eiuat
am liebsten ans dem Paradies kommen liels, so glaubte man auch, dab die
Indogennanen in ihren Sitten nnd Gebräuchen jenem UrvoUce nahe standen,
von dem Rousseau einst geträumt, das von den Schlechtigkeiten und Verderb-
nissen der modernen Zeit nicht angekränkelt^ in paradiesischer Unschuld dahin-
lebte. Doch mufste nieh dfin i^^frenfiber mit der Zeit eine andere Anschauung
Hahn hiechen. Virtor Ilcliii, iler so lange Zeit russische Verliältnis^se vor
AuiTfii irciiiibt hatte, wies mit eiudriugeiider Scharfe auf die vielcu Züge der
Barbarei und iiuheit bin, die wir in dem Leben unserer Vorfahren treffen,
und zeichnete sein Bild mit düsteren Farben, fast immer von dem Bestreben
geleitet, das geistige nnd knltnreUe Niveau der Indogermaaen möglichst herab-
zusetzen. Aber anch gegenQber seinen AusfAhrnngen ist der Bflckschlag nidit
ausgeblieben; durch Leists Forschungen (Altarisches jus gentium, Altarisches
jus civile, Gräkoitah'sch»? Rechtsgeschichte) wird ein Bild entrollt, das weit von
dem Ih'hns abweicht. Und man könnte daher auf das Urrolk fast die Worte
des Dichters anwenden:
'Von der Parteien Hals und fitinst vcrvvirrt
Schwaukt sein Charakterhild in «It-r ( jesrhichtf»'.
Dii^ einzi(Te Mittel, nni in diener Frage zur Klarheit zu kommen und einen
Wertmenser zu gewinnen, ist, die V/ilkerkunde zur Hilfe zu rufen und unser^u
Blick hinausschweifen zu lanücn zu den äugenannten 'Primitiven', die sich noch
heute an verschiedenen Stellen der Erde erhalten haben. Dafs diese Völker
fireiUdi nicht so primitiv sind, als es uns scheinen mag, ist richtig, thut aber
nichts nur Sacke. Wir gewinnen jedenfalls mit Hilfe der Ethnologie «ne Unter-
lage f&r ein objektiTes Urtdl Aber unsere Vorfohren. Wir brauchen sie weder
SU hoch noch zu niedrig einsuschätsen, wir können die guten EigensdnUoi
hervorheben imd brauchen uns vor den rohen Zügen, die uns auch bei ihnen
entgegentreten, nicht abzuwenden, und wir haben es nicht nötig, wie Jacob
Orimm that. sie 7,n verschleiern. Und danach k(5nnen wii- ruhig sagen, dafs
sich die Indo^rernianeii nnd andere Bewohner Europas schon lange Zeit vor
dem Beginn der gescbicLtlichen Kumle üher solche Zustande erhoben hatten,
wie wir sie noch beute bei vielen Völkern der Welt treffen. Das Bild, da»
Bfieher von dem wirtschaftlichen Urzustand und der Wirtschaft der Natur-
Tölker entworfen hat, trifft ftlr die Indogennanen nicht mehr sn.
In Europa haben sich viehnehr schon früh die wichtigsten Haustiers, der
Hnndy das Schaf, die Ziege^ in vorhistorischer Zeit aucb wohl das Sdiwein und
das Pferd verbreitet'), und ebenso waren die Indogennanen sdion mit dem Ackir-
') Vgl. hierzu meine Ausführuiigen Oeogr. Zeitachrift IV 969
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H. Biii: SpradiwiMiieasehaft aad Q«ieludite.
499
bau Tertraut. Sie spannten das Kind vor dt n hölzernen Wagen und den ein-
fat'lieii Pflug und i^fwannen in allerdiiifrs /.itnihch oberflächlicher Bearbeitung
dem Boden den iiotvvLiulijren Nahrun^Htotl nl). Fest«! Nicdi'rlusöungen, wit» »io
Tor aüeui auch die rt'alilbauten zeigen, die zu errichten erbebliche Mühe kostete,
mflsMii irir flchon äenüieh IHÜixeitig vommeteen. Die natfirliehe Ordnung
des Lebens grfindete aich »uf den Znnaimnenhang der Sippe, die fest in sich
geecUoflsen nnd Wirtadiaffai-, Reebte- nnd Bdigiomigenuänsehaft war. Noeh
heate beniiai ■laviache Völker eine alte Wirtaduftafann, die sadruga, bei
der mehrere G< nenitioiif n unter einem Dache wobnen und eine rein kommu-
nistische Gesellschaft bilden, nicht zum Schaden ihrer Afigehürigen. Wir treifen
di» -^»' Form in altortr Zeit anch bei anderen Völkern und haben allen Grund,
sie für die Urzeit vorauszusetzen. In der Sippe und den Sip]>fTivprbanden fand
der Einzelne den persünliehen Sehutz, den ihm krine (>l)ngkeit gewährte, und
da die Sippe eines Blutes ist, muls auch jeder Augebörige für die Fehler und
Vergehen irgend eines Mitgliedes eintreten. Die Blutrache mit dem Blutfrieden,
die ans als lebendige Einricbtung nocb beute Teraohiedentlidi in Europa mt-
g^^feitty iat in den Uneiten notwendig gewesen und war der beste Sdinta
für den Henaehen in Zeiten, in denen eine ataafUeb ordnende Oewalt niebt Tor-
banden war. Vor allem war die Sippe auch eine Rebgionsgemeinschaft. Der
Kult gemeins^anier Vorfahren hielt die Sippenangebörigen aucb dann nocb att-
sammcn, als die übrigen Dinge nicht mehr wirksam waren. Für die ganze
£ntwickelung unserer Vorfahren sind gerade die religiösen Momente Ton aus-
acblaggebender Bedeutung gewesen.
Doeb uiiterlaaüe ich es, auf diese Punkte hier näher einzugehen. Mit der
Gewinnung eines blofsen Maisstabes ist indessen der Wert der Völkerkunde
für unsere Zwecke niebt eracböpftb Die indogennaniacbe Altertumakonde ist
ja eigentlidi selbst ein Teil der Völkerkunde, und sie kann für vide eigentOm-
liebe und aUeinalebende Erscbeinungen belles Liebt gewinnen, wenn sie analoges
bei den PrimitiTen vergleicbt. Welche Erfolge naeb dieser Riebtung namentUcb
auf dem Gebiet der Mythologie durch Kohdes Psyche, Oldenbergs Religion des
Veda, Mogks Germanische Mythologie eraielt sind, ist allbekannt. Auf anderen
G*4»i*^ten ist man noch nicht so weit, aber dit- Aussichten, hier GhMches zu
erreichen, sind sehr grofs. Das Wenigste, was wir in unserem Kulturkreis
finden, ist sein besonderes Eigentum. Erst wenn wir das allgemein Gültige
ausgeschieden haben, kommen wir dem Ziele näher, die Eigenart unserer Urzeit
SO erkennen.
Au(8er f&r die Urgeschicbte hat die Sprache andi Ar die biatoriadien
Epodien eine geaducbtlidie Bedeutung. Wie die indogennaniacbe Spraeb*
wiaaenaebaft niebt nur die ErscblieTanng und Erforaebnng der Urspraebe als
ihr Arbeitsgebiet betrachtet, sondern vor allem auch die historischen Sprachen
bebandelt, so führt uns gerade atich hier die geschichtliche Seite, der Sprach-
betrachtimg zu imnuT neuen und reizvollen Aufgaben. Die meisten Kultur-
fortsehritte, Erhnchm^en und Verbesseningen im Lehen sind nicht an mehreren
Orten und bei verschiedeucn Völkern gelungen, sondern sie gebtax von einem
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H. Hirt: Sprach wimenidiftft und Geschicbte.
Orte aus und wandern in die weite Feme. Die enrop&iBchen Völker eind die
Sehfiler des grofeen aeiatieclien Knltnrreichf», von d^ man miiJBecht e^jen
kann; es Oriente lux. Aber mit den Dingen und Begi'iffen wandern auch die
Wortei, und je tiefer wir in die historischen Zeiten eindringen, um so deutlicher
treten uns die kulturellen Einflüsse von Volk zu Volk an der Hand der Sprache
entgeg<»n. Oft genug mag in solchem Fallo die Sprache genauere Auskunft
geben als irgend eine andere Wissenschaft, wenn wir uns aiuli nicht zu selten
damit begnügen müssen, das zu bestätigen^ was andere Gebiete klar zeigen.
Das Studium der Lehnworte imt eine uuliierordentlicb grolke kulturhistorische
Bedeutung. Wir mflssen dabei noch darauf liinweisen, daTs die Erkenntnis, ob
ein Wort Ldmwort ist, immer erst durdi die genaue Feststellung der Laut-
geeetse ennSgUdit wird. Gierade nacb dieser Seite mnd die exakten Forderungen
der genauen Beobachtung d^ Lautgesetse, die die ^Junggrammatiker' aufgestellt
kab^, von ausschlaggebender Wichtigkeit geworden. Ohne sie mfifst^ wir
uns auft Raten verlegen, könnten jedenfalls keine Sicherheit gewinm ii
Unsere Wissenschaft hat es nie versäumt, diese Seite der Sprachbetrachtung
zu pflegen. Wenn mich in neuerer Zeit keine gröfseren Werke erschienen
sind, die unser Wissen zusiiinnienfalkten, so wird doch von den verschiedensten
Seiten immer und immer wieder darauf hingewiesen, welche kulturgeaehichtliche
Bedeutung die Lehiiworte haben.
Ich glaube gezeigt zu haben, dab die Sprachwissenschaft durch mannig-
fache Fäden mit der Geschichte verbunden ist, und daiSs sie heute wie schon
seit langem bereit ist, ihr eine hilfsbereite Dumerin su sein. Neben dem er^
siehenden Einfluß, den die Spradihetrachtung an und fttr sich hat, und der für
den jugendlichen Qeist nicht hodi genug bewertet werden kann, hahen wir in
dem BeHjtroelienen ein Gebiet vor uns, das des allgemeinen Interesses sieher
sein (liiri, und d;is auch geeignet ist, den Spraelninterricht nach allen Seiten
zu beleben. In der Sprache, die wir sprechen, uinwe])en nn?? die Erinnerungen
an eine Jahrtausende lange Üeschichte. Von (Jeneration zu G^nicration, von
Mund zu Mund hat sie sich fortgepflanzt, und so haben die Zeiten Ut r Sprache
ihre Runen eingeschrieben. Es kommt nur darauf an, sie zu lesen und den
Schate zu heben, der in ihnen mhi
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ZUB lONISOHEN MÜNDART ÜND DICHTEBSPBACHE.
Von August Pick.
Die griechische Dialektforschung sieht sich seit einigen Jalirzelinten vor
ganz neue Aufgaben gestellt. Die Fortschritte der Sprachwissenschaft gestatten
nicht m«'}ir, wie früher, die griechischen Mundarten nur beiläufig als Ab-
weiciiungeii von der Atthis, die ja f<eibst nur ein Dialekt ist, anzusehen und
zu behandeln; dazu kam die Fülle neuer Dialektquellen, welche die inschrift-
Ucben und litterarischea Funde unserer Tage uns erschlossen haben. Diese
luHum uns einen tieferen Einblick in die Mundarten gewinnen, wie sie im YvXk»
selbst lebten und wie aie von den Diditern on^rOnglidi gehandhnbt worden,
wahrend wir frfiber vorwi^nd «nf die trtt^die, Tiel&dh TOn Bedaktoren nnd
Absdureibeni entsteUte Überliefianing der dialektisch gefirbten Sehriftatellertexle
angewiesen waren.
Es galt nun die neu gehobenen Schätze im Sinne und mit den Mitteln
der Sprachwissenschaft zu verwerten. DaV)ei war ci< ganz natQrlich, dafe man
sieh zuuäclist auf die Beschreibung und Dar.Htellung einzelner, selbst örtlich
sehr begrenzter Mundarten beschränkte, um so niclir, als gerade diese indivi-
duelle Ausgestaltung wie dem griechischen Leben überhaupt, SO auch dem
Leben der griechischen Sprache einen besonderen Beii verleiht. Ebeiwo natttr^
lieh war es, dab die junge Forschung sich ninSchst auf die Laote und Formen
der Hnndarten warf, Wortschats ond Satsban nnr obenhin streifte. So ent-
stand «ne Reihe von Monographien, die, TOn der angedeuteten Besdu^lnkung
abgesehen, « ine aufserst wertvolle und als solche aaioerkennende Grondlage
Ar eine umfassendere Forschung abgeben. Ich nenne an dieser Stelle nur die
gediegenen Arbeiten von R. Mcistt-r und für dan loniHche die überaus lleifsige
Behandlung der 'iSouuds and Inflections' dieses Dialekte von H. W. Smjth
(^Oxford 1894).
Aber über diesen miuutiüsieii Einzelforachungen, die sieh überdies meist
gar nicht auf das dem Eiu2eldialekt Eigentümliche beschränken, sondern fast
ebenso breit das diesem mit der fibrigen Oiicität gemeinsame Sprachgut be-
handeln, mob sich xweifellos mit der Zeit eine ausammenfaeaende, die Mund-
arten so höheren Einheiten niaammenschliefoende DarsteUnng erheben. Das
eihellt schon aus der rein aufserlichen Notwendigkeit einer stlrkeren Zusammen -
drangung des Stoffes: oder sollen wir für alle Zeit darauf angewiesen sein, der
mundartlichen Entfaltung der griechischen Sprache wenigstens ein Dutzend
starker Bände widmen zn müssen? So viel aber ist erforderlich, winu die bisher
übliche Ijrcite Weise in der Behandlung einzelner Mundarten festgehalten werden
MM* Jkhrbüoilor. lova. I,
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A. Fick: Zur kmisdieii IfnudaH and Dichlenpneli«.
soll. Doch von difseui äulserlichen Mifsstande abgesehen, lälät «lies Versinken
ins Einzelne und Einzelnste zu sehr Tor der Mannigfaltigkeit die durin waltende
Einheit mrllclctreten: es i«t und bleibt dodi die Eine Qriechensprache, die eidi
in die Vielheit der Mundarten gliedert, wie auch die Stftmme der Griechen
sieh doeh wieder sur Einheit dee OrieehearoIkB zuBanunenechlie&ML
In diesem Sinne ontemahm Otto Hoffmann, die grieehiaehen Dialekte *tn
ihrem historischen Zusammenhange' darzustellen (Göttingen, Vandenhoeck und
Ruprecht, 1892 — 98). In dem ersten Bande falste er den arkadischen und
kyprischen Dialekt als 'südachäische', in dem zweiten die Sprache der Thessaler
mit der Aeolis Kleinasiens als 'nordachäische' Mundart zusammen, indem er
beide Paare, wie sclion ihre Benennung angiebt, als Entfaltung einer alten
^achäiächen' Sprachform angesehen wissen will. i<Veiücli klaflt hier zwischen
TheeBaüeu und Arkadien «ine Lüdce, ist der alte, als ursprünglich Toraos-
attsetsende 5rtUehe Znsammenhang der 'achftiedien' Stimme serriesen. Aber
wie Hoffinann in »einer Diasertation De mixHs dialeetU Qraem (Gdttingen 1987)
beton^ ist in den Dickten too Hittdhellaa, Ton Lokiis, Phokisi Bootien mdir
oder weniger deutlich ein Uolischer Untergrund zu erkennen; wir dürfen dem-
nach annehmen, dafs die älteren Bewohner dieser Landschaften, Minjer, Phlegyer,
Kadmeer u. a., ehe sie von Stammen des Nordwestens überrannt wurden, in
ihrer Spntche eine Verbindimg zwischen Thessalien und dem Peloponnes^ den
Nord- und »Süilachäern darstellten.
In dem dritten Bande seiner 'Griechischen Dialekte' behandelt HotFmann
^iurtuu zitiert als H.) Mie Quellen und Lautlehre' des ionischen Dialekts, ein
vkrter Bend soll die *Fonnmr und Staaunbildungslehre', hofivmtlidi aufih den
Wortsefaats and Sataban des Ionischen enÜialten. WlÜirend also in den mt-
hergehenden Bänden je ein Band zwei Mandartm xasammenfidMe, werden
Band HI und IV, slso awei Bünde der Dantdlnng eines einx^n Dialektes
gewidmet sein. Man mag dies mit der Wichtigkeit der las und der Neuheit
des Unternehmens entschuldigen, doch hätte sich m. £. der Umfang sehr ver-
ringern, der Stoif bedeutend zusammendrängen lassen. Auch hätte liier wie in
den beiden ersten Bänden Hiis gleiche Prinzip der Zusammenfas-^ung ^ f rwrindter
Mundarten zu liölierer Eiiili< it bet(»lgt werden müssen, da ja olme uileM Zweifel
las und Atthis ein engverbuiideiies Paar bilden, dessen Entfaltung aus einer
gemeinsamen Wurzel sich sehr wohl darstellen liefs, wenn auch einzelne Fragen,
wie die nach dem Verhältnisse des attisdien « pnmm anm dnidigefthrteD
ionischen § (Tgl. H. 341 ff.) noeh nicht ganz geklärt sind.
HofiniWch wird die Behandhu^ des attischen Dialektes, welche anf die
der las unmittelbar folgen muls, wenn H. seinem Yorsatee, die griechischeo
Hundarten *in ihrem historischen Zusammenhange* darzuptellen, tren bleiben
will, den gemeinsamen Ursprung der Atthis und las deutlich hervortreten
lassen; nannten sich die Attiker der alteren Zeit doeli »elbst 'Idopegf d. h. mit
dem Vollnamen, aus dem der ^iame "iaipeg gekürzt ist.*)
Beweisend hierfür ist tier Yers Suloii^* in des Arislotelcs Tlolir. A^v. p. 6, 8 Bla««:
n^effjhrtttti}»' ioonAv yatuv 'Ittorius, womit Attika gemeint i«t. (Für xaivo^^ijv, wie BLu<
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A. Fick: Zur ionischen Mundart und Dichtersprache.
503
Dafs die Mundart der Dorier und die der nordgriedüsdlflO StSmme^ weldl«
Alirais als Doris septentrionalis bezeichnet hat, eng SQMmmengehSren, steht
ganz aufser Frage. In der woitcren Fnrtfi5hning seines auf dem Titolblatt
angekündigten Vorhabens hat, H. auch in diestin weit uusgcdchnten sprach-
lichen Gebiete die urspräogliche Einheit, den gemeinsamen Quelipunkt im
Auge 2U behalten.
So wflrde sich eine ursprüngliche DrefliMt griechischer Mundarten ergeben,
und wir würden damit eisftdi die Anfiassang d«: GriedliMi selbst bestätigen,
die bekanntlich, sobald man las tmd Atthis snsanimen&bl^ eben&Us drei Typen
der e^^en Sprache: Doris, Aiolis nnd las ao&tdlten, nnr dab wir statt der
Kürzung in Molevg den alten Yollnamen *jix-{u6g einzusetzen haben.
Mit dieser alten Dreiteilung der StSniino und Mundarten stimmt auch die
Natur dps Landes und dip hierdurch bedingte Geschichte der ersten Ein-
wanderung des Volkes, sobiiKi wir von dem spiUer besetzten Peloponnes ab-
sehen. Pindns und Parnals Ijilden eine starke Vtilkerseheide: im Westen
safsen die mit den Dorierii gleichspriubigun Stämme, von H. (De mistis d. Gr.)
daher mit Recht al» 'Transpindani' benannt, im Osten die Achäer, die sich
Tom Olymp bis an den Kithairon Torschoben, hinter diesem entfidteten die
laonen ihre Eigenart
Über der Dreiheit dieser ältesten Mundarten steht die Einheit der gemein-
Bamen Ghriechensprache. Dürfen wir bis au diesor attfsteigen? KSnnen wir
ein 'Urgriechisch' wieder herstellen, einen gemeinsamen Grundstock, aus dem
die drei Hauptdialekte wie drei Zweige aus einer Wurzel entsprossen sind?
Bekanntlich ist diese Frage eine offene, namhafte Forscher wie .Toli. Schmidt
und neuerdings Kretsohiner verneinen sie, und es ist hier nicht der Ort, sie
von meinem Standpunkte der Bejahung aus zu behandein.
Nach dem Vorj^ge von Ahrois und Meister schidki Ht^faiann seiner
Darstellung der Dialekte deren Hauptquellen vorans. FQr die las ist es
▼on g^na besonderem Vorteil, dafs wir so sehr alte Dichtertezte in diteer
Mundart besitzen: die Verse des Kallinos mahnen zum Kampfe gegen die ein-
brechenden Kimmerier, sind also etwa 675 v. Chr. anzusetzen, und Archilochos,
Tyrtaios unii Semonidcs sind nicht viel jünger. A>is diesen Texten erhellt
z. B., wie H. richtig hervorhebt, dal's schon im Anfange des VII. Jahrb. die
io und £<a geschriebenen Laute durcba\is Diphthonge (fo, eat) waren, und dais
auch iu, später zu ij zusammengezogen, nicht immer offm gesj)rucben wurde.
So dient hier das metrisch gebundene Dicbterwort der richtigen Erkenntnis
der Mundart^ omgekehrt ist aber auch der richtig erkannte Dialekt ein wichtigeB
Mittel, das Diehtwwort in seiner nrsprttn^chen reinen Sprachschönbeit wieder-
heranstellen. Freilich erbeben sich durch diese Wechselbesiehung zwischen
im Anfauge des folgenden Verses liest [tutfipoitiprfif Dieltt], mOchte ich «iUi'Ofi^i^i' vonicblagea
init Hmbliek auf »Um»» *A%at96s, 9<U«fftes bei Bouer.) Auch in der Iliae N tiad die
Athener 'Uvng ^annt; die *kcapH Sliu%kt»yt9 686 sind dieselbeDi die 6S9 il0ij*«t»( lieibeii.
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504
A. Ffek: Zur ioniicliMi Hundftit und Diebtenpraebe.
Dialekt und Textkritik auch einige Fragra, die nicht ganz leicht und eicher
zu beantworten sind.
So erfahren wir 7. B. erst aus Inschriften, dais auf Amorgos und Samos
verschiedene Typen der las herrschten und werden dadurch vor die ganz neue
Frage gestellt, ob die Reste der lamben des Scmonides von Amorgos, der
nach alter tHberliefening aas Samoe etammte, in der Sprachfotm Yon Amorgos
oAet Samos wiederzugeben eind^ eine IVage^ die sich nur durch genaiieree Ein-
gehen anf die Inschriften von Amorgos imd die hiermit sasammenluUigende
Geechichte der Besiedelnng der Insel entscheiden laist.
Sicher ist Amorgos erst spät von den Griechen besetzt, und "die goradd
hier so zahlreichen Funde primitiver Geräte und roher Idole gehören gewils
den Karern an' (Ed. Mever, Gesch. d. Alt. II 79).
Nach Suidas s. v. Z'ijuu/Vts i Westermann, Biogr. S. i führte Semonidt."«,
TO f| «(>j;»j? ^dfiiog eine Kolonie von Samiem naeli ATTiorgos im J. 407 nach
Troja 1184, also 787 v. rhr., ^xriöt d' '^{lOQybv tig y' :iuAtii^ Miftouv, j^iyiuÄöv,
'jQX66tvriv. Dieser ÄiigaiM tulgc Ed. Meyer a. a. 0. II 301: (Amorgos) 'wurde
Ton Samiem kolonisiert, die hier die Städte Aigiale, Arhestne nnd Mmoa
gründeten; in dieser (Minoa) liefe sich der samisdie Diditer Simonides, ein
jüngerer Zeitgenosse des Ardiilochos, nieder', nur dafs bei dieser Darstellang
der Dichter — gewifs mit Recht — nicht snm POhrer der Kolonie gemacht
und — dies nach Steph. Byz. s. r, — in Minoa angesiedelt wird. Nach der
Darstellung bei Suidas könnte es gar keinem Zweifel unterliegen, dafs die
Fragmente de? S. in der Sprachform von Samos wiederzageben wären. Aber
die Sache liegt nicht so einfach.
Bei Stephanos heifft es: 'y^uooyöi^' i'^ffo? ftt'a tCtv Kvxl^dav, ^xov6a
6 luiißo:toi6s. — ffvxiva KuQxtjOwg äv^Q Nä^iog ^)u0s xccl KaQXi]6üt» Svd^aSt,
la Kttifxr}0ios — Ku^jxy^aia» hat man wohl nidlit *Aif»i6W£ — *Aqi*£6iva» zu
snchen, sondern den alten karisehen Namen der Insel Jta(iicqtftfdg; die Nsmea
aiof -iftftfog — -ä66og sind ja dmrakteristisch für das Eariscbe und idle Sprachen
der Kleinasiaten. Sihon Meinte bemerkt zu KaQxilaios: *fartasse KuQxrfi6s*
Die naxisclu- Kolonii . auf welche eher das o))igi' Datum — T>^7 v. Chr. —
passen würde, wird für Arkesine, die Stadt im Süden der insei, durch eine
jiinrrrre Inschrift (Düramler, Athen. Mitt. XI fl^Hß] 112: Nu^tav röv'JuaQyov
\-it)yj'(ii rtii' olxovvttov) be/.eiip4:. 'Die Erinnening an die Besiedeliintf vuii
Arkisim (hirch Naxier bat sieh demnach bis in die römische Kai>erzeit
erhalten' (Becbtel, Ion. luschr. S. 40). Eine samische Gemeinde in Minoa be-
zeugt eine Inschrift des II. Jahrh. nach Chr.: Uiifitoi ol 'J^iogyhr MhvAow
»tttotxaOvuitf nnd damit stimmen anila schönste die Angaben (s. o.), dafii
Semonides i| ^iQZ^ S^^uog nnd in Mmoa zu Hause war. Die Bewohner von
Aigitde, der Stadt im Norden der Insel, fühlten sich noch in römischer Zeit
als Kolonisten von Milet: MaiXi^tttv t&v *AftOfybp jitytdXipf xettotw^pron'
heifst es CIG 2264.
Das Alter der naxischen Kolonie wird durch den Dialekt der Inschrift»
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A. Fick: Zur ioninrhen Mundart und Dichtersprache.
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von Amorgoa verbürgt. Wie auf Naxos werden ä und e durch die Schrift
als H und E unterschieden, und zwar nicht blofs in Arkesine, sondern ebenso-
wohl in Minoa und Aigialc. Daneben zeigen einige Inschriften H. 51 — 53 ein
altes kleinasiatiaches Alphabet, worin H sowohl » als e bezeichnet, und zwar
nicht blofs in Minoa, sondern auch in den beiden anderen Städten der Insel.
Die älteste Besiedelung der Insel erfolgte demnach von Naxos, und diese
drückte der Mundart der Insel für alle Zeit den Stempel auf; um 650, nach
* Bursian, Geogr. von Qriech. II 512 um Ol. 2i), besetzten Samier die Stadt
Minoa, deren Name auf Kreta weist; endlich Aigiale erhielt in einer nicht
näher zu bestimmenden Zeit Kolonisten aus Milet.
In den attischen Tributlistcn sowie in der Bundesurkunde Ol. 100 erscheint
die Insel politisch geeinigt, es ist nur von Amorgos und Amorgiern die Rede.
Erst seit dem III. Jahrh. v. Chr. zerfiel sie wieder in die alten Dreistädte
(Bursian a. a. 0.). Die Einigung ging wohl von Minoa in der Mitte der Insel,
jedenfalls der wichtigsten der drei Städte, aus, wie auch die jetzige Stadt
Amorgos im Gebiete des alten Minoa liegt, und so würde sich auch die Angabe
erklären, dafs Semonides, einmal als Oikist von Minoa gedacht, ixtiai (Ty)v
vilaov) eis JioXeis tgilg. Auch in den Kulten zeigt sich die Verschmelzung
der Gemeinwesen: der naxische Dionysos wird als Mivmjrrfg, die Hera von
Samos auch in der altnaxischen Kolonie Arkesine verehrt (Bursian a. a. 0.).
Wenn die ältesten Inschriften auf der ganzen Insel, nicht blofs in und
um Arkesine, den naxischen Stempel tragen, so wird auch Semonides so ge-
schrieben haben, um so mehr, als sich in seinen Fragmenten rein gar nichts
findet, was auf seine Herkunft aus Samos Bezug hätte. Zum Samier, Führer
der Samier und Oikisten der ganzen Insel, wurde er wohl als der berühmteste
Bürger von Minoa, die ja allerdings eine samische Kolonie aufnahm vmd von
wo auch die vorübergehende Einigung der Insel im V. Jahrh. ausgegangen
sein wird.
Zwar sind einige Inschriften der Insel in einem kleinasiatischen Alphabet
geschrieben, doch ist kein Grund, in ihnen den Ausdruck einer abweichenden
Mundart zu sehen. Wir dürfen daher annehmen, dafs die Sprechweise der
naxischen, als der ältesten und stärksten Siedelung, alsbald von den späteren
Zu Wanderern aus Samos und Milet angenommen wurde. Ob der Dichter
Semonides noch so eng mit Samos zusammenhing, um im Dialekt dieser
Insel zu sprechen und zu schreiben, mufs freilich dahingestellt bleiben, jeden-
falls wurden seine Gedichte von seinen Landsleuten auf Amorgos alsbald in
amorgischer Aussprache und Schrift verbreitet.
Hierfür bietet sogar die uns vorliegende Uberlieferung der Fragmente einen
bedeutsamen Anhalt. Zu Frg. 31 A ist in xe:zh'jtcTui der Diphthong, der aus
äa hervorging, mit ija geschrielien. Hierzu bemerkt H. richtig: ^ntjckijärcu ist
ältere Schreibung für Tifnkturai, vgl. naxisch z/fti'od<x»/o, (ikXi\üjv Inschr. 30.'
Auf dies Fragment bezieht sich Et. M. 307, 37: inkr^in (\lXT^ki[i6f ix xov xXä
TÖ n'Aijtf m'^o , 6 :TCigaxfi(i£vos TtinXiixa xal ntTtkuxa' 6 n'adijTtxog Tttzkrjfiou,
Tcixkrixuiy xtti xuQu HinaviÖTi ^rfnrAijarat. Hieraus erhellt, dal's xexkilectui 3. pl.
506
A. Fiek: Zm iomBchen Miuidait und Diehtenpneh«.
pf. pass. zu srAij ^ Tikü zu stekd-ööat imtl aus xestXHtcrca mit naxischem H = ä
umgesetzt ist, während die geläufige ionische Schreibung mit B für ö nur gemalt
der spiteren Form des Diphliiongs ergeben hatte, wie denn »adi Ber^ bei
d«r danwligen ünbelnimtschaft mit dem If & einiger Inaein ganz riehtiig
xaiUttttei d. i. arcjrü^r«» geeehrieben liai
In AmoigOB war der raidie Hauch bewahrt geblieben, wie HutMmifdf^
HtyTTrnxXiig Nr. 48 beweist, die Samier hatt- n ihn, wie alle Asiaten, eingebüfst
Bei Somonides ist der Hauch oder doch seine Wirkung fast durchweg über-
liefert (ilie Belege IT. 5501: i<py'i^tQoi, ikd'ovd^', tov&', ccipeiXeTo, xd>g (xcf9^u#'wj
und d<p{v6(()] TovTf'(iot> spricht nicht dagegen, weil verniutlich aus der vollen
Schreibung tov ixi^ov erst xusammengezogeu ; aueli imutgop hewt i i tiichts,
wenn inegog wirklich aus infUQog •= ismeros eutHtauden ist. VVeim sich
a£ tdloff von Theognost 155, 30 ab Beleg für aC tb da6vv6fiitfOP augeftihr^
auf Semott. 7, 76 tä tdlag «(m^ bezieht, was dock Behr wahrsdheinlieh ist, so
bitten wir damit ein Zengnis ffkt h bei B. audi im Ankui
Auf AmorgOB spraeh man «o- im Fkagwort — nach «ori Inschr. Nr. 46 — ,
auf Samos Termutlich xo-. Bei Semoiiides liest man H. 595: &vag, oxri neben
oxov, 6xG)9, xorf. Man hat aLao die Wahl; vielleicht war man schon in sehr
alter Zeit unselilüssig, ob man Semonides im ionischen oder amorgiachen
Dialekte lesen sollte. Jedenfalls haben siich die Samier früh ihres bernbmt^n
angeblichen LandsTnannes angenntumen: wenn Suidas a. a. 0. berichtet, S. habe
auch eine aQ^aioAnyica' rcjr Hauiioi' verfafst, so ist das selbstverstiindlich
Fülschung eines Saniiers auf den berilkmteu Namen j archäologische Studieu
lagen olme Zwdiel dem allen lambographea fem.
Eafet man alle Momente fUr nnd gegen sneammen, so ftberwiegt die Wahr-
scfaeinlidikeiti dals Semonides, mochte auch er selbst oder seine Familie ans
Samos stammen, sich doch der auf Amorgos herrschenden, mit der altnasiscJieD
identischen Mundart bedient hat. Jedenfalls wandte man auf Amorgos schoD
bei den ältesten Abschriften seiner lambcn die amorgische Schrift an. Viel-
leicht liegt hierfür in :ri:iXr^((Tui (s. o.) ein Yollgnltiger Beweis, wie der Genetir
Avxäftßeps (Voc. Avxccfißu) ))ei Arfhilorhns beweist, dafs der Dichter wie die
parischen In8chrift4»n ä und e nicht untersehiedcn hat. —
Semonides schrieb nach Suidas (s. o.) xiad itvug Jig&tog Idftßovg, also
noch Yor Ardiilochos. Hieran ist wenigstens so viel wahr, daia S. im Bau
seiner Jamben von Archilochos gpuu unabhängig ist: er unterscheidet sich tco
diesem anf den ersten jMidc dadurch, dab er durehans keine AuflSsnngen
nilalkt Dies njH%t ihn denn in Wörtern, die der rein iambischen Messong
widerstreben, Dehnungen durch den Ictus eintreten zu lassen. So erklären
sich: 'Atdijg 1, 14 117 - - - neben Anakr. 43, 6 j darö ^liasov w^^s
1, 6.^; ff oÜQeOiv 14, 1; dgOo^Qi^g - j. - 17 und TtovXvxov ^^o 29. Die
Messung von ^Atör^g als Creticus deutet daher durehans nicht auf eini' Grund-
form j^ltdrjg, wie sie Wackemagel für das attische "Aiöi]^ voraussetzt; ebenso-
wenig ist o^QEöiv neben ogfOi bei Hcrodot auf episelu-n EinfluTs zurflck-
zufÜhren; wollte der Dichter die oben angeführten Wörter und VerbiuuungLU
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A. Fiek: Zar ionitduMi Mundari und Dicbieninclia.
507
in den Bfta seiner Jamben einfügen, so konnte er sie gar nidit «aders behandeln^
bIb er gethui.
Die einsige AxLfldsiuig findet sidhi in 10, wo du fiberlidTerte tttOru StA
fumtf&v Xöyov ävidgaiunti nach Nauck und Bergk ri t. utaiQibv diu koyrnv A» ge-
lesen wird. Aber Bergk bemerkt hierzu eebr ricbüg: Cdmm vd sie leeHo versus
incerta, si quidem Simmides nlias nusquam soluiionc Itmgae syllahae usus est.
Angeftthrt winl Her Vcr^ vom .Schol. zw Eurtp. Phoen. 207 als Beleg für den
Ge])r;iuch des Aorists im Siiua- dos Futuru, hIbo at'ff^pafiov dvtl rov dva-
dgaufii' ^iliiit. Vielleicht, ist zu lesen n' raftK fucxgäiv d(l löytov; dvi-
ÖQuiiov^ *Soll ich darauf zunu'kkommpn V ' Die Umstellung tC tttvt äviÖQafiov
fuatp&v dtÄ Xöymv, vgl. izb qvxov 1, Uli, wfirde einen eehleehtgebtnten Vers
geben, der sich durch 6, 1 kwam rechtfertigen UUst.^)
S. 179 — 212 giebt Hoihnann 'AJIgt^meine Bemerkungen über die Quellen
des ionischen Dialekts'. Ich lege hier nur den Abschnitt über die ionische
Elegie 8. 182—185 ra Chwide;
Nsdi Ütorer Anrieht, der nodi H. W. 8mjth beipflichtet, machten die
Elegiker die Sprache des homeriachen Epoe nur Baais ihrer Dichtungen,
indem sie das epische OefurSge nur dnrch Abstolanng archaischer Formen oder
durch Anlehnung an den eigenen llt imats und Mntterdtalekt mehr oder
weniger 'modifizierten'. Dafre^fn rrklari H. im Anscblufs an meine Darl^ong
in Bezzenberffers Beitr. XI 248 f., dafs gerade die ältesiten ElejjikiT rein ionisch
dichteten und erst die späteren nnt^T dem Kintlusse der Sprache des Epos
standen, dafs also '^die Sprache der Elegie genau den entgegengesetzten Ent-
wickelungsgang genommen, als den ihr von Smyth zugeschriebenen: sie war
*) Zorn Sehlime mOgtn aodi dnige yerbMMnmgivMiddlge knn aagedeatei werden.
1, 10 int tlfffdoci <piXos aberliefert. U. schreibt (pliov mit AnschlurB an MeÜMikes
Koxycktnr fpUav. Vielleicht fittedcti oder ?^rrtd'<tt Sifflnf, zu lesen ^^^(TO^mTfZo^?
Die Verse 1, 69 — 70 eiud zwar etwtui matt, doch lagsen sie sich halteo, inebesoodere
60 ist eigentlich gaas «nbedeBldicb; fireOidi mufli der Tentob gegen die alte las ia
«MOvrot; für -rourt notwendig beseitigt werden. Man schreibe to-*-ovTa mit Hinweis anf
xttTßylo-i-ov 8 9 lind Archilocho<i M: äU' lUiQdhj» iulptUU, WO ä^Up Dat. m älio.
ÜbrigeiiH iät hei Aelian toto^ov (Iberliefert.
1, 74 tdueibi H. dhr«A«av flir dss flberiisferie, dialektwidrige d«tf«A«»if. Aber nach
Job. Schmidt«, von H. adoptierter Theorie hütte er jedenfalls besser wenigstens ivttovsttw
geechriebpn, w«>nn wirklich in <lf»n Verben auf (i]vtiov II. // 423, son^t Avruta"\ neben
üm beide Formen im Sinne dieser Aufstellung wechselten. Will man die ganz hübsche
Andemiig in imtttvw nicht gelten lasse», so sebreibe man d»#(iEm«; man begreift dann
wenigstens, wie dafür &v9ifmitoi9 als Glossem etadriagea konate, um den sltartttmlidien
Gebrauch von ävinaaiv als 'Mensch t-n' zu markieren.
1,100 schreibt H. für »(Xtim: itinltxxai mit Berufung auf Hipponax 23 AB, wo der
Tokal vor «r ntietriseh knrs ist Aber wu Hipponax sieb in ebolisaabiseher Lanne erlanbi,
gilt nicht ohne weitere« für Semonides. Eine Iktusdehnuiiu' i«t allerdings in :tiliT:<i nicht
anzunehmen, da ja kclnt? Nötigung vorlag gerade dies Wort au gcbrauchi'n; Ahrens will
xÜXtxcu, und wirklich ist 3r«^««iJU>|iimav Pari praes. zu »«^MtXofitfMf ivittvx&Vy aber die
Ahming eines solchen Zwanunenbmiigs wird man hier sdiwerlieh sncheB und fladea woEso.
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A. Fick: Zur ionuchen Mundart und DichteivpiMbe«
uroprfingUch niebt ein cpisch-homeriflclier MisebdialelEt, der durcli EiiiMlaEen
ioniBcher Fonnen modifiziert varde, sondern der eehte ionischey reine Dialekt^
den dum im Laufe der Jehrbonderie homerisclte, nnioniflche Fonnen mdir
und mehr entstellten.* Die ältesten Elegiker stimmen also in ihrer Sprache
genau mit den im elegischen Yersmafse abgefafsten Inschriften des ionischen
Sprnphgebiots , denen sich jetzt auch dir boiilon liühschen, smerst TOn H. ge-
lesenen Distichen von Thasos H. Nr. t)7 uiul 68 zugesellen.
In den inscUriftlich überlieferten Elegien finden sich wohl allerlei Frei-
heiten, besonders in der Messung von Eigennamen, die der Verszwang ent-
schuldigen muTs, auch wohl hier und da der Qebrauch eines sonst nicht als
ioniscli nadusaweieettden Wortes, wie ^vl IcatiSm auf Furos eaee. Yl, aber nidiis
den Lauien der Im Widerstrebendes, was dem Epos entlehnt sein mfilMe.
Selbst der Pentameteraus^g vo9 «o^i^mg Ajv auf dner jfingaren Insdbnft
Ton.X!3uos, nach Eiri^off aus der ersten Hälfte des V. Jahrb., enthält niclit
notwendig Entlehnungen aus dem Epos. Der Gebrauch von 6 als BeLativ ist
allerdings der ältiren las fremd, doch wird man ihn nicht durchweg und aus-
schliefslich iuih dem Epos herleiten dürfen; und (riv ist iillerdings die ionische
ümsetziing des altepischen iitv, aber toi» wie itjt/: i^fv kann mau zu den Nach-
klängen der iiolischen Mundart rechnen, die in Chios vor der las hcrrsclite,
vgl. H. S, 223 f. Sogar die im heroischen Versmala abgcfalsten Inschriften
ionischen Gebiets zeigen keine Spur der epischen, hier dodi am ersten an er-
wartenden Mischsprache, wie die schöne, sprachreine NikandreinschriA von
NaxoB H. Nr. 30 seigi
Die gleidie Bdnheit der Sprache findet sich bd den Uteren Bfegikeni.
Mit Recht erklärt H. S. 183 die Formel 6xx6xb xiv dij bei Kallinos für
ein episches Zitat, 'falls es überhaupt richtig überliefert ist'. M. £. stammt
da.<? Zitat nicht von dm Dichter her, der ursprünglich ^£ luv iEv dij} ge-
schrieben hat.
Tyrtaios nahm den Ton des Kallinos, den der kriegerisclien Elegie auf
Dafs er vftn Hans aus Lakone, seine las also erst erlernt wai, >vie H. S. 184
meint, iät jedenfalls nicht 2U beweisen. Zweifellos war er in Sparta heimisch
geworden, geborener Lakone war er wohl nichi Bekannt ist seine Herleituog
ans Atiien, noch mehr an beachten ist die Angabe bei Snid. (WestOTnann,
Biogr. S. 115) Adam» ^ AftAif^tos mit der Zeitbestimmung: fyt^M^ yo&p lum
It* Hvfutidiaf d. i. 636 — 2 v. Chr., was sehr schön au dem jetat herrschen-
dm Ansätze des /.weiten messenischen Krieges C40 — 623 stimmt. Ais Mileeier,
der auch in Athen verkehrt haben kann, reiht sich Tyrtaios an Terpandrot
von Lesbos, Alkman von Sardna, weit<'rhin an Hos^iod von Kymr, Arion von
Methymna und Polymnestos von Kolophun; die Kolonien des Ostens Ober-
strahlten lange Zeit in Gesittung und Kunstübung weitaus das Mutterland.
Tjrtaios Sprache ist, von den metrisch sehr brauchbaren Lakonismen -otg und
-CMS aeben -oi6t und jioi und diön&vast örniÖTus abgesehen, durchaus rem
nnd darf uns als Ersata fdr lE^illinoa gelten, von dem Tyrtaios, vidleicht ab
sein Schiller, durdians abhängig war.
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A. Fiek: Zur iMuiditti Hnndttt und DichtenprMhe.
&09
Da« gröfsere Bruchstück des kallinoa von V. 5 an konnte geradezu
TyiilliM Ter&Ist haben, und so hat Thiersch es dem Kallinos ab- und Tyrtaios
sageeproelien. Jedoeh mit Unreeht: du Bfld in Y. 20: &&3Kq y«Q yt-iv nvQYO»
iv ifMifMtv 6ffA6tv paCst nicht fttr das nnbeliMtigte, offene SpMrta, wohl
aber flir imiiiche Sttdte. Hau denke b. B. an Teos, das nach OIG 3064 in
BesirlEe zerfiel, die den Namen x^oyoi führten nach den ^eidibenannten
Mauerabschnitten, deren Hut den dahinter sitzenden Bürgern anvertrant war,
und die wiederum den Schutz der Hintersassen bildeten. Erst wenn man sich
diese ionischen und nicbtsparhiiiisditni St-adtverhilltnisso Tor^o^onAvartirrt, tritt
die volle Schönheit nnd Kraft des Bildt's hervor, das also für ioaieu und gegen
Sparta und damit für KalliiK»« und gegen Tyrtaios spricbt.
Wie nahe es lag und noch liegt, alt- und gutionische Dichtertexte durch
^iache Eeminiazenzen za entstellen, zeigt Tyrt. 10, 27. Hier ist v^6i
mW htiimtep llberlieferi Die gaoae SteUe ist im ol^barw Hinblick anf
n. X 11-^16 gedichtet Da es nun dort 71 heifet: vi^ ü «e ixiotxep,
so m«Bte Thierach, dem ich früher leider gefolgt bin, das überlieferte viot€t
durch das homerische v^a ds n ersetzen zu müBscn und b^erkte nidlt^
da& er damit dem Tyrtaios einen Sprachschnitzer in den Text setzte: die Sltere
las kennt rmmlich weder in der Prosa noch in der Poesie die im Epos so un-
endlich häutige Verbindung Sf rf. sie findet sich erst hei den jüngeren unter dem
EinfluTs der epischen Mischsprache stehenden Elegikern.
Wenn, wie vhvn gezeigt, selbst ein tüchtiger Gelehrter der Neuzeit die
alte Elegie in verkehrter Weise episieren kann, werden wir dann nicht eher
Nachsidit mit altai Bedaktoren nnd Abschreibern haben, wenn aie bei KaUinoa
iatM&ts itiv dif für w^i fuv Up dij, bei Tjrtaioe 10, 6 t«Om^«w» für ti9väim
(wie bei Theognis alle Hss. neben ««Ovrffim» A haben), oder wenn sie Tjri 10, 7
in lutiaeetm oOs «wir tnnftiu nach A 139 «cj^^iU&ffertti 9» itsp tmiu» für ä»
das i'pisehe x(v eingeschwärzt haben? Andi hier mnb es heifaen 'allea be-
greifen heifst alles verzeihen*.
Die aiistofsij^e Erwähnung; der nidofK in Tyrt 25 uifiardevr' aldola
(filijö' iv f'xovTa stammt ebenfalls aus der homerischen Parallelftolle.
wo es X 75 heilst (tidü t al^x^vosöi xvves- Auf dem richtigen Wege war
Cobet, als er ivxiQcc ^* «I^ardfrr« vorschlug. Näher läge fijdvt* ulfiatofvra,
doch bedarf ea keiner Umstellung, wenn man nach y SOG uifttttötvr' ivdivu
schreibt; freilich wird die Bedeutung von ivd$vtt ala ^r66^tti angezweiHelt
(a. Ebeling Lex. Horn. a. o.).
Der einaige Widwapmdt g^n den aonatigen altioniachen Dichtergebrauch
findet sich Tyri 12,43 igerf^s fls &xqov, da sonst dg nur unt(>r dem Iktds,
in der Senlnmg nur fg erscheint, doch kann Tyrtaios hier sehr wohl eine bei
dem alten Kallinos fr>75 v. Chr.) vorkommende Altcrtümlichkeit kopiert haben,
da ivg doch nrspniii)^Iieli ionisches #fs" erjjfcben raufste.
Wie der Uenetiv AvKaußfog Archil. 28 zum Vokativ Avxuußa 91 beweist,
unterschied Archilochos in Übereinstimmunj^ mit den pariselien Insduiften n
und e nicht in der Aussprache j IL hat daher die Fragmente des Dichters hier-
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510
A. Fidi: Zur iooi«cb«D Mundart imd 0t^t«npnehe.
nach gestaltet uuU dadurch meine Darstellung in Bezzenb. Beitr. berichtigt.
Mit Reeht htAosA H., daJb Archilochos in der El^e ao wenig wie in »einer
sonstigen Diditnng Äolifoi«! WM don Epoe aufgenommen habe. 1, 1 iai di«
wohlbeieuglie Leowt 'BwakioM 9itito aUein ricbtig^ die andere *£. fynatng mit
dem Tenwidrigen Hiafc stammt ans dem Schild des HersUea 371: xalg tt ^tbg
fieyaXov naX ^EvwüUoio fdvaxrog, sie kann aber von Archilochoa selbst dieser
Stelle nicht entnommen sein, weil der Schild, über der Eoe Alkmene aufgebaaty
nach weislich erst um 600 v. Chr., also nach dem Tode des Dichters verfaÜBt ist.
Ebenso dialektrein ist die Elegie des Enenns von Faros, der von H. nicht
berücksichtigt ist. Verglichen mit seinem älteren Landsmannc zeigt Euenos
in seiner Sprache Spuren einer jOngcren Z€*it, aber keine Aufnahme unionisoher
Formen aus dem Epos, in den Vcrseu dea Euenos bei Theognis 4(>7 f. ist r« 481
RelatiTy wie Theognis 501 xhv iiirgov i^Qmo xivm, imd eins der Uteeten
Beispiele ftr diesen Gebrauch des deiktischen 6; ebenso kann ^aOs fUr
^coftfc 490 als Neuerung gelten, doch libt es sidi durch ^itß ersefawn. In
xoolb xtQttAn(fO¥ 5,2 (Beigk) wflnfo man mit Unrecht episdie Entlehnung
wittern: zovkv kommt im Epos als Adverb gar nicht vor, und r 'iS7 ist (vdop^
xoXkov besser bezeugt als nwlö (nur der Acc. fem. xovXvv ist metrisch ge-
sichert), 8o wenig wie xBpeidrrQag, pj^i'bildet von jjfpft'cji' wie ifkHV&te^og bei
Mimturm von dfiHvav, Homer kennt nur ^^tpdrfpog O 519.
Dan Zeitalter des Eueno» läfst sich annähernd bestimmen durch »'irtf»
genauere Prüfung des Fragments Theognis 607 — 682, das der Widmung an
Simonidea wegen ebenso wie Theogn. 467 f. imd 1345 f. dem Euenos zu-
Busdireiben isi Der Dichter giebt hier nach seinen eigenen Worten ein
Bitsei auf: tte&td fun ^ij^ 681, aber das Bitsei Idst sich, wenn wir die
Verse in Beziehung auf ein Ereignis setsen, das die Parier im VI. Jahrh. let^
haft beschäftigen mufste.
in MUet herrschte nach dem Tode des Tyrannen Thrasybul längere Zeit
Bfirj^rrwist: die jrXovxig oder die deivavrcci, reiche Rheder und Kaufleute,
Khiiultn gt'pen die Handwerker, die sogenannten j;^ ipou« j^orf (u^zV ~ f^^iX"^i)
und die lV(>yiö'ft;, die eingeborene Plebs. Endlich iibertrugeii die Miiesier den
Pariern die Wiederherstellung der Ordnung und des Friedens, und diese lep^en
die Macht in die Hände der Grundbesitzer, der Agrarier ^^Herodot V 28; Busoit^
Gr. Qesch. I 582).
Diese VorhSltnisse spi^eln sich in unserer Elegie wieder. Sim<mid«s, der
Freund des Diditcrs, hatte ihn auljgefordert, an dem Schiedsgerichte Teil zn
nehmen, der Dichter lehnt es ab seiner Armut wegen, die ihn in den Verdacht
bringen würde, von vom herein ge^n die Reichen — die ^o^vqyo« — ein-
genommen zu sein; sonst würde er sich wohl die Einsicht zutrauen, bei dem
Rchwierifjfn ütitornelnrnTi, das den Pariern zugefallen — unter dem Bilde einer
gewagten Schitiahrt { q^t()6u^aT>u \ vorrfostHlt — erfolgreich thatiir zu sein. Die
Lage der Milesier wird 673 f. ebenso bildlich dar<;estellt: der j^ute Steuermann,
den sie beseitigt haben, ist Thraj«ybul: der Besitz ist zu uni^leich verteilt 677 f:
die ^OQTtiyoCf die obenauf sind, da» sind, mit verächtlichem Doppelsinn be-
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A. Fiek: Zw ioaiaehen Hnndart und Diehtenpracibe.
511
munnt, die advccvrai, dw Besi^er der vfieg fpoQTriyoi, wie Afschyloa in den
Plirygrm (Frp. 25^> Botliu) den seefahrenden Hiiiulclsiiiiiini varßun^v g?o(»Ttj.ydv
uenutj die xuxoi siud iiutürücii die üandwerker und diu (iurgithou, die aya^oC
cmdlidi die erbgesanenen GnmdbMitMr, deotiii dio pariadiaa Bdiiedniditer,
mit denen der Dichter poliiisdi gleidigeflamit ist, die höchste Gewalt in Milet
ftberifB^n haben*
Die Yoe^oning der Milesier auf Grond der pariedien Vennitlehmg wird
bei oder knzx nach der Thronbesteigung <l( s Kroisos, der die Freiheit der
lonier sogleich bedenklieh bedrohte, stattgefunden haben; wir dürfen hiernach
die Abfassung des soeben gedeuteten Gedichte nnd die Akme dee Dichters um
dieselbe Zeit setzen.
£rheblich alter sind die Verse in der Theognisäammiung 891 — 894;
Arikttvxm) d' üya^bv xiC^ttui oivöntÖov^
oi d* dj'ceO'ol fptvyov^i^ 7e6h» 9h luauA dikcMiv*
&g dl) Ktn(feXtd^v Zfitg iUssu ydvos.
Die Diatidien stammen offmbar ans der Zeit des lelantiaehen Krieges, dessen
Ansbmeh Ardiilochos (nach Frg. 3) noch erlebt hat Die Form zeigt ganz
die schöne Reinheit, welche die ältere Elegie auszeichnet.') Ed. Meyer (Gesch.
d. Altert. II 342) sieht in dem Verfasser der Distichen einen 'korinthischen
Adlij^en'; ist es nicht natürlicher, den Ursprung des rT*<fh(hts in dorn nächst-
beteiligtcn Euboia zu suchen? Wenn Korinth und Samos im lelantischen
Krieirr auf der Seite von t'halkiö ötaaden, so mufs es unser Dichter mit Erctria
gehalten haben, vielleicht war er selbst 'ein Bürger dieser Stadt, wo nach
gewissen Spuren (s. Meyer a. a. 0.) Adlige und Demokraten, dyad^ot und xtacoif
abwedhsebid die Herrsdiaft fQhrteo.
Auf Euboia, inabesondere anf Ghalkis, weisen auch die auudtxAf welche
jetsi das zweite Buch der Theognissammlang bilden. Das Laster der Knaben-
liebe drang in der ersten Hälfte des VI. Jahrh. von Lydien lier zunächst in
lonien ein and war bald in (^halkis und den Städten der Chalkidier besonders
im Schwange, wie das chalkidische Volkslied Plnt. Amator. IT iBergk III'
S. bezeugt, das auf ein Ereignis des Kampfes zwischen Chalkis und Eretria
bezogen wurde und nach Abstreifung der verkehrten Atticismeu in 6itMav
und ävÖQHa lauU n wilrde:
*) mt d») erklärt. Cobct für 1)iir"li:irisrh , auch B<>rf,'k meint , weniputens grammatici
videtur gupplemrutuni , aber mau vergleiche X cu^,' dij fiiv ivl XQO^ ^^'^ xofMCato,
> 807: ms di} tyuj ug;f)U»» #avl|C»', 1 648: äe dt) (lif 5<fiflo9 «t2.
*) Bs nnd dies bis anf die vielleicht entstellte SchlurRxeilc Doppelverae mit je 6, d i.
2x3 HebnngPD ; nie erinnern an die Henviig der Bjtriennsehrift von Anerget aad de«
6öttervenciduu««e8 voo Solinui.
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512
k. Fiele: Zur ioiiiielimi Hondwri lad DichtonpiadiaL
Der alte Beätand der m. E. cliaikidisclieu :i(adixd in TheogiiiB B' läüst
sicli wieder gewinnen, warn man im Ange behült, dab die eehteo Stfleke ab
€iUpifiiyCs* im Sinne toh Theognis 19 die Anrede an den Geliebten mit ar«f,
A «cet, £ jMbU »cd, i^Qtfu xuättßVy i aueidmv iuiXXtave xtL enthielten, daCi aie
ferner, wie jetzt noch deutlicli ist, in vierzeilige Strophen gegliedert and endlich
in einer dialektisch reinen, ionischen Sprache abgefafst waren: für 1319
läfst sich O-Fog einsetzen, und iffog 1322 wird eher der äolischen Liebeslyrik
als dem Epos entnommen <«-in.
Der äitest« der iomscln-n Elci^iker, die unter dem Einflüsse der epischen
Mischsprache utehen, ist Mimnermos von Kolophon, ein, wie es schein^
jüngerer Zeitgenosse Solons, der hochbetagt 558 t. Chr. starb. Albahoch
darf man ihn nicht hinaafrflcken, das verbietet adion der Inhalt aeiner Dicfa-
tangen: die Yerherrlidiung der xpinnrad^i} iptl^g and ab Kern und
Stern des mensclilichen Daseins ist auch hier wie immer Kennaeiehen eines
bedenklichen Niedei^angs and wird dem irerdienten Verluste der Freiheit
loniens nicht allzuhinge vorausgegangen sein. Nur in Frg. 14 schlägt der
Die]if«T einen männlicheren Ton an, in dem er auf das Vorbild der Vorfahren
in liiren Kämpfen gegen die Lyder hinweist; den AnhilH zu dieser Mahnung
bot wohl Kroiöotj' V'ernuch ^öGÜ— 550), aich die lonier völlig zu unterwerfen.
Wir dürfen danach die Akme dos Dichters etwa um 575 ansetzen.
H. sieht in der Sprache Himnerma einen Übergang von der DialeUrai'
heit der Üteren Elegie au der Formenmischnng der jflngeren. Für die An-
nahme einer solchen MittelsteUnng bieten die Himnermfragmente eigentlidi
keinen Qmnd: die Sprache steht hier schon ganz unter dem Einflüsse dee
Epos. So ist Mimnerm r. B. der erste der ionischen Elegiker, der das Relativ
og, offog mit verbindet: 1, 6 o t', 2, 6 oaov rf, 2, IH av «, 5, 7 o r\ zweifei -
hts nach dem Epos, die älteren lonier kennen nur die Adverbien «Tf, &6t{^
f'S ov re Semmi. 7, 117, Aueh ivu xt 11 stammt aus Homer, vgl. z. B. X 325,
wie ivcc 'wohin ii, 7 und u'ß 'wo' 12, 9j t6&i t' 11,5 zeigt die epische Ver-
bindung des deiktischen 6 mit re, ixiSeösreu 2, 13 ist homerischer Aeolismae
nnd nicht sa andern; den früheren BettungSTeraadi, iiuStUteu za leaen, woaa
auch attisch dav dioVf Blass-Eflhner I 64S) angesogen werden konnte,
gebe ich auf. 11,3 liest man tiXiav f&r ionisches ttlmv and 14,3 offenen
xXovi'opttCy &ft xfdi'ov, (ptge^uflnfPf 11,5 gar Ah^vo statt jfhjt^. 12, 1 int
yuQ ^Xttjpv Ttövov überliefert und nicht zu ändern: yuQ Q nach epischer Weise;
H. will Xflft^ev lesen, aber das homerische XtXuifiv hat kausale Bedeutung
'zu teil werden laswn'. 12, 6 erklärt sich xoulri aus dem epischen xnlXog =•
xuj-tÄog; 12,7 vdiOQ mit n am Verswchlusse; 12,11 fVrf/Jijtfft' iuiv nach H.s
richtiger Lesung, vgl. ^517; xi^adiifS 14, 6, ionisch ist xtrpdi't;, s. H. 295—296.
Wenn sich einige krasse Äolismen wie eiiftevai^ HvÖgettSi a. a. nicht in
den geringen Beaten Mimnerms finden, so kann daa sehr wohl Zu&ll sein:
einem lonier, der vor Ali^tm nicht anrflckschrickt, rat die Anihahme einea
jeden epischen Aolismus zuzutrauen.
Die Sprachform des Xenopbanes Ton Kolophon ist T<m fi. 184 genOgend
A. Fick: Zur ionischen Htindart und Dichtenpraebe.
51B
charakterisiert; man kann nocii hinzufügen das Relativ 6 in tota' 1, 23, to
2, 11, Tov b, :i, rijv (i, 5, ävegog C, 4 cpisoh-ioliBeb iDr AvdQÖg und mib
dem SUlen: 11 21 22 ytang, 12, 2 6itoCtoSf 13 nnd 17, 5 (ti t% 16, 4
iffyUf 17, 1 17, 2 x£/^ftf0«, 19, 3 %d *wie*, 24, 1 «dt/ovtft (offen), 27 dmirftfa
und eltfo^i£mrd«rt, 29 öxe^s^öt und vdop. Es liegt eine eigene Ironie des
Schicksals darin, dafs Xt iiophanes, der die Epen ah siXuafiura räv XQoriQmv
, . Toftf' ovSlv j^öTov ivföTiv so selir verachtete, einer der Ersten sein
mufste, die in ihrer dichteriechen Sprache so ^xa von diesen Terachteten Epen
abhängig waren.
Das Zeitalter tita l*iiok vliiit s von Milet ist si'liwt r zu beHtiinmen: Ninive,
dessen Untergang durch eigene Thurheit Frg. 5 erwähnt wird, wurde 610 v. Chr.
zerstört, die Mahnung neXtrifV i%i niovog äygov 7, 1 ist ganz im Sinne des
Sduedespradies der IWer, den wir oben um 560 ansetzten. Zn den Ton
H. 184 erwähnten episehen Formen stellen sich noch ivi 4, 2, ti 7, 2,
doJc/otHTt (offen) 9, 1 und «vdQug 15, 2.
Die Sprachform dieser jüngeren ionischen Elegiker ist für die noch spatere
Elegie mafs^ehend gcuoiilt n, wie ein Blick auf die Theognissammlung zeigt
In den Stücken, welche die Anrede an Kyrnos als von Theognis selbst her-
rübreixl »rwoiHt, herrscht dieselbe Beimischung unionischcr, dem Epos ent-
nommener Formen und damit eine dem Leben entfremdete und njich dem Er-
löschen der ionis;elnii Mundart ganz mni pir erstarrte Kunstsprache.
Dah Urteil Ilotiuiunus über den Entwickeluagsguug der Sprache der
ionischen Elegie hat sich uns bei erneuter NachprOfiing als richtig in seinen
Gmndzügen erwiesen, doch KLfst sidi ihm eine nodi schärfere Fassung geben,
wenn die Stellung Mimnerras ron mir jetzt richtiger au%efabt ist. Dann
hemchte bei den ältesten Elegikem, also in dem Jahihnndert von Kallinoe
bis Himnenu (675 — 575) durchaus und ulh in die altionische Sprache, die-
■dibe, die uns in den Distichen der ionischen Inschriften entgegentritt Diese
reine Sprachform wurde noch bis in und vielleicht noch über die Mitte des
VI. Jahrh. z. B. von Euenos ftirtgesetzt, daneben aber wandte Mininermos,
wahrscheinlich als Erster, dit dem Epos nachgebildete Mischsprache an, welche
nur uUmählich die Alleinherrschaft errang, so jedoch, dafs noch 25 Jahre, viel-
leicht sogar ein volles Menschenalter lang die alte, dialektischreine Sprachform
aeben ihr herlief. Übrigens stimmt diese Auf&usung, wie ich hier noch einmal
ansdrackUdi bmerice, wesentlich mit Hui Darlegimg S. 182 f., und ich wfirde
lebhaft bedaunm, wenn dies auf einnn jfesten Grunde, der unbe&ngenen Be-
obachtung sprachlicber Thatsachen, aufgebaute Ei^bnis um irgend welcher ror-
gefafsten Meinungen willen nicht zu allgemeiner Anerkennung durchdringen sollte.
Den gleichen Gang hat die Sprache der Elegie bei den Attikern cre-
nommen: erst in den jüntjcrcTi InFclirirtrn oleg^isclier Messung tinden sieh
epische Aoli!<mc?i wie 'Aiöao, und die Sprache Solon.s ist, von etwaigen Zitaten
aus dem Epos aljgesehen. j^it und rein attisch; doch würde der weitere Nach-
weis uns über die Grenzen dieser Abhandlung, die es nur mit Quellen des
ionischen Dialekts zu thuu hat, hinausführen.
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PHILO VON ALEXANDRIA.
Von Leopold Cohn.
Es ist ein eipenarti|Tes Schicksal, das eiuen grolsen Teil dt r Schrifteri des
jüdisch-aiexandnniisclu'n Philosophen Philo vor dem üntergaii_i t>ew:ihit hat.
Von den eigenen Glaubensgenossen beinahe voUstandig iguoruit (nur ganz
geringfügige Spuren seiner Benutzung finden sich in der späteren national-
jüdischeii Idttentar) und anch von beidniaeb«!! SchriftsteUera nur wenig ge-
kannt batle Philo um so grö&eren Einflub auf die altdiristiidie Litteratur
und auf die Ausbildung der chriBtliclien Dogmatik und Bibelezegem. Ckrait-
liche Schriftsteller lasen und studierten Philo aufs eürigste, nahmen ihn sich
in Stil, Ausdrucksweise und Dialektik zum Muster und bildeten seine philo-
sophischen Idwn in christlich -dogmatischem Sinne um In dtn Bibliotheken
wurden daher begreiflicher Weine seine Schriften in ziihlreicheu Exemplaren
vervielfältigt und durch das ganze Mittelalter hindurch in den Klöstern des
Orients mit demselben Eifer wie die Werke der Kirchenväter abgeschrieben,
ein Tnl der Schriften auch ins Lateinische und Annenische fibersetat; die
C^tenenschreiber exierpierten seine Erklärungen von Bibelstellen, und Bkr die
Verfasser Ton FlonlegMn waren seine Scbrülen eine reiche Ftudgrubey aas
der sie ashllose Aussprüche religiös -ethischen Inhalts achöpffcen. In der
BenaiBSauce begann man auch im Occident Philo als griechischen Philosophen
neben Plato und den Nenj)liit<)nikem zu studieren. Nicolaus Cusanus, dessen
Mystizismus sich mit i'hilcj und dem Neuplatouismus nahe berührt, zitiert Philo
als Plafnnirus. Papst NieoluuH V., der Stifte r der Vatikanischen Bibliothek
und Urheber einer ganzen Ü bersetzungslitteratur lälfit auch Philos Werke
ins Lateinische fihersetsen* Lilins Aegidius LibeUius Tifemas unteraiebt sich
dieser Aufgabe, und die Vatikanisdie und Barbermische Bibliothek in Rom
bewahren noch heute seine Übersetsung in adit statUichen Binden. *) Im
XVL Jahrhundert b^^innt die philologische Bearbeitimg Philos. Zwei un-
gesehenen Philologen, Adrianus Tumebus und David Hoeschel, werden die
ersten Druckansj^iiTion verdankt. Tumebus besorgte mit TTilfe von drei Hss.
der Königlichen Bil)liotliek, die sich damal.s noch in Fontainebieau befand, die
editio princeps i Paris 1552/. Für die ^röl'sere Ma.ssc der Schriften war er auf
zwei junge und einer schlechten Klawse der Überlieferung angehörige Hss. an-
gewiesen. Sein Text seigt daher im grofsen und ganzen dieselbe Fehkorbaftig-
*) Voigt, D\f WieaerbeleliunK' d«l UswKhen AltartllBl II* S04 ff. 180 ff.
*) Pitra, Ajialecta aacra II 331.
L. Oobii; Fliilo von AleocMidrift.
515
keit wie die Ton üan bennizten Hm. Abwt Turaebus hat sich nicht damit
begnügt, den Text Has. einfiwli ftbmdrncken, er abt Eritil^ und wenn auch
feine Konjekturen and Audernngen nidit immer dae Richt^ trdTen, ao hat
er doeh an nnrilbtigwi Stellen Fehler der Hm. «rkannt und beseitigt. David
Hoeschel gab aus einem AugustanuH (jetzt Monacensis), der einer anderen
Klasse angebort als die von TtimebiiH l)eniitzten Hss., und aus einer anderen
(jetzt verschollenen) Hs. vier Philouiseh«' Sohrift<>n, die in der editio princeps
fehlen, mit wertvollen Anmerkungi'ii heraus (Frankfurt 1587 und Augsburg
1614). Dann mhte die philologische Arbeit lauge Zeit fast vollständig. Aufser
J. A. Fabricius, der alles Winenawerte Ober Leben und Sehriften Philos aa-
aammenetellt und die Litteiatar veneichnet (Biblioifa. Gr. IV 731—760 ed.
Harle«), iat in dieser Zeit kaum ein Philologe an nennen, der sich ernsthaft
mit Philo beschSIligt hätte. Wie im Mittelalter wurde Philo wiederum eine
Domäne dor Tl.' I u 'n, die in aahbreichen Kommentaren und Monographien
hauptsächlich über tlie Beziehungen zwischen Philo und dem Neuen Testament
Lieht verbreiten wollen, in Wirklichkeit aher nur IiTtümer auf Irrtümer häufen.
Von einem Theologen rührt auch die ernte ujid bis vor kur/.em einzit»« kritische
Ausgabe Pkiloä her. Mit Thomas Maugejs Ausgabe beginnt eine neue Epoche
des Philotextes. Alle früheren Ausgaben waren unveranderte Wiederholungen
dar editio princeps und der Hoeschdaehen Editionen, Mangej gab dem
Philotext eine neue sichere Grundlage, indem er eine grolae Reihe zum Teil
wertvoller Hsa. beramsog und mit ihrer Hilfe den Text verbesaerte, auch den
Schriftenbestand aus ihnen erweiterte und eine Sammlung von Fragmenten aus
anderen Quellen hinzufügte. Sein Apparat war allerdings sehr unvollständig,
die Kollationen waren höchst mangelhaft, und die Art, wie Mangej von ibn' Fi
Gebrauch machte, entspricht in keiner Weise den Anforderungen philologist her
Akribie. Von grcH'stem Wert aber sind seine kritischen Noten. Mangej war
in das Verständnis der Philonischeu Schriften tief eingedrungen und besals
^e gute Eenntnia des Philoniacben Sprachgebrandia. Seine Konjekturen
treffen an vielen SteUen den Nagel auf den Eopf^ Tiele unter ihnen haben
apftier durch Haa. oder durch die indirrtia Überlie&mi^ Oure Beslfi%UBg ge-
funden. Hangeys Ausgabe enthält bis auf einige kleine Stücke alle Pbilonischen
Werke, die in griechischen Hss. ü])t'rliefert sind. Einen wertvollen Zuwachs
erhielt der Schriften bestand, als .1. B. .Xiieher mehrere Srliriften l'bilof aus dem
Armenischen veröH'entliehto fVcnedit: \><'J'2 und 1820), deren griechische Orif^inale
verloren sind. Nach Mangey haben die iextkritischen Arbeiten wiederum fast
150 Jahre geruht. Die späteren Ausgaben sind von der Mangejachen ab-
hangig, stehen aber an Brauchbarkeit hinter dieaer snrQcl^ da die Herausgeber
ein&ch Mangejs Text mit allen Fehlem abdrucken lieHiMi und es nicht fSr
nötig ianden, aeine kritischen Noten und Bmendationen zu herflckaichtigen.
Die Bichterschc (Leipzig 1828 — l"^ ''^ und die Tauchnitssche Ausgabe (Leipzig
1351 — 1853) haben nur das vor der MttQgejschen voraus, dafs sie handlicher
und bedeutend billiger sind. Auf diese waren daher die meisten Gelelnten in
unserem Jahrhundert anjj^wiesen, und mancher Theologe und Pliiiosopb, yiel-
516
L. Cohn: Flilk> von Alaonuidria^
leioht such manehir Philologe, mag durch den yefwahrloBten Zniiud des
Textes in diesen Antoben «bgesehreckt worden sein, sieh eingehender mit
Philo SU befimsen. Es ist das Verdienst der Berliner Akademie der Wiasen-
sehalten, dnreh eine im Jahre 1887 ^t stdlte Preisauf^ahe die Anregung sc
einer neuen kritisdiea Bearbeitung der Werke Philo» gegeben zu haben.
Hoffentlich wird unsero none Anflpnbo') auch die Philologen wieder vcran-
las^eu, l'hilo eifriger zu lesen als binher und 'Itti tufi'iiiiirfachen Problemen,
die sich an seine Schriften knQpfen, ihre Aufun i ksiimkeit zuzuwenden. Es
handelt sich hier um ein Gebiet, auf dem die historische Theologie und die
klassische Philologie «mammenarfaeitMi mflssen und einander nicht entbehren
kSunOL
Bei der Mittehtellnng avisehen ' Jodentum und HeUeniamuSy die Philo ein-
nimmt, und bei dem eigentfimlichen Charakter seiner Sdxrifbtellm ist es
nicht leicht, zu einetn richtigen Verständnis seines Wesens zu gelangen. Ein
umfassendes und erschöpfendes Werk über Philo giebt es noch nicht. Die
Werke von Ofrorer*) und Dnhne'''^ die ersten grörscren Versuche in dieser
Hinsicht, sind in der Haupttijube verfehlt und <»'rr>('steuteiis heute veraltet. B^idp
Männer haben mit vielem FUnis ein reiches Mak rial zusammengetragen, sie sind
aber mit Vorurteilen und verkehrten Tendenzen an ihre Aufgabe herangetreten
und infolgedessen m fiibdien Ergebniesen gelangt Gfrdier ceigt schon im
Haupttitel seines Werkes die fiüsche Tendenx: Knäteke OeaMeMe des ürdiHsiah
^ Ums. L Band. Tlah tmd «üe älexanännittite 2%e0sofiihw n. b> w. Er wiU alse
eigentlich nicht eine Darstellung der Philonischen Eeligioimphilosophie geben,
es handelt sich für ihn lediglich dämm, das Urchristentum aus Philo oder
vielmehr uns d( r jOdifich-alexandrinisohen Philosophie zu erklären. Zu die<x»m
Zwecke sucht er mit allen künstlichen Mitteln alle möglichen Ähnlichkeiten
zwischen dem Neuen Testament und Pliilo herauszufinden und bemüht sich zu
zeigen, dal's dem Christentum alle Originalität mangele. Bei der feindseligen
Stellung^ die er danuds gegen das Christentom einnahm, sieht er tibwall Wilei^
sprOche und Ungereimtheiten und spottet mit WoUnst darttber. Aueh DiOm
ging von einer Machen Ansdhauung ans: er hatte eigentlidh den ehristlidien
Alexandrin ismus behandeln wollen, geriet aber bei seinen Studien darüber
saenit auf den Neuplatonismus, den er fälschlich den heidnischen Alexaudrinis-
mns nennt, und dann weiter auf den jüdischen Alexandrinismns, und in diesem
will er nun die Wur/el der beiden anderen erkennen. Wie (ifrörer vertritt
aucli Dähne die Ansicht, dals die jüdisch-alexaudrinisühe Philosophie sich all-
') PbilouiB Alexaudrmi opera quae supersmit ed. L. Cohn et P. Weadland. Vol. I ei.
L. CobD, BeroUsi 1896. Yol. n ed. P. Wendland, tWt. l>er Dt Bd tit Im Druck vsd
encheint demnüchHt.
'» A. Gfrörer, Philo und die alexandrinische TbeoROjibie ihUt vom Kiuflu»««' der
jüdiach-ägjptiacbeo Schul« auf die Lehre des ueuon TestAmeots. Zwei Abteiluugeii. Stutt-
gart 1881.
*) A. F. Dahne, Geechichtliche Darstellung der jAdiad^- ileCTadriMisdien BeligioB^
Philosophie. Zwei Abteilongen. Halle 18Si.
.^ .d by Google
Ii. Odin: Pliilo von Alezudrift.
517
mäklich nach Paläatina hin ausbreitote und dort vermittelst deH £s8enismua
a«f die EBttlebiiiig dM CSntttenfauiifl ^wirkte.
Li ddn neueren Dursiellangeii ist Philo gewShnlich vom philusaphischen
Standpunkt ans behandelt worden. Aber Philo war kein eyetematiBcher
Philosoph. Ausschliefslich phfloaophischen Inhalt hat nur ein ganx kleiner
Teil (^einer Werke, in der Hauptmasse der Schriften ist die Philosophie nur
Mittel zum Zweck, Jte ITauptsnche ist die Erläuterung der Bücher des Pentar
teuch. Philo ist voniugsweise Bibeloxeo^et, nur besteht das Charakteristische
seiner Exeiirese darin, dafs er flhenill einen tieferen (symbolischeu) Sinn in den
biblischen Erzählungen und Vorschriften sucht und dann die metaphysischen,
payehologiaelien nnd eChisebaii Meen, die er auf diese Weise aus ihnen ent*
wickelt nnd herattBlieet, mit Lehren der griedueehen Philosophen Terknttpft
and mit ihrer ffilft «Katert. Seine Schriften enthalten daher kein folge-
riebtig entwickeltes philosopluBchee System, sondern einen Komplex Ton philo»
sophischen Gedanken, aus denen sich mit einiger Mühe «eine Weltanschanong
konstruieren läfst. Dieser Eigenart l'iiihts ist bisher zu wenig Rechnnng jje-
trügen worden. Auch Zellers Darstellung i^Philos. d. Griechen III 2', '^'^^ ^18),
die beste uml gründlichste, die wir in Deutechland haben, bleiltt aus diesem
(irunde einseitig und unvollständig. Dasselbe gilt ron dem die philosophische
Seite ebenfidla aeiir sorgfältig behandelnden Buche des Engländers James
Dmmmond.*) Jetrt ist in dem Buche Ton tidonard Herriof) auch eine
firanaösisehe Darstellang hinsagekommen. Leider entspridit das Buch dnrcb-
auB nidit den Erwartungen, mit deuMi wir an die LektOre desselben heran-
gegangen sind. Es zeichnet sich zwar, wie wir es bei den Franzosen gewohnt
sind, (hirih graziösen Stil und fesselnde Darstellung aus und unterscheidet sich
dH'liireh sehr vorteilhaft vor der ftwas nfichtcmen nnd einförmigen Behand-
lungsweise Drummonds, und diese äulseren Vorzüge sind wohl geeignet, einen
mit dem Gegenstande nicht völlig vertrauten Leser über die inneren Mängel
hinw^gznttnsdien. Vielleicht ist darin auch die Erklärung dafür zu suchen,
dab das Bach Ton der Aeadänie des sdenees morales et politiquee mit einem
Preise gekrfint worden isi Unseres Erachtens hat der Verfasser eine solche
Auszeichnung nicht verdient. DaTs sein Bndi nicht das leistst, was uns tMt,
gesteht der Verfiuser selbst ein, er sagt am Schlüsse der Vorrede: L'heure
n'est pas enccre venue oü un historien philosojJie pourra ecrire sur Philon ei
l'Erolf Juive d'Alexftndf'ir Vomvre rivnnff d comjüHe qui nmis manque; il fant
attetulre an mmns In ijrundf vtiiiion qnr jtnmut 1' Acath'mü' de Berlin (!). li ici hi
. . . nom tädu-rom dv dunutr uu precis deim., net, et, si ix)ssible, rommode de
cette phihsophie. Darin hat Herriot recht, dafs der Zeitpunkt für eine imi-
finasende Darstellung noch nicht gekommen ist: es mflssen noch manche Vor-
arbeiten gemacht und über viele Punkte die Ansichten mehr geU&rt werden,
') J. Dnuamoud^ i'hilo Jada«u8, or tbu Jewish-alexandriao philoaophy in its deve-
lopment aad eompIetioB. t v«la. London 1888.
*) £d. Herriot, Philon le Jutf. EsMi sur IVcolc juive ü'Alexandrie. OoTTage eooconntf
par rfn^titnt Acndt'niie des feiencM loocale» «t poUti^aea). Paria 1898.
»•II« J«lirbncb«r. im. L 31
518
L. Colm« Philo ▼on Alesnidria.
ehe ein G^eBamtbfld geliefert werden kaniL An kanen Abriaaen der PUloniBdien
PhiloBophie aber ist kein Hangel. Mag sein, data es in Frukreidi an einem
flolc&en gefehlt bat. Dann bat aber aach Heniota Bneb dieeom Bedftrfnie nicht
abgebelfen. Wir müssen jedem, der «di fiber Philo orientieren will, entscLieden
widerraten, dMMB Buch xum Führer zu wählen. Die Auffassung über Philo
und den Ursprung spiner Philosophie, welcher dor Verfasser huldigt, ist in der
Hauptsache verfelilt und veraltet. Er bt-jit/t weder ein selbständiges Urteil,
dan ihn befähigt hätte, über die we^eiitlii listen fragen ins klare zu kommen,
noch eine genügeuUe Kenntnis der Litteratur. Neuere Litteratur ist zwar
aiemliob reidilich angeführt^ aber nnr aum geringaten Teil benntit oder berfick-
aicbtigt, wie man an vielen Stellmi achon an der Zitterweiee und den falechen
Titeln der sitierlen Bücher erkennen kann. Wichtige Pablikationen der letzten
Jahre kennt fljerriot überhaupt nichi Sein Buch trägt die Jahreraahl 1898.
Von der neuen Philo-Auagabe, deren erster Band im Sommer 1896 erschienen
ist, wcifs H. iiocb nichts (siehe oben), er benutzt ausschliefslicli die bequeme
Tauchnitz-Aus^be, f/in n>arqw\ au jmnt de nw du trxtr, uu pnujres . . . Sttr
Celle de Manfjpffl Tisciietulorfs Philonea und <iie Pragmentsammluns: von
J. R. Harris führt er zwar im Litteraturverzeichuis auf, aber ange^eheu hat er
aie nicht, wie aus folgendem erbeUt. S. 239 f. zitiert er die bekannte Stelle
fib«* die gottlidien Mittdkrifte aoa Qoaeat in Ezod. II 68 in der Aneheraehen
lateiniacben ÜboreetBung, puuqne le texte gtee m est perektt und fitgt die Be-
merkung hin2n: de texte fixest pae irie da»; ü est Voeumre dun traindmF asses
depourvti d'^xy/rirncc et, d'autre pari, ü ne nons est parvenu qu altere. Aus
Tischendorf 8. 150 und Harris S. 66 hätte H. ersehen können, dafs der
griechische Wortlaut der Stelle erhalten ist, und der Stofsseufrer über die Fn
khirheit der l^ersetznng wäre unnötig gewesen. Von Wendland fübrt er die
iVeu entdeckten Fraymtnte Fhütßti an, benutzt sie aber nirgends; die andinn
Sduriften Wendlands sind ihm unbekannt. Dagegen zitiert er einen aiigei>-
lichen Artikel Wendlanda fiber die Eekthnt der Schrift De aetermtate mmdi
im. Aidiiv ÜBr Oeacbichte der Pbiloaophie, der in Wahrheit aber die Sdirift
Quod mmm prchts lüter sU handelt Eine grSÜMm Belke TM» Zitaten und
Litteratorreraeichniaaen in den einleitenden Kapiteln ist kritiklos aus dem
Buche von H. Bois übernommen (s. unten). S. 44 werden aus der reichen
Litteratur über den Esscnisinns im ganzen 11 Schriften oder Aufsätze an-
geführt, darunter aber mehrere, die gar nicht über die Essaer, sondern nl)fr
die Therapeuten handeln. Unter den beachtenswertesten Werken, die über die
Lehre Philoe handeln, zitiert H. unter anderen auch eine Schrift von Eichhorn,
er meint aber die Abhandlung von £. H. Stahl Aber den Lehrbegriff Philo«
in EichhoniB Bibliothek der bibliachen Litteratur IV 765—890. Und eo lieTaen
aieh noch ?iele Beispiele von aeiner markwflrdigen Litteraturkenntnia anfuhren.
In den nachstehenden Ausfuhrungen, die den Zweck haben, einen weiteren philo-
logischen Leserkreis über den heutigen Stand der Fhiloforschung und ihre Probleme
zu orientieren, wrrd. n wir, indem wir an Heri iot anknüpfen, Oele^eiiheit habt ii,
auf die Mängel seue^ Buches näher einzugehen und obiges Urteil zu reciitfertigeu«
.^ .d by GüOgl
L. Cohn: Philo von Alenndri«,
619
I
In dem ersten Buche minen Werkes behandelt Herriot die Beziehungen
zwischen Juden und Griechen seit der Zeit Alexanders de« Grofsen. Ein grofser
Teil tlieser Erörterungen stolit in keinem oder nur sehr losem Zusammenhange
mit F*hilo. Die ausführiiche VVieder^ihc der Er/iihliinp von dem Einzüge
Alexanders in Jerusalem war sehr überliüssig. Vun muiütigcr Breite ist auch
das Kapitel über das palästinische Judentum, m dem die Frage behandelt wird,
ob Spuren grieduBchen EinfliuBes id den BQcheni Kolielet und Jesus Sinich
und im Eseenismus wahrzunehmai sind. Für die beiden alttestunentlichen
BQcImi- wird griechiseher Einflufs mit Recht von Herriot beritten; wenn eine
ErwibnuDg überhaupt nötig war, hätte das mit wenigen Worten geechehen
können. H. bietet hier übrigens nicht Resultate eigener Forschung, sondern
schreibt das Bufli von H, RoisM »ns. Er deutet e«« sellist hh. indem i'r au
mehreren Stellen, wn »r Litteiatur uiitiilirt, von diesem Buche bemerkt: J\'uus
tums servirons bmwnai) ik er pn'iiciu: uaviaift. Aber wenn er nichts Neues zu
sageu wuiste, hatte er einfach auf Bois verweisen sollen, anstatt verwässerte
EzEwpte auB seinem Budie zu liefern. In dem KApitel über den Essenismus
erkSUrt Herriot, dals diese religiöse Sekte des pel&stinisehen Judentums stark
vom BteiUenismos impriigniert war. Er vertritt also die veraltete Anschauung^
dafs der Essenismus gewissermalseii vhi palästinischer Ableger des jüdischen
Alexandriuismus gewesen sei. Miui hat auf den verschiedensten Wegen den
Vfrsnch fremuelit, das Wphpti des Essenismus auf fremde Einflüsse zurück-
zuführen, indem mau bald dem Parsisiiius, bald dem Buddhismus. hiiM dem
Hellenismus eine Einwirkung auf die Eutstt hunif der Si-ktc zuHchivibcii wtdlte.-)
Irgend welche Beweise für alle diese Vermutungen sind nicht erbracht worden.
Wir müssen die Esriler für eine auf jüdischem Boden erwachsene religiösie
G^einsdiaft halten, die durch gewisse Eigentümlichkeiten in ihrer Lebens-
wdse und in ihren Anschauungen (namentlich in Bezug auf die Beobachtung
von Reinheitsgesetzen) sich von ihren Mitbürgern und (Maubeni^enosien unter-
schied, die aber alle sich sehr w<>)il ans dem Geiste des traditionellen Juden-
t-ims tiklären laf«son 'und ihm nielit widersprechen. Üie Vermutung grieclii'rben
Kintlus.He« «tütxt sii li allein iitif vage Aufserunijen des Josephus. Wenn .Josi plius
die Essäer mit den rvtlia^rnieern vergleicht, »o ist darauf gar nicht*; m j^elM u;
denn Josephus liebt es überhaupt, jüdische Verhältnisse mit griechischen in
Pandlele an setzen, wie er ja auch die Pharisäer mit den Stoikern vergleicht.
Dab der Kenpythagoreismus auf die Entstehung des Essenismus eingewirkt
habe, wie Herriot (mit Zeller u. a.) annehmen will, ist schon darum aus^
geschlossen, weil der Ursprung der jüdischen Sekte in eine viel frühere Zeit
zurückgeht, als die Anfänge des Neupythagoreismus sich nachweisen lassen.
Und wie mit dem Essenumns, so steht es mit dem palästinischen Judentum
>) Beiin Boii, Emi snr le« onginM de la phUoBophie jud^o-alezandriae. Paru 1890.
Die Uttfliator bei B. Scbflier, Qewbicbte de« jadtaclieD Telket nr Zeit Jemi Christi
n MT s;
84*
5S0
L. Colui: HuJo von Al«uadri».
üWhanpt. Schere Spuren eines Einflusses griechischer Philosophie auf die
palSstintfche Lütwatnr «ind nicht ?or1imdeiL
Qanz aoderB lagen die VerhSitnieee in Alexandna. Es war naUrlichy dalb
die Juden in Alexaiidri% wo die Griedien an Ifiidit und Bildung das herrachende
Element waren, ihre EzUusivität nicht so streng bewahren konnton. wie es in
Palästina der Fall war. imd in immer nähere Berührung mit den Griechen
kommen mufsten. Mit der griechischen Sprache eigneten sie sieh gritchisclip
Bildung an, und im täglichen Umgänge mit geistig hochstehenden Griechin
erlangten die Gebildeten unter den alexaudruuschen Judeu mit der Zeit die
Fähigkeit, in den Geist des Hellenentums einzudringen und ihn in sich auf-
suneiimen. Die erste Wirkung der Annäherung des Judentums an den Hellenis-
mus war die griecbisclie ÜbefsettEong der Btteher Hosis, die sicherlieh durdi
das praktisehe BedOrfeis der griechiseh redenden Gemeinde in Alexandria, nieht^
wie man auf Grund der alten Legende lange Zeit geghiuht hat, durch den Ein-
fall und die littenurischm Neig^^^n;' n eines sammeleifrigen Königs oder seiner
Hofgelehrten hervorgerufen wunle. Es ist n\n'\- auch hfgreiflich, wie man in
den gebildeten jiiilisilu'ii Kreisen Alexaiulrias, nachdem man die klassische
, Litteratur der (Jrifclieii uikI die griechische Phih)sophie kennen gelernt hatte,
Vergleiche zwischen Judentum und Grieeheutum anstellte und darüber nach-
dachte, wie wdil ein Ausgleich swisehen den «erbtw Lehrm de« jfldisditn
OffmbarungBglaubens und gewissen griechischen Anschauungen hergestellt
werden könnte. Hier also war der Boden vorhanden, auf dem eine Yer-
Bchmelxung jfldischen und griechischen Geistes möglich war, wo eine Weli-
anschauung wie die Philos entstehen konnte.
Wir kommen hier zu der wichtigen Frage: hat Phih) thutsilchlich Vor-
gänger gehabt, an die er angeknüpft und <len>n Sj)uren er verfolgt hat? Hat
es mit einem Woit<^ eine jüdiHch-alexaiulrinisclie Philosophie vor Philo ge-
geben/ Man hat früher Philos Originalität sehr herabgesetzt und die Ansicht
▼ertreten, da6 eine jfldiseh-alexandrinische Philosophie schon lange vor Philo
bestanden und eigentlich nur ihre letite Vollendung durch ihn erhalten habe.
Girörer widmet den ganaen iweiten Tal seines Werkes Ober Philo und die
alesandriniBche Theosophie dem Nachweise, "dafs die Gnindafige der Phüonischen
Theologie viel älter als er selbst sind und dafs sie Ulngst in Alexandria unt«r
den dortigen Juden verbreitet waren'; er behauptet, dafs eine besondere jüdische
Philosophertsehrile in Ägypten sich bis 200 v. Chr. rückwärts verfolgen läfst,
7.U der auch Philo gehörte, und findet die Gnindanschauungen l'hilos lange vor
ihm in einer Ueihe von litterarischen Denkmälern ausgesiirochen, in der Öep-
tuaginta, bei Jesus Sirach, im 2. und 3. Makkabäerbuch, bei Aristeas, bei
Aristobttl, in den ältesten Sibyllinen, im ^ug. 4. HakkabieT^biich, im Buch der
Weisheit; keine einaige bedeutende Lehre, nicht einmal die vom Logos, ist
nach ihm Philos Eigentum. D&hne teilt in dieser Besiehung ganz die Ansicht
Gfrörers, auch er findet die Spuren der Philonischen Philosophie in einer grofsen
Anzahl älterer Schriften, in der Septuaginta, bei Aristobul. im apokryphischea
Esrabach, im Buche Tobit, bei Jesus Sirach, im Buch der Weisheit, im
.^ .d by Google
L. Cobn; Fbilo von AleModri».
2., H., 4. Makkiihiierbuch, hoi Aristeas u. a. Dic^e Anschauuiifj: betlarf heute
keiner Widerlf^uiii^ iiielir, man hat langst einfffsclifMi , dafs «ie fast durchweg
auf falschen Voraussetzungen und groben Mii»vcrätäiiiliuHHuii beruht. Aber ganz
Huigegeben ist der Gfrorer-Dähneache Standpunkt bis auf den heutigen Tag
noch mcht, für einen Teil dei gcuannten Sehriften wird er immer nodi Ton
manchen festgehalten. Auch Herriot geht auf diese Frage ein und behandelt
(in etwas eigentOmlicher Reihenfolge) Pseudo-AristeaSy Aristobnl, die Sbptoaginta
und das Buch der Weisheit Mit Recht bestreitet H. jeden Ginflub griechischer
Philosophie auf die Septnaginta. Die Neigung, Anthropomofphismeil des
hebräischen Textes zu vermeiden, teilen die alexandrinisehen Übersetzer mit
den Verfassern der chaldäischen Paraphnisen iTargumim), eine Einwirkung
griechischer Ideen kann darin nicht erldiekt werden.
Bei der Behandlung des Aristeas und des Aristobul z^igt iierriot, wie
wenig er auf der Höbe der Wissenschaft steht. Den Aristeas-Brief will er mit
Scbttrer um 800 t. Chr. anselHn. I^se Datieniiig stOtatt üeh davanf, dafo
Ariatobuly der am 170 — 150 t. Chr. gelebt haben soll, die toq FBeado-Aristeas
erzählte Legende gekannt hai Da dieser AriBtobul aber, wie wir bald sehen
werden, pir nicht existiert hat, so fällt der dnxige Grund fort^ die Abfassongs-
zeit so hoch hinaufzurücken. Dals keine Anspielungen auf spätere Ereignisse,
auf die Herrschaft der Seleuciden und die Zeit der Makkabäer, in dem Briefe
vorkommen, kann man doch nicht emsthaft als Beweis anführen. Da der Ver-
fasser eich selbst^ iils Beamten des Ptolemaeus Philadelphus einführt und als
solcher erzählen will, wie nntjpr diesem König die Bibelnhersetzunj; eulntanden
ist, so konnte er unmöglich Verhältnisse einer äpütereu Zeit berühren; er fällt
aber mn so weniger ans der Rolle, als er offenbar mit den VerhSitniasen der
Ptolen^neit sehr genan vertraut isi Eine genaue Datierung zu geben ist
bisher nidit gelnngm. Der erste, Ton dem wir beslammt sagen kdnnen, dab
er doi Brief benutat hat, ist Josephne. Dafe Philo ihn gekannt ha^ wie man
allgemein annimmt, scheint mir nicht ganz sicher. Philo erzählt allerdings
(Do vita Mosis U 5 — 7) die Legende von der Entstehung der Bibelübersetzung
ganz ähnlich wie P.seudo Aristeas, es finden sich aber bei ihm einige Ab-
weichungen. Bei Ari-iteart regt Demetrius Phalereus als Vorsteher der alexan-
drinisehen Bibliothek bei Ptolemaeus Philadelphus den (jt/dankt-n einer Über-
setzung der heiligen Schriften der Juden iur dte Bibliothek an. Philo dagegen
schreibt die Initiative dem Könige selbst zu imd nennt Dmnetrins Qberhuupt
nicht. Er kennt auch weder die Namen der Gesandten (Aristeas und Andreas)
noch den Kamen des Hohenpriesters (Elsasar), an den sich der KSnig wendet
liii^gegen beseiehnet «r im Gegeoaats m Aristeas den Hohenprirater an|^ch
als KSnig und hebt diesen Umstand nocli besonders hervor (zQiößetg ev&vg
i^tXfurF ^Qog Tov Tr}g *lovdaiag aQxitgiu xal ßaaikta — 6 yäQ «vxbg ^v).
Nach Philo wählt der Hohepries^ter rovg TfdQ avxa Soxi^axKrov; 'EßQccüov
aus und schickt mu- nacli Alexandrien, eine Zahl nennt Philo nicht. Aristeas
dagegen lafst den J loiien{)riester 72 Maniu'r, (5 aus jedem der 12 Stämme i !\
auswählen, die er sämtlich mit Namen aufführt. Ebenso weils Philo nichts
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539
I«. Cohn: Philo von AlenndriA.
davon, dals das t }>er«etzuntis\vt'rk in 72 Tagen vollendet wurde. Dafür hat
Philo einen ZuhbIz, der bei Ariäteas fehlt: er er^älllt, dalk zum Andenken an
das ETeignis allpllurlieh auf der Inael Phanw von den alecnradriiiiBcheii Juden
ein Fest gefeiert wurde. Alle diese Differenzen sehemra mir gegen eine direkte
BenntBung des Aristeaebriefes dnreh Philo und mehr dafftr su spredien, dab
Philo und Aristeas unabhängig von einander die alexandrinische Legende von
der Entst{;hung der griechischen Bibelribersetsong wiedergeben; Aristeas hat
die Legende weiter aiisgesrhmückt und zn einer jüdischen PropagRudasphrift
verwertet. l'l)ri<jenH entliiilt die Schrift nu lits, was auf eine genauere Bekannt-
schaft des Verlassers mit der alexandrinischen Philosophie im Philomachen
8inne hindeutete.
Als Hauptbeweis fUr die Existena einer j&diseb-lielleniBtisehen Philosophie
lange vor Philo galt immer das Werk des sogenannten AristobnL Sdt dem
An&ng des Torigen Jahrhunderts ist die Eehtheit dieses Werkes von vielen
urteilsfähigen Gelehrten mit gewichtigen Gründen bestritten, von anderen aber
mit dem gröJsten Eifer immer wieder verteidigt, worden.') In neur">ti r Zeit
sind unter anderen Zeller und Schürer für die Echtlieit eingetreten. Atirli
Herriot stellt sich atif die Seite der Verteidiger der Echtheit, AristohTil ist für
ihn le Premier tifpe comjtht da phiiosophe ßiät <)-(iUjcaiu(ri)i. A. Elter hat abtr
in den Abhaudlungen De Aristobtdo ludaeo (Bonner Universitätsprogr. 1894
und 1895), die Herriot vollständig anbekannt sind, glaniand nachgewiesen^
dab es sidi um eine spatere FlÜMliung handelt, und damit diese alte Streit^
finge endgiltig aus dem Wege g(eschsfft Ein Peripatetiker Aristobnlua, der
mit dem im 8. Makkabierbuch (1, 10) erwähnten Aristobul identifiziert wird,
soll einen Kommentar zu den Gesetaen Mosis verfafst und dem Könige Ptole-
roaeus Philometor (um 170 — 150 v. Chr.) gewidmet haben Was daraus an*
geführt wird, berührt sich in der Methode der Bibelerklärung mit Philo. Aber
die Art, wie der Verfasser alttestameutliciie Theologie mit griechischer Phüo-
sophie zu verbinden sucht, weicht doch von der Philonisehen wesentlich ab
und geht weit über das hinaus, was Philo anstrebt. Während Philos Bibel-
exegese darauf ausgeht su seigen, dafs die Bibel im Grunde nichts anderes
lehre ab was auch die grofiwn griechisehaa Philosophen gelehrt haben, be-
hauptet der sc^jemumte Aristobul einfach, d&fa die grieehisohen Philoaopben
ihre Weisheit der Bibel ertlelint haben, und dafs es schon vor der durch
Demetrius Phalereus veranlafsten Übertragung durch die Siebzig eine griechische
Übersetzung der bihlisrhcn Schrieen gegeben habe, ans der ein Pythagoras,
ein Sokrates, ein Plato geschöpft haben Und nicht l)l()I's bei den griechischen
Philosophen, auch bei den alten Dichtern lindet er Spuren jüdischer Weisheit,
er zitiert mehrere an biblische YorsteUungou anklingende Verse aus Orpheus,
Linui^ Homer und Hesiod, die teils tendoiziSs angestutst, tetla einfiidi erdichtet
sind. Ein derartiges Machwerk kann unmöglich im II. Jahrb. y. Chr. vei&bt
sein. Aristobul wird suerst von demens Alexandrinus erwihnt und fiberbanpt
*) Bewmden von Yslekenaer in der Diatribe de Aristobolo Jadaeo (Lugd. Bat. 18061
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L. Cbha: Philo von Al«iaiidm. 528
■
nur Ton diesem und von Eusebius zitier! Es wäre schon eine sehr merk-
wfirdigc Thfttsache, dals wir tou einer jtldisch'lielleiuatiBQheD Sehiift des
n. Jahrh. t. Chr. errt dtireh KirdieiiTftter des II. und IV. Jalirh. Kunde er-
hatten, dafs kein frfiherer SchiiArtelkr eie erwalmt. Gans undenkbar aber iek
es, dafs im 11. Jabrh. v. Chr. in dem gelehrten Alexandria, wo gerade damals
das Studium und die philologis In F.( n-^fftung der klassischen Dichter in
höchster Blöt<' "^taful, jemand gewagt haht n sollte, mit sn nnvprschamten Lügen
und Faischuiigeu an (Üp Öffentlichkeit zu treten und ncah dazu sein Machwerk
dem Könige selbst zu widmen. Man hat sii-h mit der Annahme zu helfen ge-
sucht, dafs Aristobul diese Fälschungen nicht selbst Torgeuouuueu, sondern
schon in einem alteren Werke vorgefunden b^e. Kunentlidi kai SdiHrer sn
beweisMi gesuchty dafs die Verse wie alle anderen gefilaehten Diditerfiroi^ente,
die bei den Kirchenvätern vorkommen , aus dem Buche eines ilteren jftdiBcfaen
Hellenisten stammen, nämlich einer unter dem Namen des Hekataeus von
Abdera gdälschten Schrift Ileql ^jißg^^uiiv, die bereits im IIL JahrL v. Chr.
verfallt sein soll! Aber wer nnch immer der Fälscher war, in jedem Falle
smd derartige Fälsehungen in einem für griechisch*» Lcfser bestimmten
Werke und in dieser Zeit und in dieser St«dt undenkbar. Durch sorcffSltige
Analjse der verschiedenen Überlieferungen des gefälschten Orphischen Fr^g-
mante^) bat A. Elter den Nackweti geffihrt, dalk die jüngste Fassung gerade
die des sograannten Aristobul ist, und er kommt nach Hervorhebung aller
Momente zn dem Schlnfii, daTs iMide Schriften, die des Aristobul und des
Pseudo-HekataeuSy nicht von jfldischen Hellenisten des H. und ITT. vorchrist-
Uehen Jahrh. herrühren, sondern der ohristlichen Af)ologetik ihre Entstehung
verdanken und in dem an Fälschanf»en so reichen II. Jahrh. n. Chr. verfufst
sind. Dafs I'seudo- Aristobul sich mit Philos Bibelexegeso beriihrt, ist eiufach
daraus zu erklären, dwfs der Fälscher Philo gekannt hat, wie Wendland bei
Elter S. 229 — 234 zeigt. Unter den angeblichen Vorläufern Philos ist Aristobul
demnach zu streidisn.
Das einsige litteiuriBclie Denkmal des jfldisehen Alexandriniamus vor Philo
ist das Pseudo- Salomonische Buch der Weisheit (Smpüt JESailoftAvro^), das
seit den Zeiten des Hieronymus bis in dae vorige Jahrhundert hinein vielfach
geradezu unserem Philo zugeschrieben wurde. Was Herriot über dies Buch
sagt, beruht im wesentlichen wieder auf Ausführungen von H. Bois. Nur sncbt
Herriot soviel wie mö^lieh Ähnlichkeiten mit Philo herauszustreichen, um zu
beweisen, dafs wir es hier mit einem wirklichen Vertreter der jüdisch -alexan-
drinischen Philosophie zu thun haben, dessen Ideen sich denen Philos sehr
nähern und eigentlich von Philo nur weiter ausgebildet werden. Die sehr
wesentlichen und charakteristiBehen üntsrsohiede, auf die Bois im einseinen
Yoran^i^egangen waren ihm hjerin Lobeck (Aglaopbamus 1 i4B} und M. Joel, Blicke
in die Religionsgcschicifaie sa Aafiuig des II. ehruüiehen Jahritanderti ^rsilaii 1880}
I 77—100.
*) Vgl. auch WendhMid, Bjxutm. Zeitaohr. YQ (1898) 447 ff.
524
L. Cohn: Plülo von Akiandri».
aufimerkaam maeht, weideii von Herriot mit StfllBebweigen übergangen.^) In
Wahrheit kann dar Yeifmer dea Badies dar Weiaheit ala Vor^nger Pliiloa
im eigenÜicheii Sinne dea Wortes nicht bezeichnet werden; ob Philo das Buch
gekannt hat, scheint mir sehr zweifelhaft. Der Verfasser, der wahrscheinlich
in Alexandria gelebt hat, schreibt ein verliiiltnlsrnrirsig gutes Griechisch und
hat ^ich nino allgemeine philosophische Hildmig angeeignet; er mischt seinen
aitjüdisclieii Aii;ichauungen bisweilen fremdartige Ideen bei, die er der griechi-
schen Philosophie entlehnt. Uber seine Person und Zeit wissen wir nichts.
Über die Abfassungszeit des Buches gehen die Ansichten der Gelehrten w^t
ameinander, nur ghrabt man ii«nHch allgemein, dafs es noch yor Philo enfp
standen ist. Die Berflhmngen mit Philo sind unleoglMir. Ss finden aidk hei
Pseudo-Salomo Ausdracke und Vorstellungen, die bei Hiilo wiederkehren. Die
durch die stoische Lehre vom Weltgeist beeinflufste Schilderung des Wesens
der göttlichen Weisheit und die Aufzählung ihrer Attribute (VH 22 — 24) er-
innern an Phiionigche Schilderungen des Logos. Pseudo - Salomo zeitr+ '^Iso
Spuren der Geistesrichtung, die in Philo ihren prägnanten Ausdruck gr tun den
hat. Aber von der eigentümlichen Weltanschauung Phiios ist er sehr weit
entfernt Der jüdisch» Alexandrinismus tritt bei ihm in einer ganz anderen
Fonn auf ala bei Philo. Im Buche der Weisheit ündm wir eine Misehnng
nnd lose Verbindung von alitestamentliehen und griechischen Yorsteilungen,
das Ergebnis der Philonisehen' Spekulation ist die organisohe Verschmelaung
jüdischer und griechiseher Weltanschauung. Von den Hauptlelkren der Philo-
nischen Philosophie findet sich im Buche der Weisheit keine Spur*), der
theologisphe Standpunkt des Verfassers ist im wesentlichen der des jüdischen
OtienbaruugsglaubeiiH, obwohl der altjüdische B<'gi iff der i isheit durch Ver-
wendung Platonischer und stoischer Begriffe eine VVeiteri)il(iung erfähit. Die
Weisheit wird anscheinend beinahe zu einer von Qott selbst verschiedenen
gBttlichMi Sraft und, wie der Logos hei Philo, an einem Mittehresen^ durch
das Gbtt anf die Wdt wirktw Aber der Yeiftaser ist Mch dieser Umbildung
des WeishntsbegrifliM gar nicht bewofat, und der metaphysische Begriff der
Transcendenz Gottes, der bei Philo die Lehre von den göttlichen Mittelkräften
▼eranlafst hat, ist ihm völlig unbekannt Auch der litterarisehe Charakter des
Buches der Weisheit ist ein ganz anderer als d»'r d(r Phi]'>ii^< Iumi Schriften.
Das Buch der Weisheit gehört nach Forui und iiiiialt zur altiüdischen Litte
ratur der Spruchweisheit, wie die Sprüche Salomos, iliob, Kohtilet und Jetsui»
Sirach, der Verfasser preist die wahre Weisheit und warnt vor der Thorheit
*) Herrioi sagt s. B. einfiMb: Flteado-Saloino aUegoriBteit wie Philo; Bow dagegen sdir
richtig: La mtthode allegorique n'eti ptu pour lui (Pb. -Salomo) ee fll'eBe f*U pour Phäon.
Viiisfruiiit nt p(tr rj crlhnce de hi prPHVf , de hi dreourrrte , de kt cnneiliatHtm, II VempUke
d'tme fa^on fragmentaire, non foiuiamentale, »poradiquc, non sysUrtmtiqwt.
*) DbA in Ansdrfleken wie 4v Up^ «av ^ S), i n&vta Ujupot t6rog (XVI 12) und
6 ifavroSvva(i6s aov Idyog (XVllI 15) nicht der Philonische Logoe, sondern das altt««tamcat-
lirh. Wort {= Wille) Oottee sa ventehen ist, xeigt W. Orimni in seinem £onunen(ar sa
eleu betr. ätellen.
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L. Golm: ThUo von AkoEiiidri».
der Gottlosigkeit und des Uötzendipnftes. Philo g^ht als 8(')irifist«'llfr soint-
eigenen Wege: die Hauptmasse seiuti Schriften stellt ein litttriirisciie» Unikum
dar, in ihrer eigentümllGhen Verbindung von Bibelexegese und philosophischer
Disknasioii haben sie in der ganzen jadisch-heUenistudien Littenitar Icein
Torbfld.
In WnUiehkeit abo giebi ee, soweit ans die Litteratnr bekannt is^ Iceinen
Schriftsteller, den man mit Fug und liecht als Vorläufer Philos bezeichnen
könnte. Die jüdisch uli ximdrinische Religionspbiloso})!)!« iji (hm Sinne, in dem
sie gewöhnlich verstniidcn wird, hat nur einen litU'riiiisclu'u Vertreter, das ist
Philo. Von einer jüdiBcluii l'bilosopbenschuK' in Alexandria vor fnnd
auch nach) Philo wissen wir nichts. Man darf nun aber anderernfits ini_hti
glauben, dais diesem g^n^^ System urplötzlich fix und fertig im Kopfe Diilos
entstanden ist Die Frage nach dem wahren Ursprung der Philonischen
Spekulation wird dadurch nicht beantwortet, dafii man in einigen jfldisdi-
heUenistisclien Sehrillen mehr oder weniger griechiachen Einflnb nachweist.
Sie lafst sich auf anderem Wege besser beantworten.
Wir haben oben darauf hingewieseü, dafs der erste litterarischc Ausdruck
einer Annäherung des alexandrinift lien Judt iituins an da» Griechentum die
Übersetzung des Pentatencli war. Diu* praktische Bedürfnis, aus dem die Über-
tragung hervorging, }»est«nd darin, dafs bei den gottesdienstlichen Versamm-
lungen an den Sabbat- und Festtagen regelmäfsige Vorlesungen aus dem Penta-
teadi (sfmter anch aus den prophetischen Büchern) stattfiuiden. Da die
alezandrinisdien Juden im täglichen Verkehr mit den Griechen und bald auch
unter einander sieb der griechiechtti Sprache bedienten, so nahm die Kenntnis
des Hebräischen bei ihnen immer mehr ab. DsImt wurde, nachdem der Penta-
teuch ins Griechische übersetzt war, audl bei den öffentlichen Vorlesun^^on der
hebräische Text durch den griechischen ersetzt. An diese Vorlesungen knüpften
sich in Alexandria gewiFs ehenfo wie in den Svnagngeti Palästina» homiletische
Erörterungen. Naclidem dann die griechische l^hilosophie in <leu gebildeten
Kreisen der Juden Eingang gefunden hatte, mochte es wohl kicbt vorkouimen,
dafs die Vortragenden philosophische Lehrsätze, die eine gewisse Ähnlichkeit
mit Aussprüchen der Bibel an haben soiiienen, zur Erläuterung des Bibeltextes
beranaogen. Solche ErSrtemngen Ittfarten naturgemiUh zu weiteren B^ezionen
und Vergfleiehnngai, und auf diese Weise wurde aUmSblicfa der Versuch eines
Ausgleidis zwischen jüdischem Offenbaningsglauben und griecbischer I^iilo-
sophie angebahnt. Hier haben wir den eigentlichen Urspnmg der sogenannten
jfidiseh-alexandrinischen Philosophip zn suchen, hier liegt die Wurzel der Geistes-
arbeit Philos. Dafs Erörterungen dieser x\rt in Alexandrien itwas Gewöhn-
liches waren, ersehen wir aus l'hilns Schriften stlbst: er nimmt öfter auf
frühere Deutungen von Bibelstellen Bezug, die er entweder acceptiert oder ver-
wirft In gewiason Sinne talst ai«^ Philo mit dem TUmnd Tergleiehen: wie
der Talmud den Niederschlag jahrhundertelanger Diskusairaen enfl^t, die in
den Gelehrtenachulen PalSstinas und Babyloninis im Ansdüufs an daa Bibel-
Studium gepflogen wurden, so giebt uns Philo an manchen Stellen ein Bild
526
L. Colui: üiilo von Alesiadrift.
davon, wie in Alexandria bei den öffentlichen Vorträgen der Bibeltcxi er-
kfirt wurde. Einige anner Schriflra sind edbei als Homilien annuelien.^)
Das Mittel, dardi welches man in Akzandrien einen Attsgleicli awischen
jfidisclier Religion und griechiscluir Bildung herbeuEoflilmni Tenuchte, war die
Bllegorische Bibelerklärung. Man darf aber nicht etwa glauben, dufs die
alexandriniscben Juden dabei an einen Ausgleich von Gegensätzen dachten.
Gfrorer und Dfihne stellen don ür*«pninfj der alcxandrinischeu PhilosDphie so
dar, als oh die Juden Aiexandrias ein kirne« ßewufBtaein von dem ZAvit'spalt
golmbt liiitton, der zwischen ihrem überkommenen Glauben und ihrer griechi-
schen Bildung bestand, und darum bemüht gewesen seien, diesen Gegensatz
kOnsllieh an beaeitigrai oder zu verdediea, indem sie Tetmittelsft d^ AUegorie
die Ldiren der griechisehmi Philosofiliie in das Alte Testament bineindeateteD;
die Allegorie sei ein Kunstgriff, dnrdi dem die erseblltterte AatorilSt der Bibd
finTserlich gerettet werden sollte. Belamg und Heuchelei wäre also gewisser-
maben die Signatur der alexandrinischen Bibelerklärung. Für jeden, der Philo
einigermafsen kennt, liegt das Verkehrte einer aolchen Anschauung auf der
Hand.') Objektiv betrachtet ist die allegorische Deutung allerdings ein Hinein-
legen von etwas Fremdartigem. Aber die Alexandriner waren sich dessen irar
nicht bewufst, sie glaubten so gerade das richtige Verständnis der heiligen
Schriften zu haben. Mit den neuen Ideen veränderte sich Urnen das Verständnis,
und die Übertragung griechischer Yorst^ungen in das Alte Testament geschah
gans nnwillk&rlich. Dab die aU^rtsche Erklirungsweise Ton den atexan-
drinsscben Juden auf ihre heiligen Schriften angewandt wurde, ist sehr be-
greiflich. Das Alte Testament mit seinen aahlreiehen Anthropomorphismen
legte perade diese Art der Erklärung sehr nahe. Die erste Erheljung des auf-
geklärten (ieistes über das kindlich religiöse Denkfti }^i''steht darin, da(s er
Anthropoiuorphismeii als bildliehe Bezeichnungen auliil-t, 'Hände. FüTse, iVrm
Gottes' als syinlK)ii8che Ansdrueksweisen für die Macht und das W ii kt ii (iottes
erklärt. Nur eine weitere Kuusequenz dieser Auffassung ist die Allegorie oder
die Deutung von Mythen und rdigiSsen Enählungen oder Yorschriften auf
psychische Zustande und metaphysische oder ethische Wahrheiten.*)
Die Yorbedingungm zu Philos eigentOmlicha: Weltanschauung waren abo
vorhanden: mannigfache Versuche allegorischer Ausl^^g von Bibelstellen
waren gemadit, und die Verknüpfung jüdischer Religionssätze mit griechischen
Vorf^tellunpen war angehahnt, Dafs Philo philosophische Schriften oder Bibel-
kominent«re solcher Art. wie er sie selbst ^'erfafste. lu nntzt hat, ist nicht sehr
walirseliL'inlich. Die Stt-ilMn, an denen er frühere Deutungen von Bibelstellen
erwähnt, machen den Eindruck, als ob er sie aus mündlicher Tradition ge-
schöpft UUAe. An mehreren Stellen beruft er sich ausdrfiddieh auf die
Tradition.^) Wie weit nun diese alexandrinische Philosophie oder Tielmdur
'ji Vgl. J. Frcudenthal , Die Flav. Josephus beigelegte Schrift über die Uerrachafl der
Venituift (Breslau imv) S. 6 ff. l»7 ff.
*) Vgl. Qeorgü, Ziiebr. filr die bistor. Theologie, Jabig. 18W. 4. Heft, 8. 9 ff.
*) Ebenda 6. 48. «) OtOnt I 6S ff. Tgl. besoaden De oiieumdi. S.
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L. OqIui: Philo von JUciaiidrw.
527
philusopliisch-allf^orischc Bibeleief?ese vor i'hilt) !iusj«;el)il(lf't war, lafst sich im
einzelnen nicht mehr festsieUeu. Aber die meisten und wiciitigsLcii Lehren
Philoi werden wir wold ab aein E^entum aneelien dfiifim. Einige SieUen,
die man Ihr das Gegenteil angeflUirt hat^ sind nidii beweiskraftig^ da man sie
nicht buchst&blidi fassen darf: FUlo liebt es, bisweilen eigene Meinungen Ittr
Uter, ja sogar filr Meinungen des Moses selbst auszugeben.*) Um alles kurz
Sttsammenzufassen: in der alexandrinischen 8p« kuiHtion vor I^hilo zeigt sich
mir vereinzelt und unbewufst der Einflufs griechischer Philosophie, Philo ver-
knüpft den ganzen Inhalt dfs roli^iosfn ßlaubfns mit seiner ganzen wissensrhaft
liehen und philonnplusclu ü Bildung ^u einer aus diesen verschiedenen Elementen
eigeutOmüch zusammengesetzten Weltanschauung.
n
Im zweiten Buche bandelt Herriot fiber Leben und Sekriften Fliilos. Wir
wissen wonig muitslddiciies Aber Pbilos Leben^ auch sein Geburts- und Todes-
jahr lassen sieh nicht bestimmen. Wir kdnnen nur vermuten, dafs er im Jahre
40 n. Chr., wo er an der Spitze einer Gesandtschaft an den Kaiser Callgula
nach Rom kam, in vnrjTjerfiektcni .Mter stand. Nach Josephns fAntiq. XVIII 8, 1)
war er ein Bruder des Alahurcben Alexander. Wir dürfen daraus schliefsen,
dafs er einer der wohlhabcndst^Mi und vornehmsten Familien Alexandrias an-
gehörte. Grundlos ist die Behauptung Herriots, dalä die Alabarchen aus
priesterlicber Familie sein mnfsten. Josephus sagt nidits dsTon, und auch
Eusebius weift nichts von priesterlidier Abkunft Fhilee. ffieronymus (De vir. ilL 1 1)
ist der einaige» der Philo aus priesterliehem Oesefalecbt sein ISfti Da er aber
sonst alles, was er Ober Philo berichtet, dem Eusebius virdankt, so verdient
diese Nachricht kein Vertrauen. Der Alaharch war nach Herriot der judische
Beamte, der in Verbindung mit einem Rato von 40 Mitgliedern an der Spitze
der jüdischen Gemeinde Alexandrias stand und diese im amtlichon Verki-hr mit
Hom vertrat. Das ist die alte irrtümliche Anwhaunn*: vom Alabarchcnamt,
die den AlHbarcheu mit dem jüdiacheu Ethiiurchen iduutitiziert. Der Aiabarch
war in Wirklichkeit, wie SdiQrer gezeigt hat*), ein rifaniseh«' Zollbeamter in
.Ägypten und idimtiseh mit dem sonst enriUmten Arabarcbso.*) Dafa Philo
verheiratet war, schliefst Herriot aus einer Anekdote fiber eine angebliche Äulse-
rung von Philos Frau, die Mangey unter Philos Fragmente au^enommen hatte;
*) Dafilr, dalk auch der Logoabegriff älter aei als Pkilo, hat man die Stelle De «omn.
I 19 (I 6S8 M ) i^wAhnlich anineflUui, wo Fbtlo Utere AaBleger von Gen. 28, 11 ^m/jm^t
TOjrfl» fTwIthnf, (Ii.' dm roToj ah den ^lag lif9s erklärt hätten (Gfrörrt* I 80, Zeller
ITT 2, ■-'fif. I. Die Stelle ist ;ilior wolil so rn ork?Rr<>n, iIaTh iÜ*' iUfcrrn AusIi^c't untfr dfm
roxog einen Eugel Gottes verstanden haben (wie »ich auch aus dem Zusammenhange bei
Philo eiftiebt) and dafii PhOo nach lemer Gewohnheit statt dot Eiigolt den Logos nennt
1 Ztschr. f wiss. nsi h. Thoologio 187ft 8. 13 Qflioh. d. jfid. Tolkfli Q 640; Mariiiiiinifc,
Köm 8taat8verw. l* 435.
') Die Identität ist jetzt gCHichert durch den Zolitnnt aus Kuptoi« in Oberägyj>t«u
(Flinden Petrie, Koptos, London 18M, Nr. XXYII). Vgl. Beilege s. AUgem. Zeitimg 1897
Nr, 109.
528
L. Cohn: Philo von Alexandri».
er weils nichi^ dafs bei Stobaeus, aus dem die Anekdote stammt, OiXavog aus
^^eaUawyg Tersehrieben isi*)
Die weiteren AusflUurungen Bernds verbreiten sieh mit mmStignr Avi-
fOhrlichkeit ttber vereehiedene nebeneieUiche Dinge, wie Fhiloe BeBehreibungen
des Tempels in Jerusalem und des Prieeterstandes, während wir Ober einen so
wichtigen Gegenstand wie die BildimglgrundlBgen Philos') so ^iit wie nicbti
prfahreTi. Philo verband mit einer genauen Kenntnis den jfidisi Iji n Helirrion!'-
gesetzcH diu vollkomniniHie griechische Bildung, die das damalige Aiexandria
bieten konnte. Er hatte in der Jugend die gauze Stufenfolge der Elementar-
bildung (f'yxvxAtog xatdtiaj durchgemacht, Grammatik, Geometrie (^Arithmetik;,
Mnnk und Rketonk etudiett, und dne umfuaei^e Kenntnis der grieebifteben
Littmtnr der Uassiscben Zeit sich angeeignet. Beweis dsftlr sind die labl-
reiehen Zitate aus Dichtem wie aas prosaischen Schriftstellera in seinen
Sehriften; er ütiwt nicht nur Verse aus Homer, Hesiod, Sophokles, Euripidei^
sondern benutzt auch Thukydides und Demosthenes und zitiert Hippokrates.
Vor allem hat er natürlich die philosophische Litteratnr studiert; Pinto kennt
er durch und durch, ihn hat rr sieb iti Sprache und Stil zum Muster genommen,
seine Schriften sind voll von Platoiiisehen Zitaten, Anspielungen auf PIat<iniseht'
Stellen und Plato eigt^ntümlichen Ausdrficken und Redensarten. Die grotistin
Philosophen verehrt er au& höchste, er nennt Plato den Heiligen imd Greisen,
Heraklit den GroCsen und Vidberllhmtep, und spridit von dem hmügra ^iaeos
der Fytbagoreer und den gSttlieben HSdumh Pannenides, EmpedoUes, Zeno,
Kleanthes. Durch Sprache und Bildung fttblt sich Philo gana als Grieche: er
unterscheidet wie ein Grieelie "Ellr^vts und ßdQfitiQM und zählt die griechisch
redenden Juden zu den "EJUiiveg^ die gnecfaisdie Sprache ist ihm ^ ^futd^u
diriXfxtog.
Die jodisch-religiöse Bildimg l'hilos beruht auf der alexandrinisehen Bibel-
iiberHetüung Er verstand auch Hebräisch, wie die zahlreichen Etymologien
biblischer Namen bei ihm beweisen, die sich nur aus dem hebräischen ürt«xt
erUiiren lassen. Aber seine Kenntnisse im Hebiaisciien waren nicht bedeutend,
wie man an vielen MiTsTersfindnisBen und Verwedislungcn sehen kann. Seine
Muttersprache war die griechisdie, und die griechische Cbersetiung der Bibel,
nicht den Urtext, 1« nutzt er in seinen Sehriften und legt er seinen Erläute-
rungen zu Grunde. Die Septuaginta hat bei Philo dieselbe Autoritiit wie bei
den palästinischen Juden der Urtext, denn die t^bersetzer waren nach seiner
Mt iiumg von göttlichem Geiste inspiriert. Alle Gebot<^ der iiibel sind ihm
göttliche Ofüpnbarungen, teils direkte Xöyiu Gottes, die von Moses verdolmetscht
und aufgezeichnet sind, teils Aussprüche des von göttlichem Geiste erfüllten Moses,*)
>) Benwyi, Phokkm 8. U6.
-) V|<1 Zeller m I, 841 ff.; Siflgfiied, Philo vod Alessndria Audegsr des Alton
TiFtament« S. 137 ff.
*) De vita Mos. m 28: tüv loyitov yuff ra ^t^v i% nQocmitov xo6 9eo6 Uytrat dt' fpfttj-
9i9t rot •tfev icfo^ifvev, tit dk 4n %i4nm9 wA ^nw^Ums ^VmkMi), «& #1 Ik mfowAmiM
.^ .d by Google
L. ColOL: PUlo von Alemidria. 529
■
Er kennt kein Wort in der Bibel, das iiiclit wiclitifr und hedentsam wäre, uuh jrdem
laj»8en aieh tiefe Lehren ubleiteii. Moae» iät nach i*hilo iiiclit nur der grölkte iilier
Propheten, 6 «^^t/Tr^«; wie Homer bei den Grieclien 6 MutfTtis, sondern anek der
grSfirte und weiaeste «Jler Menschen. Die andern Propheten nennt Philo die Schiller
des Ifoeeg (yv6(fifm oder ^oi-ngtal to& Mami^), auch sie eind DolmetBcher
Gottes (fQfiTjvitg &tov), und ihre Propheseiungen nnd Annprfiche enthalten gött-
liche Weiaheit. Philo ist aber nicht nur Qborzeugungstreuer Anhänger des jadischen
0ffenbarnn«»sglanben8, er verlang, auch Htreniryto Beoljachtiint»; der von Mosen ver-
ordneten Zerenionialgt set/t': trotzdem er alles alle^dri.srh i-rklärt und in allen \'er
ordnunt;en Symbole /.u erldicken nur zu sehr ^'eneigt ist, eifert er duch ener^iseli
gegen diejenigen unter »einen ülaubensgenoH^ien, die sich von der Beobachtung
TOn Oeeetsen^ die sie symbolisidi erklärten, emaniipieren wollten. Die heiligen
Schriften (ai Ugul yqafptti) enthalten in ihrer Gesamtheit die bdehste Weisheit^
die das Ziel des mensehlidiett Streben» sein mab> die wahre Fhiloaoidue. Hier
treffen die beiden Bildungselemente Philo» zusammen. Die jüdische Theologie
und die griechische Philosophie, die er beide mit gleicher Liebe umfafst, sind
fnr ihn keine Gegensätze. Seine lleligion ist ihm mit wahrer Philosophie iden-
tisch; Moses ist der gröfste Philosoph, und was er lehrt, befindet sich in vollster
Übereinotimmung mit. dem, was auch die groÜBen Philosophen der Griechen
gelehrt haben.
Ganz nngeuügend sind Herriote Ausfiihruugen über die Schriften Philos.
Ein Uarea Bild von dem eigenartigen Charakter der Schnfistellerei Pbilos^ von
der Überliefenmg^ dem Inhalt und inneren Zusammenhang der einaelnen Werke
bekommt der Leser nicht. Herriot giebt snerst hdehst flberflttssiger Weise ein
Yerseichnis der gadmckten Schriften nach der von ihm benntacten Ta'nchsite*
Ausgabe, das im ganzen 58 Nummern zählt. Darin figurieren z. B. auch die
Kompilationen Tir mermJe mrretrins niul mundo nh benondere Philonische
Schriften. Herriot weii'a nicht, daiis das Stüek /A- merceilc ntereiricis aus ein* ni
gröfseren Abschnitt de» Buches De sacrificiis Abelis et Caini und einigen Be
merkungen der Abhandlung De sacrificaiUüms zusammengcsch weifst int.') Den
nichi-philonischen Ursprung der Kompiktion De mundo {IJegl xöofiov) hatte
schon Tomebus erkannt und sie deshalb nicht unter die Werke Philos auf-
genommen. Sie enthält^ wie ttngst bemerkt ist*), Exserpte aus der FUlonischen
Schrift Jltgl ictp&aqalK^ xtiOfiov (De aeternitate mundi), denen einige Stücke
ans anderen Philonis( ben Schriften beigemischt sind. Herriot weifs nichts
davon, er halt le petit fraife rjss^j eurieux ffui porfc !r titn de De mundo für
eine besondere Schrift l'bilos und reiht sie unter die philosophischen .fugend-
schriften ein; man sieht, wie üüchtig er Curaont gelesen bat, den er bei
dieser Gelegenheit (S. 145) zitiert. Auch die von Aucher zusanunen luit i^iii-
lonischen Werken aus dem Armenischen pablisierten Predigten Aber Samson
') Wendlaiui, Neu cutdeckte Fragineiite Philos S. 1*26 ti'.; Philoma opera vol. I S. LXXXV'II.
QnilkDiBiui, De Philmiii Judaei openijn «ODtm&B Mrie ei orduie chionologico I 8. 88{
Comont, Philonis de aetern. mundi S. XXVH; Wendland, PhUenia opera vol. II S. VH.
530 Lu Cohn: FbiU» von AleiftndriK.
und Jon» vwden von Herriot ab echte Schriften Philoa mit au%e{uhrt; mit
naiver Freimütigkeit sagt er dann von ihnen: *Noa> ne atmna oft placer le
De San^pacne et le «fimo.' ünter den Gelehrten besteht ISngst kein Zweifel
darüber, daft nie nicht vtm Philo herrühren*) und nur sofaUig nnter seine
Schriften geratcti sind. Die verwickelte Frage der Einteilung der Philonischen
Werke ist von Herriot sehr oberflächlich behandelt. Auf die älteren Arbeiten
von Gfrorer, Däbne, GroCsniann und Ewald nimmt er gar koiiip Rucksicht. Er
resümiert mir ilir Ansichten vott Hchürcr und M-.iäsebieau*) und polemisiert rt^^tT^"
einige Vermutungen des letzteren. Steine eigene Klansifikation lehnt sicli teils
an die Scbfirerache, teils an die Massebieausche an. In einem wichtigen Punkte
entfernt er aich Ton beiden, um m. einer reralteten und sicher falaeben Awaicbt
xurScIankehren. Schon GlrSTer hat erkannt^ dafs die Bfldier De vUa Metia in
den Ausgaben, wo sie awisdien daa Lebm Jonphs und die SehriHenreihe
über die Mosaischen Gesetze gestellt sind, nicht an ihrem richtigen Platze
stehen; sie stehen für sich allein und gfliörf'n nicht zu dem grofsen Werke
über die Mosaische Gesetzgebung, desi^on Plan durch Aufserungen von Philo
gelbst feststeht. Schürer und Massebieau treten ans dcnsi'lIxMi Gründen für diese
Treiüiuug «in, und Massebieuu bat noch den weiteren Grund angeführt, dalsdic Vita
Mosüi augenscheinlich für heidnische Leser berechnet ist, während die Schriften
Ober die Gesetie sidi an die Adreme des jüdischen Publikums richten. Herriot
ignoriert alle diese Beweise und rechnet die Lebensbesdireibung des Moses zu der
groüi«!! Esq^osiHon delalai* Er ^anhi auch xwei Qrfinde dafllr anführen an kSnnea:
1. Philon dedart qi^ü 6crU la Vie de Moise a Vutieniian des üiities, ou, tmt tm
moins, de ceux qui sont digncs de la connaitre. Ein schönes Beispiel seiner
Interpretation. Bei Philo, Dp vit. Mos. I 1 stoht nichts davon, dafs* or das
Leben den Moses ä I ndnitimi dis inifi/s schreiben wolle. Vielmehr will Philo
liier diejenigen, die MoBe» kennen lernen wollen, mit seinem Lehen bekannt
machen; denn wenn auch der Uubni seiner Gesetze überall hiu gedrungen sei,
80 kennen ihn salbst doch nur wenige: Mmftias • • • fiioi» iwtyffdipm
duvo7ld7iv . . . xal yvAfftfuov totg dl^oOtfi fu^ Ayvostv aiöviw ÜM^^ium' rAf^
fihv yäQ v6fua» t6 xXiot^ od( davolülourE, dtä xdmjg oimov^^imis xe^fxntipmg
"^VS yVS tiQfiaxajv i<p&axev^ ccvrbv dl oaris i)v ix" dXt]9tias
t6a6tt> ov TCokh^C Die Worte totg d^iovöi (so liest Herriot selbst mit Mangey
für das überlieferk- ft^i'o/s'^i ju?) Siyi'oftv tetfrov übersetzt er de ceur ffid ftont
dit/tm de lit mnnnUrr! 2. ij' trail'' De In monarrhir. douf la plnee n'est pas
douteuse, send/lv him posUTieur ä la Vir ilf Mdise. Plnsimr^; rpisod^s. lofufue-
ment developpes dans ceüe biograplm . . . smä premUes iians U De tnmtanhm $ous
UM forme i^m^ gm SMf^pose m r&tf mriineiir fbis eamij^. Auch in anderen
Teilen dieser Schrifitenieihe kommen dieselben Dinge vor wie in der Fifo Jfosit.
•) Dahne, Theo). Studien u. Kritiken 1833 S. »87 ff.; J. Freudentbal, Die Flavias Josephiu
beigelegte Schrift über die Heiradiaft der Yeraunft 8. 9 ff. Ul ff.
*) Le elawemeni dm oeuvrea de Philon (— BIbliotli&qm de r<co1« des haatoi ätade«,
Bcieaeee religieufea, vol. I) Paria 1888.
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L. Oobn: Philo von Alenuidrift.
581
Das beweist aber nichts für ihre Zugeliöngkeit, sondern spricht gerade für daa
Gegenteil, da Philo Wiederholungen innerhalb desselben WeAes geittdfl m
Tenneidm sacht; und dafs er in der Vita Mosis manehes ansflUirliGher be-
handelt als in dem Werk ftber die Qesetee, erkttrt sich eben aas der Ver-
schiedenheit des Leserkreiaes. So beaohaffen sind die Gründe, die Herriot als
arguments qtti cotUrcdisenl muc Je Mtuasehieau bezeichrct. Einen weiteren Be-
weis seiner Interpretationskunst giebt Herriot bei der Erläuterung der bekannten
Stelle Df prapfttüs et fioenifi Cup I . wn Philo den ganzen Inhalt dos Pontatcuehs
in drei Teilt- zerlegt. xo(Suo:Totia, 'nimoixou ^f'gog, voito^ttixoi' utQo^, im«l liaiiiit
zugleich den ganzen Plan tk;iueä Werkes angiebt, zu welchi^iu daä Bueli De
praemiis etc. den SchluDs bildet. Herriot Terfallt hier in denselben Fehler wie
IMUine, er verstdit nnter d^ Iowqixov {liffog Philo« groben allegorisehen
Kommentar aar Geneab; das hindert ihn aber nieh^ De opifieio immdi (17<p2 »otf-
pMOHÜts) mit der Ea^poaÜioH de la loi A. h. dem va^toteuiiinf iifyos m rer-
bindm; Philo soll hier also zwischen die beiden zosanunengahSrigen Teile ein
gana anderes Werk eingeschoben haben, obwohl er ganz ausdrücklich sagt,
dafs er Ober alle drei Teili> der Reihe nach gehandelt habe, nho nur ein
zusammenhängendes Werk im »Sinne haben kann, in welchem auch das Iöto-
Qixbv ufQog vertreten i/« weson sein mulü. (ifrürer und Massebieau haben ge-
zeigt, dald darunter nur die Lebensbeschreibungen der Patriarchen gemeint sein
k&inen, die nadi bestimmten Xulaeningen Philos in der Mitte stehen awisehen
der sotffMMKoU« and dem vofM&stiamv ftipog. — Die neuesten Forschungen Aber
die bsL ÜberlieÜBrung der Philoniaehen Schriften sind Herriot nnbekanni Dals
die Ausgnhi n die BttchOT De spedalibuit legibus lückenhaft und gröfstenteils
nnter falschen Titeln gehen, weifs er nicht. Von der Schrift De vitn contem-
fifativa sagt er nichts weiter, als dafs sie für sicli allein steht (ffardr um jil<ice
ä pari). Von meinem Land.4Uiann Masschieuu hätte er lernen k<")niien, wohin
sie gehört. Naeh Mas^ebieans »ehr wahrscheinlicher Vermutung bildete die
Schilderung der Therapeutt^n \^lk- vtUi conteniplatim) ursprünglich einen inte
griarenden Bestandteil der 'Atfokoyitt Mq *Iwdmmv (Uber diw und die "TVo-
teumi Philos weüh Herriot nichts au si^n) nnd die Fortsetaung der Sdul-
denmg der Essier, die Eusebius aus der *AmXßf(a zitiert')
m
Die Darstellung der Philonischen Philosophie selbst ist verhaltnismafsig
das Beste an dem Herriotschen Buche. Sie ist klar und zeigt, dafs der Ver
fasser sich in einen Teil der Schriften hinein^lesen und mit tlen Tdern Philos
bekannt gemacht hat. Freilich entbehi't sie der nötirrei\ Tiefe, so dals sie sich
mit Zellers Darstellung in keiner Weise messen kann; denu verschiedene De-
tails, die Herriot in breiter Auseinandersetzung vorführt, sind anwesentlich und
'j Die Frage der Klassifikation und Chronologie der Philoniaehen Schriften, deren Er-
Ortening ims hier ni weit fBhien wflrde, wiid denuiftdut an anderem Orte aiuftthrlicher
behandelt trttden.
532
L. Cokn: Fliilo v<m Aleauuidria.
■
f&r die Erkenntnia Ton geringer Bedeutung. Im eiiimlneii ftlilt es auch in
dieeem Abaehnitb tiieht an bedenklichen Anlaeniiigen und Beiqiielen oberHieb-
Udler Kenntnis. Gleieb im Anfimg, wo Herrioi Ton der aUegoriBcbeii Hetboda
Philo» spricht, begegnet der merkwürdige Sats: Naw SOWnS qu'dle f'iait le pro-
duü log^pte. (hl gt'itie juif. Die Wort*' zcuirt^n von einer fast unglaublichen
Ignoranz Die Allegorie ist nicht ein iVodukt den jOdiHchen Geistes, die jüdischen
Alexandriner haben sie einfach von den ürifcben ül)ernnmmen. Die Allegorie
war für die philosophisch gebildeten Griechen der hcllciiistiBchen Periode der
allgemeine Typus für die Erklärung und das Verstäiidiiis aller heiligen Ge^
eebichteu. Die stoische Philosophie hatte alle Mythen des gnechischeu Vollu-
glaubens allegorisch gedeutet und alle GStter au Symbolen kosmiseber Er-
scheinimgen aufgelöst In ^eidier Weise wurden «Üe homerischen Gedidite
von stoischea PhUosopben mad Grammatikern BtoiBcbor Biehtang (wie Krates
von Mallos) allegorisch erklart und auf diese Weise alle möglichen Dinge und
philosophist bt ii Lehren aus ihnen herausgedeutet. So erklärt es sich leichi^
dafs die akxandrinischen Juden, als sie ihre religiösen Meinungen mit den
durch ilie (^Miccliische Philosophie gewonnenen Anschniiuniien zu vergleichen
und zu verbinden begannen, gerade diese exegetische Methode auf ihre heiligen
Schriften anwandten.
AVas Herriot Qber das Wesen der Allegorie und ihre Anwendung bei Philo
sagt, ist ungenügend and teilweise unrii^tig. Die ganxe Pbflosopbie PhikM
beruht nach seiner AufGusung auf folgenden awei Satsen: La varite eti oonUmt
dam les livres setaiig; nutit ees Uorei dokaU üre nUenpräes d Vaide de Va04ifork.
Das ist nicht ganz zufa^ffend. In den allegorischen Schriften wird allerdings alles
all^risch gedeutet und häufig ausdrücklich jede andere Erklärung aia unmdg-
lieh und lächerlich oder kindisch verworfen, namentlich wo es sich um Anthnv
pomorphismcn im Bibeltexte baiulelt Aber schon die Qnmstimtes et Solutima
zeigen, dals Philo den bu< lisiitiiii(lien Sinn nitht unbedingt und überall aus
schlofs; und in den übrigen Schriften wird die aliegorische Deutung nur selten
und ganz beiläufig erwähnt Herriot Sf^ nichts darüber, wie Philo die alle-
gorische Auslegung der Bibel begründet. Philo hat sieb an mehreren Stelko
darttber ausgesprochen (am ansf&brlichsten Qnod deua sit immut. § Ö3ff. und
De «MMfUtf I § 232if.). In den beiden anscheinend aich widersprechenden Satan
der Bibel 'Gott ist nicht wie ein Mensch* (Nom. 23, 19 oij ^ äv^Qfitxof i
9i6s) und 'Gott ist wir » in Mensch' (Deut. 8, 5 db$ Sv^peiXog ... 6 9tbg %ai-
dtv<ffi (ff) sieht Philo die beiden Grundanschanunfi^en über Gott (dvu ra «wo
rüra xetpalatu xsqI rov ttltiov) und zugleich die beiden Wetrf, d. h. die ih\>
pelte Sprache der Bibel ausgedrückt. Der erste Salz l»e/.eichnet d»s wahn
Wesen Gottes, der andere richtet »ich an das Verständnis des grofseu llatiti u?.
Es gicbt zwei Klassen von Menschen, solche, die sich Gott rein geistig vor^
stellen können, und solche, die immer an das Körperlidie und Sinnliche ge-
fesselt auch Gott sich nur sinnlich denken können. Moses hat auf beide Klassen
RiScksicht genommen und bedient sidh daher oft einer Sprache, die dem Fis-
Bungsvermögen der ungebildeten Menge sieh anbequemt und dem hdcfastcn
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L. Cduii Philo von
58d
Wtson £igonijcbaften beilegt, die nur dorn Menschen zukommen. Hiernach also
begriJudet Philo einen doppelten Schriftsinn: der wörtliche oder buchstäbliche
ist der offenbare und allgemein vera^dliche, der allegorische ist der Terborgene,
ntor Ar die Weisen und nicht für die grofira Menge erkennhare.
Fonnell leidet Herriote DanteUnng^) an einom Hanptfehlcr: anf mehr ab
100 Seiten werden nadh den 4 Rubriken MAtphifstgue^ PayMogie, Mortäc»
PcHHque die philoBopliIschon Ansichten (h-s idrs) Pliilon über Gott, intelle-
gible und sensible Welt, göttliche Mittelkräfte, Logos, Seele, £thik und poli-
tisches Lf'b»n so entwickelt und wiedergegeben, als ob ch sich dnrcbwcg um
selbständige Gedanken Philos handelte. Höchst selten wird augedeutet, aus
welchen Quellen er geschöpft hat oder auf welchem Wege er zu seinen An-
schauungen gelangt ist. Erst hinterher, im vierten Bndie seines Werkes, kommt
Hema^ indem er Philos Verhiltnis snr Bibel einereeits und nun Grieebentom
endeieraeitB behandelt, ganz allgemein aneh auf seine Quellen m spreeben.
Wenn Herriot das dritte und nerie Buch vereinigt und bei den einzelnen
Punkten gezeigt hätte, in welcher Weise Philo biblische bezw. jüdische Vor-
stellungen mit griechischen verband, wurde er offenbar dem Leser einen bes-
seren Einblick in das Wesen und die Bedeutung der Philonischen Spekulation
gegeben haben als durch sein Verfahren. S. 224 — 235 (rieht er r. B. ciiu' aus-
führliche i'araphrase der Philonischeu DarsttjUung der Weltschüpfung nach der
Schrift De opificio mundif aber ohne jeden Kommentar, ^rahrend er hier gerade
se^n konnte, wie Philo beinahe in jed^ SatiEC griechisdie Torstellongen und
PhiloBopheme Terwende^ nm die bibliaehe SchSpfongsorkunde sn erlintem und
in diesran Rehmen seine e^soen Anschauungen Uber Gott und Welt an mtwtekeln.
Da& die meistMi Elemente, aus denen sich Philos Weltanschauung zu-
sammensetal^ ans der griechischen Philosophie geschöpft sind, wird heute nicht
'i R.'ililufif,' korri^icri' ich cinij:!- Irrtflmer. S. 206: Der Ausdruck 'sichtbare rjfitier'
von den Gestinien kommt nicht nur in der Jagendschrifl ilcfi i^ageiag xoajiov, üooderu
wiederholt auch in Sebriften reiferen Alten vor (s. B. De opif. mondi § 27). Philo sdilierRt
sich in der philosophischen Terminologie so eug an seine griechischen Lehnn^ter an, dafa
er trotz seines^ MonollHMsmiis kein bedenken trägt, tlif (jcstirni', d\>' er für vemflnftige voll-
kommene Wesen hSJt, in Übereinstimmung mit Plato und den Htoikem ttl« iiftnol oder
Ift^ttMür 4«o{ m beseiehiien, worunter eir nur gOttUche ▼oUkommeDe Womd, nieht etwa
der Verehrung und Anbetung würdige Götter versteht. — S. 235: Plilki nagt nirgends aus-
drOcklich, dafs Gott die Materie selbst geschaffen hat. Die Weltschöpfiinp ist lu-i ihm
nur eine Wellbildung, «ine Ordnung der Materie. Wo er von einer ächüpt'ung aus deui
Kichlfl redet, venteht er unter dem it^ Cr wie Plate nur die 9lfi alt das relative Niditt,
das Nil ht.^cinide im Gegematx zum absoluten Sein {t6 5p — Gott), Zeller III 2', 38S. Die
Materie ist vorhiuultM», wie sie entstandfn, sajjt nm Philo nirht. — S. 262: Philos Definition
der Zeit {dtuatufnt t^f tov %6afiov xivi^afcos) will Herriot auf den Pjrtht^oreer Archytas
swAekfOfaxen. FUlo hat eie vielmehr wBrtlidi von den Stoikem Ubemommen: Diog. La.
Vn 141; Diel«, Dozogr. 8. 461. S. 28ö: Die Worte Quod deter. pot innid. § 12« (fMi/j St
TT)Xavyf(truTTj voTiuärmv /crlr avrr, tlbprsptxt Herriot: La i-oix e»t elle-meme (J) Ut plus l»mi-
neuge des pemeea. Das ist grauiiualiscb und sachlich talscb. Philo sagt: das gesprochene
Wort (4 diit flAnns mA %ä» £U«v ^mqnisW dfytf mnt i«t der khuste Anidraek der
Gedanken; (pcovi) ist in weiterem Sinne tu fanen, nnd Subjekt iei vStq.
»MM J«ltrba«lMi. IWü. I. 36
634
L. Cohn! Philo von Alaondri».
mehr bezweifelt. In frilheren Zeiten herrschten darüber die ärgsten Irrtünu'r.
Bis in daa XLX. Jahrh. hinein war bei Tbeulogen und Philosophen die
schauung verbreitet, dafs im Orient eine alte geheininisToUe Weisheit bestanden
\a^f am der Philo Mine ganze Philosophie schöpfte, aue der spater anoh der
Gnoetiusiin» imd die Kabbalistik herrorg^puigeD eein tolL Dieeer Gedanke
Ton der Existena einer alten ^orientalieehen PyioBophie' aieht sidi dnreh die
meisten Daratdlnngen des XVIII. Jahrb., er begegnet z. B. auch bei Mangey,
der die engen Beziehnngen zwisc lu n Plato und Philo daran» erklären will, dafe
Plato aus denselben orientalisrhcn Quellen wie Philo geschöpft nnd vielleicht
auch schon eine alte l'tiei-setzui!<r des Alten Te»tanieiits l)emitzt liabe. \'iel-
fach versuchte man aucli diese orientalischen Einflüsse genauer zu be/.ei<;hneu,
indem man bald die geheinte UeÜgiousweisheit der Ägypter, bald den Parsismus,
bald indieehe, bald chaldaische Weisheit bei Philo an finden glaubte. Aneh
nachdem tou Tersehiedenm Seiten (Tittmann, Meinem, Tiedanann) der vo^
wiegend grieehieche Einflula herrorgehoben war, wurde doch noch von einigen
die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit orientalischer Einwirkungen leetgehaUan.
Herriot hat diese Ansicht anch bei französischen Gelehrten der neueren Zeil
vorgefunden und weist sie mit Hecht zurJlck. Die Quellen <ler Phüonischeu
Spekulation sind auHsehliel'islich in der griechischen Philosophie and in der
jüdischen Tlieoloirie zu siielipn.
Um die Abhängigkeit Philos von der griechischen Philosophie genauer
feetsostdlen, bedarf es noch sorgfiUtiger QueUennntersuchiingen Qber die ein-
aelnen Schriften, woau eigentlicb erst in neuester Zeit durdi die Arbeiten von
Bemays^), H. t. Arnim*) und Wendland*) ein 4n&ng gemaeht ist. Herriot
hat sich dem Plane seines Werkes entsprechend anf derartige Untersnehnngen
nicht eingelassen. Sein Kapitel PhUm d In Greet ist sehr kura und bietet
nur allgemeine Bemorknngen Qber Philos Verhältnis zu den grofsen Philo-
sophen und Phiiosopben.schnlen, die viel Unrichtiges enthalten Den Pytha-
goreern verdankt T'hilo uiclit nur die ganze Zahleusymbolik, er t«ilt mit ihnen
und den von ihnen beeinHuTsten Stoikern auch den Dualismus Gott (als wir-
kende Ursache) und Materie (als leidende Ursache). Bei Plato hatte herroi^
gehoben werden mflssen, dats Philo ihm nicht bloJs philoBophische Lehren, wie
die Ideenlehre ui^ die Theorie der Weltschfipfui^ entlehnt, sondern auch in
Stil und Ausdrucksweise ihn TorauipnreiBe zum Muster genommen hat nnd
Gedanken und Redewendungen von ihm allerorten verwendet. Der Einfiufs
des Aristoteles wird von Herriot überschätzt: in der Seelenlehre hat Philo nur
weniges, in der ülthik so gut wie nichts Ton ihm angenommen. Am meisten
Kutuwcntar zu Philo« Schrift Ihql ä<p^aqeiai nötfutv, in den Abiiandl. der Berliner
Akademie der Wmeoseh., phil.-hirt. Klame 18BS, mvolleiidefc herausgeg. von H. üaener
*) Quellengtudien zu Philo von Alcxandria, Berlin 1686 (Aber die Sdiriften Dt uettT'
nitate minuii. De ehrietate und Ih plnntatiom).
Philo« Schrift über die Vorsehung, Berlin 1S92; Philo und die kynisch -»U>i*cke
Diatribe (in den Beitiigen rar QeMb, d. grieeb. Ffafloioplii« und Sdigion vo« Weadland
vnd KemX Bet-lin ISM.
I
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L. Coha: Philo von Alinuidn*.
535
hat Ihrriot Philos Verhältnis zum Stoizisniufl verkannt. Er glaubt, dals Philo
ikui nur des Uiti&i de (Mail entlehnt hat. In Wahrheit Terdankt er in philo-
aophtadtw Beuehung den Stoikern dae tnebte, mehr noch ab Plato. Philoa
Psychologie hUt Herriot f&r ans» crigmale. Vielmehr beruht diese, wie seine
£Üuk nun grSbten Teil tmd die Physik gam, auf dem Stoizbmus, und ans
dem stouf^en Pantheismus stammen auch »ehr viele Bestimmungen, mit
denen er seinen Gottesbegriff und die Logoalehre ausgestattet hat.
Auch die Bt'merknngrn übor Phüos Verhältnis zur Bi)>H| ' i siiul ober-
flächlich und WLiiig !6utretleud. Zweifellos ist, dafa Philos (iottoi^begritf im
weHtntlic htii auf iilttestamentlicher Anschauung beruht. Aber alle näheren
Bestmmiungeu und Attribute sind aus der griechischen Philosophie ent-
lehn! W^m Philo Gott ab das unendliche Wesen schildert, das nicht
nur von den ünToUkommenheiten der endlichen &eatur volbttndig frei,
sondern am^ Oher ihre Vollkommenheiten erhabm bt, besser ab db Tugend
und als das Wissen, ja sogar besser als die Idee des Guten und Schönen
{xgeitreav ^ dQetrj xal xgeiTrav i:n6Til^rf xal xQsCxTtov ») atfrb tb «ya^öv
X«? «i'to TO xftl6v De npif. mundi § 8), so ^cht er noch über Plato hinaus.
di'v Uott als die Güte selbst [avxb rb äyad^ov) bezeichnet und so die Idee
des (juUmi luit der Gottheit identifiziert. Mau mag darin den Einfluis der
jüdischen Auschauuug von dem hochheiligen und über alles erhabenen
Wesen Oottes erblicken. Aber auf6albiid ist^ dab die Neupythagoreer ähnlich
Ton der Gottheit sagten, dab sie Ober alles Denken und Sein erhaben, dafo sie
nicht blob vo&g sei, sondern etwas Höheres ab der voOs (Zeller m 2*, III).
Ganz verkehrt ist Herriots Behauptung, dafs Philo die Lehre vom Logos der
Bibel bezw. dem Judentum verdiiDkt. Ohne jede Spur von B^ründung werden
folgende Sätze hingestellt: L'iW/V du Verhr r<it unc icUk qui appartünt hrancoup
pltis au tif'O-judaismr, si Von ptut (lins! dire, qttau judnmrir aUxandvin ....
liUlep da Ijhjos drvdit surtir du d''rrlupjM nvnt logique du ßuiaisnte. Wenn dus
richtig wäre, raüisteu wir dem Logos auch im rabbinlscheu Judentum beg« <^iien.
Aber weder in einm biblischen Buche nodi in irgend einem andern Produkt
der jfldbdien Littwatnr findet sich die geringste Spar dsTon. Die Weisheit
spidt in dem PSeodo-Salomonischen Buche ab göttliche Mittelkraft eine ähn-
liche Uolle wie der Philonische Logos, MC darf aber in keiner Weise als ein
Vorläufer desselben angeschen werden, sondern höchstens als eine Parallele.
Ich begreife nicht, wie Herriot »ich auf Hyle (Philo aiul Holy Scripture) be
rufen und von ihm sagen kann: Ri/lr <i dotinr In link exmU^ de tous ks texten
OH Philm n pum' Iis 'Irmnds ik sa Ütmne da Logos. Bei Ryle kann man
wohl Bibelstellen ^keineswegs alle!) finden, die Philo auf den Logos gedeutet
' *) Sebr naiv bt Herrioli Btaad|NUiki in Trof^ der BibeUcritik. Die Schwierigkeit deH
biblinchcn Doppelheridif s von «l. r Schüpftm),' «Irs Mpnirhen (Oen. 1, 2« uinl '1. 7) begeitiKt
Philo durch die Erklärung, dal« un der eraten Stelle der IdealmeuMjb, an der zweiten der
erste körperliche Mensch gemeint sei. über diese Erklftrung urteOt H. folgendermabeD:
. . . Z/aepHeutioit tati$fmt mm htmrvmmgmA «W exigencts philonophiques: nom n'en connais-
ton» pa» ^mdre oceonb «uw ht tifyttiilh de b raiten et k ntpeel d» teste iocH*
»5*
5d6
L. Golm: Philo von Aleundria.
hat, aber keine ein/.ii^e, wo der Logos oder irgend eine Spur desselben vor-
kommt. Philo» Logo» ist zwar eine Koutiequeuz stiiiies aittestamentlicheD Gottea-
Rubens, da die auf die Spitse getriebene TranBoendens und Erhabenheit Gotto»
ihn amr Annahme von golüidien Hittelkiüften awang. Aber er hat den hogon-
begriff niehi ans dem Judentum entlehn^ er hat ihn eich aelbat geechaffen und
▼erdankt alle Elemente desselben der griecliischeu Philosophie. Den Ausgangs-
punkt bildete für ihn der stoische Begriff dee X6yo$t der die ganze Welt durch-
dringenden und in ihren Tcilkräftcn (köyoi öae^fiarixoi) sich überall aus-
breitenden göttlithf'n \'t'niunft, der Weltseele. Philo« Schilderung de?* Lo«^o»,
alles, was er von ihm sagt, «Itokt sieh vtillig mit dem f»tfli«»ehen Logo«. Nur
konnte er nicht soweit gehen, uiil deu Stoikern die VVeltseeie {die beseelte
Materie) mit der Gottheit zu identifiaieren. Der etoiaehe PantheiBmns und Mate-
rialismQB war fttr ihn ein unmSglidier Standpunkt, der Dualismus Gott und
Welt und die Transcendena d. b. Aulserweltlidikeit Ootfcea waren ihm ab
treuem Bekenner des jüdischen Glaubens feststehende Grundsätze. Er verbindet
daher die wirkenden Kräfte (Xöyoi ensgiiccrixoi) der Stoiker mit den Plato-
nischen Ideen, die von Plato aufserweltlicli gedacht und auf die Gottheit als
aulserweltliches Wesen zurückgeffihrt werden. Ebenso wie Plato denkt er sich
also die Ideen oder geistigen Kräfte i^voifjul din'RUftg) auTsemeltlich , al>er
nicht wie Plato aucii auiderhalb der Gottheit^ sondern in Gott selbst, von ihju
anagehend und (entsprechend der stoischen Anschauung) das Wdtall durch-
dringend und alles belebend und ordnend. Alle Idem oder Einaelkialte haben aber
(und das ist riellei^t ein Gedanke, den Philo selbsiSndig entwickelt hat) ihren
VerrinigangB- und Mittelpunkt in der Idia r&v idf^üv, dem Logos, in dem sich
alle Wirkungen Gottes («l dvva^ieis &cov) zu einer Einheit zusammenschliefsen;
der Logos ist der allgemeinste Vennitller (fQurjVfvg) zwischen Gott und der
Welt, er ist das Werkzeug, durch welches Gott die Welt erschaffen und ge-
ordnet bat und sie leitet ' > Eine Helir lose Verbindung der Logoslehre mit den
religiösen Vorstellungen des Judeutuma liesteht nur insofern, als Philo die
Engel der Bibel als Utdm oder als iwRitng ^coi^ deutet und den Logos bia-
weilen symboliseh ab ^%iiift^ beseidmet, weil der Hohepriester nach biblischer
Anschauung der Vermitäw zwischen Gott und den Mensch«D ist
Kein Wort sagt Herriot über die Wichtigkeit der Philonischen SchrifteB
für die Septuagintaforschung. Philo »t der älteste Zeuge för den Septuagintar
tt xt, dessen hsl. Ü>»erlieferung einer viel spateren Zeit angehört. Da Philoa
Scbrif"ten voll sind von wörtlichen Zitaten und Anspielungen aus den bibUscben
Schriften, insbesondere aus dem l'entateuch, so ist klar, tlass sie zu den wert-
vollsten ililfsmitteln für die Herstellung des ursprünglichen Septuagintatextee^ ge-
hdren. Bekanntlich ist uns der Text der alexandrinischen Bibelfibersetzung nicht
In der ursprünglidien Gestalt und in einer einheitlichen Form erhalten, sondern
'> Zcller III 2', 3«1. Nach Schniekel Dif Philosophie der mitUereu Stoa, Berlin 1H92.
8. 4S0 ff.) soll bereit« Poflidonias die Verknüptuug der PLatonisdien Ideen mit den stoischen
iifot anfQfimiwal volliogen und Philo aei&e ganse Logoaldiie am Poridoniw g«KhOpfl
haben. Der QegMMtaBd erfordert aber eine genancre Untenttobaiig.
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L. CSohn: Philo von Alttutdria.
637
iu verschiedeueu christlichen Bearbeitungen! aus denen der Urtext rekonstruiert
werden umb, eine Aufgabe, die etvi P. de Lugarde richtig formuliert und
«nsdidi in Angriff zu nehmen vereaeht hai') Nach Lagarde sind drei Beien-
nonen m nniencheiden: die hezaplarieche, d. h. die anf die Hezapla des
Origenes gegründete Rezension^ die hauptsächlich in Palästina Terbreitet war,
die Rezension des Hesychius in Alexandrien und die des Lucian in Antiochien.
Die letzt^^re ist in hestinimten H.ss. inierliefort'}; inwieweit die anderen Hss.
von den einzelnen Hezensiorn n >)ecinHulst sind, niufs noch genaupr untersucht
werden. Daun erst kann festgestellt werd(Mi, welche Rezension «ieui ursprüng-
lichen Text am nächsten steht. Bei diesen Untersuchungen müssen also die
Bibdntate Im Philo aorgföltig herangezogen werden. Wae bisher in dieser
Besiehung geleistet ist, genügt nieht and bedarf in allen Punkten einer genauen
NachprOfong. Nadi einem Slteren Yersuch Ttm Homemann*) und gelegent-
lidien Bemerkungen von Z. Frankel^) hat G. Siegfiried^ den Versuch gemacht,
dnreh Sanunlang und Sichtung aller Zitat<^ (ins Verhältnis des Philonischen
Bibeltextes zum überlieferten Text der Septuaginta festzustellen. So verdienst
lieh die Arbeit iin sieli ist, so sind ihre Rpsnltat-e doch mit grofscr Vorsieht
aufzunehmen. Denn die Stellensammlunvr lieruht auf der iMungejjjcheu Aus-
gabe, die bei der unkritischen Art, wie Maagej das hsl. Material benutzte,
gerade auch in den Bibelzitaten äufimret nnaUTerlaasig ist Dasselbe gilt von
dem Badie von H. E. Rjle^), das ttberdiee an VoUsfindi^eit aeihr viel au
wOnsohen llibr^ Uüt^ Die Arbeit mnCi velletiadig Ton neuem onter-
nommen werden. An vielen Stellen mofste der Text der von Fliilo aitittten
Bibelstellen auf Qmnd der besseren Überlieferung geindert werden, oft stellt
sich Übereinstimmung mit dem Septuagintatext heraus, wo man bi^'hcr nach
den Ausgaben Abweichungen konstatiert hatte. Genaueres über das Verhältnis
zn den einzelnen Rezensionen und maisgebeuden Uss, der Septuaginta wird
sich erst nach der Vollendung unserer Ausgabe feststellen iassea. Nach den
Beobachtungen, die wir in den bisher edierten Schriften gemacht haben, können
wir im allgemeinen sagen, dafs der FliiloniBclie Bibeltext am meisten Überein-
stimmung zeigt mit der Reaension des Lncian und mehr mit dem Ooder Alezan-
drinus als mit dem Vatieanns.*) Die Bibelmtate bei Philo dOrflen von groDwr
' Symmicta TT !H7— 148 AnmniUgnug aber neuen Augabe der grieoh. Oben, des
Alten Test , Göttingen 1882.
*) Danach sind die hiBtor. Schrifton dee Alten Te«i. von Lagarde herausgegeben: Lib-
renun Yet. Test eaaoo. pars prior., GOtUngen 1888.
*) Spedmea exercitat. erit. ia Tsnioaem LXX mterpcefatm ez Philone, Güttingen 177S
—177«.
Ober den Einflnh der palästiniNheD Exegese auf die alezandzjjiicelie Henaenentik,
Leipug 18Ö1.
*1 ZfHchr f wissonsch. Theologie I^T.'V V^'l Siegfried, Philo vnn Alexandria, 8. 162.
Philo and Holy Scripture or the qootAtioos of Philo from the books of the Old
Testament, London ISOS.
») Wendland, B.-.] Philt)l. VVochenschr. 189» 8p. 1181 ff.
Vgl. Wendland, Fhüologus LVÜ {1999) S84 ff.
638
L. Odm: Tliilo v«hi Aleimdri».
Bedeutung werden für den Nachweis, dafis die Luciansche Rezension diejen^^
ist^ die dem ursprünglichen Septuagintatni am nächsten tteht, und dafo man
dra Wert de« Codex Vaticanue m sehr Qbmchlfat hat
Im letaten Kapitel fiifst Herriot aein Urteil ttber Pliilo ala Philoioplieii in
dem Siitzo zusammen: ItOriffinaU^ n'est pas le caradrre Ic ßtts remarquaible de
Fhüon, Mail kann dorn zustimmen: Philo ist kein originaler Denker, alle Ele-
mentf fpiror Pliilosophie kann man anderweitig nachweisen. Herriot hat auch
recht, wenn er weiterhin sagt, dafs Philo weniger ein Philosoph als ein Theo-
loge war; er will nicht die Wahrheit erst finden, Hondern die Wahrheit, die
ihm im Offenbarungsglauben gegeben ist, beweisen, die Philosophie ist ihm
nksbt Selbatswe«^ aondem Mittel snm Zweck. Di« histortsolie Bedeutung Philoe
li^ in der eigentOmlichen Axiy wie er den Sdiata Yon philosophiadien Ldiran,
den ihm die TorachiedenMi Schulen boten, flbr seine Zweeke verwendet und
ihre verschiedenen Theorien miteinander verknüpft. Insofern hat man ihn
einen eklektischen Philosophen genannt, und ich glaube nicht, dafs Herriot im
Recht ist, wenn er ihm diesen Chnralrter abspricht und von ihm sagt: U est
im i'rndit hraiiroup phts qu'un (dfctique : Irs rnifyrKnts qu'il fait ü Unit d ä tuiis SC
jK.rtaposnif. sr mi'lanijnif, mnis ne sr cnmbtnmt jHift, Das kann man wohl von
den philosophischen Schriften der Jugendzeit sagen, aber nicht von den übngen,
in denen Fhilo Mine eigene ana den veraehiedeDaten Elementen kombinierte
Weltanaehannng darlegt. In demselben Sinne nnd mit demselben Rechte wie
Plutarch darf man auch Philo einen Eklektiker nennen.
Wenn demnach Phflo selbst wegen der Unselbslindigkeit seines philo-
sophischen Denkens nur geringe Bedeutung beizumessen ist, so haben doch
seinf Schriften grofscn Wert als ergiebige Quelle für unsere Kenntnis der
Philosophie und der philosophischen Diskussionen jener Zeit, /.uuml gerade aus
dem Jahrhundert vor Philo von der reichen philosophischen Litt< ratur sehr
wenig erhalten ist und das meiste erst aus sekundären Queiieu gewonnen
werden mub. Sttne hiatorisohen Sdiriftra (Obirfra Ftaeeum und LegtUio ad
Ganm) sind eine wertrolle OeachiehtsqueUe fBr die Zeit des Tibetiaa nnd des
Calignla und Ar die Beurteilung der rSmischen Herrschaft in Ägypten und
Eleinaaien. Aber auch in stilistischer Beziehung dürfen Philos Schriften auf
eine gewisse Bedeutung Anspruch machen. Philo ist, obwohl er als Stilist zu
den best^'n griechischen Schriftstellern seiner Zeit gehört, unvcrdientennafsen
%'on den Philologen bisher vernachlässigt worden. Für die Kenntnis der hel-
lenistischen Li tteratursp räche und ihres Verhilltnisses zum Attizismiis einerseits
und zur VulgUrsprache andererseits lassen »ich aus Philos Schnfteu durch ein-
gehende sprachliche Untersuchungen wertvolle Au&chlüsae gewinnen. Der auf
gewisaenhafler PrOihng der hsl. Überlieferung gegrändeie Text unserer neuen
Ausgabe bietet jetat eine sichere Grundlage f&r sprachliche Forschungen^ an
der ea bisher gefehlt hai Nur an der Hand eines gesicherten Textea und unter
sorgfältiger Berücksichtigung der Hss in zweifelhaften Fallen können sichere
Resultate über Sprache und Stil eines Schriftstellers gewonnen werden. Anderer-
seits muls natürlich der Herausgeber eines Textes methodische Kritik der hsl
L. Cohn: Philo von Alexandria»
Uberlieferang mit «ehirfeter Beobaehtimg des Spradigebisndia Terbinden. Die
nenen Herausgeber des Philo glauben nach diesem Ch^ndsatz verfahren zu sein.
Aber bei aller Vorsicht sind Fehler flbendl unvermeidlich.*) Wir wünschen
anfti lebhafteste, dafs weitere Untersuchungen in der Richtung, wie wir sie an-
gegeben haben'), auch von andorer Seite angestellt werden und dabei unser
kritisches Verfahren einer Prüfung unterzogen werden mügo.
Eine wertvolle Kontrolle der in grammatischen und orthographischen Dingen
▼iel&ch unzuTerliesigen und schwankenden Überlieferung der Hss. bieten die
»HB der Zeit Philot erhaltenen Inschriften und Papymsnrlnuiden. Wenn s. B.
die Hss. swischen {tyüut und 4>yiüi schwanken und bald die eine, bald die
andere Fem bieten, so darf mm nieht fiberall ^yüut herstellen wollen; denn
dassdbe Schwanken finden wir in Insihriften und Papyri ans jener Zeit und
zwar auch in solchen, die gebildete Verfasser verraten; ebenso in tafiutov und
rafiBlov und dgl. Die durch die äj^yptischen Funde töglich anwirlisende
Papyrnslitteratur hat unsere Kejintnis der xoivij in ihrem doppeltoi Sinne, sowohl
der gebildeten Litteratur- und Kau^deisprache als der Volkssprache, in unge-
ahnter Weise bereichert und mannigfache Irrtfimer beseitigt. Sic hat auch
gezeigt, wie sehr die Aimmbnia einer ganz für sich allein stdienden *bibliiclien'
oder 'neutestamentlidhen' Chraeitat mfehlt war. Es hat nie mn *JndengriediiBeh*
g^^eben, und von einem *nentestamentliehen Spiadiidiom' darf heute nieht
mehr gesprochen werden. Die ägyptischen Papyri bringen immer neue Beweise
daffir, dafs die jüdischen Bibelübersetzer ond die Verfesser der neutestament
lieben Schriften kein anderes Griechisch gesprochen haben, als ihre heidnisebe
Umgebung. Die alexandriniseben Übersetzer haben zwar in ihrem Bestreben,
wörtlich 7,n übersetzen und iiu(di den Ton des Urt-extes getreu wiederzugeben,
m sjutaktiucher Beziehung ^ich zu sklavisch an ihre Vorlage angelehnt, sie
haben anch eine Ansdhl religiöser und etiuBdier Begriffe nengebildet oder rw-
handene Ansdrficke zu sokJien nnigebildet> und die neutestamentliehen Schrift-
steller haben aokhe aas der Septnaginta fibemommen und weitergebildet und
dazu neue geaehaffen: aber ein besonderes biblisches Lexikon und eine be-
sondere biblische Grammatik (Formenlehre) giebt es nicht» Auch in theolog^-
seben Kreisen bat sirfi diese Erkenntnis glneklioberweise neuerdings Bahn ge-
brochen^i Mancher Irrtum wäre aber f^'hon früher vermieden worden, wenn
man Philo besser gekannt hätte. Viele Ausdrücke, die in den Wörterbüchern
'i Ek gestattet ein Beispiel anzufahren. L<"i üllc^' TH «i 7^ habe ich zweimal das
Wort xu^tciuc in den Text geuetzt, mit Unrecht; denn es ist ein spezitiBch chrüitlicher
Anadniek« der weder in der Septnaginta nodi tonst bei Pbilo vorkommt. An der eisten
Stelle tit e« wahrscheinlich interpoliert und zu fltreichen, an der zweiten dalür x^i>'S nach
den Hfi vri^der einziiFrtren; nnrh Tie iMisf'>r. Caini ( 145 ist in einem 2itat bei loann.
OamascenuB xaifiaiuitav statt xagirtav geschrieben.
*) Prolef. meiner Sonderaaiigabe der Schnfb De opificio mondi S. XLIff.; Wendlead,
Philos Schrift vriu der Vorsehung, S. 100 ff.
*) G. Adolf DttilVmann, Bibelotudiea, Marburg 1896, besonder» 8. 57—168, and Neue
Bibelstudien, Marburg 1S97
540 Cohu: Philo von Alezaadna.
mit der Noie ES. ab Bolcbe beMichoefc werden, die anasehlieblicli ia der Idbrdh
liehen Litteratnr TOrkonimeiiy finden sich in derselben Form und Bedeutung
schon bei Philo, aucb wo es sich nicht um Ausdrücke handelt^ die Philo m
dor Septuiif^inta ühf^mommen hat. ITbcrhaupt wendet Philo, abgesehen von
bestimmten rclij^iösen termini, der Sej)tiiagint}i pigentümliche (d. h. der Vnlpär-
spra^he angehörendo) Fomuni und Ausdrücke nur da an, wo er liibelstellen
zitiert oder paraph rasiert; auf seine eigene Sprache haben Stil und Ausdrucks-
weiae der Kbel keinm Einflula gieliabt. Philo MsliTeilil das GriechiBch der hd-
ImietitMlien LitfeeratarBpiaehe, alt derm Typu» gewShnlieh Polybius gilt, miadit
ihm aber zahlreiche Formen nnd WMtdnngen der Uaanechen Zeit bei, die sonit
der itOMrtl fremd sind.^) Man kann darin vielleicht schon die Einwiricong des
zu seiner Zeit beginnenden Ätticisnius erblicken. Indessen kann auch die
starke Benutzung uml Nachahmunjr l'latos eine »gewisse Vorliebe für ivill
attische Ausdrucke und Formen- bei X'hilo hervorgerufen haben.
*) Z. B. if^t^f ^efiUM«, c8eaw0tti, t^pdf^vf, oÜVav« mi^imKwHVt «iqfTtvr aeb«B
ihMvvet», iifVTttt^tti, xaroK<Dxii, iiTröf, IvTtoc, itQamf u. s. w., rovs yortlg und rov; rotkis.
tinärto rl'-rttTf und tlrtov H-rt . öfurvnv and ^ftv^Mtt, iftt4H und ifUHtm 4|Mve, ttff4CH9 vbA
UQtlÖTrHV, ^äXaotltt und ituiutru.
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V«n Gustav Dium..
Uui wird 68 Heinrich von Kleist ewig Dank wissen, daJs er in den Zeiten
▼OD DenteddAiids ti^ter Erniedrigung vor den Augen der Nation die eherne
Oeatalt dea Qrolaen Kurf&nten von den Toten anferweckte, der anderfhalh
Jahrhunderte savor ana ähnlicher Mühsal allein dnrdi die Kraft redlichen
Wollens und durch unermüdliche Arbeit sich heldenhaft emporrang, den zer-
fetzten hrandenburgisch-preufsischen Besitz innerlich befestigte und ahnutitrslos
zur sicht roii Grundlage für ein mächtiges deutsches Reich formt«'. Auch könnte
man es al« ein Zeieht-n des dcutsehen Volk<«inj'tinktcs bt-tiiiehteji, dafs von
aUen Hohenzoilerudiamen, an deuen dieseö Jahrhundert reich genug, vielleicht
BD reich ist, neben dem 'Prinzen von Homburg' nur etwa Wildenbmchs *Der
neue Herr' eine bleibende Bedeutung erlangt hat Sind doch alle jene Refeimen
Friediieli Wilhdms I. nnd Friedricha H. nndenkbar ohne die TUitif^eit ihres
grofiien AhnhemL Ünd wenn man sonst gewöhnt ist, sumal beute mehr als
S<m8t, dem inneren Waehaen und Werden einer Nation den gedeihlichen Fort-
gang ihrer Entwiekeliinp; zuzuschreiben, so gilt von keinem Lande Europas
mehr das ehnrakteristisehe Wort des Genfers rherV»uliez: Treufsen könnte fJber
seine Thür <-rli!->'!VM'n : Iiier arbeitet raun und wl-üs zu «jehorchen; dies haben
mich meiiu' I üj.stcii gelehrt.' War doch dies von Anhejjiiin au der be-
sondere Beruf des Uohenzollernstammcs. Nicht umsonst hatte der römische
Kaiser Sigismund, dessen Lebenaintereesen weit ab tou Deatsohland lagen,
sdion 1411 SU Prefrburg dem Bnii^rafen Friedrioh Ton Nttmbwg Branden-
burg mit dem Auftrage sn Lehen gegeben, *daa verbrene Land wieder in ein
redliches Wesen tu bringen* nnd seiner Überzeugung von der TCicliti^eit
dieses Regenten schon 1417 ZU Konstanz durch die interessante Bedingung
Ausdruck verliehen . dafs er die Mark obiu' Entfridl an die mannlicheTi Erben
seines Hauses \vieder/Aige})en habe bekanntlich ^ah es sohdie nicht — ,
wenn er etwa zum Kaiser gewählt werde. Es ist wunderl)ar, dal's zwei Jahr-
hunderte später dem Grolsen Kurfürsten die gleiche Aufgabe, das verlorene
Land wieder in ein redliches Wesen zu bringen' in erhöhtem Mabe sofiel und
erst 4&0 Jahre iqpfttw seinem edebten Nachkommen jene kSchate Würde ftber-
tragen wurde.
In der Erkenntnis dieser hohen Bedeutung des ersten grofsen Hohenzollem
iiat die Qesehichtschreibung der letzten Jahrzehnte sich auf das eiSnfpte be-
sehaftigt, durch Veröffentlichung der archiTaliachen Quellen für die innere und
54S
G. Dieatel: Der Grobe Kurftni
ftiifsere Politik jener denkwürdigen Zeit von 1640 — 1688 wie durch eingehende
BehsDcilimg der religiösen und litterarischen Zustande, der Finarnnrenraltimg,
der Wirtschafte- and Handelspolitik, bis zu dem kflhnoi, fiuit traumhaften An-
fiinge einer kolonialen Welfrpolitik unsere Kenntnis m erwtttera und unser
Yerstiindui» zu Tertielbi, fSreilich kSnnte wohl noch ein Menechenalter ver-
gehen, ehe diese vielfuchen Untemehmungf'n annillienid bis zu einem Abschluls
gekommfü nr-'m möchten, und um so dankenswerter ist «»h, daf« Mariiu
Philippson sich entschlossen hat, diesen nicht a})zuwarten, sondern Hchon
jetzt mit gründlicher Benutzung alles Vorhiiiuleiicii eine LebenisbescLreibnng
des Grolsen Kurfürsten zu geben, deren erster Band bis zum Jahre 1660 führt 'j
fiesaTaen wir doch thatsäehlich noch keine einzige auf wissenschaftlicher
Grundlage beruhende Lebenabesohreibung des Qrolsen EurfBrsten aus diesem
Jahrhundert Die bebumien und immer nodi beaditeiiswerteii Arboiten von
Qrlioh, Droysen und ErdmannsdörffBr verfo^en nidlit nur weitere Ziele,
sondern liegen auch grörstenteils weit zurflck hinter dem Beginn der massen-
hafti'ii Einzelforschungen, welche fast gleichzeitig mit der Herausgabe (1864 ff.)
der Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich
WiUielm von Bnmidcnbnrg ihren Anfang nahmen. Demnach erschien es als
eine nn höchsten (Jrude würdige Aufgabe für einen weitsehenden und auf
ver;'chiedenen (ie})i(ten bewährten Geschichtschreibor, mit vollkommener Be
nutzung des inzwischen neu ausgegrabenen und zusammengetragenen Materiab
die Qesfeslt des thafkiiftigen Hdienzollem in die Mitte seiner Brtlhlung za
stellen und die Geschichte seiner Regierung dar seines Lebens anzugliedern.
Zu diesem Zwecke kam es ihm awar nicht darauf au, aus ArchiTsn und
Bibliotheken neuen Stoff zusammenzutragoti, aber er benutzte doch, wo ihm
das gedruckte Material nicht zureichte, hin und wieder auch handschriftliche
Werke, Mitteilungen und Briefo aus dem Geh. Staats- und Kriegsarchiv oder
aus der Kg! Bibliothek, so iibi r die Jn^endfjrHchichte des Kurfürsten, die Au*?
stattung und Einkünfte der Kurfürstin, die militärischen Zustände und da*
politische Verhältnis zu den Niedorlanden. In erster Reihe galt cs> jodoi h, die
Ernte anzutreten aus den vielen Einzelschriften über die Beziehungen des Kur-
lllrsten zum Bheinbunde (Joachim and Pribram), zu Schweden (Breutdcer,
Odhner)^ zu den Niederlanden (Wicquefort^ Siccama), fibw seine Eircheiipolitik
(Lehmann und Landwehr), SMnen Geheimen Bat (Heinardus), seine Beamten
(IsaaosiAii), seine FinaDse» (&ejsig), seine Kdonialpditik (Schtt<&), seine
Handwerksgesetagebung (Mor. Meyer), über seine Kriegsobersten (Mömer), über
(b 71 f > hndienst (Jany), die städtischen (Jastrow), die bäuerlichen und gutsherr-
lichen Verhältnisse ((TrofsniRnnV endlich über die hrandenburgische Publizistik
(Münzer), ja über iles Kurfiirsten Beziehungen /.ur niederländischen Maierei
(P. SeidelY Anfsi rdem ziejit Pliilippson eine so i^rofse Zahl von Aufsätzen
aus Zoit.Hcluiiten, von Dissertationen, Biographien, Memoiren und Briefwechseln
•) Marl. Philippson, Der Grofso hurtürst Friedrich VVilheim von BrandeBburg. I. Teil:
INO— 1«60. Berlin 1897, 8. CroBl>ach. 711, 46S S. gr. 8.
G. DiMtelt Der Qrofiw Kwliint.
543
heran, daJ's die Ajinaluue bereclitigt erscheint, er habe solche, die er ni<ht an-
Aihrt — z. B. Brandes, Gesch. der kirchlichen Politik des Hauses Braudeubuig
(1873) oder Mülversiedt^ Die brandenburgische Eriegnnacht unter dem Gr. Kur-
fitrsfcen (1888) — , für minderwertig oder dareh neuere ttherbroffen erachtei
Auf eine aneftOurUche Anseinandmelmmg mit anderen Darstellem und Dar-
•tellmagen Terzichtet er im allgemeinen, verlegt sie mit Recht in die An-
merkungen imd thut flie gelegentlieh mit wenigen Worten ab. Am meisten
därfle es den Kenner Oberraschen, dafs er der 'überschwänglich gnnstigen
MflnuTH.r', dif Mcinardtis von Adam von Schwar/ciibcrir htHrt, der ihn als einen
brandenburgischen Richelieu, den Schöpfer des atcheinien iicercj* und d«»n Be-
wältiger der egoistischen Stände bezeichnet, nicht unbedingt zustimmt. Überall
ist es ihm mehr darum zu thun, das Wachsen, Wollen und Wirlcen des
jungen Herradiera tot Ang^n m ftthren. In dieeem Sinne betitelt er die
Geectaidite ieiner Jugend und der ersten fQn&ehn Regierongsjahre im ersten
Buehe als 'die Lehijalire'. Dranoeh versdunSht er es, das zweite Badi, Welches
die notgedningeno Beteiligung des Kurfürsten an dem schwedisch pnlnisilien
Kriege und sein Aufsteigen zu einer Grolsmachtstellung behandelt, als die
Wanderjahre zu bezeichnen und betitelt imr mit den Ül)erfich' iflen: 'Der
Nordischt' Kri' tr Die Selbständigkeit.' Am iru ij^ten dörfte es beir» mden, dafs
er im dritttn Buche mit der Überschrift 'Innere Zustünde, IG-iO— lÜliO' die
Darstellung des Kampfes mit den Ständen, die Minister Wechsel und eine lange
Reihe von Reformen daxstellt, weleha awar Aam Teil nur als Anfinge er-
seheinen, aber im ganzen mehr in die Zeit der Lehijahre fiüien und das machte
volle Auftreten des Kurfllrsten im Nordischen Kriege erst erUlrUch machen.
Die natOrliche Folge dayon ist, dafs manches wiederholt wird oder uls VerroU-
standigung von irflher Behandeltem erscheint. Immerhin zeugen diese kleinen
Mangel (h)ch nur von der grofsen Sohwiprifrkeit des Unternehmens und von
der noch gröfseren Verdienstlichkeit, die kolos^sali' Masse neuer Fundgruben
des Wissens einmal zu sichten und einem groiken Leserkreise zugänglich zu
machen.
Die Darstellung der ersten vierzig Lebemgahre Friedricih Wühehns zeigt
seine mnere Befreiung von mancherlei Irrtttmwn, die mit ihm geborra oder
anferaogen waren, bis xum Tollkommenen Erfiunen des neaw Btaatsgedankens,
nach welchem nicht der Staat im Herrscher, sondern der Herrscher im Staat
an^gehoi habe und dadurch würdig werde, alle selbstsüchtigen B<;8trebungen
von anderer Seite mit allen Mitteln des Rechtes und der Gewalt mm Wohle
des Ganzen heldenhaft niederzuwerfen. Am Scbltisse dieses ersten Bandes
scheint die Sonne der fürstliehen Souveränität bereitH auf die (irundhitren eines
organisch gegliederten, trtülieh verwalteten und wehrhaften deutsehen Staates.
Fast wie ein Roman liest sich die Jugendgeschiehte dieses eigenartigen
Helden. Geboren am 6. Februar (a. Si) 1620, also in demselben Jahre, da
der Bruder seiner Mutter, jener Friedrich V. von der Ffaht, mit einem SeÜage
seine bflhmisehe Königskrone wie seinen pfSlzisehen Kurhut verlor, wiurde der
siebenjährige Knabe vor den plQnderungssfflehtigen Horden Wallensteins zuerst
544
G. Diestel: D«r Orobe EnvAnt.
im Jagtlscliloase Letzlmgeu mitten im tiefen Walde, und als auch dieses nicht
mtker genug schien, hintor den Mmmvh dar Festmig Fibrin geborgen. En
längn«r Besach in Wolgast bei Marie Eleonore, der Behweefter aelnee Vaters
und Gemahlin Onstar Adolfi^ braehte 1631 dem eUgahiigm Prinaen das Vorbild
des gtofaen SchwedenkSnigs vor Augen, der ein Jahr später fOr die Erhaltung
des l^rotestaiitismus und des Geimanentunis sein Leben verlor, und bald daranf
wurde der Dreizehnjährige wegen der Un.sicherheit in den Marken und wegen
nncr Souphp, die das Kriegselend orzewrrt liatte, 711 dem kinderlosen Ht-raog
BogL'^law von Pommern geschickt, dessen Land er als sein künftiges P^rhttil
zu betraelitf'n und zu lieben begann. Von höherer Bedeutung jedoch für die
geistige AuHbililuiig des flirsthdicn Jünglings war sein Aufenthalt in den
Niedeilandeii and an dem Hofe seines Verwandten, des dortigen Statthiilten
Friedrich Heinrieh von Oranien seit dem August 1634. Hier trat Sun som
erstenmale ein wohlgeordnetes Staatswesen vor Augen, mit seiner Wehrloaft
nadk aulsen, mit seiner Blüte von Kunst und Wissensehaft und mit seinem
Reichtum durch Seefahrt und ^ndlung, während sogleich der Verkehr mit
seiner hochgebildeten Tante, der verwittweten Königin Elisabeth von Böhmen,
und ihren anmutsvollen Töchtern spinem Gemüte reicht- Nahrung l)raclit€\ Die
anmutige, oft wiederholt^' und vielfach gemalte Erzählung von seiner Flucbt
aus dem üppigen Haag in das Feldlager des Oraniers beschränkt sich auf die
Thatsache, dafs sein Orouverneiir Leuchtmar die Übersiedelung vom Haag nach
Amheim dnrohseixte und der Kurprinz von hier aus der eigenen Neigung
folgend vriederholentlich im Feldlager erschien, oder aus edelston Wiasenseifer
in Amsterdam und soderen Seestädten sich aber den Handel und den Schiffbau
nntenriditete. Durch diese meihi:^hrige Entfernung von Berlin und durch die
Sdüirfung des freien ümblicks und Ebblicks kam schon damals sein Wider-
vrillen gegen den allmächtigen Minister seines Vaters, den fränkischen iii icbs-
gnifon Adam von Schwarzenberg, zur vollen Keife. Es empörte den sechzehn-
jährigen Prinzen, dals dieser als Süddeutscher und Katholik unabliissig den
Kurfürsten Georg Wilhelm, dessen Willen er ganz beherrschte, zum on^fen
Anschlufs an das Haus Osterreich trieb und durch den Beitritt Brandenburgs
zum Prager Bündnis das unglfldcliche Land der Plünderung und Verwüstung
durdi die Schweden preisgab. Er glaubte vrirklich an das Härchen, dab der
Bursdie mit blofiwm Doiehmesser, welchen man einst anter seinem Bett in
Eüstrin entdeckt hatte, von Schwanenberg hesahlt gewesen s«, xmA dafii dieser
seinen Aufenthalt in Holland nur in der Hofihung geraten habe, er werde dort
umkommen. Als ihm im Juni 1636 des Vaters Befehl zukam, sich * wegen der
in Holland wütenden Pest* zu ihm tiach Königsberg zu begeben, in Wahrheit^
weil man fürchtete, dafs er sich mit Luise, der vierzehnjährigen Tochter der
KiMiigiii von Böhmen verlol)en wolle» und weil die kleveschen Stände dringend
iluj zum St^itthaltt;!- verlaugten, zögerte er, trotz der Androhung 'der höchst-en
Ungnade', ja 'der Verstofsung* bis zujii Mai des Jahres 1638. Trat nun aucli
eine wenigstens Sufiwrliche Vetsämung mit dem Vater ein, da der Enrprint
notgedrungen joaer jugendlichen Heraensneigung entsagte, so blieb das HU»-
Digltize
Di«ai«l: Der Gidae KurfUnt«
645
traueu gegen Adam von Schwarzenberg ducii daitselbe. Als er nach einem
CiMtmaUe, dM dimmr dem Hofe gab, an den Ifaaeni «tankte, war er flber-
lengt, vergiftet sn sein und wbriel» sogar den Tod aeinea erst vierundTienng-
;^lunigen Vaters am 1. Desember 1640 dem von SchwaraenbeTg ihm gereichten
Giftwein zu. Unter solchen Umständen war es kein Wunder, dab *der neue
Herr* nicht gesonnen war, den katholischen Minister an seiner Seite die Rolle
einps Richelien spielen zu lassen, nach welcher der energische und immerhin
staatslduiit' Qrnf liisht-r i\\c\d verj^blich gestrebt butto, aber noch war die
Zeit nicht gekomnu'ii, 'l' n i it waltigen offen anKuta^ten.
Friedrich Wilhelm iiat selbst dreilsig Jahre später den Zuätaiul seiner
Lamle mit folgenden Worten geschildert: *Ich habe hei meinem Regierungs-
antritt keine Freunde gefunden, sondern nur Feinde und teine Mittel geg^
diese; aUe meine Ämter und Gef&lle waren versets^ die Eurlande Ton Freund
und Feind gleich verwüstet, die Feetungen rom Notdfirfl^^ten entbldCst und
gleichsam in feindlicher Haltmit;.' Hätte doch schon in friedlichen Zeiten der
Besitz des fernen Preufsens und der kleveschen Rheinlande, wie der Anspruch
an PoTnmnrTi und an das schleaische Jägpmdorf eine diplomatische imd mili-
tärische Kruftaustrengung nach vier Seiten zugleich orfordt'rt, aber wo sollten
die Mittel dazu herkommen, seitdem der schreckliche Krieg seit zwanzig Jahren
die Marken in eine Wüste verwandelt hatte? In den Stildten wie auf dem
platten Lande war die Zahl der Seelen im Jahre 1643 auf den vierten Teil
httabg^ommenj die Einwohnefsebaft der Doppelstadt Berlin-CSUn war wohl
nur TOn 12000 auf 6000 SeelMi gesunkeu und von ihren 1209 Hausem standen
350 leer, aber Brandenburg hatte statt 12000 nur noch 2500, Prenzlau statt
9000 nur 6(K), die kleine Stadt Strasburg in der Uckermark überhaupt nur
n Btlrt/cr; es gab Quadratiripilfn , auf welchen weder Mensch noch Tier übrig
^eblicljL'ii war, so dais man wedt r säftf» noch emt^t^. Schlimmer noch war
der (ieist des Widerstandes, der Kleinlichkeit, Gehässigkeit, der Selbstsucht
und der Habgier, die niidit nur Laudedelleute, sondern auch Beamte, Richter
und Offixiere bwweUen zu offenem Yerrai geneigt machte. Ohne Scheu ver-
weigerten die Offiziere dem jungen Kurf&rsten, der in vollem Vertrauen auf
den göttlichen Beistand und in dem redlichen Streben, nicht für sich allem,
sondern für sein Land und Volk zu arbeiten, anf scino Mfinzcii das Wort
schreiben liefs: 'Pro Deo et populo', den militärischen 'rn iit id, und der all-
mächtig'P *Dir«>1it()r (b-s Kriegswesens' titnl 'Statthalter dvv Marken', der Graf
Schwarzenberg, bestärkte sie in ihrctri Widcrstaiul«- o(U'r verhinderte ihn^ Bo
ntrafung und ^inf? endlich so weit, die Kaistrlichea und die Sachnen in das
Land zu rufen. Nun aber war »eine Stunde gekommen. Der junge Kurfürst,
der in Berlin aus Mangel an Mitteln lur Versorgung der Hofkttche wieder-
holentltch vom Berliner Magistrat *fDn&ehn Hialer* entleihoi mulste und den
die verrannten Intiheriseben Geistlichen allsonntBglich als einen caivinischen
Sakramentsschänder ausschalten, hatte e.i bald nach seiner Thronbesteigung
vorgezogen, im f« rnfn Kön Imberg Wohnung zu nehmen und von dort aus
Sehwarsenberg mit iMshiueichelhaften Worten in seiner Würde zu bestätigen;
546
a. DieBteli Der Otofee Knrflnt
nun aber verbot er den Kommandanten seiner Feahingen in der Mark mit
höchst-er Entscbiedenheit die Aufnahme einer kaiserlichen oder sachsiBphen Be-
satzung, entzog Jeiu bisher AUmächtigeu die Leitung der auüwiirtigcüi An-
gel^enheiten vead verlangte genaue Beehensdialt QbM- seine CtonbKflsftQiniog
wUirend der lefesten Jahre. Als die abtrttnnigeii OfiBziere nodi der Hoffiiimg
lebten, Sdiwaraenbog werde, wie ein aweitor Wallenstdii, offen gegon seinen
Hrnm auftreten, warf diesen ein Schlagan&Il am 14. Mars 1641 auf die Toten-
bahre. Vou dem zweihundert Jahre ihm vorgeworfenen Landesverrat hat die
Geschichtiorschung dieses Jahrhunderts den katholischen Fremdländer voll
kommon z»i n'inis^en vermocht; mir der Vorwurf gewissenloser Habgier auf
Kostt'ii des vt-rwüsteten LhiuIcs und des verarmten LaiidcslRTin ist unan-
gefochten geblieben. Als der .junge Graf Johann Adolf von Scbwarz.eiibertr an
die Spitze der Aubüuger seines Vaters und der auistäudischeii Offiziere trat,
ernannte Friedrieh Wilhehn seinen idUshsten Verwandtem und Bräutigam seiner
Schwester, den Markgrafen Emst von Jagemdor^ som StatUialter der Marken^
Uels die Stande ausammen berufen und nötigte den kecken Qewalthaber durch
Androhung eines Hochverratoproseeses mr seUeunigen Flucht nach Öeterreich
(August 1641). Freilieh drohten nun die Kaiserlichen und die Sachsen, den
Kurfürsten für seinen anffei)lif;hen Abfall vom Prager Büiidnisso (1635) zu
strafen, nnd andererseits durelizogen die Schweden pifinderiul niul mordend «bi>*
Land oder schlugen sich mit den veraweifelten Bauern in iVmnliebeu Gefechten
herum, aher der Kurfürst erlangte im Einverständnis mit den friedebedürftigen
Stünden doch endlich durch eine Ubereinkunft mit den Schweden die Schonung
seines Landes und befreie dies zugleich ven der eigenen aufrUhreriacheii
Soldateska, indem er sie als 'getreuer VaHall' don Eaisor zu Hilfe sandte^
Ebenso gewann er auch in dem kmem Preubra, dessen Handel durch einen
SeesolhuseUag fBr den polnisdien Oberlelinaherm dem Ruin nahe war, besaere
Bedingungen, als AT am 7. Oktober 1641 in Warschan persönlich zur feier-
lichen Belohnung eracdiien und nicht nur dem Könige ein Geschenk von
4(XH^> Gulden, sondern mich der Königin ein solche« von 20(X>0 verhief?.
während er in seinem er;ui/. deutschen ller/en den Wunsch und die lloftnmig
verschlofs, dafs dies die letzte lieiehuuug eine« Henogi von Preuisen durch
einen polnischen König sein möge.
Trotz dieser kleinen Erfolge war und blieb die Li^ des Kurfürsten und
seiner Linder wahrhaft rersweifdi Wfihrend sich in Kleve und Mark ab-
wechselnd die Holländer und die Hessen festseteten, in dem benachbarten
Jfliicb der katholische Pfalsgraf Wo]%ang Wilhehn die HfiUe der Spuiier fSr
sieh hatte, eqprefsten die Sdnveden unter Torstenson, die Kaiserliehen unter
dem Sisheraog Leopold Wilhelm von den unglücklichen Märkem alles, was
ihro zuchtlosen Scharen zum Lebensunterhalt und zur Befriedigung ihrer LüsU
bedurften. Weder von dort noch von hier gelam^teu die fälligen Bezösr»^ in
«lie Kassu de.s Staat#*s oder des Land« slierrn. und nur vorübergehend schutVa
die Wandelungen in der Politik, so der plötzliche Eingriff Dänemarks lu die
Ytt'haltnisse des Nordens, eine kur/e Pause oder ein mit schwerem Gelde er-
Digitized by Co^^
G. OiMtel: Der Orofim KnrfDnt.
547
kauftts Versprechen, den Eriiressunf^e» ein Ende zu machen. Mit gierigen
Blickeu schauten die Nachbarn, die grol'sen wie die kleinen^ über die Orenzen
des verSdeten Landes, die QeBeralstaaten sannen auf den Besitz von Kleve und
Ibrky der Kumt dachte aa Brandenburg als an *eme fette Henne', Polen
suchte nur emea. AnlaGi, um sich Prenfeens an bemächtigen , und Schweden
Pommem nm so fester m der rauhen Haad^ da die BerSlkernng offen-
kundig dem Kurfttrsten zugethan war. Nie war daH verarmte und zerfetzte
Land seinem von dir A'nrsehung besttnunten Berufe, einet der Soekel fQr
Deutschlands Ororsniuclitstelhing zu werden, ferner, dem Untergange naher.
Allein die unvcnlrosst'iit' Thütigkeit, die rastlose Enerpi<\ Au> weitsphondo Klug-
heit uiul das stolze National- und Ehrgefühl des jugendla-hen Fürsten bat es
gereitet und erhoben. In »einer grofsen Bedrängnis folgte er dem Ilate des
geistvollen und diplomatisch geschickten Gerhard von Leuchtmar, des klugen
nnd kidm«i Konrad Ton Bnrgsdorf wie des thatenlustigen Generals Johann
von Norprath nnd sachte das Heil sowohl in der SchSpfung eines stehenden
Heeres als auch im Btmde mit irgend ein» auswärtigen Grolsmaeht
Um sich in dies« » 'martialischen Zeiten mit dem Degen in Respekt und
Antoritit an setaen', betrieb er 1644 mit £ifer die Bammlung imd Aus})ildung
eines stehenden Heeres, da? schon nach zwei Jahren über 77(K) Soldaten und
5 — ('»rKXt Milizen zahlte. Da von den Stünden iVeulscns, des einzisren zahhings-
fahigeu Laiuk-s, keine Geldhilfe zu erwarten war, weil sie /.u st lir für ihre
Libertät fürchteten, brachte er die Kosten aus seinen Eigeubezügen , dem
Pillauer und Hemeler Zoll, aus Verpachtungen, Verpfändungen und Holz
▼erUnfen, *w '^^^'^ ^ freiwilligen Beiträgen snanamen nnd Teimochte
zngleidi diplomatisch geschidct die Hifegnnst des Kaiserhofes wie das Übel-
wolkn der polnischen Republik m entkräften.
Um ansirärts eine StQtBe sn gewinnen, knQpfte er zunächst mit Frank-
reich und nüt Schweden an. Jenes, zur Zeit selbst durch intelligente Minister
im Aufschwung b^rriffen, schieß begierig in die Hand des thatkräftigen jungen
Fünften ein, versprach ihm Hilfe mit HfiTirn Abstiebten auf Pommern und
Jülich und bot ein 'tranzösifichos Kräuicin' zur Ehe an. Schon erbat sich
(1*>46) d Avaux von Münster aus das l'ortriit Friedrirh Wilhelms für die be-
kannte Grande Mademoiselle, die achtzehnjährige Toehter Gastons von Orleans,
die reichste Erbin Frankreichs, allein rechtaseitig schreckte der Kurftrst vor
der Aussicht xarfldE, dem anlstrebenden nnd l&ndergierigen Könige blols
YMallendienste, Tielleicht gar gegen seinen ^iser leisten xu müssen irad sog
seine Hand wieder anrflek. Fast ^eichaeitig fimd auch der schwedische Heirats-
plan seinen Äbschlufs. Eine Hexsenssache war er nie gewesen. Dem jungen
Hohenzollern , der schon im Alter von 16 Jahren einer Jugendliebe zu Luise
Hollandine, der Tochter des pfälzischen Böhraenkönigs, tapfer entsagt hatte,
lag bei seiner Wahl aufser der Fortpflanzunfr seines Stammes allein die \'cr
grtifsi'rung seines Landes uml die Verstärkung seiner Maebt im Sinne. Dai»
ihn die Köniffskrone einer (fror>maeht lockte, ist selbstverständlich. Schon
GuÄtav Adolf hatte von der Verbmdung seiner Tochter Christine mit dem auf-
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0. Dieitel: D«r Orofie Knrfllnt.
gewedien Vetter gesprochen, und Mine Witwe Uarie meonore von Branden*-
bürg tfaat allee, am ihn der ai^tsehi^lhrigen Königin m empfehk«. Sie selbst^
nnbereehenbur in ihren ewig wechselnden Zn- und Abneigungen, nannte ihn
Bpöttisch wegen seiner kunen, gedningenen Gestalt da.s 'Burgermeisterlein' ond
xeigte Lus^ überhaupt unvermahlt zu bleiben, die schwedischen G^roisen waren
mchi- ihrem anderen Vetter, dorn in Schweden j^eborenen und er7:f»genen Karl
Gustav von Pfala-Zweibrürkci [Kurl \.) zugethan, bt>ide aber waren ebenso
ab<;eruM<^t. einen Herrn üJki wulteii zu lassen, wie der Kurftlrst abgeneigt
war, der Königin 'bWk etwan als ein Kümmerer autzuwarteji'.
üm 80 adineUer kam nun im Jahre 1646 die Vermahlung dea KnrfBiaten
mit Lniae Henriette ron Oranien, der nennaehnjShrigen Tochter dea nieder-
ländischen Statthalters Friedrich Heinrich, au stände^ durch die er dm Absehlofii
einer 'festen und nahen Alliance* mit den Generalstaaten zu gewinnen bolBRe^
wie er ihnen in einer Sitzung am 23. Nor. 1646 persönlich erklärte. Wegen
der zunehmenden Schwäche des A'aters — Friidricli Heinrich starb bereits im
März 1647 — wurde die Vcrmiiiüung bem-bleuiiiift. Sie fand schon am t). Dez.
*in der Enge uiul ohne einige Weitläufigkeiten', wenn auch mit dem üblichen
Prunk in Kleidern und Juwelen statt. Die Mitgift der Bmut betrug nickt
mehr ab 130000 Bthhr., ihre Anarteuer war reich an Juwelen und goldenen
Get&t8cbafleD, um so ärmer an WSsche (s. Philippson S. 447). Ihr H^ war
zonäcIiBt nicht dabei, weil auch sie erst die Jugendliehe au dem anmntigm
Prinaen Heinrich Karl von Tarent Überwinden mufste, der in holländischen
Diensten stand. Ihr Pflichtgefühl und ihre Frömmigkeit — die ihr zu-
geschriebenen Lieder hnt sie jedoch nicht verfafst — halfen ihr, sich in ihr
Schicksal zu tinden; ihre edle Weiblichkeit, die zugleich den Glanz äufserer
Schönheit ersetzen mufste, und di<' Bewuiulening des charakt«r- und geistvollen
Gemahls, der ihr trotz mehrjälu'iger Kinderlosigkeit uuwaudeibai- treu blieb,
befeBtigien später daa eilig und kalthendg durch die Politik geknüpfte Band.
In seiner Hoffiiui^ aber auf einen Bund mit den Oeneraiataaten sah sich
dßt junge Eorftrst bald ToUkommen getSusdbii Als er dm Kampf mit dem
Pfiafaignifen Wolfgang Wilhebn um Jülich und Ravensberg wieder aufinahm»
blieb er ohne ihren Beistand und mufste zufrieden sein, durch einen neueu
Vertrag zu Düsseldorf (April 1647) sich den bisherigen Besitz und den Jülich
bergiscben l*rotestanten ihr Bekenntnis zu sichern. Um so wertvoller war für
den aufstrebenden Ffirsten, den die katholischen Mächte, Österreich und f*olen,
gewaltsam niederzuhalten und womöglich zu erdrücken strebten, die Vermitte-
lung des energischen und geistvollen französischen Gesandten d'Avaux in Osna-
brQ^ in dem Streite mit Schweden Ober den Besita von Pommern. War ea
auch unm^lich, den habgierigen Vertretern Schwedena, Johann Oxenatiema
und Salvins, die insgeheim noch mit 25 und SOOOO Thalexn bestochen worden
mufsten, das ganze Pommern zu entreifaen, so erlangte BnuuU nburg-Preufsen
doch schüefslich (Febr. 1047) durch die Bistümer Minden, Halberstadt und die
An«>*iicht anf Magd^'bnrg für die 12(> (Teviertmeilen von Schwedisch - Pommern
«inen Ersatz von 175 und zugleich mit diesen ersten Anfängen der späteren
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O. DiMtd: Der OmTie EnifllMt
549
Provinzen Westfalen und Sachsen eine Brfiekp zwischen den Marken und dem
rheinischen Kleve. Schon wur es dahin gediehen, dafs nicht nur Schweden,
aondeni anoh Frankreich und Oatermeh sich fiuBt gleidiseltig um «in Bflndnie
mit Friedridi Wilhelm bemflhtMi, dafo jenes ihm den Besitc des oslerreiehiBchen
Sehlesiene, dieses ihm gans Pommern verhieb. Allein seiner echt deutschen
'ri sir nung war die Abhi]lg^(kdt von den Ausländern verhafst, seiner evnn-
geiischen widerstund der engere Bund mit dem Keiler. Wahrend er mit vor-
sichtigen Worten ilie Aiitmt'crMicn hiiiliielt, war sein pifrirrcs Strobon dahin
gerichtet, dem Krii'jrc tin Ende zu machen und den Evun^^clisi lien ihif k<in-
feasionelle Freiheit zu crnn^en. Fflr ein«* Mritte Partei', ein evangehöchea
Verteidigungsbündnis mit titattlicher lleere^macht, lielseti »ich anfangs nicht
nnr die tapfere Laodgrftfin Amalia Ton Hessen, sondern auch die protestantischen
FHlrsten in Korddentsdiland gewinnen, allein die mtschiedene Weigerung des
■achsischen EnrfBrsten Johann Georg, mit dem rata^schen GalTiniaten Hand
in Hand zu gehen, bewegte zuerst die Weifen, endlich m 11 t die Landgrilfin
Amalia zur Zurücknahnie ihrer Zusage; mit Meckienboig allein, das dem ge-
gebenen Worte treu hlif}», liefs nlch nichts ausrichten. Dennoch glückte ee
dem unermüdlichen Kurfürsten durch gesehiekte ^'erhandlunlr nuf dem west-
fälischen Friedenskongresse (Okt. l('»4S)die rileichstellun;^ itller drei Kon-
fessionen zu stände zu bringen. "^Für solche Gnade', schrieb er an Wittgen-
stein, *ist dem grondgütigen Qotte hillig sn danken, nnd hOehlich m wflnsi^en,
dab dadurch unser geliehtes Vaterland dentscher Nation nach so lange
ausgestandoieo grofiwn Pressuren» Drangsalen nnd Zerrattungen in bestindige
Tranqniliitiit, Ruhe und Sicherheit gesetzt werden möge.'
Fast schien es aber, als ob der Kurfürst mit dieser Vorstellung von einem
'geliebten Vaterlande deutscher Xatinn' nneh allein in dt r Welt stehe. Besafsen
doch die Stande seiner weit zerstreuten L'ind' reien nicht eiinnal das geringste
(iefühl einer staatlichen ZusamTnen^c lnirii^kt it o(h r gar der Anhänglichkeit an
die Feraou des Herrschers. Im licrzogtuiu l'jeul'sen stellte der Adel nur halb
lo nel Sddaten aor Landesverteidigung, die kleineren jUndbesitier sogar nur
den neunten Teil, als woan sie gesetslieh verpflichtet waren, und beide rer-
weigertm 1644 einmfltig den Kampf gegen die Schweden unter dem eitlen
Vorwande, sie durften sioh nicht gegen Glanbensgenossen (Lutheraner) brauchen
lassen. Die Bewilligung der dringend erforderlichen Steuern war von den
Standen weder dort. iin<!i in der Mark zu erlangen und im rheiniflchen Kleve
auch erst, als der Kurfürst die Entlassung aller niclit eingeborenen Beamten
und Tmpppn vprfHgt luittc 'Nov. 1649). Dort drohte man ihm bestäudig mit
Anrufung des Königs von Polen, hier des Kaisers imd der Generalstaaten. Es
ist nicht SU Terwundem, dafo dem heftigen nnd immer nur für das Ganze ar-
beitenden Herrn gegenüber so enjßienngen nnd selbstsflchtigen Landesrertretem
einmal die beleidigende Anrede entwischte: 'Hundsfötter, un^rlidie Leute*, die
natürlich mQhsam gesühnt werden mubte. Wenn er sie zusammenrief, kamen
sie nicht, aber ungerufen kamen sie oft zusammen, um heimlich mit den Aus-
lindem zu lioraten Als der Kurfftrst 1661 ktthn zu den Waffen griff, um
2(«tte Jalixbacbar. 1S9$. I. W
650
Dtoftel: Dar Orobe XtuMnt.
von ddm IniilioHBGlieD P&lzgrafen Wolfgaiig Wilhdm in Jfilieh-Berg die Sdio-
iraiig der 62000 Frotestanien sa enwingen, die er ihnen im April 16i7 ni-
geeidiert batte, erbaten lie sich gegen ihn von den GenfirabtMtlen eine SdmfB-
nunnschafl und verklagten ihn bei dem Kaiser als Friedensbrecher. Obwohl
er sein Heer bereit« bis auf 7500 Mann h lachte, muTste er schliefslich doch
zufrieden sein, dafs der Kfiiscr im Okt. 1(!51 auf der Grundlapfp der früheren
Verheifsungen den Pfalz^rafeii durch Androhung der Keichsexekution zur Unter-
zeichnung des Friedens zwang. Wieder hatte er nich überzeugt, dals er bei
den Lutherischen — er hatte den Kurfürsten von Sachsen selbst durch das
Angebot von Halbwetadb nidit gewinnen können — keine Hilfe, hei den Nadi*
b«m und seihst hei den eigenen Standen nnr Feindsehaft m erwarten habe.
Binisig die Pommern sdi^en ihm ab dem rechtmS&iigen Erben dee 1637 ver-
storbenen Herzogs Bogishkw XIV. von Herzen ergeben gewesen zu sein, allein
die Scliweden hielten trotz aller Verträge, VersprechungWl und *Hand8Älb€n*
das Land dauernd besetzt. Erst die Weigerung des Kaisers, ihrem Vertreter
auf (h'Tit Keichntage zu Regeushurg Sitz und Stimme einzurätinM-n . und das
Versj)rechen des Kurfürsten, mehr al8 vier Fünt"t«d der pouuiitj sehen Landes-
schuiden auf sich zu nehmen, bewog nie zur liäumuug der Feste (Jolberg am
6. Juni 1653 und zur endgiltigen Abtretung Hinterponunems.
So war es dem staataklngen Forsten doch sdilieftlicih gegluckt, obwohl er
▼on Feinden umringt, toh den eigenen Stinden im Stich gelassen war, ohne
einen Schuf» gethan su haben, gegen 600 QeTiertmeilen zu gewinnen und da-
durch seine Herrschaft um ein Drittel zu vergrofsem. Allein auch dieser außer-
ordentliche Zuwachs drohte bei nächster Gelegenheit verloren m ^hen und viel-
leicht das T'Jbrige nach lifh zu ziehen, wenn der Kurfürst nicht dauernd freie
Hand hatte, um die iMitiel des Landes ausgiebig zum Schutze desselben ver-
wenden zu köuneu und dadurch von den Nachbarn gefürchtet^ von den Mach-
tigen Europas geachtet zu werden. Bei dem ewigen Suchen nach Alliansen,
bei dem bealSndigeu Anfragen, Anklopfen und Horchen hatte er dodi edüieb-
lieh keinen reinen Gewinn geemtst; man hielt ihn vielmehr &st ftr einen un-
sicheren Kantonisten; und doch war er das langst weniger als irgend ein
deutsder Füist seiner Zeit. Als der schwedisch-polnische Krieg ausbrach und
das zerstückelte Land in die äufserste (Jefahr geriet, von beiden Kriegführenden
zerrissen oder wie zwischen zwei Mühlsteinen zerriel><<n /n werden, da zei^e
es sich, dals der 35jährige Monarch die Lehrjahre hinter sich, hatte, dal« er
innerhch gereift war, voll Herracherkraft und voll Selbstbeherrschung, einer
Ton den Wenigen, die aus der Stunde der äulsersten Not eine Stunde der Er-
hebung an nie geahnter HShe in machen ▼ersteheiL
In der That: Friedrich Wilhdm war mehr, als er an sein schien. Da er
offisn und £Mt Tertianlidi, heiter und witsig in der Unterhaltung war, da er
gern, gtit und viel von politisdien und militärischen Dingen sprach, da sein
lebhaftes Temperament leicht von mafsvoller Freundlichkeit zu derber Grob-
heit ubersprang, konnte man ihn wohl für oberfläclihVli und iinbesonnen halten.
Qewüjs, er brauste leicht auf, wie die meisten HoheuzoUeni, und muTste sich
.^ .d by GüOgl
.0. DiMtel: 0«r Ombe KnvAni
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dann durch einen Beiner liiiiu entücliuldigen lasäeu. Dum amualäenden Syn-
dikuB UevMdMn Bittmeluft, Mnetn Dr. jur., gegenltber wpmäi er Munal
den Wiiiiaeh «ns: *W«ib anr die Doetoxen, die RnndaföUer, daTon waten, und
ieh mit den ebrlieluii Lenten allein za fdiaffion Mtte, eo wollte ieh wciU bald
zu rfclit kominen', aber seinen obersten Rechtsgrandsat/ 8])rach er doch schon
in dem Vene ans, den der 24 jährige als Mitglied der Fruchtbringenden Gesell-
schaft auf seinen 'in Gold goschmel/icn G<'sellschafts]»fonTii<i;' setzen liofs und
der wohl verdiente, besser gereimt zu sein: 'ürol'se Herrn tbun wobl, sich zu
befleifsen. Den Annen als den Heichen Recht zn leisten/ Fast taglich lielä er
sich über liechts- und andere Wisseusckatten Vorträge halten, um seine Kenntnis
and Einaiekt ni erweiteni. Swne Anebüdmig war aom mmdesfean aiiff nn-
l^eicJi geweaen — Latein sprach er hemr als franiBeiacli — ^ aber an Interesee
fehlte ea ihm nteht, vnd aeine Arbeitekraft war unennfidlich. *Seine Durch-
laneht arbeitet mehr als ein Sdnitir/ schrieb der Graf Waldeck an einen Kol-
legen. Schon deshalb lebte er regelmafsig und äufserst einfach. Seine einzige
Erholung bildete die .laj^d, die ITnterlialtung oder Karten- und Soh.ielispiel im
Familienkreise. Nnr bei festlichen (lelci/enheit^n erschien er prachtvoll u;e-
kleidet und trieb kurfürstlichen Luxus in Speise und Trunk; ebenso auf lieisen,
wo ilm einst 618 Personen mit TiiH Pferden begleiteten, aber nur, weil er dies
sriner Stellung sdinldig an sein glaubte, nicht etwa, ww die meisten Fflntra
seiner Zeit, in hlSder Nachahmnng Ludwigs XIV. Vielmehr war er wohl der
dentaciieste Henrsdier in ganx Dentaehland; er nahm «nellioh Änatofii an kaiser-
lichen Verordnungen, die zn Tiele F^mndwörter enthielten, und banflhte sich
selbst^ sie nach Möglichkeit zn venneiden. Von snner Politik ha^o nr selbst
einmal, sie sei 'weder kaiserlieh, weder spanisch, weder französisch, weder
schwedise}), Hondern einzig gilt reichisch.' in wahrer llerzensfrönnnij^keit be-
gann nnd sihlolü er jeden Tag mit (iebet und hielt fcHt an ^inem reformierten
Bekenntnis, aber er war duldsam gegen Andersdenkende und hafste die reli-
giöse Verfulguagssuchb Nidtt blofo OlaubeuBgenoBsen, sondern selbst Soci-
nianer, die ana Polen vertrieben waren, w^ sie die Dreieini^eit lengnetm,
nahm er in Prenfinn auf.
Einen alles leitenden Minister sollte es seit 1651 nieht mehr geben.
Koniad von Burgsdorf, der an die Stelle Sc}}war7enbergB getreten war, erwies
sich mit der Zeit als unfähig zur obersten Heeresleitung, Finanzverwnltung
und Diplomatie. IJberdies erregte seine Schlemmerei und Ausschweifung die
Ungunst der Kurfürstin, seine Bestechlichkeit und Begünstigung «1er laiul-
ständischeu Opposition den Zorn des Kurfürsten. Nach seinem Sturze liei's
Friedrich Wilhelm 1652 durch drei 'Geheime Staats- und Kammerr&te*, Blmnen-
tiialy Waldedc und Dr. Tornow den seit 1604 bestehenden Geheimen Rat re-
organisieren, fo^te aber auneist der Eingebung seines genialen, ideenreiehen,
aber gewaltsamen nnd intriguantmi Altersgenossen, des Grafen Georg Friedrich
T. Waldeck. Dieser wufste ihn nicht nur von der Untreue des Kaisers und
von der Unzuverlassigkeit des in seiner Mehrheit katholischen KurfÜrstenkolle-
giums 2u übensengen, sondern bewog ihn auch zum Anschlofs an die fibrigen
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0. DiMtel: Der GroAa Knrfllnt.
FOnten DeutadUands, die jenen gegenüber ihren Eiafltife til^di mehr sur
GeUnag su bringen sachten, und stellte ihm aht lelntes Ziel, das allein im
Bunde mit EVankreich, Holland nnd England an erreichen sei, die Vernichtung
der hababurgiadien Macht und den Sieg des Protestantismus vor Augen. Anf
diesem Wege werde der Kurf&rst 'entweder das römische Reich in Flor und
Axifnahtne bringen oder ein grofs Teil davon vor sich behalten.' So sehr auch
derartige hocbfliegcndc Zakunftfspirn)p dem rastlos emporstrebenden Geiste
Friedrich Wilhelms geniiils waren, so ftJhlte sich dieser doch allzusehr ge-
hemmt durch düä Müstruueu der prutestuniischen Weifen, durch die Unzu-
Terlasaigkeit der antioranischen Generaktaaten nnd durch die feindsdige Oe-
flinnnng Schwedens^ das den reehtmai'sigcn £rben Pommerns durduuts nicht
aufkommen lassen wollte; am wenigsten behagte ihm die Aussidil^ die Schleppe
des Königs von Frankreich zu tragen. Ohne Zweifel war auch die Sngst-
lichc Besorgnis seiner treuen Gemahlin Ton mächtigem Einflofs anf seine Ent-
schlüsse. Durch innige Anteilnahme an allen Ffegierungsangelegenheiten, durch
Gleichheit der religiösen Gesinnung und durch klugen, mafsvollen Rat war sie
dem anfangs nur verehrten, später mehr und uulir geliebten Gatten, den
sie auf alleu Keinen und Märschen begleitete, so weit es irgend ihre Gesund-
heit suUelli, alhnähltdi sur unenthdurlichen Stfttze geworden. Einst hatte sie
selbst den Grafen von Waldedc begünstigt, der lUTOr in oFanisehen Diensten
stand nnd durch seine Gemahlin mit ihr verwandt war, spater jedodi ^radi
■je die schmerzvolle BMo^nis aus, dafe die Vorsditung *wegen seiner reehte-
TerachtMiden Entwürfe gegen den kaiserlichen und den polnischen Oberherm
ihr noch immer den Thronerben versagte.' Ob durch sie oder durch eigene Über-
legung dahin gebracht, gleichvi 'I: im Jahre l()r)t> übertrug der Kurfürst die
höchste Würde im Staate, die emcH Oberprasidenfcen — die KanzlcrwÜrde hatte
er ubguschaü't — dem inalHvolleu und frommen Otto von SchwerLu, der seit
Waldecks Entlassung {iiibS) fast allein die höchste Gunst besafs. Allein auch
er bekannte einem Franaosen gegenüber offen: Der Herr Kurfürst befragt uns
wohl, aber handdt sehliefalich nach seinem K(^e/ Daneben nahm Fxiedridi
W^ilhelm ebensogem BOrgerliche wie Adlige in seinen Geheimen Rat auf, an-
mal ihre Ausbildung meistens gründlicher gewesen war. *Man legt in Branden-
burg,' hiels es damals, 'auf die Federn und nicht auf die Ahnen Gewicht, da
man es einer Öache nicht ansieht, ob sie mit adligem oder bfligerüchem Geblüt
traktiret ist.'
Eben diese vollkommene Freiheit von allen Vorurteilen des Standes und der
Zeit war es, die den brandenburgischen Kurfürsten weit über alle mitlebeuden
Fürsten erhob und au groben Erfolgen führte. Obwohl von Natur schnell auf-
brausend, ja aufehrend und von starkem Selbstgefühl, Termoehte er eidi iminoT
wieder zu beherrschen, nicht nur Gerechtigkeit und Milde au Oben, sondern auch
mit bedachtsamer Erwägung and weitschauendem Blick, ja mit wahrhaft fBrstlichem
Pfliebtbewufstsein immer nur das Interesse seines Staates, seines Volkes, ja
de» deutschen Reiches zu fördern In diesem Sinne hat er sich auch keinen
Augenblick gescheut^ die verbrieften Hechte der selbstettchtigeu und beschrankten
.^ .d by GüOgl
0. DiMtal: Der Gfobe EnrfBnt
S63
Landtfftnde mit FOfiran m treien, wran es galt, die Mittel lur AiufUinmg
einor saknnllBreiehen That m gewinnen. Am ec^eUetm einigte er eicli mit
den Standen Pommerney die dae aehwediedie Joch mit Schmeraen empfimden
hatten und sich gleich nach der Befreiung (1654) gern bereit fanden, die Macht
dee deutschen Schutzherrn mit allen Mitteln zu unterstützen. Schwerer schon
wurde ihm der Kampf mit «Icii ktirmarkisclicii Standen. Da er die Deputation
derselben nicht dazu bewegen konnte, ihm ein für aiieroai ein PiiM><rlir]ii!intum
zu riiilit-;iri«ichen Zwecken zu bewilliiren, weil sie von der Eiluihung seiner
Macht durch ein stehendes i^Ieer für ihre Rechte fürchteten, entschlofs er sich .
1652 alle lendatSndiecihtti Edelleate und Vertreter der Sladte nach Berlin ssa
bemfen. Allein aneh. bei ihnen &nd er kein Gehdr fUr seine Qeldf(»rderungon,
kein IntnfeBse für den Sehnts des GeNuntetaates, nur «idloie Klagen und Bo>
■chwerden Aber die Terkümmenu^ ihrer ▼erbrieften Hechte. Als er sie ver-
gebens siebenmal vertagt hatte, am sie zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, be-
schlofs er die Verhandlnnjren mit einer Deputation fortzusetzen. Durch die
Landtiijrsrezesse vom 2i). .Juli und 5. August Ifi,^.^ siih er sich zwar genötigt,
den adligen (Jutsherren volle Befreiung von allen Staats und Kommnnalst^nern,
fast unumschrünkte Herrsehuft uud (ierichtsbarkeii über ihre 'Untertbanen*,
dio hörigen Bauern und Bflrger, zuzugestehen, aber er erlangte WNiigstens die
Zusage einer bleibenden Oeldbewilligimg zur 'Landesdefension* und konnte
seitdem diesMi dehnbaren Begrifi reichlich ausnutno, um Hilltirsteumi au er-
heben, aueh wenn der Adel sie nicht bewilligt hatte, der mit der Zeit immer
gefügiger wurde.
Genulf 711 horbverrateriseb benahmen sich die Stände von Kleve und Mark.
Da sie mit liireni StretxMi nach republikanischer Freiheit von den General-
staaten im Stich gelassen waren, riet ihnen der reichhei;üterte Freiherr von
Wilich, der wegen Unbotmüfsigkeit vom Kurfürsten seines Amtes entsetzt war,
eme Deputation an den Reidistag in Regensburg zu schicken und im Einher'
siandnis mit dem katholischen Nachbar den Ansehlufs an Jfllidi-Berg zu be-
trüben. In der That liefs sieh dnr alternde Kaiser, der naeh der Wahl seines
ältesten Sohnes zum Römischen Könige des Kurfürsten nicht mehr zu bedürfen
glaubte, am 16. Oki 1^3 herbei, den anJrtthreriachen Deputierten durch ein
Dekret alle Wünsche zn erfüllen. Allein nun wjtr nnrli die Geduld des ener-
gischen Brandenburgers vollkommen erseliöptt. Kr erklärte offen jenes Dekret
für ersehliehen und liefs Wilich als Hochverräter nach Spandau abführen,
während die anderen Deputierten sich durch die Flucht retteten. Vergehens
drohten die Stands den Gefangenen mit Gewalt au befreien, vergebens wandten
sie sich an den kmnken Kaiser, der fttr die gehofite Katholisierung von Kleve
und Hark sohliefsltch niehts su tiiun Termochte; so findeii sie es endlich doch
für geraten, die Freiheit des HochTenr&ters durch eine hohe Geldsumme zu er-
kauCon. Als der Kurförst nun ohne Rücksicht auf ihre Verfassung wie auf
seine eigenen Ven»preehungen aus dem n-ii lien Lande binnen zwei Jahren eine
halbe Million Thaler erprefst^' und an ttiXX) Soldaten zum sehwedisch - pol-
nischen Kriege warb, kam es zwar wiederhoientlich zu Versuchen, sich von
564
G. IKwtel: D«r GroAe Ewlttni
ihm loszureilsen und mit Holland zu vereinigen, aber endlich fügten n« sieh
doch dem Zwange, den der strenge Herr durch «ein JuatiskoUegiam und seine
AmtskniBmer ansfibte, nunal die Hollinder sieh von der Notwendigkeit Uber-
zeugten, dafii am Rhein und an dar Ostsee die Vonnaoht des protestan-
tischen KurfQrsten aufrecht edialten werde. Später (1661) wurde diosem that-
sächlichen Zustande in dem Rheinlands andi die Form ein«* neneo VerfiMsnng
gegeben.
Dills die Stiliuie des HerÄOgtumß Preiü'sen, die von jeber gewöhnt waren,
für ihre eigeusüchiigen Begehren uud ihre steten Beschwerden über den Kur-
fürsten Ton Brandenburg bei dem polnischen Oberlehnsherm ein geneigtes Ohr
an findmij am schwersteii sur ünteratliinmg des Oessmtstaates sn beatimmea
waren, lag in der Natnr der Sache. Erst mehrere Jahre nach dm achwedisdi-
polniichMi Krisge, der diese ftmste Provinz in die schlimmste HiÜeidensehaft
sog, gelang mühsam ihre volle Bewältigung durch den Landesherm.
Die Hauptsache blieb doch, dafs der Kurfürst während dieser unablässigen
und meistens vergeblichen Bemühungen um Machtgewinrnino; oder Macht-
erweiterung tr()tz seiner gerintfpn Mittel mit Kifer bestrebt war, die Wohlfahrt
seiner zerstreuten Ländereieu uacii allen Seiten hin zu fordern, die materielle
wie die geistige.
Nicht nur die kostenlose Hdslieferang ans Aem kniAndüolien Waldvngen
snm Neubau der aerstSrtsn ffiLnser, sondern mehr noch das wachsende Yer-
tranen auf die Sicberfaeit hatte die Termisteifc St&dte wieder mit tiiät^en
Einwohnern angefüllt Noch wilhretid des schrecklichen Krieges (1645) stieg
die Zahl der Feueratellen in Frankfurt von 272 auf 401>, in Brandenburg
▼on 65 auf 152, in Treuenbrietzen gar von f^O anf 174 und die Bewohnenyihl
der Hauptstadt wenigsten» auf 7000. Aueii der Landbau hob sich wieder,
seitdem den Adligen das bedeuküche It&cht gegeben wurde, auf entlaufene
Bauern wie auf entsprungene Verbrecher Jagd zu nmchen und die einge&ngenen
aur BeadEsrung des TwodeAen Landes an awingen, oder Sohne von hörigem
Bauem, die sonst wohl durch Versieht auf das Tftterliche 0ut sidi der Kieeht»
sdiaft entsiehen duften, mit Gewalt festsuhalten, sumal am viden Stellen die
Dienste dieser Unglücklichen nicht gesetelidi festgest^^Ut, an manchen ''in Not-
föllen' als ^unbeschrankt* bezeichnet waren. Wohl bort man hin und wieder
schon von regelrechten Pachtverträgen, aber im grofsen nnd ganzen h\u'h die
Lage der Bauern beklagenswert. Besser hatten es nocli die Heilsigen und ge-
schickten Niederländer, welche der Kurfürst nach dem Vorgange der deutschen
Ordeusmeister in grofser Zahl herbeirief um die Flüsse einzudeichen, die Sümpfe
und Brflche anbauflUug sn maehen oder den Aeker- und Wiesenbau mit €fe-
sdiick aufrnbessem. Noch heute geben die viel«! Dorfinamen mit der Endung
*brueh' oder *hoUand* davon Kunde. Aber auch Schotten, Lausitser, Sehlesier
oder Einwohner von Bremen und Verden, die aus religiöser oder politischer
Bedrängnis ihre Heimat verliefsen, fanden hereitwüljg Aufiawhmey Freiheit und
UnterstützTing mit Geld oder Siiatkom.
Auch der Handel begann sich langsam zu heben, zunächst wenigstens
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Gt. Di«0M: D«r Grollw KurfllM.
666
dflr BinnenliHidel, den der KoHlliet dnrcli Anlegung dee Oder-SpreekandB in
Bnadenborg nnd des 'Friedrich'WülidiiiigxmbttiB* (bot Umgehung des Knrimheii
Hafis) in Oatprenfeen, sowie durch Einfahrrerbote und SehnlnSUe IBrdarte.
Bald brediten die Zölle am Rhem und an der Elbe mehr Gewinn als jemals
zuvor. Wenn aber der unermüdliche LandeaTftter aeineD Schiffern 1647 bei
Christian IV. dieselben Snndzollermäfsif^unffen erwirkte, welche den Nieder-
ländem gewahrt waren, so hören wir »n« dfr BestStignngsurkunde Friedrichs III.,
dals innerhalb der dreieinhall) Jahre noch kein brandenburj^isches Schiff im
Sunde gesehen sei. Trotzdem lockte schon damals den hoehÖiegeuden Sinn
Friedrieh Wühehna der Gedanke an übeneeiaGhe Kolonien. Scshon 1647 lAtte
er eine indiadie Kompagnie geatiftefe, wenn im eigenen Lande geldkiSftige
Unternehmer m finden gewesen wSren. Auch sum Ankanf von Trankebar, fllr
welches er den Freie mit Dinemnrk bereite Tereinbart halte, war dae Geld
nicht au£sutreiben.
Handwerk und Ocwerbp. die nur dfr Freiheit und des aufBcren Schutzes
bedürfen um goldene Frucht zu bringen, tinh er durch strenges Verbot harter
Beschränkungen yon Seiten der Zflnfte und durch Schutzzölle.
Von uuherechenharem, materiellem und geistigem Vorteil für alle seine
weifaeretrenten Unterthanen aber wurde 1649 die Einriehtung einer Stnete-
poat dnreh den gBBc(hiekt«i Kammerrat Metthiaa. Neben der gana unauTer-
Uaaigen Beiebqpoat gab ee «war adion eine knrflirsüiche Botenpoat rar ai^ren
BefSrderun)^ der Regierungs und Hofbri^ehafteo , die wohl unerlaubterweiae
bieweilen Privatbriefe beförderte, sonst aber war man mit allen Sendungen
einrig auf Gelegenheiten, zumeist auf die sogenannten Met7gerpos»ten angewiesen.
Von nun an gingen wöchentlich 7:weimal Po.><twagen von Kh've bis Berlin in
sechs, von dort bis Königsberg in vier Tagen, deren sich jedermann zum brief-
lichen und persönlichen Verkehr bedienen durfte. Allen Schwierigkeiten zum
Trotz, die Polen, Sachsen und vor allem das Hans Tkuds in den Weg legten,
erstanden bald kurftntliehe Poattiättser audi in Hamburg, Bremen, Leipzig
und Danng, ao dafe ea spiter deren 70 gab, die PenKmen und Briefe auf
16 grofsen Postkursen, im ganzen 400 deutsche Meilen weit mit einer SchneUig-
keit beförderten, die den erstaunten Zcitgenoesen die Bezeichnung *die fliegraide
Poöf abgewann. Anfangs erforderte sie wohl einen Staatszuschufs von
tKKXi Thalern, brachte aber im Todesjahre des gmlspr Kurfürsten bereits über
40000 Tlialer Heingewinn, was weder erwartet noch beabsichtigt war.
Mit unermüdlichem Eifer und mit einem Sinne, der weit über alle Vor-
urteile und allen Aberglauben der Zeit erhaben war, strebte Friedridi Wilhelm
anch der Gerechtigkeit sur Herraohaft an ▼erhelfen und fiberall dMi inneren
Friedm hersnstellen. Selbst im Heere wurde die Herausforderung an einem
Zweikampf ebenso wie die Vergewaltigung eines Weihes mit dem Tode be-
straft, obwohl beide Vergehen im übrigen Europa der mildesten Beurteilung
begegneten. Auch das dürfte heute wunderbar erscheinen, dafs er die Urteils-
sprüche der Kriegsgerichte, wenn sie Ehre (»der Leben betrafen, vor der Voll-
streckung vom Zivilrichter prüfen liels. Übrigens waren seine Klagen über die
Q. Biestel: Der Grofse KurfOrst.
lAi^lHune, mangelliafld und koettpielige Reehfapreehuni; des KanunergeriditB
▼Oll so geringem Erfolge, dafs er dem Geheimen Rate in vielen Fällen eiae
Benifungsgerichtsbarkeit einräumte, obwohl er sonst durchaus die Unabhängig-
keit (los Rcchtsvprfahrpns von jodor Vorwiiltungsbchf^rdL« filr richtig und nötig
erklärte. Fast maciitloü war sein Streben nach dieser Richtung in Preiifsen,
wo seit ItiOO die beiden höchsten Gerichtshöfe, das Hofgerickt und der Pairs-
hof, ausschliefshch im Interesse des Adels gegen die anderen Stände ucd den
Landeshomi ihre Urteile epimi^en, suinal jener die Bemfung an den Kdn^
Ton Polen frei hatte und bei diesem erfiBhran|pig«iiul& UnterstaiBuiig tutd.
Hier konnte nur die Erlangung d«* SouTeriailit Hilfe eehaHnii.
Am weitesten erhaben über sein Zeitalter, ja fast über jedes, « ] >f It int
Friedrich Wilhelm in allen religiösen Angelegenheiten. Obwohl selbst
ein überzeugter evanfrrli'^eher Christ, dem religiöse Gleichgiltigkeit oder gar
Verspottung im tiefsten Herzen zuwider war, oder — richtiger woiil — weil
er ein solcher war, hafste er joden Gewissenszwang. Schon lö45 lehnte er
auf das bestimmteste das jus reformandi für seine Person ab, er meinte auch
den Päpstlichen chrislliehe Liebe nidit verweigern eu dflrfon. Obwohl «r anf
das entsehiedenste jedem Versudi des rSmisehen EUms, sich landesherr-
liehen Gerichtsbarksit su entsieben, die Zahl der GeisÜicbea fibermBliug ro
yermehren oder gar die Jesuiten anzusiedeln, energisch Widerstand leistet^ so
schützte er ihre Rechte auf das gewissenhafteste. Er liels im Kleveschen sogar
Mönche in ihren Ordenstrachten einhergel>"n , in Halberstadt eine Synagoge
aufbauen, whh sonst in evangelischen Staaten nirgend gestattet war. Es
war sicher nicht seinem Sinne gemals, wenn er jenen, wie den *Arianem,
Photinianern, Weigelianern, Wiedertäufern und Ministen' auf dringendes Ver-
lai^n der Sttnde die Abhaltnng Ton Gotfceedienslen yerbot Sein hodistea
Streben riehtete sieh zunächst anf eine dogmatische und formale Einigung aller
Evangelischen. Schon 1641 hatte er in diesem Simie ein Religionsgeqprik^ in
KönijTsberf; aldiulten lassen und besehickto 1645 ein zweites in Thom, welches
nach dem Willen des Königs Wladisliiw IV. sogar alle christlichen Konfessionen,
auch die katholischen, vereinigen sollte, aber die Kluft nur erweiterte, die sie
▼on einander trennte. Xicht n ir ))L'i den evangelischen Fürsten Deutschlands,
auch bei Cromwell in Eugluiui und bei Christine in Schweden hat er an-
gddopit^ aber — man verstand ihn nichi
Nach Mog^dikeit förderte er Schulen und Uniirersi täten. Die völlig
serstörte Joaehimsthaler Gelehrtensdiiile nahm er 1655 sunädiBt in sein Berliner
Schlofs auf und verhalf ihr zu reichlicbem Einkommra, und das Qymnsaiom
zum Grauen Kloster, ebenfalls von ihm unterstützt, zählte 1656 bereits über
400 Schüler, die nicht nur in Latein und Religion, sondern auch in Philosophie
und Gn'pchiseh unterrichtet wrden. Den niederen Knabenschulen — die er'^te
Miidchenschule wurde in Berlin erst 1(370 crflflia-t fehlte es meistens an
Lehrern und Schülern: die groise Masse des Volkö blitb nach wie vor in Al>er
glauben und Unwissenheit versmiken. Auch die Universität Frajikfurt »tieg
bald naeh seiner Thronbesteigung durch Bemfung g^stroUer Lehrer Ton
0. OiwM: Der <hotn KnrfHnt
557
86 Immatrilralationeii im Jakiu 1G40 auf 341 im J. 1G45. Der allberühmten
Alberiina in Königsberg hatie es wohl nie an Sehülern gefehlt, da eueh der
polniscbe IM mit Vorliebe seine SSline debin eehickte; nm so eifriger war
der KnzfDret danmf bedadit, trota der entgegengewlBlen Neigung der Land-
etande und imn Teil aneh der GeisUichatty wisaenschaftlich tüchtige und so-
gleicb duldsame Theologen anzustellen, hier wie in Frankfurt die Anhänger
neuerer Philosophen gegen fanatische Aristotelesverehrer iti Sehnt/, zu rühmen.
In tIeinK*^n>«-!i Simie ^fliult't^^ fr 1655 eine Hochscliulc in Duisburg, damit
mau von Kleve oder von Minden aus seine Söhne nicht etwa in das Düssel-
dorfer JesuitenkoUeg oder auf die veraltete Köbier liochschule schicke. Um
auch einen gebildeten Ofßzierstand zu schaffen, errichtete er 1653 zu Golberg
eine ^Bitterakadeniie'i auf wdefaer 60 Z^linge nidit nnr in allen milit&rischen
Foüglceiten nnd Eenntniaaen, eondem aneh in Ifotbnnatik, Muaik und Fran-
iSsiaeh onterriebtet wurden. Endlich erdlbeto er seine reiche und fortdauernd
Tormehrte Bibliothek, seine Kunst- and Katoraliensanunlungen, seit 1659
auch sein chemisches Laboratorium der allgemeinen Benutätung, verwandelte
den snmpfigon Phitz vor dem Sehlnast» in einen *Lnstgarten' und liefs 1647
im sogenannten J?'riedi"ichswerder eine Allee von Linden- nnd Nnfsbänmen an-
pflanzen. Sogar ein Hofmaler und ein HofbUdhauer, in der allgemeinen Not
nur dürftig bezahlt, sorgten dafür, dafa auch die Künste in den Frunkzimmem
einiger SddjSeser eine bescheidene Stelle &nden.
Dabei drang Friedrich Wilhehn OberalV in der Bfiigerschaft und selbst in
dem bunt sosanmiengewfirfelten MilitSr, anf strenge Sittlichkeit. Zfigellose
Weiber wurden im Lager nicht geduldet, Schweren nnd Fluchen mit schweren
Strafen geahndet, Offiziere und Soldaten («glich zweimal zur Andacht ver-
sammelt. Dafs in Berlin unter seiner Regierunj^ auf 100 Geburten durch-
schnittlieh nur zwei unelieliche kamen, klingt, wie Philippson mit Kechi be-
merkt, fast wie ein Märchen.
Nach solchen Erfolgen, nach einer so bodeutungs- und mflheToUen Lehr-
aeit war der Grolse Kurfürst in gana anderem Grade gerüstet nnd befähigt,
die Mittel seines Ueinen Staates, wenn der Augenblick ihn rief, in die Wag-
schale der Wdlgesohidite au werÜBn, ab 15 Jahre anvor.
Alle Hindernisse, welche die Staiule ihm bd der Ordnung der scheinbar
hoffnungslosen Finanzwirren in den Weg legten, weil sie fürchteten, er werde
sonst wenifT nach ihnen fragen, hatte er glHeklieh tm umpehen oder zu über-
winden vernjoeht. Seitdem das gesamte Finanzwesen erbt (1651) einer
besonderen Kommission und dann (1655) der geschickten Hand des Kammer-
präsidenten von Canstein übergeben war, kam Energie und Einheit in die Ver-
waltung^ so dafs der Knrl&rat allmablich die Mittel gewann, sein Heer, dessen
Verwaltung er einem General-Eriegskommissariat, dessen Ffihrung er dem
Oeneraifeldmarachall von Sperr übergab, anf die nfitige GrSÜM an bringen.
Scheiterten auch alle Versuche aur EinfUhrung der allgemeinen Wehrpflicht^
und ui niste er ihatsächlich immer wieder zu der kostspieligeren Werbung seine
Zuflucht nehmen, so bestand doch bald die grolse Mehrzahl der Truppen aus
558 G- IKeiiel: Dar Qtoik» KnxftnL
Landeskindern, da den Ausländern die Werbung nicht gesUtiei wurde. Nur
die Offisiere wivenf ds in der £itlenkBd«iiue ta Golbeig aklit nMlur «b 00
•OBgebildet werden konnten, Glfieksritter ans aller Herren lindem, die mekAen
ane Frankreich, die Ingenieure ans Holland. Noeh gall ala Haoptwaffe die
schwere Reiterei der Kürassiere, die an Zahl die schwerfalUge Infanterie der
Pikeniere und Musketiere überwog; dazu kam die beweglichere Truppe der
Dragoner, die zum fit ff»cht von den Pferden spranj^en, um zu Fufs zu kämpfen^
und die ernt von Friedrich Wilhelm aus beritteueu JägerburBclien gebildete
leichte Kfitcn.']'.
Aucii mit dem Gedanken an GrUnduiig einer eigenen Kriegsflotte hat
aidi des Ktuftraten weit TorMMMliender Oeiet edion lange vor der Aoeflilining
(1682) getragen. Der leidenadiaftliehe und dirgeizige Arnold Ojaeb van Lier,
ebemale Gbnvemeur der bolKndilch-ostindiiehea Kompagnie, daim Admiral der
Generalstaaten, seit 1647 in brandenbargiadien Diensten, ermahnte sofort aar
GrQndiin^r einer ostindischen Kompagnie, zum Ankauf dee danisoben Trankebw
in Oetitirlioti, endlich IßoH fwahrend de« Kriegest zur Gfwinnnng des dänischen
Glflck^tidt, damit der Kurfürst die Elbimiiiduii^ beherrsche und im Besitze
der liinterpommerschen und preufsischen OstHeelüifcn als 'üeiieraladmiral den
lieiches' unter einer einheitlichen Flagge dem deutschen Handel seinen alten
Glans und seinen berechtigten Anteil an den nnenneftlidien Scbstaen Indiana
verechaffen kdnne. Allein stets feidte es noch am nötigen Oelde nnd vor alleni
anoh an der Zustimmung der Niederttnder, die einen Nebenbuhler auf der
Ostsee nicht geneigt waren aufkommen m lassen.
Immerhin war Brandettburg-PrenÜNn zu einer Madit herangereift, welche
sich fähig r.pigie, neben nnd vor dem veralteten römischen Reiche deutscher
Nation eine weltgeschichtlich bedeutende Rolle zu spielen, wenn die Stunde
kam, die eu auf den Schauplatz rief. Dafs ihm beim Beginn du» ersten
Nordischen Krieges nur die Wahl blieb unterzugehen oder höber auf-
soflteigen, lehrte die Karte.
Es giebt kaum einen unerquicklicheren Handel in der Wdltgeaehidite^ als
diesen Krieg, den Philippaon in sieben Kapiteln anf 182 Seiten behanddt und
der bekanntlich in einen schwedisch-polnischen nnd zwei dänische Kriege zerfalll
Nicht das Bewnfstsein der Starke, noch weniger ideale politische und religiöse
Ziele, wie einst unter Gustav Adolf, haben Schweden zum Kampfe gereizt,
sondern das Bewußtsein der Annnf und inneren Schwäche und die Hoffnung,
einen noch elenderen Stajit zu besiegen und zu beerben. Seine Einkünfte be
trugen noch nicht vier Millionen Thaler, seine Einwohnerzahl 1200000 auf der
Halbinsel und etwas mehr in den überseeischen deutschen Provinzen; aber sein
König, der SSjahrige Karl fluataT besafs trola seiner unnatOrliebm Korpuleoa
einen glflbaiden Ehrgets und *bHtBShnlidie Schnelligkeit' in allen Entschlossen
und Thaten, dssn ein zum Teil noch krieggefibtes Heer Ton 50000 Mann.
Warum sollte es ihm nicht gliulien, das Werk des grolsen Ahnherrn noch au
Obertrumpfen, indem er Polen, IVeufsen, Brandenburg vom Strande der Ostsee
verdrängte, vielleicht gar Dwemark eroberte und die skandinavische Union
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0. Diflfltel: Der Gnbe KmrfOni
herstellte? Johann Kanimir von Polen, der sieb immer noch König von
Schweden nannte, war zur Zeit von den Kosaken, Tataren und Russen be-
drängt, mcilir Dodt T<m dem eigenaflditigen und kanaicditigen Adel, der gerade
damals (1662) daa libemm veto warn Gmeta erlioben hatte und die Reiehatanse
•preogfee^ welehe in der allgameinen Not Hilfe bringen sollten; stand doch der
Kron-Grolsfeldherr Geoi^ Labomireki sdbsi am der Spitae einw Ftftei, die
nach AbschafiFung des Kön^tums und HersteUnng einer imbeschribikten
MagnatenherrBchaft strebte.
So war vorauszusehfn, Schweden wohl einen schnellen Sic^ errinfren,
aber dauernden nnd wt'itvnllcn tiewinn allein auf Kosten de« Kurfürsten
ernten könne. Das mflhäum gerettete Hinterponunem und das gar zu ferne
PreuTäen trennte die streitenden Fremdlinge, die ihm beide verbalst waren.
Noch dazu knflpfte ihn an den durch Abstammung, Religion und Denkart ihm
ferner stehmdmi PolenkSnig die harte Feeeel des Iiehns?erhiltnt8se8, das ans
den dunkelsten Zeiten des Mittelalters stammte, als der einat so blühende und
miehtige deutiehe Orden hilflos nnd verkommen war. Nor dies onnatilrlidie
Baii l m ti^te ihn, zu unterliegen und durch Abtretungen dem unfähigen Ober^
lelinsberm den Frieden zu erkaufen, wenn w iluu nicht gelang, durch Ver-
haiuUungen den Krieg abzuwehren oder — durch glänzende Siegeslbaten sich
ünabhiingigkeit luul iJindergewinn zu cn^treit^n. Nieht Wille und Vorsatz
drängten ihn auf den letzteren Weg, sondern die Verhaltnisse selbst, aber —
er liefs sich drängen.
Als seine Abmahnungen bei Karl X. kein Gehör femdcn, dieser ihm viel-
mehr fSr die Auslieferung der BUesk miau und Hemel reiddidien Ersata in
Polen bot, wiea er ihn entachieden ab, sui^te den König Johann Easimir, der
an keine Ge&hr (^uben wollte, an energischen Bflstimgm an bewegen und
Terapraeh ihm für diesen Fall kräftige Beihilfe. Vergebens wandte er sich an
Cromweli, als an den mächtigsten protestantischen Herrscher. Der aber wollte
von ihm nichts wissen, weil der Kurfürst einst auf Reichshilfe für Karl II.
gedrungen hatte, und weil er hoffte, sich mit Karl X. zur Be^lmpfung des
Katholizismus in Europa zu verbünden. Vergehens unterhandelte er mit
Mazariu. Der allmäclitige Minister schmeichelte ihm mit dem lange be-
strittenen Titel 'Kurfürstliebe Durclüaucbt', der junge König naimtc ihn 'mein
Bruder* und i^rach die Hofhung aus, von ihm ein Hilfekorps gegen Spanien
zu erhalten, aber Versprechungen gab man nicht FVankreich war mit Schweden
so gut wie mit Polen verbflnde^ versprach nur fllr den Frieden au wirken und
wünschte alle drei Machte aum Kampfe gegen Habsburg nmzustinmien. Endlich,
als der Schwedenkdnig schon in Posen stand, liefsen sich die Generalstaaten,
deren Ostaee&hrsr mehr Lasten (720000) trugra^ als die aller anderen Nationen
ansainmeni?ennramen, tsii dem Versjirechen bewegen, dem Kurfürsten 4000 Mann
imd hrJiHHf rhlr. jübriicb zu gewähren, wenu »eine Ostseehäfen angegriffen
würden. Alter jene Hilfstruppen blieben an der Grenze des schwedischen
Bremen stebcn, und gegenseitiges M iistrauen hemmte jede energische, gemein-
flame Thätigkeit. Selbst die Unterhandlungen mit den Ständen Wea^reiiiiwns
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560
0. DiMtd: Der Grofm Kwfani
Teriiefen frnohÜoB. Nicbt nur die Eatiliolisdieii, Boudern sogar die Proteetanleii
wollten lieber su Sdiweden geliSren, desBen König im Okt. 1655 in Wanehan
eingeBOgeii war, als la Brandenbiug. Nicht mit tJnrecht nahman ma an, da&
der KurfQrat ihr Land behalten wolle, vor all» ni aber scheuten sie die Kosten
und die Kriegaznrüstung. Kaiser Ferdinand III. endlich, den Friedrich Wilhehn
aoletzt anrief, 7,ei<rtp sich pin?. 'perplox' tuhI wenig geneipi, sieb cinzumiscben.
So blieb dem Kurfürsten, der sieb hIh Lehiisinfinn Polens dem schwedischen
Konige unmöglich gewachsen fühlte, nichts übrig, als den Gedanken aufzunehmen,
den der verwegenste und abenteuerlichste unter seinen Ratgebern, Graf Waldeck,
schon beim Beginne des Kriegs ausgesprochen hatte: suMchat mit allen Mitteln
ein Heer von 8000 FaTs^lngem nnd 4000 Reitern an&ttsteUen, an Stelle der
Lehnstreue die 'StaatsraiBon' ins Ange zu fraaen nnd die Gelegenheit zur Er*
langung der "Souveränität im Herzogtum Prenfsen zu benutzen. Von nun an
galt es allein, möglichst gute Bedingungen zu erhalten, gleichviel, von wem Xh
.Tohaini Kasimir, von dor Geistlichkeit und dem P;iy>sie reichlich unterstützt, die
schwedische n Kt-tr.'-r / i linde des Jahres 1055 xwar aus Warschau wieder verjagt
hatte, die Schwetit ii iiiin aber Preufsen verheerten und wenige Meilen von Königs-
berg standen, schlufs Friedrich W iUitilm mit diesen am 17. Jan. 1656 den Ver-
trag, durch welchen er nicht nnr Preußen, aondem auch daa bisher pohusehe
Särmland yon Schweden an Lehen nahm, aber ohne Lehnsabg^ben nnd ohne
AppeUationsreeht an den schwedischen K5nig, mit der einaigen Verpflichtnng^
ihm 1500 Mann Hilfstruppon zu schicken. Bei einer Zusunimenkunft in Barten-
stein küfsten sich die beiden Fürsten und machten Brüderschaft, allein der
l<!ii«erliche Diplonnit, der sclilaue Lisolii, sprach es schon damals fm<, da?
Bündnis habe keine Zukunft, der Kurfürst strebe nach Unabhängigkeit, Einst-
weilen aber folgte dieser noch einmal, es war das letzte Mal, dem Rate
Waldecks und schiofs am 2b. Juni mit dem Scliwedenkönige zu Marienburg
fSr daa Versprechen, eine ^Kommnnikationslime* awiaehm der Nenniark nnd
Preufsen au erhalten, sogar ein OffsneiTbündnis anm Kampfe gegen Polen.
Man kann sweiibln, ob Friedrich Wilhelm nwHA besser gethan hätte, sieh Bchon
jetzt auf die Seite Polens zu stellen, aber unzweifelhaft ist jene drei(2gige
Schlacht bei Warschau, am 28. — 30. Juli 1656, in wilcher vor allem durch
die Tüchtigkeit und gute Anfilhrung der S.')00 Brandenburger der Sieg über
die vierfa<'be pfdnische Annee errungen wurde, als der unvergefsliche Anfang
des preufsischen Kriegsruhmes zu betracbten. TJnerniel'slich wuchs, wif die
Feindschaft, so die Bundesgen ossenschaft des Kurfürsten seit diesem Erfolge
an Bedeutung. Als die Polen gleich darauf durch Lisolaa Yermittelung Frieden
mit Rttfsland machten und Karl X. Ton Danemark bedroht wurde, erhielt er
am 20. Not. 1656 im Vertrage von Labiau für die Emeuenmg des Marien-
burger Bttndnisses von Schweden die volle Souveränität im Heraogtnm
Preußwn. Das war es, wonach er vor allem gestrebt hatte; dennoch hatte er
niehr gehofft und gab die Schuld dem schwedisch-gesinnten Grafen Waldeck,
der ziuiächst seine Gunst verlor und später in schwedische Dienste übertrat
Andererseite traute Karl X. dem souveränen Bundesgenossen selbst nicht mehr.
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6. Diert«h Der Grobe Knrfiinl
661
Unmittelbar nach dem Abschlui^He des Labiauer Vertrages sprach er es dem
französischen Gesandten gegenüber aus: 'Dieser Kurfürst ist zu machtig, man
mufs seinem Ehrgeize, denen Gfrolae nienund so gut kennt, wie ich^ Sdunnken
aetmn. Man nrals sich den Pllaen eine« Fürsten widersetaen, der sieh einst
Inrehthttr mnehen wird, warn man nicht Tor ihm auf der Hnt ist.' Er be-
eiferte sidty jeden&lls den tollküluien Fürsten Ragoczy von Siebenbürgen zum
Bundesgenossen zu gewinnen, damit dieser Osterreich im Schach halte, und
zeifrte nicht üble Lust, ihm und dt-iii Kurfürsten dir- ^nze T^ast des polnischen
Krieges aufzubürden, um sich gegen Dänemark /u weiideii, das im Mai 1657
oÖ'l'ii den Krio|f »'rkliirte. 'Ich mufH jed»'nfal!<? aus diesem polnischen Wesen
herauü', hat muii ihn sagen gehört. Als uun auch Österreich unter dem jungen
Erdiersog Leopold (dem spateren Kaiser) von dem seUanen liisola ftr sofortige
ünterstatrang Polens gewonnen war, als sidi 6O00O Rassen gegen Pk«dbeii
in Bewegung setaten, Terlsngte Friedrich Wilhelm von Karl X, der ihm jetzt
sogar Sdüesien in Aussicht stellte, entweder das ihm vertragsmäfsig zugesagte
schwedische HilfskorpS oder die Erlaubnis, mit Polen einen Separatfrieden zu
machen. Notgedrungen gab der Kniu<r diese luiter der Be«lingung, nichts
yerabredet werde, was Schweden nachteilig sei und ihrer Freundschaft J^^iutrag
thue und verliels Thum (Juli 1657) mit der Drohung: *Wpr nicht mit mir
ist, der ist wider mich.' üewil's, der Kurfürst war wider ihn. Wie er die
frohere NoÜa^ benntst hattc^ nm sich von dem nnf ähigcn Polen hManmachen,
so war ihm die jetaige willkommen| am sieh durch einen Bond mit Danemark,
Polen und Österreich fbatrikhlidi von jeder Abhängigkeit frei au machmi.
Der letzte wirklich einflulsreiche Minister, dessen Rat schon seit Jahresfrist
nicht mehr gehört war, machte diesen Wechsel nicht mehr mit: «r trat un-
bedenklich zum Feinde über fMai l()r»S'); seitdem hat niemand mehr mafs-
gebenden Eintiufs gehabt, der Kurfürst wurde sein eigener Minister, wie drei
Jahre spater Ludwig XIV. von Fraukioich. Nicht, dafs er sich sofort von
Schweden losgemacht hätte: während der kaiserliche (ksandte Lisols und zwei
Gesandte des polnischen Königs sdion in Königt>l)erg mit ihm vorhandelten,
erschien daselbet auch ein schwedisdier nnd machte mm Teil Ifberachwängliche
Yersprediangen, es fb^^ »og^ uodi ein letater Sieg der Brandenburger and
Schweden Qber die Polen bei der Dirsdhauer Brücke; allein die kecke Seibai-
sucht der schwedischen Heerführer, die jedes Verdienst sich allein zuschrieben
und ihren Mannschaften im Laude des Verbündeten jede Willkür und Roheit
gestatteten, erhitt-erte im höchsten Mafse das brnndenbnrgiscyie Heer. Selbst
die französiseiien Diphuuaten sahen darin einen herechtij^ten (irund vAim Partei-
wechsel. Als die schwedische Besatzung von den Österreichern aus Krakau
vertrieben war, kam es durch das diplomatische Ckachick Lisolas am 19. Sepi
1667 BOm Vertrage Ton Wehlau. An die Stelle des LehnsTerUUtuisaes trat
ein 'ewiges Bflndnis' swisehen Brandenburg nnd Polen. Prenlsen erhralt
Friedrich Wilhelm ab souverines Henogtom nnd veraichtete dsfllr auf alle
Ansprüche und EroberttngMi in Polen; doch verhiefa ihm ein zweites Akten-
Stflek für den Kampf gegen Schweden mit mindestens 6000 Mann eine noch
562
O. Diestel: Der Grorse EarfüraL
zu vereinbarende Gebietserweiterung. Auf einer achttägigen Zusammenkunft
zu Bromberg (Ende Okt. 1G57) nahm das gegenseitige Verhältnis zwischen
dem ehemaligen Oberlehnsherm und dem abtrünnigen Vasallen besonders durch
die Vermittelung der klugen und energischen Königin Luise Maria ans dem
Hause Gonzaga, die ihren Gemahl leitete, wie *der kleine Äthiopier seinen
Elefanten', einen durchaus herzlichen Charakter an. Zum Ersatz für Ermland,
das Friedrich Wilhelm dem katholischen Bischof zurückgab, erhielt er die
reiche Handelsstadt Elbing, bis die llepublik sie für 4(XX)00 Thlr. zurückkaufen
könnte und für weitere Hilfe die Starosteien Lauenburg und BQtow in West-
preufsen.
Der Kurfürst war auf einer ungeahnten Höhe der Machtstellung angelangt.
Als unabhängiger Fürst war er in die Ileihe der Kriegführenden getreten, und
zu Ende des Jahres 1657 erschienen zum erstenmale in seiner Residenz, in
Berlin, die Vertreter Frankreichs, Schwedens, Österreichs (Lisola und Montecuc-
coli), Polens und Dänemarks, um mit ihm über den Frieden oder den Krieg
zu beraten. Als nach mühsamem Hin- und Herzerren der verschiedenen Pläne
und selbstsüchtigen Wünsche der Krieg gegen Schweden beschlossen wurde,
dessen Vertreter drohend den Kongrefs verlassen und doch gleich wieder in
Neubrandenburg mit Schwerin über einen zweiten Friedenskongrefs beraten
hatte, und am 9. Febr. 1658 schon ein Bund zwischen Brandenburg und Oster-
reich vereinbart war, brachte die Nachricht von Karls X. kühnem Marsch über
die beiden Belte und dem Frieden zu lioeskilde (27. Febr.) wieder alles ins
Schwanken. Der Sieger begann mit Polen über den Frieden zu verhandeln
und schmeichelte Osterreich, um Brandenburg zu isolieren und zu vernichten.
Gleichzeitig betrieb Mazarin in Frankfurt die Wahl seines Königs zum römischen
Kaiser und stiftete den Kheinbund. Allein Friedrich Wilhelm wies den eng-
lischen Genoral, durch den ihn Crorawell zum Anschlufs an Schweden mahnte,
mit Entschiedenheit zurück und setzte die Wahl Leopolds durch, der dafür am
15. Juli 1658 versprach, seine gesamte Macht gegen Schweden ins Feld zu
führen. Die Genossen des Rheinbundes freilich unterzeichneten vier Wochen
später einen Vertrag mit Frankreich zur Verteidigung des Westfälischen
Friedens, also der schwedischen Vorherrschaft in Deutschland. So schien es,
als ob die schauerliche Wunde wieder aufgerissen werde, die sich mühsam vor
zehn Jahren geschlossen hatte. Da verkehrte plötzlich ein unerhörter Zwischen-
fall die ganze Sachlage und brachte die Welt dem Frieden näher, als es jemand
erwarten konnte.
Wie vom Cäsarenwahnsinn ergriffen, ohne sich um seine Bundesgenossen,
um Frankreich und England zu kümmern, mit einer Treulosigkeit, die selbst
in diesem Jahrhundert nicht ihresgleichen hatte, entliefs Karl X. den dänischen
Gesandten Gabel mit allen Versicherungen der Freundschaft und Zuneigimg
für seinen König Friedrich UI. und stach unmittelbar darauf am 15. August
1658 mit 80(X) Mann in See, um K<)j)eiihagt'n zu überfallen und zu zerstören.
Allein, während die Bevölkerung der Hauptstadt mit äufserster Anstrengung
Widerstand leistete, rief Friedrich Wilhelm nicht nur durch eine vielgedruckte
DigitizGL. _ , .o
0. DiMtol: Dar Omb« KniAnt
668
and 'gelesene Flugschrift ^'Aii ileii elirlicheii Deutschen') den Vaterlandssinn
dar Dfotacbeii vd, sondern sIelUie sich selbst an die Spilie eines Bimdeeheeres^
dM «ns Kaiserliehen, Polen und mneiBt aus Bnmdenbaigem brntendy deren
Hslinng nnd EriegstOditigkail schon dsmals Staunen erregte. Noch im
September fegte er die 4000 sdiwedischen Beeatenngstruppen ans J&tland hin-
weg, und nun schwangen sich auch die saumseligen Niederländer, Oberdies von
der Furcht vor Cromwell durch dpss<>n Tod befreit, zur thntivri'n Mitwirkung?
auf In heifsem Rinjjkampf mit der schwedischen Flotte nmclitt' die nieilor-
ländiöch-düniHcbe am ii. Nov. den Sund frei. Wt-nig^ Wochen sjniter ( 14. DtiC.)
Ueta der Kurfürst bei Nacht die Schweden au8 Aisen vertreiben und faiäte
schon den kflhnen Pkin, durch ein iMdni^sheer anf Seeland dsn Schweden-
kSnig im Rflcken anangreifian, als wieder eine onerwartete Wendung eintrat.
Haaarin, der spanischen Kriegsnot ledige schickte Karl X. reiehliehe Geldunter-
st&tanng, und England liefs seine Flotte (April 1669) im Sund ankern. Nun
aber zeigte es sich erst recht, dafs aufser dem unersättlichen und abenteuer-
durstigen Schwodenkonige ulle anderen sieben Machtf iiftcli Frieden verliingten,
nnr dafs die drei westlichen xur Schwächung llabsburgs und zur Stärkung des
iVotestantismus für Schwedens Besitzstand in Deni^chland eintraten, während
Dänemark, Osterreich, Brandenburg und i^uleu tu bei dieser Gelegenheit mög-
lidiat von der deutschen SeekQste abdrängen woltten. Nachdem die West-
mScbte auf drei Haager Konaerten (Mai, Jnli und Ai^iust 1659) schon die
Forderungen &nrlB X. an DSneniark mflhsanL herabgemindert hatten, kam es
nodi zu einem grofsen Siege der Nied« rlandt r, Brandenburger, Österreicher und
Dänen (24. Nov. 165*J) bei Nyborg, der Fünen von den Schweden befreite,
wahrend der brandenhnrgi^tclie Süittlialter in Preufsen, Körst Radziwill, ihre
Besatzungen aus Kurland und einem grofsen Teib' We8tj>reuf8en8 verjagte.
Schon unterbandelten scbwedische und dänische li<»tsehafter im Sinne der
Haager Konzerte in Kopenhagen über den Frieden, schon versammelten sich
die Vertreter Sdiwedeuf, Polens, Brsndenburgi^ und des Kusors (Jan. 1660)
in der Zistenienserabtei Oliva bei Dansig aar Beratung, ah Karl X. mitten
miter erneuten Rflstungen gegen Österreich mid Brandenbarg am 22. Febr. 1660
aus dem Leben schied, gerade In demselben Alter wie sein weit grofserer Oheim.
Aber wihrand Gustav Adolfs Tod von MiUionen Protcstantim beklagt wurde,
erschien d»r i^finige bei Freund und Feind nh eine Erlösung von allem TTbel.
Dennocb wäre der eiulgiltige Frieden von Oliva (H. Mai ItiOd) nielit zu stände
gekommen, wenn Friedritli VVillR'Ini. der zur Zeit, allein am Kaiser Leopold
einen redlichen Buudusgeuosseu fand, nicht auf seine weitgehenden Ansprüche
Schritt llir Schritt Tcnichtet Utle. Wiederholentlieh hatte er triOiraid des
wechaelTollen Krieges schon das hohe Ziel tot Augen gesehen, die Mündungen
der grolben Strdme Norddentsdilands mm der Fremdherrschaft au befreien,
allein seine HoflFnung war stets vereitelt worden. Als er auf dem Wege nach
.Tüiland mit leichter Mühe hätte die Weser- und Elbmündung den Schweden
entreifeen können, atiefs er anf einen Orcnzcordon, den die Hbeinbündler auf
Befehl Frankreichs bildeten, und die Odcrmündungcn zu gewinnen, die ihm
564
0. Dieitd: Der Grofte Kurfllni
melir wert schienen als Minden, Magdeburg und Halberstadt, hinderten ihn
mehr die Bnndesgenoraen als dis F«nde. Er mniste sidi aofiiedeii geben, dis
wmigeii Ostseehifen, Colbei^, Pilku und Memd, deren Beaits wUurend des
Kriegs im liSebrien Grade geflOurdet war, fest in den H&nden behalten nnd auf
dem Friedei)skmii;r fs au Oliva die Anerkennung seiner souveränen Herrschaft
in PreuJsen durch den Kaiser und die GroDnnickte erlangt zu habin. Wohl
hätte er mehr erreichen können, wenn es ihm ^rylückt wäre, nach dem Vor-
gänge Gustav Adolf» alle protestanti.sclu'n Fürsten 7.11 einem grofsen unfl starken
Buude zu vertinigen, zuiniil er selbst von deutscheüttir und frommster Ge-
sinnung, wenn auch A-ei von jeder konfessionellen Beschränktheit war.
Immerhin hatte er Brandenburg- PreuXsen wahrend seiner ersten zwanzig
R^erongsjahre m einer unerhörten Maditstellung erhoben. Wenn aneh dem
JLVÜ Jahrhundert der Begriff einer Groikniacht eigmiUieh nodi fir^d war,
und dem Knrflbnitentnm wie dem Hentogtnin die fiebere Grundlage einer
aoldien durchaus mangelte, so waren doch die 'Ziele einer Grofsmacht* in
seinem Geiste und seinem Willen stets lebendig^ und sein 'ehernes Pflichtbewufst-
seiu* ^nh ihm die Kraft, das Untfestüm soiiKs Hohenzollemtempersmentes so
zügeln, abzuwarten, anzubauen und die Ernte vorzubereiten.
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ANZEieElN UND MITT£ILUNa£N.
DIE WEmAiiEll LÜTHEEAUSGABE.
D^Mer «magelisdiM d«atodiciyo1k Mhlt
rieh praktiHch und wisseiiBchiiftlidi iiumer
wieder zn leineiB Latlwr hingesogeiL Dmt
beweist Kidi die betriUhiKdie ZbU der Oe-
■amtaiugaben der Werke des Rf'fonnutora,
die ee reranstaliete. Fast jedes Jehrhaadert
■eifc der Befomation weilt deren swei Mit
Koch unter Lutiiers Aagen begannen Kaapar
Kreadger, Oeorg Hörer und Georg Spalatin
eine Sammlung seiner decttedien md latei-
mSm^^um Schriften heraaszngeben (Witten-
berg 158»— l&M). £• lag in der ganzen
Kichtung der Jenaer Umvenität , dieser
Wittenberger Ausgabe eine eigene entgegen-
nstellen (Jena 16&6— lÖÖ^V Johann Auri
fkber ffigte derselben zwei HrgäuzungsLäucie
hinzu (Eisleben 1664 — 1&66). Das n&chste
.Tiilirhundcrt bra<'ht>- die Allenbur^er 1661
— 1604:, da« XVIII. Jahrhundert die Leip-
siger (1729— 1740 und die Hai ieaeh« (1740
iTr^.'ii, dioHi's Jahrhundert die aogtnälUltt
trianger Ausgabe ('seit 1826).
Ohne Zweifel um Ist« die Erlanger Aus-
gabe als die best« aller Insberigen bezeich-
net werden. Sie wird auch schon deshalb
weiterer Benutzung sicher lein, weil Aber
ein halbes Jabrhandert dMaeh citiert ww-
den ist.
M» eine «kritisdie Anagabe* der Weite
Luthers konnto freilich ancb die 'Erlanjjer'
nicht beseichnet werden. Es fehlten die
biblioginphiMhen Yerarbeitenf die Sanunlnng
der vorhandenen Drucke, dip Erfor)<cLunp
des J^tdrockes, die Untersuchung des Ver-
UUtnissee der Etnceldnicke sn eirander. Es
fehlte die Verwertung der vürhundenen Ori-
ginalhaadschnJten Luthers. Zudem war im
Laufe der Jabie mandieriei neaes V aterial ent>
deckt, d^i^i der wissonsobaftliL-hen Vorwertiing
harrte. SosprachschonDr.K. F. Th. Schnei-
der (D. Martin Lathen Kleiner Kateduemns
S LXVT f. es als 'hinreichend anerkannt'
aus, dafs eine kritische Gesamtausgabe
der Werke Lnthen noch nicht roihanden,
aber zu erstreben sei. Und wenige Jahre
ror dem Lutheijubiläum (1883) bekundete
die Akademie der Wissenschaften zu Berlin
dieselbe Erkenntnis, indem sie die Preisauf-
gabe stellte: 'Nach welchen Grundsätzen
würde eine neue kritische Textousgabe der
lütesten, ctwu bis 1521 erschienenen deut-
schen Schritten Lutberf herzustellen sein?*
Kene J«hrbticher. 1898 L
Damals hatto bereits D J K F Knaake,
bekannt durch eine Keihe aoigfliltiger Ax-
beiteu auf dem OeUete der ^^^^ftw^irnttwe^t-
ppKcbichte, den Plan einer kritischen Ge-
samtausgabe erwogen, seine Dmchifthning
ins Auge gefisAt vttd seit Jahren unter be-
trächtlirhen Opfern einschlägige alte Drucke
angekaoA. Noch im Jahre des Luther-
jabüSvBMi idhal endn« von seiner Hand
bearbeitet d«r ante Band der 'Kri-
tischen Gesamtausgabo' der Werke
Luthers. 'Im Hinblicke auf das bevorstehende
Lutheijubiläum' , schreibt er im Vorworte
iß. XVI), 'ermuntert und beraten von Herrn
Eonsistoriahrat Prof. Dr. KöHÜin in Halle,
wandte ich mich unter dem 8. August 1880
an das Kgl. prenfsischc Minjst<.'rinm der
pi^cisUichen, Unterrichts- und Medizinalangts-
legenheiten mit dem Gesuche um Unter-
PLf miMtirs Unternehmens. Nur mit in-
nigem Donk kann ich auf die Verhandlungen
anrflckblioken* die sieh daran knflpften: rie
zeugten von Anfanp an von dem wannen
Interesse, welches die äache fand. Ihren
Abschlufs fanden die Verhandlungen dadurch,
dafs Se. Maj. der deutsche Kaiser huld-
vollst eine hohe Summe bewilligte, um die
Verbereittingen fiOr die Ansgabe fortsnseteen
und dieselbe sicher zu stellen Zur Leitung
des Unternehmens wurde vom Kgl. preulsi-
schen Minieteriwn der geiatlidien etc. ete.
Angele<^'OT>h'^!ten eine Kommission gebildet,
bestehend au« einem Vertreter des Ministe-
rinms (Horn Obenkensistorinlmt Prof. Dr.
Wrif- und zweien Dele^ertcn der Akademie
der Wusetuchatten (Herrn Geh. it^erungs-
r«t Prof Dr. Hflilenhoff nnd Berm CMi. Be-
gieningfirat Dr. 'Wait4s). Den Verlag über-
nalim die Verlagsbuchhandlung von Hermann
BOhlnn in Weimar, wBhrend die Bedaktion
mir übedrajren wurde: andere auf dem Ge-
biete schon bewährte Forscher werden mir
hoirentlieh rar Seite treten*.
So diinkeiiHwert die Energie Knaakes war,
mit der er es erreicht«, dafs noch im Jahre
1883 der erste Band der neaen Lutherans-
gabe erschien, so mufste dennoch die Frage
entstehen, ob es nicht geratener gewesen
wäre, die Ausgabe noch sorgfältiger vonu-
bereiten, insonderheit durch Gründung eines
'Archivs' , in dem atrittige Fragen erörtert,
neue Funde mitgeteilt, zu weiteren For-
schnngen in Archiven nnd Bibliotheken An-
regong hätte gegeben werden können. Da-
S7
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566
Aueigeii und lfitl«iltuig«ii,
durch wäre allerdinga zuDÜchüt die Ausgabe
«twM verzögert worden: aber es wäre ipUer
PTn scIini.'lleroH Ti-mpo gesichert gewesen,
und ii^icbi bü.ll«u «ich weitere Er&fte der
Arbeit zuführen und in dieselbe einführen
lassen. So kam es denn, dafs sich sehr bald
Dach dam Eracbeinen der ersten Bände die
Notwtndiii^i berfttUBtellt«, allerlei 'Nach-
träge, Ergänzungen und Ot>richtigungen' zu
bringen. Sie füllen einen ganzen, recht
rtatÜichen Band (IX) Mit dieser ßemer-
Ininrj soll ni( hl im mindesten das Verdienst
Knaukes um die neue Lutherausgabe ge-
MilimKlett werden. Es war ja von vornherein
zu erwarten. dn?f t]nü lititht'rjubiliium srhim
an aicb, das Kr^tcbeiueii der ersten Bände
der 'Kritiacben Gesamtausgabe' insbesondere
zu eifrigen und fleifsigen Nachforschungen in
Archiven und Bibliotheken anspornten, und
dafs manches Wertvolle aus dem Staube
und dfr Vf'rborgenbf'if stiller RüilitrHen
ans Tageslicht gezogen werde« würde.
Um ein Bild d«r neuen Lutheranagabe
in kurz>'ii Zü>;pn zu geben, wolb'ii wir /' if^en,
inwiefern dieselbe sich bestrebt, eine ' kri-
tische* und eine 'Oee*mt»iis^abe' tu
■ein.
Es zeigt« sich sehr l>ald, dai':^ eine cin-
lelne, noch dazu mit einem öffentlichen
Amt<^ belastete Kraft für die Bewältifi^inp
der Aufgaben, die die neue Lutiicrausgabe
«teilte, nicht ausreichte. Im April 1890 be-
rief deshalb ^Minister von Üofsler den On ifs
walder Professor Dr. Pietsch unter lieur-
lanbnng veo seiner Professur in die Stellung
cinf« J^ckretürs der Komuiission zur Ht riui«
gäbe der Werke Luthers. Ks sollte 'den
Mängeln, die in der kritischen Gesamtane-
gäbe d<'r Werkt' rititliers hie und d:i hervor-
getreten sind, durch eine mehr einheitliche
Leitung der Arbeit für die Zukonft mOgUchst
vnrp(*heTi£T+ , sowie im besonderen auch eine
den berechtigten Anforderungen mehr als
bisher ent«prechende Berficksichtigung der
philologischen und «sprachlichen Qeeichte-
punkte herbeigeführt' werden (XQ 8. III).
Als 'kritische* Ausgabe will die neue Luther^
ausgäbe Ma<, was von Martin Luther in
Schrift und littdc ausgegangen ist, in der
echteeien erreichbaren OestaJi, and iwar in
der einzig wiiklich sarhci-miirfen . weil der
Art der schriftsteilerigchen i hiitigkeit Luthers
gemlisen Anordnung, in seitlicher Reihen-
folge vorfilhren.' Dio neue Ausgabe 'will
nicht ein nur theologisches, sondern ein
nationales Unternehmen sein. Mit die
wfrhtigste Seite der nationsi )en Hedentiinjr
Luthers ist zweifellos darin zu linden, dal's
er den jungen SchAlUing der GemeintpMche
durch seine Pflege und meinen Einflufs soweit
falftigte, dafs er dann allmählich zu einem
ganz Detiti^rhland überschattenden Baume
emporwachsen konnte. Von dem MaTse de«
Einflusses, den Luther auf die Gemeinsprache
geübt, dem Mafse der Krflftigung, welche
sie unmittelbar durch ihn erreicht hat, mit
andern Worten, von Ausdehnung und Grensen
der sprachgeschichtlich - nationnlen
Bedeutung Luthers durch die Mittel wissen-
■chafUicher Fonebuag ein fest umrisse*
nef« Bild zu gewinnen, ist an aicb fine
Ebrea{)tiicht der deutscheu Wisseoschatl
gegen Luther und zugleich eine ihrer drin«
geiulsteu Ariftraben, weil die heute gewon-
ueue Erifenntnis, dafs diese Bedeutung früher
überschätst worden sei, die Gefahr der
ü ntefHcbütznnp so lange in sich birgt, aU
nicht der Thatbtistand genau festgestellt und
untersucht ist' ^a. a. 0. S. Vn f ).
nieriuicli ist nfHip, vnr allem die in Witten-
berg uuUir Luthers Augen hergestellten Erst-
lingsdrucke zu eruieren. Damach sind die
Nachdrucke festzustellen und in Verfolff
ihres VerhäJtuioüea zum ürdruck sowie un-
tereinander zu gruppieren. Es versteht sich
von selbst, dafs der Erstlin<?silnick zu Grunde
geltigt und die Abweichungen in den Nach-
dmeicett veneiohnei werden. 'Diese lassen
uns erkennen, wa? an jedem Orte -.'enndert.
was belassen wird; sie werden vielleicht
auch «eigen, dafs — wenigstens an numdieo
Orten je spJUer. dp<?to wenis^er peandTt
wird, worin dann ein lieweiü dafür zu tindea
wäre, dafs man sich an Luthers Sprache ge-
wohnte und ihr Verständnis keinen erheb-
lichen iiindemisaeu mehr begegnete Das
könnte dann auch in Weeh.selwirkung stehen
mit den Änderungen, die sich im Laufe der
Zeit in Luthers Sprache selbüt vollzogen, so-
fern diese in Anbequemungen an den Sprach-
peliruueh besonders oberdeiit.s. her Hegenden
und Orte bestanden. Solche Wandlungen in
Luthers Sprache würden somit möglicher-
weise erst durch die Änderungen der Nach-
drucke ins rechte Licht gerückt werden'
(a. a 0 S. VUIi.
Weitgehen'le neacbtiini,' und sicherlich
ungeteilte Zuäliuunuug dürft«* dn^ tioden,
was Dr. Pietsch über die 'Sprachgeschichte
liehe Bedeiitunp der HandsehriOen Luther?'
iIX S. X) sagt. Diese Bedeutung bedarf
sorgfUtiger Erörterung, um einen festen
Grundsatz für die Verwertung der vorhan-
denen Lutherhandschritten insbesondere für
den Fall zu gewinnen, dafs uns diese Hand-
«chrift neben dem Wittenberger Origioal-
druck erhalten ist. 'Die bisherigen L'nter-
sndraagen aber dni Yerblltnis der Lnlhn^
.^ .d by GüOgl
Aoseieen and HütoOmigen.
567
drucke zu den Handschriften, soweit sie die
«prachlicbe Seite betreffan', ngi Pietedi,
'leiden an rinrr nicht ganz richtiffpri Fraf»e-
itellung. Man will die Frage beantworten:
Ist eine Dantellang der Sprache Lathen in
erster Reibe nnf flir H;uid«chri<teu oder auf
die Drucke zu gründen? Dabei übersieht
man, dab ee dieee« «entweder — oder» m
schlechthin par nicht ;,'ic'bt, dafs \iflüiehr jp
nach der Absicht, die man verfolgt, da«
eine wie dai andere berechtigt ist. Betrach-
tet man TiUthfr nur al^ rino der deutsch-
ichreibenden Persönlichkeiten des XVI. Jahr-
hnnderta, rein fOr sich, ao und natürlich
«eine Handschriflen einschliefslich (I<^r Briefe
allein vollgiltige Zeugen. Fafst man dagegen
Luther in seiner fprachgesehiehtliehen Stel-
lung ins Auge, ale den Miiim, ilr^srn Schrif-
ten sprachliche Wirkung gelhau haben, so
kommt natärlich allein die Form derselben
in Betracht, in der sie diosf Wirkiniß- (TcHVit,
d. h. die gedruckte, und »war niicbst den
Originnldm^en noch die Nachdrucke.' Band
IX bietet nach dem Orif^inalf vier «Ifuf scJh'
Lutherhandschriileu, darunter 'die frühesten
deat«chen Aofreichnnngen Lnfhen von grOfse-
rem Umfange, die uns erhalten .«ind'. und
zwar sind diese Handschriften vollständig
und mit Angabe der darin befindlichen Kor-
rekturen und mit Beibehaltung der originalen
Gestalt mitgeteilt. Damit ist die Möglicb-
heit n^egeben, ni «rforwhen, welche Absich-
ten rlon Änderungen zu Gmndp lupen, wclrlie
die Hamiöchrift Luthers im i^rucke erluhr.
Es ist flelbHtverständlich, dafil die in Wahr-
heit 'kritische' auch eine Gesamtausgube
werden mufs. Eine griindliche Durchfor-
ichnng der Archive und Bibliotheken ist da*
her nnbedinut nötig. Zum 'Finden' kann
man freilich niemand zwingen. 'Nachträge'
werden onvemieidlieh mtd vimnfbleiblioh
sein. Aber man kann en dorn riihrigen
Sekretär Prof. Dr Pietsch nachrühmen, dafs
er aaeh nach dieser Seite hin thut, was ge-
than werden kann, und es ist zu hoffen,
dafs, wenn anders »eine Umfragen an Ar-
ehive and Bibliotheken gewisMohafte Beaat-
wortnn;^ finden, die neue Au!<gabe, was
Handschriften und Drucke betriift, in der
Thai den Namen einer ' Gesamt ausgäbe'
verdient T>ie letzten Jahre hüben bereits
aufserordeutlicb viel neues, bisher gänzlich
unverwertetes Material ans Licht gebracht.
Wt'lch eine reiche Au^liente liracVitr il'u-
Durchforsclxung der BiblKttbekcu /.u Zwickau,
Jena, Königebarg, Nümborg, Beidelberir,
Stockholm u. a. m. Und dn1>ri i^t zu liptonen.
dafs eine sjatematische Durchforschung erst
bei wemgen Bibliotheken erfolgt ist.
Von einem Gebiete der Thätigkeit Luthers
kann nMi behaapton, daf« laitte winene^aft-
Urhe Darst*'llung in der Haujitnache erst auf
Grund der neuesten Funde möglich ist: die
hamileiiedie TUt^tkeift dee BefotiDatore.
Eine sprachgeschicbtliche Verwertung der
Predigten Luthers war bisher nur in sehr
geringem Mah» mOglieh. Der reiche Band-
srhriftenschatT; der FniversitjltsVn'Viliothck zu
Jena, den Georg Hörer gesammelt hat, kommt
eiei der aeaea Luthwranigabe aa gnte. Es
ist ein Philolog, der diesen Schatz in fol-
gender Weise bewertet (Prof. Wilhelm Me^er
ia GMtingea in den Naehriehtea derKgl.Oe»
sellBcbaft der W^issen8chan«n zu Göttinpt n,
pbüolog. • historische Klasse, lÖ9ö, Htt.. 4,
S.4(Sf): 'HitBOIb dieeer RArenehen Naeh-
Bchriften können und müssen neue Wepe
geöffnet werden. Zunächst läfst sich aus
BOrere Aa&aiehanngen ein fttmüiehee diro-
nolo Irisches Verzeichnis der von Luther frei
gehaltenen Predigten herstellen. Mit
Hüfe dieeee VeneiehnieseB wird die wiehti-
pere .Arbeit peniarht wnrHen kennen: die
NiKbiichriften Uürers uü^sen gedruckt wer-
den, und den einzelnen Predigten mSnea
die Nachrichten anderer beigegeben werden,
soweit eine vorangehende Untersuchung sie
als selbständig und verstündig bcßndet.—' —
Wenn wir Deutsche dif alicii Erklämngen
zu Aristoteles oder die vernieiutlichen Pre-
digt«n des Augustin drucken, so haben diese
Nachschriften Lutln-riHclier Predijjten viclmal
mehr Recht, verutleutlii bi zu werden. Durch
eine solche genauere Kenntnis der Predigten
Luthers wird die Erkenntnis sfjnc.i Wirkens
und seiner Schrifteu betraichtlich gefördert
werden. Wir werden nicht aar alemlich
deutlich sehen, wie Luther gesprochen und
wie er mit dem Worte seine tiemeinde ge-
laakt nad die kOnftigen Mitstreiter aasge-
rüstet hat, sondern «iv in einem ansfiihr-
lichen Tagebuche wt-rdcu wir in diesen freien
Offenbarungea seines Innern Latbet« £at>
wickhin'TSü'ansr verf(il;,'i'ii'.
Aus den Drucken bez. den Originalhand-
Kchriflen erkennen wir, wie der deutsche
Luther für die Öffentlichkeit, in den Briefen,
wie er als Privatmann schreibt. In den
Nachschriften seiner Prcdigtciu hören wir
ihn unmittelbar reden. K>5 Hept auf der
Hand, dafs sich aus dem Vergleiche einer
Predigt, wie sie Luther hielt, mit der Pre-
tii^'l, wit' sie gedniekf wurde, sjirarhfieschicht-
licli die wichtigsten und wt'rlvuUsten Schlüsse
«chen lassen
ürafunglich wird allcrdingH die neue Ge-
samtau^abe werden, (.'nter 60 Blinden wird
•i« in iberVoUeodnng kann aUden. Biaher
«7*
668
Aaamgtn and UHMOarngm.
liegen vor Ba&d 1— iX, XU— XIV und XIX.
Baad XTX reicht in das Jfthr 1&S6.
Karl von Hase hat einmal gesa^: 'Luthers
Werke siud m gut ein dentaches Nutional-
denkmal, als der Kölner Dom ' Mu^e tiiese
neuo Geflanituiis(>fabe der Werke Liithcra
ein«t iu ihrer VoUendiinp darstellen da«
Nationaldenkmal, das dcutachtit Fondm
ond deutsche Wissen^ichuft (Ifta Manne er-
richtete, der die wisseuschaflliche Forschung
der Benett Zdt btgrtbidet hat*
GsoM fioenrAU».
LrmtRATtmoTiscinrBTr nr-s nHEiKincn • wr«Tv»-
USCHKK LaMJKS YOK Ö l' 8 T A V K () E r J> if H.
Elberfeld, Lacas, 243 S.
THe Frage in dieser Zeitachrift (Hfl. 6 7,
6. 4471, welches die nftchste Sonderlitteratur-
geeehichte sein werde, ist schnell genug
heartwortet worden. Gustav Koepper hat
gefunden, dafs die Litteraturgeschichte seiner
Heimat in den 'landlaafigen Litteratnrbe-
■cbreibnngen' m wenig Beachtnnrr ^'i'funden
hat und siebt sich daher veratilaisi, sie in
eiiMiil Bonderwerke znaammenznsteUeD. Eine
Znaammenstellung — leider nichts Bofsere'?!
— allordiugs mit einer hübschen Auswahl von
PrnhtMu die gar manches bieten, wae «oU
der HearhtnnfT wert iRt, aber in dem nnge-
heuren Aagtsbot besonders lyrischer Erzeug-
niflse auf kleine Kfeiee beachi^nkt bleibt
Von Interesse ist es zweifellos, an diesen
Probeu zu sehen, wie sich mit der Zeit seit
nnsrer klaeeiiehen Dicbterperiode >^in Diirrh-
schnittekOnnen entwirVelt hat, das alle Ach-
tung verdient Namon wie Emanuel Back-
haus, Paul Hoohr, Victor Hartang, um Ver-
treter von drei < ienerationpn unseres Jahr-
hunderts zu uenuen, dürften nicht gerade
weit bekannt sein, aber sie bieten so form-
vollendete Stirn tnungszoichnungen, dafs sie
60 Jahre früher sicher zu w*>it gröfserer
Geltung gekommen wftren. Dennoch wird
nie K()e|ij)('rs Litteraturgeschichte schwerlich
bekannter machen, da auch ihr haupteäch-
lieh lolndM Interene «nt^ivgaitgebrocbt ymr-
den vrird.
Selbstverstiindlich sind die der allgemei-
neu deutschen Litteralmgeechichte längst
einverleiliten KrHchiiminp-en ^"e Heine, Im-
mormann. (!rabbc, Moser, Jichücking, Annette
V. Drotit»'. Kreiligrath, Ritt«r8haus ausgiebig
behandelt, alirr wer frnpt liei diesen tirufscn
nach ihrer HerkuaftV Mögen immerhin <iie
Westfalen stolz darauf sein, bif /.u den Ihri-
gen zu zählen; das deutsche Volk hetruchtet
sie eben als Deutsche, und ea ist ihm sehr
gleichgültig, ob sie als Westfalen oder Schle-
sier, als Nord- oder Söddeutache, im Westen
oder im Osten pehoren «ind. Hätte der Veri"
den Versuch gemacht, die Dichter aus der
Eigenart ihrer Heimat zu erklären nach den
bekannten Worte: 'Wer den Dichter will
veratehn, mul's in Dichters Lande gehu'. so
trftre dae gewlfa verdienstlicher gewesen, ob*
wohl rermutlich wenig dabei herauag-ekom-
men wäre, aber der Verf. begnügt sich gruod-
s&tzlich mit einer ziemlich oberflächlichM
♦ '!i;ir:\'?f cristik, mit allgemeinen Bemerkungen
zu inriMi Werken und Abdruck einiger aller-
dingfl gut ausgewählter Proben, kommt alio,
wie bereits oben bemerkt, (Iber eine Zusam-
menstellung nicht hinaus. Daneben tindea
sich eine FfiUe ganz bedeutungsloser Namen,
die dieHer neuen Sonderdarxtellnng sicher
keine höhere DaHeinsbercchtiffung verleihen
Übrigens zieht der Verf. auch seine Orenie
sehr weit. Er nimmt Bowühl golch.-^ lüp in
Westfalen geboren sind, nachher ai>er ander-
wärts gewirkt haben, auf, als auch solche,
die anderwilrt.« geboren sind, aber ipAter ta
Westfalen gelebt haben.
Die Darstellung trägt nicht selten atark
fenilletoniBtischeii Gi'pr2ge, z. B. : *Waltber
V. d. Vügelweide , Gottfried v. Strai'sbnrg,
Wolfram v. Eachenbadl, sie alle suchten sieh
südlichere Regionen, um der Sonno nalier zu
»ein, als inmitten der sumpfgeboreucu Nebel
swischen Lippestrand und Weserrand' (8. 14);
oder: 'Die Spielmänner hatten sich ReT^hail
gemacht und griffen zu Hobel und Pfriem,
nm inmitten der Umwallungen sicherer Städte
ein ehrbar Handwerk zn tr'ih^n ,\ber >iie
konnten das Singen nun einmal nicht lassen,
und so schufen sie sich, ehrbar wie flir
Handwerk, den Meifternanp' f Ih); oder
endlich: ^Das Thema {uiaa Kosmogonie) ist
nicht neu, es ist von dem Dichter der
Schöpfungsgeschichte der Oenesia bis auf
BleibtreuB «Kosmische Lieder« von der Phan-
tasie Berufener und Unberuf»>ner unendlidl
oft variiert worden, aber übertroffen ist Houti
wohl in seiner Art nicht worden' (S. 90). Auch
unangenehme Dmckfebler sind nicht seHeo.
Das letzte Kapit^-l behandelt die mnnd
artltchen Dichter VVeitfaleus und Rheinlands,
und das mag für die beiden Provinsea be-
sonderes Interesse haben und ist für ein«
rheinisch - weatfälischo Litteraturgeecitichte
vielleicht wichtiger, alf alles andere Gemein-
deutsrhe, was die lyänder herv-orpcbrftcbt
haben. Alle« in allem: wir mnasen auch
diese neue SondeoElittttatiugVMbidita für eat«
behrlich halten.
OoTTBOLD BorrricHita.
.^ .d by Google
JAHBOAKa 1898. ERSTE ABTEILUNG. NEUNTES HEFT.
ZüK ENTWICKELUNG GMECHISCHEß BAUKUNST.
Von Fbboinamd Noaok.
I
Die CtoBcfaiebte der grieduBcliMi Ardiitektiir ist immer in enfeer Linie die
Geechiehto des grieehiaciien Tempele gewesen. Das o-kl&rl sieb sdion änfor-
lieh ans dem Yerhultnis der erhalteneTi Monumente. Am ])( :^ten erhalten, daher
merst und am eingeheiRlsit-n imteraticbt und allgemeiner bekannt waren die
Tempelniinon. Profane BauU'n hörpn schneller auf, df>n Ansprüchen und
Zwecken der Menschen zu fjjenügeu und werden häufiger durch zeitgemilfse
Nfuhautcn ersetzt. Sie sind nicht heilig und entbehren deshalb (hn Vorrechtes,
um ihrer selbst willen auch dann eriialten zu werdeu, wenu üie eigentlich
nieht mehr genügen nnd g^nen. Die Tempel werden aber auch eehon von
▼omherein gebaut nm an danem durch viele Geschlechier, dem Gott m Ehren,
dem Erbauer und Stifter sum Buhm bei dnr Nadbiweli Wie mancher Tempd
hat als Motchee oder als christliche Kirche sich Jahrhunderte über seine Be-
stimmung hinaus, ja bis in unsere Zeit nnerschüttert erhalten. Mochte also
von KntiTven l*i ()fanbaut<?n scheinbar weniger übrig geblieben und das Wenige
in sehr trümiuerhaftem Zustande sein, so kam augenscheinlich ein starker
Mangel an Interesse hinzu, um uns derartige Ruinen mit wenigen Ausnahmen
von&uenihalten. Was davon in irüherer Zeit durch Delargadette, (iell, Dodweli,
die franaSsische Expedition nadi Horea u. a. Yer^eatlksht wmrden kit, tritt
gegen die grofs angelegten, umfangreichen Publikationen grieehiacher Tempel-
minen doch gaiia unverhSltnism&big surfick.
Die Erfolge der letaten Jahrzehnte haben dieses Verhaltnia TerschobeiL
Die Forschung hat begonnen, auch den erhaltenen Ptofimbauten grofsere Auf-
merksamkeit zuzuwenden, und die Ausgi-abungen haben eine ungeahnte Fülle
neuen Materiales gebracht. Aurli jetzt wird freilich der griechische Tempel
seinen alten Vorrang behaupten. Demi 'kein /weil'el ist, dai's sich die hellenische
Architektur am Tempelbau uutwickelt hat; Diese Ansicht Brunns, die vor
fÜnfondawamEig Jahrsn medergeschiieben wordsD isly wird immer bestehen^ so-
fem wir dabei an die VerluÜtniMe und einaelnen Knnstfonnen denken, die ftr
die Erscheinung grieehisch-romiseher Steinarchitektur beaeiehnend und bestimmt
gewesen sind, bis heute eine herrschende Rolle zu spielen. Die fDnfundzwanaig
Jahre, die seit dem Entwurf und der Ausarbeitung des II. Buches TOn Brunns
'Griechischer Kunstgeschichte' verflossen sind bis jetzt, wo es uns von pietät-
Yollf'r TTand als ein ehrwürdiges und koetbarea Vermächtnis dargeboten wird,
HoM Jahrbücher. IH'J». l. 88
570
F. Noaek: Zmr ESntwiekdiing gricdiiadier BanlnuMt.
umschÜelison die Erkeuutaiä iler ui^kcnischen Kultur und ihrer Bauwerke sowie
dar dnaelneii Sehiditen auf Hiuu^, luban uiu das Henion Ton Olympia,
den alten Atbenatompel und die attattisolL-ioDtseliett ^^telle auf der Aloro-
polie von Athen, die Hallen- und Tenraasenbanten T<m Pergiunon und Aegp^
die deliaehen Hauser und ein Stfiek dee Peisistrafcischen Atiien und manches
andere gcsclienkt. Dag heifst aber eine fast überreidie Quelle der AufUfimDg
über Grundfragen griechischer Baugeschichte, so unverhofft und flberra8<^end,
wie nur etwa ilic Auffindnrg der '^O^Tji'atov xoXinta, des Herondas und des
Bakchyiides. liitolgcdessen kann nun auch die Entwickelungsgeschichte der
einzelnen Profaiihauteii einjrelieiul studiert werden und wird von dem künftigen
Getichichtächreiber der antiken Buukunst &vJl einem viel breiteren Räume be-
handelt werden mflssen als eeiffaer.
Li dem einzigen BUflammenfiMaendai neueren Werke ftber griechiadie Bau-
kunst Too J. Dmm (2. Aufl. 1892) ist daau ein glftddieher Anfimg gemacht
worden (S. 308-^364). Aber, wie es Dürrn selbst nicht anders erwartet ha^
ist seitdem die Wissenschaft wieder so schnell vorwärts geschritten, dafs schon
heute auch in diesem vortrefflichen Buche manches Kapital erweitert, manches
ganz neu geschrieben werden müfste. Trifft das schon bei dem ersten Teile
zu, für den vor allem die inzwischen erschienenen grofsen Veröffentlichungen
über Olympia und Perganion neues, wertvolles Material gebracht haben, während
Delphi bi» jetzt nur dem Augenzeugen wirklich zugänglich ist') und wir von
Puchsteins und Koldeweys Beu'beitung der siulischen und imteritaliachen
Tempel noch vides su erwartm haben, — so gilt es noch Tiel mehr tod dem
zweiten Teile.
Zu den Profiuibauten leiten die grßJseren Kultplatae und selbständigen
T<>mpelbezirke über, in denen neben den Temp<'ln die Scimtzhäuser, Hallen,
Thea! < I tehen. Unsere Vorstellung von solchen Bezirken wird in erster Linie
erweitert durch Delphi, das Ttnr in Olympia ein völlig ebenbürtiges Gegenstück
hat; dazu treten der v\p()lloTi^!p7irk im Ptoongebirge, LylcosurHj das Poseidon-
heiligium auf Kalaureia, das jn gröl'serem Umfange in archaischer Zeit (^wie
das Heraion von Argus) auf einem alten, bereits mjkenischen Kultplatze er-
stand, und Thermon^), die Altis der Aetoler. Zusanmien mit dem Hieron von
EpidauroB mfliste Ton den Euianlagen der AsUepiosterrasse am Sfidabhang
der Burg und denen des Amphiareions von Oropos, vom Besirk des Amynos
und demj^gen bei Bhamnus die Bede sein. Das Sabirion bei ThdMn (das
Übrigens audi ein Beispiel der boeotisdien Apsistempel bietet) wäre neben
Eleusis und Samothrake zu stellen. Die Baugsacfaiehte Tcm Eleusis führt uns
ja, wie diejenige von Delphi, auch bis in mykenische Zeiten zurück, und seine
allmähliche, künstliche Gestaltung durch Terrassenhauten ist ebenso beachtens-
wert, wie diejenige des Burgberges von Fergamon, der Akropoiis von Athen u. a.
') über Delphis ßaudcukmiUcr sind bis jetzt nur kürz* ri' Berichte enehienen im BolL
dB corresp. hellen XVIIT im 175 ff ; XX nsi f.; XXI 641 ff.
') Über die noch nicht beendeten Ausgrabungen von Thermon a. lierl. phil. Woch. IBiiT
Nr. 60 8p. 1&6?.
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F. NoMk: Zur £ntinck«liuig grieduMher Boukunai.
571
Unter den SffiBnilidiea ProluilMiiten Btebt das ans dem EultuB erwachiene
Theater den s&kralen Gebinden am nlchaten. Zu den AnefOhningMi Dumte
Aber dM griechische Theater treten jetzt Dörpfelds in seinem grofsen Bnebe
zusammengefafste Untersuchungen, durch die meiner Überzeugung nach die
Entwickelung des Theators in ihren Grundztlgen feststeht. Durch Bethes *Pro-
legomena zu einer Geschichte des gneoluHchen Theaters' wird die Grundfrage
nicht mehr verschoben, wenn wir ihnen auch im einzeiueu mancherlei An-
regung zu aehärierer Nachprüfung verdanken; hier wird natürlich noch manches
ausgearbeitet und geklärt werden können. Dörpfeld selbst hat den Anfang
gemncht mit dem gladdichen Nadiweu, dab Vifamr bei aeinem griecMschen
l%eatnr «ne bestimmte Form sp&ter kleinasiatischer üieater im Auge gehabt
habe. Ffir die Form des eigentlidi grieehisohen Theaters, das noch in
heUenistisdier Zeit daneben bestand, dürfen wir, unbeirrt durch Yitruv, den
Denkmälern vertrauen. Wir gewinnen dadurch zugleich einen wichtigen Hin-
weis auf Vitruvs Arbeitsweise und seine Quellen. Wie Pansanias, so wird
auch er an den Denkmälern zu prüfen sein, und wir werden finden, dafs er
für die Banknnst, wie sie in Griechenland selbst geübt wurde, niclit als inafs-
gebeude Quelle gelten darf. Lange genug hat uns seine Theaternachiicht irre
gefiÜirt, und seine Aubwitat war so grob, dab sie selbst die Denkmiler, die
dentiich genug gesprodien haben, Lfigen steafan konnte. PrOfBn wir von Fall
TO Fall und sehen wir, dab seine Angaben gar nidit auf Beobaehtnngen und
Messimgen an Bauwerken in Griechenland zurückgehen, so wird damit seine
Glaubwürdigkeit zwar nicht erschüttert, aber audi für solche f^Ue gar nicht
mehr in Anspruch genommen werden dürfen.
Die ursprüngliche Form der Ilalletibauten können wir mit Hilfe der
neuentdeckten archaischen öxoä ßaoiXixr'j auf Thera^) weiter zurückverfolgen.
Auch die Hullen auf Kalauieia sind wertvoll.
Für hellenistieehe Marktanlagen bieten uns jeict auber A^^ und
Pergamon aneh Salamis auf Cypem, Magnesia a. M., £phesoB und audi Jhrienfi^
in Griechenland Pleoron wichtige Beispiele; ftr das vierte J^hnndert das
arlmdische Megalopolis und seit kurzem auch Messene. Stratos zeigt Beste Ton
Terraseenbauten, die an die Agorabauten yon Aegae und Pergamon erinnern;
die Agora in Echinos Komboti (AVamanieTi) kann bis ins fünfte Jahrb. zurück-
gehen. Der Weiterfülirung der Grabungen am athenischen Markt wird mit
gröCster Spannung entgegengesehen. Bis dahin müssen wir nns mit der ait-
griechiächen Agora auf Thera begnügen, wenn wir nicht auf Arne, wie ich
vermutet habe^, schon eine Agora ans mykenisoher Zeit besitzen.
Beim antiken Wohnhaus mob bis auf Troia II surfickgegangen werden.
Die aosltthrliche Behandlung von Troia II gehdrt allerdings in das Anfiuigs-
kapitd der Baugeschichte Oberhaupt, aber der Abschnitt, der vom Wohnhaus
handelt, mob doch wieder daran anknUpfen. Das erste grobe Bild davon
') Ygl. Hiller v. OMfinngen, Die arehuache Kultur der Iiuel Thera (Vertrag, gehalten
auf der 44. Philologcnvcrsaminlung su Dresden) S. 11.
*) Athen. Mittoilungen XIX 4SI.
«8*
572
P. Noack: Znr Entwickeliiii^ griechiicbnr Baukunst.
geben vom die mykenischen FalSate und Wohngebiude, derai Aiifiassang frei-
Uch nodi YieUiich geklärt und modifiziert werden mufe. Hier mnfiB die pliiltH
logische Arbeit hinsnkommra, am aus dem homerischen Epos von dem, mui
sieb mit ruykenischer Baukunst deckt, die nachinykenischen Elemente za
sondern und dadurch Anhaltspunkte für die £ntwickelang des Hauses im
• ersten Drittel des ersten Jahrtausends zu «gewinnen. Dann treten schon
anliaische Denkmäler ein, auf Thera, Euboia, in Athen an» Westabhang der
Aki'opolis und auf dem Museionhü^el die Feinbearbeitungen, sowie ähnliche
iieöte am Südabhang der Akropolis von Krane aul Kephallenia. Für die
spätere Zeit kommen aulser den im Fundament erhaltenen Häuserreihen in
Oiniadai, Stratos^ PhhieroB (Akamanien) nnd Demetrias {Thessalien) jetst be-
sonders die franaSflischen Funde auf Delos in Betracht^ die das geheimnisvolle
'Haus auf Delos' endgfiltig beseitigt haben. Was Yitmv von griediischen
Häusern zu berichten veifs, werden wir jefast nur auf spatiielleiiistische Zeit
beaieben dürfen.
Noch fehlt selbst bei Dunn ein Kapitel über Strafsen- und We<jebau,
das mit den Kosten von Ptbi^^terung in Troia II und VI, den mykeniseben
Hochstrafsen in der Argolis und in Bootien und dem durch die Teleiiiackie
einigermafson datierten F'ahrgeleise im Tajgetos zu beginnen hatte. Auch hier-
f&r haben die neuesten Ausgrabungen xu i^tbekannton Uateriale wichtige Er-
ginzungen' geliefert z. B, die Slaraben aus dem PeisistratiBdien AÜie% die alte
Strafse in Korinth mit ihren Trottoini; die heiligen Straben dflrilen nicht fehlen.
Der Charakter der ältesten Brückenbauten (bei Mykcnac) führt uns zu den
Deichbauten des Kopaissees und damit zu der Wasser bau kun st überhaupt^
Aufser dem imposanten System der Minyer, das %vir seit 1892 er«it genauer
kennen, bietet sehnn die mykenische Zeit ('isternen und Zuleitungen aus (^iullt»n
in Verbindung mit interessanten Felsarbeiten (Mykenaei, mwie nnterinüsche
Abflulskauäle (Tii-yns, Arne). Hieran würden sich in 'geometrischer' Z«it die
ersten Bmnnenanlagen an der Pnyx, an diese das ausgebildete Ejtaalsystexn
mit Einste^schachten awischen Pnjx und Westabbaag der Akropolis sehlielseii.
Die grofsen Stollenleitungeu unter Peisistratos und Pdjkrates sind die be-
deutendsten uns bekannten Bauten dieser Art aus älterer Zeit. Die verlorene
Enneaknmos läTst sich vielleicht am besten illustrieren durch das lange Sanunel-
beckon des Apollonheilipttimos auf dem Ptoon mit seinen siieben Abteilungen
und (las von LoUin<f beschriebene, jetzt langst zerstörte Brunnenhaus bei
l'apadliates ( Aetolit'ii i, bei dein das Wasser aus fünf Kammern flofs. Das
iiukki%QQOV tpfitufi in Eleusia und Cistenicu in ukaruaiiischeu Burgen und sonst
sdüiefsen sich tau Dann die Druckleitung in Pergamon nnd TAPdikniai Auch
die Leitungen zwischen den Badehiusem in Qropos sind zu nennen. Und viel-
leicht fanden hier die Silben^schereien bei Lanriou am besten ihren Fiats.
Als Wasserbauten grofsen Stiles kennen wir besser als früher die Hafen -
anlagen. Die delisehen Häfen sind von Ardaillon untersucht.^) In Larymna
•) Boll, de coneq». beU^n. XX 488 f. Taf. II HL
F. Noack: Zur Entwiekdtuis grifldiiKlier BaakonBi.
573
( Lnkns) ist mehr als 'massive Steindiimme' erhalten. Aufser einer grolötren
oüeuen Khede mit einzelnen geiüdl inigen Mt>len, ist eine kleine Uafeubucht da,
die von einem aufgemauerten Quai, ihnliclt demjenigen Ton Halu, UDUSOgeo
and midi dem Meere su bo abgesdUosBen war, dafii der natOrlidie £ingang
doreli swei in TOmie endigende Molen verengert war und somit leicht durch
Ketten geechlossen werden konnte. Lange gekrümmte Molen bildeten den
Hafen bei Eretria und Eleusis. Der ehemalige Hafen von Oiniadai bietet
interessante Einzelheiten. Dafs die Anlagen des Piraen;', bcj^oiuler? iVw Scbiffs-
hauser in Zea und Munichia eingehend beröcksichtigt würden, versteht »ich
TOD selbst.
Endlich verlangt schon die Menge der erhaltenen Kuineu, dais in der
'Baukuuät der Griechen' der Städtebau gebührende Beacihtiing findet. Fflr
die Anlage grieduscher StBdte liegen die TonUglidien Vorarbeiten 6. Hirsch-
felds vor. Znr Typologie muTa aber auch das Bild der einsehien Stadt treten,
nnd die Mauern, Ttlnne und Tboranlagen, deren Entwickdung sich vom zweiten
Jahrtausend her fast lückenlos bis an die Schwelle der römischen Herrschaft
verfolgen lalst, werden uns als gewaltige Zeugen dafür erscheinen, dafs der
Bcf^iff von irripohisclicr, künstlerisch wirkender Baukunst selbst bei den
ernsten Festungsbauten nicht versagt
n
Eine Darstellung der griediisdien Baukunst darf heute noch weniger als
ehedem mit der systonatisdien Betrachtung des steinernen Tempdgdiaudes
begvmien, da durdi die Ruinen der mykenischen Zeit und diejenigen von
Troia II die Mittel uiul V()r1>edingungen zur Entwiekelung^eschichte des
ganzen griechischen Tempels und seiner Einzclforraen gewonnen sind. Darum
hat bereits Dnnn diesen Ruinen eine nnsführiiche Einleitung gewidmet Aber
e.«i i^t uuch wirklich 'mr eine EiiiliitiiiifX, und iiiaa gewinnt in dtr IVdgendcn
u^lf^l^i,senden und ausg» /.t ichnctcn ßehandlun^ des Tempelbaues selbst, deren
Wert ich gewils nur duukbar anerkenne, den Eindruck, dafs der Verfasser die
Besiehungen an den mjkenisehen Bauten in dem nOt^eu Umfange entweder
noch nicht hwgestellt hat oder nicht an sie glaubt.
Bs sd hier einmal erlaubt, daran au erinnern, dafs Goethe seine Ansidit
Ober den Ursprung der griechischen Steintempd, *in so fern sie Sanlenord-
nnngen gebrauchten', gdegentlich so ansgesproeben hat: 'Die ältesten Tempel
waren von H0I7, ?ie waren auf die simpelste Weise aufgebaut, man hatte nur
für das Notwendigste gesorgt. Die Säul< n tnu^cn den Hnuptbulkeu^ dieser
wieder di( Köpfe der Balken, welche von innen herauslügen, und das (xesims
ruhte oben drüber. Die sicbtbiuen Haikenköpfe waren, wie es der Zimmer-
mann nicht lamen kann, ein wenig uusgekerbt . . . Diese gana solide, einfache
und rohe Gestalt der Tempd war jedoch dem Auge des Volks heilig, und da
man anfing von Stein zu bauen, ahmte man sie so gut man konnte im dorischen
Tempd nach.' In unendlich em&cher Weise ist hier gesagt, was trotz allen,
in erstsr Linie T<m G. Bötticher mit der gansen Wucht einer tiefen über-
574
F. Ko«ck: Zur Entwickelang griechischer fiauhunst.
Zeugung in seiner Tektonik der Hellenen* voirgetnigeneii gegentciüg* u An-
ricbien die Denkmäler schlieblieh bestitigt haben. Die Einmlformen sind so
wenig wie das Ganse griechisdier Tempel erat am Steinban nnd fllr den Stein-
bau «fanden wordeni eondern in mdu&ehen SntwickehmgSBtDfen hatte rieh
die Grundform, der ^XJrtyptts' des griechischen Tempels ausgebildet, efae sie in
den reinen Steinbau übertragen wurde. Im Anschlufs an Q, Sempera 'Stil'
hiit auch Brunn sich zu dieser Anffassnnf; bokmint, uiul wif er schon im
cr^^k'll Entwürfe seiner Kunstgeschichte die Rückführung der dorischen {%ule
auf die ägyptische Pfeilersäule (sotzenannt^» 'protodorische' Säule von Beni-
liassan) energisch abgelehnt und mit Beätimmtheit ausgesprochen hat, 'dafs
wir die dorische Ordnung nicht aus der Kunst eines fremden, sei es des
ägyptischeUi sei es eines asiatischen Volkee 'abgeleitet' an nennen berechtigt
sind', — so ist car damals audi sehen an dem Ergebnis gekemmen, 'dafs wir
an yersehiedenen Talen des dorischen Tempels in seinem Ur^ns sowohl
Stein als Holz haben' (a. a. 0. II 12 ff.). Was damals aber noch ein Rück-
schlufs von dem fertigen Sohematismüs war, Mndem das Organisationswerk der
dorischen Ordnung jrpwissprmafsen rückwärts bis zu seineu Anfängen vollzogen
wurdo'j das sah Brunn niclit vn'lo Juhrf spliter dnrch Thatsachen bestätig nnd
kniintc in seinem Manuskript bemerken; 'Eine solelie Th»t»jiche haben wir vor
allem mit der Erkenntnis gewonnen, dafs die Hauptformen des dorischen Auf-
baues — man kann sagen, der ganze Organismus desselben, denn aut«geuommen
waren nur Gellamauem und Stufenban — nicht andera ab ans dem Holaban
hervorgegangen sein können.* Die Erkenntnis gaben nicht in erster Linie die
mykenischen Rnin^ die bis aom Anfimg der atditrager Jahre flberfaanpt nidit
klar Terstanden waren, sondern wir verdanken sie Olympia tmd, wenn auch
nicht 'des heiligen Alpheios*, aber doch des Kladeos 'makel- ablösender Flut*.
Als dieser die Erdmassen, die er im fünften oder sechsten Jahrh. n. Chr. über
Olympia gewalzt hatte, während der deutschen AnscirahnnfreTi selbst wiwlpr
wegfuhren mul'ste, da wurde — 1877 — auch das Heraion wieder frei, und
durch dieses erst haben wir, von Dtii-pfeld geleitet, auch die mykenischeii
Bauten verstehen gelernt. Als Dörpfeld das Heraion in seiner urt>prüugiichen
Gestalt als einen Ban ans didcsn LehmziegeliH&nden, hdlzemen Anten und
Thdrgew&nden, hölzernem QeUUk nnd di<&en Holzaäulen erkannte nnd anf
Gmnd dessen seine Entstdinng in den An&ng des enten Jahrtansends setste^
waren die Schlüsse Uber das Alter der mykousdien Ruinen noch nicht ge-
sogen; die n. Stadt auf Hissarlik i:alt noch für das homerisehe Troia luid
wurde, wenn auch primitiver, doch für gleichzeitig mit Tiryns und Mykenae
gflialten. Erst dureli die Beobaehtungrn Iu^n ptischer Ein/.elfundo in mykenischen
Buinen einerseits und niykemacher Tril)utobjekte und Importartikel in datier
baren ät^yptiseheii Grübern sowie atif deren Wandgemälden undererseits gt lani:
es, die Blüte der mykeniöchen Kultur durch die Daten löö<) — 1150 annnhernti
zu umschreiben (vgl. die vorzügliche Zusammenfassung aller hierhergeli« n igen
Gerichtspnnkte bei Bnsolt, Qrieeh. Gesch. V 122 ff.). Als dann 1899/94 die
groÜM, starkbefest^^ VI. Stadt anf Hissarlik an tarat nnd dnrch die in
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F. Noack: Zur Ealiwiiekeluiig grieduaoher Banlnuist. 575
ilurw Schiebt reidi Teiirelenen myTcHnwehen YaseiiBcberlteii als deiaelben
mykeniseheii Knltarperiode angehörig erwiesen wurde, da war Troia II end-
gültig ▼om diesen Rninenslatten gel5sl> nnd seine grolsere PrimitiTitK^ die schon
vor! • 1 luancbes Bedenken erregt hatte, erkl&rte sich dur(}i sein bedeutend
höheres Alter. Dadurch wurde seine Bedeutung auch für die Entwickelungs-
f^eschichtc der BaukuiiBt eine viel gröfsere, •<icli nun als eine frühere
Etappc li»'r;inHsteiite und in seinen Banrcstcn einen Htand der Bautechnik ver-
trat, von dem »iie mykenische Baukunst in direkter Linie hergeleitet werden nnils.
Gleichzeitig hatte Wolfgang Reichel, gestützt auf ein langes, eingehendes
Stndinm der Werke mjkeniseher Kleinkunst, fttr ein hestiwls« Gebiet den
Nachweis erbracht, dsb im homerischen Epos die Brimaenrng an mykenisehe
Knltor nodi lebendig ist, dab also der Slteste Bestand homerischer Poesie
nodi in deren Zeit, ins zweite Jahrtausend v. Chr., znrfickreicht. Reiehels in
man^er Hinsicht zu rüdikales Urteil wurde schon von s( inen Rezensenten,
dann besonders durch die Mitteilungen von Tsountas über Kundschilde auf
mykeuiachcn Stuckmalereien f'Eqptjtt. aQxtctoX. 1896 Tnf. 1 und Ii i etwas modi-
hziert, ist aber in seinem Grundgedanken doch zu einem Kck])i'oiler für die
mjkeniäch- homerische Frage geworden. Erst durch die tjuge Verbindung, die
hierdurch und dordi manches andere zwischen homerischer und mykenischer
Knltor erwiesen wird, ist auch die trojanisdie IVage in einor LSsung zu bringen.
Das bcmertsdie Troia mnls eine Stadt der mykenischen Zeit gewesen sein, es
kann also nnr die VI. Stadt auf Hiasarlik in Frage kommen. Jedoch ist damit
nicht gesagt, dafs nun auch alles, was dort, .in den Jahren 1893 und 1894 ge-
funden worden ist, zu der einzelnen homerischen Scbildcning stimmen mOsse,
und die Art wie Klnrre (N. Jalirb. f Phil. n. Päd. CLIII [1S9(3] S. 17 f.) versucht
hat, diese Übereinstimmung zu erzwintren, uiuIh ak verfelilt ub^eU'hnt werden.
Die Übereinstimmung zwischen mykenischer und älterer humerischer
Kultur spricht sich auch darin aus, dafs hier wie dort noch nicht mit dem
TempelhauB gerechnet wird. Die mykenische Banknnat weist keine Tempel-
gefainde an^ weil die religiSsen Vorstellnngen noch kein Gotteshaus verlangen.
Der unsichtbaren Qottheit wird hSdutens da GStterthron geweiblr, anf dem
sie am Opfer teilnehmend g^daidlt ¥rird. Diese lotztorc Ansicht Reichels, die
gewifs eine glückliche ist, wenn auch die Beweisführung häufig zu matt er-
scheint, sei hier gleicbfullf! wpni<?sten3 erwähnt.') Es foljrt die Wandelung zu
dem von der homerischen Theobjgie bereits iiusgestalteton (Jlauben; mit ihm
tritt da« Tempelhaus in die älteste griechische Haukujist ein. Da gh-iLlizeitig
die Furstenmacht zerfallt, bedarf mau keiner Auaktenhäuser mehr, so dals
diese selbst, mit einigen Indenmgen, za Oottesh&useiB werden können. Auf
diese Weise erklart sich bekanntlich nicht allein, weshalb die griechische Bau-
kunst ihre Hauptformen gerade am Tempel ani^bildet^ sondern auch, weshalb
dieser sich aus dorn Wohnhaus entwickelt hati
Dieses Wohnhaus aber war ein Bau aus Holz nnd Lehm. Der Stein
*) W. Bdehel, Über vorheUenische Göttorkalte, 1897.
676
F. Koack: Zur Eniwickelaii; griechiacher Banlmiuii
spioltB Buniolifli eine gens geringfügige Rolle. In Troia II bestand ans SMn
nur das Fandunent, das den Anfban Tom Erdboden trennra, tot der Erd-
feadh.ti§^it bewahren und den Hohpfosten und Hohbohlm eine solide Baiü
darbieten sollte. Nur för letiiareu Zweck war er behauen und ge^tfcei Auch
die Burgmauer war nur^ soweit sie als geböscbte Terrassenmauer den Abbang
stQtztc, au8 unbehauenen kloinen Feldsteinen aufgescbicbtet. Bei der zähen
Beharrlichkeit, mit der die alten Völker am ÜberkomineneTi festhalten, i'st e« be-
greiflich, flalk der rei^elrechte Steinbau — übri^rfMis aucii iiieht uniihbätif^i^ vim
der iiintwickelung der Metallwerkzeuge — im griecbiscbeu Kulturgobiut erst
aUmaUieh durchdringt. Festungswerke und Grabbauten, also die fOr die
Sicherheit des Lebens einerseits und von dem herrschenden Ahnen- und Seelen-
kuit andererseits geforderten Beuten, sind eher reine Steinbanten als die mensch-
lichen Wohnstätten. Für diese wird die von alters her geübte Technik bei-
behalten: die Bauweise der M^ara in der dritten Periode von Troia U tritt
uns auch in denjenigen der inykenischen Zeit, nnr in gröfserer Vervollkomm-
nung, entgegen. Da sich hieraus der Teiuj)ei entwickelt, so ist auch er zuerst
ein Bau aus Hnlz und Lehm gewesen: im Ileraion von Olympia ist uns da»
monumeutüle Zeuguis dafür erkuiccu. Der Tempel int dann das erste Einzel-
gebäude, das in Stein umgesetzt wird; aber auch da schafiPt der Stein nicht
sofort neue Formen und Glieds, sondern die einsdnen Teile der älteren
Technik setsen sich gwtts aUmShlich in den Einbau um.
Unter den vielen Fragen, die, durch die grofeen Funde der Neuzeit an-
geregt, heute an die Forschung gestellt werden, steht die nach der Entwickc-
lung der einzelnen Teile des griechischen Tempels im Vordergründe. Über-
blicken wir die grofse Menge der uns mehr oder minder g?it bekannten
Tempel, so steht einer grofsen Mannigfaltigkeit der Einzelformeu eine sehr be-
schränkte Zahl grundlegender, konstniktiver Ideen gegenüber. Und diese
andern sich im Verlaufe der Jahrhunderte so gut wie nicht. Zwischen
kmintbiflchen und ionischen Bauten besteht fiberhaupt keine Verschiedoiheit
bezflglich der Konstruktion. Das Eorintiusche ist im Grunde nur eine Abart
dss Ionischen, die nnr eiiuEelne Kunstfimnen desselben mit Benutsnng ilterer
Motive, zum Teil naturalisierend weiterbildet. Der ionische Bau weicht vom
dorischen schliefslich auch nur in den Proportionen sowie in der Lagerung
der Deckbalken (= Triglyplien])alken) ab, indem er sie auf dem Architrav
direkt, nicht erst auf dem Friese aufliegen läfst. Alle übrigen Unterschiede,
sogar der zwischen glattem bezw. fortlaufendem Fries und Triglyphenfnts,
fallen in den Bereich der mehr oder weniger stilisierenden Form. Die Auf-
gabe, die sidi die Baukunst der Griedien bellte, war zu allen Zeiten eins ledig-
lich formale. Die fVage, in der die konstmktiTen Bestrebungen der ver-
schiedenen Stile stets gipfeln, wie die Überspannung des liditen Raumes su
erreichen sei, war für -ji längst in so klassincluM- Einfachheit gelöst, dafa aaeh
das Gewölbe^ das sie, wie ich glaub^ vor den Etruskem und Römern besaÜMnO,
') Röm. Mitteü. XU 198 tf.
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F. NoMkt Zur Entwickeltuig grieehieoher Baukiunt.
677
übor eine lifwheideno Rolle nicht hiiuiusgekommeu ist. Jene klassisclic Lösung
war scliou ixu zweiten JalirtauäcnU durch das mjkenische Qebäik und das
injlceniaclie Megaron flberlunpt gegeben. Für so manflhiw Problem griecluBclier
Baukunst haben wir alflo heute hier anzufuigen.
Von grSister Bedenhmg erBeheint mir die Sondmitollimg der VL Stadt
auf Hissarlik. Audi v. Ri her hat in seiner eingehenden Untersuchung 'Über
dafl Yerhültinä vom mjkenischen aom dorischen Banstir (Abb. d. Kgl. Bayer. Ak.
(1. Wiss. 1896) Troia VT npben Tiryns und Mykenae als fjleichartige mykenische
Burg behunilelt. Nnn hat Troia VI gewils mykenischc Einflüsse erfahren.
DafQr sind nicht allciu die importierten mykenischen Vasen zuverlässige Zeugen,
sondern auch die Grundform der Megara, die im Gegensatz zu Troia 11 schon
die Verinttniflse der mykenischen Megara in Griedienknd zeigen, und die
senkrechten Yorsprünge d« Hauern, dertti widitige Analogie uns anf Arne im
Kopaissee erhalten isi Der fundamentale üntersehied aber besteht
darin, dafs auch die aufgehenden Wände der Megara aus Stein
waren. Dadordi stellt sich Troia VI nicht allein mit Tiryns, Hykenae, Arne,
sondern auch mit der unter ihm in der Tiefe liegenden zweiten Stadt in
starken Gegensatz, nnd gerade deshalb glaube ich nicht, dafs wir einfach mit
dem Hinweis auf das Soti der jeweiligen Örtlickkeit dargebot«?iie Material'
(V. Heber a. a. 0. 7) darüber hinaus kumnien werden. Es ist nicht nur 'nicht
ganz ohne Belang', sondern von grölster Wichtigkeit, dal'a thats&chlich die
mykenischen Megara in Qrieebenlaad die iltere Bauweise von Troia II nur anf
einer hSher entwidmlten Stufe aeigen. Denn anf Hissarlik selbst hat sich
diese BntwidEelnng nieht ToUsogen. Vidmehr scheint hiw die Tendens^ mög-
lichst aus Stein zn hauen, wenn nicht schon bei der untersten, ältesten An-
siedelung, so doch bereits bei der dritten Schicht erkennbar zu sein; in der
sechsten Schicht ist der Steinlnui })ereits feste lokale Tradition, der sich auch
der mit niykeniseh(>r Bauweise offenbar genau vertraute BaumeiHter Oigt. Im
Hinblick aul" Troia 11 habe ich daher l>ei der sechstoi Stadt früher von einem
'Bruch mit der alten Technik und der Einführung eines neuen Prinzips' ge-
sprochen (Jahrb. d. Insk XI 314). Neu ist das Prinxip des totalen Steinbaus
aber vielleicht nur insofieim, als es damals in Troia VI mm ersten Mal bei
dem Plan des mykenischen Megaron angewendet erschdni Durch diese
Verbindung des mykenischen Hausschema» rait einor diesem fremden, neuen
Mauertechnik in Klcinasien erhält die £ntwidrelnng dort einen anderen Lauf
als in Griechenland, wodurch uns wiederum ein richtigeres Verf<tiindnis des
ionischen Baues erncldossen wird (s. u.). Es ist also strenggenommen nicht
die Technik von Troia sondern diejenige der dritten Periode der zweiten
Stadt, die auf Hissarlik isoliert erscheint. In viel grüfserem Umfange als in
Troia VI mnd hier fremde Elemente eingedrungen, ein Prozefs, den die damals
gleidifidls importierten kostbaren Qoldgeriite nur bestätigen können. Gerade
die Berfleksichtigung der Manertechnik von Troia VI und ihrer Abweichung^
▼on deijenigen der übrigen Ruinen, die nach y. Heber kaum in Betracht
komm^ ermöglicht also, eine früher ausgesprochene Hypothese^ dab die Bauart
578 F- Noack: Znr Entwickduiig grieduMiher Bankiwat
des Palasies und der Pracliithore plötzlich als etwas üngewöhnlioheä iu Troin II
eingefilhrt worden ist'), zur GeviJklieit zu erhebeiL Dieie Bftuteii tAai Ar mu
nur daa eüusige und dealwlb eminent wichtige Zeugnis fUr die Bftukonsi, «m
der flieh die mykeniBche entwickelt hat und deren Heimat HisMurlik jedrafaUs
nicht gewesen ist.
Von den primitiven Formen, die für uns heute nur noch die dritte Periode
von Troia Ii vertritt, führt die Entwickelung zu denjenigen der my kenischen
Bauwerke. Ich darf dafür auf die Znsammen3tc'lbing(>n im Jahrb. XI 211 213
216 fiF. verweisen. Ebenda habe ich versucht, das Auftreten der Siiulc, die in
Troia II noch unbekannt ist, durch Gegenflberstelluug der Xischeu der Hof-
mauer von Troia Ii und der diesen entsprechenden Hallen des Tirjuther
innereii PoksthofeB m erklKren. In der mykeniadieD Architektur in Tirjns
nnd Hjkenae ist sie schon völlig eingebürgert, an den Chrab- und Hiorhavten
der jUngeren Bpodie sogar schon in Stein omgeoetit imd als dekonitiTes
Element -rerwendet. Unbedingt notwendig und unentbehrlidi war sie jedodi
anch damals nicht. Die mjkcnischen Ruinen von Gonlas (&eta)'), der Palast
Tcm Ante, die Megara auf Troia (bis auf eines) rerw^den die Säule nicht;
nur in einer offenbar besonderen Verwendunf^ ist sie in dem einen trojanischen
Bau \1 C und in der einen langen Halle auf Arne nachtiewiesen. Bei dur Ver-
schiedenheit, die überhaupt in gar manchen Zügen zwischen den einzelnen
Auaktenh'äusem besteht^^), darf auch jene begrenzte Anwendung der Säule
uns nicht wundem. Wenn dieselbe aber nur in der Peloponnes und hier
wieder besonden in Tirynfl zu ausgiebiger Verwendung gelangt, so dafs nnr
hier in der Argolis alle Elemente der griechiflclien Tempelanlage
▼or gebildet sind, n> ist man sehr stark TCrsadit, hierin den urkundlichen
Belog für eine alte Überlieferung 7m erkennen, dafs thatsüehlich die ersten
griechischen Tempel in der Argolis oder wenigstens in der Peloponnes ent-
standen seien. Noch VitriTv weifs von einer Tradition, dafs der Heratempel
bei Argos das erste — zufällig — dorisehe Ochände gewesen sei, und in
Olympia stand das Heraion, das man fast noeli einen mykenischen Bau nennen
machte. — Es liefert den besten Beweis dafür, wie viel auf die Mauertechnik
ankommt. Denn gerade diese ist ja das spezifisch Mykcnische am Heraion.
Nnr der Lehmziegel wände wegen, die ihreraeitB wieder dnrdi das schwer
lastende Getölk bedingt waren, hat man die hSkemen Bohl^Terldeidungen
der Anten und Thfiirleibnngeii noch daran beibdudim, und nnr weil man so
langsam zum Steinbaa flberging und erst allmählich einzelne Teile gleichsam
wörtlich in diesen überiotrte, sind bei den anderen dorischen Tempeln auch
die Formen jener hölzernen Bestandteile, wie sie das Heraion zeigt, im Steine
nachgebildet und erhalten worden. Das Heraion ist auch dämm von so grofsem
Werte, weil sich wenigstens an einem seiner Teile iu einzigartiger Weise dieser
•) Archiiol. Anzeiger imn S. 67 (Puchstetn).
*) The Annual of tbe British School at Athens II 1895/96.
*) Ich werde daxaof denmlchtt sb anderer Stelle surOeUcoiDiiien.
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F. KoMk: Zur EDtwiekeliuig grieehiicfaer Baukanat
579
UmsetzuiitrHpro/efs thatsikhlith vollzogen hat. Wie Dörpfeld naehf^ewifHon hat'),
waren aniungiich auch dessen Säulen noch von Holz, und auf ihnen lag ein
hölzernes Gebälk ; jene wurden im Lauf der Jahrhunderte bis auf die eine
SKule im Opisthodom, die noch Pausanias sah, durch Steiodlulon eneiat^ deren
▼ersdhiedenes Alter die* l&pitollprofile Terratäi — das Gebalk ist ohne Best
▼ergangen^ war also g«willB immer aus Hok geblieben. Selbst Ton dem nach-
träglich aufgesetzten GiebckLuli , das der Tempel schon früh erhielt| hat sidl
nur dsui hocharchaische Giebelakroterion in Bruchstücken i^ofunden.
Die frühe Datierung des TIeraion durch Dörpfeld ist von Puchstein in
Zweifel gezogen worden (.lahrh. XI 70). Ich verkenne das Gewicht seiner
Gründe nicht, glaube aber, dids — man mag über dic.sell)en denken wie man
will — die Stellung des Heraion in der Baugeschichte unerschüttert bleibt.
Ich gebe nur folgendes zu bedenken. Puchstein hält es für milslich, ^die
sicheren Übereinstimmung^ mit der mykmiaehen Bauweise in Technik and
Plan m einer Datierung su Terwendoi' weü in Olympia nirgends mjkenische
Sparen gefunden worden, und weil es sehr onwahisdieinUQh sei, 'dafs die
Pisaeer oder vidmehr die Skilluntier an der Entwiekelung der mykenischen
Baukunst teilgenommen haben und trotsdem Ton mvkenischer Töpferei und
Metallurgie vollständig verschont geblieben sein sollten'. Dazu komme, dafs
selbst die primitiven Funde der tiefsten olympischen Schichten, des häufig
vorkommenden Eisena wegen, niclit in mykenische Zeiten xnrückwiesen. Damit
ist aber nur gesagt, dals das Ileraion gewifs erst zu einer Zeit errichtet wurde,
als mykenische Ware nicht mehi* iu Griechenland eingeführt und vertrieben
wurde Aber hiermit wird der Kernpunkt der Frage nicht getrodSm. Ob das
Heraion hundert Jahre ilter oder jünger ist, oh es mit saverlSssiger Gewilk-
heit mSj^idist nahe an die mykenische Kulturperiode gerOckt werden kann, ist
l^r nicht das Entscheidende. Dieses liegt Tielmehr darin, dafs das Heraion
eben kein Tempel ist wie viele andere, die im VII. und VI Jahrh. auf
griechischem Boden entstanden. Denn von keinem jener anderen Tempel wissen
wir, dafs er *in der Art des Heraion', nämlich aus Lehmziegchv'anden mit Holz-
verkleidung und Holzsäulen sich erhob. Dem 'vollkommen entwickelten
dorischen Griuuirirs' des Ileraion nieht der mykenisehe Charakter t;eines Auf-
baues, der sich nicht leugnen läfst, gleichwertig gegenüber. Lud aus diesem
Aofban sind wir verpflichtet den Schlafs zu xiehen, dals die Fortentwickelang
der mykenischen Baukunst v<m dem Bestehen dar mykentschen Kultur in
Griechenland onabhangg und noch mdgUch war, als diese langst Sur Ende ge-
funden hatte. Wir können uns diMes 'Ende* ja doch einigeima&en TOrsteUm.
Die Blüte diem-r Kultur flÜlt susammen mit d* rjeiiigen der Ilerrengeschlechter
auf den mykenischen Burgen. Unter ihrer Herrschaft wird die Einfuhr der
Erzeugnisse der mykenischen Kleinknn-^t aufserordentlich begünstigt nnd nimmt
einen mächtigen Umfang an. Sie hört fast plötzlich aui^ und der geometrische
') Historische and philoiogiache Aufsätze, Ernst Curtius gewidmet und Oljrmpift I
Text S. 28 ff.
&80
F. Noaek: Zur EntwieüEelaiig gciecbi«cb«r Bftnlniiiiit.
Stil, der in allen mogUclicn lokalen Spirlurton auf sie tol^t, ist nur die Ictxte
Ausgestaltung des primitiveren Liuearstiles, der der mykeuiacheu üccupution
vorangegangen war. Wenn wir nun heute immer deutlicher erkennen, 'dafs in
dem eigeutlielieii Ifütelpniikt der mykemiaehen Kunst, der irgendwo im OBten
lag, das mjkenische Kunstgewerbe länger geblllht hat, als auf dem heUeniaehen
Feetlaade' — in dem von Wide naehgewieaenen mykeniaehen Einflafi» auf die
Dekoration geometrischer Vasen aus Kreta, Rhodos und anderen Inseln sowie
Karlen ist ein starker Beweis dafiir i^f^tlten*) — , so wird die Annahme dodi
immor als die richtiifste erscheinen, düls es die an den Namen der Dorer ge-
knüpften Umwälzungen waren, die der inyk» niselu n Ilerrenkultur in Griechen-
land ein jähes Ende bereiteten. V erlangt das aber den weiteren Schlufs, dafs
damals auch tüimtliehe alten Burgen und Paläste zu (jrrunde gingen? Die
BnmdkatastK^lien aaf Tiryna und Mykenae kernen diensogut spit^ ein-
getretoü aein, und die keramisdien FVmde, die in den WohnriLomen diesw
Burgen und auf der Akropolis von Athen gemadit worden sind, «prechen
dafOr, dafs die neuen Herren sich den Vorteil der gewaltigen Mauern nicht
en^^en iiefsen. Mykenische Megara können das Ende mjkcnischer
Knltnr in Griechenland lanfje fiberlelif haben. Nichts spriclit cre^pn
diesen iSchliüs, das Heraion von Olympia iiiul der dorische Tempel z\viii<;t n zu
• demselben. Wer also die Erbauung dts Heraion nieht über das Vlll. Jahrh
«urückführen will, muTs zugeben, dafs echte mykenische Bautechnik sich so
lange in der Peloponnes erhalten habe; wem dies widerstrebt, der muf» Dörpfelds
Führung folgen, soweit er irgend kann. Daa iat aelbst im Hinblick auf die
geometrischen Fnnde bei und unter dem Herai<m (Jahrb. XI 71) nicht so schwer.
Denn wenn von sachkundigster Seite geraten wird, daa Ende des attischen
Dipylonstiles nicht unter das Vnil .lahrli. hinabzurücken (Athen. Mitt X\T[U 137),
dürfen wir einfache geometrische (ieräte und Figuren sicherlich schon lünger
als ein Jahrhundert vorher annehmen. Auch als ein Bnn, der jünj^er wh ein-
zelne i^ennietrisch verzierte Gegenstände wäre, kann das Heraion in sehr früher
Zeit eiitütaudeu und älter als alle übri'^'en uns heute bekannten Öteintempel
sein. Auf jeden Fall aber ist es der eiuzi<;e Bau, der eine alte, uns jetzt als
mykenisdi wohlbekannte Technik noch festgehalten und damit die alte Hypo-
these Aber die Herkunft der Tempelformen sur Gewilsheit erhoben hat
Als das Megären znr Tempelcella wird, tritt es aus dem Zusammenhang
mit der übrigen Wohnung heraus, mufs, von der prc^anen Umgebung gelSst^
für sich stehen. Da Wohnungen und Palostbanten aus der ehemaligen rayke-
nischen Zeit noch existiert haben müssen, als man nach ihrem Vorbild die
ersten Tempelcellen baute, fo wi rden die ersten Tempel schwerlich diejenigen
gewesen sein, die im Auschluls an den Kult am Altar im Hofe des alten
Anaktenhauses errichtet wurden, wie es z. B. in Mykenae, Tiryus und Athen
der Fall war; die dortigen Tempel setsen den i^nzlidien Verfisll der alten
Palaste yoraus. Viel eher w^en wir nns die ersten Tempelbanten allein,
^) Athen. Httteilimgen Xn sss ff.
F. Noack: Zar Entwickclung gri«ebiwih«r Baakunst.
581
fenuib Yon der Stadt^ im heiligen Hain, eutstandeB denken mfisaen, da wo
Bchon. in mykeniadier Zeit ein Altar oder ein CtötterÜmm gestanden hatte. So
t. B. das Heraion von Argoe, zu detnen StdUe ja bereite die mykenieelie Hoch-
Btrafse führte. Hatten diese ältesten Tempel auch nur die ein&ehe Fom des
MegaronV Wir können das so wenig beweisen, wie widtilecren. Aber be-
denken innsftpn wir, dafs die ältesten Gebändo 'in antis' t'infache Megara der
tempello.si'n inylceiiiseben Zeit, daije<^on schon die ältonten Tempelgebäude,
die wir kennen, peiiptenile Anl.iiren sind. Schon in der Zeit, als der Steinbau,
ebenso wie in dem m) kenibcLen VVobnhaus, noch aui den Sockel beschränkt
war, zeichnete man dem Tempel Tor den Frofitabanten durch die ringsum-
gehende HaUe aus Holuanlen ans. Ich neige daher noch heute au der Ansidit,
dalii hierin von vornherein das aasgeaeichneto Herlanal des Gotteshauses be-
stand (Jahrb. XI 233 u. Anm. 00). Da/n trat gewife sehr früh die Erweite-
rung des Grundrisses. Die der Vorhalle entsprechende Hinterhalle ist eine
so einfache Folge der durch die Peristasis hergestellten Allseitigkeit des Megaron,
dafs sie nicht darum erst dem vollkommen entwickelten dorischen Tempel an-
gehören kann, weil sie bei diesem als Heirel erscheint Oder haben wir wirk
lieh irgend eine Sicherheit dafür, dals die offene Hinterhalle in antis erst dem
entwickelten Dorismns, nach Puchsteins Ansicht ofienbar frühestens vom
VI. Jahrh. ab, angehdren kdnue? Ich glaube kaum. Auch noch in der
klassisdien Zeit finden sich im dorischen Tempelgrundrifs YerBchied«iheiten
zur Genüge, und nicht nur der Tempdl in Assos, der ältere Tempel in Hhamnus
und der Peisistratische Dionysostempel — Tempel, unter die man das Heraion
unmöglich hinab datieren kann — , sondern auch der jüngere Dionysostempel,
der für das Kulthild des Alkamenes errichtet wurde, die Asklepiostempel in
Epidauros und Athen, das Amphiareion in Oropos lassen die Hinterhalle der
Cella wieder weg. Anderseits aber fehlen Tempelgebäude, deren Cellen ein
nachweislich älteres, oder gar dem Megaron näher stehendes Gnuidriliaschema
besalsen. Hau HDhre hiergegen nicht die GeUen einiger Selinunter Tempel an
(Abb. I 1 — 3), von denen kaum der älteste Aber das VL Jahrh. lunau%erflcM
werden kann (Seiinunt tun 628 gegründet). Schon der Hekatompedos auf der
athenischen Akropolis mit seiner TTinterhalle (4) muTs mindestens gleich alt
sein, da nach Wiegands glänzender Untersuchung (vgl. 'Eoti'u v. 9. März 1896)
die berühmteT» Pnrosrrrnppen, die uns der 'Persersehntt' der Akropolis erhalten
hat, seine Giebel geschmückt haben'); auch die Dreiteilung der CeUa durch
•) E» erge^H II sit h ilariiuH interesflantc Probleme. Wie wurde die Peisistratische Peri-
Bt«flH, (leren tiielxl (iii- jetzt von Schräder so glücklirh rpkonRtnn<>rtf>n rinippen de«
Gi^ntenkiunpfeH füliton, mit dem älteren Üau verbuaden? Wurde damuls der alte Giebel
lenUlri? Oder^ wenn niebi, blieb «r «iditlMr, d. h. fehlte d«r neaen Peristuta die h«ri-
Mmtale Decke, oder verscbwand er hinter bezw. über derselbon? War die horizontale
Pt«roQdeckc vorhanden, "o wird sie aus Holz, gewesen Bein, wie diejenTfjffii Alktii'ioriiden-
tempel zu Delphi i^Hull. de corresp. bullön. XX 647). Sich den alten Tempel auch ohne
Pflristsns fortbestehen bu denken, fiUlt aidit lo schwer, wenn man die Tbatiaelie in ROefc»
sieht zieht, dafs die Perifteiii ein Tielleieht nie geat mgamKeh mit jenem verbondnier
Ziuatz WM.
682
F. Noack: Zur Eiitwiek«laiig grieeliiieher Baakamtw
die Innenwulen ist in ihm Tolhogen. Und was wäre denn an jenen Tempeb
in Seliniint aMcrtOmlidier als am Heraion? Der hoehardiaiiefae, neuerdings
wieder für den Uieeten erkl&rte') Tempel C hat, ebenso wie der jflngere
Tempel 8, eine nur dordi eine Tlifir sn betretende Yoiludle und trennt hinten
von der Hauptcella das kleinere sogenaHite 'AUerheiligste' ab. Für jene Form
der Vorhalle giebt es meines Wissens nur eine altere Analogie, die höchstens
ebenso alt ist wie die otTone mykenisehe Halle in antis: den Palast von Arne,
dessen beide Hauptmegara einen ebenso geschlossenen Vorraom haben, dessen
1 2 :^ 4 I G
1— S taptl In Stünm. 4 JOtw Alh—twopii (vor VtWitratot) 5 Temp«! tod KorfaUi. t BotiIm ««•
Olpqpift. T DMiflafegaiwn ib TI^m^ 9 H*ttptm«g*Ki(B aat Ana.
Eingang nur aus lokalen Gründen ein seitlicher ist (BnlL de cotwap. hellAi. YVTTT
Taf. 11; 8. Abb. I 8). Für das 'Allerheiligste' (a) aber giebt es keine ältere
Analogie. Man liat angenommen, dafs dieses 'bei einer Umbildung des Grund-
risses einer offenen Ilinterhalle Platz gemacht' habe fDurm, Bank. d. Gr.* ö4 i
Dagegen spricht schon genügend die eine Thatsache, daüa die jfingeren Tempel A
*) Ton PtielMleiii, AreUol. Anseiger 18M 8. IS, wie Mhon Benndorf« Metopea
Seünnnt S 38, wollte, wahrend i. B. Dum, Brak. d. Qr.* I ;init Senqwr 2> flir den
iltesten Tempel ansieht.
P/lToack: Znr Enfewiekelniig gritdiiiclMr B*iikiiiitt.
583
und R {Abb. I) in Selinunt und der Tempel in Segesta das 'Ailerheiligate'
noch behalten und erst hinter diesem die offene Uinterhalle zeigen. Diese
irt demiueh ciii&eh nftch dom Yorbüd andrer doriMher Tempel dem attetea
dreigeleilfeen Tempelhftuse hinmgeHl^ worden^ letetorM abor können wir nur
alt eim Speaialilfti lokaler seliniintiBeher Bauweise aneehen, die aufaerbalb von
Selinunt nur ganz Tereinaeltey in Grieehenland aellMt kdne Nadifolge ge-
fimden hat.
Neuere Messungen Koldewejs (Archaol. Anz. 1892 S. 12) haben im Gegen-
satz zu den älteren Aufnahmen ergeben, dals der Stylobat des Tempels C in
Selinunt, des Tempels also, der sieh im Cellfinjundrifs am Htärkst<»n von
griechiücher Tempelform uuterächeidet, auä mächiigeu Blöcken besteht, die
gerade von einer Siolenachae bis aar nSchaten reiehen. Dies (1) wie das
Folgende babe ich durch
die sohematiBehett Skizaen
Abb. n za Teranschaa-
Bchen gesuclit. An dem
nach Puchstein etwas
jüngeren T''mpel D und
dem noch jüngeren, durch
seine Metopenreliefs bald
nach 560 datierbaren iS
finden aidii atatt deeeen
kleinere, möhk i^eich-
breite Platten, die auf
die Sftnlenachsen keine
Rficksicht nehmen ähn-
lich am Heraion (2). Erst
die jüngsten Tempel in
Selinunt — die auch in der
Hinzufttgung der Hiuter-
haUe angenfäUig den An-
adilnfii an die ailgemeiner
a t
J) g, U«T*ion TOD OlynpU,
griechiadie CeUaform wa finden suchen —
TeKteQen i^ichgrofiw Qoadem abwedelnd anf Interkolumiiieii nnd Standplitae
der föulen (3). Hieraus aber eine Datiirung für das Heraion zu gewinnen,
halte ich für unmöglich. Koldewcys Beobachtungen haben wohl einzelne That-
sachen erkennen lassen, deren zeitliche Abfolge sich in den vorliegenden Fällen
auf Önmd anderer Indizien l)eHtiinnifn läfst. Aber sit- bilden keine un-
Terrückbar logische Abfolge der Art, dafs damit eiu allgemein gültiges
Kriterium für die Datierung anderer, räumlich weit entfernter Tempel gewonnen
wir«. Die absichtliche Beaiehimg zwischen Stylobatplatte nnd Sinlenadise
aeigt sidi bei C (1) ebenso wie bei Bauten, die 50 und 100 Jahre jünger
sind (S); C ist nur das bis jetat nachweislich erste Beispiel daAr. Der Fort-
schritt fiber C hinaus liegt in dem Lageningssystem der einzelnen Stylobat-
platten: insofern ist die spätere Anordnung Ueinefer Platten (3) der älteren
584
F. Noadc: Zar EntvkkeloiiK uriMhinchtf Baakuitit.
des Tempek C Uborlegeu. Aucii wirtl muii zugeben mÜ8seu, dals ein Teuipel,
dewen Stylobat swir Ueinere Pkttcm Terwendeiy aber «Ubd die Sftoleiitdwii
nicht in Bfleksichi aebt (2), älter ist, als die Beispiele diese« systematisehen
Verfohrens. üm das Tom Heraion zn aagon, wäre das analoge Yerbittiiis der
Tempel B und 8 sn den jOngeren Selinnnter Tempeln nicht einmal ndtig. SefaEl
aber andorsoits die regellose Lagerung des Stylobates am Heraion wiedertim
eine Vorstufe voraus, die greise Blocke von Achse zu Achse (= 1) gehen
liefH? Um das vom Horaion zn sajren, müfste man im 8tvl<>^>Ht von C auch
die \'()r8tulV' für ilciijenigen von i> und S erkennen. In VVahrht'it aber haben
die ])i'i(ieii Lagcriiii^svorfahren gar nichts initeiiuinder zu thuii. Das Prinzip,
das aui Stylobat von 6' maiagebeud war, Imbun die Architekten von D und S
nidht befolgt, noch weniger aber aas ihm etwa das ihrige entwickelt. Denn
aus dem System — das doch ofienbar uns in C entgegentritt — entwickelt
man nicht Systonloaigkeit, wie ue D und S seigen. Viel eher dfirfifce man
^iher behaupten, dafs die Architekten von D und 8 bei einem alterttUnlichereii
Verfahren beharren bezw. daau zurüdckehren. Zar Bestätigung dafür könnte
dienen, dafs der Tempel D von C wie von S darin abweicht, dafs er das, ja
nun einmal sichfr urulto, Schema der Vnrluillo in antis wählt und dio Anton
in DreivierUdsäultn tinleu laist (s. Abb. Ii; das iiiit liste Gegenstück zu letzterer
Eigentümlichkeit — Benndorf^) Imt si»' ('iiimiil geradezu 'primitiv' genannt — bieten
die Querwände der HeraionceUa, deren Stimverkieidung ursprünglich auch von
(hölzernen) Säulen gebildet wurde, ein Ver&hrBo, dessen Srkfirung in der
alten Hols-Lehmziegeltechnik zu suchen ist (Jahrb. XI 216 ff). Erst dadurch,
dafs die kurzen Quonrönde durchgeschlagen wurden (Olympia I 32 C Jahrh
XI 218), bekam der Grundrils der Cella eine an&erliflhe Ihnlichkeit mit den
ausgebildeten dorischen Tempelcellen; als man das TTt-raionsc-bonia mit dieSMl
identifizierte, hat man diesen wichtigen Faktor gewifs übersehen.
Nach allen dioj»cn fTicrlognngen bleibt die letzte Entscheidung zwischen
dem Heraion und den sizüischen TtMijpeln, sowie den ältesten jjrorsen Temjxln
in (Jrieohetiland (Hekatompedos, T. v. Korintlij doch schiielislich nicht dem
Grundrils, sondern dein Aufbau vorbehalten. In z. T. hochaltertümiichen,
schweren Verhältnissen, aber bis zum Giebel aus Stein treten diese uns ent-
gegen: der Aufbau des Heraion trogt das Gepräge einer ganz anderen AIte^
tftmlichkeit, denn seine Technik ist die der mykenisdhen Baukunst. — Damit
bleibt die Berechtigung, die Einselfbrmra des dorisdien Aufbaues aus älteren
Holzkonsiaruktionen henraleiten, bestehen..
Mctopen von Sälinout S. 24.
(FortfleUuiig folgt.)
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SOKßA.T£S BEI PLATON.
Von AinoEso GsEonc
Im Jahre 1869 schrieb K. Lehrs: ^Dcr Platonische Sokratcs ist das ge-
traflisne Porbftt dei wirUiehen Sokntei, too dnem Heister gemalt und »nf-
gefiÜBt' . . . und Tlato legt bekanntlidi seine ansgebüdete Lehre dem Sokntes
bei Damit bat, meiner Übenengung naeh, Plato nicht nnr das BewnüitMin
aneepreehen wollen, dafa er doch alles von Sokrateg habe, «ondem auch die
«benengung, dab aeine Fortfuhrung des Sokniti^rlu n so von selbst folgende
Konsequenzen seien, dafa Sokrates bei etwa fort^esetzt^'in Leliren sie selbst
würde gezogen haben'. Ja, Lehrs war yjcncitrt, die Echtheit des Pannenides
aufzugeben, weil er in diesem Dialoge einen WiJei sprach zu den obiiren Sätzen
bemerkte, da ja darin dem jugendlichen Sokrates die Ideenlehre ala eiu bereits
klarer Originalgedanke zugeschiieben werde. Immer trug Piaton seines I^lirers
Bild im Henen; anfällige Erinnerungen an Binaelheiten ans Sokrates* Leben
oder Wirken wurden Änlasie seiner Dialoge.*}
Über diese einseitige Auffassung eines um andere Zweige der Wissenschaft
hochv^dienten Oelehrten ist die Piatonforschung stillschweigend zur Tt^es
ordnun«^ übergegangen. Aber kiir/.lieh hat sich ein anderer, dessen eindringende
Forschun^ir ülier Piatons Geset/v unt rwartetes Licht verbreitet hatte, Ivo Bruns,
eine ähnliche Aufi'aetäuug wie Lehrs gebildet und sie ausführlich vorgetragen
und begründet*), freilich ohne sich darauf einzulassen, sich mit den vielen ent-
gegengesetzten Resultaten der bisherigen Forschung auseinandensnaeisfien. Dieses
nachBuholen und die Befecktignng des neuen gcgenflber dem alten Standpunkte
im einaelnen an prüfen, liegt im Interesse der Saehe, im Interesse der wetteren
Forschung. Und eine Selbstbesinnung hat auch dann ihr Gutes, wenn dadurch
nicht neue Resultate hervorgerufen, sondern nur der Zweifel^ oh der bisher ein-
geschlagene Weg ein- richtiger sei, bestärkt oder beseitigt wird.^) Die Frage,
ob Piaton auch in den Gesprächen seiner Blüte, wie vielleicht in seiner frühesten
Zeit, nnr historisclu' Porti-ats von Sokrates und seinen Mitunterrednern liefern
wollte und stets nur unbowiilHt und in Klcinij^kt^'iten von der historischen Wahr-
heit abwich, ist ja in mehr als einer Hinsicht von allurgrüfstcr Bedeutung.
>) PIato8 Phadnu und GutnaU . . . v«n S. Irtlin, Leipslg 1869, Ebd. tt; 17 n. 0.,
vgl. 19, 1; 14.
*) Das literarische Porträt der Griccbou . . von Ivo Bruns, Berlin 189C, HL Buch.
Hinel hat in Mineni Bach« Der Dialog, eu litecarhistoriacher Yenueb (Lei]n% 1SS6)
die geltenden Ansichten nach der Seite der künstleriflchen Behandlung der Platoniachea
i>ialoge dargestellt und weiter auigeführt, so dafa Bruns als sein Antipode erscheint.
K«ao Jaltrbttckvr. iH'JS. I. 80
586
A. Qerek«: fioknlM bei PUtom.
Ich gehe von einer Einzelheit, des dialektischen Kampfes aus, um die
Frage zu entscheiden, oh der Platunisehe Siikrates Gegner Flatons und ihre
Lehren belampft oder ob Fbton nicht dai«n dmikt Sokratee ^tiet im
Thwdietos über den Säte des ProtagoxBe *I)er Mrasch ist das Hab aller
Dinge': dann kSnne man auch sageii, das Schwein oder der Äffe sei das Mab
aller Dinge (161 G). Spater nimmt er das zurück und tadelt diese imfeme Axi
der Polemik selbst auf das schärfste; mit vollem Recht könne Protagoraa ein-
werfen: ^Bestreite doch lieber das, was ich wirklich behaupte . . . sprichst du
aber vmi Schweinen und Affen, so bctnigst dn dich nicht nur sf'll>sf wie ein
Schwein, Hondem verffihrst inu-li deine Zuhörer, sich so gegen meine Schrift
zu benehmen, was nicht anständig ist' (1G6C). Die Wichtigkeit dieser viel-
besprochenen Bemerkungen ist auch Bruns S. 261 nicht entgangen, er hat
danras aber ftlscbe Folgerungen gezogen. Er meint, Platon beaenge dami^
dafs er nicht nnr diese Art der Kritik mibbtUige, wmäiam sie anch selbst nie
geQbt liabe,']dals er daher s. B. nie habe ibran deolcen kennen, AntistheneB als
Sokratiker unter der Maske der beiden Klopffechter im Euthydemos zu ver-
unglimpfen oder einzelne seiner Lehren zu verspotten. Allein die Thatsache
bleibt doch wohl besteben, dafs Platon den Euthydemos und »einen Bruder
Dionjsodoros in der drastischsten Wei'?e gezeichnet u?id dem Spotte preis-
gegeben hat, mof^e?! sie nun in dem Dialoge mir ihre eigenen Lehren vortragen
oder mögen diesen^ was ich für aufgemacht halte Lehren des Antistheneä
beigemiscSit son.
Bruns sieht in jener Selbsttierichtigang im Tbeaatetos einen fnerliehen
Widerruf gegen Sokrates* dgenes £rflberes (161 Bff.) polemiadies Auftreten. WSte
das richtige dafs also Platon auf gröbere Polemik damit verzichten wollte, weil
er sie ttlr SmanstKodig*) fUr eine ^Brutalität', ftir eine 'Roheit' hielt (Bnms
200 f. 303), so müTste nicht nur dem Thoaitetos das IT. Buch des Staates
vorausgehen, weil Glaukon hier den f?»' schilderten kjnischen (V) Naturj^tsiat
*Schweinestaut' nennt (372D), ohne von bokmtes berichtigt zu werden oder
selbgt spüter den Aufdruck zurückzunehmen, sondern Platon mOfste im
Theaitetoti zur Einsicht gekommen sein, dab er sslbst hier (wie andi im Euthy-
demos) früher die Grenzen des Ansfatndes ftbersehritten lÄtte. Platon rafilste
abo bewobt snnen Meister sagen lassen, statt es selbst von mdk m sagen, er
habe aidi früher (im Theaitetos wie an den anderen Stellen) unanständig be-
nommen. Und dieser Zug vertrüge sich schlecht mit der Pieia^ die selbrt die
TOn Bruns bekämpften Forscher dem Platon nicht rauben lassen würden.
Die Ansicht ist aber in der Grundlage falsch. Schon Schleierraacber hat
erkannt und Bonitz bewiesen, dafs die ersten von Sokrates im Theuitetos vor-
geliraeliti ii Einwendungen gegen die Erkenntnistheorie des Protagoraa keineswegs
von Platuu geteilt soiidem ausführlich abgewiesen werden (1G4C — 168C), und
somit älteres Gut vorliegt^ das hier nur kritisiert wird. Die Quelle, die Schleier-
Mit Schleienuat-ber, Zeller, Booitz, Urban, Düounler u. a. ich weiis uicbt, ob Braiu
daa unbewieaeae Behaaptungen nennt, die rieb whwer widerlegen lieben (."Ioh): wenn ada«
Behauptoiig rieh widerlegen Iftbt, featigt du die entgegenatriiende allgemeine Amchaueag'.
Gercke: SokratM bei PJaton.
687
macher allf^raein ab sophistisch bezeichnet hatte, ist von Dümmlor als
Antistlieuisch erkannt worden, und Natorp, Bonitz- Heller, Zeller u. a. haben
seiner Beweisführung zugestimmt.^) Von Antisthoncs stammte also die witzige
Pturodie her 'das Sehwem ist das Malii aller Dinge', nnd Dun wirft Sokratee
bei Platon unter d«r Maske einer Selbstberichtigung vor, er benehme sieh
selbst schweimsch. Das pafiit an Staat II 872D nnd Vü 535E.
Ganz ahnlich scheint mir Piatons Verfahren im Phaidros 260 B — D, nur
etwas milder. Um die Notwendigkeit einer wissensehaAUchen Grundlage ffir
die Rhetorik zu erweisen, zei^ Sokiaks die Konsequenz des Gegenteiles an
einem drastischen Vergleiclie, f'iprt dann aber hinzu: 'Wir haben doch wohl
die lltHiekuiist gröblicher li -i I i müht, als notig war; sie würde woW selbst
sagen: «Was treibt ihr sondernaren Menschen für Possen? Ich zwinge doch
niemand, der die Wahrheit nicht kennt, das Reden zu lernen» . . Also, sagt
Sokrates^ mfisse man seine Grflnde hlh«n. Diese Selbsterkenntnis hinderte also
Pkton nichts soerst derb und plebejisch wie ein Komiker Tonngehen. War das
seine Art? Hatte man ihm das TOrgeworftn, wie Natorp (PhiloL N. F. II 446 f.)*)
meinte? Jener possenhafte Vergleich lautet so: wenn Sokrates den Phaidros
Überreden wolle, sich für den Krieg ein Pferd an kanCan, ohne dals sie beide
ein Pferd kennten sondern nur glaubten, es müsse lange Ohren haben, und
wenn er gar darum ein Lob des Esels verfn^te nnd ihn als Pferd anpriese
wegen seiner treffliehen Eigenschaften im Kriege, dann würde er sich lüeher-
lich machen. Ehen die><en Vergleich hat nun Antisthenes gehruiicht.') Er riet
den Athenern, m der Volksabstimmung die Esel für Pferde zu erklären, und
als sie das Üfar fhSrieht erkürten, sagte er: *Aber Feldherm worden bei euch
doeh andi Leute, die niehts gelernt haben nnd nur durch Abstimmung dazu
«mannt sind' (Laert. Diog. VI 8). Auch Flaton hat eine tlmii^Aft Nnta-
anwendung des Vergleiches angedeutet: es ssi nidit mehr fichertich, sondern
sehlimaii wenn ein Redner die Bürgerschaft zu etwas Bösem uherreden woDte,
wie wenn es gut wäre, nur weil beide Teile nicht Gut und Böse könnten. Das
ist eine weitere Folgcmng ans dem Bilde des AntistheneB, das Plnton seinen
eigenen sorgsamen Erörterungen vorausschickt. Auch hier erkennen wir den
xtunxbg tqöxos, der das Bindvieh in die Polemik gegen Piatons Ideenlehre
brachte (Euthjd. 301 A).
Man thnt nidit gut daran, in all den verwickelten Problemen die spezielleren
modernen Untersuchungen ftst durchweg zu ignorieren, ihre Widerlegung gar
nidit EU Tenrachen. Denn wenn in ihnen andi manches Falsche mit nnter^
gelaufen sein mag, so werden sie doch nicht nmgestolsen durch allgemeine
Sitae, wie 'dafi» es eine Bmtaliiät wäre, wenn Platon, um den Antistbenes
personüeh m Ternngümpfen, dam seinen Sokrates Tsrwandt h&tle^ an dessen
i>üijuulor, Anüath. 68, Aksd. lU, Vgl. Zeller U 1* 301, 1. Jetzt will Stuemikl
wieder einan Unbekaoniai fllr Ant. ebtetten: Rh. Ifw. Uli 468 f,
•) Vffl. dagegen auch uieiDe Anm in SanjipeB Auag. «Icr GorgiaB (Berlin 1897) zu 4ClC.
') Vgl. Winckelmann, Aut. fmgm. 61 Anm. Schon Polykrateg !iri* l. die Kritik Jem
Öokrate« zu (Xcn. Aponm. I 2, 9), vgl. Joel, Der echte . . . Sokratea, ßcrliu lö9a, i 4bl,
V
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588
A. G«rck«: flolmtM liei Plftton.
Lieblingsschülern dief5cr Antisthcnes o;phorte* (Bruns 260). Diese St<^llini<r des
Antisthenes ist iinbr/t uo;t, mir seine Anhiin^lichkeit an Sokraies bezeugen uns
Xenopbon Mem. 111 II, 11- Symp. 4, 44; S, 4 ft. mul Laertius VI 2. Gesichert
ist dagegen, dai's dem feingebildeten Aristokraten iUatoa wie dem tiefgelelirten
Aristoteles der 'ungebildete' Proletarier von Hexaen unsympathisch war. Die
neuere Forschung hat ^Hmer seit Bitter das Sopliistisclie in 8«ner Lelire wie
seinem Auftreten hervorgdiobtti, und nadi den Anafilhmngen tob Windelbnnd
und V. Arnim ^) bleibt aufser dem persSnlichen Vorbilde des Sokrates ond
dem Streben nach Glückseligkeit ttiittclst Tugend kaum noch irgend etwas
Sokratisches an dem Schüler des Qorgias. Piaton konnte also den Pseudo-
Sokratikor, ävr jode Forschung unmöglich machto, mit gtitcm Rechte als
Sophisten angreifen und dem Sokrates die Rnlle de'; Kritikers übertragen. Er
nannte den Angegriffenen nie, weil er nach guter (it-piiogenheit Lebende nicht
nannte (auTser Ljsias und läukruteü im riiaidrus, wus Hermes XXXH 380 halb
erfcliii ist) sondern den Titos oder Gains seiduMte, um den IVibiua an kari-
kieren.') Das erUSrt uns sogleich, warum Bruns Poftrilts von Plafiona Bivalm
fiberiiaupt nicht nachweisen konnte (S. 261 ff.).
Aller WahTBofaeinliohkeit nadi ging der Phaidros dem Theaitetos und
Euthydcmos yoran, so dafs man die zunelimende Derbheit der Polemik gegen
Antisthenes beobachten kann, wie ja auch dem Isokratcs gegenüber Plafcons
Freundschaft in Feindscliafk umgeschlagen ist nnd diese sich immer mehr ter-
schärft hat. Doch das führt über den 1? ahmen dieser Erört^-rung hinaus.
Bruns leugnet durchaus, dafs der iUatonische Suknttes auf die litterarischen
Fehden des IV. Jahrh. ii^nd welche Rücksicht nähme, sogar im Phaidros
(9. 226), obwohl er diesen Dialog nicht schon zu Lebzeiten des Sokrates ab-
gefifdbt denkt sondern die ganze schrillsteUerisohe l%ätigkeit Piatons erst
nach 399 wegen Apol. 89 G f. mit Natorp beginnen UL&t (228). Nur ftr deu
Anhang des Enthydemos giebt er Spengels Beweisen nach und sieht in dem
nngenannten Rhetor den mit Piaton zerfallenen Isokrates (S. 314), glaubt aber
f iilHchlich diese Ausnahme besonders motiviert und Piatons vid härteres Urteil im
Munde seines Lehrers erhebUch gemildert. Wer diese Konzession macht, wird
sich schwerlich Spengels und Useners Auffassung der jiersöulichen Stellung
Piatons gegen T/ysias und für Isokrates und im Gegensatze zu dem Urteile dm
Antisthenes auf die Dauer verschliefsen können, er müfste denn mit Usencr
den Phaidros vor 399 oder wenigstens die betreffenden Schriften des Antisthenes
und den Beginn des Streites später ansetsen. Allein die Berfleksifiiitigung dner
drastisdien l^nisehen Aulsernng^ die ySiMg nnsokrattsch isl^ war ja schon oben
nachgewiesen, und das Eingreifen des Phaidros in die rhetorischen Zwistig"
') Windclliand iu seiner Epoche machenden npsrhit-hte der riiilo.^ophic; H. v. Arnim,
Diu von Prusa, üerl. 189t>, 32 ff.; vgl. auch Natorps Artikel Ant in Faulj-Wiasowas ReaJ-
eaeyklopftdie I S.
*) Bruns S. 260, der die Unterdnitk^uig de« Namens S. 3U beifl|iiellM nennt, hat
nilHchlich \t iall^'rmpinBrt, waa niaT^ einleuchtend richtijf Vi riicrkt 'man »tcMt nicht einen
Lebtiodcn dar und uiciut einen anderen Lebenden' ^Die att. iiercdü. II* 30 Anm.).
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A. Ctercke: fiokmtet bd Flaton.
keiten, wie sie etwa ein Jahnehnt nach Sokrates' Tode ausgetr^en wurden,
stebt anderweitig fest'); nicht Sokratea yerwarf alle Sehriftstellerei, was Lelira^
und Bnu» 226 f. ans dem PhaidroB bersnsgeleMn haben, «ondeni Pbton seibat
tritt hier gegen die lAyot yMypa^iJvot auf, Terstehi darunter aber die rheto-
rischen Übungsreden (und weiter Welleidit auch die Litfcwatur, aber ?OKZi^-
weise die nichtdiaiogische Litteratur): nur als Erinnerongsblatter behalten
JSeden Wert, etwa wie Kolleghefte, und so seine Dialoge.
Sonst sieht Bruns nur im Menexenos uns nidit nülu r bekannte littt rarische
Beziehungen, über die der antike Leser unterrichtet war (S. 359); aber diesen
Dialog hält er (eben deshalb?) fär unecht. Für die sicher echten, naeint er,
brauchten wir Iseiuen leitgescfaichtlicheti Kommmtar, mn sie und ihre Wirkong
sa Terstehen, obwohl dem antiken Leser, das giebt Bnms zu, manche ans Ter-
borgenen Anspiehmgen und ZmwMnmfmhKnge offen lagen. Das Terstehe ieh
nicht: wenn aniaere Anlasse fQr die Qestaltong einzelner Züge oder ganzer*
Dialoge vorlagen, so mufs deren Ermittelung ein unbestreitbares Ziel der
Forscbnng bilden, und ihre Resultate sind unentbehrlich für die Erklärung.
Wer vorsteht gerade die reifsten Dialogo wirklich, wenn er sich dagegen
prinzipiell verschliefst? Wer könnte wohl Piatons iiintwickelung in hoinen
iiehren wie »einer Dialogkuiist verfolgen ohne diese üesichtspunktc? Nur wer
•nf «UsB dieses Ton ^nniherein mstcfatet, dem kann der Flatonisehe Sokrates
als rMn hMtorisches P<»rfaAt ersbheinen und als Piatons Lebensaufgabe, dieses
Portiftt immer wieder in anderer Belendhtang m malen. Je mehr man da-
gegen sich in die Einzelheiten versenkt, um so mehr treten fast ttboall die
nnhistorisehen Zflge des Platonischen Sokrates hervor. Wo wir diese aber ver-
missen, da müssen wir weiter forschen, ob das nicht an nns und unserer
mangelhaften Kenntnis der geistigen Bewegungen in der ersten Hälfte des
IV. Jahrb. liegt. Das ssckeint mir eine rechte Nntzainveudung der bokratischen
ars nmnenäi statt der von Bruns geübten Zurückhaltung gegenüber den
modsmen Vennntnngen: die Simde dw Kritik mag nun hier ansetzen, das
skeptische iatixHv fördert nidii
DaOi Piaton trota des Sdiemes, als ob er die echte Sokratisehe Lehre
Überliefere, vielmehr seine eigene vortrage, die durch Anfiiahme Pjthagoieiacher,
Elsatischer nnd Heraklitischer Elemente eine durchaus andere geworden sei,
hat schon 1742 Brucker behauptet'); und auch Bruns erkennt an, dafs der
Platonische Sokrates oft Gedanken ausspreche, Hie sicherlich nicht er sondern
Piaton gedacht habe fS, 2^4 f ). Trotzdem behauptet Bruns, PUiton habe nur
unbewuist daä historische Hi\d »eines Meisters etwas geändert, das hebe abtjr
die subjektive Treue Piatons und seine Absicht, durchweg das Sokratesbild
nach dem Leben sa seiehnen, nicht auf (S. 282 f.). Ünd wShrend er hier von
•) Vgl. Hermes XXXTT ff urnl die dort zum Teil angcfTlhrte, nniriui<,'reirli(' Littcrntnr.
FaUch auch Windclband in Iw. Müllers Haadb. Y 1> 112 und Natorp, Phüol. N. F.
n 448 nebit Anm. It, richtiger diMW 484. Hinel Dial. I 176 Mend, vgl. 160 418.
*) Vgl Düring (Ke Lehn des SokratM . . Hflaeben 1666, 8. 6), der selbtt Xeaophon
auffafiit wie Bmn« Flaton.
590
A. Oercke: Sokntos bei FMon.
einer yoniiuMeteiiiig spricihty beMichmt er bald dusuf (S. 285) es ab eine
Thateache^ dafli Plaion Jaliraelinte hindurch fortgefahren habe, den Sokratee in
derselben Art va. Terwendan, wie sie ursprünglich naeh dem Tode des Mdatem
aufgekommen sei. Er schliefst daraus, dals auch der selbständiger und ein-
flnfareicher werdende Philosoph damit laut bdcunde, dals nach seiner Ansicht
die wi'ssenscliuftliclien Fortsclirittc seiner pigenon Forsclinng wie der des ihm
nahestehenden Kreises, da sie nur die Arbeit dos Sokratcs fortsetzten, sich atich
nur als die Fortsetzung .s»'in« s Lc})cnswerkfc's geben durften. Das ist der Staud-
punkt von Lehrs. Und duiuit ist die seit Brucker immer meiir gefestigte and
▼cn Bruns im Prinsipe eingeräumte Grondansehauung naheou wieder anf-
gegoben: entwed» lehrt der Platonische Sokrates sieiher ünadEnftnohee^), oder
er tiiut es nidit — terUim nen äaiur.
Zum Belege s^er Ansicht fOhrt Bruns die Ideenlehre an, deren Geneab
* PLatons Sokrates im PLaidoii })eschreibt. Ob diese Angaben^ namentlich betreffs
des vergeblichen Versuches, das System des Anaxagoras auszubauen, historiscbee
Miiterial entweder über des Sokrates oder über Platons Fi-twickelungsgang
enthalten, ist ein vielerörterte« Problem, das nucli iiiclit siciu r entschieden i«?t.
Aber entschieden ist, dafs die Ideenlehre unsokratisch ist und nicht eint- ein-
fache Fortf&hrung der logischen Begriffsbestimmungen darstcUt sondern über
ihren engen Krms su einer nmfiuseuden metaphyaisdien Sp<Uation hinaus-
gedrungen ist, und das unter dem ]Sin£usse der Heraklitischen Lehre des
&atylos und wohl nodi mehr der entgegengesetzten Bkatiseh-HegariaeheiL
Diese Ergebnisse der philosophischen Forschung wie ihre Begründung ignoriert
Bruns und erklärt rundweg: *Es läfst sich nichts abdeuteln an der Thatsachc^
dafs Piaton damit den Kernpunkt seines Systems, die Ideenlehre, der Anregung
des Sokrates zu verdanken behauptet* (S. 286).
Die Ideenlehre ist eng verbunden mit der Pythagoreisch-Platonisclieu von
der Wiedereriunerung, mit dem Glauben au tliw Ewigkeit der Seele, wie
das schon der Phaidros mit dnn FeiMr fast jugendlldier Begeisterung^) aus-
geführt hai Sokrates abw hatte dieses ganie Gebiet ftlr auiserhalb der
Wissensdiaft liegend gehalten und persSnlich sich nicht einmal darin fest ent-
Bcliieden, ob die Seele nach dem Tode des Körpers fortlebe oder nicht.*) So
läfst Piaton ihn in der Apok^e 40C ff. sich äulsem, und gewils historisch
treu. Dann muls aber sein nnbedingUs Eintreten fiir die Unsterblichkeit im
Phaidon unhistorisch sein, wie auch die siiintliehen Beweise. Und diesen
Widersi)rueh gegen die Apologie mufs Piaton hewul^it begangen haben, weil es
ihm nicht mehr auf die Person des Sokrates, sondern auf seine inzwischen ge-
wonnene Überzeugung, die neue Wahrheit, ankam. Das lalst er den Sokrates
«) Da« ha/k schon der heote leider vemacbl»8aigt« Schleiermacher mit markigen Stricben
nachgewiesen und z. B. Natorp genauer Mr Qmfgtas und Phaidn» verfolgt (Aidiiv f. Gesch.
d. PhiloB. U 402 ff. Phüol. N. F. U 588 ö ).
^ Noiden, Die antShe Kwiftineia, Leips. 1898, 1 69, i ; 106, 2. Brana UUt dicM «tdiaiucbe
Bpiaohe flb Kach^ilduu^ «los Stilea de»
^ Vgl. ZeUer U i « IBO. Meine Eiul. su Plat (iwg. 31 f.
A. Oercke: Sokratds b«i Flaton.
591
flfllbst amapredien: 'Ihr aber, wenn ihr auf mich hdri^ achtet gering dra
Solnateiy die Wahrheit aber viel höher, and atinunt mir, wenn ieh euch
Wahres an aagt n scheine, zu, sonst aber widersprecht mir in jeder Weiee*
(PhaidoQ 91 C). Ebenso hat später Aristotelee der Wahrheit den Vonsug ge-
geben vor seinem Lehrer Plat(jn.*)
Deutlicher konnte dieser kaum bezeugen, daCs es <^ar nicht seine Absicht
war, in dem Lehrinhallc des Phaidoii ein getreues Bihl (h r von Sokrat*"*! einst
empfkugeueu Anregungen und Lehren zu zeichnen; nie treten vieüuehr in
GegenaaliB an der Person, ünd das dürften wir, anch ohne das &ngnis des
Phaidon, dodi nie Aber der kOnsUerischen Form der Platonischen Dialoge ver-
gessen, dab ihrem Yerftsser ihre künstlerische Ansgestaltung eine ittudid, ihr
philosophischer Gedankeninhalt die Hauptsaehe war, um derentwillen er jene
schrieb: nicht der ßiog £«ni^As€vs war sein Ziel, sondern die d6i<u IJXtctmviiiutCf
die Forschnng der Schule, von der die Dialoge nur Abbilder, f^Stoln, waren
(Phaidr. 276 A\ Und war der Sokrates in vielen mehr als ein tlÖaioVf mehr
als der typische Vertreter (Ut IMatonischen Plulu.sophie?
(iewiis hat Platou im i'hauiuu, im Kriton und iu der Apologie die Gestalt
de« Sokrates nach dem Leben gezeichnet und viele historische Einzelheiten
ans seinen letaben Tagen anseheinend getreu berichte^ nnd anbh andere Dialoge
tragen sichtliche PortriittQge. Das verkennt heute wohl niemand. DaTs es
noeh einmal mit Niu^hdmck hervorgehoben wird, ist gewilk nütsdich. Ah»
man darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Nicht einmal das historische
Detail ist überall getreu oder sinngemafs wiedergegeben. Dafs z. B. die an-
gebliche Hilflosigkeit des Sokrates als Prytane im Jahre 406 unhistorisch im
Gorgias 473E geschildert ist, hat man bereits im Altert unie bemerkt (Athen. V 21 7 F).
Ja selbst die Darstellung der letzten Tage des V'erurtoiltcu und der Gang seines
Prozesses sind von der Legende bereits ausgeschmückt und von der Apologetik
verUari*) Das schadet freilieh den Dialogen um so weniger, als das Persön-
liche meist nnr 'wie beilftufig' auftritt (Bruns 119).
Aber au den PortrUafigen geh5rt mehr, das ganae Auftreten des Mannes,
seine Ironie und Bescheidenheit, seine maieutisch- dialektische Methode der
Induktion, sein religiöser Glaube und seine politischen Überzeugungen. Wenn
Piaton diese historisch treu wiedergef^cben hatte, dann hatten wir mit einer
Thatsaehe von weittragender Bedeutung zu recliiien. Alier das hat er nicht^
wenigstens nicht mehr in den kunstvollen reiferen Dialogen i'haidros, Gorgias,
Theaitetos, Symposion und Phaidon, noch weniger in der Hauptmasse des Staates.
Es würde zu weit führen, hier darzulegen, wie nicht nur der Lehrinhalt ein
anderer, umlunenderer und vertiefter geworden is^ sondern audi die Deduktion
an Stelle der Induktion tritt, systematiBdie Darlegungen Platz greifen und
Sokrates mit sicherem, Insweilen fost unfehlbarem Selbstbewulatsein auf die
unwiderleglichen Resultate seiner Philosophie hinweist, ohne die Gründe der
') Nik. Ethik I 4, vgl. Archiv f. Gesch. iler Thilos. IV 132 440 f.
*) Uijczel »teilt das 1 191 ff. im Zauunmeiüiaiige mit dea AnaduoniBmen vondglieh dar.
592
A. Qercke: Sokratoa bei PUton.
RivaleD PlatonB wa umgehen und ohne Hdi m machen vor den leisten Fhigem
des Leboie. Audi hier finden eidi noeh ah und an einielne historioehe Portrftt-
iflge eingestreat, aber mit unendlicher Kunst zusammengewob«! mit all den
undersartigen Elementen, so dafs ein dichter Schleier fiber Piatons Dialog-
kanst zu liegen scheint: es ist der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.
Ihn hat cn^t in jünfistor Zeit die Piatonforschung zu lüften y^egonnen');
und noch feLlt viel zu dem voUstäiidigcu Nachweise, wie Platonö Idealfigur
sich auä dem historischen Sokrate» güDetiäch entwickelt liat. Aber die Forschung
scheint mir auf dem besten Wege. Denn wir verstehen diese Gestalt voU-
Icommem, wenn wir iriieen, wie sie entstanden tet (Bnms S. 282). Und wir
vwstehen dann aneh Plalons YerUUtnis an Sokrates nnd die innere BntwicdEelni^
des nnTergleieUichen Genius, die uns noch hoher stdit als das Portrftt seinea
Lehrers. Piaton hat, so viel scheint mir schon jetzt klar zu sein, dem Sokrates
die BoUe des Gespnichsleiters in seinen ersten kleinen Dialogen gegeben, als
er selbst noch durch und durch Sokifitik« »- war oder sich doch wenigstens
als solcher fÖhlte; das war eine Thiit pi t it\ oller Dankbarkeit. Aber die philf>-
sophische Wahrheit stand ilim höher als die historische und als »eine Freunde.
Zuerst vielleickt uubewuiät miäcUte er ünsokratisches dem Bilde bei, allmählich
bewubtnr. Denn er konnte gar nieht an dem historischen Sokrates bis ins
einxelne festhalten, als er in der wisaensdiafUiehen Methode, im Umfrage
seiner Forschung^ in der ProUemstellung^ bans in aUem WesentliehM Aber ihn
hinauskam und der erste Oiganisslor der Wisnenschaft, der erste grobe
Philosoph wurde. Dafs er trotzdem an der Gewohnheit seiner Jugend fest-
hielt, dem SokrateH alle seine Errungenschaften 7n?;nschreihen, fremde das zeigt
die Stärke seiner Pietät. Aber darauf konnte er nicht gefafst sein, dals man
deshalb sein Eigentum ihm absprechen und ihm nur die dichterische Form
der Dialoge und eine sorgsame AusAlhrung und Fortbildung') Sokratischer
Lehren laraan wUrds, dafs man, nm seine Pietät und Diditematur zu heben
oder an retten, den Philosophen preisgeben, die Wefarheit selbBt (wie er sagt)
dner Person cplbm wflrde.
Piatons Sokrates ist also in wesentlichen Stttcken anhistorisch. Aber ist
denn das so schlimm oder merkwfirdig? Bruns meint S. 284, die Dialoge
'alten Stih* wären doch für Leser geschrieben, die Sokrates noch personlich
gekannt hätten: für einen Zwitter-Sokrates hatte also weder das ihm freundliche
noch das erat für Sokrates zu gewinnende Publikum erwärmt werden können.
Ich denke, das wollte l'latnn auch gar nicht, oder wenigstens schon l)ald nach
') Treffond hat Hirzel (Der Dialo-,' I 174 ff.) riatons Kunst fjoiccbildert. Den echten
Sokrates von dem Flatooischen za scheiden, wie ihn Joel von dem Xenophoutischen lu
MheidSD vmaeht hat, habe ieh aadi dem Ttngsqge Sohleiennaehen und Katoipe (oben
8. 604, 1) üi der Eiiileiinng saat Gotgis* % A (vgl. Sttch % 6 und 6) nudhdut für dieiea einen
Dialog gewajft
*) Lehm meinte, Hokrates selbst würde diese Konsequeazen bei etwa tortgcsctztem
Lehnn geiogen haben. Aber «r iifc doch Uber tiebnB> JsIim alt gewovden, «tarb sIm in
einem Lebensalter, wo in der Regel niemniid mehr .von neuem anietit sn vOllig neoer
Problemstellung und Orundonschauung.
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A. Oerclc«: Bokniet bei P!»toii.
593
399 nicht mehr, sondern für seine eigene Philosophie werben, für die nent»
Walirlicit, die sivh ihm orschlosson. Wer sie bekämpfte, der btkämpfk' nicht,
den Sokruks oder belb»t Platou, äondoru die Philosophie (Gorg. 484 A), der
belAmpfte die «btolute Wahduiit (Gorg. 486 B). Dtts genügt sn der von
Bruns S. 283 f. gewOnachien Erkttnmg Ittr Platons Verfiüiren. ünd wie dieser
striUen ancH seine ZeiligulOBBen und Gegner, Philosophen, Sophisten und Rheioren
fBx sieh und ihre Schulen. Hfttte Flaton absnts stehen und sein Sokrates-
portrüt ausmalen sollen?
leokrates hat sich in vielen Schriften mit Piaton auseinandergesetzt, ohne
ihn je zu nennen. Antiathcnes hat heide mit kTniscber Derbheit angegriffen.
Sollte Piaton dazu schweigen, weil die Dialogform zur Antwort nicht palste?
Hatte er ^ich in der künstlerischen Form vergriffen und blieb ihr aus Eigen-
sinn oder aus falscher Pietät gegen yokrutoa getreu V Wemi etwas, so wer
doch gerade das Sokratisehe QesprSeh geeignet, nieht wie dn GemSlde auf
etwaige Bedenken su schweigen, sondern alle Einwinde und AngriA su herflck-
sichtigen und sn beantworten, mochte immer der Gespiiehfthrer als ein Zwitter-
Sokrates erscheinen. VieUeicbt hat d«r alternde Flaton wirklich ähnlich darttber
gedacht, da er in den 'Trilogien* die Gestalt des Sokrutcs fest ganz bei Seite
schiebt. Aber das that er, als die Generation, die Sokrates personlich gekannt
hatte, fast ausgeätoriien war.
Wie stellt(Mi «ich, als sie noch <^rol"senteil3 lebte, Platons Leser zw seinem
Vt'rfnhrt'iiV Erschien es ihnen al« Willkür, als unborcchtigte und unverzeih-
liche Auhistoresie? Schwerlich. Polykrates hat Sokiates nach 393 angeklagt,
wie wenn er noch lebte, aber seine Vorwürfe trafen nicht mehr ihn sondern
den Antisthenes')^ und dessen Freund Lysias lieb Sokrates sich gegen diese
neuen AnUagepunkte mit kynisdi-lysianisohen Ghünden*) verteidigen; beides
war unhistorisch und doch fftr Leser bestimmt^ die Sokrates persSnlieh gekannt
hatten, die aber auch in der Rhetorschule gelernt hatten, sogar den That-
bestand zu verdrehen, wenn das wirksamer schien.') Xenophon hat in seine
Sokratischen Schriften viele Sätze aufgenommen, die er nie von Sokrates gehört
hatte, die vielinelir ans Schriften des Antisflu-nes Mind Platons Vj stammten;
namentlich die kynischen Lehien hat er, t^oweit sie ihm gefielen, unbefangen
seinem Lehrer zugeschrieben. Und Piaton hat es wenigstens seit 393/0 nicht
viel anders gemacht, er hat ihn eingreifen lassen in seine eigenen Kampfe, er
hat ihm sdne Lehren zugeschrieben, auch wenn sie den Sokratischen schnur-
stracks widerspiacben, wie die Todammung der groJaen Staatsmftnner Atheni^
er hat dem Polykntea ein ganz neues System entgegengestellt, das Sokrates
als Philosoph von Beruf im Gorgias vortragt, und er hat schliefslich Sokrates
M Jop! , Der echt« und der Xenophontische Sokrates i 481 , eine wichtige Erf^nzunfif
meiner AuMi'ührungen über Poljkrates in der Einl. zu PI. Gorg. 43 ff. Anders Bruns 193 ff,
*) Er er^d wohl aneh die GMehiebte, datb 8okr. 70 oder 80 Mini» gesrbt, saBgeliehen
und verloren hal)e ohne Bewegongf davon weif« anliier libantoi Apal S. 7B. ant Demetrioi
JPbal. Iici Plut. Arist. 1.
*) Vgl. flermes XXXU 354. • '
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A. Gereke: SokittfcM bei Plsion.
softnunpfen laaseiij dals di« nrae Walirheit die abBokte Walirheit ad, dnreb
stfUenie and eiieme Bude geridieri Wm werden dasn die feinlllUigen Zeit-
genoesen Platotis gesa^ baben?
Darüber liefen im Aliertume allerhand Anekdoten nm, wie z. B. Sokrates
babo Platnii den Lysis vorlesen boren und darauf ausc^erufen: 'Beim Heraklei^
wie viel lütj^t mir der Jüngling an' (Laert. Diog. III 35, vielleicht aus einer
Sckrift des Aiitisthnies).^) Das i<?t tvpi<cli wahr. Und "als T'laton etwas i^vir
zu zuversichtlich voi-tnig, <?agte ihm Aj'istippos * unser Meister niaehtv es nicht
so*, womit er Sokrates meinte' bericbtet Aristoteles Khet. II 23, offeubai aus
einer Schrift des Kjrenaikers} dieser Sftts erbalt etat eine Pointe, wenn er
nicht gegen eine mflndliehe Anberang des Rivalen sondern gegen eines seiner
Sokratiflchen Gesprache^ g^gen Piatons Darstelhing des Sokrates geariditet wir,
aomal Aristippos seine Gespiidie dem Sokrates nicht sasehrieb.*) Die Zeit
g( iiossen scheinen also gesehen zu haben, wie stark I^ion von der historisclMii
Wahrheit abwich. Aber trotzdem war der Sokrates seiner Dialoge 80 gesoebl^
dafe Hermodoros ihren bnchhändlerischen Te'trif!) übernahm.
Auch Aristoteles hat sich niclit. wie Bniti-. tausclien hissen Er trennt
ganz genau die Lehren des S(>kv!«t* '^ und die der ^okratlschL■n Dialoge, die er
zusammen mit den &YQa<pa &6yuara Piaton lafst. Und die Dialoge weiht tr
in der Poetik der Poesie zu, trotz ihrer prosaischen Form, irahrend er doch
sogar das Lehrgedicht des Empedokles um seines trockenen Inhaltes willen nur
Prosa rechnet. Aber fineilicb stmd ihm die poetisdie Wahrheit höher als die
historisdie, und er konnte daher Flaton nicht tadeln, dab auch dieser die
historisebe Wahrheit und die einselne Person gering anschli^ gegenftber dsr
philosophischen Wissenschaft nnd ihrer poetischen Einkleidung
Usener*) mag etwas zu weit gegangen sein, als er Phiton jeden histori-
schen Sinn absprach: »her man kann doch gcwils <<ein Urteil nicht ins Gegen-
teil verkeliren. nnd das ohne durchschlagende Gründe. Denn Plat^ins eng-
definiertij Pietät und ein angebliches Stilgesetz, das Norden nicht autrkennen
Würde, sind keine in Betracht kommenden Qegengründe gegen die überzeugenden
Argumente der beatigin Platonforsdiang.
') Xhtdidi soll Aich Gorgias über den nach ihm benaDtttea Dialog g^dtaberi babes
(Hennippon n a bH .\thr»n. XI 505 0 f V
») Preufs. Jahrb. LJII 17 if. Vgl. Hirzel I 186.
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HEßZOG MORITZ VON SACHSEN.
Von HuBBBT EuasoB.
Kein Abschnitt der Geschichte Sachsens hat die Forschung in den letzten
Jahrzehnten so lebhaft beschäftigt als das XYI. Jahrhundert; und es ist dies
wohl begreiflich; in keiner anderen Zeit war die Verkettung der Landesgeschichte
mit der allgemeinen Geschichte Deutschlands so eng wie in dieser. Gleich-
wohl waren drei der wichtijjsten Anf'^iihen auf diesem Gebiete bisher noch
ungelöst: wir meinen die Lt'l)Lnsl)üscLreibungen der drei Albertiner Georg,
Moritz und August. Eine dieser Aufgaben hat iiireu Bearbeiter nunmehr ge-
funden; wir bcgrOlsen in dem tine vorliegenden ttatttieheii Bniicto*) die erste
abaeUielsende Dantellung der Qesohichte des Herzogs Moritz «Slirend der
ersten Periode seiner Regienmgy bis zur SeUaeht bei MflUberg.
Zwei Ziele, so sagt der Verfasser im Yorwortf habe er sich gesteckt:
den Charakter und die einzelnen Handlungen des Ikr/()<rs Moritz zu verstehen
und die Bedeutung seines Wirkens für Deutschland und für Sachsen zu be-
stimmen. TTntr>'fr>hr so wird wohl jeder M*ine Aufgabe formulieren, der die
Bio£^phie L-iner bedeutenden geschicln liehen Persönlichkeit sclirciben will.
Aber die Aufgabe hat in unserem l'iiUe ihre besonderen Scliwierigkeiteu.
Moritz gehört zu jenen problematischen Naturen, vor deren geschichtlichem
Wirk«i ein frflhw Tod den Vorhang fidlen lieb, bevor seine letaten Ziele er-
reicht, vidleicht bevor sie klar erkennbar waren. Solche Persönlichkeiten
bieten dem phantaaiebegabten Oesduchtsdireiber einra willkommenen Tnmmd-
pla^ ftir luftige Konstruktionen. So hat d«m audi Moritz, der in der kritischsten
2ieit des Beformationsjulirhnnderts, in der Ziat des ersten grofsen politischen
Kampfes zwischen der alten und der neuen Lehre und zugleich zwischen alt-
hergebrachter reichsständieeher Freiheit und der aus Spanien eingeführten kaiser-
lichen Selbstherrlichkeit eine iiussehhiggebendc h'nHe gesj)it'lt liat, von jeher
eine groisc Anziehungaki-aft auf den Forscher ausgeübt. Ubergehen wir die
ältere Litieratur| die abgesehen von einer bedeutungslosen Hofhistoriographie
ansnahmsloi — im protestantischen wie im katholischen Lager — in Moritz
lediglich den arglistigm Egoisten und treulosen BetrOger sah, so hat bekannt-
lich zuerst F.A.v.Langenn den Versuch ein^ sktenmaisigen Lebenabeaehreibung
des Fflrstrai gemacht Der vielseitig gebildete Erzieher E5nig Alberts hatte
sich dabei freilidi eine Angabe geatellt, die sdne Kräfte ftberstieg. Noch
') Moritz von Sacbseo. Vod Erich Brandenburg. Erster Band: Bi» zur Witteu-
beiger Kapitnlation (1647). Mit Titelbild. Leii)2ig, Teabaer, 1999. Vm, M7 8. 8^
596
H. EnuMch: Henwg Morits von Badnen.
weniger ab m aelneni Bache Ober Herzog Albrecbt ist er im stände
das flberreiehe Material m bewältigen, mmal er bei desflen Sammltitig eich
auf die Hitiiilfe anderer angewiesm sah. Auch stand Sun. fiHit nur das Dreadner
Archiv zu Gebote, das damals noch nicht so beqnem zuganglicb war, als es
heute ist, dank vor allem der verdienstlidien Thäti^keii Karls von Weber.
Immerhin hat Langcnn eine Grundlage geschaffen, die für Jahrzehnte der
weit-fTPii FnrHclniDif Ausc2;ant^pnnktp bot. Auch das geist- und gesehmackrolle
Buch von Georg Voigt, das e<'i!au donsolben Zeitraum behandt-lt wie das uns
vorliegende, beruht, wenn auch inzwischen die Aufsatze von Cornelius,
Wenok u.a. und vor allem die gediegenen Quellenpublikationen von A. v. Druffel
das Material erweitert imd sein Verständnis vertieft hatten, doch nun groJseren
Teile auf Langenns Wwk; nur für die DarsteiUnng des Sehmalkaldisehen Kricgea
konnte sieh Vo^ auf eigene snihiTalisehe Forsdnmg Bttttmi. Wollte man
aber zu einer unbefangenen Würdigung des Charakters xmd der Politik von
Morits gelangen, so war eine wiederholte gründliche Durcharbeitung der Quellen
unumgänglich notwciulig und 7war vU'hi allein der dva Dresdner Archivs,
sondern eheuso der Archive zu Weimar, Wien und vor allem Marburg, auf
dessen >iis flahiii ungehohene Schätze Max Lenz 1879 in seiner ansprechenden
Schrift über die Mühiberger Schlacht zuerst entschieden hingewiesen hatte.
Angeregt durch Voigt, hat sich S. Ifsleib an diese mfihselige Arbeit gewagt.
In einer Reihe von AuMtaen, die in den Jahren 1877 — 1894 in den Mife-
tdlongen des K. S. AltertumsTereins, in t. Webers ArchiT und xumeist in des
Referenten Neuem Archiv f. Sachs. Gesdüchte erschienen sind, hat er die Er-
gebnisse seiner umfassenden Forschungen niedergelegt, die zum grolseren Teile
allerdings die spatere Periode der Regiernngszeit des Herzogs hetreffen; gemd*»
die hier in Betracht kounueiiden Aufsätze ül)er den Anteil Moritzens an dem
braunschweigisehen Kriege -/eigen noch am meisten die Sehwachen von Erstlings-
arbeiten und würden vielleicht zu etwa« anderen Ergebnissen geführt haben^
wenn der Ver&sser damahi sdum flba die Kamtnisse Terfttgt luttle, die er
sich in der Folge erwarb. Zu einer Zunmmen&ssnng des Gesamtbildes der
PenSnlicfakdt, einer pi^diologischen ErUimng der Politik von Morib ist
lisloib nicht gelangt.
Diese Aufgabe hat sich nun ein jUngerer Historiker — irren wir nieh^
aus der Lenzschen Schule — gestellt, und er zeigt sieh^ soweit der uns vor-
liegende Band ein Urteil gestattet, ihr volhuif gewaclisen. Brandenburg hnt die
Sache nicht leicht genommen. Um sich gegenüber den bisherigen F'orschungen
ein unbefangenes Urteil zu verschaffen, hat er mit bewundernswerter Arbeits-
kraft nochmals das ganze ungeheure Material, soweit es in Dresden, Weimar
und ICarburg lag, bis ins einselne durdig^ommen; was Berlin und Wien,
Paris und Simancas etwa noch bieten soUten, wird das OeaamtbUd schwerlich
in irgend einem Punkte Sndem. Der Auftrag der Slichs. Kommission für Ge-
sduchte, die bezüglichen Briefe und Akten in einer besonderen Publikation
herauszugeben, gestattete dem Verfasser, die Quellennachweise auf das aufserst»
Mals zu beschranken, und dies tragt wesentlich dazu bei, das Buch nicht blolis
.^ .d by
B. Enniidi: Henog Honte von BBebfen.
697
für den Forscher, sondern auch iür den gtibüdeteu Leser geniefsbar zu machen.
Sein Umfang wird den letzteren zunächst freilich flberraschen; TieUndit vure
hie und da eme knappere FMnung möglich gewesen, wie Überhaupt die fonaale
Bdumdlntig der Aufgabe noch ein gewiaaes Bingen mit dem Stoffe Tenrät^ das
die LektOre nicht eben an einer leichten macht Yma Standpunkte des Forsehera
aas kann man es jedoch nur billigen, wenn Brandenburg seine in mancher
Hinsicht von der bisherigen abweichende AufhsBtmg bis ins einaelne za be-
gründen bestrebt ist.
Die kiiappe Übersicht über das Werden der wettinischeu Staaten, mit der
Br. das Buch einleitet, iat nicht ganz einwandfrei.* Einen so wichtigen AhHchniit
die Erwerbung der Kur in dieser Kntwickelung bildet, so ist es doch zrn viel
gessgt, wenn Br. meint^ erst sie habe die Stellung der Wetfciner im Reiche
begründet;, viefanehr wurde »e umgekehrt ihnen fibertrsgim, weil sie Tenn5ge
ihres geschlossen«! Territortslbestties thateftchlidi schon vorher die politische
Erbschaft des zerfidlendcn Tlerzogtums Sachsen angetreten hatten. Von ^l ofaer
Bedeutung in wirtschaftlicher und politischer Beziehung ist das Verhältnis zu
den nordlich (und östlieb) angrenzenden Gebi» t"T>. und für dieses Verhältnis
war die Beherrschung ih r Alitteleibe und der Siuiie mafsgebend. So richteten
sich schon früh die Blicke der Wettiner aoi Magdeburg und lliiiie und gerieten
dabei in Wettbewerb mit den HoheuzolJem. Der Gegensatz zwischen den
beidm benaidiharteii Fllrstenhauaem irare von Tornherein ein viel schärferer
gewesen, wenn nicht die verUhignisTolle Wendung, die die wettbische Haus-
gesohidite durdi die Teilui^ des Jahres 1485 nahm, eine Ablenkoi^ herbei-
gefilhrt hätte; unfruebtbure Familienzwistigkeiten , verschärft durch die vor
schiedeneSteUung^die beide Linien in den ersten Jahraehnten des XVI. Jahrhundert«
der Heformatlon po<;enüber nahmen, hindort"'i » it) treschlossenes Auftreten nach
aufsen und wurden entscheidend für die Zukunft dea Hauses und des Landes.
Wenn die «^roi'se Zeit der Refnnnatiim, in die Moritzens Kindheit und erste
Jugend füllt, keinen tiefgehenden fiinÜufs auf die geistige Entwickclung des
Knaben geübt hat, so waren daran vor allem die wenig erfiredichen ZniriSnde
seines Elternhauses schuld. Sein Vater Heinrich, wii 1605 mit einem sehr
beecheidenen Lsndbesits ausgestattet, stand fortdauwnd in AbhSngigkeit von
SMnem Bruder Georg, dem entschiedenen Gegner Luthers und seiner Lehre.
Nur sehr allmählich wurde dieser £influfs verdrängt durch den seiner mecklen-
burgischen GemiiliHn Katharina, einer 'willensstarken, aber hochmütigen, herrsch-
süchtigen und geizigen Kran*, die ihren erheblich älteren Gemahl geistig weitaus
überragte; wohl weniger aus innerer Überzeugung, als geleitet von dem lit^
streben, durch Anschlufs an die Ernestiner die drückende Abhängigkeit von
Georg abzaschfltteln, schloia sie sich alsbald der neuen Lehre an. Jahrzehnte-
lang schwankte Heinrich haltlos awisefaen diesen GegensKtsen hin und her, und
dieses Sdiwanken mufote notwendig eine Bficdcwirlcnng anf die Erziehung der
*) Nicht da« Vogtland, «ondern du PMfimerland fiel nach drat Anwtncfaea der Stanfea
aa die Wettin«r (ß. 1), Die Brbdntuig mit Brandenburg und Heaaen i«t von 187S (ß. %),
^8 HL Eunuch: Herzog Morits tob Saduen.
■
älteren Kinder Oben; eine religioee Gnmdmufihanong, die im Kampfe der
materiellen Interessen einen eittlieben Halt geboten hatte, konnte aicli nicht
bildoL Herzog Oeorg, deeaen alterer Sohn in kinderloser Ehe mit der lebena-
loatigcn Schwester des LandgFBÜBn Philipp von Hessen, Elisabeth, lebte, and
dessen jüngerer schwachsinnig war, sah schon früh in seinem Neffen Moritz den
Nachfolger und war darauf berlacht, ihn den Einflüssen des Elternhauses zu
entziehen; allein weder der Aufenthult am üppigen Hofe des Kardinal-Erzbischofs
Albrecht von Mainz, noch die Jahre, die Moritz in Dresden bei seinem strengen,
ernsten Oheim verlebte, vermochten auf die Seele des Knaben eine tiefere Ein-
wirkung anflEufiben, wenn aadi die Dreadner Zeit dadnreb fllr ihn aebr widitig
wurde, dab aie ibn in nShere Beadelmng an dem Manne bradite, der dann in
den ersten Jahren seiner Regienmg den maßgebenden Einflnb besals, an
Georg von Carlowitz. Am Hofe Heinrichs waren inzwischen KsOiarina und
die lutherisi he Partei zum Siege gelangt; die Entfremdung zwischen den
Brüdern lüitte sich so <rfst»'igprt, rkfi^ Gfnr<i;, dosscn älterer Sohn Johann 1537
starb, mit allen MitU-Iu den Bruder von der Naclifolge anszuselilierseii strebte.
Für den jungen Moritz hatte dies die Folge, dals er zuui drittenmal in eine
ganz andere Lebensluft versetzt wuide; er kam nach Wittenberg an den Hof
des Enifnrsten Johann Friedrich. Allein weder dessen pedantiadie PersSnlidi-
keif^ noeh die religiösen Strömungen, die er hier Torfend^ Termoehten anf den
bis an seinem 16. Jahre kaUiolisch enogenen Prinaen tieferan Sindmck la
machen.
Im Jahre 1539 starb Herzog Georg, ein müder Mann, der einen Lebens»
plan nach dem anderen scheitern gesehen hatte; aucli seine Bemühungon, dem
Bruder die Nachfolge in seinen Landen zu entzielieii, waren umsonst gewesen.
'Er lebte in einer Zeit, deren treibende Kraft er nicht begriff; so rang er
gegen sie mit der Ausdauer der Verzweiflung, obwohl er die Mitstreiter um
sidi her erlahmen oder fallen sah, obwohl er sich schlieüslich selbst kanm
noch Tsrhelilen konnte, dnfe aein Mflhen vergebens sei nnd dab nach sdnem
Tode die Flnt der Eeteerei andi tlber sein sorgsam umhegtes Gebiet herein-
brechen werde. Wohl mag man seine Handlungsweise Terbisseii und hals-
starrig nennen; aber das Zeugnis wird ihm nionand Twaagen: er war ein
ganzer Mann und ein ganzer Fürst/
Die Nachfolgt' Heinrichs bedeutete die Einführung der Reformation in die
Lande der Aibertiner. Allem sehr bald machten sich Gegenströmungen geltend:
mit Johann Friedrich, der anfangs einen grolsen Einllufs geübt, geriet der
Dresdner Uuf alsbald in den hergebrachten vetterlichen Gegensatz; die gröfsten-
teils der alten Lehre nmdgenden StSnde konnte der ewig geldbedfirftige Herzog
nicht entbehren; die Forderungen des Sehmalkaldisdien Bundes, m dem Heinridi
bereiis von Freiburg aus in Beaiehung gekommen war, fibersü^^ sone KiSfte.
So geriet er in eine Stellung zwischen den lleligionsparteien, die auf die Dnuer
unhaltbar gewesen wäre. Für Morita hatte das den Vorteil, dafs er nach
keiner Richtung gebunden war, als er nach dem Tode des Vaters 1541 die
iiegierung antrat
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B. Bmiach: Btnog Monis von SachMii.
599
Em Band hatt« er kurz vorher allerdings geknfipft, das gi'ofse ße-
(kutuiig fiir ihn hiil>eii sollt<<: tn hatte sich im Januar 1541 mit Agnes, der
jugetiUliuhen Tochter deti Landgrafen Philipp von Hessen, eines der Häupter
des Sehm>]kiildiadbeii Bnnde^ ramiSlilt. Die Verbindung wurde vor aUem. be-
günstigt dureb de« Lan«^feii Schwester Herzogin Elinbeih, die von ihrem
WhnreDeitm RodhlitE ans eifrig bemQht war, poliUschen Einfluft auBKufiben,
eine Frau n ii männli( hom Geiste und Mute, wohl die interessanteste Erscheinung
unter den Frauen der Refonnationszeit, deren noch wenig bekannter Briefwechsel
iJfm Verfasser eine rtielic Quelle füv die Kenntnis der Personen und der inneren
btrömungen jener Zeit bot; die Eitern, denen Moritz ziemlich frtjmd f^genüber-
stand, waren der Heirat entschieden uh^'enpigt, seitdem Philipps berüchtigte
Doppelehe den Gegensatz, in den Heinrich aus manchen Gründen mit Philipp
geraten war, erh^fidi Tenehirft hatte. Wenn Moriia sie trobdem mit der
rttdcaiehtBloeen EniBcfalossenheit und der Tornehtigen Geechicklicbkeit, die er
bei dieser Gdegenheit snent teigte, dnrdigesetst ha^ to war es wohl weniger
die unbedeutende Persönlichkeit der Braut, als das innere Verhältnis, in das
er SU ihrem Yater ge la mmen war, was ihn leitete. 'Philipji ist wohl der einzige
Mann gewesen, dem Moritz sein Leben lang eine herzliche Zxmeigung bewahrt
hat, so wenig Herrschaft sonst das Gefühl m seinem Seelenleben ausübte.'
Es war keine leichte Aufgabe, die der 1jährige Fürst bei seinem Regienings-
antritt im August 1541 Ubernahm. In einem der fesselndsten Abschnitte des
Buches schildert der VerfiMser die VerhäliaiisBe, die Morita vorfand. Die poli-
tisdien, kirddiehen, socialen Zustande Dentsdüands, wie sie sieh auf Qrnnd
einer Jahrimnderte langen Botwiekelnng herausgebildet hatten, die Persdnlich-
keiten Karls V, seines Blates GranTeUa» des Königs Ferdinuid, der katholisdien
und der protestantischen Fürsten der Zeit und ihre gegenseitigen Beziehungen,
die besondere Stellung, die die sächsischen Lande einnahmen, ihre wirtschaft-
lichen Zustande fmit besonderer Berücksichtigung des MOnzwesens), ihre Ver-
waltung, die bedeutsame Stellung der Laudstande, die noch in Gährung 1»"
griffenen religiösen Verhältnisse werden treffend charakterisiert. Es widerstreit
uns, einzelnes aus diesem Kapitel herauszugreifen; bringt es sachlich nicht eben
Neues, so ist es doch fttr das Verständnis des ganaen Werkes von grolser Be-
deutnng und mnls notwendig im Zusammenhange gelesen werden.
Die Zäi war erfUlt von tiefgreifenden Q^mAtaen religiöser, reiehs- und
landespolitischer Art, die gebieterisch persönliche Parteinahme erheischten.
Heinrich hatte ihnen schwankend gegenübergestanden; ihm folgte jetzt ein
Jüngling, 'der personlich ohne religiöses oder überhaupt geistiges Interesse,
ohne Neigung für die kleinen täglichen Geschäfte der Tifindesverwaltung, ohne
feste politische Anschauungen und Ziele, vorläufig keinen weiteren Gesichts-
kreis hatte als Krieg, Jagd, Wein und VVeib', So bedeutend seine Fähigkeiten
waren, so hochgespannt sein fürstliches Selbstbewurstsein, zunächst war er doch
völlig abhängig von fremdem Binflulk. Wem wflrde dieser sufidlen? Die
Mutter Katharina, schon lange in keinem guten Verhältnis zum Sohne, nud
die B&te, die unter ihrem schwachen Qemahl in wenig lauterer Weise regiert
600
Emoitdi: H«r>og Hotiis tob SMiiaan.
bftttoiy Tendiwmdmi alabald völlig von der politiwsheii Bflline. Statt ibrer
nimmt der alte Georg von CariowitSy dar nach dem Tode Heraog George eidi
ganz von den Oeeehaften zurückgezogen hatte, die erste Stelle unter den Riten
des jungen Fürsten ein. Ein HwluiBClier Edelmann von beBcfaxinkt partikular
rietiachem Gesichtskreise, hatte er aus der Schule des Herzogs Georg dessen
Sinn für Ordnnng und Autnntlit mitgebracht und war sclion doj<wegen, obwohl
er den religiösen i«"ragen mit derselben Gleichgültigkeit gegenüberstand wie
sein junger Herr, nicht eben ein Freund der Reformation; dazu war er ein
Anhänger des Hauses Habsburg und entschiedener Gegner der Erueuimer.
Das alles mulate ihn in Q^;enaatB bringen an dem zweiten Ihnne^ der Einflnls
auf Horita fibte, zu Landgraf Philipp von Hessen. Strebte dieser danach, seinen
Sehwiegwsolin inm vollen ÄnscblttTs an den SchmalkaMisch«! Bond an bringen,
so war dag Ziel des alten Carlowitz eine neutrale Stellung zwischen dem
Bunde der protestantiaehen und dem Nürnberger Gegenbunde der katholischen
Fürsten. Eine Zusammenkunft der Häupter des Sehmalkaldischen Bundes mit
Moritz nnd dem ebenfalls seh wankenden Kurfürsten Joachim von Branden hu r-jj.
die Mitte Oktober 1541 in Naumburg stattfand, führte zwar nicht zum AnHtiilui!»
der letzteren an den Bund, wohl aber zu dem V ersprechen, an dem vcjm Bunde
geplanten AngriiGfe gegen den mit seineu Städten zerfallenen Herzog Heinrieb
von Brannsohweig teihoneihmen; indes Garlowita, der mit diesem Ymprechen
dorehans nieht sofrieden war, wa&te dieeen Angriff fortwShrend an veraSgem.
Der von Philipp in Anregni^ gebrachte Plan eines gegen des Kaisers absolu-
tistische Absichten gerichteten DeÜBnsivbundes zwischen Hessen, den beiden
sächsischen Fürsten und Bayern, gegen den Carlowitz keine Bedenken hatte,
scheiterte am Mifstrauen des KurfHrsten Johann Friedrieli. Als dann der orste
Landtag, den Moritz im Dezember 1541 zu Leipzig versammeito, klar erkeJinen
liefö, diiiä die mit Carlowitz in enger Verbindung stehende sächsische Adela-
partei, die hier den mafsgebendcn EinfluCs ausübte, dem Sehmalkaldischen
Bunde «itsebieden abgeneigt war, lehnte Morita endgültig den Beitritt ab;
seine Haltung auf dem Speierer Bmchstage im Februar 1542 bedeutet eine
Ann&herung aa die Hsbsburger. So war FbÜippa Einfluls annachst glficklicb
beseitigt. Mit Johann Friedrich vollends, zu dem Moritz schon dnrch die
Kassation der Wahl des Julius Ptlug zum Bischof von Naumburg und seine
Ersetzung durch den Protestjinti'n Nicol. v. Amsdorf in ein gespannte? Ver-
hältnis geraten war, drohte es damals bereits zum offenen Kampfe zu
kommen; sein Eingreifen in die gemeinsamen Rechte beider Linien am Bis^tum
Meilsen führte im Frühjaln- 1542 zu der bekannten Wurzener Fehde, die zwar,
dank der Besonnenlieit des Landgrafen Philipp, gütlich ausgeglichen wurd^
ohne dafii es jedoch au einer wirklichen Versöhnung gekommen wäre.
Mehr aus jugendlichem Thatendrange als ans politisdiisn Ortinden nahm
Moritz im Sommer 1542 an dem TürkcnSddzuge des Kdnigs Ferdinand tdl,
während die Schmalkaldener ihre Abrechnung mit Herzog Heinrich von Braun-
schweig hielten. Wohl konnte Carlowitz, der, auf der Höhe seines Einflüsse«,
während der Abwesenheit des jungen J^'ürstcn die Verwaltung seiueä Lande«
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H. EmiMh: Heneg MtnitB vmi SmIismi.
601
leitete, der Leistung der u i^pitieheneii Hilfsgelder »ich nie-bt entziehen; indes
benutzte er die Suche ^owundfc, um die Kluft zwischen Moritz und FhiUpp
ZQ erwMt^. Die geringe polititcihe OeaehidcUeUceit der Pflhrer dn Sdfamfll'
haldiwihen Bund«, die ihr angoibliekliciliM Übergewicht nieht ni bemtieeii
verslandeii, erletehterte seine Beetrebniigeii. Nodi eefairerer fiel ine Gewidii^
dab ebm damals, nachdem Kardinal Albrecht sich 1541 nach AscliiifFeiiburf;
nurQckgesogen und die Yerwaltuii^; der Stifter Magdeburg und Halberstadt
Deinem tin bedeutenden Vetter Jolmiin Albrecht überlassen hutte, der Wett-
bewerb mn diese Stifter zwi«'rhen den Hoheiizollern , den Ernestinem und den
Albertinern ernater zu werden begsinn. Jobann Friedrieh hätte damals Gelegen-
heit gehabt, die Kechte, die er aia Inhaber der Burggrafschaft Magdeburg
namentlich in HaUe faeiafs, gegen reichUclie Land- nnd Geldenteehadigung an
Johann Albredit absntreten; aUein das (Drängen der nm ihr protestantiflehee
Bekenntnis hesorgten Hallenser, die in Luther «iaea warmen Ffiisprecher fluiden,
nnd die unbestimmte Hofihnng, jene Rechte einst besser verwerten zu können,
bestimmten ihn, am 6. November 1542 mit Halle einen Vertrag zu sdüieläen,
in dem er p^egcn Zusiclierntii; eines Schutzgeldes versprach, die Burggrafen-
rechte nieht zu veräufHern. Vm dieselbe Zeit knüpfte der riinkevoUe Kanzler
deö Kardinal Aibrecht, Dr. Türk, Verbiindlunfien mit Moritz wegen Abtretung
der erzbischöflichen liegierungäreebt^ in Magdeburg und Halle au^ fürs erste
erfolglos, führten sie im Frühjahr 1544 zu einer Ytt^tnbarung swiachen dem
arg Terschuldeten Kardinal nnd dem Heno^ nadi dem Moritiens Bruder August
raun Koacyator gewShlt nnd der Erbschnta der Stifter an Horits fibcrtragen
werden, Albreoht aber eine bedeutende Abfindungssumme erhalten sollte^ alkr-
dings erst nach Qenehmigimg des Vertrages durch Kaiser, Papst und Kapitel,
deren Erteilunp mehr als zweifelhaft war. Dafs sich Moritz bewegen liefs,
schon jetzt 1U(J<X) Gulden nn Aibrecht zu zahlen, entsprach dorchans nicht der
Ansieht seines vorsieht ij^en Beratern Carlowitz.
Diese Bestrebungen vertieften den Zwiespalt zwischen Johann Friedrich
und Moritz, erweiterten die Kluft swiichen diesem und dem Schmalkaldischen
Bunde. Oianvells benutste dies mit Eiünr, um den jungen Forsten mehr und
melir in das Flüirwasser der kaiserliehen Politik hinfibennuehen. Schon auf
dem NQmberger Reichstage (Januar 1543), in dem 6e<Hrgs Keffi» Christoph
von Carlowitz zuerst politisch hervortrat, ein weltgewandter, feingebildeter
Edelmann, der dem Luthertum weit feindlicher gegenüberstand als sein Oheim,
schlug Granvella dem Herzoj» vor, in des Kaiserf Dienst einzntretfn; aber die
Gegenforderungen, dif Moritz stellte und die namentlich auf den Erwerb der
Stifter Meifsen, Merseburg, Magdeburg und üaiberstadt hinzielten, erschienen
den kaiserliehen lüiten zu hoch, als dafs sie darauf eingehen konnten. An dem
Tfirkmkriege des Jahres 1543 beteiligte sieh tforits nur mit einer geringen
Troppensendnng. Als aber Karl V. im August 1543 persönlich im Reiche er-
schienen war und nadi Niederwerfung des Hwsogs von Kleve gegen dessen
Bundesgeno^fscn, König Franz I. von Frankreich, zu Felde zog, begab sieh Moriti
anr greisen Besorgnis seines Schwiegerraters und Vetters selbst ins kaiserliche
Hnw JahtMeiMr. 1«8S I. iO
602
H. Ermisch: Horzog Moritz von Sachsen.
Feldlager und verweilte dort Cut vier Wodhon. Eari V. erlEHUite abbdd, von
wie grolBem Nutzen ihm der junge Ffliet sein konnte; wir wiHsen sw»r nidrt^
ob Uber die grofsen politischen Fragen der Zeit zwischen ihnen verhande^
worden ist, aber der Auftrag einer Vermittelung zwischen dem vertriebenen
Brauns( liwt iger und den schmalkaldischen Fürsten, den Moritz aus dem Feld-
lager mit nach Hanse nahm, war ein geschickter Scliachzug, der die TrennTino:
zwischen dem jungen Herzog und dem Bunde unheilbar machen sollte. Dem
Einflüsse l'kilipps, bei dem sich Murit/ auf der Rückreise aufhielt^ g^^og ^
nocAi einn^y diese Oefidir abmwenden; er und Joh&nn Friedrich lehnten in
gUmpf lieher Weise die «ngebotene Ymmttetang ab, und dnr Kuser Tendiob
die Sache.
ErhebUdi näher kamen sich Morits und der Kaiser auf dem Spmerer
Reichstage TFrühjahr 1544), den Moritz persönlich besuchte. Ziemlich onter
denselben Bedingungen, die Moritz das Jahr vorher abgelehnt hatte, kam es
zu einem Dienstvertrage gegen Frankreich. Wichtiger noch war, dafs Morits
dem Kui.ser das mündliche Verspreclun (r^l)^ sieh in Ic» ine ihm widerwärtigen
BQndnisne einzulassen, und sich dadurch dorn Schmalkaldischen Bunde gegen-
über die Hände band; eine irgendwie erhebliche Gegenleistung, namentlich hin-
sichtlidi der Stifter, hatte der Kaiser nicht versprochen. *£s war das erste,
aber nicht das lefad» Mal, dab Morita Ton der flbwlegNien hahidKi^iscfaeo
Staatsknnst fiberrorfceilt wmrde/ Moriia b^itete den Kaiser dann anf dem
franaSsisehen Feldinge, der nicbt eben i^inaend verlief nnd am 18. September
mit dem Frieden von CrÄpy schlofs. Auch diesmal wurden politische Fragen
kaum berührt; in der brannschweigisehen Angelegenheit, die Morik wohl auf
Ycranlaasung seines Schwiegervaters zor Spradie gebracht, scheint nichts von
Belang erreicht worden zu sein.
Im ganzen war. wenn die Selbständigkeitsgelüste des jungen Fürsten <«ich
auch nicht immer leicht zügeln liefsen, doch bis Knde 1544 der Einfluis Ucorgs
von Carlo witz, der dem Herzog für den Fall des grofsen Rcligionskrieges die
Vorteile der NentrditSt an sichern suchte, in der äufseren Politik der malis-
gebende geblieben. Dasselbe gilt für die inneren VerhUtnissej ohne deren
Kenntnis ein Yerstandnis der folgenden Jahre nicht mSglich ist. Bs handelt
sich dabei hanptaidilich um 7.wi 1 in engem Zusammenhang stehende Dinge:
einmal die religiileen nnd kirchlichen, dann die finmziellen Fragen. Erst vor
wenigen Jahren war auf landesherrlichen Befehl die Angshurgische Konfession
in den albertinischen Landen zur Herrf»chaft gelangt; noch fehlte es der jungen
Kirche an den nötigsten organisatorischen Formen und den Mitteln m ihrer
Durchführung. Dank dem Einflüsse seines Schwiegervaters hatte Moritz, alf
er die Regierung antrat, die erust« Absicht^ die Reformation voll durch zu fuhreuj
es entging ihm wohl nidit, welche Vorteile diese ftr die selbstindige Aus-
gestaltung der landesherrlidien Gewalt bot. Gerade hier nun stielb er anf
den vorsiditigen aber sahen Widwstand eines groÜwn Teiles seines Adels und
seiner Bätei, vor allem Georgs von Oarlowitz^ der der religiösen Bedeutung der
Refonnation nnr geringes Verstilndnu» entgegmbracfate, eine Vergleichung der
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H. Enniaeh: H«nofir Morite von Sttduea.
608
Gei^nsatze noch immer für möglich hielt und daher manche kirchliche Ein-
richtung, vor ailom die Bistfliner, als Bifirke zu einer solchen erhalten wissen
wollte. Ein Glück, dals wunigsteu» über einen wichtigen Tunkt in der Haupt-
iadi0 EinTunündniB swiBehen Moribt und CSsriowili bMfand: fiber die Ein-
aehnng und Yerwendimg der geieflichen Gfiter. Henog HeinriolL batte es
■ich gelaUen laaaeti, dab üue Yerwaltang der Lmdsehail TOrbebalien blieb;
die Folge war, dafs der gewaltige Güterkomplex nichl dem Lande, sondern
lediglich dem Adel Vorteil brachte. Dais Moritz schon vor seinem Begierungs-
antritt entschlossen war, mit diesem System zu brechen, bewies er durch die
Wcif:^runL', den von seinem Vater unsgeHtel!t<'ii Revers zu unterzeichnen !ii
der That ,>*Lrt'bte er dann öofurt danach, das \ ci lü*;uiigsrecht der Land- li ift
aufzuheben, und erreichte nach mehrjährigen hartnäckigen Bemühungen aciu
Ziel: die Güter wurden fortan nickt nulir veipaebtet, aondern tdib dinrdi landee-
beirlicbe AmÜente verwaltet, teils verkauft. Die reißhisa Mittd, die auf diese
Weise flOssig gonaeht wurden, vwwandte man in erster Linie für die Be-
soldung der Ffiurer, für Dotation der Universität Leipzig, für die Begründung
nnd Unterhaltung von Fürsten- und anderen Schulen, für Zwecke der Armen-
und Krankenpflege; so nahm der Stant der Kirche eine Aufgabe nach der
anderen aus den Händen. Es gelang dies, ohne dafs dadurch eiii feindlicher
Gegensatz zwischen der Re<jieninfj nnd den Ständen herbeigeführt worden
wäre; 'kluge Schonung der hergebrachten Rechte des Adels hatte man mit
strenger Aufrechthaltung der landesherrlichen Aufiucbt fiber das gesamte Kircheu-
und Schulwesen au vereinigen gewu&t*. Die äulseren kirchlidien Verbalbiisse
wurden auf diese Weise schnell geregelt. Was freilieh die inneren, die IVsgen
der Lehre und ^ Ceremonien, anlangt, so war man in dieser Hinsieht noch
überaus lau; gerade damals erinnerte die WieJereinfulinui^ des Bannes bedenk-
lich an die eb«n beseitigte katholische Kirche. In den Wittenberger Kreisen,
die gewöhnt waren, in jeder kirchlichen Frage um Rat anp;ep;«Tip;en zu werden,
he^e man gegen das selbständige Vorgehen des jungen Fürsten entachiedeneH
Milstrauen, konnte sich aber doch nicht der Uberzeugung verschliefsen , dalV»
Zweckmälsiges ge»chaÖeu war. — Neben all diesen Ausgaben für kirchliche
Zwecke ei^ben die Säkularisationen noch einen beMchtlichea Überschuiii fttr
den Benog selbst, der bei seinem Regierungsantritt leere Kassen vorgefunden
hatte und mehr Geld brauchte als sein Vater. Fflr ihn war die wichtigste
Folge, dafs er seinen Ständen gegenüber in eine unabhängigere Stellung ge-
langte. Führte dies einerseits zu einer Maehtsteigerung, die Moritz rüeksichtu-
los ausnützte, so verschärfte ea doch anderseits den Gegensatz zwischen Fürst
und Adel, nnd dies sollte in der Folge auf die Politik das Uerzogs bedeutende
Ilüe k w 1 1 klingen ausUben,
Ais eine Wirkung dieses Gegensatzes ist es wohl auch anzusehen, wenn
der alte Georg von Oarlowita seit dem Frlihjahr 1545 nicht mehr ab der
Leiter der Regierung erscheini Als Rat von Haus ans fuhr er awar fort^ von
seinem Gute Kriebstein ans einen gewissen Einflufs aussuttben; in der ^upt-
Sache aber schaltete der junge Herzog jetat selbstindig; weder der milde
40*
60 t
H. Ermisch: Herzog Moritz von SachRen.
Komerstadt, dem jetzt die erste Stellung unter seinen Raten zufiel, noch der
Kunzlcr Pistoris und Fachs, noch auch Christoph von Carlowitz hatten auch
nur annähernd die Stellung Georgs. Mit seinem Rücktritt fiel der Plan, die
bischöfliche Verwaltung für die Kirche der albcrtinischen Lande festzuhalten;
schon das Jahr 1Ö4.Ö brachte die Einrichtung der Konsistorien für Merseburg
und Meilsen und damit den Abachlufs der äuTseren Kirchenverfassung. Auch
die Fragen der Lehre, des Ceremoniells, der Seelsorge wurden entschiedener im
Sinne der Reformation gelöst. Vor allem aber zeigte Moritz immer gröfseres
Selbstbewufstsein seinen Ständen gegenüber; die Steuerforderungen des Jahres lö4ö
und die Selbständigkeit bei Verwendung der bewilligten Steuern machten viel
böses Blut.
Folgereicher noch war die Wirkung von Carlowitzens Rücktritt auf die
deutsche Politik des Herzogs. Eben damals schickte sich Karl V., der durch
seinen Friedensschiufa mit Frankreich nach Westen freie Hand bekommen
hatte und mit den Türken um jeden Preis zu einem Waffenstillstand zu ge-
langen entschlossen war, zum Entscheidungskampfc mit dem deutschen Pro-
testantismus an; die Berufung eines Konzils nach Trient, zu dem die lutheri-
schen Fürsten keine Einladung erhalten hatten, war der erste Schritt auf dieser
Bahn. In klarer Erkenntnis der Lage erneuerte Landgraf Philipp seine Ver-
suche, den Schwiegersohn in das protestantische Lager zu ziehen. Von seiner
Tochter durfte er dabei keine Unterstützung erwarten. Die junge, unbedeutende
Frau stand völlig unter dem Einflufs ihrer Schwägerin Sidonie, die eben damals
durch ihre Verlobung mit Herzog Erich von Kalenberg den Landgrafen schwer
verletzt hatte, und in feindlichem Gegensatz gegen ihre Tante Elisabeth von
Rochlitz, der entschiedensten Vertreterin der Politik Philipps. Lnmerhin gelang
es letzterem, ein leidliches Verhältnis zwischen Moritz und dem Kurfürsten
Johann Friedrich herzustellen, wenn auch der mertwürdige Brief, den Moritz
am 10. März 1545 an Philipp richtete und der als *die erste Aufserung seiner
persönlichen Meinung' in dieser Angelegenheit Beachtimg verdient, zeigt, wie
weit sein Standpunkt von dem seines Schwiegervaters abwich; es ist doch
schliefslich nicht die religiöse Frage, sondern die der geistlichen Güter, die f^r
Moritz im Vordergrunde steht. Der Plan eines Dreibundes zwischen Hessen
und den beiden sächsischen Linien, den Philipp, selbst unzufrieden mit dem
Schmalkaldischen Bunde, wieder aufnahm, scheiterte von neuem an den Be-
denken Johann Friedrichs. Aber die Zusammenkunft, die Philipp und Moritz
im Mai 1545 zu Kassel hatten, bedeutet ohne Frage eine Annäherung des
letzteren an seine Glaubensgenossen, eine Abweichung von den Bahnen Georg«
von Carlowitz; Moritz erneuert sein Versprechen, Leib und Gut an die Ver-
teidigung der gemeinsamen Religion zu setzen. In ganz anderem Sinne freilich
vertrat Christoph von Carlowitz seinen Herrn auf dem Reichstage, der Ende
März zu Worms zusammengetreten war; sein Ziel war das des Oheims: strenge,
dem Kaiser wohlwollende Neutralität, und an diesem Ziele hielt er trotz der
Annäherung seines Fürsten an Philipp und Johann Frietlrich fest; es gelang
ihm, ein Zusammengehen der Albertiner mit den protestantischen Fürsten auf
DigitizGL. _ ,
oogle
H. Emiiaeh: Henog Moritat von flachiini.
605
dem Eeichütage zu vereiteln, Morit« steht zwischen den beiden ötröunm,;» ii,
die sich an seinem Hofe bekämpfen, zwischen der habsbnrgischpn Piutei
(Chrititoph von Carlowitz, Facha) und der einem Auschlul» an düu Schniul-
kaldiBcben Bond geneigten (Konunatadt), uneddUmig in dat Wü^f in Oefidiri
jeden Halt ond jede Stttie m verlieren. Sehlen im grasen wahrend des
Sonmieni 1545 die leidere im Vorteil — weilte doch Horilz im August jwgar
ah Gast Jdtann Friedrichs in Torgau — , ao war der juntrc Fürst trotz der
drohenden Zeitlage doch weit entfernt daTfm, ndi zu einon £intritt in den
Sehmalkaldischen Bund zu entschliefsen.
Inzwischen hatte im Norden Deutschlands ein Vorspiel zu dem grnfspn
Kampfe begonnen. Der vertriebene Herzog lleiurich von Braun«< hwtig i,'l;iubte
den Zeitpunkt gekommen, sich wieder in den Besitz seines Landes t^etzeu
und rOdcte Ende September an der Spitse einer im Srahiatom Bfemm mflaramen-
gezogenen Tmppenmacht ror. Philipp wnJste diesen Zug als eine unmittel-
bare Bedrohung Heesens darzustellen und dadurch Morita xur Unterstataung
seiner Erbeinungsverwandten zu bewegen; erst als seine Truppen bereits beim
Bundesheer waren, erkannte der Herzog, dafs er t<:etäuscht worden war und
dafs seine Beteiligung am Feldzuge ihn leicht zur Parteinahme auch in grofseren
Dingen drangen konnte. Es war jedoch 7.11 spät, zurückzutreten: nach einem
•nicht ernst gemeinten Vermittelungsversuch, der ihm nur den Aulals zu einer
Fehdeansago au Heinrich geben sollte, beteiligte er sich an der für Heinrieh
unglücklich verlaufenden Schlacht bei Kalefeld (21. Oktober 1545) und gab
Hmnrieh den folgenreichen Bat^ sich seinem Schwiegervater su ergeben. Sein
Yerhatten war 't61% planlos und unpolitisch'; bei keiner der P^urteien erntete
er Dank daför: die Zusicherung, einen leidlichen Vertrag awischen Henrich
vnd dem Bunde zu stände zu bringen, durch die er Heinrich zur Ergebung
Tcranlafst hatte, konnte er nicht halten und galt daher bei den Katholiken
als Verräter, wahrend er den prote8tantis<lien Fürsten durch seine Yermittelungs-
versuche hinderlich war. Dazu kam, dals die den katlioliselien Anseh;iuungcn
weit entgegenkommenden Vergleiehsvorschlüge in der religiösen Frage, die
Moritz ebeu damals seinem Schwiegervater vorlegte, diesen und seinen Genossen
durchaus unannehmbar erschienen. So lockwten sieh wieder die persönlichen
Beziehungen awischen Horits und Philipp. Zu gleicher Zeit aber TerschSrfte
sieh der Gegensata su Johann Friedrich; denn eben damals kam die mt^de-
burgische Frage durch den Tod des Erzbischofs Albrecht von neuem in Flufs:
Albrechte Nachfolger JoliaTiii Albrecht und die Städte Magdeburg \ind Halle
nahmen entschieden Partvi für den Ementiner, das Kapitel und di "- Stiftsadel
dagegen für Moritz. Melir und mehr schwand in Dresden der Einüula Konier-
stadts, traten Christoph v. Carlowitz, Fachs uiul der intrigante Türk, der für
seine Bemühungen in der magdeburgischen Angelegenheit mit dem Auit l'eters-
berg belohnt worden war, in den Vordergrund. Christoph t. Garlowita war
es denn auch, den Horits im Januar 1546 nach Frankfurt schickte, um dem
dort Busammentretenden Bundestage der sehmalkaldischen Fürsten seine Ver-
mittelung in d«r brannachweigischen Sache aninbieten. Die Verhandlungen
606
des Tages, auf dem sieh Kurpfalz und Kiubraiideubuig bereit erklärieu, in
Beligiolunaclbeii mit dem Bunde gemefamm TOnugehen, und ein F^oleet wegen
dee Yorgehene gegen den proteetantieeh gesinnten Enbiadiof Heimenn tod KStn
beediloBaeD wnrde^ maditen auf Garlowite doch grofeen Eindrnek. Allem dieoer
Eindnidc wurde erheblidi beeintiiehtigi durcb den überaue gnädigen Emp&ng^
den C'&i'lo^i^ unmittelbar darauf bei Karl Y. fand. An einen Anschlufs des
HerzogH Moriiz an den Bund war niclit mehr zu denken; die Yennittelang
vwischen 1* tzf.'vom nnd Herzorr Heinrich aber gah Moritz auf, als er erfuhr,
dafH Hetrtricii über den Anteil von Moritz an seiner Qe£ängennahme fn-laf-b^
Angaben verbreitet hatte.
Immerhin hatte Moritz bis £ude April löiü seine Neutralitat völlig ge-
wahrt. Je naber freilich der Zusanuneustofa zwischen dem Kaiser nnd den
protestantiBcheii Fürsten hennrfiidie^ um so mehr Eindruck machten auf Moriti
die YoreteUangen seiner Bäte, dab vor dieeem Xampf% eine YerstSndigung
mit dm Habsburgem geeneht werden mttese^ damit nicht ein Si^ dee Kaieefs
den Beeita der geistlichen Guter, ja den Verbleib der Kur beim Hanae Sachsa
aufs aufserste gefährden könnte. VerhängnisToll war es vor allem, dala ee
Christoph V. rarlowitz gelang;, den Herzog zur personlichen Teilnahmp an dem
eben damals in Regensburg zusammentretenden Hi'ichshi<^L' zu bewejjren. Vom
24. Mai bis zum 20. Jnni weilte Morit?. in Regensburg, und diese Zeit, während
der es zum offenen Bruche zwischen dem Kaiser und den Protestanten kam,
wurde entscheidend. Nach langen Verhandlungen, deren Einzelheiten wir Über-
gehen, errang die flberlegene und ekrapelloec Staatekunet eines GranveUa, die
auch andere protestantische Fttrsten, wie Albredit von Kuhnbach und Erich
▼on Ealenbeig, ins haiserliche Lager log, einen vollen Sieg. Am 19. Jnni
unterzeichnete Moritz einen Vertrag mit dem Kaiser, in dem er ünterweHfni^
unter das Trienier Konzil und Neutralität im Kampfe mit den protestantischen
Fürsten versprncli. Dagegen wurde ihm Aussicht auf die Schutzherrschaft
über Magdeburg nnd Halberstadt gemacht, nber weder Indemnität für die
Säkularisationen noch die Übertragung der Kur versproelicn; Gnmvella ver-
tröstete auf mündhche Zusagen des Kaisers über dicae l'uiikt«' - allein zur
grofsen Überraschung von Moritz waren die Erklärungen, die Karl iiim am
folgenden Tage gab, so unbestimmt, daib nidit yiü damit gewonnen wwr. *Di«
Habsburger hatten den jungen Herzog flberlistel^ nicht ohne Mitwirkung swier
katholisch gesinnten Bäte ... Er hatte so gat wie nichts erreidit und viel
darangegeben: seine Selbständigkeit gegenüber den Konzilsbeschlfissen und
seine politisdie Bewegungsfreiheit während des bevorstehenden Krieges; eis
Zusammengehen mit den Schmalkaldenern war für ihn jetzt nur noch unter
offenem Bruch des Rejrpnsbnrger Vei-frages mögli<'li ' — Unter diesen Um-
standen konnten die fortwiilirtnd t rneutea Bemühungen I*hilipps, Moritz endlich
7.U einer entschiedenen Sfellungnalnne zu veranlassen, erst recht keinen Erfolg
haben. Während desi Kaicturs iiuitung immer drohender wird, denkt der junge
Fürst noch immer an eine Yennittelung zwisdioi den Parteien und begegnet
sidi in diesem Streben mit dem ebcmso unentschloBsenen Knrilirsten tou Branden-
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H. Ermiacb: Herzog Moritz von Sachsen.
607
bürg; leider war man aber völlig unklar über die Bedingungen, die man vor-
schlagen sollte.
Die Lage war so ernst geworden, dafs das Land sich in Kriegsbereitscbaft
setzen mufste, und hierbei war der Landtag nicht zu umgehen. Seit 1541
hatte ihn Moritz nicht mehr versammelt, sondern mit leichter zu beeinflussenden
Ausschüssen verhandelt. Jetzt erfolgte eine Berufung nach Chemnitz »uf den
11. Juli. Unter den Ständen hatte die kaiserliche Adelspartei das entschiedene
Übergewicht, während die niederen Klassen der Bevölkerung gut evangelisch
waren. Das Gutachten des von der Landschaft eingesetzten grolsen AuHschusses
fiel ganz im Sinne der herzoglichen Räte aus. Scheute man sich noch vor
offenem Bruche mit den Emestinem, mit denen viele Mitglieder der Landschaft
durch Lehnsverhältnisse imd Familienbeziehungen in Verbindung standen, so
war man doch noch entschiedener einem Zusammengehen mit den schmal-
kaldischen Fürsten abgeneigt. So fand die neutrale Haltung des Herzogs die
Billigung der Stünde; man bcschlofs, nur zur Verteidigung des Landes zu rüsten.
Noch war der Landtag versammelt, als der Kaiser die Konsequenzen aus
dem Regensburger Vertrage zog: er verlangte von Moritz die Abberufung seiner
TInterthanen aus dem Dienste der Reichsfeindc, das Verbot von Werbungen
der letzteren in seinem Lande; endlich sollte er den Erzbischof von Magdeburg
zur Berufung eines Landtages veranlassen, auf dem die Übertragung der Schutz-
herrschaft über Magdeburg und Halberstadt an Moritz bekannt gemacht werden
sollte. Moritz entzog sich der Ausführung dieser Befehle, die seinen Bruch
mit dem Schmalkaldischen Bunde offenkundig, die Neutralität unhaltbar machen
mufste; er versuchte zunächst den Kaiser zu einer Erklärung darüber zvi be-
stimmen, dafs sein Angriff nicht der Religion gelte und erbot sich den Schmal-
kaldenem gegenüber gemeinsam mit Kurfürst Joachim zur Vermittelung. Dazu
war es freilich zu spät; schon hatte sich das Bundesheer in Thüringen ver-
sammelt und war eben im Begriff, nach Oberdeutschland gegen den Kaiser vor-
zugehen. Doch erreichte Moritz wenigstens die Zusage, dafs die verbündeten
Fürsten ihm im Falle des Sieges seine neutrale Haltung nicht entgelten lassen
wollten; das Begehren freilich, dafs sie ihm für den Fall eines ungünstigen Aus-
gangs Vollmacht zur Besetzung ihrer Gebiete geben mochten, wurde mit Still-
schweigen übergangen. Der Kaiser, an den Moritz den durchaus katholisch
gesinnten Türk geschickt hatte, gab unbedenklich die verlangte Erklärung ab:
sein Angriff gelte nur einigen ungehorsamen Fürsten, der Ausgleich der reli-
giösen Streitigkeiten bleibe dem Konzil überlassen. Wichtiger war, dafs Türk,
als er Mitte August nach Dresden zurückkehrte, die Achtserklärungen gegen
Johann Friedrich und Philipp mitbrachte und zugleich die Aufforderung,
Moritz solle diejenigen Gebiete des ersteren, auf die er als Mitbelehntor An-
spruch habe, besetzen, falls er nicht wolle, dals sie ein anderer erwerben und
behalten, er selbst aber der Acht verfallen sollte.
Immer schwerer wird die Aufrechterhaltung der Neutralität. Von Bcihmen
aus bereitet Konig Ferdinand einen Einfall in die Lande des geächteten Kur-
fürsten vor, sieht sich aber, behindert durch die feindselige Haltung der grölsten-
r
608 U. Ermiacb: Ilersog Moritz von Sachsen.
teils protesluitisek gemimten SUndey dabei auf die Hitwiikung
gewieHen, der eben damals mit Kurfürst Joachim t rnstlicb über den Plan eines
grolsen Bflndnisses der neutralen Mächte Ostdeutschlands verhandelt; in der
That kam am 20. Sept. ein Dcfensivbimd zwischen Moritz und Joachim zu
stände, der erstorcm ftlr den tint.s kuiserlicben Sieges Deckung bot. \)w
nächsten Wochen brachten indes eine vollständige Schwenkung. Vom 30. Sept.
bis 5. Okt. weilte Morits seibat in Prag; Ferdinand wuiste ihm hier die Oe&hren,
die eine VoUstreekung der Acht nnd Beaatenng der Kurlande du» seine Hit-
wirkoDg nadi sieh aehan mn&te, eo nachdrttcklielk Idar au machen, dab ea
nadi langen und aehwierigen Verhandlongan am 19. Okt snm AbschluTs dea
ersehnten OflfonaiTrertrages kam, durdi den Moritz endlich die K\ir des Ge-
ächteten zugesagt wurde. Der Kaiser genehmigte den Vertrag nnd übersandte
seinem "Bruder sogar die Urkunde Über die tn)ertragnng der Kur an Moritz;
jedoch sollte diese letzterem nieht eher übergeben werden, bevor er nicht wirk-
lick angegrifieu und jede Verbindung mit den Schmalkaldenem abgebrochen habe.
In der That zögerte Horih nocb immer. Sein Absagebrief an Johann Ffrädrich
und die Erkttrung, durch die er den StSndeti dea Schmaifcaldiaehen Bundea
gegenüber die Beaefarong der «nesttnisehen Lande entachiddigt, leigen, wie
schwer ea ihm geworden ist, die neutrale Stellung die er so lange festgehalten,
an vwtass«!. *Aber jetrt gab ea kein Halten mehr fttr ihn; die Sreigntaae
rissen ibn nun fort.'
Der Abschnittj der 'die Zeit des Schwankens' vom Frühjahr 1545 bis zum
Vertrage vom 19. Okt. 154G .•»childert, ist ohne Frage der wichtigst^' unseres
Werkes; er begründet eine von der bisherigen weseutlieh abweichende Auf-
fiMMrang des Oiaraktera and der Politik des Hm»^ Morita. Bradieiiit
Morits nach der Daratellm^ Ton Voigt^ dessen Urteil in der Hauptsache Aber-
einstimmt mit dem von Maarenbrecher nnd Ranke, als der gewiegte, skrapedr
lose Staatsmann, der von vornherein den Erwerb nicht UoIb der Stifter Magde-
burg und Halberstadt, sondern auch der Kur Sachsen anstrebte, und dessen
wechselnde Verhandlungen mit dem Schmalkaldischen Bunde und mit den
Habsburgern mit kühler Berechnung auf dieses Ziel lossteuerten, so gelaugt
Brandenburg auf Grund einer kritischen Prüfung der Akten zu der Über-
zeug uug, dals der jugendliche Fürst in dem ersten Jahre seiner Regierung
keineswegs der fertige Diplomat war, den man in ihm Termntet ha^ dab seine
Politik awischm Tnrschiedeneii Einflüssen hin und her schwankte, dafii er die
Neutraliiat zwischen den streitenden Fartnen, an der er lange hartoackig fest-
anhalten suchte, nur gezwungen aufgab, als er erkannte, dafs ihm keine andere
Wahl blieb: wollte er das Erworbene nicht verlieren, sollte das Haus Sachsen
nicht einen grofsen T^-il seiner Lande, seine Stellung im Roiehe einbüfsen, so
inulste er wohl oder üljel an der Seite der Habsburger gegeu den eniestinischen
Vetter vorgehen, seine Laude und die Kur in Besitz nehmen. 'Die Wahrheit
ist, dab Moritz nicht seine Hilfe in diesem Kriege dem Meistbietenden ver-
kauft ha<^ dafs er vielmehr unpolitisch genug dachte, neutral der Entaeheidaiig
zusehen und, wer auch siegte, unangegrüFen bleiben au kSnnen, data ab«r der
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H. Brailscb: Henwg Hofite von SocbBcn.
609
Zwaug der Umstände und die überlegene politisclif Kunst der lluhsbiirsjjcr ihn
»chliefslich auH dieser unklug gcwahlteu Stellung hinausmauövrierte und zum
Eingreifen in den Kampf zwang.'
Über dieaeiL Eunpf selbst, aber den BrendMiburg bemts enchBpfeikde
Yorerbeiten Tor&nd, kOnnen irir kan hinwei^^en. 'Oberraadieiid aehnell
mabm HorilB die etneetiiuBcbeii Lende in Beeile. Aber nieht dieee Eifiilge imen
CH, wie man meist annimmt, die den Donaufeldzug der Schmalkaldener seheitem
liei'sen, sondern die Überlegenheit des Kaisers und vor allem der Geldmangel
im Bnndesheer. Noch einen letzten Versuch macht der unermüdliche Land-
graf Philipp, den Ausbruch des offenen Kampfe» Tiwischen Johann Friedrich
und Moritz zu verhindern; dann erwirbt ersterer fast ohne Schwertstreich die
Ton Moritz besetzten Lande zurück und dringt in die albertinischen Lande
siegnidi vor. Hente, ungenügend gerfisfcefe und Ton E&üg Ferdinand obne
UnfcerBttthrong gelesen, gei&l in doa ereteo Monaten dee Jabies 1547 in eine
immer fiblere Lage; schwer entschlielst er eieh desn, die Hilfe dee Enrfttrsten
Joachim v. Brandenburg durch die Zoetinunung zur Wahl seines Sohnes
Friedrich zum Koadjutor von Magdeburg zu erkaufen, ohne dafs er schliefslich
Nutzen davon gehabt hat. Von neuem kommt es 2U Vermittelungsvcrsuchen;
aber weder Landgrfif Philipp uiul seiner rührigen Schwester Elisabeth, noch
Kurfürst Joachim, noch auch dein Adel der beiden sächsischen Fürstentümer,
der eieh eigenmächtig einmischte, gelaug es, eine Veradbnung zwischen den
beiden Yettem za elende sn bringen.
Da entscheidet sich sohlielsUeh der Kaiser selbst snm Bbgreifen. Am
29. Marz bricht er von NOmberg auf; in Tirschenreuth stofsen König Ferdinand
und Moritz mit ihren Truppen zu seinem Heer. Am 24. April macht die Schlacht
bei Mahlberg und die Gefongennahme dee KorfOrsten Johann Friedrich dem
Kriege ein jähes Ende.
In den Verhandlungen, die auf die Katastrophe folgten, zeigte es sieh als-
bald, <iafs der Kaiser keineswegs geneigt war, die weitgehendeu Forderungen
seines ge;^wungenen Bundesgenossen Morits sn eriltUen; er wollte ihn nicht
allea mSchtig werden lassen. Diesem ümstsnde verdankten ea die SShne des
wnglflekliehen Knrfttrsten, der dnrch das Dantokleaadiwert des fiber ihn ge-
fällten Todesurteils sich zu wcitgehtttder Nachgiebigkeit genötigt ssh, dals
ihnen die Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai \M1 einen nicht unbeträcht-
lichen Teil der väterlichen CJebiete beliefs. Moritz erhielt am 4. Jtjni die
Urkunden über Verleihung der Kur und des gröleteu Teiles des emestioischen
Gebietes.
Moritz hatte nicht so viel erwirkt, wie er geho£Ft; aber mehr als diese
Enttansohnng wnrde das Yerfahren Karls V. gegen seinen Schwiegerraiar Land-
graf Philipp die Ursache «ner Entfremdung awischen Hersog und Kaiser. Seit
Ausbruch des Krieges hatte Moritz erfolglos nach einem Separatabkonunen
xwischen Philip)) und dem Kaiser gestrebt; jetzt, nadi TÖlliger Niederwerfang
des Bundes, verlangte Kar! bedingungslose Unterwerfung. Die Verhandlungen,
die dieser Unterwerfung vorhergingen, haben die Forschung lebhaft beschäftigt;
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610
H. Bnnisdb: "Btmog Moritz von Sachaen.
ganz wird der Schloior, tlor über ihnen lu^gi , wohl nie fjelüft^t werden. Fest
steht mir, dals die Unterhändler, Moritz und Joachim v. Brandenburg, HchlieCa-
lich ihre Zustimmung zur Formulierung eines Vertrages gaben, nach welchem
der Landgraf vor *ewigem' Gefän^is gesichert bleiben sollte, wählend sie,
neileicht auf mflndliche Zusagen guiitotzt, ihm persSnlich wapradwiiy dab
Philipp aberhanpt mit GfefSognia und 6estri<^iiiig nidit heimgeeadht werden
wflrde; ein yerq»reeli0ii, dM sie dann nioht Italien konnten nnd das ihnen
schwere Verlegenheiten b^iiete. *Aiif die l^uschung ein paar miTorsichtiger
und auf die Ehrlichkeit ihrer kaiaerlichen 0])rigkeit vertrauender deutschen
Fürsten konnte es der bewährten habsburgischen Praxis gemäTs dabei nicht
ankommen.' Am 19. Juni wurde Philipp belcannlUch in Halle festgenommen;
wie unerwartet dieser Streich die beiden Fürsten traf, die ihn veranlafst hatten,
sich dem Kaiser in die Hände zu geben, ergiebt ihr Verhalten in den nächsten
Tagen.
Vieles hat der jonge Ffirst in den ersten Jahren seiner Regierang so
lernen Gelegenheit gehabt; vor aUem aber waren ihm die Augen geSffiiet
worden f&r eines: filr die skrapdlose Staatsknnst des Hanees Habsborg: *Aaf«
gewaehsen unter den Ideinstaatlicheii Diplomaten mit ihrot plnmpen Ljateii,
ihrer gutmQtig beschi^nkten Zaghaftigkeit im Denken und Handeln und auch
im Betrflgen, war er der habshurj^isehen Staatskunst nicht ini geringsten ge-
wachsen, die ihre Pläne geschickt auf Beobachtung der Schwächen des Gegners
gründete lind den (irundsatz, daüö der Zweck die Mittel heilige, mit vollendeter
Skrupeliosigkeit ausführte.*
Dafs einer solchen Staatskunst gegenüber eine Politik der Neutralität, wie
sie Moritz so lange festzuhalten versucht hatte, nicht durchführbar war, hatte
sidi Idar gezeigt, 'Jetit stand man mitten drin in den groben, ganz Deatseh-
land erfUlendsn KKmpfen; ängstlieh mnlbte sich jeder fragen, ob d«r katho-
ÜMshe Kaiser nidit seinen Sieg anssunat&en Tersnchen werde gegen die Selb*
sttndigkeit der Temtorien, gegm die B^^mer des Protestaniis^mus, und was
man thun konn^ nm sich dagegen zu wehren. Die nichste Zeit mufste sej^^en,
ob der junge EurfQrst in diesem harten Jahre genug gelernt habe, nm auf
diese Fragen die Antwort au finden.'
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MEPHlbTUi'HELEiS UND EKDüElST.
Eine meÜiodologisehe Studie za Ooefb«8 Ftastdichiimg.
Ton VsiT VAiiBimir.
Es ist eine cigontümiiche Erscheinung, dals bei der Erklärung von Goethes
Faust der Inhalt noch immer vielfach ohne Hücksicht auf die Form untersucht
wird, ynkre Goethes Dichtimg niditB weiter ab die SuCwrlidiA Yemernng eines
grolimk Baues, deeaen Weeeü ?on dem Omsmente nieht weiter erfiJflt wflrdi^
so wSre das YeifiilirMi mancher Fanstforscher bereehtigt Ist aber die vein
Dichter gewählte kflnstlerische Form ein Wesensbcstandteil des Ganzen ge-
worden, so daCs aie es durchdringt, und beides, Inhalt and Form, die ästhetische
Wirkung gemeinscbaftlich hervorbringt, so darf sie ancb hei dem Sir*>"l»en nach
Erkenntnis der Dichtung, weder des (iimzi'n noch seiner Bestandteile, aurser
acht gelassen werden, Ks ist nun eines der wichtigsten Mittel de» Erzählers,
daß) er seinen Hörer zum Mitwisser der Sondererlebnisse der einzelnen Peraön-
liehkeiten seiner EnIUnng macht: das Tonrecfat des Enahlers, des Dichters,
ist es, dab er *aUes gesehn' hat, Sros anf Erden gesdiiehf, nnd wie er
adbst *der Dinge geheimste Saat behorcht', so iUurt er auch seine Hörer in
die Geheimnisse nicht nur der nufseren, sondern auch der inneren Erlebnisse
seiner Helden ein, um durch dies Mittel seine besondre Wirkung zu erreichen.
Diese wird dadurch erzielt, dafs im Gegensatz zu dieser Mitwissenscbaft des
Erzählers und seiner Hörer die Objekte der Erzählung, die handelnden Persönlieli
keiten selbst, von dem durch solche Einsicht gewonnenen Zusammenhange
nichts wissen, sondern jeder Einzelne nur nach Mafsgabe der ihm durch swie
Lage gestatteten Möglichkeiten der Kenntnis der Ereignisse und ihres Znsammen-
hangea handdi Gerade dnrdi diesen G^ensati des nm&ssenden Wissens des
EndUüers und seiner Hörer einerseits nnd des begrenzten Wissens der Handelnden
andrerseits entstdtt eine Spannung in der Beobachtung des Verlaufes der Er-
eignisse, die unser MitfQhlen für eine uns allmählich ans Herr gewachsene
Gestalt, unsere Sorge für sie und ihr Geschick, ulso Mitleid und Furcht, in
hohem Grade weckt, so dafs die Erwartung, wie das Geschick der Persönlich-
keit sich in ihrem äufseren und inneren Leben gestalten wird, aufs lebhafteste
gusicigerfc wird. Mit besonderer S&rke tritt dieses HititOden und Miflewlen
dann herror, wenn die Mitwisser des Gesaxntereignisses drohende Wdken anf-
iteigen sehen nnd nnn die bange Erwartung entsteht, nicht nur ob flberhanpt
das Gewitter sich Uber dem Bedrohten entlädt, sondern wann nnd wie der
nnTermeidlich drohende Blita den Unselige treffen nnd aerschniettem wird.
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612
y. Valeniiii: MephutophelM vnd EHgeM.
Wenn Hektor den Achill mm Kampf onvartct und wir Mitwisser davon werden,
wie Zeus durch das Los das Sclnckhui erfra<^t, und wir mit aller Bestimmt-
heit deii Tod de8 uut> iu huhem Grade ü^mpatiiiäciien Helden vurauüHeheUj
wahrend er die HoAiung sich erhSlt, dafe «r der Sieger mn k&ine, mü
wttlclier Spannung Tttfolgen wir die Entwickelimg, und wie ergreift ee uds,
wenn die OStün eelbst üt erboigter Gestaltiuig m dem üntergeng beitragen
nillfil, indem tt» dem Bedrängten neue Hoflinung und verderbliche Sicher-
heit bringt, bis endlich der Blitz trifft und der Sterbende selbst yon dem
letzten Tröste scheiden mufs! Mit noch groffercr Bangigkeit verfolgen wir,
wie Agamemnon seinen Palast betritt und trotz alier vorsichtigen Bescheiden-
heit doch dem sicheren Tod entgegengeht, der ihm, wie wir bereits wissen, ira
Hanse bereitet ist; und mit atcmbeklcmmender Bangigkeit hören wir den König
ddipne in seinem Stoke redm, da wir ja wiBBen, wie es mii ilun at^t «ad
wie das ünentrinnbare nSher and inimer lüiher an ihn heranschleicht nnd ihn
endlich trifft Ja selbst dsm. Ünaympattusciheo gegenfiber wird dies nadi anMrem
Mitwisson sicher gegen ihn hereindrängende Yerhiingnis dem Eznhler ein
Mittel, für den Bedrohten ein Mitfühlen zu gewinnen, wenn auch onaere gröfete
Teilnahme dem Gelnankten selbst gewidmet bleibt: wenn Odysseus unerkannt
zu den Freiern tritt, wir ihn aber kennen, wenn wir verfolgen, wie der wachsende
Übermut der Freier die drohende Strafe immer unausbleiblicher macht uud sie
uns immer berechtigter erscheinen laCst, so verfolgen wir Schritt für Schritt
den Vorgang in seiner Bntwickelniig mit höchster Spanntmg, nnr weü wir
UitwiBser davon sind, dab der fremde Bettler niemand anders als der heim-
kehrende Odyssens seihet ist, irahrend die Freier keine Ahnung davon haben.
Aber auch zu heiterer Wirkung benutzt der Brsahler dies nach allen Seiten
hin sich bewährende Mittel. Wie köstlich ist es, wenn wir dem heimgekehrten
Odysseus lauschen, der sich dem ihm in unbekanntem Land entgegentretenden
Jüngling nicht verraten will und eine rasch erfundene Geschichte enüihlt, wie
es gekommen, dafs er in solcher Lage sich befindet: wir aber wissen, dafs der
Jflngling niemand anders ist als Pallas Athene, und wir freuen uns mit ihr
im stillen fiber die Einheit ihres Lieblings, bis sie sich UUshelnd ihm enthflllt:
sind sie doch beide Kenner der Kunst, durdi kluge Erfindung an tiusidien —
sie}) selbst aber wollen sie nicht weiter Wuschen. Oder wenn Minna ihrem
Tellhetm Mnen Streich spielen will, so können wir die List und ihr fast der
Urheberin verhängniFVolI werdendes Scheitern mit im Grunde doch unbesorgtem
Gemüte miterleben, weil wir ja den Such verhalt kennen und wissen, dafs ef?
mir eines erlösenden Wortes bedarf, um alle Schatten zu vertreil)en. Und wie
ganz unbesorgt sehen wir die kühnsten und gewaltigsten Ritter gegen die
Bitterin Bratfamante reiten: wissen wir doch, daJh Bradamantes Lanze jeden
Bitter m Falle bringt^ während die kühne K&mpferin selbst von dieser Zauber^
kraft ihrer Wa£fo keine Kenntnis hat!
So bildet in diesen Erzählungen — und in welchen nicht? — unser Mit-
wissen von Dingen, die dein Handelnden unbekannt sind, ein besonders wirk-
sames Mittel in der Haud des Dichters, unsere Spannung sei es nach der
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Y. Valentin: MephistophelM nnd Erdgeist
613
frtiumilichpn sei ph nach der scKmerz vollen Seite hinzulenken und uns durch ihre
Erregung zu dem uri8 höchst wiUkommeueu kräftigeren Fühlen, zu lebhaftester
BeÜiätigung unawea aeeluelieii Lebens m bringen. Dieses MitM ist ibw
nicht nur eine ftnfsere Znühai: es bildet viebneihr einen Wesensbestandteil der
Handlung^ die in ihrem YeilMfe sieh dnrohans uiders gestalten mfifste, wan
es nicht verwendet wQide, wenn also ganz besonders der Handelnde Kenntnis
von all den Verhaltnissen bitte, die wir allein wissen dürfen, dnren Unkenntnis
ihn einzig und allein zu »einem TTüTult^lTi hiinj^t, Wir müssen es wissen, dafs
Wallensteins Vertrauen auf Octavio falsch ist: tltr Dichter zieht uns dalier
sehr zeitig in diese Mitwissenschafl — für WallLiiskiii bleibt sie ausgescblusHcn,
bis er sie endlich trotz allem \V iderätreben anerkeuuen mufs. Wir mÜHHen
es wisssn, dnls, wenn BntUer trots dem aUgomeineD Ab&U doch bei dem
Feldherm anshSlt, bei Wallenstmn nicht sein gater Engel bleibt: in beiden
Flllen wird die hSchste Spannnng in ims erweckt, wenn wir kraft dieser
Kenntnis benbar! t i und verfolgen, wie das Netz des Verderbens sich immer
enger um Wallenstein schliefst, bis es endlich ihn packt und erbarmungslos
vernichtet. Auch nur die leiaf>ste Ahnung auf seiteii WullpTistptns, und sein
ganzes Handeln wäre anders geworden. Wie erschütternd, wenn tr, di r stets
vor Buttler ein geheimes Grauen gehabt hat, sich auf ihn als den treuesten
Freund stQ^t, der schon die Waffe gegen ihn bereit halt!
Dieses Mittel wirkt schon bei der rein epischen EncBhlung ergreifend.
Wenn aber der Dichter au einer anderen Form greift und, statt von den
Personen zu sprechen, sie selbst Tor uns hintreten laist^ wenn so der lyrische
Qehalt des Seelenlebens mit der unmittelbaren Wucht der gegenwärtigen
Wirkung lebendig wird, wenn wir die erschütterte Seele in lauten Tönen er-
zittern hören, so prscheint erst sein*» Wirkung in voUst-tr, siogreiohster Kraft.
Darum wird vh zu einem der wichtigsten «Irani.iturgischen Hilfsmittel, das der
dramatische Dichter kaum entbehren kann. Darin liegt der Grund für die
AUgewall^ mit der die enüifillenden Dramen, wie König Ödipus, die Braut Ton
Hessioa, die Ahnfrau, auf den Miterleber der Handlung einstOrmen und sich
seine lebhafteste Teilnahme enswingen. Daha: hat auch Aristoteles die Er-
kennung der Personen untereinander, wShrend der Miterleber über den Zusammen-
hang langst unterrichtet ist, als eines der wichtigsten Mittel des Dramas be-
aeichnet.
Wenn nun aber jemand kommen und das Mals der Kenntnisse, das die
handelnden l'ersonen von dem Zusammenhange ))esitzen, mit der Kenntnis
identitizieren wollte, die der Dichter von dem Zusammenhange hat, st» würde
er rieherUbh ab ein die elementarste YcMraussetsung einer diehterisdien Enih-
Inng yerkennender sofort snrQc^ewiesen. Wer behaupten woUte: weil Wallen-
stein von Octavio sagt: 'Yersiegelt hab' iidi's und -verbrieft, dab Er Hein
guter Engel ist', ^^o müsse es auch Schillers Meinui^f gewesen sein, dals in
der That Octavio Wailensteins giiter Engel war, der würde doch nur ein
höchst bedenklielios Arhsflzuckrn über snlchpn wundrrlirhPTi Einfall hervor-
rufen. Aber es ruft durchaus kein Bedenken hervor, wenn gcächiossen wird,
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614
y. YaloDtin: H«plitifcofili«les und ISrdg«iiL
da Faast den Erdgeist als den Absender des Mephistopheles bezeichne,
so mfisse nach des Dichters Auffiusnng Mephistopheles wirUidi vom Erd-
geist abgesendet worden sein. Es wird vielmehr grOndlidi die Frage
dielcntiert: Ist der 'erhabene Geist' Gott oder der Erdgeist? Kann Mephi-
stopheles vom Erdgeist geschickt worddi sein, und stimmt dies zam Wesen
des Erdgeistes? Aber die Frage ist überhaupt fnlscL. Sie wird gostellt und
heantwnrtet, als ob man es mit einer wissenscluiftlichen Abhandlung, nicht
mit eiiv r Dichtung zu thun h8tt<>. Die Frage kann einzig uncJ all* in lauten:
Wen iiuit Faust für den AbHender des Mephistopheles? Wen kaun Faust
nadi Mafisgabe der ihm infolge snner Lage nur Verfügung stsliMidai sehr be-
grensten Eenntanee des Zusammenhanges der Dinge für dm Absender des
MephistopheleB halten? ünd wenn darauf die Antwort lauten mub; Fauet kaon
TOn seinem Standpunkt aus niemand anderen als den Erdgeist für den Ab-
sender des Mephistopheles halten — , folgt nun daraus, dafs auch der Dichter
selbst diese Ansicht gehabt hat, oder dafs wir von ihm in dori wfihron Znsammpn-
hang eingeweihten Mitwisser des Gesamtereignisnes iinnt-hiupn sollten, der Erd-
geist sei nun auch tbatsiif'hlich der Absender des Mepkistophelos. weil Faust
iimerliulb seiner begrtuzten Einsicht in den Zusammenhang dieser Ansicht ist?
Die erste Fragestellung ist methodisd^ &l8ich, weil sie den Grondcharakter der
Dichtung als Dichtung nidit bertteksichtigt und yorgeht^ als habe man es mit
den Darlegungen der Ansidit des Dichters statt mit den Folgen der von ihm.
gegebenen Voraussettangen zu thun, die sieb so abwickeln müssen, wie sie
nach dem jedesmaligen Wissen der handelnden Personen sich einzig und allein
abwickeln können. Faust bat keine Abmmg von dem Gcspräcbe Gottes mit
Mephistopheles: der einzige Geist, der ihm erschienen ist. der zudem ihn als«
anders p;eartet, we8ensun>:;Iei(h 7Airückgewiesen hat, ist der Erdgeist. Nun tritt
Faust ein Geist gegenüber, der zudem nach seiner eigenen Aussage keiner roa
den Oro&en ist — liegt es da ftr Faust so ferne, dafs dieser Geist ein Send-
lii^ dessen ist, der selbst mit Faust nicht verkehren will, nicht verkehren
kann, weil er sn hoch aber Faust steht? Für Faust, der nichts von dem
persönlichen Plane des M^histopheles weifs, bleibt allerdings nichts übrige
als diesen als Sendling einer höheren Macht anzusehen, und da ihm keine
andere höhere Macht pt-rsünlicli entj^j^en betreten ist als der Erdgeist, so kann
Faust nur diisen für den Absender halten. Es ist daher methodiseh falsch,
zu fragen: Ist der 'erhabene Geist' Gott oder der Erdtjeist? Die Frage muls
methodisch richtig heü'sen: Wen bezeichnet Faust mit dem 'erhabenen Geist'?
Wer das Wesen der enShlenden Dichtung und besondns der dramatisch ge-
stslteten Darstellmig eines epischen Ereignisses nicht aas dem Auge verlier^
darf nicht von der Voraussetsung ausgehen, dalä alles, was der Dichter
eine Person seines Dramas auf Grund ihrer Sonderkenntnis der Verhältnisse
sagen und thun lafst, so au betrachten sei, als ob der Dichter mit seiner
Allkenntnis der Verh:Utnis«e es selbst t^esagt oder gethan habe. Und doch
wird diis methodisch nicht richtige Verfahren der Faustdichtuni» Goethes
gegenüber als berechtigt, als etwas ganz Selbstverständliches betrachtet und
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T. Yal«Btia: ICepItiiteiihdM und Brdgdii.
616
tlemgemäi» aiicli oingehalt^^T. Von dfn hoiden ünterredneru, die Witkowski
in seiner Abhandlung: 'Dar Krdgei«t im Faust, Gespräch zweier üoethe-
freonde* (Ooe&eJalirbiidi XVII Bd. 1896).ei]ift]ir^ vttiiriik keiner den dranur
tnrgiadien Staadpnnkfc: beide Qoethefremide atehen in ihren geiatvollen nnd
intereBsanton AiufBlinmgen gemeinschaftlidi anf dem StaadpunlEte der Ftage:
Wer ist der erhabene GMet? ala ob ee sich um die philosophische Frage
handelt«: Wer ist der erhabene Geist an sich? wahrend es sieh einzig und
alieiii am die Frage bandelt: Wer ist nach Fausts Auffassung der erhabene
Geist, der ihm nach seiner, Fausts, Annahme den Mephistopheles geschickt
hat? Das schliefsliche Aiiskunftflraittel, auf das sich die beiden GoethefVennde
vereinigen, muTü infolge der unrichtigen Fragestellung ein unrichtiges Ergebuis
aein. Im ür&ust und im Fragment Ton 1789 aoUen die Worte Fanaia dem
Er^{«at galten, in dn* anagefUirten IMditong seien sie aber nach dem WUl«i
des Diehtera ala an Gott geiiditet anfitn&aaeD. Geht man Ton der richtigen
Frageatellang aua: Wen meint Faust auf Grund seiner Kenntnisse des Zusammen-
hanges mit dem erhabenen Geist? so ergiebt sich die Antwort, dafs stets und
in allen Phasen der Entwickelung der Faustdichtung Faust den Erdgeist als
den grofsen, herrlichen Geist nnd später auch als erhabenen Geist bezeichnet.
Steht dies Ergebnis fest, so kann sich die weitere Frage erheben, ob, während
Faust mit seiner Annahme von der Entsendung des Mephistopheles durch den
EidgeiBt aeit der Ümgeataltong der Dichtmig 1797 unter allen ümatanden
nicht daa Richtige trifft, nidit viellmdit im ürfimat mit Fanata Annahme die
von dem Dichter gemachte YoranaaetBung Übereinstimmt? "Bs iat aaddidi
nicht ausgeschlossen, daia der Dichter die begrrazte Kenntnis einer bestimmten
Geshilt seiner Dichtung mit der von ihm gemachten Voraussetzung überein-
stimmen iHfst. Es ist daher möglich, dafs der Dichter von dem so höchst
wirksamen Mittel des Gegensatzes der Einzelkeiiiitnis einer handelnden Persönlich-
keit zu dem den Mitwissern der Gesamthandlung bewuTsten Zusammenhang in
einem bestimmten Falle innerhalb einer Dichtimg überhaupt keinen Gebrauch
gemacht hat; nnd ea iat ferner möglich, dafr er swar in der ursprünglichen,
ein&cheren Gestalt einer Diditung, die una im Zuatande des eraten kttnatlnri-
sehen Wurfes, nicht in dem der kunatrollen, daa Ganze im Auge bduJtenden
Dureharbeitnng erhalten ist, bei einer beetimmten PeraonUchkoit die Über-
einstimmung ihrer subjektiven Auffassung mit den von dem Dichter voraus-
gesetzten objektiven Verhältnissen angenommen hat, dal's er aber in einer
späteren, kunstvolleren, anf die Gesamt Wirkung eines künstlerischen Ganzen
hinzieleudeu Umgestaltung das Verhältnis für einen bestimmten Fall auf-
gegeben hat
Ea fragt aidi nur, wo dar Beweis fllr dieae Übereinstimmung der aub-
jektiTen Annahme der handelnden Feraönlidikeit mit den Vorauaaetaungen dea
Dichters von den objektiven Verhältnissen gefiinden wird. Da in unserem
Falle keine sonstigen Mittel vorhanden sind, so sind wir ausachlielslich auf
die Dichtung selbst anpfewiesen, anf den Urfnnst. Gälie dieser eine volls^ndige
Dichtung^ so läge die Sache sehr einfach. £r ist aber Frf^pieu^ und swar, gerade
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T. Vftlmtuit MephittoplialsB and firdgdit
was den Zuöaimueuliang der Entwickelung betriflFt, ein sehr ungenügendes:
Tielleieht Ut er es nicht immer in BolcliMn Gnde gewesen. Die Frage jcdodi,
ob in der Qgchhaneenachen Abeelurift nns «lies erhalten ist, was zur Zeit der
Abschrift vorhanden war, kommt hier nicht weiter in Betracht: auch wenn
Goethe noch mandtes fertig hatte, so war es doch wohl nicht so weit gediehen^
dafs er es zam Lesen hergeben mochte, und für uns ist es jedenfialls verloren.
Unter allen Umstünden aber müssen wir annehmen, dafs der Dichter sich eine
Ansicht über den Zusammenhani:!; der Personen seines Dramas gemacht hatte;
vielleicht dürfen wir es auch über die Art, wie er sie zusammenführen wollte,
obgleich dieser letzte Punkt nicht so ohne weiteres als sicher oder auch nur
als wahrsdieinlidi TOraosinsetaen \si Aber aus den Anlswuigen Fansts:
*WandlB ihn, dn nnendlidier Qeistt wandle den Wnrm wieder in seine Hnnds-
gestalt . . * und ^Orober, herrli<^er Gfeis^ der dn mir au erseheinen würdigtost,
der dn mein Herz kennst und meine Seele, warum mufstest du mich an den
Schandgesellen schmieden? . . liifst sich jedenfalls dies Eine mit Sicherheit
schliefsen, dafs nach der Absicht rb f^ Dichters Faust den Mephistophelea für
den Abgesandten des Erdgeistes halten sollte und ancli wirklieh hielt. Wenn
Bruinier in seiner Abhandlung: *Der ursprüngliche J'lan von Goethes Faust
nnd seine Geechichte' (Sonderabdruck aus der Beilage sur *Aligemeinen Zeitung*
1898 Nr. 136/7, Mflnehen, Buehdrucherei der 'Allgemeinen Zeitung') aus dieser
Stelle im Zusammenhang mit dem spftter gedichteten Monolog *Erhabenar
Geist' den Schlufs zieht: *Wir mQssen darnach Mephistopheles ') für den Ab
gesandten des Erdgeistee halten', so macht er denselben methodischen Fehler,
der auch sonst begegnet; der Sclilufs darf nur heifsen: 'Wir müssen an-
nehmen, dafs nach dt s Dichters Absieht Faust den Mephistopheles für den
Abgesandten des Erdgeistes halt*. Für das von der Annahme Fausts un-
abhängige Verhältnis, für die Voraussetzung, die der Dichter selbst über das
wirkliche Veibaltnis gemacht hat, ist ans dieser Aulserung Fansts nichts
au entnehmt!. Zu diesem metbodisehen Milsgrtff kommt noch hinan, dab
Bmininr seine ganaen AnsftQumngen auf einen Gmndsata stfitat, der «nen
aweiten methodischen HifsgrÜT enthalt, der freilich nicht bei ihm allein vor-
kommt, sondern der sich in der ganzen Faustfoiachung, ja in der Goeth<^
foraohnng überhaupt vielfach wiederlndt, und der seiner» Wirkungsbereich noch
weit \\hpv Goetbe hinaus erstreckt: es ist die Identitizierung des Dichters mit
den (iestalteii seiner Dichtung. Bruinier drückt dies hier so aus: 'Kaust ist
Goethe, wie keine andere Erfindung dieses Selbstdarätellers'. Gewilä, man kann
Goethe in mandier Besiehu^ ein^ SichselbstdarsteUer nennen und wohl in
hdherem Grade als manchen anderen Dichter; ab« man darf doch nicht flber^
sehen, dab Goethe niemals ein Natoialist war, der sich damit begnttgt und
in diesem Genfigen sein kflnstlertsches Ziel gefimden halte, von sidi, seinem
*) Bruinier sclireibt gleich andern Forschem oft 'Mephitto': ich «ehe keinen Grund, daf*
die WiHsi uscliiiri «lii'scii liö-i II (leint mit >li iii KoHenamon 1i»>chrfn soll, (Kt in Faust- Mnuda
gelegcntUch wohl zu begreifen ist, tüt den aber sonst keine Veranlasdung sein möchte.
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V. Valentin: Mophistophelea and Erdgeiat
617
Wesen, seinen Gefühlen einen cinfadbBn Abklatsch zu machen und dieses nackie
Spiegelbild für eine künstlerische ScshSpfbng so haltoa. Es wird dabei doch
übersehen, dak der Künstler die unmittelbar seinem oigen<»Ti Herren , seinem
eigenen Ko]if cntfinellenden Motiro. also die ersten Keimt' einer künstleriBchen
Schöpfung, nicht anders behandelt als die ihm von uuluen entgegentretenden:
sie werden ihm Ausgangspunkte zu einer Neuschöpfung, die uns dann als
wsbrlieitseirfiUlt berfihrt, wenn wir den Eindruck gewinnen, der Keim sei mit
einer ihm selbst innewohnenden Nahumotwendi^^eit gewachsen: so tiSgt er
lllr nns den Charakter der Selbstverständlichkeit in sich^ wie er dem. natur-
gewordenen Organismus eij^iiet. Gerade das erhebt den Künstler über den
blofsen fvuiiiittechiuker, dals der Kiiiistlor die Niitur hat, die dem Keim einen
BodfTi irfwährt, auf dem er, unbewul'st wie die natürliche Pflanze, 7,n seiner
Ausbildung gelangt, als ob er unabhängig von dem Individuum würe, das ihm
den Boden geliehen hat. Gar vielen bietet sich dasselbe Motiv, und viele
Tersochen es 2u gestalten; aneh dw Stimmung Zsit wirkt anf viele gleich-
mäbig ein: aber nnr bei dem EQnstlw gswinnt ein sa sdbstSndigcr Schöpfung
anfkeimendes Hotiv in seinem Werden die Folgerichtigkeit des natOrÜehen
Waebstnms. Was bei der natürlichen Pflanze seinen Grund in der organischen
Anlage der Pflanze selbst hat, bringt in die Kunstschöpfung die zu folge-
richtigem Wachstum hindnliigeiide künstlerische Anlage des sthaffendeu Indi-
viduums: f<ie vertritt die Stelle des orgnnisierenden Elements und verfährt bei
ihrer sciiopleriachun Konzeption ebenso unbewulst wie die Natur selbst. Je
erfolgreicher eben dieses unbewulste Uuigeätaltcn des au sich unbelebten Keimes
an einem die Natomotwend^keit in sieh tragenden Organismus ist, nm so
grSber ist das kfinstterische Genie des SoihSpfers, dem reflektierendes Sdiaften
awar nahe, niemsls aber gleich kommen kann. Dab ein Jflngling sich in die
Biant eines anderen vorliebt, ist hundertmal d^ewesen, auch daJs es geschieht^
80 lange er von ihrer Gebundenheit noch nichts weifs, und nun, nachdem er
es erfahren, ein Seelenkampf in ihm entstfltt. ist nichts Besonderes; dafs ein
8 il< Ij*- Verhältnis durcli den Grundton tuer bestimmten Zeit den Charakter
kraniwhafter Sentimentalität erhalt^ lat natürlich. Und doch bleibt häutig genug
und wohl in den meisten FUIen ein soldies Motiv fitr die Kunst tot nnd <dme
Folgen. Wenn nun ein dicht«riseb beanlsgter Jflngling einen AbUatsch der
in solcher Lage von ihm erlebttti Empfindnngsn ÜBsthalten und recht httbseh
darstellen könnte, so ^re dies das Zeichen eines gana tllditigsn Talents: aber
ein Kunstwerk, das tiefgehende Wirkungen hervormfim könnte, entstände nicht.
Wenn aber der Jüngling im stände ist, diesen Keim einer Knnstschöpfting von
der Zufälligkeit seinet^ Lebens abzulösen, ihn wie etwas Fremdes in sich waoliseii
und nach der in dem Keime liegenden unausweichlichen Folgerichtigkeit sich
ausgestalten und reifen zu lassen, die Entwickelung in vollster Unabhängigkeit
von sein«: Pttson bis xn ihrer ialserst«n Konsequeni dnrehsttfiOhren, so daA
das aelbstuidig gewordene neue Wesen wie ein auf eigenem Orgaaismos
steksndes Wesen erseheint, so ist dies in seiner Erfassung das Werk des
Genies, in seiner Ausführung aber das Werk des unter dem genialen SchSpfer;
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V. Valentin: Mephiitapliel«« and BrdgviiL
trieb gestaltenden, das Eüuseliie init klarater BeBonneiiheit prfifenden und wr
jedMD AvawneliB bewalirendeii Ettnetlera. So aebafft, dnrdi ftat swei Jahre
Ton dem peraonlicheii Erlebnie getrennt, Goethe daa in ihm aelbetandig ge-
vordoiK', von seiner Person getrennte Motiv mit änAerster Folgeriehti^Eeit
nach dem in dem Motive selbst liegenden Keime und ans der organismua-
geetaltendcn , schöpferischen eigenen Kraft heraus, die das Kunstwerk als ein
natürUchea Weiterwachfien eines Gliedes seines Wesens erscheinen läfst. Ist
Goethe deshalb Werther V Er ist es so viel und so wenig, wie Goethe Faust
iat In beiden dii^tariadian G«alalten ateekt ywSoB, «aa Qoo&a ab Godihe ge-
ftblt und gedacht bat} aber beide diditeriaehe Oeatalten haben Tielea, waa aie
nur als Fana^ ala Werther haben fühlen and denken kSnnen: Fanat nnd Wettiimr
«ind aie Tielmehr erat gerade dadurch geworden, daSn der Dichter das Eigene
dem neuen Keime, dem künstlerischen Motive untergeordnet nnd dieaea daa
hat werden lassen, was es ala selbständiges Gewaclis seiner eigenen eingeborenen
Natur nm-h wt'rden mufste: diese dem Keim eingeborene Natur aber unabhängig
von des Üu Itters eigener Natur sich auswaehsen lassen zu können , das ist
eben Sache des Genies. Mau erklärt also nichts, wenn luau sagt, Faust oder
Werther oder Taaao iat Ooetbe, ao wenig, wie wenn man bebanptet: Qoethe
iat Werther, iat Fanat, iat Taaao. Qoeliie iat nelea davon, aber er iat eiiMr^
aeita nicht allea und iat andieraeita weit mebr; Wertiier, Flanai^ Taaao aind nicht
Goethe, aber aie sind vieles von ihm und sind auch wieder viel mehr. Es bat
einen Sinn zu erforschen, wie weit die sich teilweise deckenden Kreise zu-
sammenfallen — ob es grofsj Ti Wert hat, ist eine andere Frage; sicherlich aber
ist es methodisch nicht richtig, von einer solchen Behauptung auszugehen, ohne
erst die Grenze, wo das Zusammenfallen der Flachen aulhört, ganz gt^uau su
bestimmen.
Aber aelbat wenn der Fanat dea Ur&natea Qoeth« wire, ao wftrde daa
noch nicht gmng sagen, nm darana Folgerungen auf die Anageataltang dea
Planee oder anf deeaen spätere Änderung an aiehfin. Der Fanat de« ür&natea
ist doch nicht nur der Faust des Monologes: er ist doch auch der Faust im
Verkehr mit Wagner, der Faust in Auerbachs Keller, der Faust, der Gretchen
zn Grunde richtet — ist das auch allea Goethe? Und ist er es nicht, was hat
diü Gleiclisctzung von Faust nnd Goethe für Wert für das Verständnis des
dramatischen Ausbaues? War aber der Dichter des Ur&astes, selbst wenn
wir annehmen woIlteD, aein Famt dea Uonologea aei identiach mit Goetke^ im
atande, aeine diehteriache Geetaltnng Fanat eo Ton aioh absnlBaen, dieaen ao
nach der ihm, dem Fanat, der dichteriaehen Peraon, innewohnmden Nator
objektiv weiterangestalten, ist es dann möglich, dafs Goethe durch seine all>
niählit h eingetretene innerliche Umgestaltung, dnrch die er dem Faust im Urfanat
rieht mehr gleich war, an der Weiterftihning seines ursprünglichen Plan»
gehindert worden sein soll, er, der schon in den vorhandenen Teilen dieses
Ürplanes sich so gründlich von der Gleichung Fangt •= Goc^the entfei-nt hatte?
Und diese innerliche Umgestaltung Goethes tritt obendrein erst im Laufe der
Jahre ein — waa bat dam Qoethe in Frankfurt, in den eraten Weimarer
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V. Yalentiit: Mephiatopheies und Erdgeist 619
Jahren abgehalten, adne Di^iung an vollenden? Der Gnuid mti6 also auf
einem anderen Oebiete Hegen.
Aber welcher war denn nun dieser 'ursprüngliche Plan"? Zunächst hätte
man wohl zu fiagcn, ob Gf)C'th(' wirklich 'von vorneherein' einen 'Plan' gehabt
hat, in dem er sich in dcntlichpii Zügen den ganzen Verlauf der Handlung
klar gemacht hätte, oder ob es nicht vielmehr eine sehr allgemein gehaltene
Ansicht über eine Reihe von Abenteuern war, wie sie sich ihm zunächst aus
der Überlieferung ergeben mnfirte: w Urfc es nur natürlich, daTe anoih Helena
bereite der frfiheeten Zeit angehSrt, selbetveratbidlicii nur in der Ahaicht, eie
auftreten an lassen, nicht in der Art, wie er sie später wirklieh auftreten liers.
Dieser letzteren Anschauung, die mir die wahrscheinlichste nicht nur, sondern
auch die natürlichste, die mit dem stümii.schen Wesen des jungen Goethe am
uieisteii filx rrirntinimende erscheint, wird durch den Urfuust nicht etwa wider-
sprochen; .vie «tinunt vielmehr allein zn der GeHtaltung dieses Fragmentes.
Ohne sich viel um den Zusammenhang der einzelnen Glieder der Hundlung zu
k&mnem, «chalft der Dichter das, waa ihn gerade am mmaten paekt: wenn der
Anadnch 'die Teile, an denen er innerlieh beteiligt war' eben dies beaeichnen
soll, 80 kann ich ihn gelten laaaen; meint aber Bminier damit, da& diesea
'innerlich beteiligt Bein' der Gleichung Faust = Goethe entspringe, dafil also damit
die Teile gemeint seien, in denen Faust und Goethe identisch wären, so halten
mich Faust in AncrhiichH Keller. Faust der Yernichter Gretchens sehr ent-
schieden von dieser Gleichstellung ah. Sagen wir also: die Teile, die den
stürmischen Dichter teils dnrcli ihre Derbheit, teils durch ihre tiefergjeifende
Zartheit und LeidenschaftlichiieiL um ert>teu zu küustlecischer Darätelluug reizten.
£8 läfbt sieh damit sehr gnt Terbinden, dafii der Dkhter Aber die Heratellung
dee Znaammenhanges, also vor allem die Art, wie Mephistc^helea sich mit
Faust Tereuugeo sollte, eich noch keineswegs Uar war, und dafii er das ruhig
der Zukunft Uberliefs. Es läfst sich aber aneh yeratehen, wie Goethe den ao
gemachten Anfang nicht fortführen mochte — was konnten die Abenteuer
nach der Gretchentragödie noch Reizvolles haben, nachdem er «len Zauhcr-
schabemack so charakteristisch und die Liebesleidenschaft so ci ^i ' liV'nd ge-
schildert hatte? 8o muTöte ein Fortfuhren, das auf dem einfachen Anumander-
reihen im Weaen gleichartiger, nur in der Erscheinung verschiedener Abenteuer
beruht bitte, ttttterbleiben: es ist auch filr alle Zeiten unterblieben, denn als
sieh Goethe emstlieh an eine Fortführung machte, geschah dies auf Grund
einer gänzlichen Umgestaltung, durch die die einaelnen Abenteuer zu organi-
aehMi Gliedern einea kfinstlorlschen Ganzen wurden: erat seit diee«r Zeit kann
man wirklich von einem Tlane' Hpreclien.
Bruinier geht aber von der ihm als selbstverständlich erscheinenden An-
nahme aus, dal's S-on vorneherein' ein Plan viirbanden gewesen sei, dessen Be-
folguug die Abrunduiig eiues künstlerischen Gau/xu ermöglicht hätte. Nimmt
man daa an, ao iat es ganz folgerichtig, diesen ursprünglichen Plan ergründen
an wollen. Bruinier erkennt sehr richtig, dals dieaer Plan seinen Angelpunkt
in dem Yerluatnia des Mephiatqphelea au Faust haben mxikx dieses an er-
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I
()20 V. Valentin: Mepkisto^ele« and Erdgeist.
gründen ist daher Min eifrigstes Bemflhon. Er geht von der gleichfälls rich-
tigen Voraussetzung aus, dafs Faust den Mephistopheles für den Sen«lling des
Erdgeistes halt, freilich zunächst in der falschen Annahmo, dafa damit die
Auffassung des Dicht4?n?i über dieses Verhältnis identisch sein miisso Will
niun iliiii das zugeäteheu — ich kann es aus den dargelegten iTrüuden
nicht zugestehen — , so ergiebt sich ihm ein sehr klarer Widerspruch: 'Der
Erdgeist ist das Leben; wenn er sersiört, »tstdrt er um des Lebens wüleo.
Der TeuM aber ist der Tod; wenn er serstSri, snrstiSrt er, am sa serstören.'
Brainier sieht nur LSsnng dieses Widerspruches nur zwei Moglidikeiten: *£nt-
weder rnnfs der Brdgeisfc wniedrigt oder Mcphistopheles erhöht werden. Aber
keines von beiden ^ht an.' Er will nun die Schwierigkeit damit losen, dafs
Mephiatophelos, wohl wissend, djil's FiiiiHt siib auch nach seiner ZurQckAvoisung
durch den Erdgeist doch immer noch nach diesem sehnt, Faust unter der
Maske sich nähert, ein Sendling des Erdgeistes zu sein: er schleicht sich also
durch eine LCIge in Fausts VerbBnsD ein: damit giebt Bruinier die bis dahin
als selbstrersündlich gcmadite Annahme auf, die Meinung Fansts und die
YorauBsetsnng des Diditers mOftte identiBch sein ob mit voUem Bewnlkt-
sein von der Sache, wird nieht deutlich. Jeden&lls aber gewinnt er dudurch
freie BewegWOig, die er eifrigst auszunutzen bestrebt ist. Auf Grund dieser
Annahme versucht er nmadist die später ausgeschiedone kleine Szene des
Urfaust: 'Liindstrai'se. Ein Kreuz am Wege' und die Paralipomenu G und 7
(W. A.) in inneren Zusammenhang zn bringen: Faust soll erschi-eckt akueu,
Mephistopheies aei gar uicht der iSendliug des Erdgeistes, sondern der Teufel,
und dieser bemh^ ihn darttber; gclegontUclL Iflfle M^histopheles die Maske.
Als Beweis dafür, daft Faust nieht von Tomeherein weüs, wer sein Geselle ist,
sollen wir die Stelle ans Auerbachs Keller annehmen: *Meita! den Teufel rer-
muten die Kerls nie, so nah er ihnen immer ist': hier sei Mephistoplieles un-
vorsichtig: *er verrät sich zwar, aber durch einen Ausspruch, den er absichtlich
auf Faust selbst exenij)lifizieren will, der ja auch den Teufel nicht sn nah ver-
mutet'. Versteht Faust die Exemplifikation, Bi» niufs er wissen, dafs er den
Teufel neben sich hat; weifs er dies nicht, ho kann er die Exemplifikation
nicht verstehen — wie stimmt das zusammen? Mir scheint die Stelle sehr
Uar sn sagen, dab Faust ganz genau weifs, wer sein QeeeUe ist, und dals
darauf fobend sich Mephistoph^ mit Faust Aber die Stadentem Inatig madii
Brainiw entwirft nun recht interessant, wie Wielleidit' Gtoethe sich 'die grofse
Lücke nach der Wagnerszene zurechi^legt' hat und kommt zu dem Ergebnis:
*Nach dieser Fassunf^ des Problems ist Faust zwar der TTeld des Drama«,
Mcphistopheles aber der Iliitidelnde [was freilich schon zu dem Auftreten Fau^t«
in Auerl)!iehs Keller gerade im Urfauyt nicht stimmt!]. Dadurch geht die Ein-
heit der iliindluug in die Brüche. In diesem künstkriachen Fehler des Urfaust
liegt der eigentliche Grund fOr die addiebliche Aufgabe des ursprUngliehen
Phmes: im neuen der dritten Arbeitsseit steht Faust im Mittelpunkt aodi ßat
Bandlnni^ und die Umgestaltungen des alten F^oblnns sdueiben «ch deutlich
Ton dieser Änderung her.' Diese Behauptungen, ebenso wie die nun weiter
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T. TalAotin: MttpbiBiophfllM und Erdgeist
621
dem 'eigpntlirh Handelnden', dem Mephistoplielcs zugeschriebenen Aufgaben
»teilen uud fallen mit der Hypothese, dals Mephistopheles die Ma»kc eines
ScotOingB dca ürdgeutaa annimmt and trob einsdner Lflftnngen auch bei-
behilt, nnd ebenso geht ee natllrUdi auch mit der Entwictelung^peflohidite
des zweiten Flanee «u dem enten. leb eebe nun nidit den geringsten AnbaU»-
punbi ftr die Annahme, dafs Mephistopheles im ürfaust sieb für etwas anderes
giebt ab er ist: Bruinier selbst drückt dies sehr kräftig und entschieden aus:
T)er Mephistopheles des ürfaust ist der Teufel ohne Feij^enblatt. Nur das ist
der Mephistopheles der Szene ^Trüber Tag. Feld», nur das i^t der Mephisto-
pheles, vor dem Gretchen, der ahnungsvolle Engel, erschauert, den sie auch in
der Nacht des Wahnsinns nicht mlTskennen kann.' Und nur Faust soll darüber
im ÜnUArrai bleiben, soll in eben der Snne *Trüber Teg. Feld* Mephistopheles
nodi all den seine Ifaske mit voller Wirkong iaragenden scheinbaren Sendling
des Erdgeistes bebandeLn und nicht merken, mit wem er es sn thun hat?
Wenn Bruinier es für möglich hält, diif> M* pbistopheles zu Faust in der
Maske eines Sendlings des Erdgeistes tritt uiul somit nach des Dichters Yornns
Retznnj; vom Erdgeist nicht geschickt worden ist, so stellt er sieb damit tbat-
sächlich auf den Standpunkt, dals Fausts Meinung und des Dichters Voraus-
setzung nicht identisch zu sein brauchen, ohne sich freilich klar über dienen
wichtigsten Punkt ansaiupredien. Ist er aber dieser Ansieht^ wäre es da nieht •
das Einfachste, auf diesem Wege weitravagehen ond die richtige Konsequenz
an siehen? Kommt Mephistopheles nur in der Maske eines Sendlings des
Erdgeistes, so mufs der Grund, sich Faust zu nähern, in Mephistophelee selbst
liegen: der Teufel geht ja seiner Natur nach darauf aus, Seelen zu fangen;
zudem aber stehen wir damit ganz auf dem Boden der niittolaltcrlichen Uber-
lieferung, von der sicli Goethe im ürfaust in den Grundvoraussetzungen noch
nicht entfernt: der Teufel kommt atis eigenem Interense, nähert siih voisicbtig,
zuerst in liundsgestalt, giebt aicli daim aber als das zu erkennen, was er ist.
Faust nimmt dabei irrtOmlidi au, Mephistopheles sei Tom Erdgeist abgesandt,
und Mephistopheles tbut nichts, ihm diesen Olaubeo m aerstdren, aber auch
nichts, um sls solch« Al^jesandter zu gelten: er macht in keiner Weise Hehl
aus seiner Nut ;r Goethe benutzt also auc]) hier schon das dem Dramatiker
80 günstige Mittel, eine Persönlichkeit des Dramas nach ihrer eigenen An-
nahme handeln zu lassen, während diese Annahme mit der Voraussetzung des
Dichters über das thatsächlirhe Verhältnis der Dinge nicht zuRaminenftiuimt.
Für die Entwickelujig der Persönlichkeit tles Dramas ist es von gröfster Be-
deutung, dafs sie selbständig und auf eigene Verantwortlichkeit hin handelt.
Diese Selbsiftndigkeit spricht sidi dem eingeweihten Miterleber der Handlung,
der, selbst außerhalb stehend, sie beobaditet nnd auf sich wirken UUst, gerade
durch ein solches VerbSltnis Ton Tomberein sehr gut aus: die dramatisdie
Persönlichkeit geht einen mit den Thatsachen nicht übereinstimmenden, also
(>!)iektiv falschen Weg — es ist aber ein eigener Weg, den sie kraft Huer
Selbständigkeit, kraft der Bethätigung ihrer figenon Meinung, ihres eigenen
Willens einschlägt. Es wird dies zugleich ein vortrettliches Mittel, unsere
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Y. yalflBtu: MaphirtophelM and £rdg«ist.
Sorge illr iie m ermken veeA UMh sn halten. Famt giebi nch nun um m
leichter der Fitbraiig des HephittophdiM bin ghiiibt er doch sn «iieeii,
dafii er dab^ noch tmter der Obhut des ihm ^mpaihiflGhea Geiotee etehtf der
ihn wQrdigte, ihm zu erscheinen und der, wenn er ihn üuch persönlich von
•ich zurückstieffl, nach Fausts Annahme doch noch hilfebereit über ihm
wanlit. Mt phistopheles widerffpricht dem nicht, da Faust ihm so nur nm so
williger folgt: er hat aber keinen Grund, selbst diese Lflgenrolle zu s])ielt^r..
weil Fauste Annahme schon ohne sein Zuthun erfolgt. Damit fällt aber auch
der ganze kOnstliche Plan, den Bruinier auf Grand des tob Sun angenommenen
YerhaltenB der Haekerade dei Mephistophfdea eieh anfbanen lilat Er geht
dabei too dar VonuueefaEang ans, dab Fauat mn ^erroUkonumiiingpddl*
eratrebt: Mephietopheles sucht ihn von diesem abzuziehen: 'so hutge Fanet ndi
sn vwTollkommnen bestrebt, kann ihm der Teufel nichts anhaben, m^ er auch
noch so tief in Schuld verfallen; erst wenn er nuf sein Streben verzichtet, i-^t
er die 3iehere Beute des Bosen'. Hier wird iinge}>li(.he Plan des Mephisto
pheles im Ürfaust doch wohl sehr gründlich von dem (iesang der Engel jun
Schlüsse der Faustdichtung *Wer immer strebend sich bemüht' beeinflul'st: im
Ur&ost findet aieh Ton dieawn YerroUkommnnngsziel noch nichts. Brninier
nimmt daher, um dieeee Streben Fbnsts SQ erweisen, die Verse des 'Frsomentes'
• an BüU^ 'die ihrem gMucen Ton nach alten Ursprungs sein mOss«!*, was frei-
lich nicht zu der früheren Behauptung Bmisiers stimmt^ 'dafs der sogenannte
«Urfaust» enthalt, was in ihm [dem ersten Zeitabschnitt der Abfassung, der
'mit der Wende der Jahre 177ryTj besclillefst'] erreicht worden'. Aber es ist
sachlich nicht unmöglich: die Wahrscheinlichkeit, dafs der Urfaust v.nr die
einen gewissen Ab.'^chlnrs in sich biet<'nden und daher zum Vorlesen oder
Vorzeigen geeigneten Szenen enthält, habe ich schon zugegeben — in diesem
besonderen Falle halte ich es nieht filr richtig; aber mSgen aoi^ehst die frag-
lichen Worte, die erst im Fragmente von 1789 stehen, ftr alten Ursprunges
gdten, und sehen wir, wss darans folgt (jeiat Vers 1770 ff.). Brninier fthrt
sie an, um zu ze^sn: Der theoretische Wissensdrang hat Fanst an der Er^
lemnng des Lebens und so an seiner Vervollkommnung gdiindert; um voll«
hommener werden zu können, muf;^ er daher zu leben lernen:
1770 Und wa.s der pnnzcn Menschheit '/.upetellt ist,
Will ich in iiieinciii inneru Sell)Ht genielsen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefbte greifen,.
Ihr Wobl und Web auf meinen Busen hftufen,
1774 Und 80 nwm mgen Selbst sn ihrem Selbst erweitem.'
Sehr sohOn — wenn es nur so im Frsgment von 1789 hiebe! IWese Worte
sieben allerdings da, aber mit 'erweitern* schlie&t der Satz nicht. Ist es nun
methodisch richtig, innerhalb eines Ausspruches willkürlich Halt zu machen
und durch Weglassung des Schlulsgedankens, nuf den der Gedankeufortschritt
überhaupt abzielt, nur die Einleitung von dem z,u geben, was der Dichter seine
dramatische Person sagen IhIhI, und darauf Folgerungen aufzubauen? That-
BachUch heifot der Schlols bekanntlich:
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T. VUentiii: H^bittoplMlM und Erdgdat.
623
1773 Ihr Wohl und Web auf meinen Busen häufen,
Und M mein eigen Sellffit m ihnm BellMt erweiten
I77ft ünd, wi« ta» selbat, am End' ftuch idi mnehMteml
AuB diMem Auibradi liScliater Ymwdflimg ISIkt lidi das Streben nach
BelbfltvwfvdllHHnmnni^ dnroh Eilariiung dea Lebena in keiner Weise beraiia^
leeen. Bruinier erMlt aber dadurch, dafs er mitten im Satze vor der letsten
Zeile Halt macht und durch ein Punktum den Gedanken als abgeschlossen
hinstellt, den Hinweis auf ein VerToUkommnungsziel unter Beiseitesetzung der
Verzweiflung: daraus ercriebt sich nun gerade das Gegenteil von dem, was ge-
sagt wird, wenn man i^aust ruhig aussprechen läfst. Bruinier folgert nämlich
im Anwchlnf« an die Torletete Zeile (1774) 'Und so mein eigen SelbBt zu
ihrem Selbat erwatem*: 'Dm iat der ftete Entachlnb, die Yenweiflung ab-
macbftttehi ond mit der Tha^ mitten im Leben atehendy an erproben, was mit
Oedanken, im dumpfen Studierzimmer, nicht ging: die Srkuignng der Gleich^
heit der Ziele mit dem Erdgeist in der Schule des Lebens/ Das lielae aidi
hören, wenn Fanst damit schlösse: kommt aber Vers 1775 dazn, so wird
es unmöglich, in der Verzweiflung zerscheiteru zu wollen und dabei doch
mitten im Leben stehen zw bleiben und bolie Ziele im Leben zu erreichen!
Das ist also verfehl^ und wir müssen bei der ihutsache bleiben: im Urfaust ist
Tvm dnem aolchen VerrollkommimngaBele Fauata nieht die Bede, ond wSre
es aaeh nidht, wenn man die Yerae 1770 — 75 noch ihm xmitredien wollte,
nnd aomit Icann aaeh Ifephiatophelea nicht darauf anagehen, Fanst durch Ab-
lenbing von diesem Ziele sn gewinnen.
Worauf aber geht er denn nun aus? Ganz offenbar tmd ganz einfiich auf
das, was in der Faustsage der Teufel will: die Seele Fausts gewinnen, imd
wie dort, dadurch, dafa er dem Faust dtirch die auf ihn Übertragene Zaub«'r-
kraft seine Wünsclie l)efriedigt werden läXst. Und liier tritt nnn der gewaltige
Unterschied mit der zweiten Diditung seit 1797 ein. Im Urfaust mufs wie in
der Sago <lw Teufel die einzelnen Wfimiohe befriedigen und erfDUt dieae Auf-
gabe auch: aeiD Ziel enrdcht er dadurch, dafs dieae Aufgabe eine im voraua
beatimmt ÜMtgeaetate Zeit hindnieh erfBUt wird — iat die Zeit um und iat
die Bedingung atets erfüllt worden^ so veifällt Fausts Seele dem Teufel. Kann
dieser einen Wunsch Fausts nicht erfttUon, so ist auch Faust seinerseits seiner
Verpflichtung enthoben, so kann er mit vollem Kechte zu Mephistopheles
sagen: 'Und das sag ich ihm kurz und gut: Wenn nicht das süfae, junge
Blut Heut' Nacht in meinen Armen ruht, So sind wir um Mitternacht ge-
schieden.' Gerade diese Anlage mit dem entscheidenden Gesichtspimkte der im
Toraua feaigeaetzten Zeit awang den Dichter dum, eine Fülle tou Abenteuern
SU geb«i, die alle ^dmüUaig zu einer Befriedigung Fanata geführt hStten:
die Grause wäre nicht durch einen inneren Prozeia in Fauat, aondem rein
aulserlich durch den Ablauf der festgesetzten Zeit gegeben gewesen — daa
mulste Goethe widerstehen, zumal nach der weit über die Grenze eines Aben-
teuers hinans(gewachsenen Grof' heniragödio, nach der jedes Ereignis, das zum
Charakter eines flüchtigen Abenteuers zurückgekehrt wäre, klaglich hätte ab-
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624
T. Valcotin: IlephittoplMilea and Erdgeiai
fidko mflneiii und so l&bt er die Feneldiehtung liegen, uns et dun 'ewigen
Juden' liegen liefii) dnr eben eodi im weeentliefaen nur eine Eeibe von Badern
gegeben Ütle: denn die Wiederkehr Chrieti vire gleiclifidli von eoben her
eingetreten, nidlt aber Jurcli einen inneren Prozefs Ahasvers erreicht worden.
Gans anders in der Dichtung von 1797. Hier handelt es sich oxn eine
einmali<^, aber endgiltige Befriedigung des an der Möglichkeit, t ino aoli h»
Befriedigung erlangen zu können, verzweifelnden Faust: ist diese flennoeli iiml
wider Hoia Erwarten eijigetreten, so ist er bereit, dem Teufil drüben zu Dieuste
zu »ein, so wie dieser ihm hüben gedient hat. Damit erhält die Handlung ein
gans neues Sei: Heplustophelee muüi eioli nun Vemfihoi, Eeuet diee«i Augen-
blick hdchster B^edigung su bereiten: ist er geeeheitwt, so nrals er tou
neu«n beginnen: die Notwendigkeit einer Folge von Eriebnuseii Frasls UeiMy
der zeitliche Zwang eines yorausbesiinunten Abi^cblusses fallt jedoch fort. Da
nun aber Mephistopheles nur Werkzeug in der Hand Gottes ist, der ihn selbst
auf Faust hingewiesen hat, um diesen ins thiltige Leben und damit zu einer
inneren Entwickelung zu bringen, so kann dem Biniühen von Seiten des
Mephistopheles ein innerer Prozefs bei Faust parallel gehen. Mephistopheles
reilst Faust fast mit Gewalt ins thiltige Leben: aber der an der Möglichkeit
der Befriedigung venweifelnde Faust kann vor allen Dingen an dem Sdiaber-
nack keine Befriedigung finden, in dem sich Hephistoplidee so wohl Ittlilt: so
foppt nun nicht mehr er selbst, wie im Ur&ust, die Studenten in Auerbacha
Keller, sondern Mephistophelee thut es, in der Ho£fhung, Faust werde an solchen
Späfsen Befriedigung gewinnen. Sein zweites Mittel, die Geschlechtslust, weckt
in Ffii:st , der durch sein Herz weit üh>'r das Zie! des herzlosen Abenteuers
hinausgezogen wird -- so gewinnt (ijes Motiv hier seine Berechtigung, die im
Urfaust fehlt — , wider den Willen des Mephistopheles einen Keim, der nicht
mehr au Chnmde geht Die Einführung am Kaiserhofe, die Faust nach dem
Sinne des UephistophelM nur Freude an der Yerwendung der &uberkraft und
dadurch Befriedigung TersehafflBn soll, dient in WirUidikeit daau, in Paust das
Bewubtsein zu erwecken, dafs er selbst handeln und seinen eigenen Weg gehen
kann: da erfolgt der Umschlag, und Mephistopheles, der bisher die Führung
hatte, sinkt mehr und mehr zum Ausftthrer des Willen?; Fausts henib, während
Faust sich zu immer höherem Handeln aufrafft: es fülirt ihn auf das ästlieti.sche
und endlich auf das ethische Gebiet, wo er durch sein Streben, nicht durch
Mephistopheles, uud mit HiKe der Phaataäic vveuigstuns da» Vorgefühl des
hödisten Ziels, der ToUen Befriedigung gewinnt, und schon in dksem Yor-
gef&hle erlebt er jetat den höchsten Augenblick: da stirbt er, und die Engel
kSnnen ihn Ton der Verdammnis retten und in den Bimmd führen, ihn, der
immer strebend sich bemüht hat: so kann seine Seele die Läuterung durch-
machen und zur höchsten Seli^roit durch die Yermittclung der Gnade zu-
gelassen werden. Die Handlung, in deren Mittelpunkt ausschliefslich Faust
steht, gliedert »ich so natiirgeniafs in zwei grofse Teile: den einen, indem der
Genul's, der zur Befriedigung führen soll, von auisen an Faust herantritt und
den Menschen mit Leidenschaft im Zustande seiner Dumpfheit erfalst: noch ist
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Y. YalcBtin: UephiiiopbdM uad Krdgeifi.
seixx Zustand so, dais er zwar den dtnikuln Druug in sieh illhlt, uIm i mm
rechten Wege noch nicht dui\hg< lirungou ist. Im aweiteti Tuilu joduch boKiitut
das MllMtSiuüge Handeln und «irkt daher T<m innen nach aulian: dar Uenula,
der jetrt erstrebt wird, iat der ana eigenem Tbnn entapringende, der Thaten-
genuTs, der sich mit immer klarerem Bewulataein seine Ziele aidbat tuoht
Eines dieser Ziele, das charakteristischeste, vou Anfang un am meiNltMi tind
sichrrsten fcststf-hendo, weil es sich an den Hchun dtM* ullnrorHlcn Zrit riit
stammenden EntschluiB ansciilit^fst, Helena nuftntcn zu liiaHcn, int die Hrh?5»i
heit, das Erleben des ästhetisehea Ideales; duh letütu und h'leliHti- Ziel ulx i iil
der Genuls, der durch die Thütigkeit des Schaffeus erlangt wird, wiu ihn I'huhL
dordi ScfaaSmig einer neuen Welt thaiaiebliob erreiebt: der fon Innen aua>
gdiende SdiafiensgenuTs, das Erleben des ethiichen Idoalea. Das sind die swel
Teile, die Qoetilie sich beim Übergang von der ersten Dichtung aur aweiton
in grofscn Zügen skizzierte: sie stehen in dem Paralipomonon 1 Kin MifM
yerstandnis ist die Annahme, dafs die hier angegebenen 'IVü 1 und Teil 2 mit
den zafallig durch die besondere Art der allmäJilieh" n N'eröfl'' iitli< Ijüripf i'nl-
standenen Teilen 1 und 2 identisch wären: in dem l'ai!ili|)<»mi ni»ji 1 han'li'lt *.h
sieh um eine rein astbetiHfhp, dramaturgische Teilung, »"> 'lal« tunUi <iru|»)»i^
bis zu deiu Umschwung, die zweite Uruppe von diesem uti geht. lier Um
aebwung hat aber mit d«r snfaliigcn, dordi da« aUnibliebe Bekanntmaeben
notwendig gewordenen DmckteQung gar niebts an tbnn: er beginnt da, wo
EVraat snm erstenmale aelbaüadig handelnd auftritt, wo MepbiatopheU« ge-
stehen muJb, dala er aelbst nicht helfen kann, und ho Faur-t, iM>hr g'-g<'n den
Willen seines Gesellen, selbit bandeln muf«: e» i^l in der HvAtiHi 'l'mijt<?re
Galerie', wie Faust die Erscheinungen von pHri« »irtd Helena von M'jJ.iäi*/
phele? rerlangt und dieser bekennen muf«, thtU er «le nicht bewulse« itiinn,
und »ie Faust sie dann JM-Ibht von den Mött'rm holen uinh. AI« Oo'-the fUtii
ersten Druckteil Ih^jH erhcheineu lieffe, war er ekh ^.Ur wohl Uswufct, 4ai»
diea nidii der iethetiaeh 'erste* Teil ael I» dm. erst«» Awrhif^u, daa «r
Cotta wegen der Xenberauagabe der Werke ma«hl^ b«f M ea in d«m Bridü; w*m
1. Mai 1805 fftr Band X: Yaost-KraipDent, um di« Hilfte r«r«i«brt': da«
l;nter?tri'-L^rje gicrbt da.*- N»r„'r dj»-i>er Aufgabe «n G'Mije gab aleo d«l ißnwJk
teil 1 dur<:hau« ij'jr al« Fr<i'^jij*-j.t. ur:»! zwar i/irhi ai»- ^-m vAii:'-»:, 'K« »-if.e m
sich ar.>;^e?"-}-l'.'-^T.«r. r'ri^tjv»: E:.'.L':ii }.t inW-: <Tt j*t v Li<-' Lt/. Frag
ment, p.o dbi* mz:: r-i:A.^ zu ij.-.t^r»^.}.» .'i'.fj \y*\: f .»u»-t IT--'* kl* y'rit^^'ij* ' * I ,
Faust 1 il^ Vr-A^'^-^^j' X 2, i*-5:.r^"-d C'-r A vr.dr'-'.k 3^'/^ 'i*-;! 1 ^tA f U
nnd Teil t imiuirr wiit?d«r ziu 4eiu UtLirtmütAttiMttm fübrt^ sj» «ei «•
bei Fanst wk U^i WiIL<;jm Mthtt^i hJtr ist d«r T^iJ wiHsJ^ii «tut in
aieb nltxir a*>g«kieLIoM«sift DÄitvr,^, die avii tbaf«Ä»i<JJ«ii voo Ai;iEwLg a« «ife
i^^v» eo'Jl«. ii^Ä »«*-;t*ti T«J **• wtiuuM.'i**-ju«fir4art er-
für ^j'.i * T'.ltA -t ^* Gi-Z/»?*. FaV'^ J>'-v< tl* ' 3 v.'/ J>'-.v*.V-.j »■.•-.d .• r.-l
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626
V. ValeoUn: Mephiiiopheles und ErdgetBfc.
Gfrappen, deren relativer AbschluTs eine ästhetische Begründung neben der
praktischen hat: die Handlang ist bis zu dem Umschwung gelangt, mii dem
Teil 2 beginnt. So ist es Lei Faust nicht und kann auch «mr iiicht so sein,
da hier der Umschwung mitten in der Handlung l)eim Übei l'uhj; l ineä Ereig-
nisses in ilus andere liegt: er tritt ein, wie die Cäsur im antik« u Verse, die
einen Yersfuls selbst zerschueidtit, um dadurch den Zusammenhalt des Vera-
gaiiMii nur um 90 denflidMr ffStiBMat sa machen, wUumid die Dähwae «im
wirklidie Treimimg bmgi Das miiJlito Sdiiller bei WaUenstein amrendM,
weil bei ihm der prakÜBche GesLchispiiDkt hinnikamy dnieh dieae Treonoiig
die Allfitthmng auf zwei Abende yerteilen zu können: für die TngodiA 'Fanale
^ielt dieser Gesichtspunkt in keiner Weise mit.
Dn8 Paralipomenon 1 deutet die Hamllnnrr an bis m HptfimjT Fausts:
McphiatopbolcK muls sich besiegt und in semer Hoffnung getauscht in die
Hölle zurückziehen und spricht seine Gedanken über sein MiTsgeschick in
einem ^Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle' aus: in der auBgefUhrten
Diditnng entspricht dieeer Abeicht die Stelle V. 13: es aind die SohlnCi-
Worte des Mephiatopheles, ehe er eich in den 'greulichen HSUenrachen'', dar
sich *links* aufgeihan hat, flflchtet, nachdem er aein Spiel yerloren hal Das
MotiT, dala M^hiatopheles epilogisieren soUte, ist indessen nicht ganz verloren
gegangen: am Schlüsse des Helenadramas legt Mephistopheles seine Maske als
Phorkyas ab und 'zeigt sich als Mepkistopheles, um, insofern es nötig wäre,
im Epilog das Stück zu kommentieren'. Auch dieser Schlufs des Parali-
pomenon 1 laist deutlich erkennen, dals Mephistopheles nach den Voraussetzungen
dea IMiditera thalaadilidh ni^ta mit dem Erdgeiat an thnn hat: geht er doch
wieder in die HdUe snrttc^ aus der er cum Seelenftng ausgezogen war. Und
dennoch iat eine aachliche Beaiehung awiaehen Mephiatophdes und dem Erd-
geist vorhanden: aie ergiebt aich aua dem Verlaufe dea Dramas selbst. Hb|^
Mephiatophelsa nun, wie im ür&uat, auf eigene Veranlassung und Rechnung
kommen, oder, wie in der Dichtung von 1707, ausdrücklich von Gott auf Faust
hingewiesen und zu der Versnchung ermächtigt, um dadurch nur um so besser
den Plan Gottes mit Faust zur Ausführung zu bringen — in beiden fallen
mui's er zu Faust in eiuem Zeitpunkte breten, in dem Faust seinen Ver-
lockungen zu^nglich iai 80 lange Faust noch hofien kann, dala er ?od
hMieren Gelstorn ünteratQteung aemes Wisaeoadrangea erlangen lcBa% ao lange
iat ea ganz oaml^lich, dala eine Teirloekong ina Leben hinaus irgendwie Er-
folg hatte. Erst wenn er von den höheren Geistem lurilf^estofsen ist, erst
wenn der Weg eines Erkennens des inneren Zusammenhanges der Welt imd
die Hoffnung auf Befriedigung dieses höchsten Strebens aussichtslos gescheitert
ist, erst dann hat Mephistopheles Aussicht, mit seinen Vorschlägen Gehör zu
finden. Die Erscheinung des Erdgeistes veranlafst somit den Übergang des
Erkenntnisstrebens zu der Thätigkeit in der Welt, für den sonst kein hin-
reichender Gh*nnd Toxhanden wSre: gerade dadnrdi bildet er ein gar nicht sn
misaradea Orhaä. in der Entwi<^ung der Handlang. Der Erdgeiat könnte nur
dann fehlen^ wenn der Dichter nicht von dnn Erkenntniaatrebw Fanata aua-
V
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y. ysIenUn: Mephistopbelea und Erdgeist.
627
|!:ef?aTip;eTi waro: das ist aber gerade das Eigenartigst«' der Goethischen Diehtutif^
im UrfaiL^t sowohl wie in der Ncudiclitung von 1797: waa dort noch als Keim
schluinmert, dessen Eutwickelung dem Dichter noch unerrpichbar blieb, blüht
hier zur herrlichsten Blume auf: die höchste Befriedigung kann nicht durch
JbkaiiMiL der Dinge mfiexliAlb dev llMiiMihffii, Kmdini nur durdi die Am-
gwtalftung des innerhalb dee Mensehen liegenden BefldttigungsstrebenB sa einor
naeh anfsen wirkenden, aelbeUosen TUitigkeit an Onneten anderer und der
Menschen überhaupt erreicht werden. Diesen Übergang von dem Streben nach
dem intellektmilen Ideal zu dem Streben nach dem etiiisehen Ideale bildet aber
die Erscheinung des Erdgeiste?, der j^erade durch sein Auftreten und sein
Wirken auf Faust ein Beispiel dafür giebt, wie er am sausenden Webstuhl der
Zeit schaffend in dvr Tlnit der Gottheit lebendiges Kleid zu wirken verstt?bt.
Und wenn auch Fau^t mit »einer Annahme, Mephiätopheles sei ihm vom Erd-
geiste gesehiekt worden, im Irrtom ist und der Votanssefanng des Dicbters
enieprecbend awischeo beiden Oeistem kein sadilidier Znsaimnenbang ist, so
steht doch das Auftreten dss ICephtttof^eB mit der Ersdieinnng das Erd-
geistes TOm dramaturgischen Standjmnkt au» in einem SO engen ursächlichen
Zusammenhange, dafs man berechtigt ist, von der Entwickelong des dramatisehen
Ganges sn sagen: ohne Brdgeist kein Mephiatophelea.
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ANZEIGEN UND MITTEIL1INGEN.
DIE LEX UANCIAKA.
Gegen Ende dee Jahr«i 1896 wurde bei
Hensrhir-Mpttisrh im Ragradaethale, 10 km
von Testur, dem antiken Ticbilla, eine In-
schrift gefunden von einem Umfug and einer
VoUstiLndigkeit der Erhaltung, wie ihrer nicht
viele vorhanden sind. Lieutenant PooUain,
der sie bei einer topographischen Streife ent-
deckte, liefs sie in da« Bardomufieum von
Tunis schaffen, wo sie von Cagnat, Gauckler
und Toutain gelesen wurde. Waa aie ent-
liftV-rn 1<onntcn, veröffentlichten yie zuerst mit
einer irani^üäiächeu ÜLertietzuug, dami auch
mit einem Kommentar von Toutain in den
Crmpffs rendua de VAcadhnie des in.^crijtiinm
et bdlcs lettres. «#r, IV t. XXV p. UÖ und
io den M^moires pr<!sente8 par divers sa-
tmitn n TAcademie, ser. It. XI p. 1. Doch
ist die Kursive, in welcher die Inschrift
■bgefiaTat ist, so iflchtig luil der Steitt
an vielen Stellen so sehr von dem an-
gewehten Wflstensande benagt, daXs «lie
Leflung der französischen Gelehrten höchf^t
UJlvolIstrmdig h\'u'\>. Auch A SVhii]t4'n, der
sich mit Hilfe einer rhoto^uphie und eiues
Abklatsches zum zweitenmal an die Ent-
zifferung des Textos watrte, l^onnte ihm niclif
viel Neues hiuzufügcu \I)ie Lex Miuiciaua,
eine afrikanische Dom&nenordnung. Abh. d.
Kgl. Gesellsch. d. Wissensch. zu Göttingen
Neoe Folge. Bd. II Nr. »); erst meinen
schärferen Aup-en, die sich an den Palimp-
seaten der Ambrosiana geübt hatten, gelang
es. den Inhalt der wichtigen Urkunde von
Anfang bis za Ende festzustellen. Ich be-
diente mich dazu zweier Photographien, die,
bei ▼ersehiedener Beleuchtung aufgenommen,
eich trefflich ergänzten. Die eine liavon
hatte Dessau von Gauckler durch Vcrmitte-
Inog de« Archäologischen Instituts erhalten
und mir gütigst zur VerfOgong gestellt; die
andere ist von Tontain in der oben an-
gefOhrten Schrift nie Liehtdmelc verOffent-
licht. Mit einem ausführlichen Kommentar
werde ich die Inaclmft in der Zeitschrift fOr
Sozial- nad WirtTChafUgeschichte Vt 4 ver-
öffentlichen; aber da das Denkmal nicht
nur inhaltlich, aondera auch lexikalisch und
gnugamatiseh manches Interessante bi^»i,
glaube ich der Sache jm dienen, wenn ich
wenigstens den schlichten Text auch in
dieaan Jahrhfiehetn nun Abdruck bringe.
Die Lex Manciana entworfen, als 'las
afrikanische Latifundium Villa Magna Vahani
teilweise in kleine PachttttftD serlegi wurde.
Sie enthalt die Bedingungen, auf welche
jener unbekannte Maucia, micb dem sie
ihren Namen trägt, seine zukünftigen
Pächter zw vprpflichten gedachte Ihre Zeit
bestimmt sich dadurch, dal's sie die An-
pflansnng von Beben durch die Eolonen
nur loco vetenim f^estattet (II 26); d. h.
schlechte Weinstöcke dürfen durch bessere
ersetzt wenden, aber jede Vermehrung der
Ref. Anpflanzungen ist untersa<»t Da gowifs
kein Grundherr eine Verlje-iHeruüg seines
Gutes, die dessen Wert tief riiclitlich steigern
konnte, aus freiem Willen verbot, so kann
jene eigentümliche Bestimmung nur durrh
das Edikt Domitians veranlafst sein, das im
ganzen Ileiche jede Ausdehnunp des Wein-
baus untersagte. Dasselbe ist im Jahre 92
erhiHsen Vad wahrscheinlich mit dem Tode
des TjTSnnen dG) biunillig g^eworden, womit
eine reiht genaue Zeitgrenzc geyeben ist.
S]>äter tat daa Gut durch Erbschaft oder
K'untiBkalion an den Kaiser gefallen, nnd
Trajau beauftragte zu einer Zeit, wu er
schon den Titel rarthicus führte, d. ta.
zwischen 114 und 117, zwei seiner Prokura-
toren, die Lex Manciana den neuen Verhält-
nissen gemäfs umzuarbeiten. Die braTen
T.eute haben sich die Sache recht leicht ge-
niaciit. Hinzugefügt haben sie, wie es scheint,
gar nichts, aufser dafs sie, wo ex heu: lege
stand, dafür e lege ManciafM setzten, und
auch dies nicht ganz konsequent (I 17i.
Etwas flcifsiger sind sie leider im Streichen
des Veralteten gewesen. Wo sie »uf die
häutigen Formeln stiefsen auf domanis aut
conductüribv» vSUcisve domifumtm eius fundi
oder aut domims eins fundi aut conductoribtt»
da haben sie regelniäfsig die
domini getilgt, weil es ja auf der Domäae
keine Privateigentümer mehr geben konnte;
aber in der ersten formel, wo das Wort
zweimal vorkommt, haben sie mitunter die
Wiederholung ttbersehcu, so dafs an ner
Stellen das dommis (T 9; II 4; 9; IV 21, an
einer das domittorum (III 19) stehen ge-
blieben ist. Aach umfangreichere Tilgungen
haben sie voigenonnoen, s. B. gleich am
Anfange, wodurch das Statut in seiner
gegenwärtigen Gestalt mit einem höchst uo-
mottvierlen fu» «oriMn beginnt. Im ganzen
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Anaaig«!! and Ifittoiümifi^.
6S9
aber dürften sie den Text der alten Lex
Ifmci«» woU Uer «ad d» vurtOiiiindit,
aber kaum verändert haben.
Dürfen wir somit den geaamten Wort-
schatz der Inschrift noch fSr da« ante Jahiv
hundert in Ansprach richmpn, so pehBrcn
dafür Orthographie und Urauituatik nicht
einmal der Zeit dea Trajan an, sondern ent
der lies St'ijtimius Severus; denn fnlher kann
da» Deukmal nicht guüetxt sein. Dies er-
giebt sich zunächst aus der Untenchrift,
welch«? die BaniH der Vorderseite träfet;
Hee Ux gcripia a Luro Victore üditonis
magistro et FUtvio OmiiUo tkfemoref FeUee
Annobalis Birxüis.
Der Vorsteher der Kolonengemeinde
(WiagiMa-), der sich hier an erster Stelle
nennt, ist ein Sohn des Odilo, d. h. sein
Vater führte einen urdeutschen Namen.
DuMu fol^f dab schon eine Generation
vor Setzung UDSPres Denlvmals riprmanPn
auf den Landgüturu Alrikus angesiedelt
waren. Dies ist aber kaum denkbar, ehe
Kaiser Marcus die Acker des Römerreiches,
die eben vorher durch eine iaugdauerude
Pest verödet WttMi, ait den Gefangenen
de« grofsen MarconaiuMiiikriegeB wieder be-
völkert hatte.
BSenn kommt noch ein Zweites. Zwischen
der zweiten und dritten Zeile finden sich
mit kleineren Buchstaben nachgetragen die
^Vorte: totiu8qu[e] domw$ dmmi. Diese
Formel ist zur Zeit des Tnyan ganz nn-
möglich; so häufig sie auf Inschriften vor-
kommt, erscheint sie doch niemals vor
Septimiiu äeverua. Gleichwohl sind die Buch-
stabenformen dieser Interpolation denen der
übrigen Inschrift so ähnlich, dafs sie viel-
leicht Tsge oder Wochen, aber aicher nicht
ein ToQes Jahrhundert nach ihrer Setzung
eingeschoben sein kann.
Im äbrigen kommen Interpolationen nicht
vor; denn diejenigen, welche die Inschrift in
den Stein gegraben haben, waren zu un-
gebildet, um selbst den Versuch einer Besse-
Tung m wagen. Dm so h&nfiger sind reine
Kurruiiteleu aller Art, namentlich Um-
Mteilungeu von Worten and kleinere oder
gröfsere Lüchen. Da avf der vierten Seite
den Stoinc-H der Raum kiiajtp wurde, }iat der
Steinmetz sich geholfen, indem er eine Eeihc
von Zeilen hindnreh systematisch immer
wieder eini^'e Worte we^IIi'fs. Da-s Fehlende
haben wir nach Koi^ektur ergänzt, wobei
wir den Sinn leidlieh geboffen au haben
meijieij, aller rfir den Woitilani natOrlich
nicht einstehen kOunen.
Diese kone Eiiileitang vnranstnsehielnm
schien «n« filr das Yentftndnis der Inschrift
nötig; die nähere Begründung des Gesagten
wird man in der Zeiteehrift Ar Soiial- tnnd
Wirtschaftsgeschichte finden. Wir geVten im
nachstehenden den Text derart, dafs wir
nadi der Art epigraphischer Pablihatioiien
die Auflösung von Abkfin^nnprn in runde
Klammem (> setzen, die iiirgänzung weg-
gebrochener oder verlöschter Baehetaben, die
narh dem Fmfanp der leerfii St«llon SO, wie
wir nie geben, auf dem Steine gestanden
haben können, in eckige | ], umgestellte
Worte in spitze < ^. Worte oder Buch-
staben, die nur nach Eoigektur gesetzt sind,
haben wir durch cwrmm Dmck ausgezeich-
net, unter Buchstahtn von zweifelhafter
Letsung Punkte gesetzt, wobei sich freilich
der Grad der Unsicheilieit oidlt BOm Aus-
druck l)rin)?en liefs.
Durch die Redaktiuu dieser Zeitschrift
veranlafst, füge ich dem Texte der Urkunde
eine Übersetzuu;; hinzu, die hls zu cinein
gewissen Urude die .SlüUe eincH KuuimcDtars
vertreten soll. Aus diesem Grunde ist sie
auch nicht überall gan/ wörtlich, sondern
umschreibt mitunter uicbr den Sinn des
Paragraphen, als dafs sie seinen Wottlaat
wiedergäbe. Namentlich in einer Beziehung
glaubte ich mir durchgängig eine Änderung
des Überlieferten gestatten zu müssen. Es
ist schon oben gesagt worden, dafs die Pro-
kuratoren Trsyans, als sie das Statut flber-
arbeiteten, die Foimel ant dOMtnw aut con-
duetoribM väieine tUminonm eius fundi
immer mehr oder weniger verstümmelt haben.
Hätten wir sie so wiedergegeben, wie sie
jetit auf dem Steine zu lesen ist, so wäre
der Sinn dadurch vieUhdi entstellt wofden;
doch anderseits liefs sie sich auch nicht
überall in der Vollständigkeit eigftnsen, wie
wir sie hier geben, da ee keineswegs sicher
ist, ob nicht schon Mancia selbst in manchen
Fällen nur von den conduetorta und vtttci
geredet und die ddattm' absichtlich fiber-
gangen hat. Es schien mir daher am ^v-
ratensten, diese Formel an allen Stellen, wo
sie in ttagerer oder kflnserer Gestalt er-
scheint, durch da« Wort 'die Forderunf^n
berechtigten' zu ersetzen. So bleibt es dem
Leser in jedem einseinen Falle flberlassea,
oh er sie nur auf die neauftra^^Hen de« Grund-
herrn oder auch auf diesen mit beziehen will.
Wae an jeder Stelle ÜberUefert ist, lUM sieh
ja leicht aus dorn iielieiistehenden Texte er-
sehen. DaüB in der Übersetzung das Deutsch
sehr hölzern ist, wird man verzeihen milssen;
das Latein des (iri^'inals i-^t es nirht minder,
und mir durfte es nicht so sehr auf Flüssig-
keit des Stiles «akeinmeii, wie mf Qtaam^
k«it in der Wiedeigabe dea Sinne«.
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AnMigM und Miüeiliuieren.
630
I [Ex auctjQ[ri]t4te 1 Aug(u8ti^ n(ostr»), ira-
(p(eratorifi)J Caeä(ari8) Traiani Aug(u8ti) |
[ojptimj Gprmanid Pii[rjthici data a Liriin'o |
[JUaJximo et Feliciore Aug(uati) lib^erto) pro-
6 e(iii»toribiit) ad aemplniii | ^«gfi» Mwieiiuie:
Qtd eonun [i]nti« ibildo Vfllme Mag.[n]o
Variani id est Muppalia Siga Juihitnl/unt, iis
eoB agroa, «^ui BÜb]£c]e«va sunt, excolere
pemuttitnr löge MMeiiia, | ite nt, in» qvi
excoluerit, usum proprium liulxjat ex
ixactibus, qoi eo loco nati cruat, domiois
10 M(|condiietonbi»H]ickve«iiMf(iiiidi)pirtei
e l«!g« II a]iiei«M pMitare debeVoat.
Hac condicione eoloni j froctus cuiu^que
caltnre quota dare ad villam dejportttre |
terere debeboat: summas deferant arbikfttal
8U0 conductoriboB vilicUv^ [ejius f^undi), et
16 si oonduct|ori^B viUciav« ein« f(a]idi) is
aium parftee] colowieas dafar|[o^ renun-
tiaverint, tabelU [o]b[8igiiat]is 8[i]ne {^[raude)
B(aa) caveajnt, fi-uctus partes, ^lUM ff
b(ac) [l(ege) prestjaro dcbent, J coBduetorjbHi
vilicisve oius f(andi) inira calenia$ Mortk»
proximas m jiraecfariMfo« ette.
QiMS [coljoni colonic|a8 partes preftare
10 debeant: (ju[i ijn fnmdoi Villae Mag|nae
üive Miippälia Siga villas hab^ut habeboui [
dominicas, attt dimini» eius f(uiMU) ant OOO-
ductori1)U8 vilicisv: j eorum in asspin pürff"^
fructMuni <^cu[ijusquc geuf|naj> et viaearüiu
^prestar« debebunt^ ex | coDauetudine kgk
S6 llanoiaoe, qmie ita habet: tritici ex al^fvam
2 Bei dem zv>eUen Aug ist dag A in ein
0 hi$teiiikorrigiert — 4 proco — 6 habita-
bmit fMt, ergäiut mach IV 93 und 3» —
y eaa — 12 adcportare — 14 conduct'reB —
lö cglicaR — 17 ein?; 18 comiuctoreg —
intra calendas Martia« jiroximae se ])rao-
siaturoB esse. Quas fehlt. Der erste Mär»
irt als 2'ermin für die PachtgiMmgm bs'
glaubigt durch Dig. VII 1, 58 — 21 aut do-
mutis fehlt, ergänzt von Schulten — 22 fruc-
tiuu et viaeam ex | conyuftudlne Manciane
cu[iju8qae geneiris habet prestare debebunt.
JTtfr fractnam caiiuqiie generis tjß. IV S€.
^ Wie die lies M aneiana mit der Auf«
ystimg des PachtveAaltnines «cUieTet, lo
I 1— ö: Im AufUage unsere» Kaisers, des
Imperator Caesar Traiaiiaa Aaguetus, de«
Besten, des ßermanensiegers, des Partlior-
Btegen, gegeben von den Proknraturen
Ideilliae Mazimiu und Felicior dtiu Frei-
gelassenen dea Kaiaen aof Qmiid der Les
Manciana;
I 6 — 11; Denjenigen von ihnen (d. h. von
den Klein] lächicrn 'i, die auf dem Grund-
stöcke von Villa Magna Variani d. h. MAppalia
Siga wohnen werden, wird et nach der Lex
Manciaua ^'estattet, dio Acker, wtdrbe !>ei
der Vermessung der Facbthufen als Ab-
fldmitiel abn'ggebliehen dnd, aatnbanen,
80 dafs, wer »ie angebaut haben wird, die
eigene ütttsoog davon habe. Aus den
FMehien, die an dieser SteDe gewachaen
8cin urrli ii, ■a.x'rdcn sie den Forderungn-
berechügUin Quoten auf Qrund der Lex
Haodana leisten nkOtaeD.
I 11 — 18: Unter folgender Bedingung
werden die Kleinpächter von der Frucht
jeder Art de« Anbaue aliquot« Teile geben,
sie zum Qutshof hinschaffen und auadreschen
mässen: Die Gesamtmassen der Ernten
sollen sie nach eigener Bchützung den Forde»
rungsberechtigten melden, und wenn sie den
Ford«rung«berechtigten angekündigt haben,
dafe sie auf das Oanxe die Pachtqnoten
geben werden, sollen sie durch versiegelte
Tafeüi sich ohne Präjudiz verpflichten, dafo
sie diejenigen Ftnchbquoten, welche sie nach
diesem Statut leisten müssün, den Forde-
rungsberechtigien bis «um nächsten ersten
IHn leisten werden.
I 18 — 11 6: Welche Pachtquoten die
Kleinpäcbter leist«?n iiiässen: Die auf dem
Grundstück von Villa Magna d h. Mappalia
Sigft gnnidherrlidie Wirtschaftsgebände
habnn oder baben werden, werden den Fordp-
rungsberechtigten auf das Uauzo Quoten von
FMIehten jeder Art und Wein darbringen
mflssen nach der Gebflhr der Lex Mandana,
wird sie ohne Zweifel mit der Eingehung
desselben begonnen haben. In ihrer nr-
ntrBngliehen Form eaUuellen also die enten
Paragraphen wohl BeBtinuminc;cn fiber die
Vennessnnp der Fachthufen, woran s^icb die
folg<?nd(' Verfügung über die Subseciva
Bssend anschlofs, über die Ansetzung der
slapftcbtor, ihre Ausstattung mit dem
nötigen Inventar u. dgl. m. Aber diese Rin-
leitungsparagraphen pafsten nur für die Zeit,
wo Mancia von der Eigenwirt«rluift ruiu
Kolonensystem überging. Als zwei Jabr-
sdmto spftter das Gnt vom Ftskos in Besiti
genommen wurde, waren sie veraltet und
konnten daher von den Prokaratoren Tnqaas
geetaridien werden. 8» kommt et, dab die
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Aufligw and llitteiliing«n.
681
partem tcrtüua, hordei oz aream ( parteiu
tttrliiai, fUbe es nttaa piiteBi qafartnm,
vini de laco partem tortiam, ol;[fJi coacti
partem tortiam, mcilis in aive^^oja mellans
n ifKtnriM tingulM. qoi Mi|iM ( qoiaqtt«
ftlvfos- [ habebit, in tempore, qu[o vinj|demia
meiiana fue[rit, autj | domink aut couduc-
ft to|[ibai vilij|cisve eioj f(andi)qaiiKMii>anem
i9aiaF[iMj | d<u«) d(ebe!fait).
8i quin a1vro!t cxamina api,-8 [v]a8a | mel-
Itria ex fi[uQdo} Villa« Mague sive Mjappalio
Sige in octonuitun agnun | transtuleht, qao
10 fraua aut dominis anjt] | ronciuctörihtiH viti-
ciave eitts fijmdi) qua bat, a(ivj^e» examix«^
npet vua saeUarin malfo, qnoe injenint, con-
ductor?(7^' ilironmiTe f[iaa] | ^ondi) ^in
Fictis aritln^s- iirluirfg [c]o{r]r()sas, que extra
pom[ajjrio erunt, qua pomariuni (;,iu»j iiundi)
15 [ci]num vÜlam ipHa[mJ | sit, ut non ampliu»
noyeni!«, q;uu(li tliolu. luialü, iilojn fiat, co-
ll^onj^is arbitriü muu c«dere bur^r^ j^liceatj.
fTpjrtias ronfdnctof Vi vilicisve ciii« f(undi)
partLeJw de [pujiuij^ <ii,are) <i(,tibebuut).
Ficeta ve[t€j,ra et oliveta, que ad via«
[sunt], medi[etjati9 ^fructwum^ cousuet{uJ-
[dinem oondnetoii v^ieiava «ina pnataicfeJI
10 4ebeant.
8i quod ficetum post^a factum erit, eiua
fie(eli) I fructum p«v eontiunaa fioationaa
qninque | arbitrio suo eo, qui seruerit, per-
ctpere permittitor ; \ post quintam ficationem
27 Vinn — Inoo eorrigiert au» laca —
n 5 qui — 10 eisquam — ai^^'J
— 11 melqui — 12 conductoribug — 13 in
assem steht vor f[iuBj l\undi) — aridearbo»
— IS fiructum stdit nach cooeaetudiuem —
SO 4e>baat — 11 findiuctum.
Lax in ihrer gegenwürti-rcu Oestalt mit einer
ZnrückweiBung auf ein vorausgehende«, aber
jetzt nicht mehr erhaltenes coloni beginnt^
Sie ist eben am Anfang Iflckanliaft.
*) Nachdem die Leütongaii deijenigcn
Kleinpächter bestimmt sind, die ^'rutnihcrr-
liche, d. h. vom Grundherrn erbauUs Wirt-
ui'liuftsgebäude inne hatten, war untprüug-
üch wohl von demjenigen die Rede, die sich
adbat ihre Wirtschaftsgebäude hergeatellt
liaitten (vgL IV iOj, and ohne Zweiftl wurde
die folgendermafsen bestimmt: Weizen von
der Tenne den dritten TeQ, Oeral« von der
Tenne den Hritteii Tfil, Höhnen von der
Tenne den vierten Teil, Wein aus der Kelter
den dritten Teil, Oliven eingesammelt den
dritteu Teil , Tlouig auf jt-iicii Honif>i?f oek
einen iiext^r U,6ö Liter). Wer mehr als
fBnf Stöcke hnben wird, wird sq der Zeit,
wo die Honigemte gcw^Hcn spin wird , den
Forderungsberechtigtea fünf äextare auf das
Ganze geben müssen, 'j
n 6— 1 3 : W<:an jemand Stöcke, Schwärme,
Bienen, üouiggefUfse aus dem Grundstück
von Villa Magna d. h. Mappalia 8ig» auf
sein Rauernland ') hiiifibfrliriugt , um den
i'ürdttruagsUcrecbtigti'H dadurLh irgend wel-
chen Abbruch zu thun, werden die Stöcke,
ScLwärrue, Bienim, Honigpcläfse nebst dem
Houig, der dariu sein wird, den Forderungs-
berechtigten als Ganzes zufallen.
II 13 — 16: Vertrocknete Feigenbäume oder
andere Biliime, die durch Insektenfrafs be-
schädigt sind, soweit sie aufserhalb des
Baumgartens stehen, wo der Baumj,'artea
des Grundstücks den Gutdhuf aelbbt um-
giebt, soll jeder Kolone, falls dies ohne bflae
Absicht geschieht, bis zu der Zahl von nenn
nach eigenem Ermessen abhauen oder durch
Feaer vernichten dürfen.
II 16 — 17: Von den Baumfrüchten werden
tie den Forderungsberechtigten den dritten
Teil geben müssen.
II 17 — SO: Die alten Feigenbäume und
Ölbäume, die an den Strafsen stehen, sollen
den Forderungsberechtigten eine Qebflllt TOtt
dw Hälfte der Früchte leisten.
n 20 — S4: Wenn eine Feigenpflanzung
künftig angelegt sein wird, so soll es dem-
jenigen, der sie gepHanzt haben wird, gestattet
sein, durch fünf aofeinander folgende Feigen-
diesen eine geringere Qoote nagebilligt. Aber
diese Vergünstigung wurde vermutlich nur
auf eine bestimmte Reihe von Jahren ge-
wiilirt, die zu der Zeit, wo duH (iut in kaiser-
lichen BesitK überging', h( liuu abgelaufen
war. Die Prokuratoreu konnten daher den
betreffenden Paragraphen als veraltet tilgen.
■) Unter dem oetonaritu ager ist, wie ich
erlaube, da.« paclitfreie Baucrnlund derjenigen
Koiuueu m verstehen, die neben ihrer i'acht-
hufe auch noch eigenen Grundbesitz in der
Nachbarschaft der Villa Magna hatten. Seinen
Namen fBhrte ea wohl davon, daft von jedem
Jugenim acht Modii Weizen an die kaisor-
licheu Koniinafjazino z« entrichten waren,
wiihnud dii' Steuer df> t irur.-i^nundbesitzes
nicht nach einzelnen Jugera bemeaaen, son-
dern fOr jedea Latifimdinm auf eine Fmiaeh'«
•umme angeaetst war,
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688
Anadgtti und Hlttfliliiiig«!!.
cadem lege, qaa s(upra) »(criptiun) est, | con-
ductoribus viliejave aia« fltiuidi) p(rMctere)
S5 Vineaa serere | colere joco vetemm per»
nuttitur, ea condicione, [ut] | ex ea Mtiooe
prOXQluiB vindemis qainque fiructu[8j [ carum
vinearum is, qui ita s^nierit, sno arbitn'o
perjcipeat itemque post quintA vindemia,
quam ita sata | erit, fi-ucius partes tertias e
30 lege Manciaua co&duc|toribu8 | v[ilicüjYe
in eius f[undt) in Mwm due debep>u[nt].
[OJjiv^iain a^rfte colero in eo locp, qo»
qtiü bifottam excolulerit, pemtittititr ea
6 condicione, u|t ex ea satione eius fnictus
oliveti, q]Qod ita satam eat, per oUvatioo«
proiximaa decam arbitrio wtut peniiitU>)Te
debeut item (lOHt (lecem olivationes ole|[iJ
10 coacti partem tertiam [cJonducto,ribtui vi|i<
dmre «199 f|;\uidi) d(are) d(ebeat).
[Q]oi inieme^t oleaaba, poat a{°i99f
[qmJiQqiw partem tertjam d(a*e) d(«belHt).
Q^i W aiwif , fftw i» fl[ando) j
Magne Varfi^anj sivfe] Mappaliao | Sige sunt
15 ^roiit, ppfltea fcf^t BLjgroa^ qui | yicias habent,
^Of^ ' eJ[g\rotvnL bwüjiaaa oondnetoribna
vOidsTC« pCartflm)] 71 d(ai«) d(ab«bii).
Cu Stüde» ratione$ /rn/ctUMm a aäomi»
ejxigere debebunt
Pro pccora, qfu}e intra fniidiimi Villc
M[agua« i(d) e(8t) Mappaiie äig[ej p^scentur,
tu pecof* HBigula aera quatmia 'ftuUmm
10 conductoribuB vilicisve dojmiiionim eins
f(undi) prestare debeb^t
Si quif ez fl[ondo) Villa | Magna live
Muppalic Sigc fmchis stantem penjdentem
maturum inmaturum caeciderit exeideriit
esportavarit d«port*v«rii eonbuMint, 9t m-
qxxioret ex | ©9 ftant, sciens (iialn) mfalo),
25 detrimeatum conductoribus vilicisve ei|aH
SSlegam— ST fteerit— arbitro— HI 1 fmndi)
fämt — 4 condiciciunc - 5 q'uid — 8 decem
fehlt — 14 vtfl 11 poHt(»a factum erit —
Itj rulioiu's fructmiin a (.nloms (fhli — 17 de-
bebut — m agn — IS* quatenia quotan-
nis] quattus — 23 conbuser^utscqucxICQfiail*
■fi^. Der mti» iA hier f¥i «Aalten^ ttigt
trutcu die Frucht jener Feigcaprtnii7.iiiig nach
seinem Ermessen sich anzueignen; nach der
fünften Feigenemte wird er gemiLTs derselben
Begel, die oben geschrieben ist, den Forde-
rungsberechti^ten leisten müssen.
n 24— in 2: Weinstöcke zu pflanzen und
grofszuziehen ist an Stelle von alten ge>
stattet unter der Bedingung, dafi dogoiige,
der so gepflanxt haben irird. aas jener
Pflanzung (Ue Frflebte jener Weinstöcke bei
den fünf n&ohsten Weinernten nach seinem
Ermeasen sich aneigne. Und aa«h der
fOnfkea Weinernte, die nach der Pflanzung
erfolgt sein wird, wird man nach der Lex
Manciana den f ordenugaberechtigtea die
dritten Teile der Frodit aof dai Oanse
geben niiisHen
ms— 10: Olb&ame au pflanzen und giofii-
«iziehen ist aof wüstem Boden, den jemand
urbar gemacht haben wird, gestattet unter
der Bedingung, dafs er aus jener Pflanzung
die Frflebte jener OllAome, die ao gepflanst
sind, bei den zelm nächsteu Olivenertiteii
seinem Emessen überlassen müsse und nach
sebn Oliveneniten von den «uigMammelteD
Oliven den dritten Teil den Foidenuga-
berecbtigien geben müsse.
m 10— tt: Wer wilde Olbftume g^iflanai
haljeii wird, wird nach fflnf Jahren den
dritten Teil geb^ müssen.
TU 19^1«: Wer aas flandüftdien, wo
Boieli' L i!' dem OrundstÜLk \ou Villa Magna
Yariaui d. h. Mappalia Siga sind oder sein
werden, kfinftig Felder gemaebt baben wird,
die Wicken tragen, der wird von der Frucbt
jener Felder den Forderungsberechtiglen den
sechsten Teil geben mflsaen.
ITT 16-17: Die Wächter worden Rechen-
schaft über die Ernteerträge von den Klräi-
pftehtem einfordeiii mfisseo.
in 17 20: Für die Schafe, die anf dem
Grundstück von Villa Magna d. h. Mappalia
fiiga weiden weiden, wM aa» auf jedes
Schaf vier As jährlich den Forderufigi-
berecbtigt^ leisten müssen.
HI so — IV S: Wenn jemand anf dem
Gnmdstnck von Villa Magna d. Ii Mappalia
Siga Früchte, ob sie auf dem li^ilui st^ihen
oder am Baom hingen, ob sie reif oder un-
reif sind, in böser Absicht abgeschlagen
oder heruntergeschlagen, aus dem Urund-
aber rtatt der BndUkAen teOwem gamM wätk
Striche, mit <ln\en <Jer Stfinmetz vielleidU eine
Hfdeserhilie Sclmft, ihe t:r stlhfft. nicht cer-
stand, wulizuinldi Ii nr<Hrhti\ Wir hatjfii
dafür die i^uc|^sto6e«^^^«€tJ<, denen sie noch
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Ansoigen ond JCitteilmigeii.
633
IV f.uncli) ! fc]olonix rei etitt, eui dct[ninentnm
factam erit« et alfeeiUBj [ tBiitiim prataie
d(ebebitj.
|(jui intra fundum Vitlae Mogjnc nive
Mappulie Sige [ticeta vinea« oliveta oieaatra
■ejlverant severint, [üb eiu8 euperflciei asnni
5 Hbens,] | qui e legitimjiä matrÜDonÜB pro-
creati flunt eruut,| | testameutfo codicilÜtve
relioqucre liceat, si sup][erficieH i|n 8|oIucii
tfmpiu fftcrs pr(ofana onmia pro) | i9(cUj*
yidiu da^ sunt dabootur; [iU Iieradi
u||su[k) hnius fidod» e lege ManciMia wr-
10 [Qui R|u|perficiem ex inciüto ezcoluit ex-
coluer(it, in »olo fujj^di Mdificium depoeiiii
8i ii[i{ deiit de«ierit, <^per^ co tempore,
quo ita ea fiuperiic[ ieaj | coli desit dcaicrit,
ea quo fuit fuerit iu8 colendi, dumtaxa,d
bieiiiito proximo, ex qua die oolor? duit de-
15 «ier}^ lervatur j aervabitur.
Post biennium conductort&Ha vOietsve
e^irfujui superficie«, que proxumo« annos
cult» tuit et coli [deaijicril, t-unu- esse de-
tcWt eondoctor nlicnsve eius flfundi) ei,
eMiW ea Huperficies ea«e d[icetj|Ur, denuntiet
HUperficiem cultatn noti esse, iti ea superficü
pIuH non eget nrque ne etitn culturum pro-
mittit anno aequ|eDti,J | <^conductur viliciMve^
^eiua fiundi^ post bieonium^ denantia-
tioiinm deuandatam g^y# ^ictatia teRta[t||0
SO itenique in «equenterä annom ^onaj gratia
sine qaci[relj;a eius, cmmw mm eokndi fiiit
futrit, aläm eokmum «m miperfieim eol^ve
ia}(beto.
IV 1 reieieni — S nn — 9 maneiatie
— 11 |>o<»\n'rit — 12 «li -iit'ritjttTdesierit —
Ii bieuuo t'x k(*rri(jieit uut> ha — desit fehlt
— 15 conducl'irr- i(i proxumo — 17 curae
ene debebit fehU — ei cniua fekU — IB non
CMe n ea raper6cie fAU — neqae le «am
culturum |>roiiiittit anno feJilt - 10 riim
l^undij poat bieoium ^onduc^r rihcusve
ITSBi JtkAMbn, IIN. 2.
stflck wc^ebracht oder auf dem GrundeMck
an eine andere Stelle gebracht oder ver-
bmmt haben wird, «o dafs sie dadorch
seUechter werden, wird er den Forderung!'
bereehtigten oad den FAchtem de^enigen
Beriliei, ao dem der Sdiaden verübt ist, den
Schaden doppelt emt/on iinUsi n
IV 2 — 9: Wer auf dem Urundatück von
Villa Magna d. h. Mappalia Siga Feigen-
bäume, Weinatöcke, zaiime oder wilde Öl-
bäume gepfianzt hat oder haben wird, der
•oll die Nutzung dieser Superficies ',i seiueu
Kindern, die in gesetzmüraiger Khe gehoii-n
dnd oder aein werden, doidi Teattuuent
oder fermloien letzten Willen Iiinter1aa«en
dürfen, falls die Superficies fflr die pacht-
freie Zeit xosammen mit winem ganxen
heiligen ond profimen Beaite als unteObaree
Vermögen jenen vermacht ist oder künftig
wird; in solchem Falle wird dm Treu-
verspreehen dieaer Nntrang nach der Lex
Manciana dem Erben gehalten werden.
IV »—11: Wer auf wfiatem Grande eine
Superficies angebaut hat oder haben wird
oder auf dvm Hoden des GrundstQckH eiu
ileb&ude errichtet hat oder haben wird, der
MÜ daa Redbt der Knteung haben.
IV 11 — 16: Wenn er die Nutzung auf-
gegeben hat oder haben wird, soll während
derjenigen Zeit, wo die Bebauung jener
Superficies so aufgegeben ist oder lein wird,
daaUecht der Bebanung dort, wo ee gewesen
iii oder sein wird, gcgctiwiirtig oder kflnftig
erhalten bleihon, aber nur fflr die nilchateo
swei Jahre »eit dem Tage, wo die Bebauung
aufgegeben ist oder sein wird.
IV 15 — 22: Natli /.wfi Jahren werden
die Fordeningsberechti^'tiii tVir clic Sti|>er-
ficiea, welche die letalon Jahre bebaut ge-
wesen ist und deren Bebauung aufgegeben
sein wird, Sorge tragen müssen. Einer der
Forderungsberechtigten soll demjenigen,
welcher für den Beaitxer jener Superficies
gilt, formelle Anzeige machen, dafa die
Superficies nicht bebaut ist. Wenn er jene
Superficies nii ht mehr braucht und nicht
•ie im folgenden Jahre wa brbnnen verspricht,
soll der Forderungtherecbügti' unter Za-
siehung von Zeugen ein Protokoll diktieren,
dab die formelle Anseige nach swei Jahren
«leM in dieaer Seihenfolge hittUr Sl que[relja
eius - (It'iniutiiihim 20 rr/l / 1' .j.i
21 cuiuB ius colendi tuit fuent alium colo-
num ean anperfieiem /*eMf.
■) Du Wort mperficie» iat teehniaoh flh
fiiK'ii Hofiit/., der mit fremdem Qrund Und
tiodeu unlösbar verbunden tHt.
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634
Anzeigen und Mitteilungen.
N<» qui« conductor viliiusvff i']nnini in-
quilinuni [eiuüj | fi^undi) plim oyerarum jtrac-
ttare togaif fuam imfra tariptim «rt.
Coloni, qui intra f{undutn) Ville Maguao
id ttt Mappalie Sigv hu{litt]|abunt, domini«
aut conduct{oribu8 vilicisve] eiua f(nndil
85 q uodannis in hominibuH nin^u})!^ ^r[atioJni8
>] ii[a]i n(aiiiero) n et in messet ft[Qj^tnii]qi
|cui|u8quc ^encriH | Hingulai «pwM bioM
prafcstäre] deb[ebu|nt.
Coloni I inquUini ciuä ^luidi) i^tra sextutn
iuei^[!*e|cn anoi n|oimna tna coDd^ctoHbns
80 T[ijlj[cj!9t!e [eojrvip jn catto[dia8 eingula«,
Ylaiii ne ni]miam «eorflum df u]r8um facere
[coß]antur, in iiaum j Btipendiarionim , qut
[ijnftra Ijundum) Ville Maj^^ae id est l^ap-
pa|lie Sige babitabunt, iiibebitur, [u]t fu[ncj-
(io[D]c^ Huafl cjonductoribua vilicifve e^ujs
fi[iiiidij my^n <|«b<fflVt.
3f» CuBtIpdiaB ffundi^ «em« dominici? ^rädere
liceat; cum tt'nt [i ^j non sin]t|, ad natan
|Tu(gje8 in#pi5i§uda« fazniU^ | bar^ri«««
T^cabunl.
Parfti]ariuH, fqui eins] fiundj) 8a[rr:i f<-s(is
fc]e|ebrati8 [lujBtris den!l[i]ct»mi« c«t erit,
bona grajtia sine qnerela centunam r?9tiU'«t
40 totamlfratam.
«tattf^efunden hat, und soll ffir «las fulfcrfude
Jahr in {ipiter Freund^hafl und ohne Klage
desjenigen, der dae Hecht der Bebauung ge-
habt bat oder haben wird, einem andern
lichter die Bebauung jener Superficies zu-
gprochen.
IV 22 23: Kein Forderungsberechtigter
eoll einen Einwohner diene« Grundstücks
cwingen, inaiir Frofamlcn zu leiitan,
weiter unten ppRchrieben »teht
IV 23—27: Die Kleinpächter, die aui' dem
Grundstflck von Villa Miigua d h. MappaU»
Siga wohnen werden, werden den Kordenmgs-
berechtigten jährlich auf jeden Kopf Pflüge-
frohnden leisten müBsen, zwei un der Zahl,
und für jede Ernie jeder Fruciitari je awei
Frohndcn.
IV 27— SO: Die Kleinpächter, die Ein-
wohner diese« Unmdfltfldn aind, sollen inner-
halb dos Msehflten Monsfs des Jahre» zum
Zwecke je eine« W&chterdienstes, den mi?
jahrlich leiBten soUen, ihre Namen den
Forderongtbereditigtien anmelden.
IV 30 — M: Damit sie nicht gezwtingen
sind, übermAiaige Wege hin nod her m
machen, wird Kom Kntsot der Keipfttener-
pflichfi^jou. die uuf dem Grundstück von
Villa Magna d. h. Mappalia Siga wohnen
werden, der Befehl gegeben werden, dftls
sie ihre Steuern an die Fordemogabeieoh-
tagten des Qate« leisten sollen.
Vr 84— ST: Es ist erlattbi, dt« mditer-
dienatc des HuteH grundherrlülun Sklaven
txk fibertragen i falls Männer, die ein gültiges
Zeugnis abl^;^ kOnnen, nicht zur Stelle
sind, werden nie die ItarliarisclicTi Sk',!,, '
Schäften zur Begutachtung der Erateoträge
mfen.
IV ;}T 40; Orr Teil|.;icbl«'r , der die
Heiligtümer dieses Grundstücks nach Feier
de« LnstralfiMtes gegenwärtig oder kfinftig
hinter >\c\\ zu lassen gedenkt, soll in guter
Freundschaft ohne Klage seine Fachthofe'^
in guten Zostuide aUiefeni.
2H plus operanim priiestare roj/at rniani
infra scriptum est feMt — id est fehit —
SS aseeeem — 29 ve fdUt — 30 qnotannis
/UM - 34 dfbwi - 88 [«l9i?brlf.
'i Die- Parhtliufe ist hier durch das Wort
eenturui beaeichnM, das ein Ackermab von
200 Jugera bedeutet, uns also Zeagnis Qber
ihre Aosdahnong giebt.
Otto SascK.
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ijueägul viid IfHiteilatigwt
635
Ivo Bruns, Dik PKBsöNLirHKBiT in dkk
GcscBiCBTBCHiuuainio DEB Altbh. Berlin
1898, Beaser. Vni, 102 S. 8«.
Die Qucllenuntersucbun^en zu den antiken
8ehriflfltel]era, insonderheit xu den GeBchicht-
üchreibern, nach dem bekannten Schema der
Addition und Subtraktion der überliefert«!
NMhiichten sind endlich uu der Mode ge-
hvamun, Neuerdinge wendet man der Korn-
poeitioB auch der Proeawerke ein thätigüs
Interesse zu und sucht Einblicke m thun in
die künstlerische Werkstatt ihrer Aatoieiu
Für den philosophischen Dialog hatBtldolf
Hirzel') einen trotz mancher Mängel ver-
dienstlieben Venncli einer kritischen Ann-
Ifte und ii«ttieti«ehen Wärdigung unter'
nommen, fSr die lateinieehe Geschieht-
aebreibung bat Hermann Peter*} du
intereeMinte Problem Aber die Grenien der
WissenscbaflJicbkeit und der Rhetorik auf-
geworÜBn, die Stilgeeetae der antiken Kanal-
prosn aber hni ISdnard Korden*) zu be-
obachten versucht. Zu den Schriften, die sich
in dieser Richtung bewegen, gehört auch
die kleine Stndie, der diese Zeilen gewidmet
sind. Sic bildet eine Ergänzung zu dem
grOfseren Boche desselben Verfassers 'Das
liftorariscbe Portr&t der Oriecben im fSnften
und vierten Jahrhundert v. Chr.' (Berlin 1896\
in dem Bruns den Nachweis versachte, daTs
die Griechen das Charakterbfld eines Helden
in ilo]i])elt<T Weine zu entwerfen verstanden,
entweder direkt (sobjektivigüscb) oder in-
direkt (objekiiTistisebV 'Jene (die flabjek-
tivirttoni sa^en ohne ITmwege. was ihre An-
sicht von den Menschen ist, diese verstecken
ihr Urteil in die Ehrsllhlnng der Ereignisse.
Jene können den ulierlieferf en Stoff unser
ändert weitergeben, diese müssen ihn om-
foRtten.' In dem neuen ItleiBeren Bache ist
die ünterfiu-litint: in die römischen Zeiten
weitergefülui worden imd behandelt die
Kunst der Charakteristik namentlieh bei
PolyMuR. T-ivius und Tai ifiis T^a» Büchlein
ist gut disponiert and anregend geschrieben.
Am wertvollsten darin erscheineB mir die
beiden Kapitel ül>cr Polybiu« S 1 il;
84 - 100). In Urnen wird die jetxt herrschende
Ansieht, dafs Poljbius' Geschiehtsehreibnng
und mithin auch seine Melljode der fliarak
teristik von dem strengsten Streben nach
Wahibeit getragen sei, bestiltigt, sngleieh
i> Rudolf Hirzd, Der Dialog Leipzig 1895.
*^ Hermann Peter, Die getJchichUiche
Litterator der rOmisehen Saiseneit Leipaig
1897.
*) Eduard Norden, Die antike KtmetiRoea.
I<eiiiiig 1898w
aber endietnt Polybius als SulyektiTist
von beflonderer Art. £r bietet nftadieh m-
sammenfassendo Charakteristiken nnr von
Nebenpersonen, die nur einmal auftreten,
eo da& sich der Autor geswimgcn sieht, an
dieser einen Stelle das Bezeichnende kurs
auszuspreeben. Bei den Hauptpersonen lehnt
Polybius eine Gesamtcharakteristik ab und
ersetast sie durch eine Kritik der eiaselnen
Handinngen von Fall in FalL 'Bern Btaeben
geht auf Analyse, nicht auf Konstruktion.
Denn jede Konstruktion operiert mit einem
Znsatee von Erfindung, die er ans einem
streng wissenschaftlichen Werk verbannt
wissen will. Was wir von Poljbios' JBr>
Ortenmgen Aber grohe IDbmer wie die
Scipionen, Hannibal, Aratoa, Philopoemen,
PhUippos noch liaben, sind Einzelerklärungcn
oder Einxelnntenaehnngen, nicht zersprengte
Glieder einer (Jesamtcharakterintik ' Polyl'inH
selbst hat vor seinem groben Werke eine
Biographie sdnes LieUing« PUlopoemea
verfafst. Aber auch diene ffenü^t Heinen An
forderungen an strenge Geschichtschreibung
nicht; er scheidet prinzipiell die Biographie
von der Geschieh tuchreibunp 'Die Bioifraphie',
sagt er ($ 8), 'verlangt als zum enkomiasti-
sehen LittenäiiTBweige gehörig eine Darstel-
lung, die sich auf die Hauptsachen — in
diesem Zusanuaenhang bedeutet das eine
Auswahl der rhetoristä wirksamsten IbaiA-
lungen — beschiÄnkt und die Thafsachen
steif^ert; die (leschichte dag^en mufs sich
vollkommener Wahrheit befleUIngeB nnd die
aus den einzelnen Vorkdmmnisson notwen-
digen ScUufsfolgerongen ausführlich er-
örtern.* Tn dem «weitni bpitel Uber Poly-
liius i 84 lOn'i werden alle Plollen, in denen
sich dieser Autor über die Auffassung und
Keiehming der PersBnIiehkeit aossprieht,
zUHammentrf und ltele\i(htef
Weniger gelungen erscheinen mir die Teile
des Buches, die die Technik des Livios be-
handeln Bruns will lieweisen. 'dafs Li^nuK
bei allen Persönlichkeiten konsequent die
indirekte Metbode befolgt hat und dalk er
•«i lli.Mf, wo yeine Vorlage direkt charakteri
siert, diese Partion entweder wegliefs oder
sie in seine Formen nmgoni*. Aber dibei
kommt Rrnns in die I;a>,'e. so viele .\xiH-
nabmcn zu diesem Prinzip konstatieren zu
müssen, dafs er «s imn gnten TeQe selbst
wieder aufhebt. Denn erstens sind bei Livius
die 'Nebenpersonen' mit kurzen 'einführen-
den Wesensbexeichnnngen* ausgestattet; an
den Nelieiiy^estalfen nTier ;:rehflren in difsem
Falle auch Mcneniutt Agrippa, l'orioian,
ManliuR Capitolinue. In anderen Fällen soll
das Oewiasen des Historikers mit d«B Focde-
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636
AnMigcfl und Mitteitungm.
riiii^'L-n <l«-r indirekten Methode in Konflikt
geraten sein, oo dafs Liviot z. B. bd der Er-
dUilon^ von den BeipiODenproiMMii in
^oIyl>ianis^■^)^tl^.jektivi(lti8cher Weise darflber
reilektiere, welche von den OberUeferangen
wohl di« richtig« lei. Hit Absicht loll
LI\iuH einen anderen Wi ^' als den der in-
direkten Cbamkteristik eingeschlagen haben,
alt er IX 1«, 12 f. ein Wmensbild de« Pkpirinfl
Cunsor und XXXIX 40 i in si lir auHttibrliches
des IL Porcina Catp entwarf. 'Möglich, daTs
die Bedeutung des Maones den Lirini ni
einetu Ausflug' in ein rr>-nnti-r. Slilgebiet ver-
aolalst bat. Ebenso berechtigt aber ist hier
wie bei dem Papirintabedutitt die Ver-
miituiii,', .lufs <lif Ki;,'frnir{ tlif^i.-r ('haruk-
tehstiken auf der Benutzung einer in aub-
jefctirisdiem Stil gehaltenen Quelle beruht.*
Dies«' EntKrliuIiliffiintft'n winl wohl nifiiiainl
als stichhaltig ansehen} sie widersprechen
direkt dem von Bmne an^eatellten Sntee.
EhrriMo kann man die »OKeiiiiimfcn Elof.'ii'n,
kurze zxwun menfaesende Charakteristiken,
mit denm Lirine einen Serria« TtiUins,
Camillas, KabiuH MilxiIllU^', Srijiio, Arinilius
Paulus, Cicero u. a. %on der Bühne abtreten
UUM, ala 'AnaflOge in ein firemdes Stilgebiet'
betracht/»n Man winl al^o wnlil darauf vnr-
jücbten müssen, einem so beweglichen und
ao etnrk rhetoriaeh aehillemden Qeiate wie
LiviuB eine j^aii/. bestimmte Methode der
Charakteristik beizumessen. Muls denn wirk-
lieh dem Sehematismna snliebe ilbemll ein
feste« Prinziji rrkaiint werden? Man wird
sich bescheiden uiiisseu zu sagen, dafs Livius
im Krofsen und gancen snr in^rekten Chmk-
ttriBtik neigt, dafn alicr, wrnii r-s ihm ans
rhetorischen oder Kuthiichen IVriinden ge-
boten schien oder vielleicht auch gana nn-
bewufst, manchmal di«' andere Stilart, die
direkte Cbarakterschilderung, anwendet. Auch
bei der Lektüre dea Kapitels über Tacitus
(S. 67- X'Ai hid irmn dif Kmiiün ! itiL', dafs
diesem gTi;ilBen Autor eigeullicii Üt;ualt au-
gethan wird, wenn er in seiner CbarakteriBtik
dea Tibertna als Aohfioger der 'mdiiektan
Methode* in Anapmcfa genommen wird.
•Sehr anfechtbar ist endlich die Behauptung
{Ü. Vi>, dafs 'nur der äubyektirist ein der
Wiaaenachaft unmittelbar verwendbares
Material bietet, die Mitteilungen dagegen,
die in jener indirekten Bearbeitung auf uns
gekommen sind, ateta mit einem i^Iaerea
und kleineren Beisatz von ?!rfitiduitg ge-
wischt sind'. Mao könnte mit demaelben
Rechte dae Oegenteil behaupten. Denn der
direkte Charakterzeichner «nli r S'ubjektiviat,
wie ihn Bruns nennt, ist nicht notwendig
andi Analytiker wie Poljbius, sondern kann
auch auf rin 'o-samfhiltl rincr Person aus
geben. Üq wie er aber das thut und ein in
aich geeehleeaenea paycboiogiach veisUnd-
lirh«'« rharaktt-rhild litdVni will, iniir> .-r
unter Lmstiuiden noch mehr Konstruktion
und Erfindung anwenden ala dn Anhinger
der indirekton Methode Wenn also — wa«
kein Verständiger mehr bezweifelt — Po|y-
biua wahihailer und glaubwürdiger lat it»
Livius, HO ist rr ph nicht al.-< ^"ulljl•ktivi^t,
sondern als emsthafter Forscher nach der
Wahrheit; und Liriua tTnnverlftaaigkeit be-
niht nicht so .-^chr auf dor Neijninjr 7^^T in-
direkten Charakteristik, als auf dem rheto-
riachen Charakter aeiner gaaieo Sefanft*
stcllerei. Es wäre nicht nninfcrrsfjant
gewesen, wenn Bruns, um in diesen Fragen
der allgemeinen hiatoriaefaen Kritik ein noeh
umfangreicheres und einwandfri^icrcs Be-
obachtungsgebiet Bu haben, einige moderne
Hiatoriker herangeiofeB UMte, a B. %bel,
Trcit'srJikt' untl riTiirrf> Franzos-cn odor Eng-
iütidt-r Vielleicht würde sich da ergebe«
haben, dal« ein und dieselben Historiker
direkte und ijidirpkte Mitte! der Tharak-
teristik anwenden, ohne dals man daraus
den geringHten SchlulH auf die Wahrheit und
Ol^jekUriUtt ihrer Darptelhm^ machen diiit.
Otto Kni iiM» Scamnr.
Berichti<»nn?.
S, 464 Z. 10 V. tt. 1. Periklea statt Tbcmistokles.
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JAHRGANG 1898. ERSTE ABTEILUNG /[KlIXiK- l
KHETOßlK UND POESIE IM KLASSISCHEN ALTERTUM.
Von Hbaicahk Peter.
Wirk«B Tdll der Poet wie dfr Redner.
Aber dag Hücbstu
Bleibt ihm die Schönheit doch, die er zu
bilden »ich sehnt.
Jener behiUt dea Erfolg im Bück sleU;
dieser erreicht ihn.
Wenn er Um Aber dem Drang aeligen
Schaffens vergifst.
Ooeth«.
Im Mittelpunkt des Literesses für klassische Philologeo und diejenigen
Litteratorfreimde, iraldiB ueh noeh mit ihnen in FfiUmig halten, stehen jetet
die Sohätn, welche uns die Erde neu geeehenkt hei Darüber wdlen wir
aber die höchst bedeatmigPTolle Bereicherung nicht vergessen, welche in den
letzten Jahrzehnten unser YeislSndniB des Altcrttims durch die Erkenntnis des
Wesens der antiken Knnst])rnga empfangen hat. Das Gefühl für ihren rhytlimi-
schen Wohllaut haben die Gebildeten besessen, solange die lateinische Sprache
noch unter ihnen lebte, und halb unbewufht iu dem, was sie selbst lateinisch
schrieben, ihn nachgebildet. Aber schon unsere deutschen Ilunianisten, in
erster Reihe Melanehthon, sahen ein, wie Fr. Bmm» richtig bemerkt hal^ dab
ihre Stellnng an der lateinischen Sprache sich gemidert habe, ond dafii es ver-
kehrt scd, fiber den Bhjthmus Begeln an geben, da ne nicht mehr lebe
(Corpus reform. XIII 413 ff. 600). Durch die bis in unser Jahrhundert hinein
auf den gelehrten Schulen herrschende 'Imitatio' ist indes die Tradition fort-
gepflanzt worden; ihre Wirkungen reichen bis an das Zeitalter unserer deutschen
klassischen I^itteratur lieran, und die Ausbildnn^ der Prosa der modernen
Kulturvölker hat sieh wesentlich unter dem Einflufis Ciceros vollzogen. Die
Franzosen und auch die Italiener mit ihrem feinen Ohr für Rhythmus gefallen
■ich immer noch in wohlklingenden Perioden^), wahrend sie bei uns in Deutsch-
land mit onTerkennbarer Absichtlidikeit Terschniaht verd^ Jeder Leser von
Scherers Deutscher Litteratorgeschichte a. B. wird diesen Gegensata empfund«i
haben. Sätze wie S. 108 fder 2. Aufl.) verletzen auch unser Ohr noch: «Er ist
ein vollendeter Schachspieler, Jäger, Musiker, Dichter. Er hat die feinsten
Manieren. Er ist mit einem Worte 'höfisch' durch und durch. Er erhalt von
Marke den iÜtterschlag. Er rächt seinen Vater au Morgan von Bretagne. £r
^ Daher auch die Hochschätznug eines Rhetors wie Arif^tides daidl Scaligcr und
Casaubonua; s. W. Schmid, t'lur dtn knlturpr-HthlditUchen Zusamincnhang und die Be-
deutoDg der griechischen Benaiasance (Akademische Antritlwede 1898) 3. 37.
VsMMibtShsr. UM. t. 48
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638 H. PtHut Bbetoiik and Po«aie im Vlawiachen AUtttoin.
besiegt den Morold von Irland und befreit dadurch Coruwali von einem sckimpf-
Ueluai Ifenadmisiiu. Er USMt in Irland einen Drachen» n. s. w. Vielleicht
aber hat gerade diese Abkehr tob den InAerliehkeiton der epracUiehen Dar-
slellnng nna Deutschen die flhigMt Terliehen, mit nnbefimgoier ObjektiTitü
die gesamte Eigenart der antiken Kunstpoesie zu erfassen; in Frankrnch hat
man viele Einzelheiten richtig herausgefühlt, aber dun die Litteratur vieler
JalirbuiidfTte beHtlitimende Übergewidit des Wortes über den Inhalt ist dort
nicht zur vollen Klarheit gelanr^..
Auch wir besitzen sie noch nicht lange. Westermunn, obwohl ein gründ
lidier Kenner des Sprachschatzes der griechischen liedner, schweigt in seiner
1833 nnd 1835 ersdiienenen Oesehiehto der antiken BrnbaoLkeit ftber die
tiefeingreifende Bedentong der Knnsfcform TöUig. Erst G. E. Benseier hat im
Jahre 1841 mit sein«' berfihmten Abhandlnng fiher den Hiatus angefangen
unseren Blick hierauf zu lenken, dann hat der feiitHinnige Rehdantz sich be-
müht, die Reden des Demosthenes uns auch als Kunstwerke näher zu brinjjpn.
bis Fr. Blafs in seiner 1868 begonnenen Geschichte der griechischen Bered-
samkeit auch das System der Kunst der spracii liehen Darstellung bei den
Rednern uns im Zusannueniiaug entwickelt hat. Das Werk war nicht frei von
Übertreibungen; überdies konnte vieles auf dem Gebiet der rhetorischen An-
ordnung und Gliederung nur Ton einem geschulten Ohr gefühlt nicht für jeden
Leser su ToUer Übeneugnng erwiesen werden.^ Die für die flbrige Litteratur
naheliegenden und von BlaCa sdbst sdion angedeuteten Foj^^orungen rind daher
erst sehr allmählich gezogen worden, für Aristoteles in glänzender Weise von
G. Kai bei in seinem Buche über *Stil und Text der JIoiAxsiu ^Afh^wtiop
des Ar.' (1893).
Ich selbst habe versucht in meiner Behandlung der geschichtlichen Litteratur
über die riimische Kaiaerzeit und ihre Quellen (1897) die Kehrseite dieser Er
scheinung aufrudecken und aus der Berorzugung der Form und der in ihrer
Blfiteieit groAartigen, dann TerhingnisToDen Einseiti^eit der Griechen die
YemacUissignng des Inhalts und die Mißachtung der Wahrheit ftbeihaupt su
erklären, eine Thatsache^ die bis dahin infolge der Yerkennnng dieses Veriiilt-
nisses und der Übertragung modemer Anforderungen und Anschauungen in
das Altertum in ilirer Allgemeinheit noeli nicht dargelegt worden war. Doch
war ich mir der Unvollstäudigkeit der nur zu Gebote stehenilen Forschungen
über die einzelnen Aurserungen des Wesens der Kunstprosa wuhl bewufst; um
so freudiger habe ich das Buch von E. Norden 'Die antike Kunstprosa vom
YL Jahrh. t. CSir. bis in die Zeit der Renaissance' (2 Bde., Leipzig, Teubner 1898)
begrflbt Mit dem Mute d«r Jugend hat er das um&ssende Werk in AngrüF
genommen und auf Grund einer staunenswerten, oft entsagungsvollen LekMre
SU Ende gefuhrt. 'Untersuchungen* nennt er es mehrfach, und darin liegt ein
grofser Teil seines Wertes, dafs er uns das Material selbst mitteilt und uns
zu Mitarbeitern machi Der Titel 'Die antike Kunstprosa' Terspricht freilich
') Ich eitlere das Werk im folgenden nach der zweiten Aui'lage.
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H. Peter; Bbetorik nnd Poesie im Uaemchen Altertum.
639
mehr, als das Buch selbst leistet. Norden findet in der antiken Kunstprosa
drt'i wesentliche Cliamkteristika 'die Gorgianischon Rwkfipuron, die mit poßti-
sclien Worten auagestattete Prosa und die rliythmische Prosa' (S. 16. 50); damit
irt indes ihr Wesen noeh nicht erschöpit; es fehlt nunentlich die Kunst der
Gestoltoog und Oliademng des Stoffes und die der Vsriiindiing der eiwEelnen
Teile. Noidens ^unstprosa* Terhllt sich zur Prosa {lber)i»upt wie die MeMk
zur Poesie, in Wahrheit mufa eine Systematik derselhen alles das in sich be-
greif«!, was »nf dem Gebiete der I\)esie die Poetik. Sogar innerhalb der ge-
rofTonen Grenzen leidet die Arbeit an einer gewissen Ungleichmäfsigkeit, die
allerdiiigH lieabsichtigt ist; die 'Epochen, die ihm keine Veranlassung boten,
eigne und neue Hesultata vofTinlegen', erklRrt Norden kürzer oder ganz kursorisch
behandeln zu wollen (Vorwort 8. IXj, und demgemäfs hat er auch die Ergeb-
nisse eign« Lsktflre der antiken Schriftsteller gern als soKdie hingestellt nnd
ansfOhrlidier besprochen nnd sieh mit den einschlägigen Arbeiten anderer Ge-
lekrlen oft rssch abgefunden, mehrfiich in Aet Form ungünstiger Urteile, Itlr
die nicht überall eine innerlich oder aufserlicb swingmde VeraalMSUng geboten
war. Das trotz seines Hegelianismus heute noeh grundlegende Werk der
Ästhetik, das Fr. Th. Vi sehen?, seheint er absichtlieh nieht benutzt zu haben.
Diese Mängel betretfen mehr die künstlerische Anlage; wir müssen vom Titel
absehen und das Buch als das betrachten, als was es der Verfasser selbst im
Text bezeichnet, als Untersuchungen, um üun ganz gerecht zu werden. Er
hat mm ttstenmal die Entwiekelung des dem modernen GeflObl am fttnsten
stehenden Teiles der antiken Fonngebung kunstnwfsiger Prosa vom Ursprung
an bis an die Neuzeit heran, also durch zwei Jahrtaussnde hindurch verfolgt
und dabei neben tüchtiger Gelehrsamkeit ein für die musikalische Seite aufser-
ordentlich feines Verständnis bewiesen, das mit seiner Rhjthmisierung natürlich
nicht unfehlbar ist, wie dies Norden ^selbst wiederholt einräumt. Kein Philo-
loge wird es nunmehr küiiftijr unii^elien können, xü den von Rlafs und Norden
behandelten Fragen Stellung zu nehmen und sich, selbst wenn ihm die feinere
Empfindung für Rhythmus der Sprache fehlt, in die wieder erschlossene
Würdigung des formeUen Tdls der antiken Litteratur hineinzuarbeiten. Zudem
entUUt das Buch fimehtbare Anregung nach verschiedenen Bichtungen hin
und wird durch das reiche in ihm aufgestapelte Material noch viele Mitarbeiter
XU Dank verpflichten. Mit seinen Ansichten über die ein/ehit n Schriften des
Nonen Testament;! z. T5. und über das Verhältnis der christliclien Litteratur zu
der Geseliichte der Litteratur ühcrliaupt wird sich die theologische Forschung
ohne Zweifel auseinanderzusetzen haben.
Meine Absicht ist es, unter Benutzung der Sammlungen und Forschungen
Nordens früher') nur in Beziehung auf die Geachiehtschreibnng gegebene An-
deutungen aussuführen und zu erweitern und das gesamte Verhältnis der
einzelnen Gattungen der antiken Litteratur zu einander einer eingehenderen
*) Qeschichtl. Litt. II 8. «03 ff. und Beihige sur Allgem. Zeitung im Vt. 171 nnd nt
'Die Kunnt der Rede im Altertum and die Gflsehichtsefaretbung*; leider ist der Abdruck
durch tinnttOrande Fehler entstellt.
43*
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H. Petert RlMtorik vaA Poede im UawiMlMn Altavtan.
Behandlung zu unterzielieu; es wird sii h dubci die schon in meinem Bucb be-
tonte Notwendigkeit bestätigen, auf die unserer modernen Litteratur entsprechende
Einteilung der antiken zu ?erzichten und wegen der tiefen Kluft^ die während
des kngsamai HerabuteigmB der grieehiiehen die swei Arien der FlroM» die
knnefniäfiiige (oratio) und die koiutioee (urmo), bei Chrieehen und BSmem trenn^
für diese Periode die erstere in unmittelbare Yerbindimg mit der Poesie m
bringen und sie zusammen al^ die eine Hälfte der Littemtnr der kunstlosen
Prosa als dpr anderen gegenübcrzustellon, wenn man es nicht vorzieht, diese
letztere wenigstens in der Theorie Uberhaupt der Geschichte der Wissenscheften
zuzuweisen.
Ab Gorgias daren ging^ mit bewufeter Absieht die griechische Prosa sn
gestslten, da war sein Zweck nieht, dadnidi die Yersündliehkait» Elarliei^
Übersichtlichkeit der Darstellung zu fördern; Wshrlieitnnd Unwahrheit kümmerten
ihn wie seine Zeitgenossen, die Sophisten, weniger; er wollte nur durch die
Macht seiner Worte überreden, bereden, beziiubem, wpnn notig, verblüffen und
tauschen, und sah seinen Stolz darin, aus jedem Stoff alles zu machen, das
Qrofse klein, das Kleine grofs erscheiuen zu lassen. Seine Kunst, die Rhetorik,
sollte alle anderen Künste und Wissenschaften in sich zusammenfassen, sie aUe
erseiaen können (Plai Gorg. 11 S. 456 f.), die Mittel entlehnte er der Pteeie.
Er gefiel sieh in kflnstlichen WorigebSuden nnd angespitsten Sratenaen und
führte namentlich die nach ihm benannten Figuren, die Perba, Paromoia und
Antitheta in die Prosa ein, alles dies aber der Laune und der Eingebung des
An^enhlicks gehorchend, weshalb der Verfasser der Schrift TZfpl v^ovs (.'1, 2
S. 13J.) über ihn und spiltere Nachahmer treffend nrteilt: TrolXaxov yag it'd'ovOiäy
iavTofg doxovvx^s ot* ßuxxivovßiv^ alXu Ttai^ovaiv. Diese Spielerei liatlsokrates
zu einer mit Bewufstsein geübten Kunst ausgebildet Mit der nämlichen
Schnelligkeit, mit der sieh damals auf allen Gebistm des Geistes die Bnt>
Wickelung bei den Ghrieclien Tolhtog, ist durch ihn die Schan- und Pmnkrede
aar Vollendung erhoben wordon, indm er die Answfiehse der Qorgianischen
Weise beseitigte und der so gemilfsigten nach dem Vorgang des Thrasjmachos,
des älteren Zeitgenossen dea Gorgias, durch kunstvolle Perioden rhythmischen
Wohllaut verlieh. Er wurde so der Schöpfer der ?.i%ig ««rförpKUft/n; {oratio
contorta, verschränkten Redel, die er dei- einfach aneinanderreihenden der Alten,
der X. eiQOfievt]^ gegenüberstellte. Namentlich aber vertindert<> fr das Ziel.
Gorgias huldigte allein seinem Egoismus; er behuudelte die Zuhörer als i'uppen
und Terlangte gleich einem Zanberw Ton ihnen nur urtoilsloses Staunen. Bei
Isokrates spielte die Eitelkeit ebenfalls eine grofte BoUei aber sein Progvannn
war darauf geriditet, den ZuhSrem einen Sstiietisehen Genufa sa bereiten,
Freude an der Schönheit einer Terhaltnis- und cbcnmäfsigen Form.') Er wmdets
sich also an die Sinne, und swar, wie die bildende Kunst an das Auge, so sn
Xo9 w^tdvH fljvf^itu
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H. Pater: Shetorik und Poeu» im Ittamtolieii Alterlam.
641
das Ohr und vi^rspracb »ich mm gleiche Wirkung, wie wir sie heutzutage von
Hnsik empfinden, der in der Zeit des sinkenden Griechentums der Wohl-
lani der Bede weit vorgezogen wurde.
Demit traf er den OeeehmadE der Zät, und die GeBchichte hat 0im recht
gegeben. Nicht nor die Rede befolgte die tob ihm gelehrten und durch Hneter-
beispiele eingepfSgten Vorschriften; jede kunstvolle Darstellung in Prosa unter-
warf sich ihnen, und so bildete sich von ihm ansgi-hend eine allgemeine
Kuustprosa. Nicht einmal Aristoteles hat auf hIIo Kunstmittel verzichtet, ob-
wohl er sie nur sparsiim und so geschickt und vorsichtig angewandt hat, dafs
die Schlichtheit und Einfachheit seiner Sprache dadurch nicht gestört wurde.
Die« hat nne Kaihel tiberieageiid nachgewiee«i and in dem <Ä kuutfoUen,
aber daneben anweilffia gerade nehdiegende Perallelen und namenflidi alle Fli<^-
wivrte vermeidenden P«riodenban der athenisdien Politie eine etiUe Kritik der
bifftoriBdien Darstellung der Isokrateer gesehen (a. a. 0. S. ^IfT), die allerdings
der so angegriffenen Schule keinen Abbruch gethan hat. Begünstigt wurde
diese Herrschaft der Form durch die Sitte des Vorlesen«. Die Historiker von
Thukydides bis Polybios schreiben für 'Hörer' und *Hören', nicht für Leser
und Lesen; für gutes Vorlesen wurden Prämien ausgesetzt.*) Sogar in der
Einsamkeit las man für sich laut.') Der Unterschied, der Hir uns zwischen
der gesprochenen Rede und Sdiriftwerken besteht, wurde so aufgehoben, ein
eadSi&tigeB Sichversmkni in den Inhalt erschwert Form vaaA Inhalt ^eh-
BdUUg in eidbi aofinmehmen und rat wflrdigen, nunal bei einmalige Hören,
verlangt eine Anspannung der geistigen Thätigkeit, wie sie uns jetzt im all-
gemeinen kaum möglich ist, über die aber das griechische Volk in seiner
Blütezeit einmal verfügt haben rauf?; sonst hätte es den Tragödien des Aischyloa
und Snjihokles nicht folgen können. Als aber derartig? Nahrnng häutiger
und reichlicher geboten wurde und die Kraft nachUefs, begnügte man sich mit
der Schönheit der Form und dem Wohlgefallen, welches das Ohr an ihr fand
St^er bei ernsten Gerichteveihaadlungen wollte es nidit leer ausgehen, sondern
geHtaelt weiden (MiRoriy Norden S. 273 f.); der Beiikll wurde durch die Form
hervorgelockt, und Fronto lehrt seinem kaiflerlichen Zögling nachdrficklich, in
öffentlichen Beden auribtts serviendnm, wenn nicht durchweg, »o doch non-
nuntquam et nliqitnnd'i fS 142 N.\ Wie in den Versen des Metrums wegen,
80 würfelt man m der Prosa auf Kosten des leichteren Verständnisses die
Worte durcheinander, um Wohllaut zu erzielen; der beliebten KiauHci _ « _ _ v
zu Gefallen wird in der rhetorischen Inschrift des Königs Antiochos von
Kommagene aus dem I. Jehrh. v. Chr. vor einem Eoneonantsn ein p angehSngt:
dtii^Mv toötois (N< B. 140), Cicero gestdit rat, dab man swwUaHs emiaa
sprachliehe Fehler machen dflife (Fr. 43 8. 143 R); viele Bonmots des Altertums
Rohde, üricch. Roman. 8. 304 ff. Norden S. 6.
*) Dies becengt Lndan, Adv. indoct. S suBdrAcklich: «ft Sh Avmjtifvois n^v rois 6<p^al-
IMti 6QÜe tu ßißlia VT) Jitt titrraxÖQms x«) &vuyivAnuiS Irie itävv imr^iiaiv q>&ävovroe
To^ öqx^ifiiioi' rii oTüiia T>i(' Stell« ist Norden eatgengen, der 8. 6 nnr einen indirekten
Beweis aus Augustin beibringt.
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G42
U. Feter: Rhetorik und I'oeaie im khuMi«chen Altertum.
TerduLkfln ihre Überliefenmg weniger der Überzeugang tdh dar Wahrbeit des
Inhalts als dem Gefalleu an der Form. Der Sinn wurde sogar mifsachtet^ Qni
irgend eine Fi^nir anzubringen (N. S. 290 f.), die Einzelheiten des Stoffes 'waren
völlig gleichgültig^ ^worden. In den Hörsaal der griechischen Sophisten dranj»t<»u
sieh Römer, die ihre Sprache gar nicht verstanden. Stellen wir uns auf den
antiken Standpunkt, so müssen wir an die Texte denken, die wir uns beim
Gesang bieten liefsen und nodi bieten Uesen, und werden nun Über maneheB
Werk des Älteriume ein anderes Urteil gewinnen; a. B. fiber die Lobrede daa
feinsinnigen jflngeren Pliniua auf Trajan. SoUte die Form YoUtönen^ so mutete
der Inhalt ihr mitsprechen und hier ^idifalls die Klangfarbe kräftiger ge-
nommen werden.
Dir Rhetorik d( s Isokiatos btthatigte sich nach drei Richtnn^n hin,
wie « r dies selbst in der Rede gegen di«' Sophiston (XIII 16) ausspricht: xai
TOi^ iv&tiftilHaOt jtQcrötfrag olov rbv /.öyoi' xaTa:Tuixl/.(a xal rotg ovo^aiv
(VQV&fias xtd [iovoixb}^ ti:!t6lv. Die erste Aufgabe ist uläo eine angemessene
AnsBehmQelciing d«r Bede durch poetische Steigerung des Au^mchB und
besonders durch die bereits erwühntcn Oorgianischen Figuren, sanSchst dia
bei Griechen und B5meni beliebte Parisosis, den Fsrallelismus der F<Hrmy fttr
den Norden als typisches Beispiel einen Satz des Gorgias anltlhrt (8. 816):
Ti iat^v tolg uvdgaai Tovtotg i»v itvöffASi ar(»o0tl«f«tt;
t( 8\ xkI jtQOOYiv &v ov öbI :TQO«t£lvmi
flnfiv dvvat'iiriv u ßovXofiMij
ßovXoi'imjv d' 'd SbI'
tpvyhv di tb» ivf^ifUTtivov ^tfHvov.
Nodi bequemer und schon von Heraldit verwandt war die Faronomasie oder
das Wortspiel, tou dem Gtorgias einen so ausgedehnten Gebrauch gemacht hat^
dafs er deswegen im ganzen Altertum als kindisch und frostig getadelt worden
ist (N. S. 23flF.). Ebenso ist die Antithese zwar von Gorgias und Isokrates
zuerst mit Bf^ufstsoin in grnff^prrm Umfange als Kunstmittrl vrrwcrtot worden,
aber *erfini(icii' liat sie weder dtM- eine noch der andere. Srihst ilie allgemeinere
Annäherung der Prosa an die Potaie, die Aristoteles (Rhetor. III 1 J dem Gorgiaö
Torwirfi, ist nicht Ton ihm ausgegangen; die Trennung hatte sich damals ttber-
haupt noeh niebt mit aOer Scharfe vollsogen; wir werden darauf noch einmal
zurflcksukommen haben.
Trat Isokratcs r mit Vorsicht (N. S. 30flF.) in die Spuren des Gorgias,
so bat er in der rhythmischen und musikali^-rhen Gestaltung der Rede die Anfinge
des ThrasyTTiachos von Kalchcdon fortj^cst tzt . aber anc-li liier n>crtreibungen
gemäXsigt. Er streifte also von der Poesie das Metrum ab und behielt nur
GScero, De «rat. Ht 44, 17S: idfne (dmuMbu) prvueim hoerate» vutÜnKkte ferUnr, «t
inconditam antiquorum dicendi consuehtdinem delectationis alque (lurltim rauxn. fjuiinadmodum
scribit discipulus eiwf Naitcrates, numeris tuiringeret. Die zwei Posener Programme voa
K. Steiner verdieneu übrigens aucli jetzt noch aU zweckmäÜBige Zuaammeafassuog Er-
wUmung: De numero mtatoiis. Soateatias ab Aristotel« ae Cicerone pvolatas ia themiae
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H. Fator: Rhetorik tDmd Poesie im Idaettecheit Altertam.
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den Rhjtlmina bei; dieier aber m bedingt durdi die Periode S.41£)y
deren Anadehnnng in dem OedMiken nnd im Atem ihre Grenze fand nnd Ton
Cicero auf den Raum von liet daktylischen Hexametern bestimmt wurde
(Oniti.6^222); in ihrem Aufbau ans den einzelnen Gliedern {x&Xa und xcififim«)^
die, wie sie erst durch die Einfl5f(i:r<? in das Ganze ihre volle Bedeutung er-
hielten. HO durch ihr Zahlen- und GröfHeu Verhältnis zu eiimiider und durch die
xwisihen ihnen zu machenden Pautten den Wohlklang hervorl)racbten, zeigt
sich der eine Teil der Kunst des Redemeistertj. Der andere bestand in dem
rbytimuHlien Timftll der einnelnen Glieder, an Anfang nnd besonders am
Sdilttl^ jedoch unter Vermeidung dw i^eicjhm&ftigen Wiederkehr derselben und
flberiianpt der in der Poesie gelängen Yersmabe, um nidit in ^en VerB,
B. mten daktylischen Hexameter oder einen iambischen Trimeter zu ver-
fallen. Tb Ox^liti tilg l^stof del fiijre innexQov elvai (ii^te agQvd^fiov, ^v&fibv
dtl ixtiv TOP Adyov, fit'rgov dl fxrf. lehrt auch Aristoteles (Rhet. Ul 8), dem
Cicero (Orat. öT, 195; 51, 112) uiid die Techniker »Ich anschüefaen ('Blafs U
139, 145 ü".;, und selbst er (^mguivitut Qt>&fi^ ndvvu )^ giebt eingehende Charakte-
ristiken der einzelnen YersfOTse fQr diesen Zweck. In der Praxis hat sich
sogar ein Demosthenes an gewisse rhjtfamiadie Regeln gebunden, indem er den
ernsten daktyliseh«! Rhythmus herorsugte und der Regel nach nicht mehr als
zwei Kürzen aneinander reihte (Blafa IH 105), während bei seinen Nachfolgern
weichlichere und HchlafTore Rhythmen in den Klauseln aufkamen, der Ditrochäus,
zwei Cretici oder ein Creticns mit eincTn Trochäus, und die spieleiule Auf
lösuug der Länge in Kürzen zunahm (N. S. 017). Es liegt auf der Hand,
wie viel solche Beobachtungen zur Erkenntnis des ('harakter.s des K^idners oder
Schi'iftstellera beitrugen. Die Geschichte des rhythmischen Satzschlusses, die
Norden seinem Badie angehängt hat (S. 900 — 960), ist deahalb sehr wertrolL
üm sich freilich von der Wirkung einer solchen Klausel eine deutliche
Vorstellung an machen, muft man xonSchst berflcksiditigen, dafs nach den
Lehren der Techniker auch ihr Rhythmus allein dorch die Quantität der Silben
bestimmt wurde, mit anderen Worten, dafs für die Klauseln der Prosa wie för
die Terse die Tjänß;en nnd Kürzen der Silben mafsgebend waren*); nur insofern
bestand, wie Diomedes (8.468, 2'6 ff. K.) versichert, zwischen Poesie und
Prosa ein Unterschied, als in der letzteren die Position einen eigentlich kurzen
Vokal nicht lang machte. Der Wortaccent war hier für den Rhythmus ebenso
gleichgültig, wie in den Versen und in der Musik*), was uns Deutschen freüidb
erst dann begreiflich wird, wenn wir nach dem Muster der Italiener den Unter-
fonnaim rediffere conatai «et C. 8t (ICniengTiBii. 1860). De voda meta ontorio ■ODOmm-
que ronsoniiiitiis a Oraeris in dirriido adhihitis earumque natura ac ratione nuineris
ezpreesa ex autiq^uoe maxime musices foatibus diaaerere conatus est C. Si. (1864).
Vgl tafMt vielen anderen Stellen doero, Or. Se, 190: iStt ^iw hoe eogtUhm m»
$lihtti» eüam verbi« inesae numeros eosdettique etw cratori» flU $mtpoetiei} Bionjs. HaL Ober
Iflokrates 2 (V S. 538 H -rmioSm rt Her! TtMm TTfffda^p^vHW tit vOiffMeVtt «nfAfttt, fv9pttd^
xürv Mtl oi «olv ünfxovTt tov JTOtijrtxov ^vdftov.
^ 0. Cnudw, ErgäDzungsheft mm FUloi. UQ (IBM) 8. ItO.
644
H. Pator: BItehMik xmi Foetie in Mwaohea Altertam.
schied swücben knrsen mid hngm Silben viel foh&rftr h«iTor- nnd daftr d«ii
Wortaooent nurflcktreten Imboii.*)
Wenn nmi aber der Hhythrnne das MniikaliBclie in die geqHroehene Rede
xäßkt liineinbrachte, wie Mrurde daiin die dritte Forderung des laokrates, das
ftovtffxA? slxelv, erfüllt? Die Antwort giebt uns Piaton, der mehrfacli sich
widprsprcrhencle Reden nioht musikalisch nennt. 7,. B. Protag. 2<) S. 333 A, wo
er den Wort^'n ovroi yuQ ol köyoi aiKpötfQf)/ ov rr(rrt> uox>(fixö}^ ktyoinm die
Erklärung anfügt: ov yap tivvq.dov6iv ovöi avx>uQu.oxjvv6LV cckXrjkoiQ. (nler in
den tieäetzen V 2 S. 729 A: ij tüv vimv dxoXttxevTog oveCu . . . xuöujv furv-
tixandvii tt »od «(fftSTt)- ivngnnßoOta yäg inilv xal lvvaQp4tww^ «fe SmvPvk
äkwew TÖy fiiov i3feQy«f;ßUtt. Gtomeint ut also dabei oamentiich daa Ver-
meiden des Hiatus (der '»SyxifoMig vAy ^mPijiytm^, das, roa laokiafea aom
Gesetz erhoben, mehr oder weniger streng von allen fl0rgfaltig< t: Srhriftstellen^
nicht nur denen der Eunstprosa, beobachtet worden ist, und das des Zusammen-
stofaens gleicher Silben am Ende des einen und am Anfang des nacliHtj"7i W<>rt^<
( 7ix<n'6tt(uv (it'v) sowie harter Konsonanten, wodurch die getadelten 3;cc(lti'ot
oder freni entstanden. Nur tä kiyöfitv« xtdä övd/Mcra, d. h. wohlanständige,
aus ^schonen' Buchstaben zusammengeselzte Worte, sollte der Kedner in den
Mund nehmen; die *€^iv^«ig dtfofulttov' hat die alten Teefaniker viel heediiftigf^
ohne dalli freilidi unser minder empfindlidiea Ohr ihnen flherall nachkommen
könnte. Daher &lkt Plntareh, De aud. poei C. 2 die Yorsttge eineir wohllantenden
Darstellung so aoBammen: ovrf yoQ [l(xqov o{ütc tgdxog oirte k^eag oyxog
oirt* eitxaiQia fitxatpoQäg oCrc «Q^ovla xal avvd^töig i^n xoöovtqv ca^vli'ag
xccl j^ßQtrog oßov fv ^rs^ntr^uitn] dircd-tOiQ iiyd'oXoyiag. Gesteigert wurde die
musikalische Wirkung der Buehstaben durch den Vortrag, dessen Charakter
im allgemeinen je uach dem Inhalt eine besondere Tonfarbe haben mufste und
dann noeh in aidi mehflelmd ^ naeh dem Siim hei im hexanBohebrnden
Wörtern nnd Verbindungen einen höheren oder tieftran Ton ansehli^ oder je
nach der Form innerhalb des Satses ihn bald steigen bald fidlen lieft; in einer
Frage steigt der Sehlufs oft über eine Quinte über den Mittelton, in einem
Anssagesatz fallt er um eine Qnarte (Helmholtz, Lehre von den Tonempfindongm
S. 1^92). Bekannt ist, dafs sicli C. Uracchns durch einen hinter ihm verborg^^nen
Flötenblaser den Ton angeben liefs (s. N. S. 5511.). Auch die durch den
rhythmischen Aufbau bedingten längeren und kürzeren Pausen {diuöTfjfiatcc)
wurden in dieser Richtung nach den Lehren der Rhythmiker verwertet.*)
Endlieh aber war das Wesen des griedusehen Wortaooents (xQoamditt) im
Gegensats an dem em^piratoriBeh-energisdien oder dynamischen dee Verses ein
*hober' oder 'tiefti:^, weshalb er auch der Melodie das Gnmdgeseta gab und
in der Mnsik eine aeoentuierte Silbe möglichst höher gesungen werden mnfst^
nie tiefer gesungen werden durfte als die nicht acccntuierten NachbarsUben
(Cnisius a. a. 0. S. 113). So sagt Cicero von seinem idealen Bedner (Or. 17, Ö6):
») W. Mejer, Abhandl. der Kgl. bayer. Akad. d. WisBcnBch. PhiL-hisk Kl. XVU S. 6t
^ S. Yolkmann, Ithetor.* S. fi05 und BteiiMit sweitei Programm.
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H. Peter: Khetorik uod Poesie im klassischen Altertum.
645
Vold . . . et contmta voce atrociter dicere et summissa leniter et inclinata videri
gravis et inflexa miserabilis. Mira est etiim qvaedam natura vocis, cuitis quidem
e tribus omnino sonis, inflexo, aaäo, gravi, ianta sit et tarn suavis varietas per-
fecta in cantibus. Est autem etiam in dicetido (ptidam catUus ohscurior (andere
Stellen s. N. S. 56 f.). Stolz vergleichen sich die Sophisten mit einem Schwan
oder einer Nachtigall (N. S. 376). Heutzutage vermögen nur wenige Glückliche
jenen Reiz, den der Wechsel zwischen den beiden Arten der Betonung hervor-
ruft, wiederzugeben, auch zu empfinden nur solche, die von den modernen
Forderungen an einen *guten' Vortrag absehen; denn jetzt wird ein 'singender*
als unschön durchaus verboten, bei den Alten war der 'quidam cantus ohscurior*
schon in der ersten Kaiserzeit bis zu einem wirklichen Oesang übertrieben
worden und trotz aller Warnung gernüfsigter Lehrer wie Quintilians (quod
inutüius sit an foedius ncscio XI 3, 57) bald in dem Grade Mode geworden, dafs
man auch den Körper im Einklang damit immer lebhafter bewegte und
Tacitvis im Dialog (C. 26) seinen Messulla klagen läfst: Quod vix auditu fas
esse dd>eat, laudis et gloriae et ingenii loco plerique iactant cantari saltariqiie
commentarios suos (s. N. S. 294 f.). Das Verständnis dafür hat uns zuerst
Helmholtz in seinem berühmten Buch (S. 391 ff.) eröffnet, dann haben es uns
die gelehrten Benediktiner, wie ich aus Norden S. 859 f. gelernt habe, und
0. Crusius in seinen Untersuchungen über die delphischen Hymnen näher
gebracht. Helmholtz hat nämlich in dem singenden Ton der italienischen
Deklamatoren und in den liturgischen Gesängen der römisch-katholischen Priester
'Nachklänge des antiken Sprechgesangs' erkannt und auf die Entwickelung des
Gregorianischen Gesanges aus den schon seit Papst Sylvester (314 — 335) be-
stehenden Singschulen, also einer Zeit, bis zu der die alte Tradition gedauert
hatte, hingewiesen. Von hier aus werden wir uns demnach das Bild einer
antiken Kunstrede zu entwerfen haben, allerdings beachten müssen, dafs in
denjenigen Schulen, die gegenüber der ausartenden Moderichtung mit Aristoteles
Mafs hielten, die Regeln über den Rhythmus nur für den Schlufs des Satzes
galten (Cicero, Orat. 59, 199; s. Blafs U 147). Der ansteigende und dann wieder
fallende Ton einer stattlich aufgebauten Periode wirkt andersartig auf das Ohr
als der rhythmische Abschlufs und liefs es nicht zur Monotonie kommen
(Diom. S. 471, 6 ff.). Diese ist erst mit der Manier, die Gedanken in kurze
geistreiche Sätze zusammenzudrängen, eingerissen; nun herrschte der Rhythmus
von Anfang bis zu Ende (N. S. 295 ff.); die Kunst verzichtete auf den Anspruch,
für Natur gehalten zu werden (Cicero, De or. LH 51, 197), und die Sprache
wurde für sie das Werkzeug ihrer in Spielereien sich gefallenden Eitelkeit.
Während Gorgias und die Sophisten sich damit gebrüstet hatten, aus dem
Stegreif zu sprechen, bekannte Isokrates ehrlich, dafs er viel Arbeit brauche
(Or. XIU 17, Geschichtl. Litter. U S. 410); eben dadurch, dafs er den öffentlichen
Vortrag seiner Prunkreden und den Schein fehlender Vorbereitung ablehnte,
den selbst Demosthenes sich zu geben suchte (Blafs HI 183 f.), hat er so aufser-
ordentlichcn Einäufs auf die Gestaltung der gesamten Prosa ausgeübt. Er er-
klärte seine Aufgabe für schwieriger als die eines Dichters (IX 8 ff., XV 45 ff.),
646
H. Fetor: Rhetorik md Vo«d» tm kiMiriiirhfin AUcrtmn.
und wir wertlcu linu dies glauben dürfen, obwuhl die durch die Übung ge-
wonnene Fertigkeit mwib der yMahgAUm. Teniehemi^ der Alten vid fimt und
besonders das ihnen angeborene Geftthl ftbr die Enrytiunie xa Hilfe kam. Wie
bei Ovid *qaidqmd tentabat dieere^ Terans erat* so konnte sogar ein iwinsipieller
Gegner der ilutonschen Schreibweise, wie Epikur, sich des Rhythmus in seiner
Darstellung nicht erwehren (N. S. 124 f.), und auf das Ohr wirkt doch auch
die des Plato, für den die Rhetorik nur ^ffixeigi'u xal tQißij' war (Gorg. 1^
S. 463B). Gewifs halitn daher auch Redner, die sich nicht jedes Wort vor
dem Besteigen der iiednerbüküe zurechtgelegt hatten, den Ohren des zuhörenden
Volkes genügt, aber alle Ansprüche der Schule wurden erst gegenüber der
aufgeadhriebenen JU|»5 erhoben, die sehon Aristoteles als die higißeöt<itr) von
der iymnatua^ als der ^amt^tiMmdtii scheidet (Bhei m 12), wedialb denn
noch an Flatons Zeit gerade die grSlbleo Bedner sidi scheuten, ihre Reden,
anfrnzeichnen (Phaedr. 39 S. 257 D). Als dann aber die Rhetorik den er-
klärten Sieg errungen hatte, kannte sie im Gefühl ihrer Leistung kein Mafs.
Wie das litterarischo Schaffen sieh bei den Griechen sehr enge Kreise zog,
so dafs in ihrer Blütezeit derselbe Dichter nicht Tragödien und Komödien ver-
fafste, und die Bildung des Einzelnen eine beschmnkte war, so erzeugte die
ihnen eigene Einseitigkeit in jeder Richtung geistiger ThStigkeit und BÜdong
die Yorstellang, aUein das Wahre getroffen au haben, und dadurch Ündnld-
Munheit gegen die fibrigen und Yerkennang ihrer VcnOge, Die Bede sei das
vornehmste Organ des Menschen, und wer dies ausbilde, der bilde seinen Ver-
stand und durch diesen seinen Charakter, dieser Satz des Isokrates (Blafs 11 27)
hat Jahrhunderte lang auf der Fahne der Rhetorik gestanden. Voller Mifs-
achtung blickte die Schule daher gemdf» anf di(; beiden Künste herab, denen
sie das meiste verdankte, die Poesie und die Musik. Schon Ephoros hatte in
der Vorrede zu seiner Universalgeschichte Trug und Zauberei den Zweck der
Musik genannt (Polyb. IV 20), und Isokrates ging in seiner Verkennung der
Poesie, ol^leidi er ihre Sinnsprfldie branchhar &nd, so weit an hdianpleo,
dafe der Ruf der berfibmtesten DidhtwweiiEe nor auf dem. Metnan beruhe, wie
sich dies sofort zeige, wenn man sie dessen entkleide (IX 10 f., Blafs II 48).
Allmählich wurde sie sogar zu einer Dienerin der Rhetorik herabgedrückt.
Dir" Überschätzung der Form in der eigenen Kunst hatte «u der des Metrums
in der i'nesie verleitet.
Dahin konnte es allerdings erst kommen, nachdem unter den Griechen der
mächtige Quell der Platonischen ^i(a fuxv£tt, Goethes 'Drang seligen Schaffens*,
fttr die Poette zu Ter&icgon angefangen hatte. Isokrates nahm sidi, beinahe hundert*
jährig nach der Sdüacht bei Chaironeia das Leben; der griechisehe Schönheits-
sinn hatte seine edelste Entfaltung schon hinter sich, ehe die Kämpfe um die
nationale Selbständigkeit ausbrachen. Auch die Poesie löste sich in der helle-
nistischen Periode von ihrem mütterlichen Boden, nehlofs sich in die Wiindt
der Schule ein, wo sie die Redektmst schon antraf, und liefs die Venniachung
der bis dahin streng auseinander gehaltenen Dichtnng8art<Mi r.n.
Es ist für Rom von aufserurdeutiicker Bedeutung geworden, dafs die
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H. Peter: BheUvik und Feerie im UamMhen Altertnm.
647
griechische Gelehrsamkeit von Ptrgamon eingewandert ist, wo auch die in
Alexanilria hintangesetzte Proäa behaudalt wurde. Hermagoras fand daher für
leine icbolAstische Rhetorik dort geeigneten Boden imd uhlreicbe Schüler')^
die D^nition des Redners als eines *Tir bonos dicendi peritas", wie sie der
alte Cato angestellt liatte (Quintil. XR 1, 1), macbte einem liandwerksmäAngen
Betrieb der Redekunst zuerst unter griechischen Lehrern Fiats. Mit Hortensiua
schien der schwülstige Asianismus das Forum zu erobern. Dagegen verfolgte
Cicero einerseits praktisch die von den beiden jn^ofsen Kednern seiner Jugend,
Crassus und Antonius, eingeschlagene Bahn weiter und suehtc vcnn Kömertiini
80 viel zu retten als zu retten war; anderseits lehrte er im Gegensatz zu der
Schule, die die Aneignung eines Systems von Regeln fQr ausreichend zur
rednerischen Ansbildnng erUirte, das Znrtte^^ehen auf die grofsen Meister
firfihnrer Zeiten, aamentlioh auf Aristoteles^ und auf die EoryphSen der griechi-
sohen Beredsamkeit selbst, vor allem auf Donosthenes. Er hat die allgemeine
Überflntnn«^ Roms durch die das Ohr kitzelnde Rede auf Jahrzehnte aufgehalten
und dem Inhalt noch einmal zu seinem Rechte verhol iVn, urul meinem Verdienst
ist es wesentlich znznsehreiben, dafs das Römertum sich bis in die Mitte des
II. nachchristlichen .labrbundcrts vor den Oriechen durch seiTie (Te.sundhoit aus-
gezeichnet und die Ilauptäbadt des Reichs eine Zeit lang die Herrschaft auch
auf dem Gebiete des Geistes und der Littentur besessen hai Den EinfinTs
der Rhetorik können zvar selbst Tiboll, Fh)perz, Virgil nicht Terlengnen, aber
ihre diehterisehe Kraft ist dooh von ihr nicht erstidEt worden, und den von
Rhetorik rdllig fimen Satiren nnd Episteln des Horaz hat das dama1it;e Griechen-
lund nichts auch nuT entfernt an die Seite zu stellen. Selbst fQr die griechisehe
liitteratnr des znm Alten zurückkehrenden Klassieismns oder Atticisnnis wurde
Horn eine Heimat und unter dem Schutze Casars und des Augustus ein ilittel-
puukt, von ^vo aus die verwandten Bestrebungen auch in den Mutterländern
Stärkung emphngen (Dion., De ant. or. pr. ii, Y 8. 448 f. 11.). Die ästhetischen
Sdmften des Dionys ans HsIikBraafo und des Caeeüins ans don sisQisehen
Ealakte sind damak in Rom yerkM worden. Bis Mi das Ende des erstm naeh-
christliehen Jahrhanderts gewShrte Giceros Anknrilftt einen kraftigen Rückhalt
dm BestreboiiLT r , ^ aidi der ftuAerlichen Befareibong der Redekunst entgegen-
stemmten, und Verehrung haben er und der Erneuerer seiner Lehre, Quintilian,
auch weiter im Altertum gefunden. Aber eben weil seine Rede im Boden der
Wirklichkeit wurzelte, verlor sie durch den Umschwung der politischen Ver-
hältnisse jede Fühlung mit dem Leben; in den Schulen hatte sie keinen Raum
neben den unterdes in sie eingedrungenen Deklamationen, die ncccssaria deserutU,
Am dpeekm iedanlvr (Seneca, Contror. 9 praef. 2). Zu Qaintilians Zeit hatte sich
diese Bichtang sogar der Öffentliehkeit bemSehtigt: In ipsa captH» tuU fortttnarutn
pariada irrupU volupias (IV 2, 122. 127} 8, 2). Indes auch in ihr bildete
damals die Znhdrerschaft ein kleinere* Kreis von Kritik dbendMi Gebildeten'),
0 Blab, Gr. Beiedsauk. v. AlessiideT bis «nf Angnsti» 8. 84ff. lOSff.
TacituH, Dial 10: Cum vix in eOfOIM qilitfpum OttUtat, ^HMI clemarf» «(lMf«9niM efn
non instrucius at arte mbutut at.
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H. Peter: Rhetorik und Poesie im klansischen Altertum.
deren Beifall ebenfalls der Form galt (Teuffei, Litteraturgesch.' § 45, 4 S. 81).
Wenigstens wurde hier noch der Schein der Wirklichkeit gewahrt. Sogar
dieser schwand, als mit dem zweiten Jahrhundert die neue Sophistik aus Asien
in Rom einzog und sie und mit ihr die griechische Sprache das Übergewicht
gewann (Geschichtl. Litterat. I 6 ff., N. S. 351 ff.). Schon die attischen Redner
hatten sich wenig um ihre Landesgeschichte bekdmmert, Isokrates hatte offen
Abweichen von der Wahrheit bei Lob und Anklage gestattet und der rhetori-
schen Wirkung wegen die Geschichte gefälscht (Blafs II 7. 45 ff.); selbst Cicero
und Quintilian scheuten sich nicht in diese Fiifsstapfen zu treten. Die ein-
seitige Ausbildung des Sinnes für das Schöne schädigte und vergiftete den fOr
die Wahrheit und erreichte es, dafs nicht nur bei einem Widerstreit zwischen
dem Schönen und Wahren dieses zurückgeschoben, sondern die Wahrheit Ober-
haupt nicht mehr gewürdigt, also auch eine nur auf Verständlichkeit und
Deutlichkeit bedachte einfache und schlichte Darstellung derselben von den
Meistern der Kunst mifsachtet wurde (Geschichtl. Litterat. 1 10 ff., 36 f., II 183 ff.).
Auch die Sprache hatte sich von der des Lebens entfernt. Indem die Sophisten,
vielleicht unter dem Einflufs des Herodes Atticus, in die Bahn des Atticismus
einlenkten, ihren Stil nach den Klassikern der Rede gestalteten und sich ängstlich
vor jedem Verstofs gegen die Reinheit der altattischen Ausdrucksweise hüteten,
verzichteten sie auf Volkstümlichkeit und schufen einen 'papiemen Stil', der,
aufserhalb des Mutterlandes zur Herrschaft gekommen und in die Entwickelung
der Verkehrssprache nicht hineingezogen, sich mit wunderbarer Zähigkeit bis
in das VI. Jahrhundert hinein ohne wesentliche Änderungen erhalten hat.*)
Nun war, wie schon bemerkt, seit alters bei den Griechen in der feierlich
gehobenen Rede die Trennung zwischen Poesie und Prosa nicht so scharf,
wie wir jetzt sie zu betrachten uns gewöhnt haben (N. S. 30. 36). Die Muse
der epischen Dichtung, Kalliope, verleiht bei Hesiod Theog. 79 ff. den Königen
die honigsflfsen Worte, durch die sie den Streit in ihrem Volke schlichten.
Die Metrik war aber eher gefunden als die kunstvolle Form der Prosa, und
80 wählten die ionischen Philosophen jene, als sie ihre Wahrheit in einer über
den gewöhnlichen Gesprächston sich erhebenden Sprache vortragen wollten.
Antithese und Wortspiel hatten jedoch wie Heraklit so Parmenides und Empe-
dokles schon vor Gorgias mit Bewufstsein angewandt, und wenn der Mode-
richtuug des Gorgias und der Sophisten athenische Dichter nachgegeben haben,
so haben sie damit nichts Neues eingeführt. Agathon hat freilich darin für
den Geschmack unbefangener Zeitgenossen das Mafs überschritten; wie Piaton
im Gastmahl seine Prosa nachahmend seine Lobrede auf den Eros in einen
Lobgesang, in dem auch ein Vers vorkommt, ausklingon läfst, so bediente er
sich in seinen Tragödien mit Gorgias wetteifernd der rhetorischen Figuren; in
dem Fragment (11 N.*)
•) 8. W. Schmid, Der AtticismuR in seinen Hauptvertretcm von Dionysius von Ilalikamaf«
bis auf den iweiten Philostratus, 5 Bde '1889—1897). Einen Teil der Hauptergebnisse hat
er in d«t oben B. 687 Anm 1 citierten akademischen Rede zusammengefaTst.
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H. Peter: Blietovik nnd Foerfe im Uaediehen Altertimi.
649
tb ftiv TtaQfQyov (Qynv iog ^rotovftid'a,
th d' ^pyov nÜQifjyov iicxovovfiB^cc
haben wir Antithese, Parison und l'aromoion, also silli' drei Gorpianischen
Figuren (Bials 1 76 f.). Aber auch im EuripiUes nind ;6uhirüiche Beispiele ähn-
iM^er BedewsiM naehgewieieii worden. Natnigenuls miirBto ndi die LÜtkEitiflohe
Knnstproaa mit ilirer X^tg fueuvtffu^^yjvq nnd ihrem Bhyfhmufl der Poeeie
noeh weiter nihem, und ffieb QU 1^ 8. 115) bnt nebtig beltmipte^ dab *maneh-
mal Bwischen Demosthenes' Prosa and Findani Lyrik, von der Strophenform
abgeeeheny der Abstand geringer sei als zwischen Pindar und Homer'. Und
noch geringer erscheint er z-wi^cbrn f^oocio und Prosa in der oben S *Ul er-
wähnten grofsen Inschrift, einem liithyrurabus in Prosa, in dem der König
Antiocbos (oder ein Rhetor in .seinem Naraen) feierlich «nd rhythmisch zur
Nachwelt spricht} die beliebteste Klausel ^ i x zählt Norden, der S. 140 ff.
diese hoehintereeeeate Urkunde wiederholt und behandelt hal^ 49inal (darunter
14mal am Sehlnb des gansen Sataee), die Fom .twixw& 20mal (ömal am
Schlule des ganxen Sataei). Nieht einmal der Sufeerliehe Unteraehied dee Ab-
Setzens am Ende der Yerae bestand bis zur Gründung der Philologie fOr die
lyrischen Gedichte, der einzige urkundliche Text, der auf die Zeit vor Aristophancs
von Bj-zanz zurückgeht, der d^-s in Epidaurns ansgegrahenen P'aan des Tsyllos
(blüht um 2H() V. Chr. j kennt metrische Abteilung nicht ( v. Wjlamowit/., Isjllos
S. 12 ff.), und dagegen hnden »ich Spuren vom Zürlegeu nach Kola in Hand-
schriften von Reden dee Demosthenes (Blals HI 1 S. 113). Wir Terstehen nun
die Scharfe, mit der Arietoielea ftheraU Poeeie und Proea auaeiiuuiderhaU^ and
die UfiAaehtnng der Poeeie dnreh leokratea, der da» dnaige unteivdieidende
Merkmal von seiner Prosa in dem Metrum sah (a. bes. IX 9iF.). Femer rer-
langte auch die Rhetorik dichterische ErfindungS- imd Gestaltungskraft und
Phantasie, wenn sie die Zuhörer in Ekstase versetzen und damit ihre erste
Aufgabe, das movere, erfüllen wollte, und natürliche Bennlagung setzten Isokrates
(Or. XIU 15, XV 187) und die späteren Redelehrer bei ihren Schülern voraus
(Volkmann a. a. 0. S. 30 f.). Diese Gottesgabe aber war damals bei den Griechen
verkümmert, hei den BomOTu flbeibaupt kaum Torhanden und mofste aowohl
in der Rhetorik ale in der Poeaie fdr da« movere durch Unterridit und Übung
ergänzt werden. Im dritten Jahrhundert hatte man Oberhaupt in gelehrten
Ereilen die Zeiten der Poesie für abgeschlossen gehalten.*) Daa religiöa- sitt-
liche Gefühl, das bis dahin in der Poesie Befriedigung gesucht hatte, nahm
jedenfalls seine Zuflucht zur Philosophie; die Poesie seihst fiel der Philologie
V.W und büfste sogar in Alexandria, wo man ihrer Lebenskraft noch am meisten
zutraute, abgesehen von der sentimentaiischen bukolischen Poesie den letzten
Reut ihrer Eigenart ein.
So undeuüich waren die GrenaUnien.^ Zu Oiceroa Zeit warfen die Diditer
aelbat die Frage auf, was sie von den Rednern unteradieide, ihm brannte
<) V. WUamowibc, Antigonoa v. Kaiyitos, S. 166 f.
*) 8. hiertber Norden 8. M8ff., werani das Folgende»
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H. Peter: Rhetorik und Poesie im klassischen Altertum.
Kritiker hatten die Prosa des Plato und Demokrit wegen ihres feurigen Schwunges
und des herrlichen Schmuckes des Ausdrucks eher für Poesie erklärt als die
Verse der "Komiker*); er selbst giebt indes nicht an, worin eigentlich der
höchste Vorzug des Dichters zu suchen sei'), und auch Quintilian warnt die
Dichter nur, 'oratores aut declamatores' nachzuahmen (X 2, 21). Nicht einmal
Ovid, der Zögling der Rhetorenschule, hat sich über das Verhältnis der Poesie
zur rhetorischen Prosa irgend welche Klarheit verschalft; er schreibt an den
Rhetor Cassius Salanus (Ex Pont« II 5, GoflF.):
Distal opus mstrum scd fontibus cxit ah isdem. — —
Utque nieis nunuTis Uta dal facxmdia nervös,
sie venit a nobis in tua verba nitor.
Iure igitur studio cotifinia cartnina vestro
d commilitii Sacra tuenda putas.
Die Auseinandersetzung des Dionys von Ilalikamafs, nach seiner Einbildung
eine Enthüllung der 'Mysterien', die nicht unter das Volk zu bringen sei, geht
auf die Weisheit hinaus, die beste Rede sei poetisch und die beste Poesie
rhetorisch (De compos. 20 f.).
Wenn so in der Theorie die Ansichten durcheinander gingen, darf es nicht
Wunder nehmen, dafs auch in der Ausübung die Kunstmittel nicht getrennt
wurden.
Nachdem daher die Rhetorik gleich zu Anfang aus der Sprache der Poesie
den Widerwillen gegen die öuyxpoutfis xG>v <p(ot^itirta)v, den Hiatus, entlehnt
hatte, hat sie in dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit die zugespitzte Kürze
der Epigramme, die damals hoch geschätzte Aufserung geistreicher Laune,
nachzuahmen begonnen; die von der Mode getragene Richtung entschlofs sieh
zum Verzicht auf ihre stolze Xt%i$ xuTeaTQUfifitm}, bewegte sich in knappen
'Sentenzen' sprunghaft vorwärts und verband damit eine möglichst blumenreiche,
mit verschiedenartigen Arabesken auf Kosten der Deutlichkeit gezierte Dar-
stellung, selbst in der Öffentlichkeit. ') Der Stimmführer ist der jüngere Seneca,
aber auch Tacitus hat seinen Stil unter ihrem Einflufs ausgebildet (^N. S. 280 ff. i.
Unter den Griechen finden wir diese Kürze der Sätze zuerst bei dem Rhetor
Polcmon.*)
Noch tiefer hat die Rhetorik in die Entwickelung der Poesie eingegriffen,
die nach Überschreitung des Höhepunkts ihre natürliche Kraft verloren hatte
und weniger widerstandsfähig geworden war. Die o^oioTt'Xfina sind mit be-
wufster Kunst von den griechischen Dichtem erst angewandt worden, als auch
sie sich des durch Gorgias und Isokrates zur Herrschaft erhobenen Geschmacks
') Orat. 20, 66 ff. vgl. De orat. m 7, 27: PottU proxima cogiiatio cum oratoribus und
Horat. Sat. I 4, 45 tf.
*) Seine eigenen dichterischen Versuche, namentlich das 0 fortunatam nafam mf ronxttle
Ilomam und Ctdant arma lotjae , cuucahtt Uxurea Imuli lassen uns zweifeln, ob er ihn ge-
funden bat.
^ Tacit. Dial. 20: Exigitur iam ab oraUtre etiam pottiats decor.
''chmid, Atticismus I S. 65 ff.
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H. Petert Hietorik ond Poetie im MMritchw Altertain.
661
nicht mehr erwehren konnten; wenn sie sich bei den Rr^üicrn in der ge-
hobenen Sprache der Tragödie von Anlaug an finden, ho hat iÜlh darin seinen
Grund, dafs diese anders ala rhetorisch bei ihnen nie gewei>eu ii^t. Nur das
Ubennars tadelt Cicero an dem Redner und Tragiker C. Titius im Urutus
(45, 167): Hitku aroMones tonkm ai^uHanim, taMkm exemjpiorum, tawtmm wiham-
taü» habeiU, ut paau AUico stäo seriptM esse iwieemAw. Easdem argutias in
imgae^ßs saüs iBe ^mdm wg¥te seä pamm iragiee inmsMU. Snnius luit es
nicht unter seiner Wflrde gehalten, das von den Griechen vernpottete Goigianiscbe
'yvxsg iiitffvxM td^^ (N. S. 384 f. 889 1) in minen Annalen zu verwerten
(Fr. 141 f.):
Volttmts in spinis misf^rnm nuinäfihnt hom^m&n;
heu quam crudeit cuiiudmt mcmhra stpulcro!
Sogar bei der Entwickelung der Bildongngusetze des lateiniachen Hexameters
batte nadi einer Entdeckung Leoi aeit Cafaill nnd Cicero die Kketorik ibre
Ibnd im Spiel (N. S. 884). Im allgemeinen aber dürfen wir von den rOmiacben
Diditern behanptra^ dab je reieher die Beanlagung und je feiner der Geschmack
war, sie sidi nm so mehr gegen die eigentlich rbetorisdien Kunstmittel ab-
geschlossen haben. Dagegen sind das üufserste, was in der rbetorisohen
Färbung ein Versemacher geleistet liat, die dem Oppian /.nges(liri»'l'f'? f'ii im
J. 212 dem Kaiser CaracalJa gewidmeten Kviniyixt,xd\ dies hat Norden b. bii4 ü.
sehr ausehauüch gemacht.
Nicbt weniger niborten lieh Bbetorä nnd Poesie ibran Inhalt nadi.
Schon dafs Dichter wie IVopera (II 13, 25) nnd MarUal (XII praef.) Bflcher
f&r ein notwradigea Inventar erkfiiren, beweist die Yerschiebnng ihrer Thätig-
keit und die Lösung vom wirklichen Leben. In der alexandriniflchen Zeit
wurde zwischen der Behandlung in Prosa und Poesie kaum noch unterschieden.
Des Aratos astronomisches Lohrgedicht, die ^(av6un>a, wnrdo, olnsohl es
we<ler dichterisebe Vorzügf in der Bewältigung odt-r Brlthung des spröden
Stotlos noch als eine an MiTsverständnissen reiche Bt'urbeitung des Eudoxos
irgend welche wissenschaftliche Bedeutung besitzt, viel gelesen, als nützliches
Lehrbuch benatat, hanfig arUart und Ton den Römern in ihre Spradie flber-
setst; auTserdem wurden medixiniache Stoff» in Versen behandelt, z. B. Gifte
und Gegengifte, die Heilang des Bisses giftiger Tkre^ der Fischfang, die Stein«
künde U. s. w. Bis an die Grenze des Mittelalters heran reiclu-n solche Ldir-
gedichte. M Femer wurden Themen der Rhetorenachule schulgemäfs auch in
Versen bearbeitet, wofür die Anthologie zahlreiche Proben liefert, z B. (198 Ii.
IV 332 B.): Vrrbd Arliillis in iMrthetwtu;, mm tuljam Diomedis aiuiiret, nnd die
gleichen Geguustäude wurden wie von den Khetoren so von den Diditern
immer tou neuem vorgenommen (Gesch. Litt. I S. 16 f); die Ausstattungsstücke,
die Schilderung^ von Gegendon, SÜdten, Bau- und anderen Kunst-
werken, NatnrereignisBen, besonders Seestünnen, Tieren, kehren hier wie dort
■) S. oben J. Zidaen, Zur Oetchichte der Ldirdtdatoag ia der spIltrOiiuMhsa Litteratnr
S. 404-417.
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652 fl. FBter: BbfltOKik und Fottä» im klMiiidi«B Altartam.
wieder; sogar die Erdichtung von Traumen al» der Anregung zur Schrift-
Btellerei, die bei den Griechen Ksllimachoa, bei den liömeru Ennius auf-
g^braeht battea, haben PlroMuker iriederholt, der Slfenre Flimna, Cmbiiui Dio^
Anstides (Oeach. Liü II S. 818 f.); GSttergeitalleii wwden ebenso von rheto-
rischen Dichtem Terbannt^ vie Ton rludamiAun Geaehiehtedireibeni Alexi&dan
oder Hannibals, grieduaehen nad rSmisehen, eingefBhrfc (Baliq. hiiL Rom. I
8. CCXX ff.V)
Aus solchen unklaren Vorstelhmgen heraus sind die Dichtungen Lucans
und die meisten den ersten Jahrhunderts der Kaiserzeit, g^gen die Petron so
energisch und einsichtsvoll Protest erbebt, emporgewachsen (Geäch. Litt. II
8. 205ft)y inhraid Tadbis seine hervorragende dichterische Begabung der
Gesdiiehte zugewandt hai; andereeifa aber konnte eben dttniia sich die «wette
Sophistik Ober die Poeaie eo weit erhaben ÜBhlen, sie nnr ala Ifitlel aar Vor-
bereitung und Vorübung oder Yorstofe ansehen nnd die AUeinherrscihaft anf
dem Gebiete der redenden Künste für sich beanspruchen. *) Sie deklamierte
vor grofsen Vcrsammhingen ihre Hymnen, die sie sogar nach dem Muster der
alten Dichter systematisch einteilte, hielt zum Lobe de3 Lenzes, der Rose, der
Nachtigall, der Schwalbe Reden, die sie mit zum Flitterwerk herabgewürdigten
Prachtstücken der Poesie aufpu^te, selbstgefällig lächelnd, wenn sie eine
Periode abgesirkelt hatte*); Himerios Tninalii sich in einem itu^uXdiuos Jiöyos
mit Sappho m wetteüS»m (s. Rohde S. 332 ff.).
Wenn denutadi die Litteratur alle in der Sehrift atim Ansdroek gebrachten
Bethätigiingen des menschlichen Geistes nmfidbt, so pflegen (oder pflegten?)
wir sie, je nachdem sie das Schöne (oder wenigstens ästhetisch Wertvolle) oder
das Wahre zum Inhalt hat, in Poesie und Prosa 7.n selieiden. Dies trifft aber,
wie nunmehr eingeräumt werden Avird, für die lange Zeit des Herabsteigen?
der Litteratnr des klassischen Altertums nicht zu. Die Kunstprosa stand
damals als grundsätzlich gleichberechtigt neben der Poesie, und duichaus folge-
richtig schlieiht Dionys, dab Thnkydides, dessen Werk er eine ^Dicbtong*
nennt, den peloponnesisehen Krieg mit seinen Greueln der Nachwelt niciit hatte
ttberliefem soUen (Gesch. Litt. II S. 189), wenngleich diese Einseitigbit mit
den Thatsachen nicht übereinstimmt. Wie die Poesie dnrch die Metrik, so ist
jene durch die Rhythmik gebunden und, was auch Cicero ausspricht, keines-
wegs *soluta'; sie will ebenfalls auf die EmpGndung %virkcn und glaubt atich
der Piiantasie zu bedürfen; sie verlangt daher für ihre Kunst wenigst^-na die
gleiche Anerkennung und sieht, da ihr allmählich der Inhalt immer gleich-
gültiger wird, die kunstlose Prosa als ganz anfser Vergleich mit sich stehend an.
Diese enge Verbindnng der Poesie nnd Ennstprosa hat aber auch auf die ge-
') Es war ein sehr feiner Gedanke Vischera, im letzten Abschnitte seine« grofsen
Werks die didakti»che Poesie und die Tendeiupoeaie zusammen mit der Rheitvik so be-
sprechen.
■) Bewn&fo Terdiiaffong der Poene durdi die Bhetonn bei Sehmid, Griech.
Eenaifsancc S. 39; auch Atticisiiiu.s I 211.
^ Dies wird von Polemon ausdrücklich Qberliefert. Scbmid, Attic. I 39 f.
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R. Paier! KhatorOr und Foflo« im Hitriiehn Attertnn.
658
BÄTiitp Gestaltung der mittelalterlichen und nmen Dich hing einen entscheidenden
Eintluls ausgeübt: ihn, wenn nicht zuerst behauptet (S. 843 f.), so doch üher-
zeugend nachgewiesen zu haben, i&l das Ilauptverdienät des Nordenschen Buches.
W. Meyer hatte den Ursprung des Reims in der griechischen und latei-
BiBeheik Didiiuiig axa der Poesie der aenilttscheit YGlker abgeleitet (Abb. d.
KgL bayer. Ahid. ZVII 8. 2e&— 450}» eber mit dieser LSnmg des RSteelB wenig
Beilall geAmden, Jetefc leigt Norden (iW die Geacfaidite des Reime' 8. 810
— ^908), wie die bekannte Thateache, dafs die Reimpoesie, die ma zuerst in
der spateren Xaiserzeit in den christlichen Hymnen ent^j^egen tritt, sich eben
aus der gehobenen Knnatprn^a entwickelt hat. Zwar finden Hieb im Altertum
— ich kann hier einfach relerinrend verfahren — Reime fz;eiegentlieh auch in
V ersen früherer Dichter und in Formeln des gewöhnlichen und rituellen Lebens
(der iUteste bei den Römern ist terra pe^&n tmeto, saUts Ate utoneA), Varro, De
r. r. I 2, 27), aber die Voraussetzung eiser bewnliiteik Remkintst liegt in dem
Bsralidismiis der Form, und diesen baben w aUein in der Ton Gbieeben so
genannten und schon von Gorgias viel gebrauchten jree^tfimnp der Eonstprosa,
die die einaelnen Glieder in immer wachsender Ansdehnung gern durch ein
b\totoriXfvro%' kr5nt* und kenntlich nififhte 'Ktin wurden Hchon von TTeiden
bei grofsen Festen in hochpathetischer, rhythmischer Sprache wie früher durch
die frei metrisch gehaltenen Dithyramben'), so in der Periode der zweiten
Sophistik durch nicht metrische Ilymneo die Götter gefeiert (Aristides nennt
es 4^fM«tM fyßtw fihQov oder xmtdoyddijv — in Prosa — ^deiv), imd die durist-
lieben Prediger beben mit dun Rbytiunns ancii die Ennsbrnttei der Bhetorik
Ton ihren heidnischen Yori^sgeni Ubemommen, namentlich die Farmosis und
das Homoiotelettton, nnd dies letztere ebenfalls nach antikem Huster zur
Steigerung der Rede mit Vorliebe benutzt. Gereimte und ungereimte Stücke
finden sich daher in solchen Predigten nebeneinander. Auch der alte Kirchen-
gesang ist 'nichts anderes gewesen als ein feierlicher, mit modulierter Stimme
mehr recitativisch gesprochener als gesungener Vortrag' (S. 859) und hat sich
seinem Wesen nach kanm wesentiich von der hochrhetorischen Predigt ab-
gehoben; so hat sieh die Hymnenpoesie ebra&Us nach der ihetoriscben Rich-
tong ansgestBltet"), sowohl im Morgen- wie im Abendhiidey nnd hat sidi all-
mihlieh immer mehr an den Rhythmus nnd das Homoiotelenton eis sein
äuTseres charakteristisches Merkmal gewöhnt, m dafs dies im nennten Jahr-
hundert von hier a\ich in die Poesie der Muttersprache bei den germanischen
und romanischen Völkern Eingang fand und die nationalen Versformen ver-
drängte. Noch das ganze Mittelalter hindurch hat man die Poesie in die
Rhetorik einbegriüen, den Heim Omoeoteleuton (oder -lenton) genannt und
als einen der eoloree rhetorici gezahlt, und selbst die Hnmadsten haben die
') Borat. Carm. IV 2, 10 ff.: seu per audad» mva dUhyramboa verba devolpit numeritgue
fertur lege »ohitii.
*) Dalier wurden die Byrnnen denn auch von den QysantLaeni la den FMiaweeken
gerechnet. Krumbacher, Btysaiit. Litt.' 8. SSV.
Mmm JabtbOdMT. US«. I. 4i
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H. Peter: Rhetorik und Poesie im klassischen Altertum.
Poesie der Rhetorik untergeordnet und die 'Eloquentia* in prosaische Rede
und Poesie geteilt. So weit Norden.
Gewifg hat die Vertiefung unserer Kenntnis des klassischen Altertums eine
neue Periode begonnen, als die Notwendigkeit erkannt und gelehrt wurde, es
mit der neuen Zeit und anderen Völkern zu vergleichen; aber fast möchte ee
scheinen, als ob wir vielfach auf der Brücke, die so zu ihm hin übergeschlagen
werden soll, stehen geblieben und nicht in das jenseitige Land selbst ein-
gedrungen wären. Jedenfalls ist den alten Schriftstellern dadurch oft bitteres
Unrecht zugefügt worden, dafs wir sie von unserem modernen Standpunkte aus
beurteilten, was oft auf eine Verurteilung hinauslief und hinauslaufen mufste.
Wir haben in Deutschland lange Zeit unter der Herrschaft der lateinischen
Sprache und der mit ihr in der Litteratur von Anfang an unlösbar ver-
bundenen Rhetorik gestanden; wiederholt hat sie die derben Auswüchse unserer
heimatlichen zurückgeschnitten und das Formgefühl verfeinert oder neu belebt.
Dann aber hat sie den deutschen Volksgeist, als er zu eigener Kraftäufserung
zu matt geworden war, in enge Fesseln geschlagen und auch Talente, die sich
sonst freier entfaltet haben würden, in ihnen festgehalten. Um sie zu brechen,
bedurfte es des vorurteilsfreien und selbständigen Denkers Lessing und der
ursprünglichen und hinreifsendeu dichterischen Originalität Goethes sowie des
neuen, auf die höchsten Erzeugnisse des griechischen Geistes gegründeten
Humanismus. So haben wir uns von der römischen Rhetorik befreit, aber wir
haben verkannt, dafs die Griechen ihre Gröfse der Selbstlosigkeit verdanken,
mit der sie sich vor allem Übermäfsigen gescheut und sich einem bestimmten
Gesetz gefügt haben. In eine Sturm- und Drangperiode haben sie sich nie
verirrt, und ihre Freiheit bestand nicht in einem schrankenlosen Austoben des
Genius, sondern bewegte sich taktvoll innerhalb der von jenem gezogenen
Grenzen. Diese Seite der Gröfse des griechischen Geistes ist uns durch die
historische Durchforschung namentlich des Verfalls völlig klar geworden; erst
die Ausartung des Schönheitssinnes und der gekünstelte Ausbau eines einseitig
formalen Systems hat uns klar sehen gelehrt, dafs an ein Grundgesetz sich
selbst die Heroen der griechischen Litteratur gebunden haben. Die Rhetorik
des klassischen Altertums ist ein echtes Kind griechischen Geistes, und wenn
wir gerecht urteilen wollen, so müssen wir rhetorische Werke der Griechen
und Römer oder rhetorische Teile von wissenschaftlichen Werken hinsichtlich
des Inhalts mit demselben Mafsstab messen wie poetische, und weiter uns
immer dessen erinnern, dafs sie nicht allein als geschriebene mit dem Denken
aufgenommen, sondern als gesprochene gehört sein wollen, und dafs unser
Ohr lange nicht fein genug fühlt, um alle die Schönheiten, in denen das des
antiken Zuhörers schwelgte, annähernd zu empfinden oder auch nur zu merken.
Vielleicht führt uns eine solche Erwägung dann zu der Einsicht, dafs wir uns
in unserer modernsten Litteratur der Gefahr nähern, die einst einseitig uber-
schätzte Schönheit der Form ebenso einseitig zu mifsachten.
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ZÜK ENTWIGKELUNG GjEOECHISaHEB BAUKUNST.
Ton FSROIHAMD NoA€X.
ra
Wir haben keine Yeranlasaung, ja nicht einmal das Hecht, die dem Tempel
eignendo Forioliamo und damit 'die auf «ner peinlich i egelmürsigen Einteilung des
Triglyphon beruhende Verengerung der BSckinterkoltaiimien' (Jahrb. dlnti XI 70)
bweita fllr die mykenisebe Ardüieldbiur TorauBsaeeiBen, wenn wir, wie billige
unter dieser Jie Baukunst während der mykenischen Kulturperiode allein be-
greiftn. Die Peristasis charakterisiert den Tempel und gehört mit diesem in
die erste nachmykenische Zeit. Aber durch sie wird die alte fortlebende und
fortwirkende mykenische Bautechiuk nicht um wesentliche neue konstruktive
Ideen bereichert. Nach demselben Prinzip, nach dem seither das Gebälk die
Cella überspannt und sich über dem Architrav der Vorhalle aufgebaut hatte,
wird nun andh der Saulennmgang fiberdeekk. Die DeekhallEBn durohbrochon
gleicluMun ihren seitherige anTeeren Abschlolb und strecken nnd dehnen sidi
allseitig bis hinüber zum ArchitraT der Peristaais (s. u. und Abb. Vlll). Die
£rscheiTnin<>;, die vorher nur die Fnmt des Megaron mit dem von Ante TO
Ante führenden, von Säulen getragenen Architrav geboten hatte^ wird nun TOn
allen vier Seiten de;? Tempels gefordert.
Der Kern der Bache liegt aehlielsliph in der Frage: wie muls das myke-
nische Megaron ausgesehen haben, dais sich der dorische Bau daraus ent-
wicht konnte? Indem ich auf die Einsduntersuchnngen yon Penrot und
Ghipiea (Histoire de Tart VI), Ton F. t. Beber (Abh. der KgL bayer. Ak. d.
W. XXI 475 ff. und Jahrb. d. Insi XI 234 ff.) verweise, hebe ich hier nur die
Hauptsachen hervor.
Die Vorhalle des Megaron, das in Tiryns und Mykenae das Centrum der
Palastanlage bildet, fordert den Architrüvb.'ilken (nach v. Reber zwei Balken
nebeneinander) über den Anten und den l>t>iden ZwisclienHÜnlen. Ich stimme
mit V. Reber darin überein, dafs der Architrav sich mcht über den j^eschlossenen
Wänden fortzusebsen brauchte; diese gingen vielmehr selbst weiter empor.
Die vier FretstOtsen, die den Herd des Hauptraumes umstanden, beweisen, dafii
die eig^ilichen Deckbalken von awei starken sogenannten Unterzugsbalken
getragen wurden. Man nimmt an, dafs sie mit dem ArehitraTbalken (Ä) in
einer Höhe lagen. Auf diesen wenigen Hauptbalken tmd den Lehnn\ilnden
lagen in dichter Reihe die eigentlichen Deckbalken, deren uraprttnglich frei-
liegende Köpfe das Grundmotiv des TrigljphenfrieBes abgaben.
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666
F. Hdtuskt Zw Enfcwiekdnng grieehiteber Baakoart.
Nun ordnet t. Reber (S. 489 f.) die beiden Untenogibdkiii in der Lingi-
riohtimg des Meganm an (Abb. HI, Ä), so dab sie im rechten Winkel uf
den FronterdütntT sioben. Er giebt sa, dafii 'wir nicht bestimmt wissen, in
welcher Ricfatang die Untersogsbalken gelegt waren', and dafs *die Spann-
weiten in dieser Beziehung nichts entscheiden'. Entscheidend ist für ihn daher
der Cledanke^ dais bei einer anderen Anordnung (Unterzugnbulken parallel zum
Architrav, die Deckbalken in der Längs-
richtung) 'die Deckbalkenköpfe an den beiden
Schmalseiten zur Ansicht kämen, wodurch
die Zwischenräume swisdien den Balken-
köpfen ihren Wert als Licht- ond Luft-
Sffirangen verliegren wttrden*. Deshalb sden
'die Deckbalken im gansen Qeh&ude einheit-
lich in der Breitrichtung gelegt wovden; Ton
den beiden äufsersten lag der eine vom über
dem Architravbalken, der andere hint-en über
der Sfhmalwiind des Saales; die Schnittenden
sämtlicher Baiken waren an den Laugseiten
sichtbar*. Diese Schnittenden mnfrten *Mn»
schfiiKende und sierende Yersehalong* er-
haUen, und um 'eine gewisse Harrngnie der
Erscheinung zwischen dem Friese der Lang-
seiten und jenem der Schmalseiten hersa-
stellen', wurde vor dem Deckbalken, der über
dem Frontarckitrav herlief, eine die verzierten
Balkenköpfe der Langseite imitierende Deko-
ration aus Stein befestigt, wie sie uns im
Alabasterfiries von Tiryns und ihnlidien
Stadcm ans Porphyr «rhalten ist Die
Zwisehentftume swisdisn den BsflrenkfipfBn
der Langseiten worden nicht durch 'Metopentafoln' geschlossen, sondern blieben
als .Lichtöffnnngen frei. Hiernach und mich Taf. II bei v. lieber habe ich
dessen Auffassung von der Lagerung des (iel)iilks in einer perspektivischen
Skizze (Abb. iV) auszudrücken gesucht. Architrav und Unterzugsbalken sind,
entsprechend Abb. III, mit Ä, die Deckbalken mit B, die Giebeldachsparren
mit C beniohnei
Gegen diese Rekonstruktion habe idi folgendes einsnwaiden. Vor aUan
mfissm wir die YoraussetBung heute ablehnen, dafo die Hetopen jemals als
Lichtöffnungen gedient hätten. Wir mflssen schon deshalb davfMt abuflliiHi,
weil bei einer Wandstärke von fast 1,40 m (Tirjms) und dem noch betriichtlieh
daniber ausladenden Dach Balkenzwischenräume von nicht ganz 0,G0 m Höhe
hoch oben nntev der Decke sehr frag^vürdige Liehtverraittler, zumal für den
unteren Kaum, wo man des Liclites zunächst Ix-durf, gewesen wären. Deutlich
genug zeigt das Abb. V, in der der C^uerscbnitt nach v. Ilebers Abb. VI ^S. 49^)
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F. Noack: Zur Entwiekdnng griediisditt Bankuiwi
657
wiederholt ist. Die zugefügten punktierten Linien geben den höchsten, mittleren
und tiefsten Stand der Sonne an, wie er sich für den 38. Breitegrad (Athen)
ergiebt^j Angenominen ist, dals die Lichtstrahlen die Südseite des von
0.]im!Ii W. orientierten Gebäudes treffen. £s ergiebt sieb, dafs direktes Licht selbst
beim tieftten Sonnensfamde (am 21. DeBember) in die nadk Reben Aimalun»
inrrerediloMMoe UetopenMhnng nur bia »i gans geringer Träfe, in das Ge-
töudeinnere Oberhaupt nicht einfallen kann, ja sdbet bei einer nur balb so
dicken Wand noch nicht einfallen konnte. Anfserdem aber wissen wir beute,
dab i*a£ die Lagerlöcber für die Trigljpbenbalken, ffatonal die awiscben
den einseinen ÖfiTuungeu befindlichen geschlossenen Wandteile waren, wie Yitruv
IV 2, 4 will (Athen. Mitt YOl 162 f.; Dnrm, Bank., der Gr.* 127). Die RQcksicht
darauf, dab der swiscben YorbaUe und Saal liegende Vorranm bei der von
T. Beber angenommenen Balkenlage sein eigraee üdit geltabi babe und nicht *auf
indirektes Licht beschrankt' gewesen wäre, darf (Iberbaupt keine Bolle spielen.
Dieser Raum (den mit dem homerischen a^pddo/ios zu indentifizieren, im Gegen-
satz zur (d^ov6((, ich übrigens für unzulässig haltet ist so sehr eine Besonder-
heit der lluuptmegura von Tiryns und Mykeuae und dem typi.schen raykeiiisehcn
Megaron so fremd, dafs auch der Tempel ihn späterhin in seinem Cellagrundrifs
nicht aufgenommen hat.")
I) »o«4-28V;»— 88" (21. Juni). 9ü''-3ö<' (21. Mirs, 21. September). W»— SSy,«— 88»
(tl. Desember).
^ Wean die Hetopen wiiUieh solch notwendige Lii lürjuellen fi'ir ili«- Cella gewesen
wifen, mflflile bmb gegn die Banmeuter der peripteralen Anlagen den Vorwurf erkebeD,
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658
F. Noaek: Zur Entwickelaiig griAehitelier BankuiMt.
Dagegen besitsen wir, wifl ja auch ReW betoni, zwei Hil&mittel, die
uns den riclitigen Weg zeigen. Das eine iai die Frage nacK dem konsMctiv
Notwendigen, du andere der Bfieksdiliife von der spiteren Naehbüdmig, der
Cella des doriai&en Tempels. Eine Notwendi^eit, das Urbild der Triglyphen-
dekoration an den Langseiten entstunden zu denken, giebt es nicht, nicht nur
weil die HauptlMgründiing (Metopenlicht) t. Bebera unhaltbar ist. Seihst wenn
die Deckbalken in
der Tou ib?n an-
genommenen Bich-
tang lagen, war ee
nicht unbedingt not-
vcndig, dafs ihre
Köpfe sichtbar blie-
ben und nur mit
Hilfe der dekora-
tiven Trigly{)benver-
scbulung getscbützt
werden konnten.
Man wird es ftr
genau ebenso m^-
lich halten müsaen,
dafs auch in diesem
Fall die Wand in
den Zwischenräu-
men zwischen den
(MMh T. aab«n Abb. «.) üalken uucü weiter
ouporgeftihrt war,
und dafs aach die Balkenköpfe hinter dem die ^uuse Lehmnegebnaner Qber-
ziehenden Verputa Terschwaaden (wie es in Abb. VI in der den Hanptsaai füber-
spannenden Gebälkkonstruktion rechts angenommen bt). Wenn dagegra die
Unterzugsbalken — was v. lieber an sich als möglich zugiebt — quer, parallel
zum Architrav, und die Deckbalken infolgedessen in der Lanpsrichtnnp: geftihrt
waren (Abb. VI, vgl. auch Pcriot Chipie?: VI 700), lag die Sache j?5ni/. anders.
Dann gab es in der That eine Öt«llt», wo die Köpfe der Deckbalken not-
wendigerweise zuerst frei und sichtbar sein muisten, wo sie ebensowenig
wie die 'Metopen' awischen ihnen sich so gans einjach verdecken lielsra: das
war Ober dem Architra?ba]ken zwischen den Anten (Jahrb. XI 226). Sowohl
an den Langseiten wie an der Rückseite trafen die Balken aof die Lnftaiegel-
winde, in deren Tiefe sie weit einbinden, dem Auge aber entzogen werden
konnten. Nor an der Front moüste die Holzkonsfaruktion sichtbar bleiben; nnr
dafs aie für dies>'1V<(>n keinen Ersatz geschaffen h&tten. Denn hier ist die Cclla thatsäch-
lich nur durch die TbCir zu erbellen, w«0 deoo für jene alte Theorie tod der Metopeo-
beleachtong nicht gerade günstig ist.
I
I
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F.^Noack: Zur Kntwickeluag gltedbucher Baukunst.
659
hier w man geswimgen, sich die BalkenkSpfe entweder einlach gefallen su
lassen, oder zn ihrer N erhüllunt» irgend ein neues Element einzuführen
(Abb. VII). Trotzdem würde man wohl v. Hebers Auffassung zustimmen, wenn
der dorische Tempel sie bestätigte. Der Peript« raitempel zeigt alk-rdings den
Triglyphenfries an allen vier Seiten. Aber wir <lürfen mit dem Megaron
doeh einzig und allein nur die Oella Tergleichen. Für diese aber
bestellt in allen Zeiten das Oeaet^
dab der Tr^ypbenfriea nur Aber der
offenen Sinlenatellung stehen und über
der gesehlossenen Ce IIa wand nicht fort-
geführt werden dürfe. Da dies für
Zeiteu gilt, wo der Fries thatsäehlich
zum reinen Ornament geworden war,
so dafs man ihn wirklich beliebig
hStte Terwraden kfinnen, so wird man
sieh mit der Konatatiemng des Oesetaes
nicht begnügen, sondern nach wnem
Ghronde suchen dürfen.
Der naheliegende luieksehlufs, den
V. Reber (S. 49Hf. i heziiglicli des (Jiehel
daches geradezu verlangt, bei dem
Trigiyphenproblem aber gerade hier
unterlSüst, der jenes Geseta rersiSndlich
maoh^ ist der, dafs sdum am Megaron
die Tri^jphen nur auf die Sclunal*
Seite beschrankt gewesen seien. Ihm
kommt der andere aus der Konstruktion
gezogene Schlafs auf halbem Wege be
statigcnd entgegen. Ich halte daher
an meiner früher ausgesprochenen An-
sicht fest, dafs der Ton Penrot und
Chipiez gegebene Rekonstmktions-
Tarsnch (Hisi de l'art VI 7101t) in
dien wesentliehen Dingm das Rechte
getroffen hat.
Gewifs ist der Alabasterfries von
Tirjns 'nur eiiu* konstruktiv nicht ge-
l)otene Nachahmung und Ergänzung des Trigl^'phenwerks* (v. Reber S. 495),
aber nicht der Triglyphen der Langseite, sondern, wie es Abb. VII veranschau-
lichen soll, der ursprOngUcheren Triglyphenform der Front. Der Alabaster^
friee folgt auf einen alteren Znstand, er entspricht einem höheren dekoratiTen
Bedflrfiiis. Es ist daher schwer xa sagen, wie wdit er sein ein&cheres Torbild
kopiert, wie weit die EinfÜhning des anderen Materiales auch neue konstruktive
£inaelheiten nötig macht Die Tänia des Architra?s ab eine besonders ein-
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660
F. Noack: Zur Entwickelung griechischer Baukunst.
geschobene Bohle zu erklSren, die den vor die Balkenköpfe gesetzten deikocatiTen
Triglyphenplatten als Auflager dienen sollte (v. Rebor494fl", Perrot-Chipiez a. a. 0.
und unsere Abb. VII u. VIII, 1)}, halte ich für sehr richtig. Ebenso erklärt
sich die Tropfenregula aus der Konntruktion. Es waren kleine Querriegel,
welche die Archiiravtänia mit ihrer Unterlage, also dem Architravbalken selbtit,
▼edbinden soUten. Sie waren s. T. in diesen eingelaMen; cbiroh ihren und der
ISnia darftber Tor die Flncht des Arehitmn Tomtgenden Band waren von
unten naeh oben Holabolxen getrieben, die oben wieder henroiiraten und das
untere Ende der Trigljphenplatte vor dem Balkenkopfe festhielten. Dafis die
Platten oben wieder durch eine Holzvorrichtung mit den hinter ihnen befind-
lichen Balkenköpfen verbunden sein muisten, giebt auch v. Reber zu. Nur
halte ich es für richtiger, vom Alabasterfries auszugehen, denn Holzplatten
konnten vor die Balkenköpfe schliershch auch von vorn befestigt werden. Der
Abb. vn Bnammia bh Tanumaranns am Qmmkmm a Ann.
Alsbasterfries dagegen konnte, um Bibers Worte zu gebrauchen, 'nur unten
und oben g^bt nnd an die dahintw befindlicfaen Balkai gedrflekt werden*.
Die Ton Perrot TorgeecAiIagene Lfirang, dab das obere Ende der Hatten in
den Falz einer Bolile eingriff, die in der Richtung der Balken (und Aber diesen
liegend) über jene Alabnstcrplatten vorragte, wird zwar immer l^ypothetisch
bleiben, scheint mir aber die entsprechende Form des Steinbaues am besten
zu erklaren. Ich habe sie daher auch bei meinen Skizzen Abb. VII und VllI
gewählt. Auf die Andeutung der übrigen Einzelheiten habe ich der Über-
sichtUchkeit wegen verzichtet.
Wie viel Ton diesen Befestigungsmitteln der eteinemen Trigljphenplatten
Ton einer nrsiHrani^elieren Holvrersehalmig flbemonunen ist, bleibt fraglich.
Es lliat sudi jedooh nicht leugnen, dab die Notwendigkeit eines denrtigsn
Yerfabrens zunächst nur hei dem Fries von Stein zuzugeben ist, und da(s
T. Beber dies alles an der reinen Holakonstmktion nur deshalb dorehanf&hren
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F. NoMkt Zur Etaiwickfllttiig giiedilBchtt Bankimit.
661
sackte, weil er yon der Yonusseizang ausging, dab liobeiiie Tnglypben*
werk sieh mit der Lniktiou in Akbaster nunumen und gleichseitig am nim-
lieken Gebinde befanden kabe. Naehdem wir geaeken kaben, dals wir mir an
ein Nacheinander beider Brei^inmigen denken dürfen, deren Abfolge rieb nur
an der Front des Megtzon vellsog, mileeen wir darauf verzichten, vom Akr
basterfries nncl der von ':hm pefordt-rten Holzlconstraktion des Gebälks einen
RQckschluiä in allen Ein/' llieiten auf das ältere reine Holzgebälk zu machen.
Ein solcher Steinfries braiu ht ja gar nicht überall im Bereich Tnykenischer
Baukunst eingeführt worden zu sein; auTser Tirjms hat uur Mykeuae derartige
grSfeere, airehitektomeefaen Zweeken dienende Fnemtfieke gdiefiart. Da sei
denn wenigptma noch einmal daran erinnert, dab andi manehee andere daf&r
•pricibt, daft der erete doriaeke Tempel in der Nabe der Hegpua von TuTne
mid Mykenae entilanden ist.
Zwischen die Alabaster -Triglyphen und von diesen gehalten sind die
Metopeiitafeln eingesot/t trewe^en. Sie sind das erste Zenfn^i« «Infür, dafs die
Metopen keine Lichtöfinungen waren. Auch der dorische Tempel hut allezeit
darauf verzichtet, sie dazu zu gebrauchen, und hat hüuhg vorgezogen, sie zu
Tra^rn figOrlieker Dekoration zu machen. Der ionische Tempel hat sogar nie
die Höglickkrit beaeaeen, leiner CeUa anf diesem Wege lickt zu Tersdiai^n,
da er von jeker den g^ttoi, geeebloBBeneo EViee beeab.
Die Motive für das auf dem Triglyphenfries ruhende Dachgesim^^e, das
Vorbild des dorischen Geieon mit seinen viae und Nagelköpfen, findet Perrot-
Chipiez nach Dörpfelds Vorgang in der Deekenkonstruktion des flachen Erd-
daches, V. Keber dagegen im Zusammenhang mit dem Giebeldach. An diesem
hält er, seiner friiber geSufserten Ansicht treu ( Sitzungsber. der Kgl. bayer. Ak. d.
Wiss. 1888 11 1, SOS.), auch heute fest (a. a. 0. 4981?.): wenn wir heute in
dem GebSUt mykenieoher Megara das mdhr oder weniger direkte Vorbild für
die entqHredienden Glieder des dorisohen Baues erkennen dQrlbity so mflsse man
mit demselben Bediie fblgem, dab nieht nur ftr da« doriadie Gesimse» sondnn
auch för das Giebeldach das mykenische Megaron vorbildlich gewesen seL
Zur Unt<^rstützung dieser Aimahme wird allerdings mit Recht die Behaupiong
abgelehnt (S. ö()4), dafs das Giebeldach in mykeniselier Baukunst zwar vor-
handen, aber nur auf den Tempel beschränkt gewesen wäre. Damit ist aber
nicht viel gewonnen. Die aus der Odyssee heraugezogeuen Stellen sind nicht
beweiskrimg. Sie gehören so jungen Stücken bezw. Znsatzen an, dals, selbst
wenn rie mir unter der VorausselBung des Giebeldackes tu Torstehen wirm,
sie für dessen Existens am mykaniscken Megaron kein Zeugnis ablegen kSnnen.
Ghinz unbekannt war das Giebeldach in mjkeniaeber Zeit nickt, wie die ikm
naebgebildeten KammergrSber am Palamidi bei Nauplia und bei Spata be-
weisen: aber gpgpn ihre Verwendung beim Megaron des Anaktenhauses sprechen
sowohl dessen breite, schwere Wüti'U nls auch ein Detail des dorischen Tempels,
aus dem v. lieber keinen Kütkbchluls gemacht hat; das ist das liorizontale
Giebelgeison. Betrachtet mau deu von Reber mii^teilten, von Bühimann ent-
worfenen RekonstruktionsTersuck des mykeniseken Megaron (Taf* II), so faUt
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662
F. NoMk: Zur Eatwidnlttaff griecMBcher Bankoiist.
sofort Auf, dafii Üb«r dem Triglyphenfries Fassade das vorragende Horicontal-
gesimie fehlt; statt dessen ist eine BekrOnimg mit fiberfidlmdem Blattpn^
gewShlt. Hit richtigem Empfinden hat man sidi gesagt, dab ein Gesims^
das sich nur ans einer weiteren rorsprin Reuden Balkenlage erklart, bei der
TOiansgesetzten Balkenlage, hier an der GiebeLseite, unbegründet ^lire. Wenn
nun aurstrdom das alleinige Vorbild für das Geison mit seinen riae nnd
Tropfen in der Erscheimnii; der an den Trauiseiten weit überhängenden Enden
der Sparrendielen des Giebeldaches gefunden wird (S. 506 f.), so bleibt vollends
unbegreiflich, wie später über dem dorischen Trigljphenfriea der Giebelseiten
das horiiontde Gcisoa anfkonunen konnte. Wenn vir eimnal ans dem dorischen
Tempd rU^wftrts sdüieben wollen, so mflssen vir vor alkn Dingen «nch an
dieses merkwUrdige Gesimse denken.^) Wie fiberflflssig nnd nnverstindlich es
nnter dem Giebel erscheint, hat uns t. Beber selbst am deutlichsten gesagt
als er es auch am vordorischen Megaron verschmähte. Wenn es aber seiner
Natur nach nicht nnter den Giebel gehört, so gehört auch der Giebel nicht
darüber, und ist es als Zusatz znm Giebel nicht natürlich zu erklären, sondern
widersinnig und iui Grunde falsch, so war es eben vor dem Giebel da und
bezeugt uns das flache, horizontale Dach. Gerade weil ein solches mit schwerer
Erddecke auf dem Gebilke lastete, war dieses so sorgfältig gefügt, waren die
Oeüaii^de so breit und wnditig, und standen im Hauptsaale nach der lütte
zu bei einigen Räumen von gröfserer liditer Weite die Tier Saolen, deren
Standplatten sowohl in Tiryns wie in Mjkenae noch gefunden worden sind.
Diese hat später das Heraion r.n dem gleichen Zwecke (Unterstützung der
grofsen Tragbalken der Decket durch die kurzen Quirwände ersetzt; in anderen
uns nicht mehr erhaltenen Tt nipeln mag nuin vielleicht sich dadurch geholfen
haben, dafs man die Längswände näher zusammen rückte und so die schmalen
Gellen schuf, die man als ToiKnftr aUerdings nur fDr dw Selinonter Tempel
Tennuten moehteL In Griechenland selbst dagegen haben schon die ilteeten
Steintempel die Dreiteilnng durch Innensftulen Torgesogen, an der das beim
Heraion angewandte Verfahren ja führen mufste.
Können wir das horizontale Giebelgeison also nur als ein Rudiment eines
älteren Zustandes begreifen, so erklärt sich das Festhalt<»n an ihm m\r so,
dais es als der Vorstofs des flachen Daches auch an den ält4'sten Tempel-
fronten eine Kolle spielte, ^un hätte es als übertlüäsig eliminieren können in
dem Augenblick, als man die gesamte Gebälkkonstruktion hinausschob bis ^um
Architrar der Peristasis, wmn man flberhaupt damals schon mit dem Tempel
nnd für ihn augleich aueb das Giebeldach gesdiaffen hatte. Dab das Horinontal-
geison auch dann geblieben ist, kann uns beweisw, daib es dar Erscheinung
des peripteralcn Tempels bereits als integrierender Teil zu fest angehörte, um
dem hinzutretenden Giebel zu weichen. Auch der Peripteraltempel hatte
demnach zuerst nur ein flaches Dach: zugleich eine nene Stiltze dafür,
daüa die Peristusis zu den frühesten Charakteristiken des Tempels gehörte
') Vgl. Dörpfelii, Berl. philol. Wochen»chr. 1886, 836 837.
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F. Noaek: Zur Entwiekelnng gcieehiicher Bkokantt.
663
(Jahrb. XI 2H3). Das Giebeldach setzt die peripterale Tcmpelanlage als vollendet
voraus.') Wie diese ist es eine pcloponnesische Ertindung: gewiXB mit mehr
Glauben lesen wir jetz^ dafs man in Korinth (Find. Ol. Älii 21) 9e&v vaolGiv
o^awAy ßuffil^a d^vftov In^iu^ den doppelten ABtoe den Tempeln der 05Uer
Immifltlgte. Auf diMe Weise erklärt es ndi denn auch, daüa schon das Heraion
eine doppelte Dedn, die horixontale und das Giebeldach, beaafs, dafs femer
selbst durch einen offenen Giebel kein Licht in die CeUa hatte gelangen kSnnen,
so dafs der Abschlufs des Giebeldreiecks durch die TrmpanonwaTid ron vorn-
herein anzunehmen ist, nnd dafi« pridürh der Gedanke an dio jetzt ja m energisch
abgelehnte hypäthrale Anlage *j den griechischen Architekten nur noch weniger
zuzutrauen ist.
T. BeW hSlt die Einführung der Peristasis nnd die ümsefanng in den
Steinhau für gleichzeitig (S. 526). Kach der hier mtwickelten Ansidht ist daa
avsgeschloisen. Man fragt wiederum y^rgeblich nach der BerQcksichtigung des
Heraions von Olympia. Als man rings um das Megaron die SanlenhaUe setzt,
erhebt sich die Frage, wie diese mit jenem zu einem einheitlichen Bau zu ver-
binden sei. Die Antwort war in der 0el);ilkkon8truktirin der Mcjrnra jjetjeben.
Den Gai\<; der Entwickelung, wie er im folfrenden dargestellt wird, habe ich
in Abb. VIII veranschaulicht. Zu diesem Zweck sind die drei aufeinander
folgenden Stufen nebeneinander gesteUt; nur daa Notwendigste ist eingezeichnet
worden. Die Vorhalle der Cella ist in konstmktiTer Hinsieht mit derjenigen
des Megaron nodi -vdUig identiaeh. Nnn wird ebenso wie bei ihr Aber die
aufinren %nlen der ArdiittaT (Jl,) gdegi nnd damit eine nnnnterbrochene
Verbindung der Säulen untereinander geschaffen. Die Verbindung dieser Säulen-
reihe mit der Cella, wodurch jene erst zur richtigen Halle wird, geht wieder
von dem Vorbild der Vorhalle aus: die Balken, deren Köpfe bis dahin auf
dem Antenaicliitrav <;elefTen hatten {B^, werden fortgeführt bis zu dem dem
letzteren pamllelen üulHeren Architrav (J^ und bilden hier dasselbe Schema,
wie vorher Aber der Vorhalle; fiber deren Ardutray Terschwinden awar die
Trigljphen, aber aneh nur sie, d^n die HetopenfflUnngen daawiachen
werden aueh jetat gefordert. Das Ornament ist zerstSrt, nur daa noch
ältere konstruktive Motiv bleibt soweit möglich. Erst^ res tritt nunmehr über
der äufseren Säulenreihe auf. Aber nun bleibt dieser Prozefs nicht mehr auf
die Frontseite besclirankt. Auch zwischen der Saultureilie iiiul den geschloi^senen
Wänden ist keine andere Verbindung möglich, nnd so erscheinen nun auch
die Balkenköpfp über dem Architrav der Langseiten und der iiüekseitt;. Sie
werden sümthch verkleidet wie die Bulkeuköpfe am Megaron, dio Zwischen-
räume wie dort dareh Metopentafeln geBehloisai. Damit ist der umlaufande
') Ich gebe Trondelcnburgs Berichtigung boz. des Giebeldaches der Schatzhäuiier (Bendis,
Progr. d. aiikan. frym , Bi rlin 1898. Anm. zu S. 10, 6) als berechtigt /ii; die Überzeugung,
dafs das Giebeldach am Tempel erst sekundär ist, wird davon ja nicht berührt, dafs es
den Mciifutni iieod war, aar nodi mdir beiUUigfc.
Zillcrt Tvnnittelnde Annahiii« <Beri. fliilel. Wodieiiidir. 18M, BIS) leeditet mir
nicht ein.
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664
F. Noack: Zur Entwickelung griechischer Baukunst.
Triglyphenfries gegeben (Jahrb. XI 227 f.). Durch die Allseitigkeit des Architrav-
gebälkes wird die Lagerung der Deckbalken etwas umständlicher und mannig-
faltiger, wodurch jedoch der hier gegebenen Erklärung keine Schwierigkeit
erwächst. Die der Vorhalle entsprechende Hinterhalle habe ich schon früher
mit dem Aufkommen der Peristasis in Zusammenhang gebracht (Jahrb. XI 227).
Das Gesimse, das allein unter allen Gebälkteilen auch schon beim Megaron
eine gewisse Allseitigkeit gehabt haben mufs, bedurfte jetzt nur insofern einer
9
Abb. Vtn EnrwicKiiLUicoiiTcrsii dbi TaioiirrBnrkiBSM Vbib dkü ABcmrKATn.
Änderung, als es auf allen vier Seiten die gleiche Konstruktion der weit vor-
ragenden Bohlenlagen (vgl. Perrot ^^ 7 14 f.) zeigen mufste.
Die Umwandlung in Stein hat, von einer bestimmten, unvermeidlichen
Stilisierung abgesehen, an der allgemeinen Erscheinung des Gesimses und seiner
Nagelplatten, des Triglyphenfrieses und des Architraves wohl kaum etwas ge-
ändert. Ist man doch so konservativ gewesen, sogar die Terrakottaverkleidungen,
die nur am Holzgesimse aufgekommen sein können, am steinernen Geison bei-
zubehalten; das setzt eine sehr feste, andauernde Gewöhnung voraus. Und so
schnell gewöhnte man sich, am Steinbau Tropfenregula, Triglyph und Nagel-
platte (via) übereinander als etwas Zusammengehöriges zu empfinden, dafs man
da, wo die Triglyphen wegfielen, wie z. B. an den geschlossenen Seitenwänden
(Schatzhaus von Megara in Olympia) und im Giebelfeld, auch die viae an der
Unterkante des Geisons nicht sehen wollte und sie deshalb fortliefs. Freilich
lief« man sich dabei von einem sehr äufserlichen Eindruck leiten, aber man
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rergais fiberhAnpi wAi adhnell die konstruktive Bedeutung der einiwliiwi
0]i«der. Ihr Anhitnt «rftllte aeine ■Ifte Aufgabe nudi im Steinban weiter;
aber ee ist aelioii «ne Ammluae, wenn die SopHeisle D (UniA) deeielbeii
noch als selbständig gearbeitetes Olied darüber gelegt wird (T)emetertempel in
Paestum, Tempel der Alkmaeooiden in Delphi [Bull, de corr. hell. XX 1896, 647]). .
Der TriglyphenfTie.s erfüllt zwar noch ebenso wie der Alabaskrfries von Tiryns
seinen dekorativen Zweck. Aber die Metopen sind nicht mehr immer die
zwischen den Triglyphen f innres chobenen, dünneren Platten, sondern sind häufig,
die Trigljphen so gut wie immer, stiU'ke Blöcke, die dem weiteren Zwecke
dienen, ^ GeieonblSek» tngen wa helfen. Nor die Art, wie am Demeln<-
iempel Ton Fteelom die Triglyphenplatten einst durch dae über ihnen vor-
fangende Hianp^eainiee gehaltai waren (Dunn, Bank. d. Gr.* 119, Fig. 90),
erinnert an die Befestigung des Frieeee JOD. Tiryns; doch mag das Zufall sein.
Hinter dem Trigljriihenfries aber liegen, wie bekannt, die Deckbalken nicht
mehr. Durch eine Reihe glatter Platten von verschiedenartigster Schichtung {E)
ist er nach innen abgeschlossen; einmal, am Nemesistempel 7ii Khamnus
(Mauch Burrmann, Archit. Ordn. Taf. 10), sind unter der inneren Kopfleiste des
Architravs sogar Tropfenregulae angebracht, das stärkste Zeichen der Erstarrung
einer ISnget nidit mehr ▼enteudenen Form. Dan WiehÜgste an dieeem, auf
ieinen wahren Grand bis jetat noeh nicht anrficl^eftthrtai Proaeb ie^ dafii eret
dnreh das Höherlegm der Decke (J^) swiichen den* alten Metopen-
stücken (b. o.) über dem Architrav dor Yorhalle auch die Stelle der alten
Balkenköpfe wieder frei wird {F) und wieder, wie einstmals am Megaron, von
Triglyphen eingenommen werden kann: am dorischen peripteralen Steinbau
wird dem vollständigen Trigl3rphenfries seine ursprüngliche Stelle wieder ein-
geräumt. Gienau ebenso liegt be;&üglich der Decke die Sache an den Lang-
seiten. Weshalb wird aber hier der Triglyphen&ies nicht auf die Cellawände
abertragen, nidkt einmal ala Ddcoiation? leh denke, wir können die Antwort
jetat rieher daranf gehen: weil er eich an der geechloeeenen Wand niemalB
aus der Konstruktion ergeben hatte und auch schon am Megaron niemals an
dieser Stelle gewesen war. Nur die Hinterhalle kann ihrem Vorbild, der Vor-
halle, hierin folgen (vgl. die ansehanliche Durstellung bei Dnrm a. a. 0." Fig. 114).
Bekanntlich liat Mne.ii1<!e3 vir finrum über die Westwand der Pinakothek den
Triglyphenfries setzen kumieii, weil diese Wand der offenen Halle, die gegen-
über beim Nikepyrgos projektiert war, möglichst entsprechen sollte, — Dio
einaehM» Teile dw Decke beetanden, ancli ala dieee im Bteinban hllher gelegt
war, anfia^ok noeh ana Hok. Dan klannifirhii Beiepiel bentaen wir jetat im
Sehatdmua von M egara in Olympia (Oljmpia I Ttf. 36 38). Die konatruktiTeii
Elemente sind keine anderm ala dantala, ala Deckbalken nnd Trigljphenbalkea
noch identisch waren.
Puchstein hat, auf Omnd neuer Aufnahmen, die Koldcwey von dem sehr
altertümlichen Apollon- oder Artemistempel (vgl. Husolt, Gr. Oe^rh. I* 388, 2)
auf Ortygia gemacht hat, Mie MflgUchkeit nicht von der Hand gewiesen, dafs
auch die Triglyphen einstmals den dorischen Architekten unbekannt gewesen
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F. Noack: Zur Entwickelung griecbischor Baukunst.
seien, und dafs der alte Apollontcmpel einen glatten oder wenigstens einen
triglyphenlosen Fries gehabt habe' (Archäol. Anz. 189Ü S. 102). Er ist dabei
von dem Ergebnis ausgegangen, dafs die Achsweiten der Ecksäulen nicht enger
sind als die der Qbrigen Säulen, und hat, da er mit anderen die Überzeugung
teilt, dafs die engere Stellung der Säulen au den Ecken der Peristasis durch
den Triglyphenfries bedingt war (vgl. Dürrn a. a. 0.' 124 flP.), aus der gleichen
Gröfse der Frontjoche auf das Fehlen des Trigljphon geschlossen. Das ist
methodisch unantastbar, nicht aber, was i'uchstein daraus weiter folgern zu
sollen glaubt. Das Artemision soll Zeuge dafür sein, daHs die Triglyphen
ursprünglich an dem dorischen Tempel unbekannt waren, und noch gegen
Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. soll *der Kanon des fertigen Dorismus'
80 wenig festgegründet gewesen sein, dafs z. B. am Demetertempel von Paestum
Tropfenregula und viae und sogar das horizontale Geison ausgelassen werden
konnten. Wenn ich diese Angaben des kurzen Berichtes richtig verstehe, so
laufen sie auf die Auffassung hinaus, die den Gang der Entwickelung, wie er
durch das Heraion und die mykenische Bauweise heute erst zuverlässig er-
wiesen zu sein scheint, umkehren will: der Triglyphenfries mit seinen Konse-
quenzen für die Säulenstellung, Tropfenregula und viae seien erst am Steinbau
aufgekommen und erst spät zu kanonischer Geltung gelangt. Nach allem, was
ich oben darzulegen versucht habe, haben wir keinen Grund, dieser Ansicht uns
anzuschliefsen.
Der Demetertempel in Paestum weist einzigartige Eigentümlichkeiten
auf, die in gleicher Verbindung an keinem einzigen anderen Tempel wieder-
kehren. Neben Zügen hoher Altertümlichkeit (Durm a. a. 0.* 204) treffen wir
andere, die weder für älteren noch für jüngeren Dorismus bezeichnend sind —
vor allem die Kassettierung der Giebelgeisa — , so dals schon der erste Heraus-
geber, Delargadette, dieselben durch eine Restauration in römischer Zeit er-
klären wollte (vgl. Brunn, Griech. Kunstgesch. U 34), was ich jedoch nicht für
notwendig halte (s. u.). Ob jedoch zu den Abnormitäten des Tempels auch
das Fehlen des Horizontalgeisons gerechnet werden darf, möchte ich bezweifeln,
nachdem ich die Ruinen selbst gesehen habe. Über dem Triglyphenfries zieht
sich eine zweifache Schicht mächtiger Platten hin, die aus dem weicheren
Materiale bestehen, aus dem auch die Gesimsleiste des Architravs darunter und
desjenigen der 'Basilika' hergestellt ist. Es ist der Verwitterung unter allen
Teilen der Tempel am stärksten ausgesetzt gewesen. Trotz der kolossalen
Verwitterung ragen aber noch jetzt einzelne jener Platten sowohl über die
Flucht des Tympanons wie über die der Metopen hervor, ein horizontales
Gesimse über dem Fries war also auf jeden Fall vorhanden; ihm die Aus-
dehnung der weit überhängenden Geisonplatten abzusprechen, haben wir im
Hinblick auf die Verwitterung schwerlich das Recht.
Aul'serdem weist Puchstein für die ThatHuche, dafs 'der archaische Dorismns
sich gegen die Verengerung der Eckinterkolumnien so spröde verhalten habe*
(Jahrb. XI 70), auf seine und Koldeweys Untersuchungen der Tempel von
Seliuus hin (Archäol. Anz. 1^<J2 S. 12), nach denen 'die sämtlichen Joche cut-
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F. NoadE: Zur Eniwicktlniv gri«diiMli«r Bankonitw
667
weder Üifttsächlich gleich grols oder doch augenscheinlich als gleich groCs
beftbaicht^ waren*. Und doch ist an denselben Tempeln der ausbildete
TrigljphenfiriM achon da; am Oebük des Ttanpels C herrseht nicht die geringste
ünaidierHeit in der Verwendung seiner einselnen Teile (R^ula, Triglyph,
viae etc.), die in ihrer Aufeinanderfolge schon genau bo fest normiert erscheinen
wie etwa am olympischen Zeustempel. Wenn das nm (300 in\ dfinselbcn Ge-
bä'ule ni'v^lirh wnv, so verbietet sich damit von seilest, blols aus der gleichen
Grollt' der Achsweiteii am Arteiuisioii /,u folgern, dal'.s die l'rigl yplien dem
Architekten desselben unbekannt gewesen »eleu. Zulässig ist zunüchHt ducb
nur der Sdünfs, dab an den iltestm nmliedimi Tempeln Won dem Einflnlb
des Trigljphenfrieaes anf die Stdlnng der Sinlen nichta zu merk«i iai*, and
dab m6|^cherweiBe das Artemiaioii einen gibtten Frtea gehabt hat Aber ich
sehe nicht ein, dab damit für die allgemeine Entwickelung^echichte der
Tempel viel gewonnen ist. Wir lernen dadurch immer mir etwas von der
griechischen Baukunst auf Sizilien. Die sizilischen Architekten, die in Hinsicht
des ('eüntrrnndrisses gerade anfänglich ihre eigenen Wege gingen, können
ebensogut auch bei der Anordnung der Peristasis eigene Versuche gemacht
haben j die wesentliche Gestaltung des Trigljphons selbst war, wie Seiinuit C
beweiat, ichon im aiebenten Jahrhundert festgelegt. Wie weit aoI<^e Ver-
ancibe gingen, ist kaum in aagen. lat es doch, nicht mehr als eine M9|^ichiknit^
dab aber den gleidhweit stehenden Silulen der Pwistasia Trigljpheiifrieee nicht
gelegen hätten; für ebenso gut denkbar halte ich es, dafs man nur sich um
dieselben nicht zu kilmmem wagte. Angenommen aber, das Artemision habe
wirklich einen triglyphenlosen Fries geimbt, so ist dafür auch die Erklrirnng
denkbar, dafs es der Einflufs frühionischer Bauten war, der den bizilischen
Architekten zeigte, dafs man mit Hilfe des glatten, d. h. triglyphenlosen Frieses
jenem Konflikt mit den Ecksäulen am leichtesten entguig. Zeigt sich im Auf-
kommen der offenen Hinterhalle an jttngeren aiulisdien Tempeln, vom Ende
des sechsten JahrltundertB ab, eine atKrkwe Einwirknng eigenüich grieduscher
Tempelfbrm, so verbindet sich damit Torzüglich die Beobachtung Koldeveys,
dafs auch die Rücksicht der Achsweiten auf daa Triglyphon sich erst an den
jüngeren Tempeln in Selinus (ebenso T. in Segest«) bemo kbar machte.
In Griechenland selbst her.ougt der Tempel von Koritith, dafs die allmähliche
Abnahme der Achsweiten nach den Ecken, die man in Selinus erst am jüngsten
Tempel kennt, schon lange vorher, zur Zeit von Tempel C und D, in der
eigentlichen Heimat des dorischen Stiles bekannt war (Athra. Mti XI Taf. VII).
Denn dar korinthische Tempel steht an Altertümlichkeit weder dem Tempel 0
(SSnlenproportionen) noch dem athenischen Hekatompedos (Teilung der GeUa)
nach. Den xweiten festen Anhaltspunkt bietet das Heraion von Olympia. Die
Frontjoche der unter dem alten Holzgebalk nach und nach eingesetaten Stein-
süulen (3,63 m bis 3,50 m bis 3,32 m, 8. Olympia I S. 28 ff.) können bei den
ursprünglichen Holzsäulen nicht wesentlich andere Verhriltnisse gehabt haben.
Hierfür ist ein Triglyphenschema am Holzge])iilk die unbestreitbare Voraus-
setzung. Und ist es von vornherein einleuchtend, dais die Wechselbeziehung
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668
F. Homeki Zw BotidelceliiBg grieohiiclwr Banknnit.
uriwh«!! TriglyphenlNdk«!! und SaalmudiMii «ofkam, als d«r koutrikliTe Ge-
dioke noeh lebendig war nnd nuui die Lert der Decke Temiitteb des Deck-
balkens in erster Linie auf die Stellen übertrug, wo als anftbebender ^nlger
die Säule ihr entgegMdum, und erst awischen diesen wichtigsten Deckbalken
d»^Ti flbrigen, in gewissem Sinne also sekundären Balken Ober den Int-er-
külumnien auf dem Architrav eine symmetrische Verteilung gab, also beim
hölzernen Gebälk, — so wird d»ö jetat im üinblick aul" das Ueraion so gat
wie S5ur (iewÜBheit.
Die Entwiekelm^ die eiob an derartige alte Beaten anlmapft nnd flir die
wir in der Argidie dem Aneg^gspnnkfc glaaben enohen m sollen, iefc in Oriecben-
land selbst am gradlin^ton Terhnlen; au trenesien ist liier die Uiere Sf*
■dieinnng im Steine festgehalten worden, dabei auch genug Einzelheiten, für
die es keine konsfcrakkiTe Begründung mehr gab; die Verschiedenheit der Front-
joche gehört dazu; sie war am Steinbau nur eine Last, aber man hielt sie fest.
Mochte mau d:ui Innere der Uelia einteilen, wie man es für nötig hielt, mochte
man die Deckeukonstruktion geradezu sinnlos zerstören, an dem äufseren Bilde
hielt mau mit einer oft kleinlich wirkenden Pietät fest, die uns verständlicher
eneheint, wenn wir bedenken, dafo ee in der Heimai den tnlbm Tempeln
geschah.
Die Tradition, die die grieehiechen EoloBieten nui nach dem Westen
nahmen, war auch schon eine recht feste. Daa sagt ona daa Triglyphon des Selinunter
Tempels C deutlich genug. Aber, fem von dem älteren Vorbild, war sie doch
soweit gelockert, dafs man versuchen konnte, einzelne, nicht mehr motiviert©
Züge zu überwinden. Dazu rechne ich jene von Puchstein und Koldewey fest-
gestellten Einzelheiten.^) Lokule Unterschiede haben sich auch hier bald
geltend gemacht und vielleicht auch vereinzelt weiter gewirkt (Grondrils der
Oella). Aber eine wirklich neue Sehdpfung ist nieht daiana entatanden, an
dafe die Form, an der tnawieohm der dorische Ban in Griechenland adbafc sieh
abgeklärt hatte und in gewissem Sinne auch erstarrt war, vom Ende den
sechsten Jahrhunderts ab im Westen keinen Widerstand findet. Wir sehen es
an der Hinterhalle der Gellen und der Räulenstellung sogar an den Tempeln
des durch lokale arehitektonische Versuche ausgezeichneten Selinus. Eine der-
artige Auffassung der Kntwukeiung scheint einerseits durch den Charakter der
einzelnen Denkmäler und Denkmülergruppen geboten und giebt anderseits
eine befriedigende Möglichkeit, Fragen, wie sie so eigentttmUche Bauten wie
die SeUnnnter Tempel stellen, gerecht zu werden.
•} Vereinzelt kam daa mich m Oriechenlaiul und soiiBt vor, wpnn ?.. B. die Tropfen-
regula fortgelftMeu ist in Cadaccbio, Korinth, Asao», oder das Ucloerschatzhaus in Olympia
kfliae Tropfen nnter ngiila und via leigt.
I
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ÜB£K DAS VOJääPIEL AUF DEM TUEATEB ZU GOETHES F^UST.
Tob Thbodo« YooaL.
Der kMUdw SentenseiMdiatB des VoiipielB wird iKngvfc nadi Gebfllir voii
allen gewllirdigt, die ftr DmurtigeB flberhatipt Sinn und Yerettndms beben.
Ob andi dae Vonpiel als Ganses, im Zusammenhange nut der nachfolgenden
Faustdichtung wie anderseits mit Goethes Innenleben, ist eine andere Frage.
Der Nestor der Goetheausleger H. Düntzer vermifst in '^der jetzigen Gestalt
des Vorspiels' Einheit und neigt augenscheinlich zu der Annahme, in der rasch
hingeworfenen Ausarbeitung sei manche w^ünschenswerte 'Ausgleichung' nach-
träglich unterblieben. Die Mehrzahl der anderen Ausleger zieht es vor, beim
Einaelnoi lieberoU an verweilen^ anatatt Uber das Ganae aidi aoflaalaasen.
Bei dieaer Sachlage ist ea woU, anch vom wiaieoacbaillieben- Sfcandpnnkfee
ana^ der Milbe wnty dem ZwecAc und Knn dea Yorapiela nllcbtem nadhangeben.
Den Ausgang hat selbstverständlich die Frage nach der Entstehungszeit
zu bilden, da angesichts der hohen Bedeutung der im Dreigespräch erörterten
ästhetischen Fragen es von besonderem Werte ia^ zu wiaaen, wazm Goethe Aniafe
gefunden hat, sich so zu äufsern.
Die 'Zueignung au Faust' ist nach den Tagebüchern am 24. Juni 1797
gedichtet Nach eben diesen wurden die fertigen Prologe zum Faust am
9. Angnafc 1799 abgescbrieben. Die Entatebnng des Prologa im ffimmel weiat
Dfintaer dem Sommor 1797 m, nnaerea Wiaaena nur im AnarJihiaae an die
'Chronologie snr Bniatehung Goetiieacher Schriften' am Schlnaae der alteren
(Gesamtausgaben. Da eine Beschäftigung dea Diehtera mit den Eingangspartien
zu Faust für 1709 nicht bezeugt ist, erscheint darnach unzweifelhaft, dafs das
Vorspiel 1707 oH»»r 1708 die Gestalt erhalten hat, in der es uns vorliegt. Für
das crstere Jahr siiru ht einigermafsen der Umstand, dafs der Theaterdicht-er
sich mit Stanzen eiuluiiri, die metrisch und inhaltlich stark an die Zueignung
an Fanat gemahnen.
Steht dieee nngefahre Zeitbeatönmung fest, eo iat Idar, dafo der Diehter
dea Yorqpiela in der HaiqilMche nur Fboat I ala daa Ton jenem einaaleitende
Stück im Auge gehabt haben kann.
Y<mk aweiten Teile lag 1798 — abgesehen yon einzelnen Ansätsen zur
Helptif» — 30 gut wie nichts vor. Das am 23. Juni 1707 nach den Tagebüchern
eutstatuieno nnsfnhrlichere Schema zum Faust (identisch mit Paralip. 1 V) hat
ohne Zweifel schon einige Anbaltepunkte auch für Faust II geboten. Die Aus-
führung lag aber damals noch iu weiter Feme. Zunächst galt es, die grolae
IfawlibMahOT. IM. l; 45
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670
Tk. Vogel: über dmt Tonpid Bvf tlem The»ter lo OoeÜiee FmwL
Lücke zwischen dem ersten Monolog» und der ersten Begegirn ti Fansts mit
Mephisto auszufüllen, sodann die üietcliertra^adie, die im Hrii' li-t i' ke von
1790 mit der Domscene oudigte, zum Abschlufs xu bringen. Jsmh aUedem
ist das VorBpiel lediglidi «nftufaneii ■!■ littennBoher Eingang zu Faiut L
Will man in den Scbluftworten des Theaterdurekton 'Tom Himmel durch die
Welt nur Hdlle' mehr «dien ab ein&che Beseicfanimg der drei Beiehe, ao
würden sie ganz doch auch nur auf Faust I paaaeii, dessen Sdilnfa mit seinem
*Her zu mir!' den Weg zur Holle andeutet.
Ala GiR'the iro Sommer 1707, vornehmlich von Schiller dazu angeregt
(s. u. a. den Brief vom 'Jil Nov. 1794^, zu dem ersten Entschlüsse, das Paket
anfxnschnüren , das den Faust gefangen hielt, noch den weiteren f'afste, mit
diesem Tragelaphen sich i'urtan eingehend wieder zu beschäftigen, war er gegen
48 Jahre alt, innerlich nodi roa nnv(»wfiai]icher Lebenau nnd Sdiaffeoakral^
naeh laadttlnfiger Anlbaanng aber dodi bereitB ein alt«: Heir, wie die Inatige
Peraon im Yorapiel den Theaterdichter nennt
Jeder Gedanke daran, das Fragment Ton 1790 zu einem wirkungsvollen
Bühnenstficke auszugestalten, lag dem Dichter völlig fern. Mit der Möglich-
keit einer AufTührung beschäftigte sich dieser bekanntlich erst seit 1808, als
der 1. Teil fertig vorlag, imd auch in dieser späteren Zeit mehr widerstrebend,
auf anderer Zureden hin als angelegentlich. Das 1797 Vorliegende war doch
eben nur der Torso eines Dramas, nicht einmal annähernd bis zur Katastrophe
geführt, voraehmlich aber mit einer schwer auaroftUlenden, Uaflimden Lfl^e
im Eingänge. Wenn Ckietfae es ftber sich gewann au Yenracheni ob es ihm
gelingen werd% die schwankenden Gestalten Miner jngendlichen Entwürfe fest-
zuhalten, wenn er weiterhin, ennntigt durch das Gelingen dea Versnehee^ 1797
und 1 798 nicht nur Wesentliches zu dem Vorhandenen hinzudichtete, sondern
den tiefsinnigen Plan der Erweiterung des Fra),rments zu einer Faustdiehtung
gröfsten Stils entwarf, so war es ihm dabei nicht im entlerntesten um den
Beifall einer 'unbekannten Menge* zu thun; wie die Zueignung und die erste
Bede dea Diehtero im Vorspiel beaei^, hatte der Gedante an jene fDr ihn
sogar etwas Abschreiendes. Er bttfriedigte ledii^eh sein hfinstlerischea Be-
dttrfiiifi^ indem er sich daran machte^ das im kecken Jngendmnt fragmentarisdi
ffingeworlene zu erganzen und zu etwas Einheit! i die m auszugestalten. Etwas
anderes hatte such Schiller nicht beabsichtigt durch seine wiederholte mahnende
Erinnerung an den Torso des Herkules.
Daraus erhellt, dafs bei dem (iLspriiche dos Schanapieidirektors mit seinen
beiden Uehilfen nicht emstlich an die Wirkung zu denken ist, die Faust als
Bühnenstück etwa ausüben konnte oder sollte. Kalidasas Sakuntula, die Got-the
1791 in Försters Übersetasung kennen gekmt hatte, beginnt mit tinet Wechsel«
rede awischen dem Theaterdirektor nnd einer Sehaospieierin, ein Vorspiel dea
BfaaTabhnti mit einer ahnlichen, in der ganz direkt tob den Eägenschaflen
eines Dramas gehandelt wird. Ahnliche Auseinandersetzungen zwischen Dichter
und Pubhkum vor Beginn der eigenthchen Handlung kennt auch daa apaniaehe
und itaUenische Theater. Um eine solche war es angensebeinlich auch unserem
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Tli. Vogd: Über du Yonpi«! waf Atm TliMiar ra Ooethw Fatict
671
Difhter zu thuii. In welchem Sinne aber, da alles auf die Bühnenwirkung
Bezügliche, weil für den vorliegenden Fall belanglos, nur in der einmal ge-
wihltflii dicliterigchen Einkleidung seine Erklärung finden kann? Worfiber
konnte Goeflie das Bedfirfion f&hlen, praelndendo ndi mit einrai LeBepoblikuin
m TentSndigen?
Fafst man die Sache plump-iLuberlicb auf, so kSimto es scheinen, als be-
kennte sich Goethe im Vorspiel zu einem notgedrungenen Abfalle von seiner
eigensten Art, soinen Gnindaaty.fn unter <lem Drucke seiner nächsten Unigeljuup
und des üblen Zeit^schmackes. Dafs der aiifanjra so widerstrebende Theater-
dichter schliefeilicb ganz verstnmint. anscheinend in Unvermeidliches nich er-
gebend, findet Diiutzer daher geradezu unstöfsig, indem er hierin eine Schwäche
der AoefCOinug eiehi
Des Lrrige seiner Anf&SBiing liegt wohl darin, daüi er in dem Tbeater-
dichter ebne miteree eine Selbstdantellnng Goethes, in den beiden andefen
aber nur VeiflUirer zun Si^echten sieht. So liegt die Sache aber doch niehi
Selbst der überwiegend banausinche Direktor spricht neben Unachonem auch
einzelnes Beber7igpnswerte ans, die lustige Person aber eine ganze Reihe hoch-
beachtlicher, ebenso frischer als wahrer Sätze, indem sie dem weltschouen, am
liebsten in seiner stillen Himmelsenge weilenden Dichter widerspricht. Es
wiederholt sich augenscheinlich auch hier, was von den meisten gröfseren
Diditnngen, nunal den Goetheachen, gilt. Keine der gezeiohneten Geatalten
spiegelt nUein des Dichtwa Art nnd DenkweiBe wieder. WeielingMi ist ein
Stflek Goethe so gut wie Gftta, Antcmio wie Tima, Hephistopheles wie Faost;
kein Wunder bei einem Dickter, der swei Seelen verschiedenster Artung in
seiner Brust wohnen fühlte. Sehen wir uns daraufhin einmal das Vorspiel an.
Indem sich Goethe vorsetzte, die aus einer längst ver«c]iwundenen , in
Freude und Schmerz tiel bewegten Jugendzeit stammenden, vergübtea Faust-
entwürfe nach einem neuen, gegen früher wesentlich erweiterten und verinner-
liehten Plane auszudichten, muTsie er seiner innersten Natur Gewdt anthnn.
Jede Seeae dea üzftnat war ein Niedenchlag ron Sdhatdorddeblem geweaen,
dasa dem Diditer geweiht dnrbh erate Lieb' nnd Frenndschaft, deren liebe
Schatten mit ihr in seiner Erinnmmng heraoAtiegen. Das Weiterspinnen der
danuüe Abgerissenen F&den bei völlig veränderter LebensUge nnd Lebens^
auffaasiing mufste ihm. wie er damals noch war, flauer ankommen, noch mehr
das Hineinarbeiten eines neuen, schweren Gedankeninhalts in die so anspruchs-
los-schlichte, wenn auch ürtJlstes und llticlistes allerort-en streifende Jugend-
dichtung. Zwei hin drei Jahrzehnte später hätte Goethe eine solche Zumutung
als drttckend nieht mehr ^rapfnndMi} hatte er docAi in der ZwisdMnsett gelernt^
die Poesie an kommandieren, soweit es aar gewissenhaften DnrdifQhmng einmal
ge&bter poetischer Yorsfttie nOtig war. In dem Jahre aber, in Aem die Braut
von Korinth, der Gott nnd die Bajadere^ die Metamorphose der Pflanzen u. a. ent-
stand und Ib'iiaaiin und Dorothea zum Abschlufs gelangte, mufste das pflicht-
getreue Weiterarbeiten an einem Werke, das aus der augenldicklichen Stimmung
nicht mehr ungezwungen herauswuchs, ihm als eine pemliche Leistung er-
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Tk Togal: Über dM VonpA mS dem ThMter ta Ooetim Twutt
icheinen. Darnach geben die kSstüchen Worte, die CK)ethe dem Theaterdiekier
in den Hund gelegt hat^ maweifelliaft eig<. n8te Empfindungen wieder. -
Aber der Toreo sollte «r^sat, ein gewieecnr Abeehlnfo wenigsfeeiui der
Gretchentntgödie beldtiiimliclist erreicht werden. Da blieb wohl nichts Qbr^
als deinen Tag verpassen, das Mögliche beherzt sogleich beim Schöpfe fassen*.
Kein TLcaterdiruktor, kein Verleger, kein Massen verlangen des Publikums
drängte dazu, Hoiidern lediglich des Dichters eigener Vorsatz.') Das hinderte
aber nicht, dafs dieses Vorsatzes AusfUhnmg ihm innerlich Opfer auferlegte,
die zu bringen ihm schwer fieL
Gesellte sieh doch so der imwillkomxnenen Nötigung, viei&eh nur *Ge>
dachtes* dichterisch danostellen, infolge des neugeschaffenen ArbeitsplaneB noch
die weitere, auf EinheiHichkeit des Tonei^ der Kunstart wie der Handlang bis
zu einem hohen Grade zu Yersichten. Aus dem in Hans Sadulscher Schlicht-
heit einheitlich gedichteten Urfoost war eine 'Symbol-, Ideen- und Nebelwelt*
geworden (an Sohilirr, den 24. Juni 1797), für deren hochaufquellende Masse
selbst Schülers kühne .Schöpferkraft keinen poetischen iieif wufste, sie zusammen-
zuhalt*}n (an tioethe, den 26. Junij. Eine Wette im Himmel um Fausta
Seeleuheil, so zu sagen, war in Aussicht genommen, der eine zweite, irdische
folgra sollte. Zun Austrag beider w»r njHdg, d<»i Helden dnrdi fladie Un*
bedentendheit wie durch daa wilde Leben an schleppen, alle Tribake dsa Lebena-
gennsBes, des gewöhnlichen wie des hdhereOy ihm ansnbielen auf den Yersudi
hin, »ob einer. dauernd erquicken werde Alles das war undarstellbar, sollt^'u
die drei Einheiten, sollte auch nur die Gleichartigkeit des Tones einigermafsen
gewahrt bleiben. Es half nichts, ein kuViner Kift mufste gewagt werden in
das romantische Land, es luafste von den genialen Zumutungen an die PhanUitie
und den Geschmack Gebrauch gemacht werden, an welche eben um diese
Zeit die Bahnbrecher der Romantik das deutsche Lesepublikum zu gewohnen
angefangen hatten.
Die gewihlte dramatische BinUeidung bringt es mit «ich, dafs der Direktor
wie die Instige Person das Abgehen von der Norm des strengen KTaswiaismus
mit dem BSnwnse auf die Bedfirfiiisse und Neigungen des Theateraudi toriums
begründen. Das ist aber eben nur Einkleidung. Das Wesentliche ist ihre
Mahnung zum kecken Mut, zum frischen Hineingreifen ins yoWp Menschen-
leben, zum Fernhalten aller engen ästhetischen Bedeuklichkei t^^'u gegen bunte
Bilder mit vielen Farben und ein Fünkchen Wahrheit*, gegen die Beimischung
TOD etwas Narrheit in das ernste Werk.
Zu allem diesem hatte sieh Goe&^ sicher nicht ohne inneres Widerstrebeo,
entschlossen; die« offen ansndenten, ist unserer Anrieht nach der eigenäidie
Zweck des Vorspiels. Der Dichter beharrt, das sagt es ons dentlichy in seinem
Innersten bei seinen im Verkehre mit Schilh r des weiteren befestigten strengen
Anforderungen an ein Kunstwerk höhejK)n Stils. £r erkennt aber die Not-
Vor^ipifl: Trul wirlcit weiter, weil er imirs ' Hierher gehOft SUCh: 'Nscb einett
selbstgesteckten ^iel mit holdem Irren hin zu schweifeo.*
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Th. Yogel: Ob«r dM Yonpid wat Aem ThMtar lo GoethM Fttosk. 678
wendigkeit au, bei einer eiuzigarÜgeu Diciituug luit bedeutenilem, gymbolisch-
philoiopliiieh«in ffintergnmde neh in Mm», srine G«iliiliiuigslcntft nidtt bt-
Wie tiif BoMm sehoo im Jahn 1707 tos dsa GedBiik«n d«r jungen
Romantik bei aller seiner um dieselbe Zeit glänzend nrwieseneti Begeisterung
fQr das Ideal der Klassizität ergriffen war, beweist die Thataache, dafs er sein
Oberwiegend nur Tagesintereasen streifendes lntenn("/,7.c) Oberons und Titanias
goldne Hochzeit noch vor Ende des Jahres (an Sehiller, den 20. De?;.) seinem
Faust als entremese einzufügen entschlossen war. Die 1788/9 entstandenen
Faustszenen — Hexenküche, Wald und Höhle — hatten im wesentlichen doch
noch den Geist dee Uiftnele jge»fnMt, wenn nndi mit betnditlulian AbwiBd-
Inngen des Geistes wie T<mes. Hit der Einlegnng jenes die Hsndlimg dee
Fmui gar nicht bertthrenden Ini^memo hat der Dichter aber einen Weg be-
treten, der später auch für diß Ausführung von Faust U, nicht zu deren Vor-
teil, verliilngnisvoll werden sollte. In ungleich geringerem Grade gilt das von
der 1800 1 entstandenen Walpurgisnuobt, obscbon auch sie bei wesentlichem
ZuHummenhiing mit der Haupthandlung einzelne Satjrhiebe an Zeitgenossen
stilwidrig mit austeilt.
Da wir es nnr mit dem Vorqiiel an thnn haben, genüge die Featatallnng,
dab der Fanstdiehter Ton 1797/98 den nnerbittlich jede Abweiehnng Ton den
Forderungen strenger KUssizit&t abweisenden Standpunkt des Theaterdichters
keineswegs teilte, wenigätens nur insoweit, dafs daneben anch itt dem TOn der
lustigen Person, dem Mephisto des Vorspiels, Ausgesprochenen die innere
Stellung Goethes d^r Faustiufgabe gegenüber zum Ausdrucke kommt. Das
schliefsliche Verstummen des Theaterdichters ist daher nicht auffällig, sondern
nur der wahren Sachlage entsprechend In der Faustdichtung, und üwar bereits
in deren erstem Teile, soUte der ganze Kreis der Schöpfung vom Himmel durch
die Welt zur Hölle anageeehfitten werden, wobei Prospekte nicht und nicht
Ifosdiinen geschont weiden konnten, wie der Dirdctor von seinem engen Stand-
punkte aus es gewflnsdit hatte. NiramOTneihr konnte dies geleistet werden
TOn einem Poeten, dem es nur um den Einklang, der aus dem Busen dringt^
und die gteichmäfsige rhythmische Bewegung der immer stetig dahinfliefsenden
Gedankenreihe zu thun war. Will raaTt somit durchaus feststellen, auf vn Irher
Seite der Dichter des Vorspiels vornehmlich stand, so wird man (abgeseiien
von der Form der Einkleidung im einzelnen) mehr auf die lustige Person als
auf den Theaterdichter zukommen müssen. Jene spricht es, worauf besonders
Gewicht zu legen ist, Uar ans, was ein alternder Dichter nodi leisten kSnn^
dafem er nnr wolle, and dieee ihre Ansftthrung bleibt nnwideraprodien. Auch
in dem vorher von ihr Gesagten wird jeder Kenner Goetheechen Grund-
anschauungen auf Schritt und Tritt begegnen.
Haben wir im Vorspiel ein gewisses Einlenken aus den strengeren Bahnen
des Klassizismus in die freieren der jungen Romantiker festgestellt, so kon-
struieren wir damit " keineswegs den Anfang eines ästhetisehcn Gegensatzes
zwischen Goethe und Schiller. Der letztere hatte klar erkannt, dafs es eines
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674 Th. Vogel: über das Vorspiel auf dem Theater zu Goethes Faust.
ganz absonderlichen pootiachen Reifens bedürfe, um die Ideen- und Gestalten-
masse der geplanten Faustdicbtung zusammenzuhalten, der erstere aber hat sich
auch nachträglich noch genugsam in den Formen klassischer Kunst bewegt.
Erst von 1803 ab fangen die Romantiker, die 1798 — 1800 im Athenäum eine
neue Programmrichtung entwickelt hatten, ernstlich an, gegen die gefeierten
Meister der neuesten deutschen Dichtung kritisch zu werden. Um 1798 herum
hatten diese Neuerer noch genugsam damit zu thun, für sich selbst erst
Duldung zu erlangen und eine Stellung sich zu erobern. Bemerkt sei nur,
dafs L. Tieck in seinem Ritter Blaubart (1796) und Gestiefelten Kater (1797)
ganz abgesehen von Jean Pauls in jene Zeit fallenden Romanen ein beacht-
liches Vorbild für eine genial -rücksichtslose, bis zur Zerstörung aller Ein-
heit und Illusion sich versteigende schriftstellerische Willkür gegeben hatte.
Goethes Genius hat sich zum völligen Herausfallen aus der Handlung ja leider
auch in einzelnen Einlagen zum Faust verleiten lassen. Die beiden meister-
haft geschriebenen Prologe stehen ja jedenfalls mit der nachfolgenden Dichtung
im innerlichsten Zusammenhang, der eine die gewählte Form rechtfertigend,
der andere den Grundgedanken der Fausttragödie enthüllend. Beachtlich bleibt
aber immerhin, dafs bereits im Balladenjahre eine Einlage in den Faust (der
Walpurgistraiun) entstand, nur *fi}r den Augenblick geboren', geeignet 'die
Menschen zu zerstreuen, zu verwirren', als sei es dem Dichter zu thun ge-
wesen um die Erfüllung des vom Theaterdirektor geäufserten Wunsches, vieles
zu bringen und ungcscheut ein Stück gleich in Stücken zu geben. Die dritte
Schweizerreise (1797) leitet bekanntlich eine neue Epoche in Goethes innerer
Entwickelung ein. Der Dichter wird 'feierlich', wie K. August am 23. Sept.
dieses Jahres an Knebel schreibt, er fühlt den Drang, seine Weltkenntnis nach
allen Seiten zu erweitem, seine Gedanken um neue, grofse Gesichtspunkte auf
Grund eines wohl gesichteten Erfahrungsmaterials zu gruppieren, kurz — sich
für das Alter einzurichten. Er fängt an, in die Breite zu gehen. Das ist bei
Beurteilung jener Einlage zu berücksichtigen.
Zum Schlüsse sei noch einer kleinlichen Einwendung gegen das Vorspiel
begegnet, die u. a. Düntzer erhebt. Man hat es anstöfsig gefunden, dafs der
Direktor für eine Theatervorstellung, zu der die Hörerschaft bereits versammelt
ist, ein oben erst zu. schaffendes Stück von absonderlicher Zugkraft verlangt.
Kann das stören bei einem ganz in der Luft schwebenden humoristisch -phan-
tastischen Gewebe? Angedeutet sollte werden, warum der Dichter seiner Faust-
dichtung die Gestalt gegeben, in der sie vorliegt, in der Form eines Vor-
spiels zu einer gedachten Aufführung derselben. Das war nicht möglich, ohne
dafs die Zauberin Phantasie das in der Wirklichkeit auseinander Liegende zu-
sammenrückte, die Zwischenzeit übersprang, die zwischen der Feststellung des
Arbeitsplanes und dessen vollendeter Durchfuhrung liegen mufste. Man mühe
sich daher nicht, über das 'heute, an diesem Tage' durch Deuteleien sich
hinwegzuhelfen, indem man ein humoristisches Phantasiegebilde unter die Lupe
der gemeinen Wirklichkeit nimmt.
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£MANU£L QKIBEL ALS POUTISCHEE DICKTEIL
Ton Paul Lobbhtx.
Die Zeit des Bingens tun die nationale Einheit DeatsdilHnds swischen
1840 und 1871 findet bei einem nneerer reiehaten neaeren Ljriker, Emannel
Geibel, eine geradezu tj])i><che Wiederspiegelung. Wae dieie politiaelien
Dichtungen Geibels, der ein Herold des nationalen Gcdankena gewesen ist, um
80 wertvoller macht, ist der ümstimd. dafs in ihnen alle die von dem Dichter
selbst durchlebten Wandehingen der Idee der nationalen .Kiiii^iin|r zum Aus-
dnick gelangen, von dem verschwommenen romantisoh -mittelalterlichen Ideal
bis KU der klaren Erkenntnis, dafs der von dem genialen Schöpfer des Reichs
eingeeddagene Weg, weil der einzig mögliche, so auch der allein richtige sei.
Zadttn reflektiert die Geibeleche Dichtung nicht nur die politische, sondern
' flberhanpt die Enltnreiitwickeluttg Dentichfamds in dem genannten Zdtmom
nnd snm Teil darüber hinaus.^)
Es entspricht den romantischen Anfangen, aus denen Geibcls Dichtung
li'-rvorgevrachsen ist, wenn er in der ersten GedichtsnTninlung vom Jahre lR40die
bchuHutht nach der Auferweckung der versunkenen iicrrlichkeit des deutschen
lleiches an die Sage von der Verzauberung Kaiser Friedrichs des Hotbarts
anknüpft:
Tief in Schofise d«s Kynamm^
Bei der Ampel rotem Schein,
Sitit der alte Kaiser Friedrii li
An dem lisch von Marmorstein. (I 91.)*)
Ganz im Stile der Romantik ist es, wenn in diesem Gedicht unter den Hittem
in der Umgebung dea Kaisers ."^icli 'Heinrich auch der Ofterdinger' lietindot,
'mit den liederreichen Lippen, mit dem hl(»ndgelockten Haar'. Stumm zwar
ruht dem Sänger die Harfe im Arm, aber 'auf seiner hohen Stime schläft ein
kOnftiger Gesang*. Eigentlidi politische LiedM: bringen erst die 'Zeitstimmen*
vom Jahre 1841. Anch hier frird annichst wieder an jene TOn Bfickert anerst
auf Barbarossa besogene Sage Ton der Versaubernng des Kaisers im EyffhSiuer
') Die einzige Sdmlausgnbc Gcibciscber Godicbto, die von Nietzku (Stuttgart 1890,
Cotta), bietet vi« fBr de« Diebten Lebeo, Mia yerhilhii« su Natur, Gott und Lieb«, com
Altertum, zu ethischen und äBthetischen Frapen, so auch für «eine nationale Poesie eine
gute Answnhl, die man nur dnrob einige für die Zeit von — 1B60 besonders chaiak-
teristiBcbe Gedichte vermehrt »oben mOchte.
*) Citiert wird naeh d«r Awfabe der OeewnneUea Werke in a Bdn. (Stattgart I89S)
und den Gediehten ans dem KachlaTe (ebd. l&M).
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676 , P- LorentR: Emaatiel CMbel politiidier Diehter.
angeknüpft in 'Barbarossas Erwachen' (I 204 ff.\ In dramatischer Lebendig-
keit crhnlten wir eine Schilderung davon, wie der Dichter selbst hinabgestiegen
ist, um dem schlafenden Kaiser Kunde zu bringen von der traurigen Gegen-
wart mi deutschen Vaterlaude. Wenn wir da hören, wie überall 'in siiudlicher
WiUbiiB Nadit und EUtriieit, Lüg' und Waltrhsil^ Beehi und IVenl vummmaa-
gemiadtt' find, so steigt jene Zeit trflbster Cttning vor «Bsern Augen «n^ wie
rie den SO er und 40er Jahren nnaeres Jalirinmderte tbr G^oftge gab. Die
Vertreter der Reaktion sind es einerseits, nuf die die Worte gehen: *Sie sfcfitMil
und halten, halten das Qute, halten das Schlimme, sie hören nicht die Gottes-
stimmc, die nachtlich durch das Land sich schwingt.' Aber anderseits wird
auch jenes junge Deutschland getroffen, da» ^alles Bestehcndt^, wo es mit den
neuen Ideen der Zeit in Widerspruch zu stehen schien, auf das heftigste an-
griff; das im VerhSltnia des Staates nun Volke die Demokratie, im Verhältois
des Mannes mm Weibe die frsie loebe, im Yerbiltnis der Nationen unter-
einander die allgemeine Brfflderiidikeit nnd im YeriiilfaiiB der Beligionen eine
Duldsamkeit predigte, die im Grunde GleichgOltigkett war'.*) Dies junge
Deutschland ist gemeint, wenn Barbarossa von den kecken Zungen hören
mufs, die arhelten und meistern: 'Nichts ist ihnen recht, alles soll ander?
werden im Himmel vv.i^ auf Erden, und wer nicht mit «pbreit, heifst ein Knecht;
sie möchten das Hociiate zu unterst kehren, um -ilii.-t zu herrschen nach
eignem Begehren. Nach Freiheit rufen «ie männiglich und sind der eignen
Lfiste Knechte, sie reden Tom ewigen Hraschenreekte nnd meinen doch ntor
ihr Ueines Ich.' Die ZSeit^ mit dem Schwerte eine LSsnng dieser Wirren her-
beiiofllbren, sieht Barbarossa, ist noch nicht gekommen, aber dem tiiatsn-
dnrst^en Jünglinge, den die Last sehier niederpressen will, giebt er die
Weisung, seine Sorge auf den zu werfen, der droben auf ewigem Stuhl ist ge-
sessen, selbst aber zu pflegen *der Gabe, die er gniidig dir l)eschicd, in That
und Lied'. Wie treu der Dichter dieser Mahnung gefolgt ist, zeigt er alsbald
in einem Liede, als er auf seiner Wanderschaft durch deutsche Gauen zum
alten ^Yater Rhein' gelaugt ist (I 207 fif.). Da, wie er zum erstenmale an
seinen burggekronten nnd rebennrnkrimaten Hl^ehi Twübeifahrt, ergeht aeine
Anfforderang, snsammensahalten *ao weit das dentseke Wort erUingl^ so weit
man trinkt des deutschen Weins', Doch nicht wie ein bnntgeflidcter Bettler-
mantel soll das Reich zusammenhalten, nein, *einem Bsmier sei es gleich, in
30 Farben froh gestickt'. Fürsten und Adel, Bürger und Bauer sollen das
Tüchtigste ihres Wesens hervorkehren, and die deutschen Dichter sollen zeigen,
dafs die echte deutsche Poesie noch lange nicht tot sei, wie viele glauben,
sollen es zeigen dadurch, dafä sie der neuen Zeit vorauschreiten ^wie vor dem
blntenToUen Iiens als Herold sieht die KaebügaU'. Und Geibel hatte andi
bald Gelegenheit, seine ideale Ansdtaaung von der Anfgabe des SSngers in
jenen wildbewegten Zeiten persSnlidh an terteidigen. Ab er tou Herweg
wegen des TOn Friedrieh Wilhelm IV. ihm aoagesetiten Ueinen Jahrgebaltes
>) FienoB, Fnobiiohe GeMhichte ü SOS.
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P. Lofenti; Knutmel G«ibel sb poUtiidimr Dichter.
677
in grSblielier Weise ab Ffinleiikiieclit gebrandmarkt wurde, weist er bei allior
Anerkfiimung der echt diehteriselien Ader, die in Herweghs *G«liehieii eine«
Lebendigen' pnbiert^ mit einer flür den 27jShrigen Jüngling hSdiBt ehren-
werten, rnftfirrollen Besonnenhdt, aber deutlichster Entschiedenheit die revo-
lutionäre Tendenz des VerfasserB zniüdc: *An Ö. Herwegh. Februar 1842* (I 218).
Auch Oeihol ist der Einflufs des nissischon Znren mif die dtnitschc Politik
innigst verhafst, *des Raschkiron, dos Untfi-jochcrs der Godiinkon', Auch er
will, dafs das freie Wort durch alle Lüfte möge fluten. Aber nicht durch
Ströme von Bürgerblut will er daa erreichen. Als ein lütter des Geistes, der
mit Lnther einst gefochten, des Geistes, *der stärker ist als aUe Klingen', will
er die neae Zeit heronlRttiien helfen, *nicht ohne Kamp^ doch ohne Schlaeht*.
In dem bloften Niederreifken kann er nur eine Thai der Verblendung sehen.
Wie er in Men Aofgeregten' (I 153) vor Kriegen im Innern warnt, damit
nicht, wenn die Besten anf der Walstatt geblieben, der Slawe zuletzt das
Reich erwirbt, mit seinen Prophetenworten aber gleich Kai^^andra k»'fnen
Glanben findet, so schwimmt er auch weiter unermüdlich 'gegen den »"^troiu*
fl 153): dem grimmen Wüten gegen die Despoten setzt er seine ganze Ver-
achtung der Herrschaft des Pöbel« eutgegeu, 'der sich den roten, zerfetzten
Konigsmantel omgesdilagen', nnd erinnert an Arislides und Dante, die auch
einst der Wnt des PSbels weichen mnftten, *weil es Sünde ward, ans dem
Sehwarm sn ragen*. Und gegw die Zerstomr anf dem Gebiet des Geistes
wendet der Dichter sich anah. Wir werden etwa an den Geist erinnert, der
seit 1838 in den *Hallischen Jahrbüchern' wehte, oder an die Wirkungen, die
das 1^35 erH(liienen(< Leben Jesn von StrauDa hervorrief, wenn Geibel *den
Verneinenden' (I 1 '5) zuruft:
Zu eurer Höhe kann ich mich nicht schrauben,
Wo statt der Sonne frost'ge Sterne scheinen;
Idi kann ludit hassen blob nnd blob verneinen;
Dies Hen bedsif's zu lieben nnd in glanben.
Das Treiben der 'modernen Heiden* dfinki dem Dichter insofern gar nicht
einmal von wirklich heidnischem Geiste gefcn^n, als die echten Heiden doch
den Gott im Sturm der Meere, im Donner und im Sonnenwagen sahen, die
mod erneu aber *frech mit erznem Speere in TrOmmer jedes Götterbild zer-
schlagen':
So bleibt encfa niehts demi als die gro^ Leere.
Dem Behnen asines Volkes nach einem kraftvollen Einiger giobt Geibel
poetisehen Anadmck in seinem ^Gesicht im Walde*. In emer orgreiflBinden
Vision führt er uns in eine von Domen und Buschwerk dicht mnnmkte
Schmiede, wo drei gewaltige Riesen an dem Konigsschwerte schmieden mit
dem kreuzgestalteten Griff und der feuersprühendcn Klinge. Der lang^ehnte
Held werde trotz allem Blendwerk des Feindes, der mit dem eisernen Kolofa
auf tönernen Füfsen verglichen wird — einem damals für Hufsland viel ge-
brauchten Bilde — , sein Banner siegreich ein?t entrollen. Und als CJeihel im
Jahre 1843 wieder am Rheine weilt, zusammeu mit Jrruiiigrath in 5t. Goar uin
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P. Lorants: Enuura«! 6eib«l ala politaiehMr IKditer.
«nTer^eichlicheB Poeienleben fOlireBd, da bringt er in seinem 'Lied un Bhein*
(H 80) auf dem Dnchenfela dem deataclien Volke und dem deutwhen Geiaiie
sein volles Glas dar. Denn Freude bewegt sein Hers darüber, dafs die Spmen
deutschen Nationalgef&hla doch endlich deutlicher hervortreten — 1840 hatte
Beckers Ehoiiilifl unerwartete Wirkung in Frankreich geübt, 1842 war bei
dem gror^cu Brande Hamburgs in der That im ganzen deutschen Vaterlande
die werkthatigate Bruderliebe entzündet worden:
Was kümmert's mirli, auf Stein und H0I2
Wie deiner Wappen Farben streitenl
Ich meine dich, das Jttngst noch stob
In l^uoburgs Brand xmammensdunoU
KorittÜiiseh En für alle Zeiten.
Und dann lansdit der Didiler dem *Liede des Alten im Bart' (II 13),
der TOn dem mäditigen Bransen «ingt, Tom Zieim der Wolken und der Adler
Rauschen, von Deutsdiland, der schdn geschmflckten Brant, die gleich Dom-
röschen in Schlaf versunken ist, bis der Held sie erl?>seTi kommt: 'Wann
wockat du sie mit Drnmmetenla'wt, wann fiihrst du sie heim, mein Kaiser?*
Als es aber noch immer nicht Zeit ist, auf diese Frage zu antworten, ala der
politische Horizont nur immer trüber und trüber wird, da stimmt auch Geibel
dmo Reihe von zornigen und strafenden ^Deutschen Klagen' (I S31 — S36)
1844^) an. Wie in den Tagen Napoleons I. Bttckert in geliaRiiaeliten Sonetten
gddagt, geetrafb nnd ermutigt hatte, so drfickt in derselben Diebtongsform
jetzt Geibel aus, was ihn bewegt im Jammer der 40er Jahro. Zum Heere
flüchtet der Dichter, um in dessen tosender Brandung seinen Schmerz aos-
zutoben. Bei dem Ernst der Zeit dünkt dem ehrlicli um die Zukunft feines
Vaterlandes Bekümmerten alles, was sonst der Jugend berechtigte Freude
macht, Lenz nnd liiebesleben , verbotener Genufs: 'Ist jede Lust doch eine
halbe Lüge, wenn Wetter so wie jetzt am Himmel schweben.* Wie schlimm
mnfs es nm eine Zeit steheiii ireim Hlnnorthribien so bereditigt sind, wie viel-
leidit noch niet Durfte ein Achill schon weinen am Meeresstraode, wo ee
seine Liehe nnd Ehre galt^ nm wie vid herechtigter ein Dentsdier jener Tage!
Mufste er doch gerade '1^ so besonders schmenlich empfinden, dafs ihm zum
Handeln die Hände gebunden waren und dafs, wo er sich Thaten Luft machen
sah, er mit deren demokratischen Zielen nicht einverstanden sein konnte, wollte
er nicht die Zukunft des Vaterlandes aufs Spiel setzten. Damm fleht der
Dichter im 5. jener Sonette um Kraft und Be8onnenh( it. Mafs er die Lebens-
sonne, die heiige Freiheit, nie mit jenem Weibe im blutgen aufgesdiflnten
Kleid Terdamme*. Zn quälendem Schweigen sidit sich da der Sdle Terdamm^
damit, wenn er von fVeiheit sing^ seine Worte nidit ttbler Dentnng ani^eselrt
seien: 'Und hat ein Wort schon mandim Mann erschlagen, der hoch war >vie
die Geder fiherm Staube.* Es t5nt aus solchen Klagen Temdmilich die Stim-
') Es ist das Jahr de« ersten Attentates aui' Friedrich Wühehn IV. und da* Jahr de«
An&taiid«! d«r flchleiifehan Weber.
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P. LoMnte: Emanual Geib«! ali politiieher Dichter.
679
mung wieder, wie sie die von wahrhaft iVeimütigem Geiste getragene Broschüre
des Präsidenten v. Schon *Woher und Wohin' erzeugte, die die Erteilung einer
koDStitatioiielkii Yer&sBung 1841 fttr Preufsen bIb politisehe Notwendigkeit
hingMteUt liatte. Aber es weht uns ans jenen Soneltnn auch, aehon die bSee
Ahnung sdcher ttneeligen Folgen en^egm, wie lie die *Ym Fragen' jenes
andern ostpretllbischen Liberalen, Johann Jaeoby, sehr bald hervorrufen sollten.
Und als immer von neuem die Hoffniinii fiiif eine freiere Verfassung im zweit-
prnrsten deutschen Bimdesstaatt- (^otäuscht wurde, rla rinp;t n\c]> nus der Brust
<les Dichters, der hier wie nur je der Mund der Edelsten seiner Nation war,
jenes herzerschütternde Gebet hervor, das der Säugling, der zu stammeln kaum
begonnen, das der Greis noch beten solle an des Grabes Pforte:
0 Schicksal, gieb uns tinen, einen Mann!
Was frommt uns aller Witz der Zeitungskenner,
Was aller Dichter wohlgereimt Geplänkel
Vom Sand der Nordsee bis zum wald'gen Brenner!
£in Mann ist not, ein Nibelungenenkel, »
Dafo er die Zmt, den toUgeword'nen Renner,
Mt eh'mer Faust beberrsch' und eb'mem ScbenkeL
Und es sehien im Ji^hre 1846, als habe des Schicfcaal dnreh die Aufrollung
der Sehleswig-Holeteinisdien Frage dem dentschen Totke eine Gdegenheit be-
sohieden, dnreh gemeinsames Einstdien für geOhrdete Glieder des Reichs-
fcSrpers auch zur Klärung der inneren Wirren Raum zu finden. Dieser Hoff-
nung gab sich mit freudiger Zuversicht auch Geibel Inn in den '12 Sonettrn
für Schleswig- Holstein' (T SHT— 244\ Vorher schon iiatte er foin Prott stIi.>d
(II 84) jijedichtet: ^Es hat der Fürst vom Inselreich uns einen Brief i;e-^emlit',
das vüu dem trotzigen, von Nationalj^pfühl geschwellten Refrain getragen wird:
*Wir wollen keine Dänen sein, wir wollen Deutsche bleiben.' Jetzt, in den
Sonetten, gknbt er den Geist der Sintraeht in dem bishu' lerriseenen Dentsefa-
hnd m spOren, jelvt, wo es gilt, das Sehwert nm die Lenden gegürtet, die
Ehre an retten, die diese fremden Zwei^ anantasten sich getraut. Wie die
Troer vor dem Ruf de« Achill, noch eh' er sieli «^orüstet, flohen, so, meint der
Dichter, müfsten vor des deutschen Zornes Loben die Eindringlinge entweichen.
Und frendig hört er den Kampfesnif wiederhallen *vom Gau her, wo der Eider
Fluten münden', bis ztira Harz und Fichtclberfje, ja bis zu den Alpen, die ilin
weiter zu Rheni und Dunau foiipflanzen. Die Gefahr, in der die Nurdinurk
dea Rdehes steht, ruft die schmerzliche Erinnerung waeh an die dnreh der
T&ter Schuld verlorene Westmark, das ElsaTs. Darum legt er dem Glocken-
Idange dee Stoafobnrger Mflnaters die Frage an das Sehiehsal wegen seiner
eignen Zukunft unter; daran, ob es der deutschen Kraft gelingen werde,
Schleswig-Holstein dem Deutschtum zu erhalten, will er erkennen, ob die Tage
auch seiner Knechtschaft bald ein Ende finden dürfen. Um die Einmütigkeit
Deutschlands in der Schleswig-Ilolsteinisehen Frage als besonders notwenditr
hinzosteilen, erinnert Geibel daran, dafs gerade das in jenen Provinzen auf dem
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680
F. LoTttitc: EtaaanA QfSMl ab poUtiielnr Dichter.
Spiele stehe, was bisher überhaupt als das einzige gumeinsame Band aller
deatsdieii Stibume gelten konnte, die dentsdie E^nradia; und er findet, in»
aeinerseit Klopstoek, sehr g^fleUiche Ansdrfldce bei der GhanktorisiBntog
unserw Ifatteraprache, wenn er sie, der einst Luther in seiner Bibelübersetzung
zu ungeahnter Wirkaamkeit verholfen, auffordert, auf ihrom Psalter ein wehr-
haft Lied au grd&n, sehmettemd wie Kriegsposaunen:
0 Huttenpraehe, reiohste sller Zungen^
Wie Lenzwiüd s( luiir'ichelnd, stark wie WetteidrObnePf
In deren drciiniil benedeiten Tönen
Zuerst erfrischt das Wort des Herrn erklungen.
Mit strafendem Zorne ruft der Diehter dem Volk und seinen Fürsten ins Ge-
dächtnis jene schlimmen Zeiten des ersten Napoleon, da der Herr an uns ge-
Hprnrlion *in Krieges Lohen', um uns die Notwendigkeit des Zusammenstehens
•zu leliren. Sollten sie auch jetzt die Stunde der Heimsuchung xnehf. r-rkenncn,
so niüfste er sio gleich spröden Erzen zerbrechen oder neu znsHmiiienächmieden
'im Feuer seines Zorns und ihrer Schmerzen'. In dichterisch anschaulichem
Bilde zeigt er uns im 12. tSonette die Zeit am grofsen Webatalile, wie sie im
Begriff ist, in den Teppidi der Geschichte dn Bild an weben; Deutschland
habe an entseheideo, ob es auf diesem *strs]i]end in stembeloinstem Ruhme'
für die Nachwelt prangen oder ah ein Schmachbild weiter leben wolle, 'ein
Hohn den Völkern bis ans ftinste Thüle':
Thn ddnen Spracht Es harrt die Weltgesohiehte.
Leider aber war auch Geibel nicht, wie er es einmal in jenen Sonetten
wünscht, im stände gewesen, statt der Lieder Drachenzähue zu »äen, draus ein
Geschlecht Ton Ejriegern wachsen mttfisto, *im Waffientanz zu rühren Eisen-
glieder*. Die prenfsischen Truppen unter Wrangel haben seinen Wunsch wobl
erlttllt, aber, wogegen der Dichter sdon 1844 warnend seine Stimme erhoben
hatte, die Sinmischnng der fremden HXdite ftthrte au dem fiinlen FHeden
von Malmö.
Welch eiiK^ verhanpaisvolle Wendung die Wirren in Dei^t^ililand nebnip»i
könnten — wir stellen in iiiichnter Nähe des toÜPii Jahres 184« — , spricht
das '^Menetekel' (II 91) von 1>*4G aus. Dem gottlosen Treiben boim letzten
Mahle Bekioars werden die Zustände der Gegenwart verglichen. Durch die
durchscheinende Wand des Saales sieht der Dichter, wie *im Gewilil mit
ries'gem Leib hersehrntet kampfgesddlxat ein Weib mit blutrot flattonder
Fahne*.
Und in der *Jnngen Zeit* (II 52) von 1847 führt er uns alles das vor
Augen, was auf dem Gebiet der Industrie und Wissensdiaft Staunenswertes
ifpleistet werde. Stolz schwillt auch ihm die Brust, wenn er die nnpfeahnten
Fortschritte sieht, die der Dampf, der wilde Rieae. zuwege gebracht hat —
man erinnere sich, dafs F'^4t) der 'Verein deutscher Eisenbahn verwaltunj»en'
gegründet werden konnte, uachdem 1835, 1837, 1838 die ersten deutschen
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P. Lor«atB: Emaiittel Gdbel tli poUtiadiBr DicU^r. 681
Balinen überhaupt eröffuet worden waren — , wenn er weiter beobachtet, wie
dftiitBchea OcMMtolmi »neb die getreimttB Braclflrsttiiime allmililicli ]i£li«ri
Aber er fibrehtel^ bei dem Unmafi» und der ZOgellougkeit im VtnrwSrlaitltrmen
kSmie der da dioben, den man eo lang vergeewn, im Gewitter bwabfabren,
mn, «H die jnnge Zeit gebnnti rasoh m aeraplitteni, wie jenen Torrn Yon
Bnbylon.
Und als die Revolution ihr Haupt erhoben — man denke daran, wie z. B.
anch der Verfasser der 'Gedichte eines Lebendigen' an der Spitze einer deutsch-
französischen Arbeiterkolonne in Baden eingefalleu und, ohne auch nur persön-
lichen Mut zu zeigen, schmachToll unierlegen war — , als ein wichtiger Teil
der YolkaCreiheit, die konstitotionelle TerlaMoag, in vielen dentadien Staaten
auf bhitige Weise ertrotat worden war, da giebt Geibel der quilenden Stim-
mung^ die ihn beliemebiy Ausdruck in den Worten: 'Daa aUertiefiite Weh war
mir geschehen, denn meiner Sehnsucht Bild, nun war's gekommen, doch wflst
verzerrt, ein Greuel anzusehen' (III 37). In der Zeit, 'wo weise Lippe Thor-
heit spricht, wo dentsche Treu zerbricht wi ' OIhs', hat der sonst so uatur-
begeisterte Sänger keine Freude an dem Itauschen des Waldes. Denn dieser
trägt wohl sein grünes Kleid wie in alter Zeit, aber das (irün der Hoifnung,
die den Dichter erf&llte för das Entstehen eines neuen, freibeiÜiehen politisdhen
Lebens ohne gewalttfaitige Yerletaung bestehender Rechte, war gar vaaeh ^w-
blfihi Der Weg, auf dem die AchtundvierDger die neue Zeit herauffUhrteD,
wird dentiieb in 'Wanderers Nachtlied' (III 31) bezeichnet: 'Sie bftu'n und
legen keinen Grund, sie reekten aonder Mab und Huld und tilgen Schuld
mit gröfserer Schuld.'
Dafs Schuld auf beiden Seiten, der der liegierenden wie der der Regierten,
die Bewegung von 184>< herbeigeführt hat, ist Oeibei völlig klar. In den
'Historischen iStudieu' (HI eijueui Zwiegespräch i^wischen Mephistopheles
und Faust, giebt er soliden Erwägungen Ausdruck. Aof die Frage des Hephiato-
pheles^ warum Faust im frflhlingafrischen Walde sich mit vOTgilbten Schriften
abgebe, antwortet dieaer, daOi gerade der Spiegel der Natur ihn das Walten
dea groben WeUgeeetzes auch in der Geschichte Uar «rbmnen lasse, wonach
*in ewigem Reigen die Volker sinken oder steigen und wechselnd alles Leben
kommt und flieht*. Unbeirrt durch die Erwiderung des Mephistopheles, dafa
die Summu des Da.Heins heifse: Was lebt, niuXs sterben, das Wie erfahre man
jedesfalls zu spät und versauuie durüber den persönlichen Genufs des Lebens,
will Faust Geibel nicht ablassen, aus dem Studium der Vergangenheit Er-
muntening, Warnung, Troat und Bat fttr die Gegenwart so schöpfen. Fruchtlos
könne nicht sein, *was dm Geist vom Druck unsichW Einsamkeit errettet^
indem's ihn an ein reiches Gestern kettet und deutend ihm die Bahn ftr morgen
weist'. Doch gerade die Ereignisse der Gegenwart, wirft Mephiatopheles «n,
beweisen deutlich, dafs noch nie 'die Einsicht in gewesene Dinge dem wild-
erregten Augenbliek gefrommt. Wann hat ein Fürst durch dafs, was einst ge-
schah, wann hat ein Volk sich warnen lassen?' Ein Zeichen für die eigne
Trostlosigkeit ist es, wenn der Dichter den Mephistopheles das lotste Wort
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P. LoMntsi EiDMM«! Geibel ab politiMli«r Dichter.
behalten läfst, der von Dauer verheifsenden neueu Formen nichts wissen will,
der im Qrunde nur an SteUe der früheren Gewalt einzelner die noch gchliounere
Gewalt vieler treten sieht: *Die Namen Sadem aicl^ die Dinge nicbi' Auf die
UmwiUniiig der dentsdien YerbiltniMe, die da« Jahr 1848 brachte^ geht sveh
mandiM ans den *Tagebiichblattem* des NadUaaiea. D» heifst ea tob dem
schwer bedifingten Vaterlande (S. 236):
Denn wie Inn Weib, das, wenn die Stande kam,
Da sie gebüren soll, in Wehen ächzt,
Liegt diese umm Mutter nagend da.
In ihren Schläfen pocht des Fiebers Glut,
Zmn Bjrampf wird jede Begong, und ihr Hanpt
Ist iiT und wü£t — Qebet und Lästenug,
Zerbrochiier Rsalm und frecher Bulilgemig
Gehn wild verwirrt aus ihrem Mund.
Da gleicht die Zeit der Weltenschlange, die sich häuten will; da ist von dem
Traum der Zukunft die Rede, den ein jeder anders deuten will: der Dichter
glaubt doch das [rrixnc Samenkorn im Moderdaft zu erkennen und den Tag
nach einem Murgen blutigen Leides.
Dafs Gtoibel auch während der Tage des ersten deutschen Parlamentee in
Frankfiirt die Eniwiekelung der natbnalen Verhittnisse mit aufinerkaamem Auge
Terlblgfee^ davon sengt jenea *Oebet' (II 93) aua dem Sepi 1848. Es ist nnr sn
verstehen, wenn man ee im Hinblick auf die Excesse des Frankfurter Pöbele liea^
der in seinem Preufsenhafs die beiden Abgeordneten, den Fürsten v. Lichnowsky
und den Ot^nerul v. Aucrswald, in Stiirk«- rifa. In diesen schweren, dtlstem
Zeiten, wo der Erdball kreifst, wo nur dunkle Willkür äu spielen scheint, fleht
der Dicht-er zu Oott, ihm den Glauben nicht zu nehmen, dafa er an verborg" neu
Fäden unseres Volks Geschicke leuke. Er möchte diu Zuversicht hegen dürfen^
dals, wenn auch jetzt noch kein Anaw^ sichtbar sei, sieh doch einstmals
seigen werde, *daft seiner Qnade heil'gen SchlQaaeii aoeh die Tanfel di^aen
mflaeen, wenn sie thnn naeh ihrer Lnst\ Mit Naohdrudc beklmpft Qetbd in
den *Ti^bnchbIilttern' den Walin, als ob die detaillierte Abgr^unng der Rechte
von Fürst imd Volk schon allein das Glück des Staates verbürge. Dem leboi'
digen Organismus ?.. B. eines Ehebundes vergleicht er das Staatengebilde. Qegen
die Willkür der Kegiereuden soll gewifs ein Dumm aufgeführt werden,
aber das Bt'ste
Bchiieliseu Brief und Siegel nicht ein, das lebt in den Herzen.
Keine Fonnd enwingt das OefDhI glückseliger Bintneht,
Keine den Mnt, todfieodig sa stehn für die Bhxe der Heimat,
Doch, wo das uns gebncht, ist das ftbrige Name nnd Schall nur.
(NachlaJs S. 243.)
Am 28. Mürz 1849 ist dann die Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum deutschen
Kaiser erfolgt — freilich von .588 Abgeordneten hatten 248 ihre Stimmen über-
haupt nicht abgegeben. Wie hätte Her norddeutsche Sänger da nicht aufatmen
sollen und glauben dürfen, dafs er sein Sehnen doch als gestillt betrachten
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P. Lorente: Enuura«! OeTbel ab politisdier Didiier.
683
könne? In soinom '(jt^kTikblatt' vom Jahre 1851 (IV 201) sthiMcit fr uns den
iiindl'uck, den (laiiüils die Nachrit ht von der Kaiserwakl in iliui luTvorgLTutVu
hatte. Palmsonntag ist ea, und dem am Uter dur schÜfbelebt^n Truve lini-
wMidiilBdiii Dichtw wird von einflin befreimdetMi IfiBler die frohe Bdticittft
gobrachi Zur Siadi nrflckkelureiid ndit «r auf aUeii Häusern und auf
manchem Schiff im Frfihlingawuide frohe Fahnen wehen, und manchee Auge,
das er längst im Staub der Akten oder überm Rechnungsbuch verhärtet ^uhte^
aicbt er freudonfeuclit. Ihm selbst abtt, der alsbald zu Pferde gestiegen und
in den hoflPnnngaj^rünen Wald hinausgcritten ist, kommt die Zeit der Kaiser-
wahl Heinri(-h.s des Kinklers in Erinnerung, des blonden äachseoheidou, dem
neidlos die andern Fürsten lüe Krone zuerkannt hatten.
Aber die ireudige Zuversicht sollte bald getrübt werden. Als die Hand,
schon anm Ergreiftu anage^awekt^ sich plötalidi schloXa und *dea Beiehea Apfel
an Boden M' — am 3. April 1849 hatte der preuftisehe König die Annahme
der Krone abgelehnt — da ist es wieder Oeibel, der zur 'Geduhl' (II 94)
mahnt und 'den Dichtem' (II 95) bei den fortbe.stelienden Zwistigkeiten ihr
Amt als Sühner und Mittler in Erinnerung bringi Im Hinblick auf das einst
von Freiligrath geprägt*' Wort, der Dichter müsse auf einer höheren Warte
stehen als auf der /ume der Partei, sollen sie das Volk darüber belehren,
worin die rechte Freiheit bestehe, und ihm geistige Werte schaffca, an denen
es sich aufrichten könne:
Hinweg drum mil deü Grimmes Falten,
Mit SoheUenUang und Bnuut und Lugl
Wie mag der Arm die Wage halten.
Der mit dem Schwert den Bruder schlug?
Wie mag deu Keleh des Segens spenden.
Wer selbst am Mahl der 8üude zecht?
Bnn sollt ihr sein an Hers und Sbiden,
. Ihr seid ein priesterlich Qeschlecbt.
In einem Gedicht ans dem Jahre 1850, das er selbst 'Mein Friedensschlufs'
(ni 37) dberaehreibl^ hat Geibel seine Niedergeschlagenheit Aber die Bevolutiona-
seit und ihre unmittdbaren Folgen endgflltig flberwunden. Ihm, dem das
Schickml nicht stumm ist, zu dem Gott doch aus der Weltgeschichte ge-
sprochen, ist es jetzt kein Zweifel mehr, da& die fiberstaudene Epoche ein un-
erfreulicher, aber notwendiger Vorbote besserer politischer Zeiten gewesen war.
Wie die Aufgabe der Vorwelt «gewesen sei — gemeint sind dort die Höhe-
punkte der bisherigen Kultur, wie sie sieh im klassischen Altertum, in der
Renaissance und zuletzt in der Ilumumutsepoche des deutschen Geisteslebens im
XVUI. Jahrh. manifestiert hatten , den B^riff der Schönheit lebendig werden
zu lassen, so sei der Gegenwart die Aufj^be zugefEdOlen, den Geist der poli-
tischen IVeiheit in die WirUidifceit ttberanfilhren. Aber noch freilich sei er
nicht in seiner Reinheit und Hoheit erschienen. Er gleiche vorläufig noch
einem sphinxartigen Götzenbildc, dem tausend blutige Opfbr fallen. I )(»< ]! dOrÜB
die gewisse Hoffiiung gehegt werden, dala er in immer edlerer und erhabnerer
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684
P. Lnmte: Brnrnnwl OnML pdüudMr Oiehter.
(iestalt sich zeigen werde, hia endlich die Freiheit^ gleich der schaumgeborenen
QSttin, aufsteige ans den Schlacken.
ÜDUchuIdig, auf der Btini den Strahl von ob«D,
Ln Glanzgelock ruht statt der l&tme Zaeken
Der Kiaia ihr von des Olbanms fiUlMrlaabe^
Und alle W«lt hengfc fmaA ihr den Nacken.
Den GUnbeik an diese IdealgestaU will der Dichter ab Sduld sehwingen
im Kampfe mit dm Larven, die ein Zerrbild jener wahren Freiheii aind.
Viele seiner Dichtungen politischen Inhalte awischen 1849 und 1871 hat
Geibel unter dem Titel 'Heroldsrufe' zusammengefofst eraeheinen laMMn
(— IV 103 — 2t)0). Dioso bilden daher die Hauptquollu für s*m"ti>' Stellung zn
den Erpii,misHen dieser Epoche. In einer lieihe poetischer Bilder führt er da
in den ' Husen Trämuen' (IV 108) spiner Zeit den Unsegen der politischen
Zerrissenheit der Mitwelt zu Gemüte. Erst lüfst er sie einen verirrten Bienen-
■ehwann edianen ohne Weieel — so hatte einst anr Zeit des Wabbtreita nnch
Heuaridia VL Tode Weither von der Vogelweide aoniig ansgeralini: 86 toi
ditf Uusdu» mmge, wie ttH din ordemmget dag nA diu mSgge «r kmec käi,
und da» diu Sre also zergdt', dann laTst er uns Knaben schaneo, die mit Pfeilen
spielen und, unverständig, ihren wahren Gebrauch zu kennen, sie zerknicken
oder verlieren; zuletzt sehen wir einen Karfunkel verschmäht am Kreuzwege
liegen, von Stöfs und iSehlag hart mitgenommen, vom Staube schier verdunkelt,
einen Edelstein, geschafl'en, 'die Krone der Welt zu schmücken': nun hascht
nach ihm der fremden Raben Gier.
Dem JammMT der kaiseriosen deaiBcfaen Oegmwatt steUt der Diditer ein
aadennal — in dem epiaehen Fhigment *JnItan' ans dem Än&ng dar öOer Jahre —
die nüttdalterliche KaiaerherrEdbkeit entgegen, die tw alkm am Bhainatnmi
sich entfiütet hat (II 24C ff.). Deutschen Lebens Rild und Zeuge ist ihm über-
haupt dieser Strom, 'seit von süfsen ^hren auf seinen Höh'n der Rebstock
feurig schwillt'. An den Ufern des Rheins stand ju der Thron des ersten
deutaclien Kiiisers. Auf der grofsen Rheinebene zwischen Mainz und Worms
fand die auch von Uhland verherrlichte Königswahi Konrads Ii. statt, die erste
und letzte übrigens, 'die wenigstens äufserlieh dem Ideal unserer modernen
Romantiker entspridit''), wo *Konrad das Hanpt vor Koniad bog, eine Krone
mit Laeheln missend*. Dae wird absichtlich der Eiferancht der Staaten des
alten deutschen Bnndee entgegengerufen; denn eben jetzt, im Mai 1860, haMe
die Wiedereröfinung des verhafsten Frankfurter Bandestages stattgefunden
gegen die Mentscho Union' unter Preufsens Führung. In Mainz fand jenes
Pfingstfest 1is4 statt, wo *der im roten Bart' nh der gröfstc Lehnsherr und
erste Ritter des Abendlandes zur Feier der Swertleite meiner beiden ältesten
Söhne die Rittersckaft des gesamten Abendlandes versammelte, die strahlende
Sonnenhöhe des gesamten Rittertums.') Siegestranken, meint Geibel, mochte
*) o Knmiuel, Der Wodegang des deutschen Tolkei I 109.
»; Kbd. ibl.
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P. LorMitB: Emma»! Geib«l als politiMlieir Dichter.
686
Barbarossa da des Rheines Wirbeln lauschen, ^nicbi ahnend, dafs idn Tod
bald solches Rauschen'. Der Rhein auch sah in erster Linie die reich« Stiidte-
fcnltur der nächsten Jfthrbimderte, Sro unterm Erammiiiib Bürgerfreilieit eprofs',
er andi den Anbradi der neueii Zeit:
Denn war's m ICaim oidit, m in stiller Zelle
Bin andrer Dldalnt die illlgel goft,
Die stark das Wort in alle Winde tragen?
.Ward nicht sa Worms die Öeistesschlacht geschlagen?
Und dem gegenfiber die deutsche Gegenwart von 1B50! Die 'Klage' sagt's
uns, wie es darum steht 196). Im Auslände wird der deutaehe Name nur
mit Hohn und Spott genannt, und der Diclit«>r darf nicht sagen, dafs man
damit Lüge spricht. Die unselig schwankende Politik Frifdricli Wilhelms IV.
gegenüber Osteireich, die Wurzel dieses Übels, seine Ahhiingigkeit von Rufs-
lund, wird mit Entrüstung gegeiXseit. Daa deutaehe Schwert, 'Uuä scharf ge-
fegt, donsh hnndett Sdikehten kttbn wHi Baihn gehronhen', es zagt, aua der
Scheide sa fthren, *aol»ld nnr Moelrn» Zar die Stini in Rumeln legt';
es starb die deutsche Ehre —
Fragt naeh bei Sdüevwig xwisclien Ueer und Heerel
Dort liegt sie eingescharrt; die Winde gehn
Hit Pfeifen drfiber hin. Wann wird sie »uferstehnl
Dea Fflraten Ton Sehwanenbergi der unter dem Hettemiduchen Begime
beaondera eifersüchtig Preufsens selbständiges Vorgehen in der deutschen Frage
flberwachte, wird von Geibol in der Toetischeu Epistel' an seinen fürstlichen
Freund, v. Carolath-Beuthen, Febr. 1851, in jener seiner undeutschen Gesinnung
gedacht (IV 204). Der Dichter erinnert da seinen Freund an eine gcmciusame
Gebirgswanderung, und als er die von ihnen erätiegenen Berge durchgeht^
Watzmann, Herzog Ernst^ Grofsglockner, kommt er auch in einem Anfluge Ton
fldmeidetideni Humor tu dem hdeheteii Berg in Österreich, den sie damals
nicht geaehen:
Schwarzenberg ist der geheilsen,
Und zur Zeit so hoch geworden,
Date er seinen kalten Schatten
Wirft TOB Wien bis in die Ostsee.
In diesem Schatten wüchsen die Zauberstiibe, welche jetzt die Welt regierten
und die äülche Wunder verrichteten, dafs ganz unerhörte Dinge in Geschichte
und Geographie für richtig gelten aollten. Von ihnen lerne man, Mala Slaven
stets und Deutsche sind ein Brnderrolk gewesen, dals ein Danenflufs die Eider
und dafs Preufsen liegt — im Honde'I
Leicht war es Geibel gewifs nicht, angesichts der sefamachvollen Demütigung
bei Olmütz am 29. Nov. 1850 den Glauben an die ersehnte Einitrunp^ des
Reiches unter Preufsens Führung aufrecht 7.n halten. Aber dennoch will er
nicht YRrzweifehi und ruft seinem Volke erTuuligond 7.n: 'Unter Trümmern
noch unverzagt halt im Herzen die Hoffnung fest!' Lud gegen die 'Londoner
Xm f akrUUhw, im. I. M
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LoMDft: Emttnnel Oeibel ata poliliacihnr IMehter.
Konferans' vom 8. Mai 1852 QY 191), Ha den Abeclilti& der Olrnfttser Sehnuidi
bildete^ wo Preofaen die Union, du dentadie Purlunent, die EnrheBseiif die
Sdüeswig-Holateiner hatte aufgeben mÜBaen, wendel der Dichtor sidi mit den
8atirischcn Worten: *Wo Franzmann, Brit* und Russe nach ihrem Sinn getagt^
da xiemt's, dafs man zum Schlüsse gehorsamst Amen sagt! Was gilt denn
auch dfr Bettel von Doiitschlaiirls Ehr' uiul Ruhm, j^lückt nur der Küchen-
zettel fürs dän'sche Königtum'. Aber eiiiöt luiifs ein Sturmesbrausen konunen,
ruft er prophetisch aus, das wird die Welt iu Fkiuxuen setzen, *bi8 jenes Blatt
der Schande, das feig ihr unterschriebt, verzehrt vom Riesenbrande in alle
Winde stiebt'.
Doch der Dichter, der es gewohnt ut, allaeitilg denteehee Leben sn b»-
obaditen, kann und will sich nicht dagegen ▼eradUiefaen, dab in den 50er Jahren
auch ein rascher Pulsschlag sich lebendig rogt. In der 'Pause* vom Jahre 1856
(lY 207) heifst es 'dafs rings ein frischer Geist die Welt bewegt nnd die
Gedanken neue FlQge wagen':
Die Wisst'iisi liaff /••Hrümmert ohne Zagen
Manrl- 'Inniptf^ Scliranke, die uns einpohegt,
Der iJauiii der Freiheit, der schon Blüten trägt,
Vcfheilist dereniflt uns ^Idtte Pmcht zu tra^n.
Es mag dabei z. B. au die elektro- magnetische Telegraphie gedacht werdeu,
die in das moderne lieben so umgesialtend einsugreifm begann — 1853 hatten
allein die pren&ischen Tel^raphenlinien eine LSnge von 1^7 Meilen, nachdem
am 1. Jan. 1849 die erste Depesche Deutschland durchflogen hatte.') Es mag
daran erinnert werdoi, dafs das Entstehungsjahr jenes Gedichtes, 1856, die erste
Pariser Weltausstellung sah, wo die Erzeugnisse der Kruppschen Gufsstahl-
werke und des Borsigschcn Maschini-ribiuif s rühmendes Zengnif von deutschem
Kunsttleifse ablegten.*) Die industrielh' Hcgsünikoit des Hhcinlandes findet
ihre dichterische Würdigung in jenem ciiisciien Fraginente '^Julian' ^^11 247):
Welch reich Gewühl umbraust noch heut
Die Kebenufer, wo vom breiten iiiüe *•
Die Feste droht, und weit im Thal lentrent
Die Essen zahllos sprühnl Hit geUera Pfiffe
Durchkeucht das Dampfgespann des Doms Gelint,
Und durch r!if> Fluten wandeln FeaerschiffOi
Wie schwar/.c Ricsfiisrliwüiii'.
Und was die Geisteswisscnsphaftoii mit ihitr bifreifiKlen Wirkung anlangt,
m mucbt ein Bück aui' diu unter Friedricii Wilhelm IV. gröfstenteils in
Berlin schaffenden Pfadfinder der Sprachwissenschaft, Naturforschimg, Medizin,
Geschidite und Geographie begreiflich, mit welcher ZuTersicht Geibel in dieser
Hinsicht in die Zukunft Deutschlands bücken konnte. Derjenigm WissenschafU
die gerade in Berlin Tor allen andern in BlQte stand, der Geschidite, gedenkt
') Pierson a. a, U. II 271.
*) Aus di«ier Zeit stammt auch GeibeU hochpoetisdier *]^7thns vom DampT ÜI i.
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P. Lnnntc: Emurad Oeib«l ab politiidiflr Diflhter.
687
Geibel, wie das seinem nacli rackwärts «nd vorwärts gewiiudtcn, prophetischen
Dichtergeist nahe lag, noch iu eiueiu besondereu Gedichte, 'Geschichte und
Gegenwart' (III 322). Auch hier wieder liegt ihm der Hauptgewinn der
luBtoriiNlu»! Foraehung darin, da& sie lelir^ ans der Vergangenheit die Gegm-
wart SU Terttehen: 'Wir apflren, froh des holmi Waltene, dae jedor Zeit ihr
Ziel verlieh'n, den heil'gen Fortgang dee Entfaltens im Tag auch, der uns heut
erschien.* Ihm ist, denn Geibel findet fast überall ein glückliches poetisches
Bild für seine Gedankfn. die Vergangeuhpit, die die moderne Forschung immer
richtiger und anschauiieher gestaltet, eine Sphinx, 'die tief im Schutt bis an
die Brüste, das Haupt vom Flugsand überschneit', lange schweigend dagelegen.
Nun aber hebt sich allmählich ai» den Tiefen der mit Hieroglyphen bedeckte
Bieeenleib, und wihrend bisher nur hie nnd da ein Zeichen sichtbar gewesen,
kann der %in jetst im Zusammenhang besser gedeutet werden.
Wer wollte femer nicht erwarten, dafs Geibel auch den religiösen Kämpfen
seiner Zeit^), die die 50er Jahre besonders h^g erregten, Ausdruck verliehen
hätte! Feuerbachs Heidelberger 'Vorlesungen über daa Weso-i dfr Religion'
waren 1851 im Druck erschienen, die materialistische PhiloHophie eines
Moleachott und Büchner begann ihre Wirkungen auszuüben. Da sehnt der,
der sein Dichtcramt so gern alä Friestertum bezeichnete, der die Wesens-
Terwandteehall Ton Religion nnd Poesie so lAnfig betont hat, eine edite
Reformation herbeL Dom die pietistischen Bestrebungen anf der Gegenseite
konnten unm^ieh den befriedigen, der im ^ntie des Ooethischen Wtnrtes:
*ToIeranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie mnls
nur Anerkennni^; ftthren. Dulden heifst beleidigen' selbst einmal sagt:
Wohl mit jedem Bekenntnis Tertiftgt ein frommes Gemttt sidi,
Aber das fromme Gemflt hingt vom Bekenatnii nidit ab. (Y 78.)
Wir denken bei dm Worten in Oeibels 'Reformation' (DI SSO): *AlIes Wissen,
oVs den Stoff der Welt umfiUk^ bringt^ vom Ew'gen losgerissen, kein Genflge^
keine Rast' daran, dafs 18.^5 Büchners 'Kraft und StofiT erschienen war. Wir
verstehen, wie die Suchenden und Beschwerten vlevitisdi Schwertgezück' und
der Spruch der Schriftgelehrten hart und eng in flieh zurikktreiben nrifHtcn.
Wir begreifen des Dicht» i h Kluge über 'der erstarrten Lehre Haft, drin der
heil'ge Geist begraben' und sein Gebet:
Lafs ihn auf(Tst<-hn in Kraft!
Lafs ihn ttbers Rund der Erde
Wieder fluten froh und frei,
fiab das Glauben Leben werde,
Und die That Bekenntnis atil (m 221.)
Aber bei .all dem frischen Leben, das die deutsche Gegenwart in den
50er Jahren sonst zeigte, bleibt doch immer der grofse Mangel in nationale
Htnsichiy *da8 eigne Daeh und Fach, das mit yortrauen die ^st erftlUy und
') Vgl. oben S. 677.
46*
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P. Lonnts: Enuumel Gdbd als politiMiMr Siditer.
drin die Baat gedeflit*. Dio Lull am politiadieD ffimmel ist indi wie tot
aehwfil und drfickend. Da iife dean das Qebet um ein Gewitter, das die
Lull reinigey wohl Tentioxidlieh, der Wunach entringt aick den Lippen dea
Dichters, dafa 'im Donnerschlag, in Giifs und Sonnenblicken' der Auf-
erstehungatag des Reiches nahen möge, und das GefQhl der Ungeduld macht
sich Ltift in jenern Sehnsuchtaschrei: 'Wann doch, waiin erscheint der Meister,
der, o Deutschland, dich erbaut, wie dio Sehnsucht edler Greister ahnangsvoU
dich längst geschaut?' (IV 209.) Er ertönt in demselben Jahre, in dem Prinz
Wilhelm von Prenfaen die Regentschaft für den Bruder endgültig fiber-
nalim, 1858.
In dem kraftroUen *Geaange der Pritorianer* ftbrt Qeibd una im uichsiMi
Jalire im Gbgensats au dem ersehnten dentachen Kaiser das Bild des auf dem
französischen Tlirone sitzenden Cäsaren vor. Zug am Zug glichen die Kriege
Napoleons iJJ. denen der alten römischen, von ihren Prätorianern auf den
Thron erhobenen Cäsaren. Nicht zur Abwehr und Verteidigung wurden sie
geführt, sondern aus Erobemng??lnat, und nicht von nationaler Befrciüterung
waren seine Krieger getragen, sondern von Durst nach Ruhm und Beute. In
überheblicher WUlkür bri<^t «r Verträge, und ob ihn die BOrg» sodi baaaen:
*£r bangt und aehweigt, daa iat genug; der PSbel jnbelt auf dem Gaaaen ateta
dem, der ihn in Ketten achlug*,
Dar EaiasK ist aof Erden Oott^
Er gifibt uns Qcli und Lotbeerreisar,
Wir geben ihm daAr die Welt! (IV 811.)
Daa iat eine nicht onsutreiflfonde Charaktwistik der Mittel, mit denen daa
Napoleoniaehe Preatige aufrecht erhalten wurde. Waa der Diditer aber von
den modernen QaHiem aeine Nation, die eben noch keine war, lernen lassen
möchte, das ist zwar keineswegs der ^keltische Kern', von dem er einmal in
den Tagebucliblätteni spricht (S. 23(1), der immer wieder die von dem Römer
erlernte Zucht und die von dem Franken erlernte Ehre als blofse anfsere
UüUe erkennen lasse , wohl aber das, was jetzt drüben herische: Autorität!
Zwar nicht in 'Kirche, Staat und Dichtung', wie sie jenseits des Rheiuea
herraeht, wünadit er aie emnem Deutschen, wohl aber im Staate allein. Denn
eben der IndiTidualiamna der Deutschen: *Bei uns dttnkt keiner sich an Uein,
er hat aeine eigene Richtung', lafat ea jetat zu keinem erfolgreichen Handeln
kommen.*)
Am 10. Nov. 1859 wurde die Feier des lCX)jahrigen Geburtstages Schillers
überall, wo Deutsche wohnten, mit der ])egeistertston Teihiahme begangen. Die
Nation wurde gewahr, welch gewaltiges Bmdemittel sie in der gemeinsamen
') Vgl. in den Sprüchen (III 198):
Beiaer bei nns irt d«r einMlne Streiter;
Wiifstcn wir nur zusauimenzugehn !
Als Masse bringen sie's driibfu weiter,
Weil sie noch zu gehorchen ven»t«hu.
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P. Lonots: fimimid Oribel ala poUtiMliw IKditer.
689
Verehrung dieses Geistesiieroen schon l)esaf8. Da nimmt auch Gcibel Gelegen-
hbiif dieaen echten Freiheits^nger anzurufen, er möge jeden Bund segnen, in
dem iiah deutsche Ißbiner kfilm erheben zn hoher Tha^ denn:
Er war ein Sohn des Volks und wollt' es sein,
Und wo er dichtend Welt und Zeit gemessen,
Der Freihdt hat w mmnwnuehr Tei^sett. (V 11.)
Winige Jahre später, 1862, giebt IJhlands Tod Anlafs, dieses Dichters Wert
und Bedeutung für das gesamte Deutschtum zu feiern. In dem Gedielit: 'Es
ist ein hoher Baum gefallen, ein llaum im dcutsclien Dichterwald' charakterisiert
Geibel Uhlands SchafiFen als Dickter und Forseher. Als j>ner hat er die
Herrlichkeit verschollener Tage heraufgefuhrt und ist der Freiheit ein Vor-
idbipfer gewesen, ak diesw hat er so manchen Sehati naMonaler Spracbe nnd
Dichtung gdioben:
Das ist au uns seb grob Yem&cbtnis,
So treu nnd deatscb sn sein wie er. (Vm 17.)
Um diese Zeit, wo es *ewig von Gewittern am umwölkten Ilmimel braute',
wird waaai. an die geographisobe Lage DentecUands im Heraen Europas an-
gekndpft und die Gefidir geaeigl^ die dem ganzen Organiemns drolif^ wenn das
Hers nicht gesund iei Da Uüngen Töne an Ton der Bedeutung deutschen
Geisteslebens, wie es einst Fichte in seinen *Reden an die dentsdie Nation'
aufgewiesen, für Deutschland nicht allein, sondern für die gesamte moderne
Kultur. 'Macht und Freiheit, Rechtr und 8itte, klarer Geist \mä scharfer Hieb',
heifst es in 'Deutschlands Beruf, müssen es dahin bringen könn(>n, dafn 'am
deutschen Wesen einmal noch mag die Welt genesen* (IV 214). Noch freilich
lasse sich die Welt regieren von der Leun' am Seinestrom, noch lafst sie sich
fangen durch die Netze, die der Fiscber wirft aus Rom, nodi schreckt mit
seinen Horden sie der Eoloft aus Norden.
Aber ein Ende kann dieser bedrfic&eoden BeUemmung nur gemacht werden,
Bamn kann Deutsehland nur geschafft werden, seinen Beruf anssuQben, wenn
ein kraftvoll und energisch gef&brter Krieg die Verhältnisse geUart bat Dur
Sünger, der so häufijr nur um der sanften, romantischen Klnnpe seiner Leier
wegen von Mit und Nachwelt ^'schätzt wurde, verkennt nicht das Furchtbare
dieses Mittels, aber wo da^ Lehen seihst auf dem Spiele steht, wird mit be-
schwichtigenden Heilmitteln nichts ausgerichtet Den Segen des Krieges spricht
Getbet in den TagebucfablUtem (S. 241) dahin ans, dafs *er aus don Bann der
Bleinlichkeit die Geister Vkt und uns die echten Qttter des Lebens wieder Uar
crkeimMi ISJbf. Denn in Zeiten trftger Ruhe Tcrsiedit gar au leidii nun
Cheine das Wesen, und es besteht die Gefahr, dafs die Thatkraft, gleich 'dem
hochbrausenden Waldstrom, dem ihr den Lauf abdämmt, sich /erstörend ein
anderes Bette sucht*. Zu langer Friede unter solchen Umständen, wie am
Anfang der 60er dahre, gh i' lit iler alkulauge anhaltenden Sonnenglut: wie
diese nur dem Ausbrüten von eklem Gewünne günstig ist, so jeuer der £)r-
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£190 Larenta: Emanuel Geibel aU poUtiBoher Oioliter.
TCgnng iimeni Zwistos. Wie in dem lebendigen OrganiamiB, wenn die Sifte
etoctkeii, eine Entiflndiing aneh der edleren Teile drolit, eo niehi anders im
Staatakörper. Wo es also die Wahl gilt zwischen innerer Gärung und Erie^
da darf kein Schwankeu shittliaben, denn 'offener Kampf, wo's gilt um Schwarz
tmd Weifs, spannt fortbegeisterml jede würd'ge Kraft des Volkes an wie eine«
Bogeiis Sehne, doch Bürgerhader geht in Lng und weckt den Diimoii auf im
MenHclien uiid Uaa Tier'. So prägt der Dichter in immer neuen Bildern die
Sehnsucht aus nach dem 'geschlenderten Blitotrahl einer aieg^fireudigen Thaf
(NacUab 237).
Endlich beginnt eich das GewSIk am nmdflelerlMi ffimmel an ent-
laden. Wie Geibel 1846 in den Sonetten fllr Schleswig -Holstein die Lösung
der deutschen Frage betont hatte, so bognlfst er 18G4 den ersten nieder-
prasselnden Feiierregen naeli der drückenden Gewitterschwüle aufs freudigst«?:
*Eh i^prieht die That, wo Worte nichts verfingen.' Jetzt stimmt er sein 'Lied
von Düppel' an, das in iilk'r Munde lebt: 'Was klingt aus den Städt<?n wie
helles Festgelüut?' und das mit dem Siegesjubel schliefst: 'Der Feind ist ge-
ichlagen nnd Sdileiwig iet frei! Sprecht nichts von Verti^en, nun bleibt ee
dabei!' (lY 216.) Non war die geeehSndete deuteehe Ehre dmch Bineetran
der preuDnedieii wieder hergeatelli Aber führ die endgBltige Bntwirmng der
innem deutschen Verhältnisse war bei der fortbestehenden und sich immer
mehr yerschärfenden Rivalität Preufsens und Österreichs noch nicht viel ge-
wonnen. Darum warnt Geihel hei Gelegenheit eines 'Musikfestes' flV 217) im
Sommer 1864 davor, durch zu lauten Jubel sich übertäuben zu wollen: noch
schaut diü Zukunft immer mit Meduseubiicken drein! Noch hatte Preufsen die
schwere Krisis der Konfliktszeit nicht überwunden. Diese mufste für einen
objekfciTen Beobachter preaftischer YerhiltniMe, wie es der Ibneeate Geibel
war, dadorch eo peinigend sein, dalb er im innersten Henen von keiner der
beiden grofeen Parteien im prenlbiedien Landtage Heilsamee erwarten konnte^
weder von der konservativen noch Ten der liberalen. Die Qual, welche der
Anblick des Kampfes des zielbewufsten preufsischen Ministeriums mit dem
Landtage darbot, kommt bei dem Dichter zu vielfachem, oft vollendet poetischem
Ausdruck. Zornitr klagt er 'In den Tagen des Konflikts' (IV 218} 1865 Über
die von Tag zu läge sich mehr vertiefende Kluft und dafs ^überm Hader der
Parteien ht&aet mehr denkt am Tafterland'. Er empfindet sehr fein den Unter-
schied, den es ausmache, ob ein Dichter in Zeiten der Not gegen den anÜNm
Feind energisch Partei ergreife oder in soldien inner-politiBdiMi Konflikten
der Fartefleidenschaft huldige. Dort mflsse nnd werde, eisern wie ein ge-
schwungenes Schwert, sein Hymnus ertönen — er hatte es eben erst selbst
in den Tagen von Düppel bewährt — , aber 'wo mit Gewalt und List Haupt
feindselig und Glieder sich befehden im iunern Zwist, da verstummen die
Lieder*. Darum fafst auch er den Entschlufs: 'Eh' sie diente der Volks-
parttii'u Zwietracht weiterzutrageu, lieber am nächsten Stein will ich die Harfe
lerschlagen.* So hatte andi DUand, dnr selbst persflnlidi Fartei ttgreifbn mnlUe
in den YerfiMSungekunpfen seines engeren Yaterlandss, nie seine Diditnng in
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P. Lmre&te: Enuura«! Oeibd alt polilitoli«r Dichter. 691
daran Dienifc geflelÜ Eni naoli Beendigung dea Zwiespslhea holt er seine
Leier her?or and mm zu TSneo, die die YenShnimg feieni.
Was 0eibel einst 1844 in sinnen *Deat8ehen £Ugen' mit aller Inbrunst
erbeten hatte: 0 Schicksal, gieb uns einen, einen ^lamil . . . Em Mann ist not,
ein Nibdnngenenke]!^) jetzt war es in Erfnilung g^pmgen; seit 1862 stand
Bismarck an der Spitze des preufsischen Ministeriums. Die poetischen Tü<fo
bucliblätter beweisen Geibels kraftvolles Eintreten und voUei* Verständnis t'iir
die Politik dm Mauues, der das Wort gesprochen hatt«, dafs die deutsche
Frage nie durch Parlamentsbescblüsse, sondern nur durch Blut und Eisen gelost
werden k5nne (30. Sept. 1862). Er ist es, von dem es heifst, dafs bei ihm
aDdn in j&aier Zdt ^hinter jedem Wort die That gestaodea' er ist ee, der Tor-
warts ftflt nnd unTerrfickt anfs Ziel geht; und ^mogen, die's nieht feasen,
sdunälen, der Kraft wird nie zuletzt die Achtun»^ fehlen, und wer getreu sieh
bleibt, hat halbgewonnen Spiel' fS. 238). Bismarck ist da, 'der Starke, der das
Steuer fafst und bringt durch fcitunn und Wellen mit uneischrocknem Mut die
Fahrt ans Ziel'. Sein Auftreten bewies endlich deutlich: 'Der allein gilt
wiederum als Manu, der etwas kann!' (S. 239.)
Aber das Ziel war nicht so nahe^ als es anfangs scheinen konnte. Als
eine 'eiserne Zeit' besetchnet auch Geibel die Qegenwar^ wenn er ein Gedicht
Tom Dezember 1865 so überschreibt (lY 219). Voll Traner mnfii er darfiber
klagen, dafs Mie jüngst nodi Kampfgesellen, jet7i Trotz im Auge, Groll im
Unnde stehn'. Vor zwei Jahren schon hatte er bei der 50jährigen Feier der
Leipziger Schlacht das Verhältnis Preufsens und Österreichs rw einander mit
dem zwischen Athen und Sparta virglichen (V 65). Und er hatte dazu auf-
gefordert, im Freudenfeuer der Leipziger Sit p;( siüier deu alten Hader zu ver-
brennen, damit Deutschland der Weg nach Chaeronea*) erspart bleibe.
Und nun wurde *der alte Drache vielköpfiger Eifetsacht^ der am Baum
des Lebens Wadie hielt und ans die Fradit weigerte', von dem nenen Bitter
Oeorg geworfen. Die glorreichen S&n^ selbflt der unTergldehlidiea Sieges-
woche im Sommer 1806 kann Geibel nicht durch Lieder verherrlichen, das
durften nur national- preufsische Dichter. Aber wie sehr die endliche Ent-
scheidung zu Gunsten Preufsens nach seinetn Herzen war, zeigt er 'Am Jahres-
schlufs von isCjir iIV 223). Endlich, das ist seine Überzeugung, hat doch
^aliversüindlich das Schicksal äüinen Sprncli gethan'. Die Freude über die
preufsischen Waffenerfolge will er unbedingt teilen, dann aber tritt er sofort
für das ein, was Bismardi die moralische Eroberong der sflddeatschen Staaten
genannt hai Die Fnrcht TOr der 'Yerpreufsong*, in welche jetat die unghmb-
liche Verblendung Tor der Entscheidung in Süddeutschland umgeschlagen war,
hat Geibel keineswegs geteilt. Aber er kannte beides ans eigener Anschauung
durch seinen Münehener Anfentlialt seit 1^^52. T'^nd wenn er auch seit dem
Tode des Königs Max 1864 nur selten noch in Bayern weilte und seit 1867
') S. obpu S CTa
*) Vgl. auch in den Gedichten und Gcdenkblüttom von 1864 Auf Chaeronea« Heide
(m 189).
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092 P' Loreafat: Emonoel Odbel «Ib politiMher Dichter.
wieder danerod Mine Hetmaietadt LObeck bewolmte, so widmet er dodi nach
den entscheidenden Ereignisien von 1866 »eine Lei«: vor allem dar YereShming
von Nord und Süd. Mit Vorliebe knflpft er in den Gediditen dieeer Jahre an
das Bild vom Ausbauen eines Hauses an. Man denkt an Bismarcks Wort ans
dem Jahre 1868: 'Wir tragen alle die nationale Einigung im Herzen, aber für den
rechnoTiHen Politiker kommt zuerst das Notwendir^ und dann das Wünschens-
werte, also zuerst der AiiHl)au des Hauses und dann dessen Erweiterung.* So
mahnt Geibel bei der Erötfnuug de» ersUiu uurddeutachen Parlaments, 24. Febr.
1867 (lY 226), vor allem für einen Turm mit starken Mauern und festen
Balken zu sorgen, die uns gegen die StOrme Ton aiiben her zu schUtien ver-
mdgen:
Aber jetzt versäumt die Frist
Nicht mit Glanzentwtlrfea,
Und vor dem, was lieblich ist,
Schafft, was wir bedflrfenl
Wann verbraust der HageJschlag
An den nackten Wänden,
Mttgt ihr firoh am heitMH Tag,
Was sie schmflckt, volleaden.
Der erste Frflhling des nenen norddeutsehen Bundes findet den Dichter in be-
sonders hoffnungsfreudiger Stimmung. An das Bild der tausendjährigen Eiche
anknüpfend, aus der die jungen Knospen frisch hervordringen, fallt ihm im
Süden ein stark bemooster Ast auf, der noch zaudert mitzublflhen, und er ruft
den Himmel an, den Strom der Lebenssäfte bis ins letzte Reis hineinzutreiben
flV 226). Die 'Brücke über den Main' mufste eben nocli geschlagen werden.
Zwar das 'Haus am Main', der Sitz des alten deutschen Bundestages, 'ohn-
macht'ger Zwietracht Herd', ist glUcUich aertrOmmert Und ist audi mit ihm
manch alter Schmuck verloren gegai^n, *dran nnser Hers noch hingt*, er
muAte als OpiSsr dargebradit werden auf dem Altar des Yaterlattdes. Darob
Krieg nur konnte die neue Ordnung der Dinge herbeigeführt werden, nnn gilt
es, beim friedlichen Ausbau des neuen Hauses nicht nach zu engen Formeln
zu verfahren. Dadurch erleichtem wir es nur den Brüdern jenseits des Mains,
das ist Geibels wohl begründete Mahnung, den We^ über die Mainbrücke zu
uns zu finden. Mit herzgewinnenden Worten fordert der Dichter diese alle,
ihre Stammeseigentümlichkeiien trefflich charakterisierend, auf, in den neuen
Bund einzutreten in dem *Rnf Aber den Main* (IV 234). Die raachen Alemannen
Tom Schwanswald, die Sdiwaben, Vorkftmpfer einst im Beich, die ISwen-
hen^gen Baywn, die Franhnn, Idug und kOhn-, sie alle sollen dem hochhenigen
Beispiel des alten Grafen Eberhard folgen, 'der einst dem Reich zum Frommen,
die Krone, die er selbst begehrt, des Nordens starkem Sohne darbot am Vogel-
herd', und auch jetzt dem Haupt, das Gott selbst erkoren, die Kaiserkrone dar-
bringen. In seiner eigenen Heimat, in Liil)eck, begrüfst Geibel freudig im
^Hanseatischen Ftötliede' das Aufziehen des neuen schwarz-weifs-roten Huiuies-
banners (IT 230). Und das unter dem Schatze dieses Banners kräftig sich
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P. LonnU: Em&mwl Geibel als poUtiidier Diditer.
693
entfaltende *Deut8che Leben* weifs er zu würdigen, wie nnr einer. Dsmin
liilt er es ftr T5]Iig nnberechtigt, Uber die Wendung, wdehe die Dinge ge-
nomm»), ni grollen, weil mancher sie ridi andnrs gedaebt hatte. Das waa
den Eem deutschen Lebens ausmacht, ist doroh die jetst gescbaffene Form in
seiner fruchtbaren Entwickehmg mit nichten gehemmt: 'Noch waltet am er-
erbten TTerde der floutsche Bauer schlicht und stark', 'noch Arüchst nnf lioliem
Schlofs marr^i kühner Sprofs 7Aim Rrttprtumo dos Geistesi und des Schwert)^
heran', 'noch Idillit ijesepirt in der Kunde der Städte Wandel, Kunst und
FleiTs', 'noch läfst zu niiimurmüdem Streben die Forschung ihre Fackel
Wehn' (IV 231). Aber aomig warnt derselbe Diehter dann wieder in den
*Salabaiger Tkgen* von 1867 (IV 233) vor dem 'Locbnf dee Sehknen mit der
eingeEOgenen Slaue*, ala Napoleon mit österreicb einen Anedilnra der sfld-
deutschen Staaten an Frankreich vermitteln wollte. AIh Antwort auf diese
'leise buhlende Sirenenweise, die so lind sich wiegt im West', sollte Deutsch-
land mit seinon Glocken das Könitr^fest seine«« Schirmvojrts einläuten l:iKi»en.
Geibel, der im Grunde seine» We^enn niclit eine kriegerische Natur ist,
empfindet es schmerzlich, seiner Leier noch immer nicht sanftere Weisen ent-
locken zu dflrfen, aber ehe nicht seines Volkes ganzes Sehnen gestillt ist, darf
er andere Saiten nicht stimmen:
Bern Gott gehorohend, der die Lejer
Dir weihte, harr' in Treuen ans!
Es folgen Wochen goldner Feier
Der Zeit des Baus. (IV 237.)
Harr' nm^. So hatte Geibel selbst das Gedieht vom Dezember 1867 fiber-
echripben, dem die nbiireu Verse entnommen sind. Und im Frühlinif des
nächsteu Jahres ist wieder ein bedeutsamer Schritt für das Zusammenscliliefsen
der deutschen Stibnme gethan: am 28. März 1868 hatte die erste Taguug des
deataehen Zollparlamenta stattgefunden, dem Vertreter aller deutseben Staaten
ai^jel^rten. Der Frflhling dieses Jahn» findet den Diehter wieder w£ einer
*Dentschen Wandersehaft' am Rhein (IV 238). Hatte er früher — In seinem
Fragment *Jniian' — den deutschen Strom als deutschen Lebens Bild auch
darin nnfohcn müssen, dafs er Tiulet/t ruhmlos im Sande verliinft, so kann er
ihn jetzt voi riner andern Soite betrachten. Hatto sein Laut früher trennend
gewirkt, so rückt jetzt die lloffnuntr ihrer Erfüllunj^ immer näher, dsA» man
aus seinen Trauben den Wein zum Kaiserfeste pressen wird. Und als am
13. September dea Jahres König Wilhelm in Lflbeck weilte, begrflfst ihn
Qeibel als den, der xom, waa not, gegeben^ *den Glauben an ein Vaterland, das
schdne Beehtj uns selbst au achten, das uns dm Auslands Hohn Terschlang*
(TV 240), eine aufserordentlieh antreffende Bezeichnung; dessen, was unter
Konig Wilhelms I. Regierung schon vor 1870 für das deutsche National-
bewufstsein geleistet war. Und es war eine gleichfalls würdige Antwort
hierauf, wenn dem Dichter für die Stellung, die in München nicht zuletzt um
seiner norddeutschen Sympathien willen unhaltbar geworden war, ein preufsisches
Jahrgehaltjzu teil wurde.
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P. Lorentc: Bnimiel Ctoibel als poUtiidier Dichter.
Endlieb nahf» das grofte Jahr 1870. Waa Geibal 1859 prophetiach aus-
gerafen; ^Einat geadiiaht's, da wird die Schmaeh aeinea Vonn der Herr aei^
brechen; der auf Leipzigs Feldern sprach, wird im Donner wieder sprediea',
jetzt ging es in Erfüllung. *Deinen alten Bruderzwist wird das Wetter dann
verzehren, Thaten wird zu dieser Frist, Helden dir die Not gebriren' flY 213),
jetzt wurde es Wahrheit. Wer wie Geibel mit Hein«»m Volke gehofft und ge-
zagt, wer wie er es gestraft und emutigt hatte, war berufen wie keiner, jetzt
in dem letzten Eutächeidungskampfe »eine Dichtung iu deu Dienst der naiionaleu
Idee m atellen. Jefafc entatehen alle jene Lieder, die, weil aie Mnen adäquaten
diclitonacben Anadmek fttr das gefunden haben, was unser Volk damals be-
seelte, weil aie Tiel&di sub specie aetornitatia den €klialt jener Tage aus-
sprechen, nur mit dem Ruhm jener grofsen Zeit selbst wieder verschwinden
können. Es ist Geibel in der That gelungen, 'grofser That ruhmvoll Gedächtnis
dauernd in feste Gestalt zu bannen' (V 68). Da ruft er in dem 'Kriegsliede'
vom Juli 18*0 (IV 243) sein Volk zum Streit in den gereiditen Krieg: *Empor
mein Volk! Das Schwert zur Hand! Und brich hervor in Haufen!' Da
prophezeit er in dem Tsalm wider BabeP (IV 244) der ongerechten Sache die
Niederlage: *Lobsingfe nur eurem GObnn in irechem Gaukelspiel! Der Herr
wird kommen und aetzen dem wflsten Bausch ein Ziel' Da achOderl er
markig und anschaulich in grofaen Zflgen die gewaltigen Augustschlachten
(IV 247 249): *Habt ihr in hohen Lüften den Donnerton gehört von Forbach
in den Klüften, von Weifsenburg und Wörth?' und weiter die Sehhiehtert
wun(h'r, die vereinte deutsche Hcldenlcraft zu Murs hi Tour und (Jravelotte
vollbracht. Uud am i). September steigt aus seiner Brust jener Hymnus zum
Herrn der Heerscharen empor, der die Bedeutuug des 1. Septembers als die
eines Weltgerichts aiuspricht: "^un labi die Glocken von Turm an Torrn
durchs Land frohlocken im Jnbelsturml* (ebd. 260.) Dann aber achl^t er
auch welÜidiere TSne an, giebt s. R in aeinem *Ulan* (ebd. 253) vom Oktober
dieaes Jahres ein prächtiges, frisches Bild aus dem Reitcrleben des deutseh*
französischen Krieges, das ein hübaches Gegenstuck zu dem Schilleraehen
Reiterliede a\is dem 30jährigen Kriege bildet. Oder er bringt in seinem
'Trinkspruch' (ebd. 252) ein Hoch auf Land Mecklenburg aus. weil uns
jene Ferle der Frauen fxab, Mie hohe Königin Luine, die Deutschlands starken
Hort gebar', die einat 'zur Zeit der Schmach und Schmei-zen der Engel ihres
Volkes war*; und weil es uns auch |^b ^jenea Paar mit greisen Brauen, daa
nnares Ruhmea Schladiten schlttg*, den alten Marschall Vorwirls, 'das blankste
Schwert des Vaterknda* und dann joien Alten, *dee Eriegsgotte Wagenlenker,
den ktthnon Schlachtcndenker, den Schweiger Moltke, Parchims Sohn*.
Der Dichter, der einmal aelbst von sich sagt:
Li der ZerstOcikelang Zeit daa Faaier anfwerfead der Hoihung
Dreifiag Jahre getreu rief ick nadb Kaiser und Bäck,
aah endlich mn 18. Januar 1871 aeine 8ehnauc]it erfüllt Bei der BegrObung
dieses Tages wendet er sich "an Deutschlaiul' (ebd. 255) mit j«iem F^uden-
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P. Lotents: EatumA CMbd als politiidier Diditer. 695
rnfe: ^nn wirf binweg den Witwenaehlmw, nun gürte didi snr Hochwilsfeieri
o Deatselilaiid, hohe Siegennl* In gralbfni Zügen entwirft er dann rflck-
blieksnd noch einmal ein Bild Ton dem ehemaligen Jammer der Zerriuenheii
Aber 'unter Thränen wuchs im stillen die Sehnsucht dir zum heil'gen Willen,
der Wille dir zur Kraft der That'. Und Torblickend knüpft er daran die Aua-
sicht auf das Bild künftiger Grofsp, wo das deutsche Reich, 'vom Fels zum
Meere waltend, des Geistes Bauner hoch entfaltend, die Hüterin des Friedens'
sein werde.
Bei der Friedeusfeier fehlt auch Gcibel nicht mit seinem Liede. Im
Man 1871 xanSchat aneht er meder den alten Vater Khein auf. Znm eraten-
male kann ea jetit heÜ^: *Nan grflili' dich Gtott, du deataehea Land zur
Rediten nnd rar Linkenl' (IV III.) Don Strabburger Münstertorm ruft er
zu, nicht 80 trüb hcrniederzuschauen : *Die Wunden, die die Liebe schlug, die
Liebe heilt sie wieder.' Jetzt sieht er am Main *die Brücke zwischen Süd und
Nord, dpr Eintracht Mal, gezogfin', und n!s er dann am Königsstuhl zu Rhense
ein Flügelrauschen zu vernehmen glaubt, da weifs er: 'Das ist der Flügelschlag
des Adlers vom Kyfl'hauser.' Dann, am 22. März 1871, dem ersten Geburts-
tage Küuig Wilhelms als deutschen Kaisers, dichtet Geibel einen 'Prolog zur
Friedenafeier' (Vm 19 ff.). Ala eine Liuterungsglat wiU er darin die Zeit der
schweren Not anfbaaen, die jeiat beendet iat Der Geiat d« Znreraicht zieht
jetzt ein; auf allen Gebieten deutschen Ijebena aoU der dentaehe Geiat Ton
jetrt ab aein hohea Tagewerk beginnen:
In Kirch' und Staat, in Wissenschaft nnd Knast
ErlQst Tom Bann des Fremden sucht er sieh
Die eigne Bahn und 8cha£Pt sich selbst die Form.
Die Satzung heimatlosen Prif-stortums
Durphhrirht. ilt r Oi-nker, dafs i^ii-h Glauben wieder
Und Leben sühne; freudig ziebn die Boten
Des Bekiba dahin, nm anf dem Fels der Madit
Der Freiheit Hans in Tranen ansnbann.
Und (las neue deutsche Reich ist auch seinem Wesen nach ein anderes
als das uiitteialterliche heilige römische Reich, dessen Wiedererrichtung wohl
der jugendliche Romantiker hatte ersehnen können. Dieses *ist dahin auf ewig,
nnd daa Begrabne wecken wir nicht auf*.
Endlich gedenkt Geibel 6ieft Bedeutung, die der lelate Krieg gehabt hai^
auch am Tage des Einzugs der Truppen in Berlin, den 16. Juni 1871 (IV 258).
*Seit am vereinten Werke des Südens Flügelkraft, des Nordens klare Starke
wetteifernd ringt nnd schafft', ist die Friedonszeit angebrochen, in der das
Banner "deutscher Ehre in junger Majestät prangt. Doch nun gilt es auch zu
flehen *um die Kraft zum letzten Siege, die Kraft, ancli ans dem Herzen der
Lüge hustre Saat, das Welschtum auszumerzen in Glauben, Wort und That'.
So betet ein Diditer, der seinen Bemf als Prieateramt auf&fsty hei der Feier
bisher unfirhSrter ^affenerfolge aelnea «ndlich national geeinten Yolkea:
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696
F. Lorentej EmaDuel Q«ibel als politucher IHcliter.
Zi«h' ein m atten Tboreitf
Da «(axicer, deutscher Geist,
Der aus dem Licht geboren
Den Pfad ins Licht uns weisL
Und gründ' ia unsrer Mitte,
Wehiliaft uibi fromm zugleich,
Ia FnÜMit, Znebt nnd Bitte
Dein tatttendjShrig Beichl
Aber mit der Beendigimg des fransSBiechen Kriegee und der Anftfatehung
dea Reiches iet Geibels Wirksamkeit als eines politischen Dichters nicht auch
beendet. Im ganzen ist er noch 13 Jahre lang in seinen Dichtungen mit
regem Anteil der Entwickelung unseres Volkes gefolgt. Die dankbare Erinne-
rung an dif «^ofse Zeit taucht immer wieder empor. Im Jahre 1873, wo er bei
seinem immer heftin;er auftretenden Leiden sich wohl dem Ziele seines Lebens
nahe glauben konnte, zieht er die Summe seines Lebensgewinnes, und da ge-
bSren denn zu den Preoden, die ihm noch geworden, beeondera swei, eine im
61fenÜichen^ eine im Privatlebeii:
Ich sab mit Augen noch die ^ege
Des deutschen Volks und sali das Betch,
Und legt' auf eines Enkels Wiege
Den frisch erkämpften Eichenzweig. (IV 112.)
Der geräuschlosen und doch tief wirkenden Frieden sthätigkeit des alten
Kaisers ctedenkt er im Anblick seiner LiebUnfjsMnnic. Wie die Kornblume
als ein Sinnbild ländlichen OlOcks zwischen den Aliren erMfjht, so thue sie
dem Volke kund, diifs höher als alle Triumphe ihn das stille Gedeihen fri^d-
iicben Segens erfreut (Y 46). Überwältigende Trauer ergreüt ihn bei den
Attentaten im Joni 1878. Den Stolz, den frohen Stolz ao& Vaterland, der
ihn in «einem schweren IcStperlichen Leiden biahmr aufrecht erhalten ha^ flthlt
er Bchwinden, nachdem ihn die Freude am Frfihling und die alte Lust am
Wein schon lange verlassen und auch die Poesie TOn ihm weichen will: *So
wird es Zeit zum Sterben sein ' (Nachlafs 170.)
Neben der ehrwürdigen Gestalt des greisen Kaisers aber ist es — nach
dem, wie wir Geibel als politischen Dichter kennen gelernt haben, mufs es
heifsen, selbstverständlich — noch eine andere, deren Schöpferkraft im neuen
Reiche Ton Geibel TerstindnisToll gewürdigt wird. Wer wie er lebendigen
Sinn för geniale GrÖfse hattej, konnte die an hnroiBche Heldenideale gemahnende
Gestalt des eisernen EaazierB in ihrer Bedentang f&r das dentsche Yolk nicht
yerkennen. Wir sahen schon, wie sympathisch Geibel das Auftreten Bismarcks
in der Konfliktszeit begrtt&te. Denn da bewahrte dieser sich als der Genius,
von dem unser Dichter einmal saj^t, dafs der Gott ihm znr Sebwester dio
Kühnheit gegeben (IT 214', als der Schiffer, der, wo Miesehräiikttrer Sinn
8eheu bebt vor stürmischer Meerfalirt, weil er im Wetter sich nicht kräftig
zu steuern getraut, . . durch Kiippeu uud Sturm führet zum Hafen das
Schiff* (ebd.). Er i8l> wie es «in andermal heifiit^ der Steuermann, der auf der
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P. Lorenta; finumifll Q«ibel all poUtiiehcr Diohlar.
697
Fahrt nach grofi^m Ziel am Siener ruhig zu sitzen versteht 'unbekümmert,
wenn am Kiel Lob und Tadel hochaufspritzen' CIY 90;. Das Wesen BismarekiadMnr
Staatskiinat im GegenaatB xu der bisher in PrevfiMo und fiberhaupt in Dentseh-
land hflirsdimden Politik, die niemalB den gemdeaten Weg vagbe, stete mit
kleinlichen Mitteln hantierte, apicgclt sieh llberh»apt in einer Reihe von
Sprachen in d«i ^Spätherbetblittem' wieder, so wenn einer lantet:
Dehi Js sei Ja, dein Nein sei Nein
Und scharf das Schwert an deiner Lende;
Die beste Staatskunst bleibt's am Ende
Doch, tapfer und gerocht 2u sein. |^IV
Und ein anderer:
Nicht wer Stuatätbeurien doziert, ein Politiker i^t nur,
Wer im gegebenen Fsll riditig das HögUche schafft (IT 157.)
Wie unzweifelhaft bei vielen das Wesen des Oenies treffend bezeichnenden
Aussprüchen Qeibel die Gestalt Bismarcks vorgeschwebt hat, so wird er auch
in mtter Linie ihn gemeint haben, wenn er dem Goethischen Gedanken, dalli
es gegen die Vonflge grofeer Naturen kern anderes Bettungemittel gebe als
die Liebei, in den Worten Ausdruck verleiht:
Alias OroAte beklemmt, wie es naht, und du fBhM dich nidit eher
Wieder befreit un Qemttt, bis du es lieben gslemi (NaehL 273.)
Geibel ist viel au objektiT, um nieht au leugnen, da& grobe Männer nur
groGie Seiten haben. Aber er wird nicht mflde, einanacAiftrfen, dab es porfide
ist, an der Sonne nur die Flecken sehen sn wollen:
Stets sweisohaetdig ist grobe Kraft;
Willst du sie fesseln deswegen?
Lieber was sie dir Übles sdiaffl,
H'mm in den Kauf xom Segen. (IV 91.)
Und wieder:
Tadle nur einzelnes nicht an grolsen Naturen. Der Fittich,
Der im Sdirsiten sie hemmt, trSgt sie zu liimmlischem Flug. (V 76.)
Von einem uuverjährten Recht de» Dichters Gebrauch machend, v crauächau-
lioht Geibel uns die Gestalt Bismarcks durdh mythologische Bilder:
Wie aus Jupiters Stirn einst Pallas Athene, so sprang aus
Bismareks Hiaupte das Beich waffengerttstet hervor.
Dann aber, an den Friedenszweck des mnien ReicliLs t'i innemd, fügt der Dichter,
die Anspielung auf iIlu ^lythos von ehr (iiburt der Athene fortsetzend, hinzu:
Thu es der Göttin gleich, (iermaiüa! Pflanzo den ülhaum,
Sei dem Gedanken ein ilort, bleibe gewalfuet vviu äiul {l\ lö6.)
Und wenn or an die gewaltifte hmt der Verantwortlichkeit denkt, die auf dem
erst( ti KtiiizUr des deutschen Kelches lag, so findet Geibel keinen treffenderen
Vergleich als den ^it Atlas:
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698
F. LoMDtt: Bniuii«! Q«ibel «1« poUtnehcv IMditer.
Ruhig, sicher und fetit, wie daä Uiumiblsgewölbe der Atlas,
Auf den fiehnltani tob En trigst da di« S&nlea dM Beidn.
MOge der Tag fem sein, der einst von der Bflrde dich abmft,
Denn kein Zweiter fBrwabr lebt, dw n» trSge, wie da. (IV 157.)
In einem völlig darcfageHBliiien Vergleich mit Herkolee (NteUil« 248)
hSran wir Ton dem ^roen, der am Maine die Hjdn der Zwietracht bezwang,
der am Rhein den msenJcti Löwen in den Staub gerungen. Der kämpft auch
jetzt *wider des römischen Huiiipfs lichtscheues Geflügel', wo ea gilt, die junge
Schöpfung des Reiches gegen die Übergriffe der Ultramontanen zu schützen.
Derselbe Herkules, der den Stall deä Augias, die alte deutsche Bundesverfassung,
Ton anendlichem Waste gesäubert, er wird aneh, so mft der Dichter xa-
veniehtUdi aas, im stände sein, den dreiköpfigen Oerberos, der ihm als
'polnischer Trot^ jesoitisehe Wa^ altidreUicher Hodmiuf enl^egenheihi, sieg-
rrich sn bestehen. Anf die schwere innere Gefahr, die gleich nach Beendigung
des grofaen Krieges dem kaum geeinten Volke drohte, kommt Geibel in sehr
scliarfon Versen wiederholt zu sprechen. Da fordert er den deutschen Geist,
ihn dem Adler vergleichend, aiil", sein Gefieder zum Flug wider die Unheil
krächzenden Raben zu schütteln, die dem Vatikan entflogen (Nachl 245). Und
dem Empfang Agamemnons durch die heimtückische Kl^tümneatra vergleicht
er den Empfang der si^reidi snrOokkehrenden Deotedieii doreh die tob Rom
bereiteten Schwierigkeiten (ebd. 246). Der kfilf^ch gescheitste Versnoh der
deutBchen Bischöfe, bei den Besehlflssen des Vatikanischen Komdls eine sdb-
sündige Hetnong m wahrrai, wird Tcrspottet mit dm Worten:
*Boim bat geqnochen', da bSrat Bo ergieb didi in Schweigen nnd glaobe,
Was du noch eben als falsch, was du als schädlich bekimpfirii;
Also pehout es die Bisehofspflicht; und jeden als Ketzer
Tlni in den Bann, der heut denkt, wie du gestern gedacht. (Ebd. 249.)
Über die der Verkflndigang des Unfehlbarkeitsdogmas zu Grande liegenden
hierarchischen Bestrebungen wird die vcdle Schale des Hohnes ausfjjegossen :
*Kommt, ihr Treuen nach Rom! Wir brauchen ein Dogma und haben's bei
dem heiligen Geist, wie wir es wünschen, bestellt' (ebd.). Aber der Dichter
ist ein Feind alier Finsterlinge, wie Hutten, dessen Geist er anruft^ 'im Spiegel
anf *s neu das Gebahren der finsteren Sippschaft m. aeigen, sei sie an Born und
am Bhein oder in Pommern an Hans*. Wenn Geibel so sdiaif in dem Ksmpf
gegen die CMhodozie der rämischen wie der erangeUsehen Kirdie vorgeht, so
ist er sich wohl bewols^ damit nur gegen faiefarchiflche Gelttste ni kämpfen:
Wider des Heilige Ubnpfeo wir an? Nem, wider den Hifiibnndi,
Den schamloser als je ihr mit dem Heili<.,'en treibt,
Wenn zur Sache der Religion ihr din ricreno Herrni h.su( ht
Lügt und im Priedensgewand weltlichen Hader entfacht. (Ebd. 250.)
Geib«d. der e.s .«elhst einmal ausgesproehcn: *Das ist das Ende der ]*hilo-
sophie, zu wissen, dafs wir glauben müssen', bmncht gegen den Vorwurf der
Irreligiosität nicht in Schutz genommen su werden. Was er erstrebt, ist, die
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f. LoraitE: Emanii«! OuImI ak polilMMiMr Diditar.
699
Schranken, die Dogma und Kirche auffrt^richtet haben, zu beseitigen, den Unter-
schied zwischen UehgH>n and Theologie' j, zwiichen dem Leben im Ohraben
und dem blofsen Bekeimen wieder als wmenftidi snr Anerkennung zu bringen:
Dai8 seit Jahrea der Strom des uatüriiclieri Lebens und Denkens
Fremd, in gesonderter Balm, neben dem geisüidien fliefet,
Daran kranken wir alle; nnd wir werden nicht wieder gesunden,
Bis im vereinigten Bett Woge mit Woge sieh mischt (Naobl. 260.)
Gebt ilur dem GSttlidien irdische Form, wie wollt ihr es bindeni,
Dafs sie das irdische Los alles Vergänglichen teilt?
Alternd erstan-t sie zrilctzt und im Druck verkilnmiprt der hohe
Inhalt, oder zersprengt, sich zu betrei'n, das GefaDs. (IV 169.)
Daher die häufigen Mahnungen, veraltete Fonncn zu ändern (IV 169 91). Aber
recht aoagerflstei mols man sein in diesem Kampfe. Wer ihn wagl^
Trag* in opferfreudiger Brust des Glaubens
Bicheni Ilorf, thnin ninuner bezwingt den lü£»braach
Bloise Vemeinungl (NachL 252.)
Unter dieser VoransaetBung kann man furclitlos in die verdumpften Räume
des Heiligtums trctt n, um sie von tausendjährigem Wust menschlicher Willkür
zu säubern, niclit iiclitcnd des Wiitgekreisches aufscliwirreiuler Fledermäuse,
doch sich hütend vor tlem BÜ's der tückisch bäununden Natter. Der Stur»
dea Tempels selber ist nicht zu fürchten, wie kleingläubige Freunde wohl
meinen.') Und als — ein AusfluTs des kirchlich-fanatisdwn Hasse« — gegen
Bisman^ mh. die Mdrderhand erhob, am 13. Jnli 1874 in Eissingen, giebt
Oeibel mit wuehtigem Worten seiner Entritotnng Ansdnu^ die sogleich Wesen
und Bedeutung des eieemen EamderB treffend aasqpredien. Wie Siegfried
«allte der Held am Bninnen, wo er sidi, Labung schlürfte sorgen- nnd waffenlos,
vom tödlichen Gcschofs getroffen werden. Doch rein blieb von solchem Greuel
der Saale Flut, und dankbar jubelt Deutschland, dafs ihm das teuerste Haupt
gerettet. (VIII 2ö.)
Der Wunsch müsse jeder deutschen Lippe sich entringen, dieser Held möge
T^Ongt wie ein Adler in den Kampf zurückkehren, er ^Europas Friedsnriiort
nnd Deutschlands m&chtiger Pfeiler, 6ßr Ifann der Männer'. Wenn das künftige
Bismarckdenkmal vor dem Beiehst^isgeHude auJser dem blofsen NamMi dessen,
den es darstellt, noch eine Sm charakterisierende Inschrift brauchte, hier fände
es eine. Geibcl, der so oft Gelegenheit nimmt, die überragende Gröfse Bisman^
dem Yorstiindnis der Mitwelt nahe zu brinji;en, brielit, nh die Pygmäen wieder
eiomal dem liieseu allzuheftig ansetzten, in die zornigen Worte aus:
Was habt ihr denn, ihr neunmal Weisen,
Mit eurem Witz pehracht zu stand,
Eh' euch der Hold mit Blut und £isen
') Vgl, lY 92.
*i Vgl. oben S. 687 und im Nachlab S. 261—265 S69 u. dfter.
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700
F. Loreutx: Enianuel Qeibel als politischer Dichter.
Gewaltig schuf ein Vaterland?
Und jetzt, nachdem er i>!in'' Wanken
Zum ilafea euer Öchili ^oleukt»
Nun woUt ihr kritteln, aabaMafu und nnkan,
Statt Gott auf euren Ktdefn sa dnnlnii,
Dab er «ach nlchen Uaan geschenkt? ^ndiL 351.)
Gleiok dem gro&en politieehen SSnger des Mittelaltera iBlittn wir 0«ibel
Jaiirzelmte hindurch im Kampf für Kaiser und Ileich, im Kampf gegeu äuTaere
und innere Feiude, gleich Walther von der V'ogelweide auch besonders be-
fehdend (hf Herrschgelüste «Icr Kirdic. Unter Witlthors Liedern ist eins, das
man wohl als das mittelalt^rlitlu- 'Deutschland über alles' bezeichnen kann:
Ich Juin Uindc vil (je^rlien u. \v. Darin begründet der Dichter seinen Wunsch:
lange müese wh leben dar inm damit, dais er die uuiicialtcrlichea Ideale der
äukt, der iugeiU tmd reinen nmne nirgend so verkörpert gefunden habe als
in deuiadien Miniieni and Franen. Der nationale ^nger des XÜL JahrL kennt
die weltbewegrade Entwiekelnng deutsehen Qeistealebena, wie es wuraelt in der
Befreiungsthat der Reformation, wie es seinen Höhepunkt erreicht in der
Humanitiitsepoche des XVIU. Jaluh., wie es den das XIX. Jahrh. mächtig be-
herrschenden (Jcdankcn der 'Entwickelung' zuerst gefafst hat. Da spricht auch
er typische Züge deutscheu Wesens — in seinem Mnliau' i Ii 264) — aus. Än-
knüpleud an den urdeutschen Wandertrieb betont er uuücre Fähigkeit, Vorzüge
iremdlilndischer Kulturerrungenschaften zu eigenen neuen Werten umzugestalten,
rfihmt er *die eehoieiehe Brust', die uns zu teil geworden: *Des Grieehea
Sdiönheitslust, des Börners Hoehsinn, den Humor des Briten, des Spanien
Andaehtflglut und £hrenblus(^ des Fransmanns Wita nnd leichtgef2Ii'ge Sitten,
des Patriarchen Glück, der in den Landen des Aufgange sehweiflj, — wer hat's
wie wir verstanden?' Und wenn derselbe Sänger auch an der nationalen
Errnntjenseliaft der Deutschen des XIX. Jahrh. niitjjearheitct bat, so wird er
uns überhaupt ein zuverlässiger Verkünder der Güter sein, die die dauernde
und fruchtbare Weiterentwickelung deutschen Wesens bedingen. Er drückt
sie durch diese 'Mahnung' in seinem dichterischen Nachlafs aus (S. 157 f.):
Mut und Treue sonder Fehle,
Einfalt, die vom Uoneu klingt.
Und den tiefen Zug dw Seele,
Der nuili solncin fiutie riagtj
Walirst du die, wohlan, so wage
Jeil(>n Kanipt' voll Siegeslust!
Denn du ti'ägät s^uküuit ger Tage
IVohe Bltargiehafib in der Bmsi
I
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REGISTER
DER IM JAHRGANG 1898 BESPROCHENEN SCmUFTEN.
Seite
Aua dem klansischen Süden (Lübeck IH'JG) lüa
Bacchylides cd. hy F. G. Kenyon (London 1HS)7) g'jfi
E. Brnndenlmrg, Moritz von Sachsen L (Leipzig 1898; ü'jr»
J. W. hruinier, Der urspr. Plan von Goethes Faust u. seine Geschichte i München 1S98) 61C
L Brunn, Die Persönlichkeit in der Oo8chicht*f8clireibung der Alten (Berlin 18U8) . . 62h
C. Bulle, Ovids Verwandlungen in Stanzen übersetzt (Hremen 1898) 22a
Ä". Burewh, Au« Lydien. Herausg. von O. Hibl>eck (Leipzig 18'J«) 470
P. ('(/rsnett. Die Antigene des Sophokles, ihre theatral. u. sittl. Wirkung i Berlin 189«) 47k
B. JMi'idsohn, Korschangen zur älteren (iesch. von Florenz (Berlin 1896) 211i
B. Dand>t(Jtn, Geuch. von Florenz L (Berlin 1896) 21K
Forschungen zur neueren Littoruturgcsch. HerauHg. v. F. Muncker (München 1896 ff.) aiü
IL (lerdts, Gesch. d. deutschen Volkes u. seiner Kultur im Mittelalter II. (Leipzig 1898) afiö
Ed. Herriot, Philon le Juif i Paris 1898) iiU
Hislorist'he Bibliothek. Herausg. von d. Red. d. bist. Zeitschr. (München 1897 f.) , .
O. lloffmanu. Die griech. Dialekte III. (Göttingon 1898) üül
Hohenzollern-Jahrbuch. Herausg. von B. Seidel L (Berlin-Leipzig 1897) 212
L. Jwubi, Das Römerkastcll Saalburg. 2 Bde. (Homburg 1897) 2M
J. Juxtruic u. G. Winter, Deutsche Gesch. im Zeitalter d. Hohenstaufen L ^Stuttgart 1897) afil
G. Kaibel, De Sophoclis Antigona (Güttingen 189") 248
G. Kaibel, Wissenschaft und Unterricht (Göttingen 1898) älL
A. Klette, Die Selbständigkeit de« bibliothckar. Berufes in Deutechl. (Marburg 1897). älü
G. Koepper, Litteraturgesch. des rheinisch-westfälischen Landes (Klberfeld 1898). . . fiCx
B. Kögel, Gesch. d. deutschen Littenitur bis zum Ausgange des Mittelalters L (Strafs-
burg 1894—97) lüli
B. Krauß, Schwäbische Littcraturgesch. L i Freiburg 1897;.
Luthers Werke. Kritische Gesamtausg. (Weimar 1883 tf. t üfiä
A. Meitzen, Wanderungen, Anbau und Agrarrecht der Volker Euroiias nördl. d.
Alpen II. (Berlin 1895) Mü
Monographien zur Weltgeschichte. Herausg. von A'. Heyck (Bielefeld 1897 f) ....
J. W. Xagl und J. Zeidler, Deutsch-Österreich. Littcraturgesch. 1 Halbb. (Wien 1897)
K. Xordett, Die antike Kunstprosa i Lcipzig 1898) fiSS
M. I'hilippson, Der (frofae Kurfürst Friedrich Wilhelm v. Brandenburg. L (Berlin 1897) 541
Prosopographia Imperii Romani saec. L H. III. Pars I ed. F. Kleba. Pars II ed.
iL Dejimu (Beriin 1897j Sa
G. Bichter, Annale» d. deutschen Gesch. im Mittelalter III. Abt 2. Bd. (Halle 1898) ülü
M. ,St h neide >ciu, Die antike Humanität (Berlin 1897 i 1
Fd. <). Schulze, Die Kolonisierung und Germauisierung der Gebiete zwischen Saale und
Klbe (Leipzig 1896)
F. Hudmayr, Goethe u. d. klass. Altertum (Leipzig 1897) äl 22A
IL f. Treitfchke, Politik L iLeipzig 1897) Aüil
F. Vogt und JL Koch, Geech d. deutschen Litteratur (Leipzig und Wien 1897). . . 132
J. Volkelt, Ästhetik des Tragischen (München 1897 y 2M
J. F. Wackernell, Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol (Graz 1896) 221
L. f. Wilumotcilz- MöUendortf , Goethes Pandora (Goethe-Jahrbuch XIX 1898) .... IM
Keu« JahrbOcher. 18U8. I.
41
SACHREGISTER.
AchiliHche Spracbform f<og f.
Adel IM
Adelung äfi ff.
Afrika, römische« Iii ff . fiäg ff .
Agon aiii
A^areeBchicht« 311 ff. ü2& ff.
Aias des Sophokles llß
Akademie, rlatooicche 21i9 f.,
484. prcursiacbe f. äl£
Akrago« IM
Alabarch b21
Alethia des Marius Victor 411
Alexander d. Chr., Tod 202 f.
Alcxanderschlacht -iKO
Alexaudria, Juden in »lA ff.
allegorische Bibclerklilrung
Sil &2fi f . 032 f
AlUlre in Rom 'iä!
AltertunisBtudiuni in d. Gegen-
wart öfi f 32h f.
Amorgos 504 ff.
Annaion d. deutsch. Ge«ch. '^7<>
anntus magnu» 100 ff.
Aiitenoriden des Bakchvlide»
äüü f.
Anthologia Latina 4111 ff.
Antigonc dos Sophokles lila ff.
4IA ff. Ha ff.
&no%aTdaxaaii der Stoiker
lO'J ff.
Apologetik, altchristl. 4M tf.
Archermos 'isÜ ff.
ArchilocbuK &Üit f.
Ariadne, Terrakotten SM f.
pH.-Arist^^as fi>il f.
Ps.-Aristobul äÄi ff.
AriHtophaues, Ekklesiaznscn
2a ai ff.
Asinius Pollio lüä ff. Söhne
lllÄ ff.
Äsop 3or> ff.
Xsthetik des Tragischen SM ff.
Astronomie, G«flch. der äfiö ff.
Athcna Nike, Tempel auf der
Akropoli« Ji2ö
Athena Partbenos des Phidias
m f.
Atlantis <Ü ff. 4^
Augustinus 411 4lrt f.
Babrius mit. ailü ff.
Bakchylidc« Sifi ff.
Baukunst, Entwickeluug der
griech. öfiU ff. ilih ff. griech.
des Westens 131 ff.
Befestigungen, griech. lüü f.,
in Karthago 143. in .Sizilien
32ä f , in Lucanien 324, im
Lande d. Aequer 325. in
Umbrien 3'J6 , römische in
Germanien äfia ff.
Bibelerklärung Philos bll.
ä2fi f.
Bibelübersetzung der Septua-
ginta m f &aü ff .
Bibliothek deutsch. Gesch. Ml
Bibliotheken 313 f.
Bismarck bei Geibel ßilfi ff.
Brunhild ff. 434
Bur( khanlt, Jac. ÜÄ Iii ff.
Buresch, K. Hü ff.
Carlowitz, G. v. QM ff.
Castol del Monte, Apulien
lifi f.
causa Curtnnn Ii
Chronologie römischer Kaiser
4fi ff.
Cicero, Vortreter d. Humanität
a ff , Rhetorik QAl ff. , Ehe
mit Terentia 114 ff.
Civitii Alba 3211 f. 334 ff.
llenietrios Poliorkete« 4äü f.
Domosthenes, Harpalischor
Prozefs mi ff.
Deutjich-franz. Krieg bei Geibel
GäA ff.
Dialekte, öriech. äül ff., I). des
Bakchylides 24ü f.
dtüvoi« ». QIITÖV
Dichtcrsprache, ionische i'iOl ff.
Dietrich von Bern 444
(Ii indigeU» und novcnidde»
103 ff.
Ps. -Dionysius v Halikornaf!«,
Rhetorik Uli ff.
Dithyrambus 244 f.
Diu»' Fidius Ififi
Domäaenordnung. röm. fi'2H ff
Dorfformen der Slawen 34ü f.
dorischer Stil 574 576 ff.
Dreifsiitaähriger Krieg ü43 ff.
'Dreifsi^ 'J\Taunon' imter
ValenanuB u. Gallienus 41t ff.
Eberhard, deutsche Wort-
forschung 5fi ff.
Kdda fiil ff. 434
Ele^e, ionische M3 ff.
emhaenitica 332 f.
Kmpedokle«, Scbilderuug der
Urzeit 24
Erdgeist in (toethes Faust
£11 ff.
Eros 311t 3äl 3aa 4112
Eryx 141
EssOcr OIÜ f
Etrusker bei Theopomp SiS f.,
Sprache 4111
Euenos v. Paros f»io f.
Euhemerus lüfi ff.
Fabel, äsopische 3illi ff.
Faunus 112 f
Faustdichtimg de« XVTll. und
XIX. Jahrb. 371, Goethes F.
Sil ff. ßfill ff.
Fixsterne, Auf- u. Cntergänge
3&h ff
Flümlinge ^ 34!i
Florenz, Geschichte im Mittel-
alter 210. ff.
Flflgelgestalten 3M ff-
Frauen, im Altert. 10, römische
17G. Emanzipation 4ä4 f.
FröBiihvOrlcr Iii»
FreytUjg, Gust. 448 450 ff
Friedrich Wilhelm, Kurfflrst
541 ff.
Fundberichte, italien. ää3 ff ,
der ReichslimeskonimisKioo
2fi3
Cialenus, Chronologie 4ä
Gallierkampf, Terrakotten
334 ff.
Geibel, Em. fili ff.
yivt^Xittnol ioyiM, Vorschriftcu
für die Abfassung Uli ff.
gcnethliacoH 107 ff.
Genius 1^
geographische Lehrdichtung,
Hpätrömischc 414 f
Germanen in Nordafrika 62'J
Geschichte und .Sprachwissen-
schaft 4öä f
GeschichtsaulTassung, indi-
vidualist. und kollektivist.
4äfi ff IfiÜ f .
Geschichtsschreibung, antike
fi3ii f.
(loethe, (Jöttcr, Helden u.
Wieland 224 375. Faust
an ff fißa ff., Pändora 4M.
als Dramatiker äüf, Verh.
zum klass. Altertum iü. ff.,
Sophokleskritik 241» f. 475 ff.,
Plutarchstudium 353. Verh.
zur Romantik fiI2 ff
(«oethcgcsellvchaft 4ä4
Goldnes Zeitalter 24 ff. äS
llü ff.
Gorgia« 640 ff.
(KUterbilder, römische IIU ff.
Göttermythus, germanischer
fiü ff. 434
Grilbcr, in Sizilien 131 f 32fl f
320 ff , in Etruricn 321 f.,
bei Palestrina 328 f. in
Tareut 320^ bei d. Saal-
burg 2111
Gracitüt, 'neutestamentliche'
531> f.
Sachrejfirtter.
(iramtuatik, nliit. Iii tf.
(»rimni, Jac. M ff IfiU Ali!
lai 497, W. fiü 442
Hufenanlugcn, ^iech. 512 f.
Hullt'iil/auU'n, ffriech. 671
Hantlluicber für ffriech. Uhe-
toreuHchulen SÜÜ 312 ff
HandHchriften. f^riech. Fubeln
an f , des Philu ÄlA f.
HarpiiliRi her Prozefs 3M ff.
Hauptiuiinn. (ierhart aiiJ f.
Heinrich I, doutachcr Köuie: IUI
HekuUius von Teos lilä f.
Heldentlichtuof;, ^germanische
fih ff. IM f . laa f .
Helleniiimue r»lA ff.
hf^llenistiHche Liiteratur-
Bprache [iM ff.
Hcruklefl bei Bakcbylidc8 240f.
Heraklcstonio aus Tarent 3h2.f.
Merodes, Judenkönig in Rom
124. T. Claudius Atticus U f.
Herodot, Bezieh, zu Sophokles
2üli 2111 f. ila
Hcsiod, Werke u. Tage 2fi
Hieron von Syrakus 232 ff.
historische Lehrdichtung,
B)Mltrömi9chc 412 f.
HobenstAufen ä£I f.
HobenzoUern-Jahrbuch 212 ff.
Homer, Dialekt üül ff.. Ver-
bind, mit mvken. Kultur ^7f>.
Oocthe« Ve'rhältn. zu M ff.
Homer, IdealHtaat 2ü f.
Humanitilt, antike 1 ff.
Hürnen Sejfrid, Gedicht vom
II ff.
Hy)K)kaustuni, römische« älüf.
lambcu des 8cmonidc34 f.
lambuloH ULi ff.
lanus 1 7 1 ff.
luftpiter fictUiji IM 1"
iberischer Sprachstamm 49» f.
Idoenlehro, Platonische ö'JQ f.
Indogermanisch iäl ff-
Inschriften, ion. Elegien auf
508. aus Lydien AU ff.,
römische 331 ff &>>i ff., Zeug-
nisse für röm. Namen 13 If.
Tonisch Ml ff,
Ironie ilü ff.
Isidorus All! f.
Isokrates ülü tf.
Italien, badische Studienreise
nach laa ff., Fundberichte
aus aSit ff.
Jacobi. V., Agrarhist :^4« f
Jahn, Fr Ludw. äfi ff.
Johann Friedrich , Kurfürst
liüü ff.
Judentum LheIleniKt.Zeitöl4 ff.
jüdischer Einflulsb Virgil llUff.
Junges Deutschland f.
Kabiren Sül»
Kallinos M(ä f.
Karl V. fita f fiilA eiifi tf
Karthago lü ff.
Kastell, rßmisches 212 ff.
Kelten in Deutschi 4M2
Klientenpoesie, römische Hl
Knielaufschcma 3hl f.
Kolonisation, mittelalterl. in
Deutschi Ml ff.
KomnuHsion f. Oesch., Kgl.
silchs. >
Komödie, attische 22 tf.
KonHikt«zeit in Prcufsen JUiö
Königsstandartc bei d. Persem
4H»
nolvr'i bei Philo m tf.
Kreon l»ei Sophokles 2AÄ ff.
llfi Aia tf
Kronos, Reich des 5>ä ff. M f .
iliJ ff.
Kulturgeschichte iAü ff.
Kunstprosa, antike fiSl ff.
Kurfürst, d. Grofsc 611 ff.
Kyme m f.
I^chmanii, C. deutsche Philol.
•il f., Verh. z. Rumantik fifl
Lagerstadt, römische Jilfi tf.
Laren Uli
hirtidim 177, 1
Lautgesetz AÜli f.
Lectisternien Uü f.
Legionssoldaten, Thätigkeit
der 2Iil ff.
Lehrdichtrmg, snätrömische
404 tf,, altohristliche Alla ff.
Lex Manciana 028 tf.
ligurischer S]»rach8tamm Aäöf
Limes, oburgermanischer äfiii tf.
Littcraturgescbichten, deutsch.
Aä2 ff. üfiM
Livius fiaü f.
Logosichre 53ft f.
Louise Henriette von Oranien
äia
Luther, Ausgaben 5fi&ff,, Hand-
schriften RBfi f., Predigten
567. sprachgoschichtl. Be-
deutung öM f.
Lydien ilü tf.
Kunciana, lex OHü tf.
Marcellus, Do medicamentis
415
Marius Victor All
Marktanlagcn, griech. bll
medizinische Lohrdichtung,
spätrömischc its f.
Megaron, mykon. älS ff 655 ff.
Menander, Rhetor lÜK ff.
Mephistopheles Uli ff.
Messana L34. f,
Metoi>en ühSi ff.
Metrik des Bakchylides 24S
Mimuernios ül2 f.
Minervatorso in Rom •t'M f
Moritz von Sachsen 595 ff
Mosaik von Torre Annunziata
327. 1 SM ff. , von Sarsina
'dM ff.
Moscherosch. Paticntia SU
Müllenhoff, C (Li
Münz«'n, Zeugnisse für röm.
Namf-n 4^1 ff.
.Mykenao, Hauten ff.
>'amen. ungenaue Dberlief,
römischer 41 ff., Bedeut. für
Sprachvrissensch. u. Uesch,
M2 Mfi 4H'.> f 494 f
Xast, Scliillers Lehrer 122
A2A
Naturalismus, moderner tiA6M
Nereidenmouument 3QA
Nibelungenlied fii f. 68 ff. 434 f.
All f
Niederlande 544
Nike ai2 tf.
Nordischer Krieg, erster hlüi ff.
Odinn II ff.
Oliva, Friedenskongref« zu
563 f.
Olvmpia, Bauten älö bll filfi
« ^Ifi ff-
Osterreichische Quellen und
Forschungen 221 ff., Litt*-
raturgescii. 413 ff,. Volks-
charalcter 445 , Nutiunali-
tÄten iM
Oflthoff, Herrn, £1
Ostjieeproviuzen, russische 34H.
Otto d. Gr. 311
Ovid, Verwandlungen in Stan-
zen übersetzt 22Ü f.
Paionios 222 tf.
Papyrusfunde 225 ff.
Parzival ISä f.
Passionsspiele, altdeutsche in
Tirol 221 ff.
Paulinus v. Nola AM
Pclasger 121
TfilTj) bei Xenojjhon 480
Persönlichkeit in d. ant. Ge-
schichtschreibung Sita f.
ipaivöfitvos sichtbar, nicht
scheinbar 366 tf.
Phcrenikoß, Rennpferd 233 f.
Philipp v. Hessen, Landgraf
Ü2ü ff.
Philo filA ff.
Philologie, Verh. z. Spracb-
wiascnsch. 485. Goethes Verb,
zur Si3ff., deutsche Mff. fi2f.
Philosophie, soziale L G riechon-
land aa tf.. Philo« bll ff.
Philotimus Uli ff.
Phokylides Iil3
Pindar 222 ff.
Plate, Akademie 33Ü f. AüA
47*
7<4
Sachregister.
Plato, Sozialphilosophie ff.,
Timäufi ül ff., Kritias 5il ff.,
Darntell. des Sokrates ÜÜi ff.,
auf Mosaiken ^}iä (.
Plutarch bei Schiller m ff.
Poesie u. Rhetorik im klans.
Altert. 021 ff.
Politik, Vorlesungen über
459 ff., Geibel u. «1. P. filü ff.
Polybiu» QM f.
pomjM circetxsü 1Ü2
Pompeji 141 'A'll
tMmderibus, (Carmen de 400
^jpuluriHierung durch spilt-
röni. Lehrgi'dicht« lüfi ff.
ProzeiHgedichte des Cod. Sal-
mas«. 113 f.
Prosper, Carmen de ingrutis
4(>'J
ProHoiM)grapliia luipcrii Ko-
mani 'Sa ff.
Prudcntiu« ilW ff.
P> thiaden m f.
Rechtswesen im Altert. Iß ff.
ll«fonuation in Sachsen üitl ff.
Heim, Trsprung des lüsi f.
Religion 467. Verhilltnis zum
Uecht Iß
Renaissance liül ff.
(irjrov *a\ Öiüvoiee lü ff.
Revolution von 184H ttnl f.
rheinisch - westfül. Litt«ratur-
gesch. "fix
Rhetorenschulen. Fabel in den
ailfi 212 ff., Lehrgedichte für
ilA
Rhetorik JJi ff., u. Poesie im
klasK. Altert. £ull ff.
Rhythmus in d. ant. Kunst-
prosa Üäil ff.
Riehl, W. IL UM ff
Romantik fia f., filü f.
Rousseau über Plutarch 2i22 f-
Rundling aiii f . Mü f .
Rutilius NamatianuB iM. f.
414 f.
Saalburg iHü ff
Sachsen, Besiedelung MI ff.,
Reformation äiil ff.
salischo Kaiser ff.
Ps.-Salomo, Huch d. Weish.
ü2a ff.
Samos MLl ff.
Saraothruke, Kabirenheiligtum
3'Jt>. Nikestatue aillJ ff.
San Jago di Compostella,
Wallfahrtsort Iii ff.
Scherer. Wilh. ÜÜ f.
Schiller. Plutanhstudicn 351 ff.,
Rüuber äüä ff., Hcklors Ab-
schied .^56, Milnnerwürdc
f., Fiesko Aliii ff., Don
Carlos 418 ff., als Historiker
420. als Philosoph i21 f.,
Gedichte 42Aff., Wallenßtein
f., Themistoklesfragm.
laii f.
Schirach G. H., Plutarchüber-
sctzung SM f.
.Schlegel, A. W. und F. all f.
Schle8wig-hol8t«in. Fragefiiaf.
Schmalkaldischer Bund liliH ff.
schwäbische Litteraturgesch.
446 f.
V. Schwarzenberg, Adam äiä ff.
Schwimmhaltung von Flügel -
gestalt«>n 2ä3i f.
Segesta lüä IMi f .
Selinus, Tempel laa f . Jiül ff.
tUUi ff.
Semonides üOl ff.
Sentenzen liei Sophokles 255 f.
Sereuus Saumionicus lUü f.
Shakespeare, Ironie bei ill f.
Sibylle, cumlliscbe Hilf., jüdi-
sche m ff.
Siegesg«?silngp, des Bakchy-
lides i21 ff., des Piudar
222 ff.
Siegesgöttin, griechische all ff.
Siegfried QJi ff. iül
Sileu m. d. Dionysosknuben
m f ,
SilvanuB Hüi f.
Sisebut, Gotenkünig iQl
Sizilien, älteste Kultur Ißüff.
3*24 ff., griechische Nieder-
lassungen Li2^ff., semit. 140f.
Sklaven im Altert. Ii f.
Slawen, im Mittelalter unter-
worfen aiü ff.
Sokrates bei Plato bhh ff.
Sondergötter aiü f. illil
Sophokles, Antigone 2iS ff.
HL ff. m ff.
soziale Dichtung d. Griechen
2il ff. hü ff. lüli ff.
Sozial iM)litik 455 ff.
Sprachstämme L Europa 490 ff.,
griechische üü2 f.
Sprachverein, deutlicher fili
Sprachwissenschaft, vergleich.
M ff. laü ff., gricch. Ml ff.
Staat 4fi2 ff.
Staatsidce im Altert. U ff.
Staatsromane, griechische ÜHS.
lÄü ff., moderne 5il ff. lill ff.
Städtebau, |^ech. 57 .H
Stoiker, Sozialphilosophie f.
Strufsen u. Wege, griech. 512
Studienreisen, badische 122 ff.
Stylobatc qM f.
Syrakus IM
Tacitus ßa& f.
Tarent 135 f. 329
Tempel, Geschichte des griech.
öfili öia ff. fiüfi ff.
Tempel des kapitol. Juppiter
33f>
Temi)elbezirke, griech. &lü
Terentia III ff.
Terrakotten, sizilische 330. von
Civitä Alba A3A. ff.
Theater, griechische &11
Theognis im ff.
Theokrit, Verh. z. Virgil 4M ff.
Theopomp, vom meropischeu
Lande ÜÄ ff.
Theseussage bei Bakchylides
211 ff.
Thidrikssaga, norwegische TOfT.
Topographie, von Griecheul
älül ff. , von Lydien Hü ff.,
von Nordafrika III ff., von
Italien u. Sizilien lüD ff.
Süa ff., des obergenn. Limes
2fia ff.
Tragische, das Süfi ff.
Trajan li2Ö ff.
Trebellius PoUio Iii ff.
Treit«chke, iL v. IM ff.
Triglyi>hen 653 C5K ff.
Triiunphator, römischer ifil f.
Troja, Baugeschichte öH ff.
Tullia, CiceroH Tochter IZä ff.
Tyjius in der Geschichte 45<> ff.
TyrtaeuB üüä f.
Urgeschichte Kuropas 421 f.
Vejovis lüö f.
Venedig, Abfahrt«ort der Jeru-
salempilger lüü f.
Venus Pompeiana llü f.
Victoria 1112
Villa Magna Variaui, afrika-
nisches Latifundium {I2ä ff.
Villa, römische in Boscoreale
327. bei d. Saalburg 211 ff
Virgil, L Ekloge llillff., 1, Ekl.
lilü ff., Verh. zu Theokrit
4M ff.
virginitatis, De laude, Lehr-
gedichte 410
Volksbücher, griechische .'{05 ff.
Volkstum, deutsch, ül ff. HU ff.
Vortrag antiker Reden 6ii f.
Vorspiel zu Goethes Faust
fifiil ff.
Waberlohe H ff.
Walküren 14 ff.
Wallfahrten des Mittelalt«»
14a ff.
Waltharius 442
Walthcr v. d. Vogelweide 44&
Wasserbaukunst, griech. üI2
Weihgeschenke äM
Westßlischer Friede i4lt
Wümanns, W. fi4
Wissenschaft im .Mtert. lü ff.
Wissenschaft und Unterricht
m f.
Wohnhaus, gricch. 57 1 575 f.
Wulfram v. Escheubach 4M
d by GoOgl
NEUE JAHRBÜCHER
DAS KLASSlöOflE ALTERTUM
GESCHICHTE I ND DEUTSCHE LITTERATUR
UKD PÜB
PÄDAGOGIK
FfFR \rFnFOFBFN VON
Db. JOHAITNES ILBERG Db. RICHARD RICHTER
BESTER JAHRGANG 1898
I. UND IL BA 5. HEFT
Auigegebes am S. Jtmi 1898
LEIPZIG
DRÜCK ÜND VEELAO VON B. 0. TEÜBNKU
1
NEUE JAHRBÜCHER FÜR DAS KLASSISCHE ALTERTUM
GESCHICHTE UND DEUTSCHE LITTERATÜR UND FÜR PÄDAGOGIK.
J&hrUch 10 Hefte ni je etwa 8 Drackbogen; der PreiB für des Jahrganr
betiillgt 28 Mark. Alle BuohbandlacgeD und PostiuiBtalteD nehmen Bestellnagec ai.
Die jfNeuen Jahrbflcher" bestehen ans zwei selbttftndig geleiteten, jedoch nor
ungetiennt aasgegebenen and eixuceln nicht verkKof liehen ' ' ' ingen. Die für die
erst« Abteilang bestinunten Beiträge, Bftcher u. s. w. sind an L' i j ou. Llbergj L i ^ i - .
Rosenthalgasse S, II, die Sendungen für die zweite Abteilang an Rektor I .
Bich. Richter, Leipzig, Parihenstrasse 1, II, zn riehten.
r^TTTAT T DES V. TTFFTfFfJ
I. ABTEILÜITG (L BANS).
Das Pr, ■•'lu-intn Fabtl ^' I'rofeMor ^ lauarjiiu lu
'i-.-rjii,. .... 3nri —
■he Fumüterichie. Von Dr. Hans Oraeren in Born
JJu iio fufcnf. Von Dr. Robert Wuttke in Dresdeo .
, j ' V.,!i Ii.- V-.-' V-:... :„
■ I und M
Zur Geschichte der Astronomie (Prof. Dr. Aibin Uftbler m Leipzig f\ —
1) J. Jost I ' .
Stauf f h , . j
'w» htc im .V
alter (Dr. Krnst Derrient in Jena). — y n zur neueren Litteratur-
tjesdiichte, herauig. von Fr, 3Iund' bert W
1 Klrtte, Die SelbstäHäigkeU dt. uer, Beru, .... . u. ..y.u...
kar Dr. Qeorg Herrmanii 'gsberg i. Pr.). — Zu Goefhfs
n und V ■' (Prof. Dr. Georg Wiikowski in Lei;
(. -L/<(i/J und LnUmcht.
IL ABTEILUNG (2. BAND).
Die kl<U!fii'^r};f TViniihoyir nl< Srhuhr{-.yit'.''Jinf1 V.in T'- Ci'r.. T-.iin:-
^'«'i -'41— S61
Wie tinä äte 1 ung der 6 Arrr an dm J\;
sdiulcn tu ^:o;<ii.t/i. ' i fünften ucuUciaen Historil:
Nürnbei^g. Von Geh. Ii. , r Dr. Oskar Jlger in Kf.'
Äu$ der Litteraiur tum daOsthm Unterricht. Von Prof Dr. Paul v
Schi
V«'rlnir vou Gustar Fischor in Jena.
Leitfaden
der
physiologischen Psychologie
in 15 Vorlesungen.
Von
ProL Dr. Tb. Xitli»
in Ten.».
.Mi: n im Text.
9^ Vierte te;! - Ai:nage. 'IPB
Treis: i. . . .. , .
ZUR DEUTSCR GESCHICHTE, LITTERATUR
UND VOLKSKUNDE AUS DEM VERLAGE VON
B. G. TEUBNER IN LEIPZIG.
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN HANSE • •
IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 14. JAHRHUNDERTS
VON E. R. DAENELL. geh. n. Ji 8.—
MORITZ VON SACHSEN
VON E.BRANDENBURG. ERSTER B AN P P!S ZT'R WTTTEN-
BERGER KAPITULATION (1547). geh. n. j{
pfalzgrAfin genovefa
IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG VON B. OOLZ. geh. o. JC
NATURGESCHICHTLICHE VOLKSMÄRCHEN
AUS NAH UND FERN. OESAMMELT VON O. DÄHM HARDT
MIT TITELZEICHNUNQ VON O. SCHWINDRAZHEIN?
GeschtnackvoU geb.
VOLKSTÜMLICHES A. D. KGR. SACHSEN •
AUF DER THOMASSCHULE OESAMMELTVON O.DÄHNHARDT.
ERSTES HEFT. OeschinackvoU kaitonien n.
ZUK i lixi-U^UPHIE AUS ui:.M VERLAGE VON
B. G. TEUBNER IN LEIPZIG.
PSYCHOLOGIE ALS ERFAHRUNSWISSENSCHAFT
VON H.CORNELIUS, geh
DER BEGRIFF DES ABSOLUT V^RTVOLLEN ALS
GRUNDBEGRIFF DER MORALPHILOSOPHIE
VON P. KRUEGER. geb. n. .if. 3.80.
1^ ^ ^ A 1^ A A A
— *» — £t — «>■ — ifk A ft A A A A A A
Preisherabsetzung.
Onitip bis 1. Oktober 1898
KraitMe, iVoL ür. J. H., Angelologie. Di« Gef&sse < : .
besondere der n-;. .-i • 'uid Römer, aus dsn Sdi-^*' wcrkc-n des
Allertbumfl in \ or, archseologischer u:. , Beziehoixg
iargestellt and durch 164 Figuren erläutert. Mit 6 litfa. T&feln. gr. 8.
1S51 früher geh, 7 w4J 60 •
— PyrgotelBS oder die edlen Steine dor A ind
.l. r bildenden Knr ^' -l' Vj^ichtiguri^; i ' .
'*ftonderv d« .t^mer dArgeatell
In. gr froher geh. 6 JC, jetzt Ji 2.60.
üie Byzantiner des Mittelalters in ihr«m BtMti-, Hof- und PnT«t-
'isbesont] ' n bis g^gen Ende des riencehnten
.ii . . .:.iiert8 na. 1 , A^.ii^.v i. '■■■■.■Vfr<. dargestellt gr rocn
rfüier geh. 6 J( , jetzt JC 3. —
Die Eroberungen von Constantinopel im dreizehnten nnd fünfzehnten
'abrhundert durch die Kreuzfahrer, doruh die nic&iscben Griechen und
• ■ ' ' ' Türken, n*ch bjx&Dtinischen, frankischen, türki ' ' Uen
...u 1 i.ujn dÄTgwtellt gr. 8. 1870. friihor geh. 3 Ulf 60 j' - Jl —
Die Musen, Grazien, Hören iiml Nymphen mit Betrachtung der Fiuss-
'.>it>>r in philologischer, m} "licriöser und kun8tarohaeolo^5ch»>r
lg aus den Schrift- und :ken des Altorthums dar^'
fraher geh. 3 Uf, jtUi. JC 1.50.
Za beziehen durch jede Buchhandlung, aotrie gegen Kinieadang dea Bet2«ge<i rom
Halle a. S. G. Schwetschke'schen Verlag.
Erschienen: der
J. B. Metzlcr'scher Verlag in Stuttgart.
Erste Ms Tierte Halbband
— Aal bis Barbarei —
Ton
Pauly's Real-Encyclopädie
classischen Altertumswissenschaft
in neuer BearLf-itutig unter Iledaction toq
Georg WiBsowa.
Ueber 100 Mitarbeiter. tten auf dr
Geschichte un«!
Archäologie
90 1j'
iiionomentH
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jede, ^i.uutuy. sehen Bibliothek.